Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

GESANG VON DER MONGOLEI


von Josef Maria Mayer


In der frühesten Vorzeit,
In den ältesten Zeiten,
In den ersten der ersten Jahre,
In der Zeit vor dem Anfang,
Als der höchste lichte Himmel
War voll von wallendem Nebel,
Als die Erde unter dem Himmel
War von Staub und Schlamm bedeckt,
Als das Gras noch nicht gewachsen,
Als die breiten Flüsse noch nicht flossen,
Als der große Milchsee war noch eine kleine Pfütze,
Als der Berg Humber-Ula noch ein kleiner Hügel war,
Als der Sandelbaum am Waldrand noch nicht geblüht,
Als der stolze Hirsch war noch ein kleines Reh,
Als die gelbe Riesenschlange noch ein winziger Wurm war,
Als die großen Fische waren noch kleine Elritzen,
Als die Erde noch keine Kontinente hervorgebracht,
Als das Zentrum des Universums noch nicht vollendet war,
Als der Riesenvogel noch eine kleine Krähe war,
Als das erste der Pferde noch ein Fohlen war,
Als der Khan noch nicht die vielen Straßen gebaut,
Als die vielen Straßen der Menschen noch nicht angelegt waren,
Das war ein glückseliges Zeitalter,
Das war ein schönes Äon,
Von dem uns die Alten erzählt.

Als sich die vielen Götter im Himmel noch nicht gestritten,
Als die vielen Tenger im Äther sich nicht zankten,
Als die Tenger im Westen noch nicht so arrogant waren,
Als die Schwarzen und die Weißen noch nicht verschieden waren,
Als die Tenger des Ostens noch nicht kriegerisch waren,
Als Aussehn und Hautfarbe noch bei allen gleich war,
Als der Malan Tenger noch nicht ein Greis war,
Als Eke Ibi noch nicht ein altes Weib war,
Als Han Hormasta noch nicht mit seiner Kraft geprahlt,
Als Schwarze und Weiße einander nicht fremd waren,
Als Ulan Tengeri noch nicht sich der eigenen Größe rühmte,
Als noch nicht Hass und Neid und Eifersucht herrschten,
Das war eine wunderschöne Zeit!

So steht es auf altem Papier geschrieben:
Han Hormasta vom westlichen Stamm
War der Führer der fünfzig Tenger.
Und er, der Han Hormasta auf seinen Knieen liebkost,
Der Vater, der ihn in die Wiege gelegt,
Er war der Höchste der neun heiteren Tenger,
Er, der die Geschichte der Welt lenkt,
Vater Esge Malan Tenger!
Als Han Hormasta ward in Windeln gewickelt,
Als er in der warmen Wiege geschaukelt wurde,
Da hob die Mutter Ekhe Ibi
Zehntausend weiße Tenger.
Fünfzig Tenger wurden von der Milchstraße geboren,
Viele reiche Tenger begannen in den Abendstunden,
Tausend Götter und Geister schützten die Tenger
Und zehntausend Tenger wurden geschützt
Von der Großmutter Manza Todei mit ihrem silbernen Kelch.

Sie, die mit Han Hormasta verbunden war,
Die Kleider gab der ganzen Familie,
Die hielt die Hände der Söhne und Töchter,
Deren Haus war voll Glück,
Sie war die Göttin Gere Sesen
Mit einem strahlenden Antlitz voller Schönheit!

Han Hormasta hatte drei herrliche Söhne,
Drei wunderschöne Töchter,
Drei jüngere Bruder, jeder ein Khan,
Dreiunddreißig Krieger,
Dreihundert Führer seiner Armeen,
Dreitausend Soldaten.

Weiß war der älteste Sohn von Han Hormasta,
Meister auf dem Gipfel eines Berges,
Mit der Kraft von Tornados,
Sein Pferd glühte wie ein Falke,
Der, der vergiftet die Giftigen
Und Rache übte an den Bösen,
Er sah, wer gut und wer böse war,
Sein Name war Zasa Mergen Batar.

Rot war sein mittlerer Sohn,
Kapitän eines Spiegelsees im Gebirge,
Mit einem Hals wie ein Schwan,
Mit Haaren wie ein Stier und kraftvollen Muskeln,
Nie vom Bösen überwunden
Und nie besiegt von den mächtigen Männern,
So war Buke Batar.

Der rosige jüngste Sohn
War wie der tiefsinnige Geist der Berge,
Er war tapfer wie ein Adler,
Er ritt ein fettes gelbes Pferd,
Er strebte nach hohen Dingen
Und griff die schwierigen Fragen an,
Licht und temperamentvoll war Hubata Batar.

Die älteste Tochter, das weiße Mädchen Han Hormastas,
War fähig, die Toten auferstehen zu lassen,
Sie brachte Reichtum den Armen,
Sie gab dem Mann sein Pferd,
Sie hatte Heilkraft in ihrem Daumen
Und Magie in ihrem kleinen Finger,
Juwel der Menschen, Schönste der Frauen,
Das war das Mädchen Erjen Gohon.

Die mittlere, rote Tochter
Stahl die Liebe allen Verliebten,
Nahm die Gedanken ihrem Geliebten fort,
Sie flog durch den hohen lichten Himmel,
Sie war das schönste Mädchen der ganzen Welt,
Das Mädchen Duran Gohon.

Die kleinste Tochter, der Zwerg,
Sie wickelte Säuglinge in die Windeln,
Sie ließ Kinder geboren werden,
Sie setzte ihren Fuß in alle Orte,
Sie bewirkte, dass die Pflanzen wuchsen,
Gleichzeitig trampelte sie alle Pflanzen nieder,
Sie bewirkte, dass Lämmer geboren wurden,
Sie war von hohen Gedanken und blassem Antlitz,
Das war das Mädchen Sebel Gohon.

Gemäß ihrer Pflicht, über die Erde zu herrschen,
Die drei jüngeren Brüder Han Hormastas
Haben jeder als Khan auf Erden geherrscht.

Der älteste Bruder war Kapitän auf dem Weißen Fluss,
Sein Pferd so groß wie ein Elefant,
Sein Kopf bedeckt mit weißem Haar,
So ging er auf dem Weißen Pfad,
Mit einem weißen Bogen in der Hand.
Sein Name war Sargal Nojon.

Der mittlere Bruder war Meister des Schwarzen Flusses,
Sein Reittier war ein starker schwarzblauer Hengst,
Er dachte gnadenlose schwarze Gedanken,
Sein Pfad ging durch die schwarzen Wolken,
Er hielt einen schwarzen Bogen in der Hand,
Sein Name war Hara Zutan.

Der jüngste Bruder war Meister des mittleren Flusses,
Er ritt ein Pferd von Wildleder-Farbe,
Er dachte ehrliche schöne Gedanken,
Sein Pfad ging durch die blauen Wolken,
Er hielt einen reinen Bogen in der Hand,
Sein Name war Sengelen Nojon.

Der größte Krieger Han Hormastas
War Ulan Bator,
Der älteste Sohn des Bodur Sagan,
Er trug einen starken harten Bogen-fallUnd seine Pfeile waren heiß und schnell,
Er hatte einen kräftigen Rücken
Und eine mächtige breite Brust,
Er ritt zwischen Himmel und Erde,
Sein Pferd hatte die Farbe von einem Kamel.

Der größte Krieger nach ihm war Schumar Batar,
Der jüngste Sohn des Zajan Sagan,
Er schoss immer die Bösen ab,
Er schickte seine Pfeile zu den Feinden aus
Und ruinierte die Hütten der Feinde,
Kraftvoll und geübter Bogenschütze,
Sein Pferd konnte zur Sonne fliegen.

Der zweitgrößte Krieger war Erjen,
Der älteste Sohn des Ojodol Sagan,
Er hatte kräftige Muskeln und starke Sehnen,
Er konnte auf die Berge treten und die Gipfel ergreifen,
Er ritt ein schwarzblaues Pferd
Und seine Pfeile waren weiß wie die Sterne.

Der drittgrößte Krieger war Baga Bullen,
Der jüngste Sohn des Budagi Sagan,
Der konnte das Böse vernichten
Und das Übel puverisieren,
Der konnte messen, was gemessen werden kann,
Der konnte zählen, was gezählt werden kann,
Beachte die rechte Seite seinen Mundes
Und beachte die linke Seite seines Mundes,
Er war groß wie die Klippen
Und sperrig wie die Berge.

Der viertgrößte Krieger
War Neher Emschen,
Der das Verletzte heilen konnte
Und den Infizierten heilen,
Der Macht zur Heilung in seinem Daumen hatte
Und Magie in seinem kleinen Finger,
Schön beim Spazierengehen
Und kreativ in seinen Gedanken,
Ein berühmter Krieger
Und berühmt für seine Talente.

Der fünftgrößte Krieger
Hatte eine Brust so breit wie das Meer
Und trug eine Rüstung aus gehämmertem Eisen,
Er hatte dicke Muskeln
Und eine leistungsstarke Wirbelsäule.
Sein Bogen war von reinem Silber.

Die rote mittlere Tochter Han Hormastas
War die Dame Mungen,
In ihren Handflächen hatte sie magische Kräfte
Und Magie in allen ihren Fingern,
Sie ging zornig durch die goldenen Himmel,
Sie ging eifersüchtig durch die silbernen Himmel.

Die jüngste Tochter war Ujen,
Mit ihren Schritten ging sie immer im Haus umher,
Ihr Angesicht war voller Licht,
Ihre Gesinnung war Demut,
Sie hatte einen klaren hellen Geist
Und sprach weise intelligente Worte,
Sie hatte ein gutes und schönes Herz.

Wo das Reich der westlichen Tenger
Mit dem Reich der östlichen Tenger zusammentraf,
Da lag das Land der großen Freude,
Wo die Menschen lebten im Segen,
Wo es täglich drei Mahlzeiten gab
Und jedes Jahr drei große Feste.

Ein Reich, das sich nicht verbündet hatte
Mit den westlichen Tenger
Und das sich nicht erklärt hatte
Für die östlichen Tenger,
Das war das Land der Segeen Tenger
Und ihre Königin hieß Sesen Ugan.

Die Götter der westlichen Richtung
Versuchten den Ort zu beherrschen,
Die Götter der östlichen Richtung
Waren unter sich zerstritten.

Zu der Zeit, als dies geschah,
Die Königin Sesen Ugan
Gebar ihre Tochter, Prinzessin Nogon.

Han Hormasta begann sich zu loben
Und zu prahlen mit seiner Kraft.
Atai Ulan wurde sehr schnell wütend.
Zwei Götter standen voller Macht gegeneinander,
Zwei Tenger stritten sich mit Magie.
Zehn Jahre kämpften sie gegeneinander,
Beobachteten immer die Zeichen am Mund des andern,
Sie sahen die Zeichen im Gesicht des anderfn,
Reisten dreimal um die Welt,
Reisten viermal um die Erde.
Atai Ulan rief die Magie seiner Handflächen an,
Vierundzwanzig Zauber seiner Finger.
Das war gegen die westlichen Tenger gerichtet.

Die Tochter von Dulan
War Naran Gohon.
Sie hatte an Frost und Fieber drei Jahre gelitten.
Es stand im Buche des Schicksals geschrieben,
Dass Tod oder Unsterblichkeit
Für Naran Gohon vorherbestimmt war,
Und daran war zu erkennen,
Ob die Tenger des Ostens
Würden die Tenger des Westens erobern.
Die Tenger des Westens hatten die Kraft,
Die Krankheit von Naran Gohon zu heilen.

Tausend Götter und Geister und zehntausend Tenger
Gingen zu Todei,
Der Großmutter mit dem silbernen Kelch,
Sie kamen in ihr Haus und setzen sich, sie zu befragen.
Todei suchte in ihrem Seidenbuch und sagte:

In dem westlichen Teil des hohen Himmels
Singen sie im Licht der Morgenröte,
Mit goldenen Worten auf den Rücken
Und silbernen Worten auf den Brüsten.
Es ist ein riesiger Spaß, wird einem das Leben genommen!
Aber Rücken an Rücken,
Brüste an Brüste,
So kann Naran Gohon geheilt werden.

Als Buke, der mittlere Sohn von Han Hormasta,
Den Auftrag erhielt, in der Großmutter Haus zu gehen
Zu der Großmutter Todei mit dem silbernen Kelch,
Begrüßte sie ihn, bat ihn sich zu setzen und sagte:

Es ist bekannt, dass Leben und Tod
Von Naran Gohon darüber entscheidet,
b die Tenger des Ostens erobern
Die Tenger des Westens.
Wenn Naran Gohon, Dulans Tochter,
Von ihrer Krankheit geheilt wird,
Werden die Tenger des Westens
Unter ihrer eigenen Herrschaft leben.

Wir haben versucht, ein Heilmittel zu finden,
Aber das ist gescheitert in dieser für uns schwierigen Zeit.
Schlimme Zeiten sind gekommen.
Am ruhigen goldenen Himmel westlicher Richtung
Lebt eine Lerche, die singt bei Sonnenaufgang,
Goldene Worte auf dem Rücken,
Silberne Worte auf der Brust.
Wenn ihr Rücken wird gepresst
An den Rücken von Naran Gohon
Und wenn ihre Brust wird gepresst
An die Brüste von Naran Gohon,
So kann sie wieder gesund werden.

Aber die Lerche muss lebend gefangen werden.
Auf die Erde muss sie stürzen, darf aber nicht getötet werden,
Du fange sie, indem du deinen Pfeil schießt
Durch das Loch in ihrem Flügelknochen.

Der rote mittlere Sohn von Han Hormasta,
Buke war erstaunt, war überrascht und sagte:
Meine Großmutter Manzan Todei,
Großmutter mit dem silbernen Kelch,
Ich habe noch nie solch einen Riesenspaß gesehen
Wie die Jagd nach der himmlischen Lerche!
Wo und wie find ich sie?

Die Großmutter mit dem silbernen Kelch sagte:
Frage deinen Vater,
Er wird dir alles sagen.

Der rote mittlere Sohn
Kehrte rasch in seine Heimat zurück,
Und als sein Vater ihn begrüßte, sprach er:
Wo und wie find ich die große weiße Lerche?

Han Hormasta gab zur Antwort:
Als ich jung war, liebte ich Gedichte.
Da las ich, das im westlichen Teil des hohen Himmels
Die Lerche immer singt, wenn Tag und Nacht sich treffen.
Sie singt und zirpt die goldenen Worte auf ihrem Rücken,
Sie singt und rezitiert die silbernen Worte auf ihrer Brust,
Sie singt, während sie fliegt.
Sie singt, wenn die Vögel des Himmels nach oben steigen,
Sie singt, wenn die Vögel der Lüfte sich nach unten senken.

Der rote mittlere Sohn Buke
Machte Vorbereitungen für seine Jagd.
Er nahm den Bogen und den Köcher und ging hinaus.
Sein Pferd war bestens ausgestattet,
Er ritt das Pferd der Bucht,
Das Pferd der Bucht ging zwischen Himmel und Erde,
Es hüpfte wie ein Eichhörnchen
Und stieg auf wie ein Adler.
So erreichte Buke den westlichen Teil des Himmels.
Und als er diesen Ort erreicht,
War er an dem Ort, wo Tag und Nacht sich treffen.
Mit dem gelben Bogen zielte er auf sein Ziel.

Die große weiße Lerche
Begann ihren Flug,
Sie sang die goldenen Worte auf ihrem Rücken,
Sie sang die silbernen Worte auf ihrer Brust.

Der rote mittlere Sohn Buke
Schoß zuerst einen tiefschwarzen Pfeil.
Er sprach magische Worte,
Die Macht der Magie erschien an seiner Bogensehne wie Feuer:
Mein Pfeil, triff makellos das Ziel,
Halte dich fest am Loch im Flügelknochen.

Nachdem Buke dies gesagt,
Schoss er seinen Pfeil ab,
Die Lerche ward erschossen, während sie sang.
Der erste tiefschwarze Pfeil, der abgeschossen wurde,
Hatte Macht vom magischen Daumen,
Hatte Macht von den zauberkundigen Fingern.
Die singenden Vögel des Himmels flohen.

Die Lerche sprach:
Der Pfeil, den du abgeschossen hast,
Der hat mich schnell getroffen.
Oder verfolgt mich das schnelle Pferd?
Und während Buke darauf wartete,
Dass der Pfeil zurück kam,
Schoss der Pfeil dem Riesenvogel
In das Loch seines Flügelknochens.

Der rote mittlere Sohn Buke sprach:
Die Aufgabe, wegen der ich reiste, ist abgeschlossen,
Das Ziel, wegen dem ich gekommen, ist erreicht.

Er ging den Weg zurück und kam nach Hause.
Er kam zu dem goldenen Zelt
Der Großmutter Manzan Todei mit dem silbernen Kelch
Und überreichte ihr die große weiße Lerche.
Die Großmutter mit dem silbernen Kelch
War sehr aufgeregt und freute sich.
Dies wurde nun zum großen Heil
Für das Mädchen Naran Gohon.
Die Großmutter legte den Rücken der weißen Lerche
An den Rücken des Mädchens,
Sie legte die Brust der weißen Lerche
Auf die weißen Brüste des Mädchens.
Und so hat die große weiße Lerche des Himmels
Die Verletzungen und Krankheiten
Des Mädchens Naran Gohon geheilt,
Sie nahm Frost und Fieber von ihr weg.

Und die Großmutter mit dem silbernen Kelch
Nahm die große weiße Lerche
Und ließ sie wieder fliegen.
Sie gab ihr ihren Segen
Und trat nach draußen
Und ließ die Lerche fliegen heim in den Himmel.

Die Tuchter des Dulan,
Das Mädchen Naran Gohon
Wurde mit jedem Tage kräftiger,
Sie wurde ganz gesund.
Tag für Tag verbesserte sich ihre Gesundheit.
Ihre Krankheit war von ihr genommen
Und sie kehrte zu ihrem früheren Selbst zurück,
Ihre Krankheit war ihr weggenommen
Und sie hatte wieder ihr voriges blühendes Aussehen.

Die Tenger des Ostens waren immer noch untereinander zerstritten,
Die Tenger des Westen waren aufgeregt und freuten sich sehr!