von
Josef Maria Mayer
ERSTER
GESANG
LILITH-EXORZISMUS
I
Lamaschtus
Wohnung
Ist
auf den Bergen
Oder
im Dickicht des Schilfes.
Schrecklich
ist ihr Aussehen!
Ihr
Haupt und ihr Gesicht
Ist
das eines furchtbaren Löwen,
Blass
wie Lehm ist ihr Aussehen,
Sie
hat die Gestalt einer Eselin,
Ihre
Lippen schäumen von Speichel,
Sie
brüllt wie ein Löwe
Und
heult wie ein Schakal.
Erst
ist sie eine junge Hure
Und
dann eine alte Hexe.
Furchtbar
wild ist ihr Gemüt,
Zornig,
grimmig, furchtbar, schrecklich,
Wütend,
tobend, böse,
Zerstörend
rückt sie an.
Grausam
sind ihre Wirkungen.
Wo
sie erscheint,
Bringt
sie Übel und Zerstörung.
Menschen,
Wegen und Gebäuden
Verursacht
sie Schaden.
Sie
ist ein Ungeheuer,
Das
Fleisch frisst und Blut säuft.
Ihn,
gegen den sich der böse Uttuku warf,
Ihn,
den in seinem Bett der böse Alu zudeckte,
Ihn,
den der böse Etimmu in der Nacht überwältigte,
Ihn,
den der böse Gallu bedrohte,
Ihn,
dessen Glieder der böse Illu zerriss,
Ihn,
den Lammaschtu beherrschte mit harter Hand,
Ihn,
den Labaschu überwältigte,
Ihn,
den Ahhazu festhielt,
Diesen
Mann schütze der allmächtige Gott!
Der
Gallu, der Geist, der alle Häuser bedroht,
Schamlose
Gallus, sieben Gallus,
Sie
mahlen das Land wie Mehl,
Sie
kennen keine Gnade,
Sie
wüten gegen die Menschen,
Sie
essen Menschenfleisch
Und
lassen Blut wie Regen strömen,
Unaufhörlich
trinken sie Blut!
Beschwörung!
Lammaschtu,
Tochter Anus,
Ist
ihre erste Beschwörung,
Schwester
der Götter der Straßen die zweite,
Schwert,
das den Kopf zerschmettert, die dritte,
Die
das Holz anzündet, die vierte,
Göttin,
deren Antlitz schrecklich ist, die fünfte,
Anvertraute
der Irnina, die sechste,
Bei
den Göttern Beschworene, die siebte,
Mit
den Vögeln des Himmels fliege sie fort!
Furchtbar
ist sie,
Ungestüm
ist sie,
Sie
ist eine schreckliche Göttin,
Sie
ist wie ein Panther,
Ihre
Füße sind Vogelkrallen,
Ihre
Hände sind schmutzig,
Ihr
Gesicht ist das eines Löwen,
Sie
taucht aus dem Schilfdickicht auf,
Ihre
Haare sind aufgelöst,
Ihre
Brüste sind nackt,
Ihre
Hände wühlen in Fleisch und Blut,
Sie
steigt durchs Fenster ein,
Sie
dringt ins Haus ein,
Sie
geht aus dem Haus wieder weg.
Wenn
ein guter Jüngling
Um
Mitternacht am Strande singt
Oder
die Flöte blasen lässt,
Taucht
die Lamia des Meeres
Aus
der Tiefe empor
Und
unter Verheißung
Eines
glücklichen Lebens
Versucht
sie den Jüngling zu bewegen,
Ihr
Ehemann zu werden
Und
mit ihr in die Tiefe zu kommen.
Weigert
sich der Jüngling,
So
tötet die Lamia ihn.
Die
Striges sind Zauberinnen,
Die
des Nachts in Vogelgestalt
Zu
den Betten der Kinder fliegen
Und
ihnen das Blut aussaugen.
Die
Striges sind gierige Vögel,
Sie
fliegen nachts umher.
Sie
suchen Kinder auf,
Wenn
die Amme abwesend ist,
Dann
tragen sie die Kinder weg.
Sie
verderben die Kinderkörper mit ihren Krallen.
Sie
reißen die Eingeweide der Säuglinge
Mit
ihren scharfen Krallen heraus.
Ihren
Schlund haben sie voll von Blut,
Vom
Menschenblut, das sie trinken.
Schwarze
Striga, schwarz über schwarz,
Blut
wird sie essen, Blut wird sie trinken,
Wie
ein Ochse wird sie brüllen,
Wie
ein Bär wird sie brummen,
Wie
ein Wolf wird sie zubeißen.
Der
Name Liliths ist
Ki-Sikil-Lilake,
das bedeutet
Das
Mädchen Lilith.
Sie
ist ein ständig keifendes Mädchen.
Der
Name ihres Begleiters
Ist
Lilla, der ein Dämon ist
Der
Lüsternheit und Geilheit.
Ki-Sikil-Lilake
Ist
die Magd des Lilla,
Aber
Liliths anderer Name
Ki-Sikil-Udda-Kara
bedeutet
Das
Mädchen, das das Licht gestohlen hat.
Lillu
und Lillitu
Und
Ardat-Lilli!
Ardat-Lilli
ist die Hure
In
der Hurerei des Götzendienstes.
Ein
kranker Mann war besessen
Von
der Ardat-Lilli,
Von
der Tempelhure.
Ihn,
auf den Ardat-Lilli ihre Augen geworfen,
Ihn,
den Ardat-Lilli zu Boden geworfen,
Von
der Ardatu, auf die sich der Mann stürzte,
Von
der Ardatu, die sich dem Mann nicht geöffnet hat,
Von
der Ardatu, die sich vor dem Mann nicht auszog,
Gott
erlöse den Mann von diesem Dämon!
II
Meinem
Körper sollst du dich nicht nähern,
Du
sollst nicht vor mir einhergehen,
Du
sollst mir nicht nachfolgen.
Wo
ich mich aufhalte,
Sollst
du dich nicht aufhalten,
Wo
ich mich setze,
Sollst
du dich nicht setzen.
Du
sollst nicht in mein Haus eintreten,
Du
sollst mein Haus nicht verzaubern.
Du
sollst deine Füße nicht in meine Spuren setzen.
Wohin
ich gehe, sollst du nicht gehen,
Wo
ich eintrete, sollst du nicht eintreten.
Verschwinde
sogleich,
Sogleich
verschwinde, Lilith!
Geh
weg, geh weg,sogleich, sogleich,
Schrecken
meiner Träume!
Verjage,
verjage Lilith!
Geh
vorüber,
Schritt
für Schritt, o Lilith.
Geh
weg, geh jetzt, geh jetzt,
Dämonin
der Nacht!
Die
Dämonin Lilith spricht:
Ich
gehe jetzt zu dem Haus der Frau
Und
zu ihrem Knaben,
Um
den Knaben ihr zu nehmen,
Sein
Blut zu saufen,
Sein
Mark auszusaugen,
Sein
Fleisch zu fressen.
In
ihren Palästen werden Dornen wachsen,
Nesseln
und Disteln auf ihren Bergen,
So
dass sie eine Wohnstatt für wilde Hunde wird
Und
ein Gehöft für törichte Straußenweibchen.
Da
stoßen Steppenwölfe auf Hyänen,
Und
ein Satyr trifft den andern.
Dort
wird Lilith ruhen
Und
findet ein Bett für sich.
Und
die Götzen -
Alles
fährt dahin!
Und
die Götzen
Sind
wie Lilith, die vorüberflattert.
Sie
teilen sich in drei Gruppen,
Diejenigen,
die sagten:
Kommt,
wir wollen hinaufgehen und Krieg führen,
Werden
Affen, Poltergeister und Liliths.
Ich
will dir Sirenen vom Meere rufen,
Die
Liliths, die aus der Wüste kommen,
Und
die Böcke und Faune aus den Wäldern.
Dieses
Gedicht ist dafür bestimmt,
Das
Haus des Josef zu versiegeln,
Damit
von ihm die böse Lilith entfliehe,
Im
Namen Elohims,
Die
Liliths alle,
Die
männlichen Lilin
Und
die weiblichen Liliths.
Nackt
wirst du weggeschickt, Lilith,
Unbekleidet,
mit aufgelöster Haarflut
Hinter
deinem Rücken flatternd.
Gesiegelt
und nochmals gesiegelt
Sind
Haus und Schwelle
Des
Josef, Sohn des Eber,
Und
für seine Frau Maria,
Vor
allen bösen Poltergeistern,
Dämonen,
Ungeheuern
Und
Liliths,
So
dass sie nicht Haus und Schwelle
Josefs
näher kommen.
Sie
sind mit drei Ringen
Und
mit sieben Siegeln gesiegelt.
Du
sollst nicht wieder erscheinen
In
Josefs Hause,
Noch
in seinem Schlafgemach,
Denn
es wird dir bekannt gemacht,
Lilith,
dass gegen dich
Rabbi
Josua einen Bannfluch geschickt hat,
Vom
Himmel her kam zu uns
Diese
Scheidungsurkunde,
In
ihr ist eine Nachricht
Und
eine Einschüchterung für dich
Geschrieben,
für dich,
Im
Namen der Hagia Sophia.
Du
männlicher Lili
Und
du weibliche Lilith,
Ihr
Böcke und ihr Sirenen,
Ihr
seid mit dem Bannfluch belegt.
Ihr
sollt Josef nicht mehr erscheinen,
Weder
im Traum zur Nacht
Noch
im Schlummer am Tage,
Denn
gesiegelt seid ihr
Mit
dem Siegel El Shaddais
Und
dem Siegel des Rabbi Josua.
Du
männlicher Lili
Und
du weibliche Lilith,
Ich
beschwöre euch bei der Vaterschaft Abrahams,
Dem
Schrecken Isaaks
Und
El Schaddais, Jakobs Gottheit,
Jah
ist sein Name,
Hallelujah,
Dies
ist deine Scheidungsurkunde,
Durch
den heiligen Schutzengel geschickt.
Ich
reiße aus die bösen Würgerinnen
Und
die böse Lilith.
Kehre
nicht zu Josef zurück,
Jetzt
und alle Zeit.
Gebunden
und gesiegelt seid ihr alle,
Böcke
und Devis und Liliths,
Mit
den schweren, strengen und mächtigen Fesseln.
Die
böse Lilith, welche
Die
Herzen der Männer irre gehen lässt,
Die
in Träumen während der Nacht
Und
in Gesichten des Tages erscheint,
Die
verbrennt und nieder wirft
Wie
ein Alptraum,
Die
Knaben angreift und vernichtet,
Besiegt
ist sie
Und
weg gesiegelt von Josefs Haus und Schwelle,
Josefs,
des Sohnes Ebers,
Durch
das Siegel Metatrons,
Des
Engels, der genannt wird:
Der
Herr ist dein Heiland.
Er
besiegt Böcke und Devis,
Schwarze
Magie und Hexensprüche,
Besiegt
sind die alten Hexen,
Die
einst junge Huren waren,
Besiegt
ist ihre Hexerei,
Ihre
Verwünschungen und Beschwörungen.
Weg
gebannt sind sie von den vier Wänden
Des
Hauses Josefs, des Sohnes Ebers.
Besiegt
und nieder getreten
Sind
die Hexen, die fetten alten Weiber,
Besiegt
auf Erden und im Himmel,
Gebunden
sind die Werke ihrer Hände.
Da
kam die Dämonin Lilith
Zu
unserem Vater Elias
Und
hielt ihn an und sagte zu ihm:
Wohin
gehst du?
Denn
ich habe Knaben von dir
Und
du kannst nicht gen Himmel fahren
Und
deine Knaben zurücklassen.
Und
unser Vater Elias sprach:
Wie
kannst du Knaben von mir haben,
Da
ich doch ehelos lebe?
Da
sprach die Dämonin Lilith:
Ja,
im Schlaf, in deinen Träumen,
Wurdest
du oft entleert
Durch
den Ausfluss deines Gliedes.
Da
hab ich deinen Samen verschluckt
Und
habe dir Knaben geboren.
Gebunden
und gefesselt seid ihr,
Riesen
von Mitternacht,
Und
gefesselt sei euer Körper
Mit
der großen Fesselung,
Mit
der die Schmiede die Zwerge fesseln.
Gefesselt
sei eure Zauberei
Und
euer Trug, den ihr treibt.
Gefesselt
seien eure Weiber, die Liliths,
Die
perversen Gestalten,
Die
hässlich und widerlich sind,
Deren
Aussehen und deren Geschwätz
Kein
frommer Mann ertragen kann.
Gebunden
ist die zaubernde Lilith,
Die
das Haus Josefs verzaubern wollte.
Gebunden
ist die zaubernde Lilith
Mit
einem Gürtel aus Eisen auf ihrem Schädel,
Mit
Klammern aus Eisen in ihrem Mund,
Mit
der ehernen Kette an ihrem Nacken,
Mit
Fesseln aus Eisen an ihren Händen
Und
Stücken von Stein an ihren Füßen.
Gebunden
ist Lilith mit Ketten aus Blei,
Gebunden
sind die Dämonen der Hexer,
Gebunden
sind die Dämoninnen der Magierinnen,
Welche
verhasste Träume erzeugen,
Halluzinationen,
Verhasste
Trugbilder und verhasste Visionen.
Ich
beschwöre dich, Lilith Haldas,
Tochter
der Lilith Taklath,
Enkelin
der Lilith Zarnai,
Die
da schlägt und verzaubert und tötet,
Die
da Knaben erwürgt,
O
Lilith Haldas, entfliehe,
Geh
weg, weiche von Josefs Haus,
Der
Schwelle, der Wohnung, dem Gebäude,
Vom
Bett und vom Kissen Josefs,
Und
zeige dich ihm nicht,
Weder
in seinen Träumen zur Nacht
Noch
in seinen Gesichten am Tag.
Ich
beschwöre dich, Lilith,
Dich
und alle deine sieben Dämoninnen,
Im
Namen des Herrn, des Gottes Israels,
Abrahams
und Isaaks und Jakobs,
Im
Namen der Seraphim und Cherubim,
Im
Namen der Erzengel und der Schutzengel,
Im
Namen der heiligen Matrone Maria,
Maria
sei gebenedeit,
Dass
du und alle deinen sieben Dämoninnen
Diesem
Manne keinen Schaden zufügst.
Heiliger
Adam, heilige Eva!
Hinaus
mit Lilith!
Hallelujah!
ZWEITER
GESANG
DER
TRAUM VON KARINA
I
Ich
bin ein Jude,
Fünfzig
Jahre alt,
Eine
melancholische Seele.
Ich
träumte diesen Traum:
Ich
liege nachts mit geschlossenen Augen,
Aber
wach, in meinem Bette.
Da
schwebt durchs geschlossene Fenster
Ein
wunderschönes Weib
Und
bleibt an meiner linken Seite stehen.
Sie
schaut mich mit ernsten Blicken an,
Spricht
aber kein Wort.
Ihr
Oberkörper ist nackt,
Ihre
nackten Brüste sind üppig.
Ihre
Haut ist schwarz.
Sie
hat große schwarze Augen
Und
wallende schwarze Lockenfluten,
Die
flattern hinter ihrem Rücken.
An
den Schultern trägt sie zwei Flügel.
Das
Weib ist wunderschön
Und
sehr verführerisch.
Ich
bin von ihr fasziniert,
Wage
aber nicht, sie anzusprechen.
Die
erste Assoziation lautet:
Ich bin schwarz und schön,
Ich bin schwarz und schön,
Sagt
Sulamith im Hohenlied.
Die
zweite Assoziation lautet:
Das ist die Hure Karina.
Das ist die Hure Karina.
Das
Hohelied Salomos ist eine Sammlung
Altorientalischer
Liebeslieder,
Sie
wurden zur Hochzeit gesungen,
Da
Braut und Bräutigam
Herrschten
als Königin und König.
Ursprung
dieser Liebeslieder
Sind
die Hymnen der Heiligen Hochzeit
Von
Inanna und Dumuzi.
Die
allegorische Deutung
Legt
die Liebeslieder aus
Auf
Jahwe und Jungfrau Israel,
Auf
Christus und die Kirche,
Auf
Jesus und die Seele,
Auf
den Heiligen Geist und Maria.
Samuel
Ben Meir
Legte
das Hohelied aus
Mit
Hilfe provencalischer Troubadourdichtung
Und
Ibn Ezra nahm hinzu
Die
arabische Liebeslyrik.
Im
Hohelied sagt Sulamith:
Schwarz
bin ich, aber schön,
Schwarz
wie die Zelte von Kedar
Und
schwarz wie die Zeltdecken von Salma.
Schaut
mich nicht an, dass ich so schwarz bin,
Dass
mich die Sonne so verbrannt hat.
In
diesem Karina-Traum
Stellt
die Traumfigur Karina
Die
unbewusste weibliche Seele
Des
Träumers dar.
Es
handelt sich hier um eine
Überpersönliche,
archetypische Frau.
Der
Doppelaspekt der Anima-Figur
Lässt
sie erscheinen als hoheitvolle
Geliebte
des Königs
Und
andrerseits als verführerische Hure.
Das
lichte Bild der Anima
Wird
von Sulamith verkörpert,
Das
dunkle Bild der Anima
Wird
von Karina verkörpert.
Im
Bewusstsein des Träumers
Existiert
ein sehr lichtes Anima-Bild,
Darum
unbewusst im Traum
Kompensiert
er dies lichte Bild
Mit
der dunklen Traumfigur Karina.
Die
Begegnung mit dem archetypischen Bild
Bedeutet
eine intensive Faszination,
Die
oft von inneren Bildern ausgeht.
Aber
gleichzeitig ist da die Angst,
Der
inneren Verführerin zu verfallen.
Steigern
sich diese Ängste,
Können
sie in eine Psychose führen.
Die
schwarze Farbe der Traumfigur
Stellt
sie in eine Reihe
Mit
archaischen schwarzen Muttergöttinnen,
Isis,
Kali, Artemis von Ephesos,
Der
Schwarzen Madonna von Tschenstochau,
Der
Jungfrau von Guadelupe.
Die
Schwärze der prima materia
Bei
den Alchemisten
Ist
ein Ausdruck des Unbewussten.
Sie
ist ein gefährlicher Zustand,
Der
in einem Reinigungsprozess
Abgewaschen
werden muss,
Damit
zuerst die rubedo erscheint
Und
dann die albedo.
Die
gefährliche Nigredo
Muss
erst noch purgiert werden.
Die
langen schwarzen Lockenfluten
Und
die großen schwarzen Augen
Sind
Ausdruck wilder Natur
Und
ungezähmter Triebe.
Die
üppigen nackten Brüste
Sind
ein sakrales Symbol.
Das
Enthüllen der Brüste
Gehörte
im minoischen Kreta
Zum
sakralen Kult der Priesterin
Der
Großen Mutter.
Auch
Astarte in Israel
Zeigte
offen ihre bloßen Brüste.
Die
üppigen nackten Brüste
Sind
ein sakrales Symbol
Der
Großen Mutter.
So
wird beim Jüngsten Gericht
Die
allerheiligste Mutter Maria
Ihre
Brüste entblößen
Und
zum Richter Christus sagen:
Schau auf meine nackten Brüste,
Schau auf meine nackten Brüste,
Meine
milchprallen Brüste,
Die
du gesogen hast.
Bei
diesen meinen nackten Brüsten
Beschwör
ich dich, o Jesus,
Rette
meine Verehrer
Und
gedenke, dass sie Fleisch sind
Und
keine reinen Engel.
II
Melancholischer
Träumer!
Die
Melancholie war für den Träumer
Eine
Erfahrung der Qual.
Sie
war nicht immer vorhanden,
Aber
sie steigerte sich
Zu
gewissen Zeiten derart,
Dass
sie zu tiefen Depressionen wurde,
Die
sein Selbstvertrauen untergruben,
Zu
einer zerstörerischen Selbstkritik führten,
Ihm
seine Schaffensfreude nahmen
Und
seinen Lebenswillen vernichteten.
Es
gibt bestimmte Depressionen,
Die
sind ein Erbe.
Es
sind Depressionen,
Die
in einer geheimnisvollen Verbindung stehen
Mit
schöpferischen Prozessen.
Ich
nenne diese Depression lieber
Schöpferische
Melancholie.
Derartige
Depressionen lassen sich
Nachweisen
bei schöpferischen Menschen,
Malern
und Musikern,
Philosophen
und Dichtern.
Ich
nenne es eine bestimmte
Saturnische
Veranlagung der Genies.
Denn
es gibt eine Verbindung
Zwischen
der Melancholie
Und
dem alten Gott Saturn.
Der
alte Gott Saturn
Ist
Spender der Weisheit,
Der
Reife, der Intelligenz,
Der
schöpferischen Kräfte.
Diese
Gnaden pries man am alten Gott Saturn
Vor
allem in der Philosophie des Neoplatonismus.
Aber
Saturn ist auch der Gott,
Der
die Menschen in Trübsal stürzt,
In
Einsamkeit und Verzweiflung.
So
heißt es englisch saturnine,
Dem
Saturn geweiht und melancholisch.
Die
Lehre der Temperamente
Oder
Humore
Geht
auf Hippokrates zurück
Und
wurde von den alten Griechen
Und
mittelalterlichen Arabern
Immer
weiter entwickelt.
Jupiter
ist warm und feucht,
Voll
grüner Galle,
Die
Leber ist ihm zugeordnet,
Jupiter
erzeugt die Sanguiniker.
Mars
ist warm und trocken,
Voll
gelber Galle,
Die
Leber ist ihm zugehörig,
Mars
erzeugt die Choleriker.
Merkur
ist kalt und feucht,
Voll
weißer Galle,
Die
Lunge ist ihm zugehörig,
Merkur
erzeugt die Phlegmatiker.
Saturn
ist kalt und trocken,
Voll
schwarzer Galle,
Die
Milz ist ihm zugehörig,
Saturn
erzeugt die Melancholiker.
Galenus
sagte von der Melancholie,
Sie
sitze im Hypochondrion
Unter
dem Brustbein und den Rippen.
Aristoteles
sah die Melancholie ambivalent.
Er
sprach von einer krankhaften Melancholie,
Melancholia
dia noson,
Und
von einer natürlichen Melancholie,
Melancholia
dia physin.
Die
schwarze Galle der Milz oder
Mélania
cholè
Vermag
in der rechten Dosierung und Temperatur
Den
Menschen zu großen geistigen Werken zu inspirieren,
Doch
durch falsche Dosierung und Temperatur
Entstehen
Depressionen.
Diese
Lehre wurde in der Renaissance
Im
Florenz der Medici
Von
Dante und Petrarca
Und
von Ficino weiter entwickelt.
Wie
Petrarca, so war auch Ficino
Einer
schweren Melancholie unterworfen.
Er
schrieb in einem Brief an einen Freund,
Dass
er die Bitterkeit der Melancholie
Und
die Bösartigkeit des Saturn
Am
eignen Leibe erfahren hat.
Aber
er hatte auch erkannt,
Dass
gerade Saturn es war, der ihn befähigte
Zu
großer geistig-schöpferischer Arbeit.
Darum
akzeptierte Ficino
Seine
Melancholie.
Er
nannte Saturn
Das
edelste und mächtigste Gestirn
Und
die Melancholie
Eine
einzigartige göttliche Gabe.
Agrippa
von Nettesheim
Sprach
vom Planeten Saturn
Und
seinem furor melancholicus.
Lavater
sprach von der erhabenen,
Sanften
und tiefsinnigen Melancholie,
Der
unzertrennlichen Gefährtin des Genius.
Dürers
Bild Melencolia I
Zeigt
ein geflügeltes Weib
Mit
ernstem Blick.
Sie
sitzt in tiefer Selbstversunkenheit da,
In
Ergebung in ihr Schicksal.
Eine
Fledermaus trägt auf dem Flügel
Die
Inschrift: Melencolia I.
Auf
dem Boden liegt ein schlafender Hund.
In
der Mitte ist ein geflügeltes Kind.
Neben
Glocke, Stundenmaß und Waage
Finden
sich verschiedene Werkzeuge.
Der
Kranz feuchter Blätter
Auf
dem Kopf des Weibes
Und
die magischen Zahlenquadrate
Deuten
an, wie man Herr wird
Seiner
eigenen Melancholie.
Melanchthon
sprach einmal von der
Melancholia
generosissima Duereri.
Melancholie
findet sich
In
der Marienbader Elegie Goethes,
Bei
Leopardi und Verlaine,
Im
Lied von der Erde Gustav Mahlers.
In
der Philosophie ist besonders
Kierkegaard
zu erwähnen
Als
ein treffendes Beispiel dafür,
Wie
ein Mensch aus tiefen Depressionen
Schöpferische
Kräfte gewinnen kann.
In
der Mystik ist es vor allem
Johannes
vom Kreuz,
Der
die dunkle Nacht der Seele besungen
Als
mystischen Weg
Zur
Vereinigung mit der göttlichen Weisheit.
III
Imagination:
Ich
bin auf der Suche
Nach
dem alten jüdischen Friedhof
Von
Toledo,
Wo
ich alte Grabsteine
Entziffern
soll.
Aber
der Friedhof ist nicht mehr vorhanden.
An
seiner Stelle wurde eine Kathedrale gebaut.
Ich
gehe weiter
In
ein andres jüdisches Quartier
Und
erkundige mich
Nach
dem Rabbi von Toledo.
Da
kommt ein zwanzigjähriges Mädchen,
Des
Rabbis Enkelin.
Sie
ist ein wunderschönes Mädchen
Mit
großen Augen
Und
langen roten Haaren.
Sie
trägt ein rotes Kleid.
Ich
frage sie nach ihrem Namen.
Sie
sagt: Ich heiße Simcha,
Aber
meine Freunde nennen mich Karina.
Ich
sagte: Wenn du Karina bist,
Wo
sind dann deine Flügel?
Sie
errötete und schwieg.
Dann
führte sie mich zu ihrem Großvater.
Ich
fragte den Rabbi von Toledo:
Rabbi,
was muss ich noch lernen?
Der
Rabbi sagte: Lerne zu tanzen!
Da
rief der alte Rabbi seine Enkelin
Und
sie beginnt, mich das Tanzen zu lehren.
Der
Rabbi klatscht den Takt mit den Händen
Und
Simcha-Karina tanzt mit mir.
Wir
tanzen im Dreischritt,
Wir
tanzen im Kreis.
Nach
dem Tanz
Überreicht
mir das Mädchen
Einen
goldenen Ring,
Den
ich an meinen Ringfinge stecke.
Der
Rabbi übergibt mir ein Buch,
Dass
ich dem Rabbi von Jerusalem bringen soll.
Toledo
ist die Hauptstadt
Von
Kastilien, neben Katalonien
Das
bedeutendste Zentrum jüdischer Mystik.
Toledo
ist kreisrund gebaut
Und
liegt im Zentrum Spaniens
Auf
einem Hügel,
Auf
drei Seiten vom Tajo umflossen.
Die
Kathedrale von Toledo
Ist
wunderschön und prächtig.
Sie
basiert auf den Fundamenten
Einer
alten Moschee,
Die
wiederum errichtet worden war
Auf
den Fundamenten
Eines
griechischen Tempels.
Die
runde Stadt ist ein Symbol
Für
psychische Ganzheit.
Die
viergeteilte runde Stadt
Ist
ein Symbol des Selbst.
Dieses
Symbol taucht im Talmud auf
Und
im Neuen Testament.
Das
himmlische Jerusalem
Ist
das Urbild
Des
irdischen Jerusalem,
Das
in der letzten Zeit
Von
Gott herab geschickt werden wird,
Dann
wird das himmlische Jerusalem
Das
zerstörte irdische Jerusalem ersetzen.
Auch
das irdische Jerusalem
Ist
der Mittelpunkt des heiligen Landes,
Das
heilige Land ist der Nabel der Welt.
Und
im irdischen Jerusalem
Ist
der zerstörte Tempel das Zentrum.
Der
Träumer ist auf der Suche
Nach
dem jüdischen Friedhof.
Er
sucht den Kontakt
Zu
seinen Toten.
Statt
der Toten tritt ihm entgegen
Ein
junges lebendiges Mädchen.
Die
Traumfigur heißt Simcha,
Das
bedeutet auf hebräisch: die Wonne.
Sie
ist ein schönes Sinnbild
Für
die Lebenslust des Träumers.
Aber
sie ist auch Karina,
Aber
nicht mehr die archaische Göttin
Und
auch keine Dämonin der Nacht,
Sondern
eine schöne Menschentochter.
Die
roten Haare und das rote Kleid
Zeigen
die Gefühle des Träumers.
Rot
ist die Farbe der Liebe.
Alchemistisch
gesprochen
Ist
aus der Nigredo der ersten Begegnung
Das
Rubedo der zweiten Begegnung geworden.
Die
Traumfigur der zweiten Begegnung
Ist
jünger als das Weib
Des
ersten Karina-Traumes.
Ein
infantiler Mann
Hat
eine mütterliche Anima,
Ein
in seinem Bewusstsein alter Mann
Hat
eine jüngere Anima.
Die
Jugend des Mädchens zeigt
Den
inneren Reifungsprozess
Im
Bewusstsein des Träumers.
Die
Anima führt den Träumer
Zu
ihrem Großvater-Rabbi.
So
ist aus der Verführerin
Eine
Seelenführerin geworden.
Sie
führt den Träumer
Zur
archetypischen Figur des Alten,
Des
Symbols der Weisheit.
Der
Tanz ist nicht in erster Linie
Ein
erotischer Tanz,
Obwohl
er auch erotisch ist,
Es
ist ein sakraler Tanz,
Der
Tanz des Derwisches auf dem Grab,
Der
Tanz Davids vor der Bundeslade.
Die
Anima gibt dem Träumer
Einen
goldenen Ring,
Es
ist der Ring der mystischen Vermählung.
Bei
der jüdischen Trauung
Steckt
der Bräutigam der Braut einen Ring an
Und
spricht dazu die Worte:
Durch
diesen Ring bist du mir
In
Heiligkeit verbunden
Nach
dem Gesetze Moses.
Das
Buch, das der Träumer erhält,
Bedeutet
die Aufforderung
Zur
weiteren Vertiefung
In
das geistige Erbe
Und
die Tradition der Weisheit.
Dies
ist die erotische Skala
Des
Ewigweiblichen:
Auf
der untersten Stufe
Steht
das Gretchen des Faust,
Die
Mutter Eva
In
ihrer biologischen Mutterschaft
Und
triebgebundnen Erotik.
Dann
erscheint die schöne Helena,
Ausdruck
künstlerischer Schönheit,
Romantisch-ästhetischer
Verehrung
Der
reinen Schönheit.
Daraufhin
erscheint
Die
selige Jungfrau Maria,
Vor
ihr wird die Erotik
Zur
religiösen Devotion,
Zur
Hyperdulie vor der Mater Gloriosa,
Jungfrau,
Mutter, Königin,
Ja,
Göttin der Gnade.
Die
selige Jungfrau Maria
Führt
zur Spitze der erotischen Skala,
Zur
Anbetung der Hagia Sophia.
Das
Ewigweibliche zieht uns hinan,
Denn
auf der Spitze der Himmelsleiter
Erscheint
die Sapientia Divina.