Von Josef Maria Mayer
ERSTES LIED
Von der Hochzeit will ich singen
Zwischen Prinz von Rattenkahl
Mit der Amelei von Mainz.
Eine Ehe der Vernunft
War das, keine große Liebe.
Amelaya nämlich kannte
Keine wahrhaft große Liebe,
Die sie kalt war wie ein Fisch.
Doch der Prinz von Rattenkahl
Hatte in dem Portemonnaie
Dieses goldne Göttchen Mammon,
Die Verheißung einer Rente.
Prinz von Rattenkahl war kahl
Wie die nackten Ratten, denn
Abgeschoren war sein Kopf,
Stehngeblieben war allein
So ein Schnäuzer um den Mund.
Amelaya nun von Mainz
War schon nicht mehr ganz so frisch,
Eine rundliche Person.
Wenn sie zu dem Bauchtanz ging,
Tanzte mehr als die Person
An der Frau der fette Bauch
Und die welken Brüste quollen
Aus dem tiefen Ausschnitt vor,
Alte Affenmutterbrüste,
Schlaff wie alte Lederschläuche,
Und es fehlten ihr schon Zähne.
Prinz von Rattenkahl jedoch
Hatte keinen Zahn im Mund,
Nur ein künstliches Gebiss,
Welches klappert, wenn er spricht.
Nun, die Hochzeit dieser zwei
Alten Leute war so gar nicht
Hochromantisch wie ein Dichter
Singt platonisch von der Minne.
Nämlich wenn ein Dichter liebt,
Sieht er in der Vielgeliebten
Eine Göttin oder eine
Göttliche Idee im Geist.
Amelaya lächelte
Nur ironisch, wenn ein Dichter
Sprach vom Neoplatonismus
Oder von der Hohen Minne.
Was sie an dem Prinzen mochte
War, dass Prinz von Rattenkahl
Ihr im Alter sichern könnte
Eine Rente, und wenn er
Vor der Ehefrau verlässt
Dieses Jammertal der Erde,
Erbt sie von dem Abgeschiednen
Seine Rente von dem Staat.
Nun, bei einer so prosaisch-
Tristen Liebe oder Ehe
Ist es nicht verwunderlich,
Dass sie nicht zur Kirche gingen,
Dass der Herr die Ehe segne
Und als Dritter selber sei
Gegenwärtig in der Ehe,
Nämlich wenn der Priester segnet
Fromm ein Ehesakrament,
Dann ist Gott auch gegenwärtig
Bei dem Liebesakt im Bett,
Wo das Kindchen wird gezeugt.
Aber Amelaya nüchtern
Wollte nur des Bürgermeisters
Segen und des Staates Segen
Und der Rentenkasse Segen.
Ich war selber bei dem Fest,
Ich sah Prinz von Rattenkahl
Trinken sieben Flaschen Bier,
Dass die Gattin schöner wird.
Dieses Hochzeitsfest fand statt
Still und heimlich in dem Garten,
Traurig saß ich an dem Fischteich,
Schaute mir die Fische an.
Kalte Fische, dacht ich da,
Zwar der Fischmann und die Fischfrau
Lieben sich nicht leidenschaftlich,
Doch die Fischfrau ist sehr fruchtbar.
Aber so ein armer Dichter,
Wenn er leidenschaftlich liebt,
Kann sich selber nur ermorden
Oder in ein Kloster gehen.
Also denkend saß ich da
An dem Fischteich, als ein Goldfisch
Kam herauf und leise sprach,
Dieses sprach mit Menschenstimme:
Einmal sah ich auf dem Boden
So ein schwarzes Loch im Grunde
Und aus diesem schwarzen Loch
Stieg ein wundersamer Schimmer.
Von dem Schimmer ich erzählte
Einst dem Wassermann, den nennt man
Auch Aquarius, den Gott
Eines neuen Menschheitsfrühlings.
Dieser alte Wassermann
Oder Gott Aquarius
Sprach nun über diesen Schimmer,
Diesen Goldglanz unterirdisch,
Mit dem Main, genau gesagt,
Mit dem weißen und dem roten
Main. Der rote Main erklärte:
Dieser Goldglanz unterirdisch
Ist der Hort der Nibelungen.
Aber, alter Wassermann,
Diese sieben Gänge drunten
Bei dem Hort der Nibelungen,
Wohin führen diese Gänge?
Also frug der rote Main
Den Aquarius, den Alten.
Sprach der alte Wassermann:
Diese sieben Gänge führen
Schließlich hin zu sieben Türen,
Hinter diesen sieben Türen
Sich befinden sieben Treppen
Und die sieben Treppen führen
Alle in den weißen Saal,
Da auf einem weißen Thron,
Der geschnitzt aus weißem Jaspis,
Der umgeben von den sieben
Farben eines Regenbogens,
Sitzt in einem weißen Kleid,
Angetan mit weißem Schleier,
Goldnem Gürtel um die Lenden,
Sitzt die Königin der Nymphen,
Diese Königin der Nymphen
Ist die Nymphe Lorelay.
Sie ist zwanzig Jahre jung,
Sie ist schlank wie eine Birke,
Nackte Arme, nackte Beine
Sind wie schlanke Silbersäulen,
Und die lange Lockenflut
Ist gekräuselt und von Gold.
Manchmal steckt sie ihre Locken
Auf zu einem Lockenknoten,
Dann lässt sie die langen Haare
Wieder fallen zu den Lenden,
Kämmt mit einem goldnen Kamm
Ihre langen goldnen Locken.
Einmal sah ich ihre Brüste
Quellen aus dem weißen Kleid,
Junge straffe Mädchenbrüste
Und von nicht geringer Größe!
Und bezaubernd ist ihr Lächeln,
Überaus charmantes Lächeln,
Honigsüß und wie verzuckert,
Mit dem Lächeln Lorelays
Irgendwie verglichen ist
Mona Lisas Lächeln bitter,
Diese dicke dunkle Frau
Lächelt gar nicht so charmant
Wie die junge Lorelay,
Zwanzig Jahre jung ist sie,
Schlank wie eine Silberbirke,
Hat sie sieben Töchter schon,
Sieben kleine junge Töchter,
Keine älter als drei Jahre,
Und die Namen dieser Töchter
Wie die Namen ihrer Mutter
Fangen an mit der berühmten
Letter L, mit der beginnen
Worte wie „die Liebe“ oder
„Leiden“ oder „Leidenschaft.
Dieses sind die Namen ihrer
Töchter, Töchter Lorelays:
Liebe heißt die erste Tochter
Und die zweite Leidenschaft
Und die dritte heißt die Lust
Und die vierte Liebeskummer
Und die fünfte Liebeswonne
Und die sechste Lendenkraft
Und die siebte und die jüngste
Heißt mit Namen Liebestod.
Wenn du siehst die Lorelay,
Diese junge schöne Mutter,
Mit so einem kleinen Kind
An dem Vater Rhein spaziere,
Glaubst du, dir erscheine gar
Sankt Maria mit dem Kindlein!
ZWEITES LIED
Als Herr Müller fuhr im Schiff
Auf dem breiten Vater Rhein,
Fuhr in einem Ruderboot
Lustig durch die Silberwellen,
Dachte er an seine Jugend,
Da er war zu Kölln gewesen
Mit der lustigen Geliebten,
Die so gern Theater spielte,
Spielte gern Kleopatra,
Spielte gern die Julia,
Doch nun war die Liebste tot!
Und Herr Müller weinte plötzlich,
Faltete die frommen Hände,
Betend für die arme Seele,
Sprach ein Ave o Maria
Für die Seele der Geliebten,
Schaute weinend in die Höhe,
Als er unterm Himmel sah
Sitzen hoch auf einem Felsen
Eine wunderschöne Frau.
Die trug einen schwarzen Rock,
Der bis zu den Füßen reichte
(Nicht wie junger Dirnen Röckchen,
Endend an dem Oberschenkel),
Aber abgesehen von dem Rock
Trug sie nur noch goldne Locken,
Die ihr fielen auf die Brüste,
Straffe, milchigweiße Brüste!
Und sie kämmte ihre Haare,
Ihre langen goldnen Locken,
Kämmte sie mit goldnem Kamm,
Weinte dabei heiße Tränen.
Und des Weibes heiße Tränen
Tropften in den Vater Rhein,
Da begann der Strom zu schäumen,
Wütend wälzten sich die Wogen,
In die Tiefe sogen Strudel
Und Herr Müller ist gekentert
Und im Vater Rhein ertrunken,
In des Weibes Weh ertrunken!
Und Herr Müller auf dem Grund
Unsres Vaters Rhein spazierte
Und er kam an einen Garten
Unten auf des Rheines Grund.
Um den Garten war ein Zaun,
Eine Heckenrosenpforte,
Vor dem Zaune wuchsen Tulpen,
Weiße dornenlose Rosen,
Violette Akelei
Und Vergissmeinnicht in blau
Und in weiß und auch in rosa.
Und da stand ein Stuhl im Garten,
Dieser Stuhl bei einem Rundtisch
Schien Herrn Müller einzuladen,
Stand bereit ein Kelchkristall
Voll von mildem Apfelwein,
Und Herr Müller setzte sich
Und betrank sich an dem Cidre.
Schon der Wein stieg ihm zu Kopfe,
Als er sah ins Sonnenlicht,
Als von Sonnenlicht umgossen
In dem Sonnenstrahl erschien
Ein gebenedeites Mädchen,
Etwa zwanzig Jahre jung,
Die war schlank wie eine Palme,
Trug ein rosenrotes Kleid,
Welches nackt die Arme ließ,
Welches nackt die Beine ließ,
Aus dem tiefen Ausschnitt quollen
Feste, milchigweiße Brüste,
Auf die Brüste aber fielen
Ihre langen goldnen Locken,
Die umrahmten schön ihr Antlitz,
Welches strahlte voller Charme,
Lächelnd sah sie zu Herrn Müller,
Lachte leise mädchenhaft.
Hohe Königin, wer bist du,
Sprach Herr Müller schüchtern leise,
O du Mädchen in der Sonne,
Bist du eine Schönheitsgöttin?
Und das schöne Mädchen sprach:
Müller, kennst du mich denn nicht?
Kennst du nicht Brentanos Lieder
Oder Heinrich Heines Lieder?
Schau! Ich bin die Lorelay!
Willst du etwas wissen von
Meiner heiligen Familie,
Will ich gerne dir berichten.
Phantasus mit Namen hieß
Mein geliebter zarter Vater,
Echo meine Mutter hieß,
Die dereinst Ovid besungen.
Ich bin unberührte Jungfrau,
Makellos, intakte Jungfrau,
Und doch habe ich drei Knaben
Schon ins Licht der Welt geboren.
Und sie girrte leise lachend,
Und die lichten Augen strahlten,
Und drei Knaben kamen an,
Waren etwa sieben Jahr alt,
Waren Drillinge, die drei,
Von der Parthenogenese
Unsrer Königin gezeugt,
Und sie nannten ihre Namen:
Ich bin Daktylos und hüpfe
Gerne über Berg und Hügel,
Sprach der Erste, war so stolz
Wie ein Heros bei Homer.
Ich nun bin Trochäus, sagte
Jetzt der zweite, war so heiter
Wie Anakreon, wenn er
Mädchen oder Knaben sang.
Ich nun bin der Jambus, sagte
Ihm der Dritte, gleich sein Liebling
War der Jambus, war so süß,
War so süß wie seine Mutter.
Nun sprach wieder Lorelay:
Müller, liebes Müllerchen,
Hast du nun genug getrunken?
Komm, ich will dir etwas zeigen.
Vor ihr auf der Straße sprang
Eine junge schwarze Katze
Hin und her. Sprach Lorelay:
Das ist meine Katze Gaia.
Und sie führte den Herrn Müller
Eine lange grade Straße,
Immer an dem Rhein entlang,
Bis zu einem großen Lustschloss.
Lorelay tat auf die Tür,
Lud Herrn Müller einzutreten,
Und sie kamen in ein Zimmer,
Da Herrn Müllers Liebsten saßen:
Die Geliebte seiner Jugend
Mit der Mutter seiner Mutter
Saßen da beim Tee und spielten
Still, voll Seelenfrieden Schach.
DRITTES LIED
Lorelay ist von Natur
Eine reine Meerjungfrau,
Eine keusche Nymphe Gottes,
Meerjungfrau von Gottes Gnaden.
Wenn ein Dichter geht am Rhein
Mit dem Rosenkranz spazieren,
Ave betend, Gnadenvolle,
Kann die Gnade ihm geschehen,
Dass die Meerjungfrau erscheint,
Inkarniert in der Gestalt
Einer jungen Bäuerin
Von unglaublich großer Schönheit.
Lorelay ist voller Treue,
Herzlich liebte sie den Jüngling
Christian, der jung und schön war,
Aber Christian war treulos.
Dreimal hat sie Christian
Bei dem Hahnenschrei verraten,
Dreimal kehrte Lorelay
Still zurück zu Christian.
Nicht nur Christian hat sie
Grausam so im Stich gelassen,
Sondern auch die eignen Kinder
Haben sie im Stich gelassen.
Als die Kinder sie verlassen,
Blieb nur noch der kleine Knabe
Jambus bei dem Pflegevater
Christian, dem Ungetreuen.
Auf dem Felsen bei Sankt Goar,
Auf dem hohen Lorelay-
Felsen sitzt die Lorelay,
Sitzt dort mit gebrochnem Herzen!
Wehe mir, so singt sie jammernd,
Wo sind meine sieben Töchter?
Wo vor allem ist mein Liebling,
Die geliebte Liebestod?
Ich bin ganz allein geblieben!
Meine Kinder sind gegangen,
Christian ist ungetreu,
Ich bin einsam und verlassen!
Als ich war noch reich und glücklich,
Hatt ich viele falsche Freunde,
Aber diese falschen Freunde
Waren kälter als die Fische!
Jetzt bin ich die Königin
In dem Schattenreich der Toten!
Unterirdische Gefilde
Sind mein stilles Königreich.
Also klagte Lorelay.
Ein vereinsamter Poet
Ging am Vater Rhein spazieren,
Bis die Füße müde waren.
Und er setzte sich ins grüne
Wiesengras am Wegesrand,
Da erschien ihm Lorelay,
Meerjungfrau von Gottes Gnaden.
Aus der Ferne sah der Dichter
Eine goldne Lockenmähne,
Sah im meeresblauen Kleid
Körperliche Wohlgestalt.
Näher kam die Lichtgestalt,
Und der Dichter wagte nicht,
Diesen Lichtglanz anzuschauen,
Solches Sonnenlicht macht blind.
Näher kam die Menschengöttin,
Unten auf der Erde saß
Der Poet und schaute auf
Zu der himmlischen Idee
Absoluter Frauenschönheit.
Wie ihr weißes Antlitz schön war!
Freundlich-ernst nach Art und Weise
Einer Göttin schaute sie.
Dieses schöne Anmuts-Antlitz
Von der goldnen Lockenmähne
War umrahmt wie die Oblate
Von der goldenen Monstranz.
Meeresblau ihr weiter Umhang,
Meeresblau das lange Beinkleid,
Allerfeinste Muschelseide
Von des Regenbogens Farben
War das Hemdchen und die Brüste
Waren voll der Milch des Trostes!
War es wirklich Lorelay?
Oder war es die Madonna?