Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

TOMS WALLFAHRT




von Josef Maria Mayer



ERSTE STATION
DER HARZ ODER DIE HÖLLE

DÄMON
Willst reiten auf dem Besenstiel?
Ich wollt, ich hätte einen Bock,
Mit Böcken geht die Reise schneller.

TOM
So weit wie meine Beine tragen.
Dein Stab und Stecken tut mir gut.
Wir brauchen einen kurzen Weg.
O dieses Labyrinth von Tälern!
Durch Klippen und durch Schluchten aufwärts!
Die Wasser quellen aus den Felsen,
Das ist mein Glück an diesem Tag!
Der Sommer säuselt in den Eichen,
Die Tannen kennen auch den Sommer.
Und meine Glieder fühlens auch.

DÄMON
Der Sommer ist ja nicht mein Ding.
Ich liebe mehr den Wintertod!
Ich liebe Frost und liebe Schneesturm.
Ich mags, wenn traurig trüb der Mond
In roten Gluten aufgeht nachts.
So schwach das Licht bei jedem Schritt,
Man kratzt am Felsen, kratzt am Baum.
Ah, da ist eine Feuerfliege!
Jetzt glüht sie stark, jetzt seh ich sie.
Na, Freundin? Könntest du mir helfen?
Kannst du uns nicht ein Lichtlein geben?
Ach sei so gut, erleuchte uns!

DIE FEUERFLIEGE
Respekt, ihr Männer, doch ich hoffe,
Ihr wandernd braucht mein Lichtlein nicht.
Ich summe hier nur hin und her.

DÄMON
Ha! Willst du Menschenspiele spielen?
Gradaus jetzt, in Drei-Teufels Namen!
Sonst blas ich dir den Funken aus!

DIE FEUERFLIEGE
Du bist der Herr des Harzes, merk ich,
Und ja, ich will dir gerne dienen.
Bedenk, die Nacht ist heute magisch!
Doch wo ein Wille, ist ein Weg.
Nimms alles nur nicht zu genau.

TOM, DÄMON, FEUERFLIEGE
Wir haben uns gefunden, scheints,
Wir sind jetzt im Bereich der Träume.
Die Träume führen uns so gut.
Nun geht es schnell mit unsrer Reise
Durch diese menschenleeren Räume.
Jetzt Baum auf Baum an ihren Plätzen
Eröffnen uns die Szenerie,
Vor uns verneigen sich die Klippen,
Sie drehn uns ihre langen Nasen,
Jetzt flöten sie, jetzt blasen sie!
Und über Steine, durch die Gräser,
Und Bach und Bächlein eilt nach unten.
Was raschelt da? Wer singt denn da?
Ich höre süße Minner seufzen,
O Himmel, muss dass denn so plätschern?
Wie wir erhoffen, was wir lieben!
Die Nymphe Echo murmelt leise
Und ferne Tage läuten Glocken.
Und witte-witte-wo! Kling näher,
Die Eule dort, der Regenpfeifer,
Sind alle Vögel oben wach?
Ein Salamander ist im Land
Mit langem Schwanz und fettem Bauch!
Und Wurzeln sind wie Schlangen hier,
In Sand und Stein verborgen alles.
Und alles hat die schlimme Absicht,
Uns zu erschrecken und zu fangen.
Und knorrig dort die große Masse,
Und weiße Mäuse huschen da,
Und kleine Lemminge, die weisen,
Im Moos und in der lila Heide.
Und Glühwurm über Glühwurm glüht,
Gebrochen, dicht gedrängt, zusammen,
Kohorten gleich verwirrt gesammelt.
So sag uns, stehn wir immer noch?
Sind wir den Berg hinan gestiegen?
Dreht alles sich wie eine Mühle,
Die Felsen und die Bäume wütend
Und Lichter wandern in den Räumen
Und Massen schwellen an mit Willen.

DÄMON
Fass tapfer meinen Mantelschwanz!
Hier ist ein Gipfel in der Mitte,
Wo du mit Staunen sehen kannst:
Gott Mammon glüht im heißen Zorn.

TOM
Wie seltsam durch das Hohle leuchtet
Die Art von dunkler Morgenröte.
In tiefe Schluchten fließts hinab,
Der Abgrund duftet in der Nacht.
Der Dampf steigt auf in Wolkenschwaden.
Hier brennt die Glut durch dichten Dunst,
Wie zarte Spinnenfäden kriechts,
Nun spielt es wie gefärbte Brunnen.
Hier große Längen winden sich
In hundert Adern in den Tälern
Und hier im Winkel weggesperrt
Auf einmal alles einsam, einsam!...
Hier regnen Funken in der Nähe
In Schauern auf den goldnen Sand,
Doch sieh, herum auf allen Höhen
Die Klippen lassen Fackeln sehn.

DÄMON
Hat Mammon nicht sein Haus beleuchtet,
Den herrlichen Palast, zum Fest?
Ein Glück, dass du hier bist zu sehen,
Ich spüre schon die wilden Gäste.

TOM
O wie der Wind rauscht durch die Luft!
Ich fühl ihn peitschen meinen Kopf!

DÄMON
Nun fass das alte Felsenbett,
Sonst wirst du in den Schlund geworfen.
Der Nebel trübt die Nacht zur Schwärze.
Hörst du des Waldes Hölzer knacken?
Die Eulen fliegen weg voll Schrecken.
Hör, wie die Spalten sich zerschlagen
In weiten immergrünen Hallen.
Die Äste ächzen jetzt und stürzen,
Der Bäume Stämme sind zerschmettert,
All ihre Wurzeln knarren klaffend.
Ein Untergang in wirrem Horror,
Sie stürzen alle aufeinander,
Und durch die Schluchten ruiniert
Der Wind heult und der Strom der Luft.
Hörst du die Stimmen auf den Höhen?
Weit weg zuerst und dann ganz nah?
Es ist ein wüstes Zauberlied,
Das über das Gebirge fegt.

CHOR DER HEXEN
Zum Brocken strömen nun die Hexen,
Der grünen Stoppeln Saat ist gelb.
Dort wird das Publikum uns sehen.
Herr Urian sitzt auf dem Thron.
So gehen sie durch Stein und Stock,
Die Hexe furzt, es stinkt der Bock.

EINE STIMME
Die alte Baubo kommt allein,
Sie reitet auf der Muttersau.

CHOR DER HEXEN
So Ehre der, der sie gebührt.
Zuerst geht Baubo, dann gehn alle,
Die alte Sau, die stolze Mutter,
Dann folgt die große Hexenmenge.

EINE STIMME
Und welchen Weg bist du gekommen?

ANDERE STIMME
Ich komme von Prinzessin Ilse!
Die Eule sah ich in dem Nest,
Was machte sie für große Augen!

EINE STIMME
Ihr alle geht durchs Höllentor!
Warum so schnell nun aber reiten?

ANDERE STIMME
So haben sie mich angetrieben.
Schau, alle Wunden über mich!

CHOR DER HEXEN
Der Weg ist breit, der Weg ist lang,
Wo endet die verrückte Sehnsucht?
Die Gabel sticht, der Besen kratzt,
Das Kind erstickt im Schoß der Mutter!

ERSTER HALBCHOR DER MAGIER
Wir nackte Schnecken oder Raupen,
Die Frauen sind ja vor uns da.
Im Haus des Bösen, wenn wir rufen,
So sind die Frauen schneller da.

ZWEITER HALBCHOR DER MAGIER
Wir messen nicht mit so viel Sorgfalt,
Wie tausend Schritte eine Frau.
Wie schnell sie immer reiten kann,
Ein Sprung nur und schon ist sie da.

STIMME VON OBEN
So kommt jetzt aus den nackten Steinen!

STIMME VON UNTEN
Wir möchten auf die Höhen klettern,
Wir sind so hell und rein wie immer,
Doch sind noch immer unfruchtbar.

CHOR DER HEXEN UND MAGIER
Der Wind ist still, ein Stern schießt durch,
Der bleiche Mond verlässt den Himmel.
Der Zauberchor, ein Sturm von Funken,
Zehntausend schauern durch die Nacht.

STIMME VON UNTEN
Halt! Halt! O warte du auf mich!

STIMME VON OBEN
Wer ruft da aus dem Felsgewölbe?

STIMME VON UNTEN
O nimm mich mit! O nimm mich mit!
Ich klettre schon seit hundert Jahren
Und hab den Gipfel nicht erreicht,
Ich sehne mich, auch dort zu sein,
Wo meine Kameraden sind.

CHOR DER HEXEN UND MAGIER
Der Besen hier, der Stock ist hier,
Der Bock ist da, die Forke sticht.
Heut Nacht, wer sich nicht retten kann,
Für immer ist der Mensch verloren.

HALBHEXE
Lang stolpert ich hier schon herab,
Wie fern erscheinen mir die andern.
Ich finde keine Ruh im Haus
Und keinen find ich in der Gegend.

CHOR DER HEXEN
Die Salbe macht die Hexen fliegend,
Ein Lappen wird ihr Segel sein,
Ein Futtertrog ist Schiff für sie,
Wer heut nicht fliegt, wird niemals fliegen.

CHOR DER HEXEN UND MAGIER
Sobald wir in die Höh geschnellt,
Wir steigen wieder auf den Boden,
Deckt uns das lila Heidekraut,
Mit Magiern die Hexen schwärmen.

DÄMON
Sie schieben, drängeln, brüllen, klappern,
Sie pfeifen, wirbeln, plaudern, schwatzen,
Sie schmettern, funkeln, stinken, strahlen!
Das echte Hexen-Element!
Wir werden bald getrennt, mein Kleiner,
Bleib lieber bei mir. Doch wo bist du?

TOM
Hier bin ich, in der Ferne, hier.
DÄMON
Was? Fast mir aus dem Blick geraten?
Nach rechts muss ich den Meister rufen:
Herr Satan kommt, ihr süßes Volk,
Macht Platz, es kommt der Satanas!
Tom, halt dich fest! Mit Einem Sprung
Fern von der Masse sind wir frei!
Das ist zu viel für mich. Ich will
Sie brennen mit speziellem Licht,
Im Busch, soweit ich sehen kann,
Komm, Tom, und alles ist in Ordnung.

TOM
Du Geist des Widerspruchs! Ich folge.
Wir haben uns geschickt befreit.
Wir waren auf dem Hexen-Blocksberg,
Jetzt scheiden wir uns von den Hexen.

DÄMON
Schau, welche bunten Farben flammen!
Der Pöbel rottet sich zusammen,
In Gruppen, keiner ist allein.

TOM
Ich wollte wohl noch höher steigen,
Ich sehe Feuer, Wirbelrauch,
Die Menge strömt dem Bösen zu.
Es findet sich des Rätsels Lösung.

DÄMON
Wie viele Rätsel sind verknotet!
Die Welt soll haben ihren Aufruhr,
Wir wollen hier in Ruhe wohnen.
Es ist doch lange Tradition:
Den Großen eine kleine Pflicht.
Ich sehe junge Hexen, nackt!
Und Alte, listig sich verhüllend.
Um meinetwillen, sei du freundlich.
Gering der Spaß, doch wenig Mühe.
Ich höre Instrumente stimmen,
Verfluchte Glocken mag ich nicht.
Komm! Sonst ist keine Möglichkeit,
Ich werde deine Schritte führen
Zu schönen Augen junger Hexen,
Verdien dir einen frischen Dank.
Was meinst du? Da ist Platz, mein Freund.
Schau dort! Du kannst kein Ende sehen.
Dort brennen hundert Freudenfeuer,
Sie lieben, trinken, tanzen, plaudern,
Sag, kannst du etwas bessres finden?

TOM
Wenn wir uns nähern, bist du dann
Ein Dämon oder Magier?

DÄMON
Ich gehe hier inkognito,
Bei offiziellem Anlass aber
Ich offenbare meinen Rang.
Dann trag ich keine Ritterstiefel,
Tret ein mit meinem Pferdefuß.
Schau, wie die Schnecke zu mir kriecht!
Die zarten Fühler auf dem Kopf,
Die nackte Schnecke ist mir lieb,
Ich kann die Schlange nicht verleugnen.
Komm, gehen wir von Brand zu Brand,
Ich bin der Kuppler, du der Freier.

TOM
Wer ist denn jene schöne Frau?

DÄMON
Gebt acht, ihr Herren und ihr Damen,
Dort die ist Adams erste Frau,
Ist Lilith, die Verführerin!

TOM
Wer ist das? Adams erste Frau?

DÄMON
Gib acht auf ihre schönen Haare!
Sonst trägt sie nichts als ihre Haarflut!
Hat sie den Mann erst in dem Sack,
Dann wird er sie nicht wieder los.

TOM
Die beiden Hexen, jung und alt,
Die junge Hexe passt zu mir.

DÄMON
Heut Nacht gibts keine Ruhe, Tom,
Lass uns die beiden Hexen fassen.

TOM IM TANZ MIT DER JUNGEN HEXE
Ich träumte einen schönen Traum,
Da sah ich einen Apfelbaum,
Zwei pralle Äpfel hingen dran,
Ich wollte schnell den Baum besteigen!

JUNGE HEXE
Die Äpfel, die du liebst, die kenn ich,
Im Garten Eden Evas Äpfel,
Ich bin erregt und fühle Lust,
Dir meinen Hain zu offenbaren.

DÄMON IM TANZ MIT DER ALTEN HEXE
Ich träumte neulich einen Alptraum,
Im alten Baum sah ich die Spalte,
Ich schaute die monströse Spalte,
Trotz ihrer Breite, mir gefiel sie.

ALTE HEXE
Hier meinen besten Gruß an dich,
Den Ritter mit dem Pferdefuß!
Er sollte wissen, fest zu packen,
Nicht bang zu sein wie so ein Heuschreck.

DÄMON
Was ließest du das schöne Mädchen,
Mein Tom, die sang so süß beim Tanz?

TOM
Bah! Mitten drin in ihrem Lied
Sprang eine Maus aus ihrem Mund!

DÄMON
Das ist in Ordnung. Sei doch froh,
Dass es nicht eine Ratte war.

TOM
Ich sehe, siehe, was ich sehe -

DÄMON
Ach was! Ach wie? Was siehst du denn?

TOM
Ach Dämon, könntest du sie sehen,
Das schöne Kind, weit weg, allein,
Ich muss gestehen, ohne Zweifel,
Das ist mein Liebling Christiane!

DÄMON
Vergiss sie! Du gewinnst nichts, das
Ist ein Phantom nur, Illusion.
Das Treffen würde dir nicht gut tun,
Das Mädchen schaut ja nicht zu dir.



ZWEITE STATION
BERLIN ODER DAS FEGEFEUER

Am Tag Maria Königin
Fuhr Tom mit seiner Mutter Evi
In Deutschlands Hauptstadt Berolina,
Wo er den Christusdom besuchte.
Er stand vorm Christusdom im Lusthain,
Als eine Weiße Frau erschien
Vom Himmelreich und mit dem Knaben
Sanft mütterlich und zärtlich sprach:
Ich bin die Königin Luise,
Augusta Wilhelmine und
Amalia, die dritte Tochter
Des Prinzen Karl von Mecklenburg,
Geboren in der Leinestraße,
Das Licht der Welt sah ich im Alten
Palais. Mein lieber Vater Karl
Bis Siebzehnhundertsechsundachtzig
War Gouverneur der Stadt Hannover,
Soldat der englischen Armee.
Ich bin gekommen, dich zu segnen,
Mein liebes Kind, und bin gekommen,
Zu segnen königlichen Segens
Die blonde bleiche Mutter Deutschland.

Mein liebster Tom, von insgesamt
Zehn Kindern, die geboren alle
Die Friederike Caroline
Luise hat von Hessen Darmstadt,
Prinzessin, welche meine Mutter,
Fünf Kinder überlebten nur.
Von den Geschwistern liebte ich
Am meisten Schwester Friederike
Und meinen kleinen Bruder Georg.
Im Jahre Siebzehnhundertachtzig
Starb meine Mutter, ach, zusammen
Mit ihrer letzten Leibesfrucht.
Zwei Jahre später neu vermählte
Mein Vater sich mit meiner Tante,
Mit Caroline Wilhelmine,
Mit Christiane, Mamas Schwester,
Jedoch ein Jahr nach ihrer Hochzeit,
Starb Christiane in dem Kindsbett,
Als sie den Prinzen Karl gebar.
Mein Vater war ein Doppel-Witwer
Und ließ nun alle seine Töchter
Erziehen von der Schwiegermutter
In Darmstadt, von Marie Luise
Und Albertine, die mich aufzog.
Die Söhne blieben in Hannover.
Nach seinem Abschied von dem Heer
Zog Siebzehnhundertsechsundachtzig
Mein Vater ebenfalls nach Darmstadt.
Geldknappheit plagte meinen Vater.
Mein Schwesterchen Charlotte ward
Die Ehefrau des Herzogs Friedrich
Von Sachsen-Hildburghausen und
Mein Schwesterchen Therese ward
Die Frau des Fürsten Alexander,
Des Fürsten Karl von Thurn und Taxis.
Mein Tom, ich weiß, du hast geliebt
Die schöne blonde Christiane,
Man sprach bereits von eurer Ehe,
Doch Christiane kommt nicht mehr
Zu dir, um froh mit dir zu spielen.
Viel Wasser fließt den Rhein hinunter,
Bis du bereit bist zu der Ehe.
Und doch, ich garantiere dir,
Die schöne blonde Christiane,
Die deine erste Liebe war,
Wirst du im Leben nie vergessen.
Doch sei getrost, Gott liebt dich sehr
Und sehr die Königin Maria.
Und wenn dich niemand liebt auf Erden,
Wird eine Frau dich immer lieben,
Die Himmelskönigin Maria!

Tom, meine Jugendzeit und die
Der Schwestern war in Darmstadt ruhig.
Großmutter strahlte Ruhe aus.
Uns hatte eine Schweizerin
Erzogen, Fräulein von Gelieux,
Französisch lernt ich, Englisch, Deutsch,
Geschichte, Religion, jedoch
Ich war nur mäßig in der Schule.
Ich war mir wohl bewusst, dass ich
Nur oberflächlich war gebildet,
Und so versuchte später ich
Mit heißer Leidenschaft die große
Unwissenheit zu überwinden.
Mein liebes Kind, mein lieber Tom,
Das Lesen und das Schreiben fällt
Dir schwer, doch bist du gut im Rechnen,
Weißt viel von der Natur der Tiere,
Viel von der Erde, viel von Deutschland,
Ein Bravo hast du in der Kunst,
Ich lobe dich dafür, mein Tom,
Doch etwas traurig macht mich, Süßer,
Dass du nicht gut in Religion.
Doch weiß ich wohl, du glaubst an Gott,
Den guten Schöpfer der Natur.

Tom, häufig reiste ich nach Straßburg
Und sah mir oft das Münster an
Und reiste nach den Niederlanden.
Im Jahre Siebzehnhundertneunzig
Mit den Geschwistern ich in Frankfurt
Die Krönung sah von Leopold
Dem Zweiten zu dem Kaiser in
Dem Römerreich des deutschen Volkes
Und wohnte da bei Goethes Mutter,
Ja, denke dir, mein kleiner Dichter,
Schriftsteller wolltest du ja werden,
Des größten Dichters deutscher Zunge
Geliebte Mutter Goethe denk dir,
Die ihm als Kind das Puppenspiel
Des Doktor Faust geschenkt zum Christfest!
Zwei Jahre später ward in Frankfurt
Gekrönt der Kaiser Franz der Zweite.
Mit Friederike und mit Georg
Nahm teil ich an der schönen Feier
Und ich eröffnete den Tanz
Im Arm des Grafen Metternich,
Der später Kanzler Österreichs.
So eingeführt in die Gesellschaft
Und auch als Heiratskandidatin
Den hohen Männern präsentiert,
Erweckte meine junge Anmut
Das Interesse Friedrich Wilhelms
Des Zweiten, Königes von Preußen.
In Frankreich Revolutionäre
Den Krieg begonnen hatten
Und gegen Throne und Altäre
Die Revolutionäre kämpften.
Der König hielt sich auf in Frankfurt,
Die beiden ältern Söhne waren
Auf Brautschau. Halt die Augen offen,
Mein lieber Tom, die jungen Mädchen,
Wenn jung sie sind und blond und schlank,
Sie offenbaren Gottes Schönheit!

Als König Friedrich Wilhelm nun
Uns Mecklenburg-Prinzessinnen
Begegnete, war er begeistert
Von unsrer Schönheit, unsrer Anmut.
Und Siebzehnhundertdreiundneunzig
Im Märzen stellte er uns vor
Den Söhnen und erlaubte ihnen,
Nun ihre Wahl der Braut zu treffen.
Verzeih,wenn ich von Schönheit und
Von Anmut rede meiner selbst,
Ich denke oft an Salomo
Und an sein Lob der starken Frau,
Da sagt er: Schönheit ist vergänglich
Und Reize fliehen mit der Jugend,
Vielmehr zu loben ist die Frau,
Die Gott den Ewigen verehrt.

Der Kronprinz Friedrich Wilhelm, der
Der Dritte seines Namens war,
Unsicher war er anfangs, doch
Entschied er sich für mich, dieweil
Sein Bruder Louis ließ erkennen,
Sein Herz sei anderwärts vergeben,
Gleichgültig sein ihm beide Schwestern.
Im allgemeinen Friedrike
Sah man als die Charmantere,
Sah man als die Kokettere.
Des Prinzen Louis Schwester aber,
Prinzess Luise sagte damals:
Ich schaute nie vorher und schaute
Auch nie nachher ein so entzückend
Charmantes Wesen wie Luise,
Die Kronprinzessin. Edle Schönheit
Von großer Regelmäßigkeit
Verband sie mit dem reizendsten
Gesichte voller Sanftmut und
Bescheidenheit. Und so gewann sie
Die Herzen aller edlen Männer.
Nun, Friederike schien zwar sichrer
Und auch gewandter in dem Auftritt,
Luise aber, einfach schön,
Ganz schlicht in einer schlichten Schönheit,
Sie hatte eine Schüchternheit,
Die ihren Liebreiz noch erhöhte.
Tom, warum sage ich dir das?
So habe ich beschrieben dir
Das Wesen deiner schönen Mutter
Und ihrer Freundin auch, Karine,
Die heimgegangen ist zu Gott.
Dein Pate, Tom, der Dichter Josef,
So sieht er deine Mutter Evi.

Tatsächlich machte ich mit meinen
Lichtblauen Augen, blonden Locken,
Dem regelmäßigen Gesicht
Doch immer wieder großen Eindruck
Und die Ausstrahlung meiner Seele
Auf viele Menschen hat gewirkt
Wie ein geheimer Schönheitszauber,
Der auch die Kritiker bezaubert.
Am vierundzwanzigsten April
Fand Siebzehnhundertdreiundneunzig
In Darmstadt die Verlobung statt.
Acht Monde später, Heilig Abend,
Ward meine Hochzeit mit dem Prinzen
Gefeiert im Berliner Schloss.
Zwei Tage später Friederike
Zum Mann nahm sich den Prinzen Louis.
Hofmeisterin, Erzieherin
Marie Sophie von Voß war nun
Begleiterin der jungen Frau
Und wurde meine beste Freundin,
Sie war zu mir wie eine Mutter.
Dann Siebzehnhundertvierundneunzig
Den Sommer ich erlebte schön
In Schloss Oranienburg und Potsdam,
Der König gab es mir zur Hochzeit
Als sein Geschenk, das schöne Schloss.
Mein Mann war auf dem Polen-Feldzug.
Ach, ich gebar ein totes Kind,
Tot die Prinzessin kam zur Welt.
Doch dann gebar ich Friedrich Wilhelm
Den Vierten und den Ersten Wilhelm,
Der später Kaiser ward der Deutschen.
Zehn Kinder brachte ich zur Welt.
Tom, Kinder sind Geschenke Gottes
Und Leibesfrucht ist eine Gabe
Von Gott. Und wenn ein Volk der Erde
Sich nicht mehr über Kinder freut,
Dann wird das Volk zugrunde gehen.
Im einundzwanzigsten Jahrhundert
Die Deutschen haben Hunde lieber
Als Kinder, und wenn sie empfangen
Die Gaben Gottes, treiben sie
Die Kinder ab im Mutterschoß.
Und darum wein ich über Deutschland!
Ich, die ich nun im Himmel bin,
Die Königin von Deutschland, weine
Und trauere um Deutschlands Kinder!
Du hast ja deine besten Freunde,
Den Milan und den Simon, Tom,
Ihr leiblicher Erzeuger wollte
Ermorden sie im Mutterschoß,
Und als sie doch das Licht der Welt
Erblickt durchs Rosenkranzgebet
Des Paten Josef, wollte dennoch
Der Zeuger stecken sie ins Heim.
Ich, Königin Luise, weine
Und meine Tränen sind aus Blut,
Wenn ich an Deutschlands Kinder denke!

Nun, meine Ehe war geprägt
Von tiefer Sympathie und Liebe
Und das Familienleben war
Sehr glücklich. Darum liebte mich
Das deutsche Volk. Sie liebten mich
Nicht einzig wegen meiner Schönheit
Und wegen meines warmen Herzens,
Auch weil die Ehe so harmonisch
Und friedlich war. Denn, Tom, die Ehe
Ist eine Gnadenstiftung Gottes
Und die Familie ist die kleinste
Und schönste Zelle der Gesellschaft.
Der Teufel aber will vernichten
Die Ehe und Familie, will
Den sexuellen Kommunismus.
Der Teufel will die Freie Liebe,
Prostitution und Pornographie,
Den Kindermord und Kindesmissbrauch.
Die Kirche Gottes aber heiligt
Die Ehe, das Familienleben,
Die sexuelle Einigung
Im Ehebett ist Sakrament!

Des Ehepaares Alltagsleben
War still und ruhig. Manchmal reisten
Wir nach Pyrmont, den Quell zu trinken.
Im Havelland erwarben wir
Gut Paretz, da mein Ehemann
Nicht mochte Schloss Oranienburg.
Im Havelland verbrachte ich
Mit meinem Mann die schönste Zeit,
Die glücklich war und unbeschwert.
O Tom, mein wundervoller Knabe,
So höre nur zu weinen auf,
Und sei doch froh, mein Tom, sei fröhlich!
Denn froh zu sein bedarf es wenig,
Wer fröhlich ist, der ist ein König!

Und Siebzehnhundertsechsundneunzig
Der Zweite Friedrich Wilhelm starb,
Der Dritte Friedrich Wilhelm ward
Zum Könige von Preußen und
So wurde ich zur Königin
Mit einundzwanzig jungen Jahren,
Das ist die Blütezeit der Schönheit.
Wir reisten dann nach Königsberg
Und kamen über Frauenburg
Und Danzig, kehrten heim durch Polen
Und sahen Warschau da und Krakau
Und kamen dann in Schlesiens Breslau,
Triumphzug jungen Herrscherpaares!
Dann reisten nach Westfalen wir
Und Frankenland, in Ansbach dort
Ich lernte kennen den Karl August
Von Hardenberg, der später ward
Minister für das Äußere.
In Weimar lernt ich Schiller kennen!
Ich liebte Schiller, liebte seine
Gedichte sehr, die Freuden-Ode!
Beethoven hat sie groß vertont!
O Freude, schöner Götterfunken,
Du Tochter aus Elysium,
Schau, wir betreten feuertrunken,
O Heilige, dein Heiligtum!

Dann kam auch noch zur Welt Charlotte,
Die später ward die Ehefrau
Des Zaren Nikolaus des Ersten.
Mein Tom, du wirst nun weiter reisen,
Du willst den Rhein ja noch besuchen
Und sehen dort den Kölner Dom.
O Tom, die Augen fest gerichtet
Auf Christus in dem Sakrament!
Nun muss ich dich verlassen, Lieber,
Ich kehre in den Himmel heim.
Ich hoff, es hatte dir gefallen,
Mit Königin Luise in
Berlin zu reden in der Nacht.
Adieu, Adieu, mein Liebling Tom!



DRITTE STATION
DER KÖLNER DOM ODER DER HIMMEL

1

Es wurde spät, als Tom nach Köln kam,
Er konnte hören, wie der Rhein strömt.
Gestreichelt er von deutscher Luft
Den frommen Einfluss wachsen fühlte.

Mit gutem Appetit aß Tom
Ein Schinken-Omelett, das war gut.
Doch weil der Schinken salzig war,
Er musste ihn hinunter spülen.

Noch in dem grünen Glas wie Gold
Hell leuchtete der Apfelmost.
Und trinkst du ihn im Übermaß,
So kriegst du Schmerzen in dem Bauch.

Das gibt ein Kitzeln in der Nase,
Wenn dieser Apfelmost gegärt!
Dann wirst du zart und immer zarter.
Und Tom lief durch die dunkle Nacht.

Und als er ging, da dachte er,
Die Häuser fangen an zu reden,
Erzählen alte Sagen, Märchen,
Legenden aus dem frommen Köln.

Es war einmal, da war der Klerus
Hoch angesehen in der Stadt,
Der Klerus, den der Doktor Luther
Dann ausgetrieben aus der Kirche.

Die Mönche mit den Nonnen haben
Getanzt hier froh im Mittelalter.
Hier wars, wo Sulpiz Boiserée
Geschrieben von dem Kölner Dom.

Die Zauberbücher man verbrannte
Und fast Albertus Magnus auch!
Inzwischen sind die Glocken fröhlich
Und läuten heiter Halleluja.

Frau Torheit und Herr Böser hier
Sich paaren wie die Straßenhunde.
Und ihre Kinder, die sie zeugten,
Sind jetzt Fanatiker in Sekten.

Doch schau! Im klaren Schein der Luna
Wie glänzt der mächtige Koloss!
Er ragt nach oben in den Himmel!
Tom endlich sieht den Dom von Köln!

Dies sollte sein des Geistes Burg,
Des Papstes Wille war sehr weise,
Hier sollte Deutschland werden fromm,
Von Gnaden Roms die deutsche Kirche!

Da kam der Doktor Martin Luther
Und sprach: Hier steh ich, kann nicht anders,
Der Rattenschwanz des Antichristen
Soll über Deutschland nicht regieren!

Der Dom ward nicht vollendet, nun,
Es gibt ein Sprichwort bei den Kölnern:
Ist erst der Kölner Dom vollendet,
Kommt Christus wieder zum Gericht!

Unglücklich seid ihr Architekten,
Seid machtlos, die ihr aufwärts steigt,
Um diese Arbeit zu vollenden.
Ein feste Burg ist unser Gott!

Ach Illusion! Es ist vergebens,
Dass ihr den Klingelbeutel schüttelt,
Bei Protestanten und bei Juden
Um Gaben bettelt für den Dom.

Vergeblich hört ihr den Franz Liszt
Und seine Dante-Symphonie!
Vergeblich hört ihr Gustav Mahler
Und den Gesang von Fausts Erlösung!

Das Gotteshaus wird nicht vollendet,
Auch nicht von Schwabens Theologen.
Ein ganzes Narrenschiff voll Steine
Vollendet nicht die Kathedrale.

Der Dom wird nicht vollendet werden,
Was immer alte Eulen schreien,
Die Eulen von Athen, die sitzen
So gerne auf dem hohen Kirchturm.

Noch eher werden Atheisten
Und Revolutionäre nutzen
Den Kölner Dom als Pferdestall,
Die Pferde weiden in der Orgel.

Und wird der Dom zum Pferdestall,
Dann müssen wir die Frage klären:
Wohin dann gehn die Könige,
Die Magier vom Morgenland?

Das ist die Frage. Aber müssen
Wir wirklich das schon heute wissen?
Die Magier vom Morgenland
Wohl finden eine neue Heimat.

Ihr Weisen, nehmt den Rat von Tom an,
Wir stellen den Reliquienschrein
In Oldenburgs Lamberti-Kirche,
Wo auch Prinzess Sophia ruht.

Dort ruht ja nun Graf Anton Günther
Mit seiner Ehefrau Sophia,
Dort könnten ruhen auch die drei
Sternkundigen vom Orient..

Der Balthasar zur Rechten liegt,
Der Melchior zur Linken liegt,
Und zwischen beiden Kaspar liegt.
O Heiligkeit des Königtums!

Das Gottesgnadentum des Ostens,
Das spricht die Kirche Gottes heilig.
Die Könige vom Morgenland
Regierten ja an Gottes Stelle.

Und Balthasar und Melchior
Und Kaspar trügen ihre Kronen
Als die vom Papst in Rom gesalbten
Vikare Christi auf der Erde.

Und Balthasar und Melchior
Und Kaspar dann das Volk regierten
Als absolute Könige.
Frau Weisheit setzt Regenten ein.


2

Tom ging mit seinem Genius
Des Nachts noch einmal auf den Domplatz,
Da trat er in die Kathedrale,
Weit offen stand die Kirchentür.

Nur Stille, Nacht und fromme Liebe
In diesem Riesenraume herrschte.
Die Kerzen brannten vor Maria,
Der Trösterin der Heimgesuchten.

Tom ging entlang der steilen Säulen,
Es war kein Menschenlaut zu hören.
Die Schritte seines Geniusses
Nur rauschten leis in seinem Rücken.

Nun endlich kam er an den Ort,
Wo Kerzen liebend sich verzehrten,
Wo Gold und Edelsteine glänzten
In der Drei-Könige-Kapelle.

Drei Könige vom Morgenland,
Die unbesorgt ums hohe Alter,
Jetzt aufrecht saßen auf dem Schrein:
Messias hat sie auferweckt!

Drei Tote, aber voller Schönheit,
Ein Zepter in der rechten Hand,
Und auf dem Haupt die goldne Krone
Des Königreiches Morgenland.

Ein Duft von Weihrauch und Gebet
War um die frommen Majestäten.
Tom dachte, ob die Könige
Wohl Marionetten Gottes seien?

Und einer von den Königen
Tat auf den Mund, hielt eine Rede,
Erklärte, warum er als König
Verdiente Toms Bewunderung.

Zum ersten, denn ich bin ein Toter
(Den Frommen sind die Toten heilig),
Zum zweiten, denn ich bin ein König,
Zum dritten, ich bin heilig, Kind.

Und Tom sprach zu dem Könige:
Ich ehre deine Heiligkeit.
Ich sehe, du bist altehrwürdig,
Stammst aus den Tagen Jesu Christi.

Geht nun zurück in euren Schrein
Und dort genießt die Ruhe Gottes.
Der Dom mit allen seinen Schätzen
Ist für die Lebenden gemacht.

O Heiterkeit der Zukunftskirche,
In diesem Dome wird man tanzen
Und fröhlich Halleluja singen
Wie David vor der Bundeslade.

So sagte Tom. Er wandte sich
Und schaute seinen Genius
Mit Flammenzungen auf dem Kopf.
Und Tom verstand den Genius.

Weissagend sprach der Genius:
Nach Katastrophen und nach Kriegen
Wird kommen auf der Mutter Erde
Die Zivilisation der Liebe!

Dann werden herrschen auf der Erde
Das süße Herze Jesu und
Das makellose Herz Mariens. -
Da wachte Tom vom Traume auf.