Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

ALEXANDER BLOK – DIE SCHÖNE DAME


Gedichte

 

Nachgedichtet von Josef Maria Mayer



EIN MÄDCHEN SANG EIN LIED

Ein Mädchen sang ein Lied im Tempel in dem Chor
Von Männern, welche müd in fremdem Land gesessen,
Vom Schiffe, welches fern der Heimat sich verlor,
Von allen, die das Glück, die Lust zuletzt vergessen.

So sang die Stimme klar und stieg hinan zur Höhe,
Es glänzte Sonnenlicht auf ihrer Schulter dicht,
Und jeder sah, vernahm im Dunklen, in der Nähe
Das weiße Seidenkleid, den hohen Sang im Licht.

Und jeder war gewiss, voll Freude im Gemüte,
Das Schiff gelandet ist am Heimatstrande so,
Die Männer, die im Land der Fremde waren müde,
Die wurden wieder stark, die wurden wieder froh.

Wie süß die Stimme war, die Sonne voller Schauer!
Doch überm Zaren-Tor das Baby hochgeehrt,
Vertraut Mysterien, das Baby voller Trauer,
Weiß, von den Männern doch nicht Einer wiederkehrt.


FÜRCHTE DICH NICHT VORM TOD

Hab keine Angst vorm Tod auf dieser Erden-Reise,
Der Angst vor Feind und Freund sollst stark du widerstehen.
Nur Worte des Gebets vernimm im Innern leise,
Durch das Gebet wirst du die Schrecken überstehen.

Es kommt zu dir dein Tod, doch stets sollst du voll Brunst
Des Lebens Sklave sein und voll Lebendigkeit.
Ich warte voll Geduld auf der Aurora Gunst
In dunkler Seelennacht voll Armut, voller Leid.

Sie wird mit dir erbaun ein allgemeines Recht,
Dann wird der Ewige beherrschen alle Herzen.
Verurteilt wirst du nicht zu tödlichem Gefecht
Und nicht zu tödlichen und ewiglichen Schmerzen.



GAMAJUN, DER PROPHETISCHE VOGEL

Am Wasser, ausgegossen ohne Ende,
Gehüllt in Abendrot und Sonnenwende,
Er sang und prophezeite für das Land
Und kann nicht heben seines Flügels Hand.
Tartaren-Horden wurden da besungen
Und blutig eine Reihe Hinrichtungen,
Erdbeben, Hunger, Feuer und Gefechte,
Verbrechen, Diebstahl, Tod der Menschenrechte...
Und mit der Angst, der nackten Angst Gedicht
Die Flammen, eines Liebenden Gesicht.
O Ton der Prophetie, die Wahrheit leckt
Die Lippen, die von Blut und Schaum bedeckt!


HALLEN IMMER DUNKLER

Die Hallen wurden dunkler und verblassten.
Ertrunken in der Schwärze Fenster blank.
Der Ritter und die Schöne Dame fassten
Sich bei der Hand: Die Königin war krank!

Der König runzelte die Stirne leise,
Verlorne Sklaven an den Türen gab es.
Der Zufall Worte wirbelte im Kreise,
Die Wahrheit war die Schließung eines Grabes.

Am Tor der stillen Wohnung saß ich gerne
Und weinte. Zu dir kam des Todes Licht.
Am Ende des Kanals sprach jemand ferne
Zu mir, doch er verbarg sein Angesicht.

Und in der Tür der Schönen Dame schaurig
Hab ich geschluchzt, gehüllt in blaue Seiden.
Der Fremde mit dem bleichen Antlitz traurig
Sprach leis mit mir von allen meinen Leiden.


ER WURDE GEBOREN

Er wurde in dem trägen Jahr geboren,
Erinnert sich nicht mehr an seine Macht.
Wir Kinder Russlands in dem Jahr der Toren,
Wir denken jeden Tag und jede Nacht.

O Jahr, da alles in die Asche sinkt!
Ihr Jahre, bringt ihr Wahnsinn oder Licht?
Der Krieg ist Freiheit und das Feuer blinkt,
Wirft blutig-roten Lichtschein aufs Gesicht.

Wie sprachlos wir! Und Gift und Dreck hat heute
Uns fest bei unserm Mund, der gerne küsste.
Ihr Herzen, die ihr lebt, wart einst voll Freude,
Jetzt schläft in uns die schicksalhafte Wüste.

So lass die Raben steigen von der Erden
An unserm Totenbett, den Engeln gleich.
Die danach strebten, mögen viele werden:
O Herrgott, sieh dein großes Königreich!


ERFASSE ICH DICH

Die Zeit vergeht, und doch begreife ich,
In dauerhafter Form erfass ich dich.

Der Horizont in Flammen um und um,
Voll Sehnsucht und voll Liebe wart ich stumm.

Der Horizont in Flammen, du enorm!
Ich habe Angst, du änderst deine Form.

Ich habe Anlass zum Verdacht, zur Spur,
Du änderst die vertrauliche Kontur.

O wie ich falle, tief in tiefen Räumen,
Besiegt von meinen tödlich-bittern Träumen!

Wie strahlt am Horizont die Sonne lang.
Dass du die Form veränderst, bin ich bang.


ICH BEVORZUGE DIE HERRLICHE FREIHEIT

Ich liebe sehr der Freiheit Herrlichkeit,
Ich flieg zum Land der Gnade weit und breit,
In weiten Wiesen Klarheit mir begegnet,
Ist alles gut, die Träume sind gesegnet,
Hier ist der Reis, hier ist der Klee dreifaltig,
Kornblumen hier und Poppie schöngestaltig,
Hier ist ein Rauschen in dem Wiesenplan,
Ein Rauschen, und die Ohren aufgetan.
Nimm deine Möglichkeiten wahr und hör:
In dieser Schönheit uferlosem Meer
Nur einer sinken lässt des Flügels Wehen.
Du musst nicht in die Nebellüfte sehen,
Ich würde es gesehen haben. Nein,
Ich weiß es ganz gewiss: Sie wird noch mein!


IM GEBIET DER KULICOWO

Bei Kulikowo fließt der Fluss am Ufersaum,
Untätig, voller Trauer,
Im Steppenland, im Licht, an schroffer Klippen Raum,
In Reihen, voller Trauer.

Frau Russland hochgeehrt! In Schmerzen und im Klaren
Wir sehn den Weg voll Lust!
Ein Pfeil wird ausgeschickt der Herrschaft der Tartaren
Und steckt dir in der Brust!

Der Weg durchs Steppenland, durch Not und Schicksalsmacht,
Dein Schicksal ist das Licht,
Frau Russland! Fremde Nacht und Dunkelheit der Nacht,
Ich aber fürcht mich nicht.

So lass die dunkle Nacht. Wir reiten und wir trinken,
Am Feuer ein Gesinge.
Die Fahne Russlands wird im Rauch des Feuers blinken,
Der Khan erhebt die Klinge.

Und endlos währt die Schlacht! Wir träumen doch vom Frieden,
Durch Blut und Staub und Glas.
Das Pferd im Steppenland, wie rast es hin hienieden
Und trampelt auf das Gras.

Es gibt kein Ende! Ach, vergangen sind die Wellen
Und ganz verrückt die Flut!
Die Wolken voller Angst, sie gehen um, die schnellen,
Die Sonne steht im Blut!

Die Sonne steht im Blut! Es blutet heiß mein Herz!
O Schrei! O Herz! O Bucht!
Es ist nicht Friede mehr!Die Steppen himmelwärts
Verlängern unsre Flucht!


DIENER DER KÖNIGIN

Du rufe nicht. Auch ungeladen
Ich werde treten zu dem Schrein.
Im Kopfe tropfen stille Gnaden,
Zu deinen Füßen will ich sein.

Ich komme deinen Auftrag hörend
Und tue immer, was ich sollend
Zu tun hab, dir die Treue schwörend
Und als Gefangner immer wollend.

Ich fall vor deiner Liebe Feuer,
Wie vor dem Schaum der Welle – Ave!
Ein Ritter manchmal, manchmal Freier,
Jedoch in Ewigkeit dein Sklave!



SCHNEEMÄDCHEN

Sie stammt aus fernem Lande, einem süßen,
Sie ist als Kind der alten Zeit gekommen.
Sie hatte keinen Freund am Fest zu grüßen,
Auch glänzte nicht der Himmel ein Willkommen.

Und eben da der Newa treue Wacht,
Die Sphinx mit eingewendetem Gesicht,
Im Schneesturm, wild und winterlich zur Nacht,
Erinnert sie an des Geburtsorts Licht.

Das Wetter regnet Flocken, die beflecken
Ihr Schultern, Haar und Brust mit kalter Brunst.
Ägypten weiß den Kummer zu erwecken
In Nordens Nebel und im tristen Dunst.

In meiner Heimatstadt, so fern und günstig,
Mit Wind und Frost und Finsternis und Regen,
Und mit dem Glauben, unerklärlich, brünstig,
Empfing ihr neues Reich sie allerwegen.

Verliebt in die zaristischen Gebäude
War sie in stiller Ruh der Nacht. Ein Licht
Im Fenster glühte friedlich voller Freude
Und wurde eins mit ihrer innern Sicht.

Stirnrunzelnde Aurora sie erkannte,
Schneewirbel, Lichter, Villen in dem Städtchen,
Die Stadt wie unergründlich, die bekannte,
Wie unergründlich auch dies schöne Mädchen.


STRASSENZIRKUS

Ein kleiner Zirkus ist erstaunlich für ein Kind,
Er ist für Kinder, die glückselig, strahlend sind.
Für eines Mädchens und für eines Knaben Schauen
Sind Geister drollig da und Herrn und Edelfrauen.
Und schreckliche Musik, des Schicksals weher Schrei,
Der Geigenbogen heult der Liebe Melodei.
Der Geist der Schrecken hat erobert einen Knaben,
Er ließ an Himbeereis den Knaben sich erlaben.

Der Knabe:

Er wird vor neuem Zorn gerettet durch Verstand
Und durch das Streicheln der geliebten zarten Hand.
Dort, Lichter kommen an, und siehst du in Visionen
Der Lichter wachsende Gewalt der Reflexionen?
Siehst du den Rauch und siehst die Fackel du am Strand?
Wie königlich doch zieht die Prozession durchs Land.

Das Mädchen:

Was soll denn all der Spott und all die Diskussionen?
Das ist des Teufels Art seit ältesten Äonen.
Am Tag die Königin auf dem Spaziergang geht,
Mit Rosen auf dem Fuß, so singt es der Poet,
Die Ritter halten fern das Volk von ihrem Kleide,
Und Schwerter klirren und es raschelt feine Seide.

Die Wendung nun des Clowns im grellen Lichte hier
Und plötzlich laut ein Schrei: O bitte hilf du mir!
Ich bin verblutet, ach, mit roter Limonade!
Die Rüstung macht ich mir aus Lumpen voller Schade!
Ich habe aus Papier den Helm auf meinem Haupt,
Ein Holzschwert in der Hand, das Schwert mir keiner raubt!

Der Tochter und dem Sohn sind Tränen heiß geflossen,
Der Straßenzirkus hat die Türen fest verschlossen.


DER UNGLÄUBIGEN SCHATTEN

Der Glaubenslosen Schatten geht am Tag
Im Städtchen um, es läuten hell die Glocken,
Die Schritte vor der Kirche, blitzend, zag,
Und deine Schritte sind so leicht wie Flocken.

Hier gehst du lang und rührst an kühlen Erden,
Gekleidet in Vernunft, trotz kalten Spottes,
Für dich die Frühlingsblumen blühen werden
Hier vor dem warmen Blick der Mutter Gottes.

Der Schatten geht im Nebel um, in Nacht,
Die Glocken läuten laut nach frommer Sitte,
Auf deine Schritte legt sich Nacht mit Macht,
Ich bin im Licht, erwarte deine Schritte.


DER SCHNEEBEDECKTE FRÜHLING TOBT RASEND

Der schneebedeckte Frühling rasend tobt,
Ich schaue auf vom Epos hochgelobt:
O Schreckensstunde, wie ich lese gerne
Von schlanker Palme in des Südens Ferne.

In seine Augen richtet sie den Blick,
Die Augen schaun mit Spott zu ihm zurück.
Der Perlenzähne Glanz in Mundes Mitten.
Ich habe jede Mitternacht durchlitten!

Mit Blut begossen habe ich mein Herz.
Erinnerungen schauten heimatwärts.
Ein Lied erklang: Aus tiefstem Seelentriebe
Erwart ich die Erwiderung der Liebe!


DIE UNBEKANNTE

Das Restaurant in milder Frühlingspracht
Liegt unter dichter wilder Luft der Gasse.
Und trunken schreien Schwärmer in der Nacht
Und gehen durch den Dreck der Durchgangsstraße.

Und überm Staub der Vorstadtgasse frei
Und über jedem öden Bungalow
Ein goldner Brezel zeigt die Bäckerei
Und Kinder kreischen froh fortissimo.

Und jeden Abend an der Grenze geben
Die Gentlemen die Witze und den Charme,
Spazieren dann an den Entwässrungsgräben,
Den Regenschirm, die Dame an dem Arm.

Die Dollen quietschen in dem Meergeschwalle,
Ein Weib mit Schreien will das Ohr versehren,
Der Himmel, unempfindlich gegen alle,
Trägt Luna oben in dem öden Leeren.

Und jede Nacht mein einziger Begleiter
Der Wein ist, der sich in dem Becher trübt,
Betrunken vom Geheimnis, selten heiter,
Wie ich kaputt und stumpf und tief betrübt.

Die müden Diener mit den Tellern rasen,
Die Nacht vergehe schnell, sie hoffen das.
Die Säufer mit den Augen scheuer Hasen
Laut heulen auf: In vino veritas!

Und immer – oder täusch ich mich vertauschend -
Zur festgesetzten Zeit in süßem Putz
Ein schlankes Mädchen kommt, die Seide rauschend,
Und kommt aus Dunkel, Nebel und aus Schmutz.

Vorbei an all den Schwärmern ungestüm,
Und unbegleitet, immerdar allein,
Strahlt sie im Nebel auf und im Parfüm,
Am eignen Tisch dann einsam da zu sein.

Und fast schon legendär in ihrem Gange
Und in dem Raum betrachtet sie ein jeder,
Die schmale Hand, das Seidenkleid, die Spange,
Die Ringe und den Hut mit Pfauenfeder.

Gebannt durch ihre rätselhafte Nähe
Durchschaue ich den leichten Schleier schnell
Und eine zauberhafte Küste sehe
Ich und verzauberte Distanzen hell.

Ich bin des heiligen Mysteriums Hüter,
Ich kontrollier die Sonne, ihr Geschwele,
Den letzten Schleier teilt der Wein. Wie glüht er!
O Labyrinthe ihr in meiner Seele!

Die Pfauenfedern hängen nieder gründlich
Und sinken in mein Hirn, darinnen glüht
Ein blaues Augenpaar, das unergründlich
An einem fernen Ufer ist erblüht.

In meiner Seele liegt ein Schatz begraben,
Der Schlüssel wird in meinem Innern sein.
Wie recht ihr habt, betrunkne Monster-Knaben:
Ich weiß es wohl: Die Wahrheit liegt im Wein.


AN DIE MUSE

In den verborgenen Erinnerungen wohnen
All die Verheißungen des tödlichen Geschicks,
Ein Fluch auf heilige, geweihte Traditionen
Und die Entweihung der Glückseligkeit, des Glücks,

Und deine Macht ist so verlockend, Frauenmacht,
Dass ich bereit bin, das Gerücht zu wiederholen,
Dass Engel haben dich von Gott zu mir gebracht,
Verführerische mit der Schönheit unverhohlen.

Und wenn den Glauben man verspottet hier und da,
Das lila-gelbe Licht, das schimmert in dem Feuchten,
Das lila-gelbe Licht, das einst ich bei dir sah,
Wie plötzlich doch begann es über dir zu leuchten.

Du, böse oder gut? Von wo kamst du herunter?
Wie Wunderbares man dir immer zugeselle,
Für manche Muse du, für manche wie ein Wunder,
Für mich bist du die Qual und meine heiße Hölle!

Ich weiß nicht, warum ich im Abenddämmerlicht,
Als meine Kraft mich floh, die einst war von der größten,
Ich nicht verloren ging, vielmehr sah dein Gesicht
Und bat dich innig, all mein wehes Leid zu trösten.

Ach, wären Feinde wir im irdischen Gewimmel!
Warum hast du mir auch solch ein Geschenk gemacht
Von dem Kastanienbaum und offnem Sternenhimmel -
Der ganzen Schönheit Fluch, der Anmut Todesmacht?

Der Augen Zärtlichkeit war tückisch und versteckt
Wie hohen Nordens Nacht und winterliche Trübe,
Berauschender als der Franzosen süßer Sekt
Und leidenschaftlicher als der Zigeuner Liebe!

Und es war eine Lust und tödlich eine Schwermut,
Als du zertreten hast das Heilige im Scherz.
O diese Leidenschaft, so bitter wie der Wermut,

War eine Wahnsinns-Lust, war Wahnsinn für mein Herz!