Von Alexander Puschkin
Nachgedichtet von Josef Maria Mayer
ERSTER
GESANG
1
„Mein Onkel
ist ein Mann von Ehre,
Doch als er
ernsthaft kränklich ward,
Da zwang er
einen, ihn zu achten,
Wie gut war
der Gedanke doch.
Sein Beispiel
ist uns eine Lehre.
Ach Gott,
doch welche Langeweile,
Beim Kranken
sitzen Tag und Nacht,
Von ihm zu
weichen keinen Schritt!
Ach, wie
gemein und hinterlistig,
Halbtote zu
vergnügen und
Zu schütteln
seine Kissen aus
Und ihm die
Medizin zu geben,
Zu seufzen
und zu denken dann:
Wann holt
dich doch der Satanas?“
2
Ein junger
Taugenichts so dachte,
Als er mit
Pferden ritt im Staub,
Noch Joves
allerhöchstem Willen
Der Erbe der
Verwandten all.
Genossen
Ruslans und Ludmillas,
Jetzt mit dem
Heros meines Epos
Ich mache
euch sogleich bekannt
Auch ohne
ewigen Prolog.
Onegin ward,
mein Freund und Bruder,
Geboren an
der Newa
Saum,
Wo du, mein
Leser, auch vielleicht
Zur Welt
kamst oder Ehre fandest,
Wo ich mir
meine Zeit vertrieb.
Der Norden
doch bekam mir schlecht!
3
Untadlig und
in Ehren dienend
Sein Vater
stets in Schulden war,
Drei große
Feste gab er jährlich
Und hat das
ganze Geld verprasst.
Das Schicksal
Eugen doch bewahrte!
Madame sah
erst nach ihrem Knaben,
Dann nach dem
Knaben sah Monsieur.
Das Kind war
wild und doch so süß!
Der Herr
Abbé, ein lieber Narr,
Franzose,
lehrte dann den Knaben,
Er lehrte
alles ihn im Spiel
Und sprach
nicht streng von der Moral,
Nur leicht
ihm rügend seine Streiche,
Er ging auch
oft mit ihm im Licht
Spazieren in
dem grünen Hain.
4
Dann
stürmisch kam die Zeit der Jugend
Heran für
Eugen, süße Zeit
Der Hoffnung
und der süßen Wehmut,
Da jagte fort
man den Abbé!
Onegin lebte
jetzt in Freiheit,
Das Haar
geschnitten nach der Mode,
Gekleidet wie
ein Dandy sah
Er
schließlich auch die große Welt,
Französisch
konnte er vollkommen
Im Reden und
im Schreiben auch,
Mazurka
tanzte er geschickt
Und konnte
höflich sich verbeugen.
Und alle
Damen sprachen da,
Onegin sei
sehr klug und nett.
5
Wir lernten
alle doch ein wenig,
So irgendwie
ein Irgendwas,
So, Gott sei
Dank, ists uns ein Leichtes,
Zu glänzen
durch Erziehung. Auch
Onegin war so
nach der Meinung
Der resoluten
strengen Richter
Ein kluger
Kopf, doch ein Pedant.
Er hatte
glücklich das Talent,
Im
Diskutieren völlig zwanglos
Zu streifen
dies und jenes leicht
Und mit
gelehrtem Kennerblick
Auf schwere
Fragen ernst zu schweigen,
Zu locken
Lächeln auf den Mund
Der Fraun
durch einen leichten Spott.
6
Latein ist
heute aus der Mode,
Doch sage ich
die Wahrheit euch,
Onegin doch
verstand Lateinisch,
Entziffern
konnt er einen Spruch,
Er sprach von
Juvenals Satiren
Und
überschrieb den Brief mit salve
Und konnte,
doch nicht fehlerfrei,
Auch ein paar
Verse von Vergil.
Doch das
verschuf ihm keine Wonne,
Zu kriechen
in der Chronik Staub
Der großen
Welthistoria.
Doch aller
Zeiten Anekdoten
Von Romulus
auf unsre Zeit
Behielt er im
Gedächtnis stets.
7
Er wusste
nichts von solcher Liebe,
Zu opfern
sich der Poesie,
Von Jamben
und Trochäen kannte
Er nicht den
Unterschied. Homer
Und Theokrit
war ihm nichts Gutes,
Doch Adam
Smith hat er gelesen
Und war ein
kluger Ökonom,
Darlegen
konnte er genau,
Wie kommt der
Vater Staat zum Reichtum,
Wovon er lebt
und warum er
Nicht braucht
in dem Tresor das Gold,
Wenn da
genügend Bodenschätze.
Sein Vater
konnt es nicht verstehn,
Verpfändete
die Länderein.
8
Was Eugen
sonst noch alles wusste,
Das zähl ich
hier nicht alles auf.
Worin er ein
Genie gewesen,
Ein Meister
in der Wissenschaft,
Was ihm von
Jugend an Ergötzen
Und Wonne war
und süße Wehmut,
In
sehnsuchtsvollem Müßiggang
Beschäftigt
ihn den ganzen Tag,
Das war die
schöne Kunst der Liebe,
Der
Leidenschaft, die sang Ovid,
Wofür als
Marterzeuge auch
Ovid beendete
sein Leben,
Sein
stürmisches, am Moldaustrand,
Fern seinem
vielgeliebten Rom.
9
(...)
10
Wie früh
schon heuchelte er Liebe,
Verbarg den
Wunsch, die Eifersucht,
Blies Worte
ein, trieb aus Gedanken,
War
schmachtend, ging in Finsternis,
War stolz und
wieder dann gehorsam,
Zuhörend
oder übersehend,
Wie schwieg
er, ach, verzehrt von Gram!
Wie feurig
die Beredsamkeit!
Die
Liebesbriefe doch wie lässig!
Erfüllt von
Einer, Einer nur,
Ganz liebend,
er vergaß sich selbst!
Sein Auge war
voll Zärtlichkeiten,
Verschämt,
verwegen! Manchmal doch
Gehorsam
Tränen schimmerten.
11
Er wusste
immer neu zu scheinen,
Wie scherzend
man die Unschuld neckt!
Er wusste,
wie man spricht verzweifelt,
Er kannte
nette Schmeichelei,
Er nutzte den
Moment der Rührung,
Besiegte
irgendeine Unschuld
Durch
Leidenschaften und Verstand,
Erwartete die
Zärtlichkeit,
Erbat ein
liebendes Bekenntnis,
Vernahm des
Herzens ersten Laut,
Er jagte nach
der Liebe, um
Ein erstes
Treffen zu erreichen,
Um dann beim
Rendezvous die Maid
Zu lehren
schöner Liebe Kunst!
12
Wie früh
schon konnte er die Herzen
Lasziver
Weiber wühlen auf,
Wars Lust
ihm, seine Nebenbuhler
Zu ruinieren!
Ha, wie bös
Verleumdet er
die Nebenbuhler!
Wie legt er
ihnen aus den Fallstrick!
Die lieben
Ehegatten doch,
Sie blieben
allezeit ihm Freund,
Ihm
schmeichelte der kluge Gatte,
Der selbst
einst Schüler des Faublas,
Ihn schätze
auch der alte Greis
Sowie der
aufgeblasne Haushahn,
Der stets
zufrieden mit dem Ich,
Dem
Mittagessen und der Frau.
13, 14
(...)
15
So manchmal
liegt er noch im Bette,
Man
überbringt ihm ein Billett.
Was,
eingeladen? Ja, tatsächlich,
Drei Häuser
bitten ihn zum Fest.
Dort
Kinderfest, dort eine Feier,
Was wird der
Taugenichts nun machen?
Mit wem
beginnen? Ach egal,
Er taucht bei
allen einfach auf.
Erst fährt
er in dem Straßenanzug,
Auf seinem
Kopf den Bolivar,
Zu wandeln
auf dem Boulevard,
Spaziert,
flaniert umher im Freien,
Bis wachsam
ihm der Uhr Geläut
Die Zeit zum
Mittagessen zeigt.
16
Schon dunkel.
Er sitzt in dem Schlitten.
Los! tönt
es. Und von Silberstaub
Des Frostes
schimmert licht der Biber
Des Kragens
an Onegins Rock.
Zu Peter nun,
in der Gewissheit,
Kawerin wird
ihn dort erwarten.
Der Kork
springt aus dem Flaschenhals,
Kometenwein
in Strömen fließt,
Vor ihm steht
blutig schon der Braten
Und Trüffel
auch als Luxuskost,
Der Küche
der Franzosen Preis,
Der leckeren
Pastete Straßburgs,
Dem reifen
Käse Limburgs, streng,
Und Ananas
von gelbem Gold.
17
Noch ruft der
große Durst nach Bechern,
Begießen
muss
man doch das Fleisch!
Die Uhr
verkündet ihm mit Läuten,
Begonnen
schon hat das Ballett.
Er, des
Theaters strenger Richter,
Ein
unbeständiger Verehrer
Der reizenden
Aktricen und
Der Loge
Ehrenbürger, er,
Onegin eilt
nun zum Theater,
Wo jeder voll
Kritikgeist ist,
Beklatschend
einen entrechat,
Kleopatra
auszischend, Phädra,
Moina
anzupreisen laut
(Um selbst
gehört zu werden nur).
18
O Zauberwelt!
In alten Zeiten
Dort
herrschte
der Satire Herr,
Fonwisin,
dieser Freund der Freiheit,
Knazin
nachahmend sehr geschickt,
Dort teilte
Ozerow den Beifall
Und
Freudentränen mit der jungen
Semjonowa und
dort auch ließ
Katenin
wieder auferstehn
Genial
Corneille im Trauerspiele,
Dort ätzend
scharf schuf Schachowskoi
Des
Lustspiels große laute Schar,
Ward Diderot
bekränzt mit Lorbeer.
Und dort, in
der Kulisse Schutz,
Verschwand
auch meine Jugendzeit.
19
Oh meine
Göttinnen! Wo seid ihr?
Vernehmt doch
meinen tristen Gruß!
Seid ihr noch
göttlich? Haben Andre
Euch
abgelöst, euch niemals gleich?
Hör ich von
neuem eure Chöre
Und folge ich
den Seelenflügen
Der
russischen Terpsichore
Mit Blicken?
Oder sieht mein Blick
Nur
Unbekannte auf der Bühne
Und richte
ich mein Opernglas
Enttäuscht
auf eine fremde Welt
Und schau
gleichgültig das Vergnügen
Und kann nur
wortlos gähnen, mich
Erinnern der
Vergangenheit?
20
Gefüllt das
Haus, die Logen glänzen,
Parterre und
Hochsitz, alles kocht,
Die Ungeduld
klatscht im Olympos
Und rauschend
geht der Vorhang auf
Und strahlend
wie ein Geist aus Äther,
Gehorsam
süßen Violinen,
Umgeben von
der Nymphen Chor,
Istomina
steht lächelnd da,
Berührt mit
einem Fuß den Boden,
Dreht mit dem
andern einen Kreis
Und springt
und plötzlich schwebt sie auf
Wie Flaum,
wie Hauch von Äols Lippen,
Figuren führt
ihr Körper aus,
Die schlanken
Füßchen sind im Takt.
21
Und alles
klatscht. Es kommt Onegin
Heran und
drängt sich durchs Parkett,
Voll Unmut
richtend seine Brille
Zur Loge
fremder Damenwelt,
Sein Auge
überfliegt die Ränge,
Er sieht und
ist mit den Gesichtern
Und
Kleidungen zufrieden nicht
Und hat
begrüßt die Herren auch
Und hat dann
schließlich in Zerstreutheit
Geschaut zur
Bühne und gegähnt,
Zeit ist es,
dass man sie ersetze!
Schon lang
ertrug ich das Ballett,
Von Didelot
hab ich genug!
22
Noch springen
lärmend auf der Bühne
Eroten und
Dämonen und
Noch schlafen
müde die Lakaien
Am Tor in
ihrem Biberpelz,
Noch immer
hört man Füßetrampeln,
Sich-Schnäuzen,
Husten, Zischen, Klatschen,
Und noch
verbreiten überall
Die Lampione
helles Licht,
Noch
strampeln aufgeregt die Pferde,
Die
überdrüssig des Geschirrs,
Der Kutscher
an dem Feuer flucht
Der
Herrschaft, ballt die Fäuste zornig.
Onegin aber
ging schon fort,
Sich
umzuziehn fährt er nach Haus.
23
Gelingt es
mir, genau zu malen
Ein Bild vom
einsamen Gemach,
Wo nun der
Mode Musterschüler
Erst aus-,
dann angekleidet wird?
Was das
galante London spendet
Für die
Verschwendungssucht und Laune
Und handelt
gegen Holz und Talg,
Bringts übers
Meer des Baltikums,
Und was
Pariser mit Gelüsten
Erfunden für
den Zeitvertreib
In einem
nützlichen Beruf
Für die
Bequemlichkeit, den Luxus,
All das besaß
im Kabinett
Der
jugendliche Philosoph.
24
Konstantinopels
Bernsteinpfeifen
Und auf dem
Tische Porzellan
Und (Freude
überfeiner Sinne)
Parfüm im
Rosenquarzflakon,
Die
Nagelfeile und die Kämme,
Die graden
und die krummen Scheren,
Und Bürsten
dreißigfacher Art,
Die Bürste
auch für das Gebiss.
Rousseau (nur
nebenbei gesprochen)
Begriff
nicht, wie der edle Grimm
Vor dem
beredten Narren sich
Gereinigt hat
mit einer Bürste.
Im Unrecht
der Apostel war
Der Freiheit
hier in diesem Fall.
25
Man kann ein
Mensch sein voller Tugend
Mit
Fingernägeln ohne Schmutz.
Wozu der
Streit mit dem Jahrhundert?
Gewohnheit
ist doch ein Tyrann!
Onegin war
(dort wie Cadajew,
Sich
flüchtend vor Kritik) in seinem
Gewande war
er ein Pedant,
Lackaffe
nannte man das sonst.
Drei Stunden
stand er vor dem Spiegel
Und kam
heraus dann aus dem Raum,
Wo er sich
angekleidet hat,
Wie eine
locker-leichte Venus,
Wenn
Männerkleidung tragend geht
Die Göttin
auf den Maskenball.
26
Nachdem ich
eurer Augen Neugier
Den
Toilettentisch gezeigt,
So könnt ich
jetzt der Welt der Kenner
Beschreiben
auch Onegins Kleid.
Das aber wär
ein großes Wagnis.
Beschreibung
ist zwar meine Arbeit,
Doch
Pantalons, Gilet und Frack,
Das gibt’s
in unsrer Sprache nicht.
Bekennen muss
ich meine Sünde,
Fremdwörter
wählte ich zu oft
Zum Schmuck
für meinen armen Stil
Und hätte
das nicht machen sollen,
Hab eben
Akademikern
Zu tief ins
Wörterbuch geschaut.
27
Doch das ist
jetzt nicht unsre Sorge,
Wir eilen
lieber gleich zum Ball,
Wohin Onegin
in der Droschke
Hals über
Kopf gefahren ist.
Vor Häusern,
welche dunkel wurden,
Entlang
verschlafnen Straßen streuen
Der Kutschen
Lampione schon
In Reihen
freudenreiches Licht,
Im Schnee wie
eine Iris schillernd.
Und rings mit
Lämpchen übersät
Ersteht voll
Pracht und Prunk ein Haus,
Dort hinter
Fenstern wandeln Schatten
Von
Damenköpfen im Profil
Und
Sonderlingen modisch hübsch.
28
Mein Held,
gefahren bis zur Halle,
Flog am
Portier vorbei, ein Pfeil,
Hinauf flog
er die Marmortreppe,
Fuhr durch
die Haare mit der Hand,
Trat ein. Der
Saal ist voller Menschen,
Musik, des
Lärmens müd geworden,
Die Menge
schon Mazurka tanzt,
Getöse und
Gedränge herrscht.
Dort
Sporenklang der Kavaliere,
Dort hüpfen
Frauenfüßchen hübsch
In
anmutreichem Charme vorbei,
Den Spuren
folgen heiße Blicke.
Der Geigen
Schluchzen übertönt
Geflüster
eitler Frauenwelt.
29
Zur Zeit der
Wünsche und der Freuden
War ich
verrückt nach solchem Ball.
Hier kann die
Liebe man bekennen
Und
Liebesbriefe stecken zu.
O, ihr
verehrten Ehemänner,
Euch biet ich
meinen Dienst an, bitte,
Beachtet
meine Worte doch,
Ich will euch
warnen. Und auch du,
Verehrte
Mama, solltest strenger
Behüten doch
dein Töchterlein,
Halt fest in
Händen dein Lorgnon,
Sonst
nämlich, sonst – doch Gott bewahre!
Dies schreibe
darum ich allein,
Weil ich
nicht mehr der Sünde Knecht.
30
O weh, bei
mancherlei Vergnügung
Verprasst ich
meine Lebenszeit.
Doch wärs
der Tugend nicht zuwider,
Ich ging noch
heute auf ein Fest.
Ich lieb die
ausgelassne Jugend,
Dies Glanz
und Gloria und Freuden,
Das
raffinierte Frauenkleid,
Die hübschen
Füßchen. Aber kaum
Zwei, drei
Paar hübsche Frauenfüßchen
In Russland
aufzufinden sind.
Vergessen
kann ich nicht das Paar
Bezaubernd
hübscher Füßchen, ach,
Ich denk an
sie voll Wehmut immer
Und
melancholisch nachts im Traum
Mit Unruh
füllen sie mein Herz.
31
Wann nur und
wo, in welcher Wüste,
Wahnsinniger,
vergisst du sie?
Wo seid ihr
jetzt? Ach Füßchen, Füßchen,
Wo hüpft ihr
durch das Frühlingsgras?
Umhegt im
weichen Oriente,
Ließt ihr im
Schnee des tristen Nordens
Von eurer
Schönheit keine Spur.
Ihr liebtet
schwelgerisch und süß
Berührung
eines weichen Teppichs.
Ist lange
her, dass ich für euch
Vergaß den
Durst nach Lob und Ruhm,
Vergaß die
Heimat, die Verbannung!
Verschwunden
ist das Jugendglück
Wie auf der
Wiese eure Spur.
32
Dianas Busen,
Floras Backen,
O Freunde,
sie sind voller Reiz!
Terpsichore
mit kleinen Füßchen
Ist reicher
noch an Reiz und Charme!
Das Füßchen
doch verheißt den Blicken
Unschätzbar
reichen Lohn der Minne,
Vielsagend
das Symbol voll Charme
Lockt
eigenwillig Wünsche an.
Ich lieb die
Füße, o Elvira,
O Freundin,
unterm Tischtuch und
Im
jugendlichen Frühlingsgras,
Im Winter
dann vor dem Kamine
Und auf des
Saales Tanzparkett
Und auf dem
Felsen an dem Meer.
33
Ich seh das
Meer noch vorm Gewitter,
Die Wellen
sah ich an voll Neid,
Die rollten
stürmisch hin in Reihen
Und legten
sich vor ihren Fuß.
Wie war ich
voll Begier, wie Wellen
Die Füße
mit dem Mund zu küssen!
Nein, niemals
in der Feuersglut
Der
sturmerfüllten Jugendzeit
War ich so
qualvoll voll Begierde,
Armidas Mund
zu küssen und
Der Wangen
rosenrote Glut
Und Brüste,
o so voller Sehnsucht!
Nein, niemals
hat die Leidenschaft
So Geist und
Herz und Leib gequält!
34
Ich denk an
eine andre Stunde,
Im Tagtraum
manchmal heimlich noch
Heb ich das
Füßchen in den Bügel
Und fühl den
Fuß in meiner Hand
Und schäumend
meine Phantasieen
Entzünden
sich am hübschen Füßchen,
Im welken
Herzen kocht das Blut!
O wieder
Schwermut, wieder Lust!
Genug
gepriesen nun die Stolzen
Mit meiner
Leier Plaudermund,
Sie sind der
Liebe doch nicht wert
Und sind
nicht wert des Lobgesangs,
Zu dem die
Frauen inspirieren.
Die
Meisterinnen der Magie
Betrügen wie
der Füßchen Paar.
35
Und mein
Onegin? Schlummertrunken
Fuhr von der
Feier er ins Bett.
Doch
Petersburg, das unermüdlich,
Ward von der
Trommel schon geweckt.
Der Kaufmann
handelt, Bettler wandelt,
Der Kutscher
strebt zum Platz der Wagen,
Das
Ochta-Mädchen trägt den Krug,
Ihr Füßchen
knirscht im Morgenschnee,
Das Fenster
offen, Rauch des Schornsteins
Als blaue
Säule in der Luft,
Der Bäcker,
akkurat und deutsch,
Als eben
auferwacht der Morgen,
In seiner
Schlafmütz, machte schon
Den Laden auf
und rief: Was gibts?
36
Ermattet von
der Feier Trubel
Onegin macht
den Tag zur Nacht,
Das Kind der
Freuden und des Luxus
Ruht in
bequemer Dunkelheit.
Nach Mittag
wacht er auf und wieder
Geregelt ist
sein Tag bis morgen,
Gleichförmig
immer, dennoch bunt,
Und morgen
ist’s, wie’s gestern war.
Jedoch: War
mein Onegin glücklich
Bei der
Eroberungen Glanz
Inmitten von
alltäglichem Genuss,
Er, frei, in
seines Lebens Blüte?
Konnt er ein
Meister ungestraft
Von
nächtlichen Gelagen sein?
37
Früh war ihm
das Gefühl erkaltet,
Langweilig
ihm der Weltbetrieb,
Die Schönen
blieben ihm nicht lange
Objekte
brennender Begier,
Der Treubruch
schließlich war ermüdend.
Auch Freunde
waren längst schon lästig,
Nicht immer
kann man ja das Steak
Und die
Pastete mit dem Sekt
Begießen und
Bonmots ergießen,
Wenn einem
schon der Schädel brummt.
Er, durch und
durch ein Taugenichts,
Er ward doch
schließlich überdrüssig
Der Liebe,
Freundschaft, des Duells,
Des Dolchs,
des Degens und des Bleis.
38
Die Ursach
dieser Geisteskrankheit?
Ergründen
müssten Ärzte das.
Berühmt ist
ja der Russen Schwermut,
Bei Briten
nennt man das den Spleen!
Die Schwermut
hatte ihn ergriffen!
Doch, Gott
sei Dank, sich selbst zu morden,
Das kam ihm
gar nicht in den Sinn.
Dem Leben
gegenüber kalt,
War finster
er wie Junker Harold
Und stolz wie
der in den Salons.
Nicht
Kartenspiel, Gesellschaftsklatsch,
Kein
Gnadenblick, kein Seufzer schamlos,
Nichts rührte
ihm die Seele an,
Onegin nahm
von nichts Notiz.
39, 40, 41
(...)
42
Euch
kapriziösen stolzen Damen,
Euch ließ er
ja zuerst zurück.
Für unsre
Zeiten ist das Reden
Des Adels
ziemlich abgeschmackt.
Die eine oder
andre Dame
Mag Say und
Bentham zwar erklären,
Doch meistens
ist die Plapperei
Ganz
unerträglich, ohne Sinn.
Dazu sind sie
so voller Kühle,
Sind so
erhaben und so klug,
Erfüllt von
solcher Redlichkeit,
Umsichtig und
so unzugänglich
Für Männer,
dass schon sie zu sehn
Erzeugt in
jedem Fall den Spleen!
43
Auch euch,
ihr jugendlichen Schönen,
Die spät in
einer dunklen Nacht
Verwegne
Wagen fortgetragen
Auf
Straßenpflastern Petersburgs,
Euch hat
Onegin aufgegeben,
Abtrünnig
all den wilden Festen
Onegin schloß
sich ein zu Haus.
Zur Feder
griff mit Gähnen er,
Er wollte
schreiben – aber Arbeit
War ihm ein
Gräuel, also nichts
Entfloss
der Feder. Er geriet
Nicht in die
arrogante Gilde
Der Schar,
die ich nicht schmähen will,
Weil selbst
ich zu der Schar gehör.
44
Erneut
verdammt zu träger Muße,
Gequält von
Ödnis des Gemüts,
Zum Ziel nahm
er das Lobenswerte,
Sich
anzueignen die Vernunft
Der Andern.
Die Armee von Büchern
Las er und
las und doch vergebens.
Nur
Stumpfsinn, Unsinn und Betrug,
Gewissenlos
und ohne Sinn,
Beschränkt
war alle Bücherweisheit.
Das Alte war
jetzt unmodern,
Was neu war,
liebte Altes nur.
Und wie die
Frauen so die Bücher
Verließ er
und das Buchregal
Verhängte er
mit schwarzem Tuch.
45
Als ich mich
von der Welt befreite
Und Abstand
nahm von dem Betrieb,
Da schloss
ich mit Onegin Freundschaft,
Weil sein
Gesicht mir gut gefiel,
Sein Hang zu
stillen Träumereien,
Sein
unnachahmlich seltnes Wesen,
Sein scharfer
schneidender Verstand,
Ich bitter
war, er finster-stolz,
Wie kannten
beide Leidenschaften,
Uns war das
Leben eine Qual,
Erloschen war
des Herzens Glut!
Uns von dem
Anfang an des Lebens
Erwartete der
Menschen Groll
Und der
Fortuna blinder Hass.
46
Wer lebt und
denkt, der kann nicht anders,
Als Menschen
zu verachten. Wer
Je fühlte,
den plagt nicht mit Unruh
Der Schatten
der Vergangenheit.
Kein Zauber
über ihn ist mächtig.
Doch der
Erinnerungen Schlange,
Die Reue nagt
an seinem Geist.
All das
verlieh der Diskussion
Oft große
wunderbare Reize.
Zuerst
verwirrte mich die Art
Zu sprechen,
doch gewöhnt ich mich
Ans
Schlangengift der Wortgefechte
Und seinen
gallebittern Scherz
Und manches
böse Epigramm.
47
Wie oft in
einer Nacht des Sommers,
Wenn über
Newas
Nass
die Nacht
Durchsichtig
ist und seltsam leuchtend
Und doch des
Wassers heitres Glas
Dianas
Angesicht nicht spiegelt,
Gedachten wir
der Abenteuer,
Der Minne der
Vergangenheit.
Empfänglich
wieder, sorglos, neu
Berauschten
wir uns heimlich schweigend
Am Atem der
geliebten Nacht.
Wie ein
Gefangner, der im Schlaf
Zum grünen
Wald aus dem Gefängnis
Befreit ward,
trug auch uns der Traum
Zu unsres
Lebens Anbeginn.
48
Mit einer
schmerzerfüllten Seele
An die
granitne Brüstung da
Gelehnt stand
Eugen in Gedanken,
Wie einst
gedichtet ein Poet.
War alles
still und nur die Wächter
Sich riefen
etwas zu und plötzlich
Von der
Millionnaja drang jäh
Ein Lärm von
Wagenrasseln her.
Ein Boot, die
Ruder sacht bewegend,
Glitt auf dem
träumerischen Fluss,
Uns fesselnd
aus der Ferne klang
Ein Horn, ein
wildes Lied der Liebe!
Doch süßer
in der Nacht erklingt
Torquato
Tassos süßer Sang!
49
Der Adria
geliebte Wellen,
O Brenta!
Sehen werd ich euch,
Inspiration
wird mich erfüllen,
Ich hör die
Stimme voll Magie!
Apollos
Enkeln ist sie heilig,
Durch Albions
erhabne Leier
Mir gut
bekannt, mir lieb und wert.
In Freiheit
möcht ich süß die Nacht
Genießen in
Italien, während
Die
Venetianerin bald schweigt,
Gesprächig
bald die Junge ist,
Wir treiben
hin in schwarzer Gondel,
Mit ihr
gemeinsam spricht mein Mund
Von Amor
Verse wie Petrark.
50
Kommt einst
die Stunde meiner Freiheit?
Ich ruf die
Zeit! Ja, s’ ist die Zeit!
Ich leb in
unbestimmter Hoffnung
Und ruf der
Schiffe Segel her.
Im Kleid des
Sturms, im Streit mit Wellen,
Wann endlich
gehe ich den Kreuzweg
Des freien
Wandelns übers Meer?
Zeit ists,
den öden Wassersaum
Des Elementes
zu verlassen
Und in des
Südens heißen Sand
Nah meinem
lieben Afrika
Zu träumen
von der düstern Heimat,
Wo ich
gelitten und geliebt,
Wo ich
begraben hab mein Herz!
51
Onegin war
bereit zu reisen
In fremde
Länderein mit mir,
Wir beide
wurden dann vom Schicksal
Getrennt für
eine lange Zeit.
Gestorben
damals war sein Vater,
Da sich
versammelt um Onegin
Mit Gier die
Schar der Gläubiger,
Ein jeder
folgt dem eignen Kopf.
Und Eugen,
Abscheu vor Prozessen,
Er schickte
sich in sein Geschick,
Die Erbschaft
andern überließ,
Das war ihm
kein Verlust. Womöglich
Erfuhr er im
Voraus bereits
Von seines
Onkels nahem Tod.
52
Und wirklich,
Eugen hörte plötzlich
Von dem
Verwalter dieses Wort,
Sein Onkel
läg im Todeskampfe
Und wollte
Abschied nehmen noch
Von Eugen.
Der vernahm die Nachricht
Und eilte
also ohne Säumnis
Mit Pferden
zu dem Wiedersehn
Und gähnte
im Voraus bereits,
Da er sich
nun des Geldes wegen
Auf Seufzer
vorbereitete,
Auf
Langeweile, Heuchelei.
Doch als er
kam zum Gut des Onkels,
Lag schon der
Tote aufgebahrt,
An Mutter
Erde ein Tribut.
53
Der ganze Hof
war voll von Dienern,
Aus allen
Himmelsrichtungen
Es kamen
Freunde, kamen Feinde,
Liebhaber von
Begräbnissen.
Der Tote
wurde nun begraben.
Der Pope und
die Gäste schmausten
Und gingen
auseinander dann
Mit
feierlicher Wichtigkeit.
Onegin war
jetzt Landbewohner
Und
unumschränkter Landesherr
Von
Werkstatt, Wasser, Wald und Feld.
Verschwenderischer
Feind der Ordnung
War Eugen
sonst, doch jetzt sein Weg
Nahm eine
neue Richtung ein.
54
Zwei Tage
waren ihm die Felder
In Einsamkeit
der Ländlichkeit,
Die Kühle
dunklen Eichenwaldes
Und
Bachgeplauder Neuigkeit,
Am dritten
Tage interessierten
Ihn nicht
mehr Aue, Hain und Hügel,
Nur müde
machten sie ihn noch
Und endlich
ward ihm völlig klar,
Im Dorf
herrscht auch die Langeweile,
Auch ohne
Straßen und Palast,
Auch ohne
Verse, Karten, Bad.
Da lauerte
auf ihn die Schwermut
Und hängte
sich an Eugen an
Wie eine
treue Ehefrau!
55
Ich ward
geboren für den Frieden
Und für die
Stille der Natur.
Dort schöner
schallt der Leier Stimme
Und
schöpferischer blüht der Traum.
Der Muße
harmlos hingegeben
Ich wandele
an einem Teiche
Und geb mich
süßem Nichtstun hin
Und jeden
Morgen werde ich
Geweckt zur
gleichen frohen Freiheit,
Ich lese
wenig, schlafe viel,
Ich jag nicht
nach dem eitlen Ruhm.
Hab ich nicht
so in frühern Jahren
Im Nichtstun,
in der Ruh verbracht
Die
wundervolle Jugendzeit?
56
O Liebe,
Blumen, Gärten, Muße,
Euch geb ich
meine Seele hin!
Ganz anders
ist
als ich Onegin,
Das stell ich
immer gern heraus,
Dass
nicht ein Leser und ein Spötter
Und irgend
ein Satirendichter
In einem
Spottvers sagen kann,
Was alle Welt
dann wiederholt,
Beschrieben
hätte ich mich selber
Wie Byron,
der Poet, voll Stolz
Sich selber
sang. Als ging es nicht,
Als wäre es
dem Dichter ganz unmöglich,
Von einer
anderen Person
Zu schreiben
liebend im Poem.
57
Und übrigens:
Poeten alle
Sind Freunde
eines Liebestraums.
Ich auch von
lieben Kreaturen
In meiner
Seele träumte und
Bewahrte ihr
geheimes Bildnis
Und dann
belebten sie die Musen.
Auf diese
Weise sorglos sang
Ein Mädchen
aus den Bergen ich
Als Ideal und
die Gefangnen
Vom Ufer des
Galgir. Und jetzt,
Nach wem
sehnt jetzt sich deine Leier?
Wem aus der
hübschen Mädchen Schar
Hast du die
Melodien geweiht?
58
Wes Blick,
Inspiration beflügelnd,
Wes Blick hat
zärtlich dich liebkost
Und so
belohnt dir deine Verse?
Wen hast zur
Göttin du verklärt?
Ich schwöre,
liebe Freunde, keine!
Der Liebe
Wahn, der Liebe Unruh,
Erfahren hab
die Liebe ich.
Glückselig,
wer den süßen Reim
Mit
Liebesglut weiß zu verbinden,
Er wandelt
auf Petrarkas Spur,
Wo die Manie
der Poesie
Verdoppelt
wird, der Schmerz sich lindert,
Dazu noch
Ruhm erworben wird.
Ich aber
liebte dumm und stumm.
59
Die Liebe
floh. Es kam die Muse.
Der düstre
Sinn ward aufgehellt.
Ich suche
neuen Klang harmonisch
Voll von
Gedanken und Gefühl.
Ich schreib,
die Seele ist nicht traurig,
Ich zeichne
nicht mit meinem Stifte
Bei einem
unvollkommnen Vers
Das
Körperteil von einer Frau.
Aus kalter
Asche steigt kein Phönix.
Es fließen
keine Tränen mehr
Und bald legt
sich im Herzen auch
Der letzte
Windstoß großen Sturmes
Und dann
beginn ich ein Poem
Mit
vierundzwanzig Cantica.
60
Erdacht ist
schon der Plan des Epos,
Ich weiß
schon, wie der Heros heißt.
Das erste von
den drei Kapiteln
Des
Versromans ist fertig nun.
Ich habe
alles durchgesehen,
Es wimmelt
noch von Widersprüchen,
Doch lasse
ich sie alle stehn.
Gebt der
Zensur, was der Zensur!
Mein Werk geb
ich den Journalisten,
Den Kritikern
für die Kritik.
Geh an der
Newa
Ufersaum,
Du meine
neugeborne Dichtung,
Zank,
Unverständnis, Schmähungen!
ZWEITER GESANG
1
Wo Eugen
Trübsal blies, das Ländchen,
Das war ein
schöner Erdenfleck.
Ein Freund
unschuldiger Vergnügen,
Er hätte
Gott dafür gedankt!
Allein im
Ländchen lag das Gutshaus,
Vorm Winde
schützte es ein Hügel,
Es stand an
einem Fluss.
Vor ihm
Erschimmerten
in Blütenpracht
Die Wiesen
und die goldnen Äcker,
War hier und
dort ein Teich zu sehn,
Die Herden
grasten in dem Grün,
Verwildert
auch ein großer Garten
Gab Schatten
vor der Sonnenglut,
Der Elfen
stiller Aufenthalt.
2
Der
Herrensitz war gut gestaltet
So wie es
sich gehört, bequem
Und ausgebaut
für lange Dauer
Im Stil der
guten alten Zeit.
Es waren
drinnen hohe Zimmer,
In dem Salon
Damasttapeten,
Dort an der
Wand des Zaren Bild,
Am Ofen
Kacheln blau bemalt.
All das ist
heute längst veraltet,
Warum, das
weiß ich wirklich nicht.
Doch meinem
Freunde Eugen war
Gleichgültig
alles dieses Schöne,
Moderne oder
Altertum.
3
Er ließ sich
in dem Zimmer nieder,
Wo einst der
Gutsbesitzer sich
Mit seiner
Hausmagd immer zankte,
Wo er zum
Fenster sah hinaus
Und tötete
die Stubenfliegen.
Von
Eichenholz die Diele, Schränke,
Ein weiches
Sopha und ein Tisch
Und nirgendwo
ein Tintenklecks...
Onegin
öffnete die Schränke,
Dort ein
Notizbuch übers Geld,
Dort ein
Likör, dort Apfelsaft,
Von
Achtzehnhundertacht das Jahrbuch.
Der Alte
hatte viel zu tun,
Er sah sich
an kein andres Buch.
4
Allein in
seinem Eigentume,
Um
totzuschlagen öde Zeit,
Sein Plan
war, eine neue Ordnung
Der
Wirtschaft einzuführen, so
Ein
hinterwäldlerischer Weiser,
Ersetzte er
das Joch des Frondiensts
Durch eine
kleine Steuer, dies
Verdankte dem
Geschick der Knecht.
In seinem
Geiz jedoch der Nachbar
In seinem
Winkel schmollte nun.
Die Neuerung
schien schädlich ihm.
Ein andrer
lächelte verschlagen.
Und alle
waren einig sich,
Dass
er ein Idiot, ein Tor!
5
Am Anfang
kamen noch Besucher.
Sobald Onegin
hörte doch
Die
selbstgemachten Kutschen poltern
Heran die
längliche Allee,
Bestieg er an
dem Hinterausgang
Den
Zuchthengst von dem Don, enteilte.
Man kündigt
ihm die Freundschaft auf,
Durch sein
Verhalten tief gekränkt.
Der Nachbar
ist ein schlimmer Finger!
Ein Tor! Ein
Freigeist! Er säuft Wein
Gleich
flaschenweise! Damen küsst
Er nicht die
Hand, sagt Ja und Nein nur,
Nicht Ja, o
Herrin, Herrin, Nein!
So raunte die
Vox Populi.
6
Zu der Zeit
kam ein neuer Gutsherr
Gefahren ein
in seinen Hof.
Den prüften
gleichfalls auch die Nachbarn,
Sie prüften
Nieren ihm und Herz.
Sein Name war
Wladimir Lenski,
Von Göttingen
kam seine Seele,
Der in des
Lebens Blüte stand,
Verehrte
Schelling, war Poet,
Sah gut aus.
Aus dem Nebeldeutschland
Er brachte
mit Gelehrsamkeit,
Von Göttin
Freyheit träumte er,
War ungestüm
und dachte seltsam,
Enthusiastisch
war sein Wort,
Lang war die
schwarze Lockenflut.
7
Im Froste der
verderbten Menschheit
War er bisher
noch nicht verwelkt.
Warm seine
Seele war beim Freunde,
Bei eines
jungen Mädchens Blick!
Naiv war er
in Herzensfragen,
Inbrünstig
liebte er die Hoffnung!
Des Erdballs
Gloria und Glanz
Noch
fesselten den jungen Geist,
Die Zweifel
brachte er zum Schweigen
Durch Träume
seiner Phantasie.
Ein Rätsel
war das Leben ihm,
War ein
verlockendes Geheimnis,
Und stets
zerbrach er sich den Kopf
Und ahnte
Wunder überall.
8
Dass
die verwandte Seele werde
Sich ihm
verbinden, glaubte er,
Die immer
ungetröstet schmachtend
Ersehne ihn
an jedem Tag.
Bereit die
Freunde wären sicher,
Für ihn zu
gehen in den Kerker,
Und zögern
wird nicht ihre Hand,
Zu treffen
seines Feindes Haupt!
Es gibt vom
Schicksal Auserwählte –
(...)
9
Empörung,
Mitleid, reine Liebe,
Die wahre
Liebe guter Tat,
Die süße
Qual des Dichterruhmes
In Wallung
brachten ihm sein Blut.
Die Welt
durchstreifte seine Leier,
Beim Stern
von Wieland und von Goethe
Die Seele des
Poeten sich
Entzündete
an Dichterglut,
Und die
erhabne Kunst der Musen,
Dem
Glückskind war sie nicht zur Schmach,
Er sang der
Liebe Lieder nur
Mit den
erhabensten Gefühlen,
Mit Phantasie
und Leidenschaft
Und reiner
Einfalt voll Magie.
10
Der Liebe
Sklave, sang er Liebe,
Sein
Liebeslied war rein und klar
Wie die Idee
der reinen Jungfrau,
Wie eines
Kindes Traum, der Mond
(O Göttin
heimlich-sanfter Seufzer)
Am
einsam-öden Firmamente.
Von Trennung
sang er und von Schmerz,
Sang
Irgendeines, das ihm fern,
Er sang die
Rose der Romantik,
Er sang von
märchenfernem Land,
Er sang von
der Geborgenheit
Der Stille
und von heißen Tränen.
Des Lebens
Welken sang er schon,
Der
achtzehnjährige Poet.
11
In dieser
Wildnis, wo Onegin
Allein den
Lenksi schätzen konnt,
Da war das
Festmahl bei den Reichen
Ihm ganz und
gar nicht nach Geschmack.
Er floh die
laute Unterhaltung,
Die ach so
nüchternen Gespräche.
Sie sprachen
über Heu und Bier,
Die Hunde,
die Verwandtschaft und
Sie sprachen
ohne tiefes Fühlen
Und ohne alle
Poesie
Und ohne
Klugheit und Vernunft
Und ohne
Kunst des schönen Gastmahls.
Der Schwatz
der hübschen Weiber war
Vor allem
Mangel an Vernunft.
12
Doch reich
und schön, so wurde Lenski
Als Freund
empfangen überall,
So wie es auf
dem Lande üblich.
Die Mutter
ihrem Töchterlein
Erwählte zum
Gemahl den Deutschen.
Und steht er
wo, gleich wird im Plaudern
Ein Wörtlein
eingeflochten, wie
So öd lebt
doch ein Hagestolz –
Man bittet
ihn zum Samoware,
Den heißen
Tee schenkt Dunja ein,
Man flüstert:
Dunja, guck mal hin!
Dann bringt
man Dunja ihre
Geige,
Sie flötet –
Herr, erbarme dich! –
Komm zu mir
in mein goldnes Schloss!
13
Doch Lenski
fühlt sich nicht berufen
Zum
vielgepriesnen Ehejoch.
Er wollte
lieber mit Onegin
Die
Freundschaft pflegen voller Geist.
So also
trafen sich die beiden.
Wie Stein und
Welle, Vers und Prosa,
Die Flamme
heiß, das kalte Eis,
So groß
fürwahr der Gegensatz.
Zu Anbeginn,
da sie sich ungleich,
Da spürten
Langeweile sie,
Bis sie
empfanden Sympathie,
Sie täglich
ritten aus zu Pferde.
So werden
Leute, schwör ich euch,
Zu Freunden,
weil sie nichts zu tun!
14
Doch solche
Freundschaft ist nicht wahrhaft.
Wenn abgelegt
die Illusion,
Erkennen alle
wir als Nullen
Und uns als
heilige Person,
Wir sehen uns
wie Bonaparte,
Die Myriaden
Menschentiere
Sind für uns
Mittel nur zum Zweck,
Gefühle sind
uns Wahnsinn nur.
Onegin war da
toleranter,
Er wusste,
wie die Menschen sind,
Wie allgemein
verachtenswert,
So ehrte er
doch manchmal einen
Und
respektierte, wenn auch kühl,
Des Menschen
Denken und Gefühl.
15
So lauscht er
lächelnd seinem Lenski,
Der Dichter
schwärmte exaltiert,
Im Urteil
sein Verstand war schwankend
Und stets
begeistert war sein Blick.
Das war was
Neues für Onegin.
Ihn nicht zu
desillusionieren
Hielt er
zurück der Zunge Wort
Und dachte:
Ach das wäre dumm,
Ihm die
Verzückungen zu stören,
Das tut die
Zeit doch ohne mich,
Im Glauben
soll er leben doch
An die
Vollkommenheit der Menschheit,
Verzeihen wir
dem Fieberwahn
In seiner
jugendlichen Glut.
16
Sie
diskutierten über alles
In
aufgeregter Reflexion,
Verträge
früherer
Geschlechter
Und
Wissenschaft und Gut und Bös,
Die
Vorurteile des Jahrhunderts,
Das
Schicksal, Werden und Vergehn,
Und die
Geheimnisse des Grabes,
Geheimnisse
verhängnisvoll,
Sie sprachen
drüber Richtersprüche.
Dann
rezitierte der Poet
Aus seinem
nordischen Poem
Passage
selbstvergessen, milde
Onegin hörte
höflich zu
Und doch
verstand er nichts davon.
17
Doch oft auch
nahmen Leidenschaften
Die
Männerköpfe in Beschlag,
Der wilden
Stürme Macht entkommen
Onegin sprach
von Leidenschaft
Mit einem
Seufzer des Bedauerns.
Heil, wer die
Leidenschaft geschmeckt hat
Und
schließlich sich von ihr befreit!
Heil doppelt,
wer sie nie gekannt!
Heil, wer die
Liebe durch den Abschied,
Die
Feindschaft durch den Hohn gekühlt!
Heil, wer mit
Freund und Gattin gähnt,
Wird nicht
von Eifersucht gefoltert,
Heil, wer des
Vaters Kapital
Nicht
anvertraut dem Börsen-Gott!
18
Ja, wenn wir
unters blaue Banner
Der weisen
Ruhe flüchteten –
Der
Leidenschaften Glut erloschen
Und Laune
oder Raserei
Und spät der
Leidenschaften Echo
Bereits uns
lächerlich erscheinen,
Wir hören
doch (nicht ohne Qual
So
abgeklärt!) noch manchmal gern
Die Stimme
fremder Leidenschaften,
Dann schlägt
uns schneller unser Herz.
Der alte
Invalide leiht
In seiner
Hütte so begierig
Dem jungen
Schnurbartträger doch
Und seinen
Reden noch sein Ohr.
19
So
leidenschaftlich ist die Jugend,
Kann nichts
für sich behalten, Leid,
Has,
Liebe, Wonne, alles plaudert
Die Jugend
aus. Onegin hielt
Sich schon
für einen Invaliden
Der
Leidenschaft. Mit ernster Miene
Er hörte zu,
wie der Poet
Sein
Innerstes nach außen kehrt,
Sein Herz
ergießt und sein Gewissen
Dem Freunde
legte völlig bloß.
Onegin hörte
den Bericht
Der jungen
Liebe, die Erzählung,
An liebenden
Gefühlen reich.
Die sind uns
lang schon nicht mehr neu.
20
Er liebte,
wie in unsern Tagen
Man nicht
mehr liebt, ach, wie allein
Wahnsinnigen
Gemüts ein Dichter
Zu
Liebesgluten ist verdammt!
Ach, immer
nur dies eine Traumbild!
Ach, allezeit
die Eine Sehnsucht!
Wie tief
vertraut die Traurigkeit!
Ob auch der
Dichter ferne weilt,
Ob lang die
Zeit der Trennung dauert,
Der Musen
Weihestunden nicht,
Nicht fremder
Länder Herrlichkeit,
Nicht
Lustbarkeit noch Wissenschaften
Verändern
einen Dichter je,
Die Seele
voller Liebesglut!
21
Als Knabe
ward er schon gefesselt
Von Olga,
ohne noch die Qual
Der
Liebesglut zu kennen, Lenski
Verfolgt
gerührt ihr Kinderspiel,
Im Schatten
eines Rosenhages
Er teilte
allzeit ihr Vergnügen.
Die Väter
hatten beide schon
Bestimmt zum
ehelichen Paar.
Im Schutz des
Hauses, unter Bäumen,
Voll
Unschuldszauber blühte sie,
Der Mutter
Augen wachten, sie
War wie des
Maien Glockenblume,
Verborgen in
dem grünen Gras,
Versteckt
vor jedem Schmetterling.
22
Sie schenkte
ihrem Dichter Lenski
Als Traum die
erste Huldigung,
Den der
Gedanke an das Kind verzückte,
Beseelt ward
seine Leier so.
Adieu, ihr
goldner Leier Spiele!
Er liebte
dichte Buchenwälder,
Der Stille
Abgeschiedenheit,
Die Nacht,
die Sterne und den Mond,
Frau Luna,
keusche Himmelsleuchte,
Der unseren
Spaziergang wir
Am Abend
weihten und den Tau
Der Tränen,
Trost geheimer Leiden...
Heut sehen
wir in Luna nur
Ersatz für
das Laternenlicht.
23
Bescheiden
und gehorsam immer,
So heiter wie
der Morgenglanz,
So
offenherzig wie ein Dichter,
Gewinnend wie
der erste Kuss,
Blauäugicht
wie ein lichter Himmel,
Das Lächeln
süß, wie Gold die Locken,
Die Stimme
sanft, der Körper schlank –
Ja, das war
Olga! Nehmt zur Hand
So einen
Schmachtroman, ihr findet
Ihr Bild
darin, es ist sehr süß,
Ich hab es
selbst einmal geliebt,
Heut macht es
mir nur Langeweile.
Erlaube,
lieber Leser, mir,
Dass
ich die Schwester nun besing.
24
Tatjana hieß
die Schwester, Tanja.
Zum ersten
Male schmücken wir
Mit diesem
Namen eigenmächtig
Die Seiten
eines Verspoems.
Was ist
dabei? Er ist doch klangvoll,
Untrennbar
ist damit verbunden
Erinnerung an
alte Zeit,
Dienstmädchenzimmer.
Wir gestehn,
Dass
selbst in unsrer Namensgebung
Wir zeigen
nicht sehr viel Geschmack
(Von unsern
Versen abgesehn).
Nichts blieb
zurück vom Humanismus
Als nur ein
affektierter Stil,
Sonst blieb
uns von der Weisheit nichts.
25
Tatjana war
ihr Name also.
Sie hatte
nicht der Schönheit Glanz
Der
Schwester, ihre Rosenfrische,
Sie lenkte
nicht den Blick auf sich.
Scheu war
sie, traurig war sie, schweigsam.
Sie war so
furchtsam wie die Hindin.
Die eigene
Familie selbst
Empfand sie
wie ein Waisenkind.
Sie wusste
nichts von Zärtlichkeiten
Für Vater
und für Mütterchen,
Selbst Kind,
sie hatte keine Lust
Mit andern
Kindern rumzutoben,
Und oft saß
sie den ganzen Tag
Am Fenster
schweigend und allein.
26
Nachdenklichkeit
war ihre Freundin
Schon seit
der frühen Kinderzeit,
Mit
Träumereien sie verschönte
In der Natur
die Mußezeit.
Die Finger
hielten keine Nadeln
Und nie
bestickte sie die Leinwand
Mit
musterhafter Stickerei.
Ein Mädchen
sonst ja schon als Kind
Doch übt
sich in der Frauenherrschaft
Und spielend
an der Puppe übt
Gesellschaftskonventionen,
spricht
Der Puppe zu
mit ernster Miene
Und
wiederholt dem Püppchen, was
Die strenge
Mutter sie gelehrt.
27
Doch selbst
in diesen Kinderjahren
Nahm keine
Puppe sie zur Hand
Und sprach
nicht über Neuigkeiten
Und Mode aus
der Stadt mit ihr.
Auch waren
fremd ihr Kinderstreiche.
Mehr liebte
schreckliche Geschichten
Tatjana in
der Winternacht,
Gefangen
nahmen die ihr Herz.
Und wenn die
Kinderfrau für Olga
Versammelte
die Freundinnen,
Tatjana
spielte niemals mit,
Langweilig
war ihr das Gekicher,
Das Lärmen
dieser kindischen
Belustigung
der Freundinnen.
28
Sie liebte
es, auf dem Balkone
Den
Sonnenaufgang anzuschaun,
Wenn an dem
blassen Himmelsäther
Der Sterne
Reigentanz erblasst,
Wenns lichter
wird am Horizonte,
Der Wind
beginnt zu blasen, langsam
Der Tag
heraufsteigt in der Früh.
Im Winter,
wenn die lange Nacht
Beherrscht
die Hälfte dieser Erde,
Untätig
still der Osten ruht,
Verhüllt im
Nebelkleid der Mond,
Untätig
alles ruht im Stillen,
Dann wurde
sie schon frühe wach
Und stand
beim Licht der Kerzen auf.
29
Schon früh
gefielen ihr Romane,
Ersetzten
beinah alles ihr.
Verliebt war
sie ins schöne Blendwerk
Des
Richardson und des Rousseau.
Ein braver
Mann ihr Vater, aber
Er war vom
vorigen Jahrhundert,
Ein Buch
schien niemals schädlich ihm,
Da er ja
niemals selber las,
Hielt Bücher
er für ungefährlich
Und kümmerte
sich nicht darum,
Was für ein
Buch die Tochter las,
Was für ein
Buch lag unterm Kissen.
Auch seine
Frau versessen war
Auf diesen
süßen Richardson.
30
Sie liebte
Richardson nicht deshalb,
Weil sie
gelesen den Roman,
Nicht weil
sie Grandison bevorzugt
Dem Lovelace,
sondern weil dereinst
Prinzess
Alina, die Cousine
Aus Moskau,
von dem Buche schwärmte.
Zu der Zeit
war sie schon verlobt
Dem Mann, ob
sie’s auch nicht gewollt.
Sie sehnte
sich nach einem andern,
Der klüglich
ihre Phantasie
Mit Herz und
Geist erregte mehr.
Der Grandison
war wirklich Dandy,
Er war ein
Spieler am Roulett
Und
jugendlich und ein Gardist.
31
Wie jener,
trug auch sie die Kleidung
Geschmackvoll,
prächtig und modern.
Doch ohne
weiter sie zu fragen,
Man führte
sie zum Traualtar.
Drauf zog
verständnisvoll der Gatte,
Um ihren
Kummer zu zerstreuen,
Aufs Land, wo
sie, wer weiß von wem
Umgeben,
weinte viel zuerst
Und dann sich
ihre Haare raufte,
Verlassen
hätte fast den Mann,
Sich widmete
dem Haushalt dann,
Gewöhnte
sich an ihre Lage.
Gewohnheit
hat uns Gott geschickt,
Gewohnheit
als Ersatz fürs Glück.
32
Gewohnheit
linderte die Schmerzen,
Die sonst
nicht zu betäuben sind.
Doch dann
entdeckte sie die Tröstung,
So fand sie
den vollkommnen Trost,
Entdeckte
einfach das Geheimnis,
Wie sie
beherrschen kann den Gatten
In
unumschränkter Tyrannei,
Dass
alles wie am Schnürchen lief.
Sie schaute
auf den Fleiß der Bauern,
Legt Pilze
für den Winter ein,
„Rasierte
Spatzen“, führte Buch,
Ging jeden
Samstag in die Sauna,
Schlug
oftmals wütend ihre Magd
Und fragte
nichts nach ihrem Mann.
33
Mit Blut
bisweilen schrieb sie Verse
Den jungen
Mädchen in ihr Buch,
Praskowja
nannte sie Paulina,
Ihr Tonfall
war wie ein Gesang.
Eng schnürte
sie die Brust im Brusttuch,
Sprach
russisch wie man spricht französisch,
Sprach
näselnd durch die Nase aus.
Bald hörte
doch dies alles auf,
Vers,
Brusttuch und Prinzess
Alina,
Die
Zärtlichkeit, der Mädchen Buch,
Vorbei!
Celine wieder hieß
Alkulka. Dann
erfuhr die Weihe
Des
Schlafrocks Watte warm und weich,
Die
Schlafmütz wurde eingeweiht.
34
Doch zärtlich
liebte sie ihr Gatte,
Er kam nicht
hinter ihre List,
Vertraute
sorglos ihr in allem
Und aß und
trank im Morgenrock,
Sein Leben
floss
dahin in Ruhe,
Des Abends
manchmal sich versammelt
Die
Nachbarschaft, ein trauter Kreis,
Ganz ohne
alle Förmlichkeit,
Zu
lamentieren und zu lästern,
Zu spotten
über den und die.
Die Zeit
vergeht. Und Olga kocht
Den Tee, dann
kommt das Abendessen,
Dann war es
Zeit zu Bett zu gehn.
Die Gäste
fahren von dem Hof.
35
Sie hüteten
im Friedensleben
Die Bräuche
der Vergangenheit,
Es kam da in
der Butterwoche
Der
Honigkuchen auf den Tisch,
Zweimal im
Jahre war das Fasten,
Man liebte
Schaukeln, liebte Tänze,
Wahrsagesprüche
hörte man,
Zu Pfingsten
dann das Kirchenvolk
Mit Gähnen
hörte die Gebete,
Man weinte
Tränen leicht gerührt
Auf seinen
Pfingststrauß duftend bunt,
Man brauchte
Ziegenmilch notwendig,
Trug
ordentlich die Speisen auf
Und achtete
die Hierarchie.
36
Und also
altern sie zusammen
Und
schließlich tat sich dem Gemahl
Die Pforte
auf, die Grabespforte
Und er erwarb
sich seinen Kranz.
Er starb kurz
vor dem Mittagessen,
Beweint von
Nachbarn und von Freunden,
Von seinen
Kindern, seinem Weib
(Und mancher
heuchelte sein Leid...)
Er war ein
schlichter Herr gewesen.
Ein Grabstein
meldete die Schrift
Dort, wo die
Überreste ruhn,
Der arme
Sünder Dmitri Larin,
Ein Brigadier
und Gottesknecht
Hier unter
diesem Steine ruht.
37
Versammelt so
zu seinen Vätern,
Besuchte
Lenski manchmal ihn,
Gedachte an
dem Grab des Mannes
Und seufzte
seinem Staube nach
Und schwer
wars ihm in seiner Seele.
Poor Yorick!
rief er dann untröstlich,
Er hielt mich
doch an seiner Hand,
Wie oft hab
ich als Kind gespielt
Mit seiner
silbernen Medaille!
Er hatte Olga
mir bestimmt,
Oft sprach
er: Seh ich noch den Tag...?
Erfüllt von
tiefgefühlter Trauer,
Schrieb
Lenski noch in jener Nacht
Dem armen
Mann ein Requiem...
38
Mit einem
Epitaph verehrte
Mit nassem
Auge er den Staub
Des Vaters
und der frommen Ahnen...
Ach in des
Lebens Ackerfeld
In einer
raschen Ernte sprießen
Und welken
fast zu gleicher Stunde
Die
menschlichen Geschlechter hin,
Die Vorsicht
Gottes lenkt den Weg,
Und andre
folgen ihren Spuren.
Die Väter
treibts ins Grabesloch!
Auch uns wird
kommen bald die Zeit,
Auch uns wird
unsre Stunde schlagen,
Da uns der
Kindeskinder Schar
Hinausdrängt
fröhlich aus der Welt!
39
Doch gebt
euch hin dem bunten Leben,
Dem heitern
Leben, Freunde mein!
Die Vanitas
ist zu durchschauen,
Ach, wenig
hält mich noch zurück.
Die Augen
schließ ich Luftgespinsten,
Doch manche
längst entschwundne Hoffnung
Versetzt in
Unruh immer noch:
Zu
hinterlassen eine Spur,
Bevor ich
scheide von der Erde!
Ich schreibe
nicht für Menschenlob,
Doch möcht
ich gerne mein Geschick
Berühmt noch
machen, ach, mein Schicksal!
Zumindest
meine Poesie
Soll dann
erinnern noch an mich.
40
Ob meine
Verse Herzen rühren?
Ob meine
Strophe wird bewahrt?
Ob meine
Dichtung wird vom Schicksal
Bewahrt vorm
blinden Lethefluss?
Vielleicht, o
schmeichelhafte Hoffnung,
Zeigt einmal
irgend so ein Dummkopf
Auf meinen Kopf auf einem Buch:
Das war ein
Dichter! Ein Prophet!
So will ich
also dir heut danken,
Du meiner
Muse treuer Freund,
Dass
du bewahrt mein Verspoem,
Verehrer du
der Pieriden,
Du, dessen
Hände liebevoll
Mir
streicheln meinen Lorbeerreis!
DRITTER GESANG
1
Heil, wer in
seiner Jugend jung war,
Heil, wer
dann reif geworden ist,
Heil, wer es
mit den Jahren lernte,
Wie man des
Lebens Frost erträgt,
Wer sich
nicht hingab irren Träumen,
Wer nicht
gemieden hat den Pöbel,
Wer jung ein
wahrer Schönling war,
Mit dreißig
nahm ein Eheweib,
Mit vierzig
seine Schulden los ward,
Wie groß der
Schuldenberg auch war,
Wer warten
konnt auf Ehre, Geld,
Bis die
Karriere ihm gelungen,
Er war doch
ein gescheiter Kerl!
2
Heil, wer
vernahm die ernste Stimme
Der irdischen
Notwendigkeit,
Der wallte
auf der breiten Straße,
Der breiten
Straße dieser Welt,
Wer tüchtig
zu dem Ziele strebte
Und wusste
wohl, warum er lebte.
Glückselig
ist, wer seinen Geist
Ganz
übergeben seinem Gott
Als Gottes
Sklave oder Krieger!
Sprach
Seneca: Wir leben nur
Zum Nutzen
unsres Nächsten und
Um Gutes auch
zu tun uns selber.
Doch weh, wer
fünfzig Jahr alt wird,
Blickt nur
zurück auf Vanitas!
3
Dann
schmerzlich denkt man, wie vergebens
Man lebte
doch in dieser Welt,
Die Nase
steckte unermüdlich
In alles,
stets sein Urteil sprach,
Wo reizbar
heiße Charaktere
Beleidigten
die eitle Torheit
Und stets
erzählten einen Witz,
Ein Geist,
der Freiheit liebt, beengt
Wird von der
Torheit, wo wir immer
Statt Taten
finden Worte nur,
Wo Torheit
dreist und böse ist,
Der ernste
Mann zu ernst nimmt Unsinn
Und wo nur
Mittelmäßigkeit
Uns nicht
erfüllt mit bitterm Neid.
4
Wird man zum
Gegenstand des Urteils,
Mein Freund,
da gibst du mir wohl recht,
So ist es
freilich unerträglich,
Zu gelten als
ein Sonderling,
Dem Irrenhaus
entlaufner Irrer,
Als schlimmer
Finger oder Dämon
Und gar der
Hölle Ausgeburt...
Onegin, ihm
gilt dies mein Lied,
Nachdem er
seinen Freund getötet
Und ohne Ziel
und Arbeit trieb
Schon
achtundzwanzig Jahr dahin
Und sich in
tatenloser Muße
Gepeinigt
ohne Dienst und Frau,
Er dachte
nicht an Tätigkeit.
5
Er war es
reichlich überdrüssig,
Als ein
Vampir herumzugehn,
Zu tragen
irgendeine Maske.
Erwacht war
in der Regenzeit
Der Patriot
in ihm: O Russland!
Ja, Russland
fand sein Wohlgefallen!
Beschlossen
ists: Er ist verliebt
Und fabelt
nur noch von der Rusj.
Veraltet ist
ihm die Europa
Und ihre
falsche Politik
Und ihre
würdelose Hast.
Rusj wird er
sehn in Wald und Feld,
Einöde,
Stadt und Meer, o Rusj!
6
Gerüstet war
er für die Reise.
Gott Lob! An
einem Julitag
Onegin trug
der leichte Wagen,
Voran
gespannt ein Pferdepaar.
Inmitten
einer weiten Wüste
Erscheint ihm
Nowgorod, die Große.
Die Plätze
still, die Glocken still,
Die Rebellion
ist längst verstummt.
Es schleichen
nicht mehr Riesenschatten
Und nicht der
Schwedenkrieger mehr
Und nicht der
alte Jaroslaw,
Es herrscht
nicht mehr der Schrecken Iwan,
In Demut
neigt die Kirche sich,
Da brodelt es
von altem Volk.
7
Ach
Überdrssuß!
Ach ekler Missmut! –
Onegin will
jetzt eilig fort.
Jetzt tauchen
flüchtig auf die Schatten
Von Waldai,
Torsork und von Twer.
Aufdringlich
alte Bäuerinnen
Verkaufen ihm
die Fastenbrezel,
Er kauft ein
Plüschpantoffelpaar.
Im Schlaf
geht er am Ufersaum
Der stolzen
Wolga! Pferde jagen
Auf dem
Gebirge, an dem Fluss,
Werstpfähle
stehen buntgestreift,
Die
Wagenkutscher pfeifen, fluchen,
Staub wirbelt
auf. Schon wacht Eugen
In der
geliebten Moskau auf.
8
Die goldne
Moskau grüßt Onegin
Hochmütiger
Geschäftigkeit,
Verlockt
Eugen mit jungen Mädchen,
Bewirtet ihn
mit Suppenkohl.
Die Briten in
der Clubversammlung
(Erprobt ist
die Nation der Briten)
Drischt
leeres Stroh. Onegin ist
Versunken in
Nachdenklichkeit.
Man schaut
auf ihn. Er gilt als Rätsel,
Er wird zum
Thema des Gerüchts.
Die goldne
Moskau denkt an ihn
Und denkt, er
sei Spion im Hause
Der Liebe.
Verse macht man schon
Und macht zum
Freier unsern Freund.
9
Ach
Überdruss,
ach ekler Missmut! –
Er will in
Minins Heimat nur...
Markajew
treibt in wilder Unrast,
Es brodelt
hier der Überfluss.
Der Inder
kommt mit Perlenschnüren,
Europa kommt
mit seinem Essig
Und aus der
Steppe treibt der Hirt
Hierher sein
vielgeliebtes Pferd,
Die Spieler
bringen Kartenspiele,
Gehorsam auch
ein Würfelspiel,
Der Landmann
zeigt die reifen Töchter,
Die Tochter
führt die Mode vor,
Sie rennen,
lügen wie die Presse,
Und in der
ganzen bösen Welt
Herrscht
überall das Geld als Gott!
10
Ach
Überdruss!
Ach ekler Missmut! –
(...)
11
Er wartet nur
auf schönes Wetter.
Schon ruft
ihn Wolga: Mütterchen!
O Mütterchen
der Seen und Flüsse!
O Mütterchen,
Urmütterchen!
Die Wolga
ruft ihn auf die Wellen
Und ruft ihn
unter Leinensegel,
Den Willigen
verlockt man leicht.
Er mietet
sich ein Handelsschiff
Und fährt
hinab die Wolgawellen.
Die Wolga
schwillt. Ein Mann dort stützt
Sich auf der
Hakenstange Stahl.
Man singt mit
Schwermut in der Stimme
Von Stenka
Rasins Räuberschar,
Der Mutter
Wolga färbte rot.
12
Ein Lied von
unerbetnen Gästen,
Die raubten
und die mordeten!
Doch zwischen
seinem Sand der Steppe
Und seiner
Wasser Salz erhebt
Sich
Astrachan so handelstüchtig.
Doch kaum
vertiefte sich Onegin
In die
Erinnrung aller Zeit,
Wird er
begrüßt von Sonnenglut
Des Südens
und den frechen Mücken,
Von
Mückensurren rings umsummt,
Gerät in Wut
Eugen, verlässt
Das
Treibsand-Ufer unverzüglich,
Vom
Kaspischen Gewässer fort!
Eugen reist
in den Kaukasus.
13
Heil dir, dem
Alten! Heil dem Kranken,
Auf dem die
Hand des Schicksals liegt!
Ich bin
gesund und jung, in Freiheit!
Was kommt?
Nur Missmut, Überdruss!
–
Lebt wohl,
ihr hohen Schneegebirge,
Leb wohl,
Kuban mit deinen Ebnen!
Zu andern
Ufern fährt er nun,
Von Taman
kommt er an die Krim,
Ein Land, das
heilig ist den Träumen,
Dort stritt
Pylades mit Orest,
Dort ist des
Mithridates Grab,
Wo Mickiewicz
sang seine Verse
Und wo er
sich erinnerte
Am Ufer an
sein Baltikum.
14
Wie herrlich
ist der Tauris Ufer,
Wenn man sie
schaut vom Schiffe aus
Im lichten
Glanz des Morgensternes,
Wie ich sie
sah zum ersten Mal,
Sah sie in
hochzeitlichem Lichtglanz,
Im Licht des
himmelblauen Himmels
Die großen
Berge schimmerten,
Aus Tälern,
Bäumen, Dörfern dort
Ein Muster
sah ich ausgebreitet,
Und bei den
kleinen Hütten, ach –
In mir
erwachte Liebesglut!
In welcher
wundersamen Wehmut
Zog doch
zusammen sich mein Herz!
Doch weg mit
der Vergangenheit!
15
Was ich auch
damals heimlich fühlte,
Jetzt ist es
nicht mehr mein Gefühl.
Verändert
hat sich die Empfindung.
Ruh sanft,
verflossner Jahre Qual!
Notwendig
schien zu jener Zeit mir
Die
brennendheiße Wüstenöde,
Des Meeres
Rauschen, Meeres Schaum,
Des Meeres
Muscheln und der Fels,
Das Ideal der
„Stolzen Herrin“ –
Und namenlose
Traurigkeit!
Doch andre
Zeit bringt andern Traum.
Bescheiden
wurden meine Träume
Und dem Pokal
der Poesie
Ward nun das
Wasser beigemischt.
16
Nach andern
Bildern jetzt verlang ich.
Ich liebe
sanfter Hügel Hang,
Die
Vogelbeeren vor der Wohnung,
Die Pforte,
den zerbrochnen Zaun,
Am Himmel
graue Regenwolken,
Von Stroh die
Ballen auf den Wiesen,
Im
Weidenschatten einen Teich,
Der jungen
Enten Tummelplatz,
Die Balalaika
hör ich gerne,
Das trunkne
Stampfen eines Kerls
Vor seiner
Schenke Schwelle laut,
Mein Ideal
ist jetzt die Hausfrau,
Mein Wunsch
ist Ruhe und ein Topf
Mit Reis, ich
bin mein eigner Herr.
17
Jüngst als
bei regnerischem Wetter
Ich stand auf
einem Bauernhof –
Wie
abgeschmackt ist das, prosaisch!
Aus Hollands
Schule wohl ein Bild?
War so ich in
den Blütejahren?
Batschissarai
mit der Fontäne!
Wie
unaufhörlich du gerauscht,
Da dacht ich
solchen Unsinn nicht,
Als still ich
saß an deinen Wassern
Und träumte
mir Saremas Bild
In dem
verlassnen Haremssaal.
(Einst
wandelte auf meinen Spuren
Onegin durch
dasselbe Land,
Wo er sich
mein erinnerte.)
18
Ich lebte
damals in Odessa.
Dort ist der
Himmel lange klar.
Dort setzt
geschäftig reicher Handel
Das weiße
Segel an dem Schiff.
Dort weht
Europas Atmosphäre
Und alles
strahlt und glänzt und funkelt
In Südens
Mannigfaltigkeit.
Italiens
Sprache girrte dort
Auf allen
Straßen heiter-fröhlich,
Darauf der
stolze Slawe geht,
Armenier,
Spanier und Franzos,
Moldawier und
der freie Grieche,
Der Sohn
Ägyptens wandelt dort
Und der
Korsar im Ruhestand.
19
Mein Freund
Tumanski hat Odessa
Geschildert
mit der Verse Kunst,
Doch damals
er besah Odessa
Voreingenommnen
Blickes nur,
Kaum
angekommen, als ein Dichter,
Er wandelte
mit seiner Brille
Alleine an
das Meer und gleich
Mit seiner
Feder Gänsekiel
Verklärte er
Odessas Garten.
Ringsum ist
kahle Ödnis nur!
Nur Arbeit
brachte es zuwege,
Dass
hier und da ein junger Zweig
Im Sommer
Schatten spendete.
20
Wo blieb ich
denn mit der Erzählung?
Begann ich in
Odessas Staub,
Muss
sagen ich vom Schmutz Odessas,
Das ist
gewiss
nicht Lug und Trug.
Sechs Wochen
ist im Jahr Odessa
Nach Joves
höchstem Wetterwillen
Von Wassern
überschwemmt, ertränkt,
Versunken in
dem dicksten Schlamm.
Die Häuser
stehen hoch im Kote,
Fußgänger
nur auf Stelzen noch
Die Straßen
zu durchwaten traun,
Die Menschen
sinken, bleiben stecken,
Vorm Wagen
wird das schwache Pferd
Durch einen
Ochsen abgelöst.
21
Der Hammer
schon zerschlägt die Steine,
Ein
Straßenpflaster wird so bald
Als wie ein
Panzer schmiedeeisern
Die Stadt als
Rettung überziehn.
Doch gibt’s
im wässrigen Odessa
Nur Schlamm
und Schmutz auf allen Wegen.
Es mangelte
an Wasser da,
Da tut schon
schwere Arbeit not.
Das ist doch
die geringste Sorge,
Vor allem,
wenn der rote Wein
Wird
importiert, von Steuern frei.
Das Meer! Des
Südens Sonne! Freunde,
Was wollt ihr
mehr auf dieser Welt?
Gesegnet ist
der Erdenfleck!
22
Einst lief
ich, kaum dass die Kanonen
Anzeigten
neues Morgenrot,
Hinab das
steile Felsenufer
Und gleich
begab ich mich ans Meer
Und dort
entbrannt ich meinen Tabak
Und ließ
mich von der Flut beleben,
Trank Mokka
aus dem Orient
Wie ein
Muslim im Paradies.
Auch geh ich
bummeln in den Straßen.
Die Gläser
klirren klingend schon.
Und einer
tritt auf den Balkon
Und hält in
seiner Hand den Besen
Und an der
Auffahrt stehen schon
Zwei Händler
lärmend im Gespräch.
21
Schon färbt
sich lustig bunt der Marktplatz,
Lebendig
alles, was man sieht,
Die Leute
laufen in Geschäften,
Geschäftslos
oder im Geschäft.
Das Risiko
schon kalkulierend
Der Kaufmann
achtet auf die Fahne
Und schaut,
ob Gott vom Himmel ihm
Die
wohlbekannten Segel schickt.
Was steht
heut unter Quarantäne?
Kam an die
Ladung mit dem Wein?
Wie aber
steht es mit dem Rest?
Sind
ausgebrochen Feuersbrünste?
Weißt du von
Hungersnot und Krieg
Nicht
irgendeine Neuigkeit?
22
Doch wir,
Genossen Ohnesorge,
Erwarten von
dem Kaufmann nur
Konstantinopels
Austernmuscheln,
Die Muscheln
von dem Bosporus!
Wie stehts
mit Muscheln? Angekommen!
O Wonne!
Eilig eilt die Jugend,
Aus
Muschelschalen sich das Fleisch
Zu saugen mit
Zitronensaft
Und alles
rasch hinabzuschlingen!
Lärm,
Streitereien. Weißer Wein
Kommt aus dem
Keller auf den Tisch
Von
dienstbeflissner Wirtin. Stunden
Vergehen.
Unterdessen wächst
Erschreckend
hoch die Rechnung an!
23
Doch dunkelt
schon der blaue Abend,
Zur Oper
eilen wir sogleich.
Dort ist
berauschend doch Rossini,
Europas
Liebling Orpheus singt.
Nicht achtend
auf die Kritikaster
Ist immerjung
der alte Künstler,
Verströmt
die Melodie, die schäumt,
Die flutet
und die brennt wie einst
Die wilden
Küsse in der Jugend,
Voll
Liebeswahnsinn, Liebesglut,
Wie
aufschäumt und wie herrlich spritzt
Der
südfranzösische Champagner!...
Doch,
Freunde, ist es denn erlaubt,
Dass
man Musik dem Sekt vergleicht?
24
Kennt die
Musik allein den Zauber?
Wie steht es
mit dem Opernglas?
Dem
Rendezvous im Schutz der Bühne?
Der
Primadonna? Dem Ballett?
Der Loge, wo
inmitten ihrer Sklaven
Die junge
Kaufmannsdame eitel
Mit
Schmachtblick voller Schönheit prahlt?
Mit halbem
Ohr vernimmt sie nur
Der Sklaven
Flehn, der Sklaven Scherzen,
Vermischt mit
süßer Schmeichelei.
Ihr Mann dort
hinten in dem Stuhl,
Im Halbschlaf
ruft er: Nur so weiter!
Er sperrt den
Rachen gähnend auf
Und weiter
schnarcht er sterbefaul.
25
Finale! Leer
der Saal! Ein Lärmen
Und Hasten
bei der Abfahrt und
Die Menge
eilt beim Licht der Lampen
Wie Gottes
Sterne auf den Platz,
Der
glücklichen Italia Söhne
Wie
spielerisch Motive trällern,
Wie
rezitieren röhrend wir!
Doch ist es
spät. Odessa schläft.
Die warme
Nacht scheint nicht zu atmen,
Der Mond ist
aufgegangen, ach,
Ein
transparenter Schleier nur
Verhüllt die
Luna. Still ist alles.
Vom Schwarzen
Meer ein Rauschen ist
Zu hören in
der Nacht allein.
26
So lebt ich
damals in Odessa
In neu
erwählter Freunde Kreis
Und ich
vergaß den düstern Nichtsnutz,
Den Helden
meines Verspoems.
Onegin konnte
sich nicht rühmen,
Im
Briefverkehr mit mir zu stehen.
Und ich, ein
Mensch in seinem Glück,
Ich hab mein
ganzes Leben lang
Mit niemand
korrespondiert. Nun urteilt,
Wie groß die
Überraschung war,
Als ungebeten
er erschien,
Als vor mir
tauchte auf Onegin,
Wie laut war
da der Freudenruf,
Wie freute
ich mich über ihn!
27
O Stimme der
Natur! O Freundschaft!
Als wir uns
beide angeschaut
Wie römische
Auguren, brachen
Wir in ein
leises Lachen aus...
(...)
28
Am Strand
Euxinischer Gewässer
Zusammen
streiften wir entlang.
Doch trennte
uns das Schicksal wieder,
Rief uns auf
einen neuen Weg.
Onegin war
doch kühl geworden,
Von dem, was
er gesehen hatte,
War
übersättigt er und brach
Zum Ufersaum
der Newa
auf.
Und ich fuhr
von des Südens Frauen,
Den Muscheln
von dem Schwarzen Meer,
Von Oper,
Loge, Kapital
Zum Walde von
Trigorsk, dem schwarzen,
Im fernen
nördlichen Bezirk.
Die Ankunft
war voll Traurigkeit.
29
Wo immer mir
bestimmt das Schicksal
Auch einen
Winkel namenlos,
Wo immer ich
auch leben werde,
Wohin
getrieben wird mein Kahn,
Wo immer mir
bestimmt mein Frieden,
Wo immer mich
das Grab erwartet,
Ich werde
segnen überall
Der wahren
Freundschaft Heiligtum.
Und nirgends
werde ich vergessen
Ihr liebes
herzliches Gespräch.
Auch in der
Ferne, auch allein,
Gedenk ich
immer an die Freundschaft,
Denk an die
Weiden an dem See,
Den Frieden
und der Wiesen Schlaf.
30
Ich denke an
der Sorot Ufer,
An
schönbeblümter Hügel Kranz,
In Büschen
die verborgnen Pfade,
Die Hütte,
wo wir feierten,
Refugium im
Glanz der Musen,
Besungen von
Jasykow, welcher
Vom Tempel
der SOPHIA kam,
Als er in
unsre Gärten kam,
Wo er
verklärt der Sorot Nymphe
Und rings
herum das grüne Feld
Erfüllt mit
Versen voll Magie.
Ich
hinterließ dort meine Spuren.
An einem
Trauerweidenbaum
Hing dort ich
meine Harfe auf.