Von Josef Maria Mayer
MEINER MUTTER, DIE ES SOGLEICH VERBRENNEN MÖGE!
Meine liebe Mutter!
Höre: ich hatte eigentlich im Sinn, eine Generalbeichte meiner Sünden zu schreiben, ohne etwas anderes hinzuzufügen, aber deine Schutzengelin machte mir Vorwürfe und sagte, ich solle gehorchen und eine Zusammenstellung machen von allem, was in meinem Leben vorgefallen ist, Gutes und Schlechtes.
Welche Qual, liebe Mutter, hierin zu gehorchen! Aber bitte, gib gut acht: du sollst es lesen und so oft lesen, wie du willst, aber niemand anderer außer dir; und es dann gleich verbrennen. Nicht wahr?
Die Engelin hat mir versprochen, mich zu unterstützen und mir alles ins Gedächtnis kommen zu lassen: denn ich sag es dir offen, ich habe sogar geweint und wollte es nicht tun: Ich schreckte davor zurück, mir alles ins Gedächtnis zurückzurufen; aber die Engelin hat mir versichert, mich zu unterstützen.
Und dann denke ich auch, liebe Mutter: wenn du meine Niederschrift gelesen und meine Sünden gehört hast, wirst du rot werden und nicht mehr meine Mutter sein wollen; dann aber... Doch ich hoffe, du wirst es immer sein wollen. Bereite dich also vor, Sünden jeder Art und Gattung zu hören.
Und du, meine Mutter, billigst du das, was die Engelin mir gesagt hat, dass ich über mein ganzes Leben schreiben soll? Es ist ein Befehl, und außerdem weiß ich, dass die Dinge, die die Engelin mich geheißen hat, ja meiner Mutter längst bekannt sind. Wenn ich alles schreibe, das Gute wie das Böse, so wirst du besser einsehen, wie schlecht ich gewesen bin, und wie alle anderen dagegen gut mit mir waren; wie undankbar ich mich gegenüber Jesus aufgeführt habe und wie oft ich die guten Ratschläge der Eltern und Lehrerinnen nicht hören wollte.
Nun aber ans Werk, meine Mutter. Es lebe Jesus!
Die erste Erinnerung ist, dass meine Oma, als ich noch nicht sieben Jahre alt war, mich häufig auf den Arm zu nehmen pflegte und mehrere Male dabei weinte und wiederholte: "Ich habe Jesus so sehr gebeten, dass er mir ein Mädchen schenken möchte: er hat mich erhört, aber ein wenig spät. Ich bin krank - wiederholte sie immer wieder - und werde sterben müssen, werde dich verlassen müssen; O, wenn ich dich doch mit mir nehmen könnte! Möchtest du mit mir kommen?"
Ich begriff wenig davon und weinte, weil ich die Oma weinen sah. "Und wohin willst du gehen?", fragte ich sie. "Ins Paradies, zu Jesus, zu Maria, zu den Jugfrauen..."
Es war also meine Oma, liebe Mutter, die in mir schon von klein auf die Sehnsucht nach dem Paradies wachzurufen begann; aber wenn ich diese Sehnsucht heute noch habe und dorthin gehen möchte, so bekomme ich Schimpfe und ein Nein zu hören als Antwort.
Meine liebe Mutter!
Höre: ich hatte eigentlich im Sinn, eine Generalbeichte meiner Sünden zu schreiben, ohne etwas anderes hinzuzufügen, aber deine Schutzengelin machte mir Vorwürfe und sagte, ich solle gehorchen und eine Zusammenstellung machen von allem, was in meinem Leben vorgefallen ist, Gutes und Schlechtes.
Welche Qual, liebe Mutter, hierin zu gehorchen! Aber bitte, gib gut acht: du sollst es lesen und so oft lesen, wie du willst, aber niemand anderer außer dir; und es dann gleich verbrennen. Nicht wahr?
Die Engelin hat mir versprochen, mich zu unterstützen und mir alles ins Gedächtnis kommen zu lassen: denn ich sag es dir offen, ich habe sogar geweint und wollte es nicht tun: Ich schreckte davor zurück, mir alles ins Gedächtnis zurückzurufen; aber die Engelin hat mir versichert, mich zu unterstützen.
Und dann denke ich auch, liebe Mutter: wenn du meine Niederschrift gelesen und meine Sünden gehört hast, wirst du rot werden und nicht mehr meine Mutter sein wollen; dann aber... Doch ich hoffe, du wirst es immer sein wollen. Bereite dich also vor, Sünden jeder Art und Gattung zu hören.
Und du, meine Mutter, billigst du das, was die Engelin mir gesagt hat, dass ich über mein ganzes Leben schreiben soll? Es ist ein Befehl, und außerdem weiß ich, dass die Dinge, die die Engelin mich geheißen hat, ja meiner Mutter längst bekannt sind. Wenn ich alles schreibe, das Gute wie das Böse, so wirst du besser einsehen, wie schlecht ich gewesen bin, und wie alle anderen dagegen gut mit mir waren; wie undankbar ich mich gegenüber Jesus aufgeführt habe und wie oft ich die guten Ratschläge der Eltern und Lehrerinnen nicht hören wollte.
Nun aber ans Werk, meine Mutter. Es lebe Jesus!
Die erste Erinnerung ist, dass meine Oma, als ich noch nicht sieben Jahre alt war, mich häufig auf den Arm zu nehmen pflegte und mehrere Male dabei weinte und wiederholte: "Ich habe Jesus so sehr gebeten, dass er mir ein Mädchen schenken möchte: er hat mich erhört, aber ein wenig spät. Ich bin krank - wiederholte sie immer wieder - und werde sterben müssen, werde dich verlassen müssen; O, wenn ich dich doch mit mir nehmen könnte! Möchtest du mit mir kommen?"
Ich begriff wenig davon und weinte, weil ich die Oma weinen sah. "Und wohin willst du gehen?", fragte ich sie. "Ins Paradies, zu Jesus, zu Maria, zu den Jugfrauen..."
Es war also meine Oma, liebe Mutter, die in mir schon von klein auf die Sehnsucht nach dem Paradies wachzurufen begann; aber wenn ich diese Sehnsucht heute noch habe und dorthin gehen möchte, so bekomme ich Schimpfe und ein Nein zu hören als Antwort.
Der Oma gab ich ein Ja zur Antwort und ich erinnere mich,
dass, nachdem sie so oft wiederholt hatte, mich ins Paradies mitnehmen zu
wollen, ich mich gar nicht von ihr trennen und gar nicht mehr aus ihrem Zimmer
gehen wollte.
Der Arzt gebot zwar, dass wir uns sogar nicht einmal ihrem Bette nähern sollten; aber für mich war alles Verbieten unnütz, ich gehorchte nicht. Jeden Abend vor dem Zubettgehen ging ich zu ihr, um zu beten: ich kniete mich an ihrem Kopfkissen nieder und wir beteten.
Eines Abends ließ sie mich zu den gewohnten Gebeten noch ein. Ich betete zwar, aber wie gewöhnlich mit Unlust und ohne Aufmerksamkeit; ich bockte und zankte mit Oma, dass es zu viel Gebet sei und ich keine Lust habe. Und die nachsichtige Oma machte es an den anderen Abenden dann kürzer.
Inzwischen kam die Zeit, da ich konfirmiert werden sollte. Meine Oma dachte daran, mir ein wenig Unterricht geben zu lassen, da ich so gar nichts wusste. Aber ich wollte nicht aus ihrer Kammer weichen, und so war eine Lehrerin gezwungen, jeden Abend ins Haus zu kommen, immer unter den Augen der Großmutter.
Ich empfing die Konfirmation, aber weinend, weil meine Begleitung danach die Messe hören wollte und ich immer fürchtete, die Oma könnte davongehen und sterben, ohne mich mitzunehmen.
Ich hörte so gut wie möglich den Gottesdienst und betete für Oma; da ganz plötzlich sprach zu mir eine innere Stimme im Herzen: "Willst du mir deine Oma geben?“ „Ja, antworte ich, aber nur, wenn du auch mich mitnimmst." „Nein, wiederholte die Stimme, gib mir deine Oma freiwillig. Du musst vorläufig noch bei den Eltern bleiben. Ich werde sie dir in den Himmel entführen, verstehst du? Gibst du sie mir gerne?" Ich war gezwungen, mit Ja zu antworten; nach Beendigung des Gottesdienstes lief ich nach Haus. Mein Gott! Ich schaute Oma an und weinte; ich konnte mich nicht beherrschen.
Es vergingen zwei weitere Monate; niemals trennte ich mich von Oma. Endlich aber führten mich die Eltern, die fürchteten, ich möchte noch vor der Oma sterben, eines Tages mit Gewalt fort und brachte mich zu einer Tante. Welche Qual! Ich sah niemanden mehr, weder die Eltern noch den Bruder; endlich erfuhr ich, dass Oma am 21. Januar jenes Jahres gestorben war.
Ich änderte mein Leben bei der Tante, die ganz und gar nicht der Oma glich: gut, fromm, aber von der Kirche wollte sie nur bis zu einem bestimmten Punkt etwas wissen. Ja, damals trauerte ich der Zeit nach, da mich die Oma so viel beten gelehrt. Die ganze Zeit, die ich bei der Tante war, war es mir nicht möglich zu beichten; nur sieben Male beichtete ich und hätte es doch jeden Tag tun müssen, nachdem die Oma gestorben war.
Die Tante beschloss, mich wie eine Tochter zu behalten, aber als mein Bruder davon hörte, wollte er es auf keinen Fall; und Weihnachten kehrte ich in die Familie zurück, zu den Eltern und dem Bruder.
Welche Freude empfand ich bei der Rückkehr zu ihnen, als ich den Händen der Tante entging! Sie meinte es gewiss sehr gut mit mir, ich aber keineswegs.... Der Vater schickte mich zur Schule.
Der Arzt gebot zwar, dass wir uns sogar nicht einmal ihrem Bette nähern sollten; aber für mich war alles Verbieten unnütz, ich gehorchte nicht. Jeden Abend vor dem Zubettgehen ging ich zu ihr, um zu beten: ich kniete mich an ihrem Kopfkissen nieder und wir beteten.
Eines Abends ließ sie mich zu den gewohnten Gebeten noch ein. Ich betete zwar, aber wie gewöhnlich mit Unlust und ohne Aufmerksamkeit; ich bockte und zankte mit Oma, dass es zu viel Gebet sei und ich keine Lust habe. Und die nachsichtige Oma machte es an den anderen Abenden dann kürzer.
Inzwischen kam die Zeit, da ich konfirmiert werden sollte. Meine Oma dachte daran, mir ein wenig Unterricht geben zu lassen, da ich so gar nichts wusste. Aber ich wollte nicht aus ihrer Kammer weichen, und so war eine Lehrerin gezwungen, jeden Abend ins Haus zu kommen, immer unter den Augen der Großmutter.
Ich empfing die Konfirmation, aber weinend, weil meine Begleitung danach die Messe hören wollte und ich immer fürchtete, die Oma könnte davongehen und sterben, ohne mich mitzunehmen.
Ich hörte so gut wie möglich den Gottesdienst und betete für Oma; da ganz plötzlich sprach zu mir eine innere Stimme im Herzen: "Willst du mir deine Oma geben?“ „Ja, antworte ich, aber nur, wenn du auch mich mitnimmst." „Nein, wiederholte die Stimme, gib mir deine Oma freiwillig. Du musst vorläufig noch bei den Eltern bleiben. Ich werde sie dir in den Himmel entführen, verstehst du? Gibst du sie mir gerne?" Ich war gezwungen, mit Ja zu antworten; nach Beendigung des Gottesdienstes lief ich nach Haus. Mein Gott! Ich schaute Oma an und weinte; ich konnte mich nicht beherrschen.
Es vergingen zwei weitere Monate; niemals trennte ich mich von Oma. Endlich aber führten mich die Eltern, die fürchteten, ich möchte noch vor der Oma sterben, eines Tages mit Gewalt fort und brachte mich zu einer Tante. Welche Qual! Ich sah niemanden mehr, weder die Eltern noch den Bruder; endlich erfuhr ich, dass Oma am 21. Januar jenes Jahres gestorben war.
Ich änderte mein Leben bei der Tante, die ganz und gar nicht der Oma glich: gut, fromm, aber von der Kirche wollte sie nur bis zu einem bestimmten Punkt etwas wissen. Ja, damals trauerte ich der Zeit nach, da mich die Oma so viel beten gelehrt. Die ganze Zeit, die ich bei der Tante war, war es mir nicht möglich zu beichten; nur sieben Male beichtete ich und hätte es doch jeden Tag tun müssen, nachdem die Oma gestorben war.
Die Tante beschloss, mich wie eine Tochter zu behalten, aber als mein Bruder davon hörte, wollte er es auf keinen Fall; und Weihnachten kehrte ich in die Familie zurück, zu den Eltern und dem Bruder.
Welche Freude empfand ich bei der Rückkehr zu ihnen, als ich den Händen der Tante entging! Sie meinte es gewiss sehr gut mit mir, ich aber keineswegs.... Der Vater schickte mich zur Schule.
In der Zeit, da ich bei der Tante war, war ich immer böse. Die Tante hatte einen Sohn, der mich ärgerte und handgreiflich gegen mich wurde; eines Tages, als er ausritt, befahl mir die Tante, ihm ich weiß nicht was für ein Kleidungsstück zu bringen. Ich brachte es ihm, und er kniff mich: da gab ich ihm einen starken Schubs, so dass er vom Pferd herunterfiel; er verletzte sich am Kopf. Die Tante band mir die Hände hinten auf dem Rücken zusammen für einen ganzen Tag. Ich ärgerte mich, wurde zornig, widersprach und machte einen Haufen Grimassen und sagte auch, ich wolle mich rächen.
Ich begann nun zur Schule zu gehen: ich war im Paradies. Ich zeigte gleich das Verlangen, das Abendmahl zu empfangen; aber man fand mich so böse und unwissend, dass man ganz bestürzt war. Die Lehrerinnen begannen mich zu unterrichten und mir viele gute Lehren zu geben; aber ich wurde immer noch schlechter. Ich hatte einzig das Verlangen, bald das Abendmahl zu empfangen, und die Lehrerinnen hatten ein Einsehen und gewährten es mir bald.
Die Lehrerinnen hielten die Feier des Abendmahles gewöhnlich im Juni; wir waren inzwischen an diesen Zeitpunkt herangekommen, und ich wollte die Eltern um Erlaubnis bitten, für einige Zeit in einem Kloster wohnen zu dürfen, mein Vater ärgerte sich und erlaubte es nicht; aber ich, die ich wohl die List kannte, ihn zu bewegen, alles zu erlauben, wandte die List an und erreichte es gleich. Ich weinte, sonst erreichte ich nichts. Am Abend erhielt ich die Erlaubnis und gleich am Morgen ging ich ins Kloster und hielt mich dort fünfzehn Tage auf. In dieser Zeit sah ich gar niemanden von der Familie. Aber wie fühlte ich mich wohl! Welches Paradies, liebe Mutter!
Kaum war ich im Kloster, so fühlte ich mich befriedigt, lief in die Kapelle, um Jesus zu danken, und betete innig, um mich gut auf das Abendmahl vorzubereiten.
Aber ich hatte noch ein anderes Anliegen außer diesem: die Großmutter hatte mir, als ich noch klein war, den Gekreuzigten gezeigt und mir gesagt, dass er am Kreuze gestorben sei für die Menschen; später hörte ich es dann wiederholen von den Lehrerinnen; aber ich begriff es niemals richtig; und dabei hätte ich so gewünscht, genau das ganze Leben Jesu und seine Leidensgeschichte kennen zu lernen. Ich äußerte dieses Verlangen meiner Lehrerin gegenüber, und sie begann Tag für Tag mir etwas davon zu erklären; sie wählte dazu eine Stunde, wenn die anderen Kinder schon im Bett waren, und tat es, glaube ich, heimlich.
Eines Abends erklärte sie mir etwas von der Kreuzigung, der Dornenkrönung und dem ganzen Leiden Jesu: sie tat es so gut und so lebendig, dass ich dabei großen Schmerz und Mitleid empfand, so sehr, dass ich auf der Stelle hohes Fieber bekam und den ganzen folgenden Tag im Bett bleiben musste.
Sie bereiteten mir auch Unruhe, die Lehrerinnen: sie wollten meine Eltern benachrichtigen, dass ich Fieber bekommen habe; aber sie bezahlten es teuer, weil es für sie, für mich und das ganze Kloster Folgen hatte.
In die geistigen Übungen trat ich mit anderen elf Kindern im Juni ein. Alle Kinder gaben sich Mühe, sich gut auf den Empfang Jesu vorzubereiten; ich allein war die Nachlässigste und Zerstreuteste von allen: ich dachte gar nicht daran, mein Leben zu ändern; ich hörte die Vorträge, aber vergaß sie bald wieder.
Oft, ja jeden Tag, sagte die gute Lehrerin: "Wer Jesus genießt, wird an seinem Leben teilhaben." Diese Worte bereiteten mir großen Trost und ich überlegte bei mir: Wenn also Jesus in mir sein wird, so werde ich nicht mehr in mir leben, sondern Jesus wird in mir leben. Zuweilen brachte ich ganze Nächte damit zu, diese Worte: Jesus lebt in mir, zu betrachten, von Verlangen verzehrt.
Endlich kam der so heißersehnte Tag. Am Tage zuvor schrieb ich diese wenigen Zeilen an meine Eltern:
Liebe Eltern!
Wir stehen am Vorabend des Tages des ersten Abendmahles, eines Tages voll unendlicher Freude für mich. Ich schreibe euch diese Zeilen nur, um euch meiner gehorsamen Liebe zu versichern und damit ihr Jesus bittet, dass er, wenn er das erste Mal zu mir kommt, mich vorbereitet findet, alle die Gnaden zu empfangen, die er mir bereitet hat. Ich bitte ihn um Verzeihung für alle Unarten und so vielen Ungehorsam, den ich ihm gegenüber begangen habe, und bitte ihn, er möchte heute Abend alles vergessen. Um seinen Segen bittend, bin ich eure gehorsame Tochter.
Ich bereitete mich mit großer Mühe der guten Lehrerinnen auf die Konfession vor; ich beendete sie am Samstag, am Vorabend des glücklichen Tages.
Endlich kam der Sonntagmorgen; ich erhob mich gleich und lief zu Jesus, zum ersten Mal. Endlich war mein seufzendes Verlangen gestillt. Ich verstand zum ersten Mal das Versprechen Jesus: "Wer mich genießt, wird mein Leben auch leben."
Liebe Mutter, was in diesem Augenblick zwischen mir und Jesus vorging, kann ich nicht ausdrücken. Jesus teilte sich meiner kleinen Seele ganz stark fühlbar mit. Ich begriff in diesem Augenblick, dass die Freuden des Himmels nicht die der Erde sind. Ich fühlte mich von dem Verlangen gepackt, diese Vereinigung mit meinem Gott dauernd zu wiederholen. Immer mehr fühlte ich mich losgelöst von der Welt und immer mehr geneigt zur Kontemplation. An diesem gleichen Morgen war es auch, dass Jesus mir das Verlangen eingab, gottgeweiht zu leben.
In der Schule verging kein Tag, dass ich nicht gestraft wurde; ich wusste die Aufgaben nicht und wenig fehlte, dass man mich fortgejagt hätte. Im Hause ließ ich niemanden in Frieden; jeden Tag wollte ich spazieren gehen und immer neue Kleider haben, die meine Eltern mir einige Zeit gewährten. Ich unterließ jeden Morgen und Abend das Gebet; aber niemals vergaß ich bei allen diesen Sünden jeden Tag drei Ave Maria mit den Händen zwischen den Beinen zu beten.
Das einzige, was mir in dieser Zeit, die fast ein ganzes Jahr lang dauerte, geblieben war, war die Liebe zu den Armen. Jedesmal, wenn ich von Zuhause fortging, wollte ich immer Geld von meinen Eltern, und wenn sie es mir manchmal verweigerten, nahm ich Brot, Milch und andere Sachen von Zuhause mit; Gott selbst wollte, dass ich Armen begegnete. Denjenigen, die an unsere Haustür kamen, gab ich Mäntel und Schuhe und alles, dessen ich habhaft werden konnte.
Dann bekam ich ein Verbot von Seiten des Pfarrers, und ich tat es nicht mehr; und auf diese Weise wirkte Jesus in mir eine neue Bekehrung; denn meine Eltern gaben mir kein Geld mehr, von Zuhause konnte ich nichts mehr mitnehmen und doch begegnete ich Armen, die alle zu mir liefen. Ich konnte ihnen nichts mehr geben, und das war ein Schmerz, der mich dauernd weinen ließ.
Ich versuchte nun, aufs neue eine Konfession abzulegen; doch sie wurde mir nicht gestattet. Ich beichtete aber alles im Gebet, und Jesus gab mir darüber so große Schmerzen ein, dass ich ihn noch immer fühle. Ich bat die Lehrerinnen um Verzeihung, weil ich ihnen vor allem missfallen hatte.
Den Eltern aber und dem Bruder gefiel diese Bekehrung nicht; besonders meinem Bruder nicht, weil ich jeden Morgen frühzeitig die Messe hören wollte. Aber Jesus unterstützte mich von dieser Zeit an immer mehr.
In dieser Zeit, da auch mein Onkel gestorben war, kamen zwei Tanten zu uns in die Familie. Es waren gute, fromme und liebevolle Tanten; aber es war doch nicht die zarte Liebe der Oma. Sie führten mich fast jeden Tag in die Messe und versäumten auch nicht, mich in den Dingen der Religion zu unterrichten.
Die Schlechteste von allen war immer ich, und wer weiß, welch strenge Rechenschaft ich noch einmal dem Herrn werde ablegen müssen für das schlechte Beispiel, das ich meinem Bruder und meinen Mitschülern gab. Die Tanten vergaßen nicht, mich in allem, worin ich fehlte, zurechtzuweisen; aber ich antwortete ihnen nur mit Anmaßung, und sie bekamen von mir nichts als freche Widerreden zu hören.
Aber, wie ich schon gesagt habe, benutzte Jesus Mittel, dass ich nicht mehr Almosen geben konnte, um mich zu bekehren. Damals begann ich über die große Beleidigung Jesu durch meine Sünden nachzudenken; ich begann zu lernen und zu arbeiten, und die Glaubensschwestern fuhren fort, mir wohl zu wollen; der einzige Fehler, dessentwegen ich Vorwürfe und Strafen bekam, war mein Stolz. Die Lehrerin nannte mich oft „die Stolze".
Ja, leider hatte ich diese Sünde; aber Jesus weiß, ob ich mir ihrer bewusst war oder nicht. Oftmals warf ich mich vor der Lehrerin, vor allen Mitschülerinnen auf die Knie, um sie um Verzeihung zu bitten für diese Sünde; aber am Abend, und auch ganze Nächte hindurch, weinte ich allein für mich: ich erkannte diese Sünde nicht, und mehrmals am Tage fiel ich wieder und wieder in sie, ohne es zu bemerken.
Die Lehrerin, die in der Zeit der Übungen für das Abendmahl mir die Leidensgeschichte Jesu erklärt hatte, versuchte eines Tages aufs neue, sie mir zu erklären; sie ging aber sehr langsam voran; dagegen wiederholte sie mir oft: "Meine Liebe, sagte sie mir, du gehörst Jesus und musst ganz die Seine sein. Sei lieb: Jesus ist zufrieden mit dir; nur hast du viel Unterstützung nötig. Die Betrachtung der Leidensgeschichte muss dir am meisten am Herzen liegen. O, wenn ich dich immer bei mir haben könnte!..."
Diese gute Lehrerin hatte meine Gedanken erraten. Andere Male wiederholte sie mir: "Meine Liebe, wie viele Gnaden hat dir Jesus gegeben!" Ich begriff recht wenig von all dem und blieb stumm; aber zuweilen hatte ich doch so sehr ein gutes Wort oder auch eine Liebkosung nötig, dass ich zu meiner lieben Lehrerin lief, um sie mir zu holen. Manchmal zeigte sie sich ernst; dann weinte ich, wenn ich sie so sah, und der Schluss war, dass sie mich in den Arm nahm und liebkoste, so dass ich sie am Ende so lieb gewann, dass ich sie Mutter nannte.
Alle zwei Jahre pflegten die Lehrerinnen auch für die auswärtigen Schülerinnen Übungen abhalten zu lassen: mir schien, als könnte ich mich wirklich nicht von neuem auf Jesus konzentrieren. Auch war ich dieses Mal ganz allein ohne jede Unterstützung: die Lehrerinnen machten die Übungen nur für sich und ihre Kinder.
Ich begriff gut, dass Jesus mir diese Gelegenheit schickte, um mich selbst gründlich zu erkennen, mich zu läutern und ihm zu gefallen.
Ich erinnere mich, dass ein guter Meister wiederholte: "Denken wir daran, dass wir selbst nichts sind und Gott alles ist. Gott ist unser Schöpfer; alles, was wir haben, haben wir von Gott."
In den letzten Tagen der Übungen betrachtete man die Beispiele der Erniedrigung, der Sanftmut, des Gehorsams und der Geduld Jesu; und aus dieser Betrachtung gewann ich noch zwei Vorsätze: Erstens: Jeden Tag mit Jesus zu sprechen mehr mit dem Herzen als mit den Lippen. Zweitens: Ich will versuchen, so viel ich kann, keine belanglosen Gespräche mehr zu führen, sondern von himmlischen Dingen zu reden.
Ich fuhr fort, jeden Tag zur Schule zu gehen; aber die Sehnsucht, Jesus zu empfangen und seine Leidensgeschichte kennen zu lernen, wurde in mir so stark, dass ich von der Lehrerin erreichte, sie würde mir jedesmal, wenn ich bei der Arbeit und im Studium eine Note „gut“ bekommen hätte, die Leidensgeschichte eine ganze Stunde lang erklären. Ich begehrte nichts weiter: jeden Tag hatte ich ein ,,gut" und jeden Tag bekam ich die Erklärung über einen Punkt der Leidensgeschichte. Oft, wenn wir an die Leiden Jesu dachten, begannen wir zu weinen.
Diese gute Lehrerin starb, nachdem sie mich sieben Jahre gelehrt hatte. Ich kam dann unter die Leitung einer anderen Lehrerin, die ebenso gut war wie die erste; aber auch sie hatte sich viel über mich zu beklagen wegen der hässlichen Sünde meines Stolzes.
Unter ihrer Leitung begann ich mehr Lust am Gebet zu bekommen. Jeden Abend ging ich gleich nach Schulschluss nach Hause, schloss mich in mein Zimmer ein und betete den Rosenkranz; und mehrmals in der Nacht erhob ich mich und empfahl Jesus meine Seele.
Die Tanten und der Bruder beschäftigten sich wenig mit mir: sie ließen mich tun, was ich wollte, da sie schon erkannt hatten, wie böse ich war. Meine Mutter befriedigte mich in allem: sie sagte oft, was mich oft weinen machte: "Ich habe nur zwei Kinder, deinen Bruder und dich."
Ich wurde krank. Der Arzt verbot mir jetzt das Studium und ich verließ die Schule. Oft schickten die Lehrerinnen nach mir, um mich zu sich zu rufen und mich bei sich zu haben; aber meine Eltern wollten mich nicht gehen lassen. Nur das Abendmahl empfing ich zweimal täglich, und Jesus kam, obwohl ich doch so schlecht war, teilte sich mir mit und offenbarte mir viele Geheimnisse.
Einmal hatten meine Eltern mir eine goldene Uhr geschenkt; ich konnte den Augenblick nicht erwarten, sie anzulegen und auszugehen. Ich ging tatsächlich aus; als ich zurückkehrte und mich auszog, sah ich eine Engelin (die ich jetzt als meine Schutzengelin erkannt habe), die sehr ernst zu mir sprach: "Bedenke, dass die Schmuckstücke, die eine Braut des gekreuzigten Königs zieren, keine anderen sein können als Dornen und Kreuz."
Ich hatte auch einen Ring am Finger: ich legte ihn gleichfalls ab, und von diesem Tage an habe ich keinen Schmuck mehr getragen.
Ich nahm mir jetzt vor, mein Leben zu ändern; und es bot sich eine gute Gelegenheit, weil gerade der Jahresbeginn bevorstand. Ich schrieb mir in ein kleines Notizbuch:
In diesem neuen Jahre nehme ich mir vor, ein neues Leben zu beginnen. Was mir im neuen Jahre begegnen wird, weiß ich nicht. Ich überlasse mich ganz dir, mein Herr und mein Gott. All mein Sinnen und Trachten soll auf dich gerichtet sein. Ich fühle mich schwach, o Jesus; aber mit deiner Hilfe hoffe und beschließe ich, anders zu leben, das heißt mehr in deiner Nähe.
Von dem Augenblick an, da die Oma mir die Sehnsucht nach dem Paradies eingegeben hatte, habe ich immer heiß danach verlangt, und wenn Gott mir die Wahl gelassen hätte, hätte ich es vorgezogen, mich vom Körper loszulösen und in den Himmel zu fliegen. Jedesmal, wenn ich Fieber hatte, war der Gedanke, dass ich sterben würde, für mich eine Tröstung; aber es war für mich ein Schmerz, wenn ich nach einer Krankheit meine Kräfte wieder wachsen fühlte. Ja, eines Tages fragte ich Jesus, warum er mich nicht ins Paradies nehmen möchte. Er antwortete mir: "Liebling, weil ich dir in der Zeit deines Lebens so viele Gelegenheiten zu größeren Verdiensten geben werde, in dir das Verlangen nach dem Himmel vermehrend. Aber ertrage das Leben mit Geduld!"
Diese Worte konnten in mir nicht jenes Verlangen nach dem Paradies verringern; ja jeden Tag merkte ich, dass es noch immer größer wurde.
In dem gleichen Jahr begann in mir auch ein anderes Verlangen aufzukeimen: ich fühlte in mir eine heftige Begierde, Jesus als den Gekreuzigten ganz und gar zu lieben und damit verbunden zu leiden und Jesus in seinen Schmerzen zu unterstützen.
Eines Tages wurde ich beim aufmerksamen Betrachten und Anblick des Gekreuzigten von so großem Schmerz ergriffen, dass ich ohnmächtig zu Boden fiel; mein Vater war gerade zu Hause und begann mich auszuschimpfen; er sagte, es mache mich krank, immer zu Hause zu sitzen und am Morgen schon so frühzeitig auszugehen. Seit zwei Morgen ließ er mich nicht mehr zur Kirche gehen. Ich antwortete ärgerlich: "Nein, mich macht krank, dass ich Jesus fernbleiben muss."
Über diese Antwort ärgerte er sich so sehr, dass ich von ihm heftig ausgeschimpft wurde; ich verbarg mich in meinem Zimmer und schüttete meinen Schmerz Jesus allein aus.
Liebe Mutter, der Worte meines Gebets kann ich mich nicht mehr erinnern, aber meine Engelin ist hier, die hat sie mir Wort für Wort gesagt: "Dir will ich folgen um den Preis jeden Leidens, dir will ich inbrünstig folgen; nein, Jesus, ich will dich nicht mehr mit Lauheit kränken: das hieße dir untreu werden und dich beleidigen. Also nehme ich mir vor: tiefere Gebete, tägliche mystische Kommunion. Jesus, ich will leiden und nur leiden für dich. Immer soll ein Gebet auf meinen Lippen sein."
Liebe Mutter, diese Worte kamen aus meinem Herzen in jenem Augenblick des Schmerzes und der Hoffnung, da ich mit meinem Jesus allein war.
Jesus gab mir danach eine große Tröstung: er schickte mir ein körperliches Leiden. Ich hielt es einige Zeit geheim, aber der Schmerz wurde sehr schlimm: der Arzt sagte, dass eine Operation, falls rechtzeitig durchgeführt, gelingen würde. Allen meinen Nächsten tat das sehr Leid, ich allein blieb gleichgültig. Ich erinnere mich, dass ich während der Operation weinte und wehklagte; aber dann schaute ich auf Jesus und bat ihn um Verzeihung für meine Schwäche. Jesus schickte mir noch andere Leiden, und ich kann wohl in Wahrheit sagen, dass ich nach dem Tode der Oma nicht einen einzigen Tag verbracht habe, ohne für Jesus gelitten zu haben.
Am Weihnachtstag des kommenden Jahres wurde mir erlaubt, zur Kirche zu gehen. Ich hatte schon seit langer Zeit einen Priester gebeten, dass er mich das Gelübde der Jungfräulichkeit ablegen ließe. Ich bat ihn darum schon seit vielen Jahren, wusste aber nicht, was das genau für mich bedeute, doch schien es mir das schönste Geschenk zu sein, das Jesus gefallen könnte. Ich erinnere mich, dass Jesus es gnädig annahm und mir von sich aus sagte, ich solle mit diesem Gelübde die Aufopferung meiner selbst, meiner Gefühle und die Ergebung in seinen Willen verbinden. Ich tat es mit so großer Freude, dass ich die Nacht und den folgenden Tag wie im Paradies zubrachte.
Das besagte Jahr ging zu Ende und wir traten in das neue Jahr ein, das für die ganze Familie so schmerzhaft werden sollte. Ich allein blieb so vielem Unglück gegenüber herzlos und gleichgültig. Das, was die anderen o sehr betrübte, war eine schwere Krankheit meines Vaters.
Eines Morgens, nach der mystischen Kommunion, begriff ich
die Größe des Opfers, das Jesus bald verlangen wollte; ich weinte sehr, aber
Jesus teilte sich in diesen Tagen des Schmerzes meiner Seele um so fühlbarer
mit; auch gab mir das stille Sterben meines Vaters so große Kraft, dass ich das
schwere Unglück heiter ertrug. Am Todestag meines Vaters verbot mir Jesus, mich
in sinnloses Weinen und Jammern zu verlieren; und so verbrachte ich den 'Tag im
Gebet und war ergeben in den Willen Gottes.
Nach dem Tod meines Vaters schleppte ich mich einige Zeit krank dahin; ich wollte durchaus nicht gehorchen und mich durch einen Arzt untersuchen lassen, weil ich niemals wollte, dass mich jemand anrührte und anschaute. Eines Abends aber untersuchte man mich gewaltsam und stellte ein Geschwür am Körper fest: man befürchtete eine ernsthafte Sache.
Schon seit langer Zeit fühlte ich Schmerzen in meinem Körper, aber von mir selbst aus wollte ich weder berührt noch angeschaut werden; und zwar deshalb, weil einmal in einer Predigt diese Worte gehört hatte: "Unser Körper ist ein Tempel des Heiligen Geistes." Diese Worte trafen mich, und soviel ich konnte, habe ich meinen Körper verborgen.
Nachdem mich der Arzt untersucht hatte, forderte er eine Behandlung. Welche Pein, liebe Mutter, mich vor dem Arzt entblößen zu müssen! Jedesmal, wenn ich den Arzt hörte, weinte ich. Nach der Behandlung ging es mir immer schlechter und ich war gezwungen, mich zu Bett zu legen und konnte mich gar nicht mehr bewegen. Man wandte alle Heilmittel an; aber anstatt mir zu helfen, verschlimmerten sie mein Leiden nur.
O, liebe Mutter, und dann! Das Übel verschlimmerte sich immer mehr und die Ärzte entschlossen sich zu einer Operation an der gewissen Körperstelle. Sie kamen zu dritt. Liebe Mutter, wie viel besser wäre es gewesen zu sterben!... Endlich sahen die Ärzte ein, dass alle Behandlung umsonst war und gaben mich auf.
Nur ein Arzt bestand darauf, dass meine Krankheit Hysterie sei. Ich lag im Bett immer in derselben Lage; mir selbst war es unmöglich, mich zu bewegen; um zuweilen ein wenig Erleichterung zu haben, musste ich Menschen bitten, mir behilflich zu sein, bald einen Arm, bald ein Bein zu heben: sie waren sehr besorgt um mich, aber ich antwortete ihnen nur mit Widerreden.
Eines Abends war ich unruhiger als sonst und beklagte mich bei Jesus; ich sagte, ich würde nicht mehr beten, wenn er mich nicht gesund machte, und fragte ihn, warum er mich so krank sein ließe. Die Engelin antwortete mir in folgender Weise: "Wenn Jesus deinen Körper heimsucht, so tut er es, um immer mehr deinen Geist zu läutern. Sei tapfer!" O wie oft in meiner langen Krankheit ließ sie mich in meinem Herzen Trostworte hören!
Der Grund, warum mich das Liegen im Bett so betrübte, war, weil ich gewünscht hätte, das zu tun, was die andern taten: jeden Tag wäre ich gern zur Kirche gegangen. Aber eines Morgens, als man mir die geistige Kommunion ins Haus gesendet hatte, ließ sich Jesus in mir deutlich vernehmen, er machte mir Vorwürfe und sagte: "Es ist deine Eigenliebe, die sich getroffen fühlt, wenn du nicht tun kannst, was die andern tun, und wenn du dich beschämt fühlst, auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen zu sein; wenn dein Ego abgestorben wäre, würdest du nicht so ungeduldig sein."
Diese Worte Jesus taten mir wohl, und für einige Zeit war ich heiteren Geistes.
"Schatz, sagte mir Jesus und umarmte mich, ich gebe mich dir ganz, wirst du auch ganz die meine sein?" Ich sah wohl, dass Jesus mir die Liebsten genommen hatte und dass er mich zuweilen in Schrecken versetzt hatte; deshalb fühlte ich mich sehr verlassen. An jenem Morgen beklagte ich mich darüber, und Jesus, immer lieb, immer zärtlich, wiederholte mir: "Ich, mein Kind, werde immer bei dir sein. Ich bin dein Vater, deine Mutter wird Jene sein:. und er zeigte mir die Heiligste Maria, die Mater Dolorosa. Niemals kann väterlicher Schutz dem fehlen, der in meinen Händen sich befindet; nichts also wird dir fehlen, obschon ich dir allen Trost und Stütze hier auf Erden genommen habe. Komm, komm näher, sei mein Kind. Bist du nicht glücklich, das geliebte Kind von Jesus und Maria zu sein?" Die übergroße Liebeserregung, die Jesus mir im Herzen entfachte, hinderte mich, ihm zu antworten.
Es vergingen kaum zwei Stunden und ich stand vom Krankenlager auf. Ich war zufrieden, nicht wegen der wiedererlangten Gesundheit, sondern weil Jesus und Maria mich als ihr geliebtes Kind erwählt hatten. Ehe Jesus mich diesen Morgen verließ, sagte er mir: "Mein Kind, auf die Gnade, die ich dir heute gegeben habe, werden noch viel größere folgen." Und es ist wahr, Jesus hat mich immer in besonderer Weise begnadet hat, doch habe ich leider für ihn nur Kälte und Gleichgültigkeit, aber er hat mir vergolten mit unendlichen Zeichen der süßesten Liebe.
Von dieser Zeit an begann ich es nicht mehr auszuhalten, wenn ich nicht jeden Morgen und Abend zum eucharistischen Jesus gehen konnte; aber ich konnte nicht: meine Schwäche war so groß, dass ich mich kaum auf den Füßen halten konnte.
Die Schutzengelin begann von dem Augenblick an, da ich aufstand, meine Lehrerin und Führerin zu sein: sie wies mich jedes mal darauf hin, wenn ich etwas schlecht gemacht hatte, und sie lehrte mich, wenig zu sprechen und nur, wenn ich gefragt würde. Einmal, als die Leute um mich von einer Person sprachen, und zwar nicht allzu viel Gutes, wollte ich mich einmischen, aber die Engelin hielt mich davon ab. Sie belehrte mich, die Augen niedergeschlagen zu halten, und sogar in der Kirche sagte sie: "Verhält man sich so in der Gegenwart Gottes?" Und andere Male sprach sie auf folgende Weise: "Wenn du nicht gut bist, so werde ich mich nicht mehr vor dir sehen lassen." Oft belehrte sie mich, wie ich mich in der Gegenwart Gottes verhalten müsse: ihn anzubieten in seiner lieblichen Güte, in seiner mütterlichen Barmherzigkeit und in allen seinen göttlichen Qualitäten.
Ich schickte mich einmal an, eine heilige Stunde zu halten; aber ich fühlte mich so erfüllt von den Schmerzen über mein Elend, dass ich tagelang ein dauerndes Martyrium durchlebte. Doch inmitten dieses großen Schmerzes blieb mir eine Hilfe: die zu weinen: Hilfe und Trost zugleich. Ich brachte die ganze Stunde mit Beten und Weinen zu; endlich setzte ich mich, da ich so müde war; der Schmerz blieb. Kurz darauf fühlte ich mich ganz in mir konzentriert, und wenig später, fast in einem Augenblick, schwanden mir die Kräfte. Ich konnte mich noch gerade mühsam erheben und die Tür der Wohnung abschließen. Wo befand ich mich? Liebe Mutter, ich befand mich vor Jesus, dem Gekreuzigten. Er vergoss sein Blut aus allen Teilen des Körpers. Ich schlug sogleich die Augen nieder, dieser Anblick verwirrte mich; ich machte das Kreuzzeichen; auf die Verwirrung folgte bald die Ruhe des Geistes. Aber ich fühlte auch weiterhin und sogar noch stärker die Schmerzen meines Elends; ich erhob niemals die Augen, um Jesus anzuschauen: ich hatte durchaus nicht den Mut dazu; ich warf mich zur Erde aufs Angesicht, und so verharrte ich für mehrere Stunden. "Mein Kind, sagte er mir, schau: alle diese Wunden hattest du geöffnet; aber jetzt tröste dich, denn durch deine Schmerzen hast du alle meine Wunden wieder geschlossen. Liebe mich, wie ich dich immer geliebt habe. Liebe mich, liebe mich, liebe mich!"
Am Morgen des Karfreitags wollte ich zu der Andacht in die Kirche gehen; aber es wurde mir nicht erlaubt; so musste ich dieses erste Opfer Jesus bringen; und Jesus in seiner Großmut wollte es mir, obwohl es nur mit Mühe gebracht war, belohnen; ich schloss mich in mein Zimmer ein, um für mich allein zu feiern, aber ich war nicht allein: es kam meine Schutzengelin zu mir und wir beteten gemeinsam; wir standen Jesus in allen seinen Leiden bei und litten mit seiner Mutter Maria alle ihre Schmerzen. Aber meine Engelin verfehlte auch nicht, mir einen sanften Vorwurf zu machen: ich sollte nicht weinen, wenn ich Jesus ein Opfer zu bringen habe, sondern vielmehr ihm danken, der mir dazu Gelegenheit gibt.
Es war das erste Mal und der erste Freitag, da sich Jesus meiner Seele so fühlbar mitteilte; und obwohl ich Jesus nicht aus der Hand des Priesters empfing, weil es unmöglich war, so kam doch Jesus von sich aus und vereinigte sich mir. Und so innig war unsere Vereinigung, dass ich wie betäubt blieb.
Jesus sprach zu mir: "Was tust du? Was willst du mir sagen? Bist du nicht einmal bewegt von meiner Hingabe an dich?" Da konnte ich nicht länger an mich halten und musste antworten: "O Jesus: du, der Vollkommene und Heilige, hast du keine andere zum Liebesspiel als mich, die ich für dich nur Kälte und Unvollkommenheit habe?" Er sprach: "Ich begehre heiß, mich mit dir zu vereinigen! Komme jeden Tag. Aber wisse: Ich bin ein eifersüchtiger Bräutigam; wirst du mir eine treue Braut sein?"
Ein Gefühl und ein Gedanke keimten gleichzeitig in meinem Herzen auf, nachdem Jesus sich zum ersten Male mir mitgeteilt und mich sein Blut hatte fließen sehen. Das war, ihn zu lieben und zu lieben bis zum Opfer; aber da ich nicht wusste, wie man ihn in Wirklichkeit lieben sollte, bat ich eine Nonne um Belehrung, und sie antwortete mir: "Was macht man, um lesen und schreiben zu lernen? Man übt sich unablässig im Schreiben und Lesen, bis man es lernt." Diese Antwort überzeugte mich nicht; ich begriff sie durchaus nicht. Mehrmals bat ich sie um Belehrung, aber sie hatte nur immer die gleiche. Antwort.
Ich machte mir Gedanken darüber, dass ich nicht zu lieben verstand; aber Jesus in seiner unendlichen Demut scheute sich nicht, sich zu meinem Lehrer zu erniedrigen, um mich zu beruhigen. Eines Tages zur Zeit des Abendgebetes fühlte ich mich ganz innerlich gesammelt und fand mich zum zweiten Male vor Jesus dem Gekreuzigten, der zu mir folgende Worte sprach: "Schau, mein Kind, und lerne, wie man liebt!" Und er zeigte mir seine offenen Wunden. "Siehst du dieses Herz, diese Dornen, diese Nägel, diese Striemen, diese Risse, diese Wunden, dieses Blut? Sie sind alle Werke der Liebe, und zwar einer grenzenlosen und bedingungslosen Liebe. Siehst du, wie sehr ich dich geliebt habe? Willst du mich auch in Wahrheit lieben? Lerne zuerst zu leiden. Denn Leiden lehrt Lieben."
Bei diesem Anblick empfand ich neue Schmerzen, und bei dem Gedanken an die bedingungslose und grenzenlose Liebe Jesu zu uns und an die Leiden, die er für uns gelitten, wurde ich ohnmächtig, fiel zu Boden, und kam erst nach einigen Stunden wieder zu mir. Alles, was sich während dieses Gebetes ereignete, waren überaus große Tröstungen für mich, die niemals ermüdend für mich gewesen wären, auch wenn sie mehrere Stunden gedauert hätten.
Manchmal dauerte die heilige Stunde auch bis zu zwei Stunden, weil ich bei Jesus war und teilnahm an der Trauer, die er im Garten Gethsemane empfunden hatte, einer Traurigkeit, die man gut einer Agonie vergleichen kann. Danach blieb ich in einer so süßen Ruhe und einem Frieden, dass ich mich in Tränen ergießen musste, und diese Tränen ließen mich eine unbegreiflich schöne Liebe verkosten und vermehrten in mir die Sehnsucht, Jesus zu lieben bis zum Tod und bis in alle Ewigkeit.
Eines Tages zeigte mir Jesus an, dass er mir am Abend eine ganz große Gnade mitteilen würde, Ich ging zu einem Priester und sagte es ihm; er antwortete, ich sol1e gut acht geben, um ihm nachher alles berichten zu können.
Es war am Abend: ganz plötzlich und viel früher als gewöhnlich fühlte ich einen innerlichen Schmerz über mein Elend; so stark, wie ich ihn nicht mehr gefühlt habe; dieser Schmerz brachte mich sozusagen auf der Stel1e zum Sterben. Danach fühlte ich, wie alle meine Seelenkräfte sich sammelten: der Verstand sah nur mein Elend; das Gedächtnis erinnerte sich an alle Leiden, die Jesus für mein Heil gelitten hatte; der Wille ließ mich versprechen, alles leiden zu wollen, um alle Sünden meines Lebens und meiner Lieben zu sühnen. Ein Chaos von Gedanken ging mir durch den Kopf: es waren Gedanken des Schmerzes, der Liebe, der Angst, der Hoffnung und der Kraft.
Auf die innerliche Sammlung folgte sehr bald die Verzückung der Sinne, und ich befand mich vor meiner himmlischen Mutter Maria, die zu ihrer Rechten meine Schutzengelin hatte. Dann wendete sich die Mutter Maria an mich mit folgenden Worten: „Schatz, im Namen Jesu sind dir alle Sünden vergeben." Dann fügte Maria hinzu: ,,Jesus, mein Sohn, liebt dich sehr und will dir eine Gnade schenken; wirst du dich ihrer würdig erweisen?" Meine Armseligkeit wusste, was ich sagen sollte. Maria fügte noch hinzu: "Ich werde dir Mutter sein, wirst du mir ein wahres Kind sein?" Und Maria öffnete ihren Mantel und bedeckte mich mit dem Mantel.
In diesem Augenblick erschien Jesus, dessen Wunden alle geöffnet waren; aber es floss kein Blut mehr aus diesen Wunden, sondern es gingen gleichsam Feuerflammen aus ihnen hervor; und diese Flammen berührten für einen Augenblick mein Herz, meine Seele. Ich fühlte mich sterben und wäre zur Erde gestürzt; aber die Mutter Maria stützte mich, ich war immer noch unter ihrem Mantel. Für einige Stunden musste ich in dieser Stellung bleiben. Dann küsste Maria mich auf die Stirn und alles verschwand; ich fand mich kniend auf der Erde, aber ich fühlte noch einen heftigen Schmerz in dem Herzen und in der Seele.
Ich erhob mich, um zu Bett zu gehen, und fühlte, dass aus meinem Herzen und meiner Seele, in denen ich Schmerzen fühlte, Blut floss. Ich konnte dann doch, unterstützt von meiner Engelin, ins Bett gehen. Diese qualvollen Schmerzen verursachten mir aber keine Trübsal, sondern eine vollkommene Seelenruhe.
Diese Vorfälle wollte ich meinem Beichtvater berichten; aber er verstand mich nicht. Er gab mir aber seinen priesterlichen Segen.
Inzwischen wiederholten sich die Durchbohrungen meines Herzens und das Verbluten meiner Seele. Der Priester wollte mich von einem Arzt untersuchen lassen. Ich erhielt davon Kenntnis durch Jesus selbst, der mir sagte: "Sag dem Priester, dass ich in Gegenwart des Arztes nichts von alledem tun werde, was er wünscht." Und die Dinge gingen, wie Jesus sie gewünscht hatte.
Liebe Mutter, von diesem Tage an begann ein neues Leben für mich, und ich hätte dir so viel darüber zu sagen; aber wenn Jesus es will, werde ich es dir allein sagen.
Damit verbleibe ich,
Nach dem Tod meines Vaters schleppte ich mich einige Zeit krank dahin; ich wollte durchaus nicht gehorchen und mich durch einen Arzt untersuchen lassen, weil ich niemals wollte, dass mich jemand anrührte und anschaute. Eines Abends aber untersuchte man mich gewaltsam und stellte ein Geschwür am Körper fest: man befürchtete eine ernsthafte Sache.
Schon seit langer Zeit fühlte ich Schmerzen in meinem Körper, aber von mir selbst aus wollte ich weder berührt noch angeschaut werden; und zwar deshalb, weil einmal in einer Predigt diese Worte gehört hatte: "Unser Körper ist ein Tempel des Heiligen Geistes." Diese Worte trafen mich, und soviel ich konnte, habe ich meinen Körper verborgen.
Nachdem mich der Arzt untersucht hatte, forderte er eine Behandlung. Welche Pein, liebe Mutter, mich vor dem Arzt entblößen zu müssen! Jedesmal, wenn ich den Arzt hörte, weinte ich. Nach der Behandlung ging es mir immer schlechter und ich war gezwungen, mich zu Bett zu legen und konnte mich gar nicht mehr bewegen. Man wandte alle Heilmittel an; aber anstatt mir zu helfen, verschlimmerten sie mein Leiden nur.
O, liebe Mutter, und dann! Das Übel verschlimmerte sich immer mehr und die Ärzte entschlossen sich zu einer Operation an der gewissen Körperstelle. Sie kamen zu dritt. Liebe Mutter, wie viel besser wäre es gewesen zu sterben!... Endlich sahen die Ärzte ein, dass alle Behandlung umsonst war und gaben mich auf.
Nur ein Arzt bestand darauf, dass meine Krankheit Hysterie sei. Ich lag im Bett immer in derselben Lage; mir selbst war es unmöglich, mich zu bewegen; um zuweilen ein wenig Erleichterung zu haben, musste ich Menschen bitten, mir behilflich zu sein, bald einen Arm, bald ein Bein zu heben: sie waren sehr besorgt um mich, aber ich antwortete ihnen nur mit Widerreden.
Eines Abends war ich unruhiger als sonst und beklagte mich bei Jesus; ich sagte, ich würde nicht mehr beten, wenn er mich nicht gesund machte, und fragte ihn, warum er mich so krank sein ließe. Die Engelin antwortete mir in folgender Weise: "Wenn Jesus deinen Körper heimsucht, so tut er es, um immer mehr deinen Geist zu läutern. Sei tapfer!" O wie oft in meiner langen Krankheit ließ sie mich in meinem Herzen Trostworte hören!
Der Grund, warum mich das Liegen im Bett so betrübte, war, weil ich gewünscht hätte, das zu tun, was die andern taten: jeden Tag wäre ich gern zur Kirche gegangen. Aber eines Morgens, als man mir die geistige Kommunion ins Haus gesendet hatte, ließ sich Jesus in mir deutlich vernehmen, er machte mir Vorwürfe und sagte: "Es ist deine Eigenliebe, die sich getroffen fühlt, wenn du nicht tun kannst, was die andern tun, und wenn du dich beschämt fühlst, auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen zu sein; wenn dein Ego abgestorben wäre, würdest du nicht so ungeduldig sein."
Diese Worte Jesus taten mir wohl, und für einige Zeit war ich heiteren Geistes.
"Schatz, sagte mir Jesus und umarmte mich, ich gebe mich dir ganz, wirst du auch ganz die meine sein?" Ich sah wohl, dass Jesus mir die Liebsten genommen hatte und dass er mich zuweilen in Schrecken versetzt hatte; deshalb fühlte ich mich sehr verlassen. An jenem Morgen beklagte ich mich darüber, und Jesus, immer lieb, immer zärtlich, wiederholte mir: "Ich, mein Kind, werde immer bei dir sein. Ich bin dein Vater, deine Mutter wird Jene sein:. und er zeigte mir die Heiligste Maria, die Mater Dolorosa. Niemals kann väterlicher Schutz dem fehlen, der in meinen Händen sich befindet; nichts also wird dir fehlen, obschon ich dir allen Trost und Stütze hier auf Erden genommen habe. Komm, komm näher, sei mein Kind. Bist du nicht glücklich, das geliebte Kind von Jesus und Maria zu sein?" Die übergroße Liebeserregung, die Jesus mir im Herzen entfachte, hinderte mich, ihm zu antworten.
Es vergingen kaum zwei Stunden und ich stand vom Krankenlager auf. Ich war zufrieden, nicht wegen der wiedererlangten Gesundheit, sondern weil Jesus und Maria mich als ihr geliebtes Kind erwählt hatten. Ehe Jesus mich diesen Morgen verließ, sagte er mir: "Mein Kind, auf die Gnade, die ich dir heute gegeben habe, werden noch viel größere folgen." Und es ist wahr, Jesus hat mich immer in besonderer Weise begnadet hat, doch habe ich leider für ihn nur Kälte und Gleichgültigkeit, aber er hat mir vergolten mit unendlichen Zeichen der süßesten Liebe.
Von dieser Zeit an begann ich es nicht mehr auszuhalten, wenn ich nicht jeden Morgen und Abend zum eucharistischen Jesus gehen konnte; aber ich konnte nicht: meine Schwäche war so groß, dass ich mich kaum auf den Füßen halten konnte.
Die Schutzengelin begann von dem Augenblick an, da ich aufstand, meine Lehrerin und Führerin zu sein: sie wies mich jedes mal darauf hin, wenn ich etwas schlecht gemacht hatte, und sie lehrte mich, wenig zu sprechen und nur, wenn ich gefragt würde. Einmal, als die Leute um mich von einer Person sprachen, und zwar nicht allzu viel Gutes, wollte ich mich einmischen, aber die Engelin hielt mich davon ab. Sie belehrte mich, die Augen niedergeschlagen zu halten, und sogar in der Kirche sagte sie: "Verhält man sich so in der Gegenwart Gottes?" Und andere Male sprach sie auf folgende Weise: "Wenn du nicht gut bist, so werde ich mich nicht mehr vor dir sehen lassen." Oft belehrte sie mich, wie ich mich in der Gegenwart Gottes verhalten müsse: ihn anzubieten in seiner lieblichen Güte, in seiner mütterlichen Barmherzigkeit und in allen seinen göttlichen Qualitäten.
Ich schickte mich einmal an, eine heilige Stunde zu halten; aber ich fühlte mich so erfüllt von den Schmerzen über mein Elend, dass ich tagelang ein dauerndes Martyrium durchlebte. Doch inmitten dieses großen Schmerzes blieb mir eine Hilfe: die zu weinen: Hilfe und Trost zugleich. Ich brachte die ganze Stunde mit Beten und Weinen zu; endlich setzte ich mich, da ich so müde war; der Schmerz blieb. Kurz darauf fühlte ich mich ganz in mir konzentriert, und wenig später, fast in einem Augenblick, schwanden mir die Kräfte. Ich konnte mich noch gerade mühsam erheben und die Tür der Wohnung abschließen. Wo befand ich mich? Liebe Mutter, ich befand mich vor Jesus, dem Gekreuzigten. Er vergoss sein Blut aus allen Teilen des Körpers. Ich schlug sogleich die Augen nieder, dieser Anblick verwirrte mich; ich machte das Kreuzzeichen; auf die Verwirrung folgte bald die Ruhe des Geistes. Aber ich fühlte auch weiterhin und sogar noch stärker die Schmerzen meines Elends; ich erhob niemals die Augen, um Jesus anzuschauen: ich hatte durchaus nicht den Mut dazu; ich warf mich zur Erde aufs Angesicht, und so verharrte ich für mehrere Stunden. "Mein Kind, sagte er mir, schau: alle diese Wunden hattest du geöffnet; aber jetzt tröste dich, denn durch deine Schmerzen hast du alle meine Wunden wieder geschlossen. Liebe mich, wie ich dich immer geliebt habe. Liebe mich, liebe mich, liebe mich!"
Am Morgen des Karfreitags wollte ich zu der Andacht in die Kirche gehen; aber es wurde mir nicht erlaubt; so musste ich dieses erste Opfer Jesus bringen; und Jesus in seiner Großmut wollte es mir, obwohl es nur mit Mühe gebracht war, belohnen; ich schloss mich in mein Zimmer ein, um für mich allein zu feiern, aber ich war nicht allein: es kam meine Schutzengelin zu mir und wir beteten gemeinsam; wir standen Jesus in allen seinen Leiden bei und litten mit seiner Mutter Maria alle ihre Schmerzen. Aber meine Engelin verfehlte auch nicht, mir einen sanften Vorwurf zu machen: ich sollte nicht weinen, wenn ich Jesus ein Opfer zu bringen habe, sondern vielmehr ihm danken, der mir dazu Gelegenheit gibt.
Es war das erste Mal und der erste Freitag, da sich Jesus meiner Seele so fühlbar mitteilte; und obwohl ich Jesus nicht aus der Hand des Priesters empfing, weil es unmöglich war, so kam doch Jesus von sich aus und vereinigte sich mir. Und so innig war unsere Vereinigung, dass ich wie betäubt blieb.
Jesus sprach zu mir: "Was tust du? Was willst du mir sagen? Bist du nicht einmal bewegt von meiner Hingabe an dich?" Da konnte ich nicht länger an mich halten und musste antworten: "O Jesus: du, der Vollkommene und Heilige, hast du keine andere zum Liebesspiel als mich, die ich für dich nur Kälte und Unvollkommenheit habe?" Er sprach: "Ich begehre heiß, mich mit dir zu vereinigen! Komme jeden Tag. Aber wisse: Ich bin ein eifersüchtiger Bräutigam; wirst du mir eine treue Braut sein?"
Ein Gefühl und ein Gedanke keimten gleichzeitig in meinem Herzen auf, nachdem Jesus sich zum ersten Male mir mitgeteilt und mich sein Blut hatte fließen sehen. Das war, ihn zu lieben und zu lieben bis zum Opfer; aber da ich nicht wusste, wie man ihn in Wirklichkeit lieben sollte, bat ich eine Nonne um Belehrung, und sie antwortete mir: "Was macht man, um lesen und schreiben zu lernen? Man übt sich unablässig im Schreiben und Lesen, bis man es lernt." Diese Antwort überzeugte mich nicht; ich begriff sie durchaus nicht. Mehrmals bat ich sie um Belehrung, aber sie hatte nur immer die gleiche. Antwort.
Ich machte mir Gedanken darüber, dass ich nicht zu lieben verstand; aber Jesus in seiner unendlichen Demut scheute sich nicht, sich zu meinem Lehrer zu erniedrigen, um mich zu beruhigen. Eines Tages zur Zeit des Abendgebetes fühlte ich mich ganz innerlich gesammelt und fand mich zum zweiten Male vor Jesus dem Gekreuzigten, der zu mir folgende Worte sprach: "Schau, mein Kind, und lerne, wie man liebt!" Und er zeigte mir seine offenen Wunden. "Siehst du dieses Herz, diese Dornen, diese Nägel, diese Striemen, diese Risse, diese Wunden, dieses Blut? Sie sind alle Werke der Liebe, und zwar einer grenzenlosen und bedingungslosen Liebe. Siehst du, wie sehr ich dich geliebt habe? Willst du mich auch in Wahrheit lieben? Lerne zuerst zu leiden. Denn Leiden lehrt Lieben."
Bei diesem Anblick empfand ich neue Schmerzen, und bei dem Gedanken an die bedingungslose und grenzenlose Liebe Jesu zu uns und an die Leiden, die er für uns gelitten, wurde ich ohnmächtig, fiel zu Boden, und kam erst nach einigen Stunden wieder zu mir. Alles, was sich während dieses Gebetes ereignete, waren überaus große Tröstungen für mich, die niemals ermüdend für mich gewesen wären, auch wenn sie mehrere Stunden gedauert hätten.
Manchmal dauerte die heilige Stunde auch bis zu zwei Stunden, weil ich bei Jesus war und teilnahm an der Trauer, die er im Garten Gethsemane empfunden hatte, einer Traurigkeit, die man gut einer Agonie vergleichen kann. Danach blieb ich in einer so süßen Ruhe und einem Frieden, dass ich mich in Tränen ergießen musste, und diese Tränen ließen mich eine unbegreiflich schöne Liebe verkosten und vermehrten in mir die Sehnsucht, Jesus zu lieben bis zum Tod und bis in alle Ewigkeit.
Eines Tages zeigte mir Jesus an, dass er mir am Abend eine ganz große Gnade mitteilen würde, Ich ging zu einem Priester und sagte es ihm; er antwortete, ich sol1e gut acht geben, um ihm nachher alles berichten zu können.
Es war am Abend: ganz plötzlich und viel früher als gewöhnlich fühlte ich einen innerlichen Schmerz über mein Elend; so stark, wie ich ihn nicht mehr gefühlt habe; dieser Schmerz brachte mich sozusagen auf der Stel1e zum Sterben. Danach fühlte ich, wie alle meine Seelenkräfte sich sammelten: der Verstand sah nur mein Elend; das Gedächtnis erinnerte sich an alle Leiden, die Jesus für mein Heil gelitten hatte; der Wille ließ mich versprechen, alles leiden zu wollen, um alle Sünden meines Lebens und meiner Lieben zu sühnen. Ein Chaos von Gedanken ging mir durch den Kopf: es waren Gedanken des Schmerzes, der Liebe, der Angst, der Hoffnung und der Kraft.
Auf die innerliche Sammlung folgte sehr bald die Verzückung der Sinne, und ich befand mich vor meiner himmlischen Mutter Maria, die zu ihrer Rechten meine Schutzengelin hatte. Dann wendete sich die Mutter Maria an mich mit folgenden Worten: „Schatz, im Namen Jesu sind dir alle Sünden vergeben." Dann fügte Maria hinzu: ,,Jesus, mein Sohn, liebt dich sehr und will dir eine Gnade schenken; wirst du dich ihrer würdig erweisen?" Meine Armseligkeit wusste, was ich sagen sollte. Maria fügte noch hinzu: "Ich werde dir Mutter sein, wirst du mir ein wahres Kind sein?" Und Maria öffnete ihren Mantel und bedeckte mich mit dem Mantel.
In diesem Augenblick erschien Jesus, dessen Wunden alle geöffnet waren; aber es floss kein Blut mehr aus diesen Wunden, sondern es gingen gleichsam Feuerflammen aus ihnen hervor; und diese Flammen berührten für einen Augenblick mein Herz, meine Seele. Ich fühlte mich sterben und wäre zur Erde gestürzt; aber die Mutter Maria stützte mich, ich war immer noch unter ihrem Mantel. Für einige Stunden musste ich in dieser Stellung bleiben. Dann küsste Maria mich auf die Stirn und alles verschwand; ich fand mich kniend auf der Erde, aber ich fühlte noch einen heftigen Schmerz in dem Herzen und in der Seele.
Ich erhob mich, um zu Bett zu gehen, und fühlte, dass aus meinem Herzen und meiner Seele, in denen ich Schmerzen fühlte, Blut floss. Ich konnte dann doch, unterstützt von meiner Engelin, ins Bett gehen. Diese qualvollen Schmerzen verursachten mir aber keine Trübsal, sondern eine vollkommene Seelenruhe.
Diese Vorfälle wollte ich meinem Beichtvater berichten; aber er verstand mich nicht. Er gab mir aber seinen priesterlichen Segen.
Inzwischen wiederholten sich die Durchbohrungen meines Herzens und das Verbluten meiner Seele. Der Priester wollte mich von einem Arzt untersuchen lassen. Ich erhielt davon Kenntnis durch Jesus selbst, der mir sagte: "Sag dem Priester, dass ich in Gegenwart des Arztes nichts von alledem tun werde, was er wünscht." Und die Dinge gingen, wie Jesus sie gewünscht hatte.
Liebe Mutter, von diesem Tage an begann ein neues Leben für mich, und ich hätte dir so viel darüber zu sagen; aber wenn Jesus es will, werde ich es dir allein sagen.
Damit verbleibe ich,
liebe Mutter,
dein gehorsames Kind.