Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

EPHRÄM DER SYRER


HYMNE AUF DIE GEBURT DES GÖTTLICHEN KINDES

Herausgegeben von Josef Maria Mayer


Die Töchter der Juden,
Die sonst die Klagelieder Jeremias sangen,
Begannen jetzt anstatt der Klagelieder der Schriften
Liebliche Lieder aus ihren Büchern anzustimmen.
Eine unsichtbare Macht sprach
In ihren Worten Weisungen aus:
Eva erhebe ihre Augen aus der Unterwelt
Und erfreue sich an diesem Tag!
Denn siehe: der Sohn ihrer Tochter
Ließ sich als Lebensarznei herab,
Um die Mutter seiner Mutter
Vom Tode zu erwecken.
Das gebenedeite Kind zertritt den Kopf der Schlange,
Die seine Mutter Eva gestochen hatte.

Wem gleicht das fröhliche Kindlein,
Der liebenswürdige Knabe?
Jungfräulich ist seine Mutter,
Sein Vater verborgen,
So dass selbst Seraphim ihn nicht sehen können.
Wem gleichst du? O erzähl es uns, Sohn des Erbarmers.
Erzürnte, die dich zu sehen kamen, versöhntest du freudig.
Sie vereinten sich wieder mit gegenseitigem Lachen.
Süß besänftigt wurden durch dich die Erbitterten, o Holdseliger!
Gepriesen seist du, o Kind,
Durch das auch Bittere mit Süßigkeit erfüllt werden!

Wer sah je ein Kind,
Das nach den Nahen sehnsüchtig langt
Und vom Mutterschoße aus
Den Entfernten sich entgegenstreckt?
Lieblicher Anblick: ein Kind,
Das sinnend so ganz nach Jedem hin strebt, dass alle es sähen!
Wen irgend eine Sorge drückte, von dem entfloh,
Wenn er kam und dich sah, seine Sorge.
Wer kummervoll nachsann, vergaß bei dir seinen Kummer;
Ja, der Hungrige vergaß bei dir seine Speise,
Und wer irgendwo hingeschickt ward,
Fühlte durch deine Anmut sich so gesellt,
Dass er an seinen Weg nicht mehr dachte.

Werde ruhig und still,
Und entlasse die Menschen zu ihren Geschäften!
Du bist ja ein Sohn von Armen.
Wisse dann, wie den Armen zumute ist,
Die da feiernd kamen!
O liebevoller Menschenfreund!
Durch deine anziehende Heiterkeit
Hast du die Menschen zahlreich an dich gezogen.

Maria spricht: Durch dich will ich anfangen zu sprechen,
O Anfang, der allen Geschöpfen den Anfang gegeben.
Öffnen will ich meinen Mund,
Du aber erfülle meinen Mund!
Land bin ich für dich, du aber der Landmann.
O du, der sich selbst in den Schoß seiner Mutter gesät hat,
Säe in mich dein Wort!
Über mich erstaunen alle die keuschen Töchter der Juden
Und die Jungfrauen, die Töchter der Häupter des Volks.
Durch dich ist die Tochter der Armen beneidenswert;
Deinetwegen sieht man mit Eifersucht
Auf die Tochter der Niedrigen.
Wer hat dich mir gegeben?
O Sohn des Reichen,
Der den Schoß der reichen Frauen verschmähte,
Was hat dich zu den Armen gezogen?
Denn Joseph ist arm,
Und ich bin bedürftig.
Deine Handelsleute trugen und brachten allerdings
Gold in das Haus der Armen.
Ich sah die Magier,
Da wurde ich freilich durch die Gaben derselben
Zu vielen Preisgesängen angeregt.
Deine Anbeter standen rings um mich her,
Auch ihre Geschenke umgaben mich von allen Seiten.

Gepriesen sei das Kind,
Welches seine Mutter zur Harfe für seine Lieder machte!
Wie die Harfe auf ihren Herrn wartet,
So wartet mein Mund auf dich,
Dass dein Wille die Zunge deiner Mutter errege,
Und weil ich durch dich eine ganz neue
Empfängnis kennen gelernt habe,
So möge durch dich auch mein Mund
Als neues Erzeugnis einen neuen Lobgesang lernen.
Wenn die schwersten Dinge für dich nicht schwer sind,
So bleiben die für dich leichten Dinge doch schwer zu fassen,
Dass nämlich der Schoß
Dich ohne Begattung empfing,
Und dass ohne Mannessamen
Der Mutterleib dich gebar.
Ist es für einen armen Mund leicht,
Deine große Glorie zu erhöhen?

Ich empfinde, o mein Sohn,
Keinen Neid darüber,
Dass du sowohl bei mir
Als auch bei allen Menschen bist.
Zeige dich als Gott dem, der dich bekennt,
Und als Herrn dem, der dir dient,
Und sei Bruder dem, der dich liebt,
Damit du dir alle zu eigen machst!
Da du in mir wohntest, weiltest du in und außer mir,
Und nachdem ich dich geboren,
War deine verborgene Macht sichtbar nicht fern von mir.
Du bist in mir und außer mir
Und versetzest die Mutter in Erstaunen.
Während ich deine äußere Gestalt vor meinen Augen sehe,
Ist dein verborgenes Bild in meinem Geiste gebildet, o Heiliger!
In deiner sichtbaren Gestalt sah ich Adam,
Und in deiner verborgnen Gestalt schaut ich
Deinen mit dir innigst vereinten Vater.
Hast du wohl mir allein in zwei Bildern
Deine Schönheit gezeigt?

Du bist nicht ein bloßer Mensch,
Dass ich dir ein einfaches, gewöhnliches Lied singen dürfte;
Denn deine Empfängnis ist eine völlig neue,
Und deine Geburt ist ein Wunder.
Wer kann ohne höhere Begeisterung
Dich mit Psalmen preisen?
Ein neuer leiser Gesang der Prophetie erglüht in mir.
Wie soll ich dich nennen, o uns Fremder,
Der Einer von uns geworden?
Nenn ich dich Sohn oder nenn ich dich Bruder?
Soll ich dich den Verlobten oder den Herrn nennen?
Du erzeugst ja aus dem Wasser
Die Mutter als neue Geburt.
Doch deine Schwester bin ich aus dem Hause Davids,
Der unser beider Stammvater ist.
Mutter bin ich ebenfalls wegen deiner Empfängnis
Und Verlobte wegen deiner Heiligkeit;
Magd und Tochter aus dem Blut und Wasser,
Durch dich erkauft und getauft.

Der Sohn des Allerhöchsten kam
Und nahm in mir seine Wohnung,
So ward ich seine Mutter.
Wie ich ihn gebar, so machte er mich
Zu einem neuen Geschöpf, einer zweiten Schöpfung.
Weil er das Kleid seiner Mutter, ihr Fleisch annahm,
Kleidete sie sich in seine Herrlichkeit.
Die Tamar, welche aus Davids Hause war, entehrte Ammon;
So verloren beide ihre jungfräuliche Reinheit.
Meine Perle ging nicht verloren,
Sie ist in deinem Schatz hinterlegt,
Weil du sie angezogen hast.
Aus der andern Tamar duftete der Geruch ihres Schwiegervaters,
Weil sie seine Wohlgerüche stahl.
Aus den Kleidern der Verlobten Josefs
Duftete aber sein Geruch nicht,
Weil sie keusch empfangen hatte.
Eine feurige Mauer zum Schutze ward mir,
O Sohn des Heiligsten, deine Empfängnis.
Die Blüte ward geruchlos,
Weil der Duft der Lilie der Herrlichkeit gewaltiger war.
Der Schatz aller Wohlgerüche
Bedurfte der Blüte und ihrer Düfte nicht.
Fern blieb das Fleisch,
Da es im Mutterleibe die Frucht des Geistes sah.

Das Weib dient sonst dem Mann,
Weil er ihr Haupt ist,
Joseph aber machte sich auf,
Um seinem Herrn zu dienen, der in Maria war.
Als Priester diente er vor deiner Bundeslade
Um deiner Heiligkeit willen.
Moses trug einst die steinernen Tafeln,
Die sein Herr geschrieben hatte,
Und Josef ehrte feierlich die reine Tafel,
Worin der Sohn des Schöpfers wohnte.
Die Tafeln des alten Bundes verloren ihre Bedeutung,
Weil die Erde mit deiner Lehre erfüllt ward.

Maria sprach: Empor trug mich das Kind, das ich getragen,
Er ließ seine Schwingen herab, hob mich auf,
Legte mich zwischen seine Flügel,
Schwebte in der Luft hin und her und versprach mir:
Die Höhe und Tiefe gehören einst deinem Sohne.

Gabriel sah ich, der ihn Herrn und Hohenpriester nannte;
Auch sah ich den greisen Diener Simeon im Tempel,
Der ihn aufhob und trug.
Ich sah die Magier tief gebeugt vor ihm sich nieder werfen
Und den Herodes verwirrt darüber,
Dass der König gekommen.
Satan, der in Ägypten die Knaben ersäufen ließ,
Damit auch Moses zu Grunde gehen möchte,
Ließ auch Knäblein in Bethlehem
Durch Herodes ermorden,
Damit der Lebendige sterben sollte.
Nach Ägypten floh Er,
Der nach Juda gekommen war,
Um bis zur Ermüdung herumzuziehen,
Weil er seinen Jäger zu erjagen suchte.

Eva verhüllte sich in ihrem noch jungfräulichen Zustand
Mit Blättern, um ihre Scham zu bedecken,
Deine Mutter aber zog in ihrer Jungfräulichkeit
Ein Kleid der Herrlichkeit an,
Das allen hinreichenden Schutz gewährt.
Sie gab des Fleisches geringe Hülle dem,
Der alles bekleidet.
O wie selig ist sie,
In deren Herzen und Geist du wohnst!
Eine königliche Burg ist sie durch dich, o Königssohn,
Und ein Allerheiligstes durch dich, o Hoherpriester!
Sie berührt keine Sorge und keine Mühe für Haus und Mann.

Eva ward ferner zur Höhle
Und zu einem Schlupfwinkel für die verfluchte Schlange,
Weil der böse Rat derselben in sie Eingang fand
Und in ihr wohnte.
Dann ward sie ihr zum Brot, weil sie Staub wurde.
Du aber, Maria, bist unser Brot
Und unser Adel
Und das Gewand unsrer Glorie.

Höchst erstaunlich ist es für den Menschen, meine Geliebten,
Die Wunder zu betrachten,
Wie Gott herab kam
Und in einem Mutterleib seine Wohnung nahm,
Wie ferner das Höchste Wesen
Einen menschlichen Leib anzog
Und neun Monate lang im Mutterschoß
Ohne Widerwillen wohnte,
Wie aber auch der Schoß von Fleisch im Stande war,
Das Feuer zu tragen,
Und wie die Flamme im weichen Mutterleib wohnte,
Ohne dass er vom Feuer verzehrt wurde.
Wie einst der Dornbusch auf dem Berge Horeb,
Als Gott dem Moses erschien,
Gott selbst in der Flamme trug,
Ebenso trug Maria Christus
In ihrem jungfräulichen Schoß.
Gott kam vollkommen durch das Ohr
In den Mutterleib
Und trat als Gottmensch
Auf reine Weise
Aus demselben Mutterschoß in die Welt hervor.
Die Jungfrau empfing Gott,
Die Unfruchtbare ward mit dem Jungfräulichen schwanger,
Und der Sohn der Unfruchtbarkeit hüpfte im Mutterleib
Vor der Leibesfrucht
Bei der Heimsuchung der Jungfräulichkeit.

Ein ganz neues Wunder wirkte also Gott
Unter den Erdbewohnern,
Dass er selbst ohne ehelichen Verkehr geboren ward.
Die Himmel misst er mit seiner Spanne
Und liegt spannenlang in der Krippe.
Das Meer fasst er mit seiner Handhöhle,
Und seine Geburt fand in einer Höhle statt.
Die Himmel sind seiner Herrlichkeit voll,
Und die Krippe ist voll seines Glanzes.
Moses wünschte, seine Herrlichkeit zu schauen,
Vermochte aber nicht, sie so zu sehen, wie sie ist.
So mag er denn heute kommen,
Denn er liegt in Windeln eingehüllt in der Krippe.
Einst wagte es kein Mensch zu hoffen,
Gott sehen zu können und am Leben zu bleiben.
Heute lebten alle, die ihn sahen,
Vom zweiten Tod zu neuem Leben auf.

Moses bildete, da er das Feuer im Dornbusch sah,
Das Geheimnis der Geburt Christi vor.
Die Weisen aus dem Morgenland
Erfüllten das geheimnisvolle Vorbild,
Weil sie das Licht in Windeln erblickten.
Gott rief mit seiner Stimme im Dornbusch dem Moses zu,
Er solle seine Schuhe ausziehen.
Der Stern aber berief schweigend die Magier,
An den heiligen Ort zu kommen.
Moses konnte Gott nicht schauen, wie er ist,
Allein die Magier traten ein und sahen Gott als Mensch.
Eine Höhle ist der andern ähnlich,
Und Moses war das Vorbild der Magier.
Wenn aber ein Leser einwendet,
Wo denn eine Vergleichung des Moses, des Hauptes der Propheten,
Mit den Magiern, den Fürsten Persiens, stattfinde,
So mag er sich von Gott selbst,
Dem weisesten Beurteiler, beruhigen lassen:
Denn hätte Er sie nicht schon vor aller Zeit auserwählt,
Seine Herolde zu sein,
So hätte er von ihren unheiligen Händen
Keine Geschenke angenommen.
Moses stellte geheimnisvolle Vorbilder
Auch in anderer Rücksicht noch dar,
Und unser Herr erfüllte sie.
So glänzte sein Antlitz, weil Gott mit ihm redete,
Und ein Schleier verhüllte sein Angesicht,
Weil ihn sonst das Volk nicht anschauen konnte.
Ebenso hat auch unser Herr im Mutterleib
Mit dem Schleier des Fleisches sich bedeckt
Und erschien aus ihm hervorkommend,
Dann sahen ihn die Weisen
Und brachten ihre Geschenke dar.

Richtet nun, o Geliebte,
Eure betrachtenden Blicke auf Maria!
Als Gabriel zu ihr eingetreten war,
Sprach sie forschend zu ihm:
Wie wird dies geschehen?
Und es erwiderte ihr der Diener des Heiligen Geistes:
Für Gott ist dies leicht, denn Ihm ist alles möglich.
Indem sie fest glaubte, was sie hörte,
Antwortete sie darauf: Ich bin die Magd des Herrn.
Alsbald senkte sich dann das Wort,
Weil dessen kundig, hernieder,
Schwebte herab, wie es ihm gefiel,
Trat in sie ein und nahm in ihr seine Wohnung,
Ohne dass sie sinnlich dies merkte.
Sie empfing ihn, ohne etwas zu leiden,
Und er ward in ihrem Leib ein Kind,
Während zugleich die Erde seiner voll war.
Er neigte sein Ebenbild herab,
Um das veraltete Bild Adams zu erneuern.
Hörst du also von der Geburt Gottes reden,
So verharre im Schweigen!
Was Gabriel gesprochen, bleibe deinem Geist eingeprägt!
Denn es gibt nichts, was jener hochgelobten Majestät,
Die sich unsertwegen herabließ
Und unter uns aus uns geboren ward,
Zu schwer oder unmöglich wäre!

Heute ward uns also Maria zum Himmel,
Der Gott trug,
Denn in sie ließ sich die allerhöchste Gottheit herab
Und wohnte in ihr.
In ihr ward er klein, um uns groß zu machen,
Da er seiner Natur nach nicht klein ist.
In ihr webte er uns ein Kleid
Der Gnade und des Heiles,
Damit uns dadurch Erlösung zuteil würde.
In ihr wurden die Aussprüche der Propheten und Gerechten erfüllt;
Aus ihr ging uns das Licht auf
Und verscheuchte die Finsternis des Heidentums.
Viele Namen trägt Maria,
Und es frommt mir sie damit anzurufen.
Sie ist die Burg,
Worin der gewaltige König der Könige wohnte,
Allein er kam nicht so, wie er in sie eingetreten ist, aus ihr hervor,
Sondern er hatte von ihr sich mit Fleisch bekleidet und ging so heraus.
Sie ist auch ein neuer Himmel,
Weil in ihr der König der Könige wohnte.
In ihr ging er auf und trat dann in die Welt hervor,
Ihr ähnlich gestaltet und bekleidet.
Eine Rebe ist sie, die eine Traube als Frucht
Auf übernatürliche Weise hervorbrachte,
Und weil der Traube Natur ihr nicht gleich war,
So nahm sie ihre Farbe, die menschliche Natur an
Und ging aus ihr hervor.
Sie ist die Quelle,
Aus der lebendiges Wasser
Für die Dürstenden hervor strömte,
Und die von ihrem Getränke kosteten,
Geben hundertfältige Früchte.

Dieser Tag der Geburt Christi
Gleicht dem ersten Schöpfungstage ganz und gar nicht.
An jenem ersten Schöpfungstag
Wurden die Geschöpfe gebildet;
An diesem Geburtstag Jesu ward die Erde erneuert
Und gesegnet um Adams willen,
Dessentwegen sie einst verflucht worden war.
Eva und Adam brachten durch die Sünde den Tod in die Welt;
Der Welt Herr aber gibt uns aus Maria neues Leben.
Der Böse entleerte sein Gift durch die Schlange in Evas Ohr;
Der Gute aber neigte seine Erbarmung herab
Und ging durch das Ohr Marias hinein.
Durch das nämliche Tor,
Durch welches der Tod eindrang,
Trat auch das Leben ein,
Das den Tod tötete.
Ihn, den die Cherubim tragen,
Trugen Marias Arme.
Gott, den das All nicht umfasst,
Den war Maria zu tragen im Stande.
Der König, vor dem die Engel,
Diese feurigen Geisterwesen, erzittern,
Liegt am Busen der Jungfrau,
Und sie umfängt ihn liebkosend als ein Knäblein.
Die Himmel sind der Thron seiner Herrlichkeit,
Und er sitzt auf Marias Knien.
Die Erde ist seiner Füße Schemel,
Und er trippelt auf ihr als Knäblein herum.
Seine hohle Hand misst den Staub,
Und er geht als Knabe darauf herum.