Von Josef Maria Mayer
„Odi
profanum vulgus et arceo.“
(Horaz)
ERSTES KAPITEL
Im neuen
Jahrtausend, am ersten Tag sah ich Devi. Sie saß im Sessel, müde
noch vom berauschenden Fest. Sie trug einen schwarzen Wollpullover,
der gemütlich aussah nach Geborgenheit. Wie gerne hätte ich geruht
in ihren runden Armen, in der Beuge ihrer Arme, wie gerne hätte ich
geruht an diesen süßen Brüsten, an diesem warmen Busen! Sie trug
die langen Haare offen, sie waren noch verwirrt vom Schlaf, sie waren
hennarot und bräunlich, gelockt, eine wahre Löwenmähne! Ihre Mund
war tiefrot, scharlachrot geschminkt! O Mund, ich möchte eine
Litanei singen an diesen gebenedeiten Mund! Ich studierte einst an
der Universität den Zusammenhang von Karneval und Literatur und
studierte die Lachkultur der Frauen, da lernte ich vom Grotesken der
Weiblichkeit, vom Grottengeheimnis des Weibes, das Symbol des Weibes
sei der Mund, das Symbol des Mannes die Nase, denn des Weibes Mund
ist des Weibes Vulva, des Mannes Nase ist des Mannes Phallus! O roter
Mund Devis, wie möchte ich dich küssen! Devi saß vor mir wie eine
Diva, wie eine schwarze Madonna mit roter Löwenmähne, rotem Mund,
pure Wollust und zugleich gemütlichste Geborgenheit und Heimat der
einsamen Seele!
Ich litt
aber unerträglich an den Schmerzen der unerwiderten Liebe, an dem
Gift der unbefriedigten Liebe! Ich ertrug den Plan Gottes nicht mehr,
den Plan einer Liebe ohne Liebeslohn! Ich wollte fliehen von der
Geliebten, ich wollte sie vergessen, aus dem Herzen reißen, ich
wollte fliehen vor der Geliebten, die mein Kreuz war! Ich schrieb ihr
einen Abschiedsbrief, einen langen liebevollen Abschiedsbrief. Wer
solch einen Brief schreibt, der nimmt nicht Abschied. Wer wirklich
Abschied nimmt, der schreibt nur einen Satz. Wie könnte ich von ihr
Abschied nehmen? Von ihr Abschied nehmen, hieße von meinem Herzen
Abschied nehmen! Aber wie schmerzlich die Qual der unbefriedigten
Liebe! Noch suchte ich im Glauben das irdische Glück, noch hatte ich
nicht Ja gesagt zum Martyrium des Herzens, zum Martyrium der Minne!
Ich
suchte bei einem Psychologen Heilung von der Krankheit der Liebe!
Hatte ich nicht gelesen im Hohenlied Salomos: Ich bin krank vor
Liebe? Welcher Psychologe, welcher Therapeut, welches Hospital,
welche Kur, welche Diät, welche Pille und welches Irrenhaus heilt
von der Krankheit der Liebe? Sollte es nicht heißen im Hohenlied
Salomos: Ich bin unheilbar krank vor Liebe? Und sollte es nicht
heißen: Ich sterbe an einer unheilbaren Krankheit, an der Krankheit
der Liebe?
Der
protestantische Therapeut diagnostizierte eine Romanzensucht. Ich bin
der Don Juan der unerwiderten Liebe! Ich bin der Don Juan der
Anima-Liebe! Aber jetzt war meine Animaliebe endgültig zur
dämonischen Besessenheit geworden! Die Geliebte war die Dämonin,
von der ich besessen war! Da sprach der Therapeut: Was hat denn die
Geliebte mit deiner Mutter zu tun? Aber ich konnte das noch nicht
betrachten, vielmehr, weil der Therapeut mich heilen wollte von der
Liebe, weil er die Dämonin, meine Geliebte, aus mir austreiben
wollte, floh ich, denn ich wollte lieber liebend krank sein als
lieblos gesund! Da resignierte der Therapeut und sagte: Nun besuche
deine Geliebte wieder!
Ich besuchte
die Geliebte und konnte ihre strahlende brennende Nähe nicht
ertragen! In der Ferne verschmachtete ich vor verzehrender Sehnsucht
und in der Nähe verbrannte ich vor dem verzehrenden Feuer! Der Herr
sprach: Ich, der Herr, dein Gott, bin ein verzehrendes Feuer! Und
Salomo sang: Die Flammen der Liebe sind die Flammen Gottes! Keine
Wasser können sie löschen! Ja, in unserer kriegerischen Zeit drängt
sich mir der Vergleich auf mit der Napalmbombe, denn das Feuer der
Napalmbombe ist auch nicht zu löschen! Meine Geliebte war meine
Napalmbombe!
Hätte
die Religion mich trösten können! Aber die Protestanten kannten
nicht das Leiden Christi, kannten nicht das Kreuz Christi! Für sie
war das Kreuz eine Leidenserfahrung Jesu von Nazareth vor zweitausend
Jahren, damals war Jesus von Nazareth gestorben, auf dass wir heute
alle froh und fröhlich sein können und singen Halleluja, feiert
Jesus, tanzt vor dem König, klatscht in die Hände mit lautem Jubel,
denn er hat uns froh gemacht! Ich brauchte ein Christentum, dass auch
dem Leidenden Christus verkündigt.
Da stieß
ich durch das Wirken der Vorsehung auf die Laientheologie des
katholischen Dichters Reinhold Schneider. Sein Erbe war die
Schwermut. Sein Evangelium war die Tragik des Gekreuzigten. Seine
Mystik war die Mystik der dunklen Nacht der Seele. So wurde ich
langsam und vorsichtig an die paradoxe Mystik der Karmel-Heiligen
herangeführt.
Nun nahm ich
erstmals geistig teil an einer Heiligen Messe, vom Heiligen Vater
Johannes Paul dem Großen gefeiert. Ich erkannte im gleichen
Augenblick: Dies war das wahre Urchristentum! Die Evangelikalen
sprachen so viel vom Urchristentum, aber hier, in der Heiligen Messe
des Papstes war das wahre Urchristentum, hier feierten Petrus und die
andern Apostel das wahre Abendmahl Jesu, hier war die wahre
apostolische Lehre, hier war die wahre universale Gemeinschaft der
Heiligen!
Eine
Zeitlang besuchte ich noch pietistische Gottesdienste, aber
schließlich besuchte ich selbst die Heilige Messe in der Kapelle,
die einen Fußweg weit von meiner Zelle entfernt war. Ich bat den
Priester um Erlaubnis, an der Kommunion teilzunehmen, und der
Priester erlaubte es mir. So führte mich das Sakrament der Kommunion
zur wahren Kirche Christi.
Ich traf
aber im Mai die schöne Devi in der Universität, zufällig, oder von
der Vorsehung gelenkt, und lud sie ein ins Museum, denn dort waren
Damaskus und Aleppo ausgestellt. Wir sahen korinthische Säulen mit
Arabesken und Fresken und der kleine Amor schaute so reizend wie Devi
drein. Wir sahen Schmuck der Antike, mit der ich die Geliebte gern
geschmückt hätte, vom Scheitel bis zur Zehe geschmückt mit Gold
und Silber und Perle und Edelstein! Wir sahen ein Rosenquarz-Flakon
mit Salböl, und ich wollte die Geliebte salben mit allen Parfümen,
die Sulamith und Kleopatra und Yang Gue-Fei jemals verwandt hatten.
Wir waren in Syrien und Devi war meine syrische Muse, ich aber war
bei ihr der Syrier, der Sohn des Höchsten.
Im Sommer
aber trug Devi das allerreizendste Sommerkleidchen, ganz wie eine
Nymphe oder Grazie, wie die Danae Wielands, die dem Platoniker
Agathon den Verstand geraubt. In mir war noch so viel puritanisches
Blut, dass ich sie bat: Verschleiere dich, Geliebte, denn deine Reize
rauben mir den Verstand! Devi war bereit, sich zu verschleiern, aber
Corinna trat zu Devi und sagte: Nein, lass dich von dem Puritaner
nicht bereden, zeige deine imperialen Reichsäpfel und offenbare
deine Macht und Herrlichkeit! Wie sah denn Devi aus? Sie trug ein
weißes Seidenkleidchen, fast durchsichtig, sie Arme waren nackt, die
Beine waren nackt bis zu den Oberschenkeln, die Brüste quollen vor
aus dem Hemdchen. So lag sie im grünen Gras des Paradiesgartens! O
die verführerische Venus! Diese pure Liebesgöttin in all ihrer
erotischen Zaubermacht verstörte den frommen Pietisten, sie war all
sein Traum von Genuss
und doch, wie die Dichterin sagte: Sein Blut plagt ihn!
Ich aber
studierte die Poesie der deutschen Romantik. Vor allem Clemens Maria
Brentano hatte es mir angetan. Seine Muttersehnsucht und seine
unstillbare Frauensehnsucht fühlte ich nach. Sein verwilderter
Roman: Das steinerne Bild von Maria, diese romantische Prosa-Poesie
wühlte meine Seele auf mit einer namenlosen Sehnsucht nach der
marianischen Frau. Ich las über die fatale Liebe Brentanos zu Sophie
Mereau, er konnte nicht ohne sie leben und konnte nicht mit ihr
zusammen sein, ewige Ruhelosigkeit trieb ihn von ihr fort und wieder
zu ihr hin und wieder von ihr fort, und er fand keine Ruhe im Genuss
der Liebe, denn er war, wie Goethe im Zweiten Faust schrieb, ein
ewiger Sehnsuchtshungerleider! Die magischen Schönheiten der
deutschen Sprache in der romantischen Poesie weckten in mir eine
Sehnsucht nach einer himmlischen Sprache, nach der Poesie des
Himmels! Alle wirklich tiefen Empfindungen und göttlichen Ahnungen
sind ja unaussprechlich in unserm hannoveranischen Hochdeutsch. Nein,
die Sprache der Engel muss
von unsrer Liebe seufzen, die Sprache der Engel muss
von der mystischen Weisheit lallen! O Madonna, erst im Himmel kann
ich dir ein würdiges Loblied singen! Gewähre mir die Gnade, Madonna
meiner Minne, dir in der Ewigkeit mit aller Kunst der Poesie den
Dienst der immer herrlicheren Verherrlichung erweisen zu dürfen!
Ein großer
Schmerz zerschnitt meine Seele. Eine katholische Novizin aus
Westfalen wies mich auf Maria hin. Ich erinnerte mich an mein ersten
Jahr als bekehrter Christ, wie ich die katholischen Huldigungen an
Maria geliebt! Ich erinnerte mich plötzlich, dass ein Titel der
Madonna war: die Balsamstaude. O Maria, himmlische Balsamstaude, lass
einen Tropfen deines himmlischen Balsamöles in meine zerrissene und
gequälte Seele tropfen! Wo soll ich Trost suchen als bei dir,
Madonna, du Balsamstaude? Barmherzige Mutter und Liebe Frau, salbe
meine verwundete Seele in der bittern Passion ihrer Liebesleiden, mit
einem Tropfen deiner barmherzigen und mitleidvollen Mutterliebe!
Vom Sommer
an war ich in eine schmerzliche Empfindung von absoluter Einsamkeit
gekommen. Alle Freunde hatten mich verlassen. Wie die Freunde Hiobs
hatten sie alle fromme Ratschläge gegeben, aber die Klagen Hiobs
schienen ihnen Ausdruck von Stolz und Sünde zu sein. Wegen deiner
Begierden muss
der Vater in seinem Zorn dich züchtigen, sagten die Frommen! Die
andern sprachen: Esse leckere Speise und trinke einen guten Wein,
denn das ist alles, was uns auf Erden bleibt! Andre sagten: Dieses
Leben ist nichtig, hoffe auf den Himmel, dort wirst du glücklich
werden! Aber die katholische Novizin sagte: Ich bin auch in meiner
Zelle eingeschlossen und der Name meiner Zelle ist: Der Garten
Gethsemane! Ja, ich auch war im Garten Gethsemane! Ich war nicht in
Elysium und nicht in Arkadien, ich war auch in einem Garten Gottes,
aber in dem Garten Gethsemane! Die Freunde schliefen, die
Liebhaberinnen hatten mich allein gelassen, die Frommen verrieten
mich mit den Weisheitssprüchen ihrer
Frömmelei. Ich sah den Becher voll des Wermuts, ich sah den bitteren
Becher einer absoluten Einsamkeit und Verlassenheit, ich rang in der
Nacht mit Gott und schrie: Herr, Herr! Nimm diesen Becher von mir,
wenn es möglich ist! Aber dein Wille geschehe, Herr! Wenn es dein
Wille ist, o Herr, dann nehme ich den Becher, mit Leiden gefüllt bis
an den Rand, aus deiner guten Hand, und wenn es möglich ist, lass
mich den Becher der Pein aus deiner geliebten Hand ohne Zittern und
Zagen empfangen! Ach, wann sendet mir Gott im Himmel einen Engel des
Trostes und der Stärkung?
Im Herbst
des Jahres Zweitausend war ich mit Devi und Valentin und Corinna auf
der kleinen Nordseeinsel in der südlichen Nordsee, die da heißt das
Dornröschen der südlichen Nordsee, an der Perlenkette der
friesischen Inseln in dem Muschelgeschmeide des friesischen Archipels
die kleinste und feinste der Perlen. O ich lebte die Heilige Familie
mit Devi und Valentin. Drei Tage lang spielten wir keusche Josefs-Ehe
mit Madonna und dem Jesusknaben. Ich hatte ein Herz für das Kindlein
und die schöne Mutter. Sie erzählte mir einen bedeutsamen Traum auf
dem Balkon in der Nacht beim Wein. Sie war in ihrem Schlafzimmer und
hörte Freundinnen sich verschwören gegen sie, Freundinnen aus der
Kindheit und erwachsene Freundinnen, und es waren da auch schleimige
Männer, ekelhafte Kerle, und ihr Lebensgefährte Albert verschwor
sich mit den schleimigen Kerlen gegen Devi. Da trat aus dem
Nebenzimmer, dem Kinderzimmer ihres Erstgeborenen eine Frau, die
hielt ein Frauenhaupt in der Hand und sprach, sie suche für dieses
Frauenhaupt einen Frauenkörper, und Devis Körper sei auserkoren,
den Frauenkörper für dieses Frauenhaupt zu sein. Am Tage gingen wir
spazieren mit einem kleinen Bollerwagen. Valentin saß wie ein
kleiner König im Bollerwagen, wie ein Jesuskind auf seinem rollenden
Räderthron, und Devi und ich wie Madonna und der keusche Josef zogen
den Räderthron des heiligen Kindes. Da sah ich die Schatten ihrer
und meiner Hand, und unsere Schatten berührten sich zärtlich in dem
Sonnenlicht am Boden der Nordseeinsel. Ich dachte in meinem Verlangen
nach Devis Liebreiz an zwei Heilige: Maria Ägyptiaca und Sankt
Antonius. Maria Ägyptiaca war eine Hure in ihrer Jugend gewesen und
ließ sich wie Oholiba die Brüste betatschen und spreizte die
Schenkel jedem Mann. Aber dann begab sie sich nach Jerusalem. Die
Schiffsfahrt bezahlte sie, indem sie sich von jedem Matrosen
beschlafen ließ. So kam sie nach Jerusalem und wollte die
Grabeskirche Christi betreten, da sprach Christus: Tritt nicht in
mein Heiligtum, du elende Sünderin! Da erschien die himmlische Maria
der ägyptischen Maria und lud sie in das Heiligtum. Die ägyptische
Maria kehrte um zu Jesus und seinen Geboten und ging in die
Einsamkeit der Wüste, um allein zu sein mit Gott. Nackt starb sie im
Wüstensand und kehrte zu ihrem Meister heim. Ein Löwe begrub ihren
schönen nackten Leib im heißen Wüstensand. Sankt Antonius lebte in
der Wüste als Einsiedler und betete allezeit zu Gott. Da versuchte
ihn der Versucher in Gestalt eines nackten Weibes und verlockte ihn,
den sexuellen Appetit mehr zu lieben als die Enthaltsamkeit für
Gott. Aber Sankt Antonius kämpfte mit seiner inneren Buhldämonin
und siegte mit Hilfe Jesu und blieb ein frommer heiliger Einsiedler,
der alle seine Begierden
in himmlische Liebesglut verwandelte. Jetzt betete ich auf meinem
ersten Rosenkranz mein erstes Ave Maria. Ich betete zehnmal: Ave
Maria, du Gnadenvolle, der Herr ist mir dir, du bist mehr gesegnet
als alle anderen Frauen, und gesegnet ist deine Leibesfrucht Jesus!
Weiter konnte ich noch nicht beten. Aber mit diesem Gebet begann
meine Liebe zur Königin des heiligen Rosenkranzes. Jedes Ave Maria
ist ein Kuss
auf den Mund der Madonna. Als ich von der kleinsten Perle, dem
Dornröschen der südlichen Nordsee, heimkehrte in meine Zelle, sang
ich immer: Ich wünschte, dieser Kuss
würde ewig währen!
Corinna war
auf der Insel schon hochschwanger, sie gebar im Millennium ihren
Erstgeborenen, Jedidja. Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns
geschenkt! Ich nahm ihn als Sohn meiner Seele an. Er sollte mir ein
großer Tröster werden. Ich stand an seiner Wiege und erschauderte
vor dem Geheimnis, dass er sich nun entscheiden müsse in diesem
einen irdischen Leben zwischen Himmel und Hölle. Er wird es schwer
haben, denn sein Zeuger hatte einen Pakt mit dem Teufel geschlossen.
Ich musste beten für Jedidja.
Meine großen
Schmerzen goss ich in einen Roman über Orpheus. Zuletzt ward Orpheus
von den Mänaden des Dionysos zerrissen. Devi und Corinna waren die
Mänaden. Wer mich aber aufnahm, das war die Jungfrau von Guadelupe.
Ich begegnete zum ersten Mal einer prophetischen Botschaft der
Madonna: „Du bist in der Beuge meiner Arme, ich bin ja da, ich,
deine Mutter, brauchst du mehr als das?“ Diese Worte berührten
mein innerstes Herz. Ich wusste noch nichts von der Rolle Mariens im
Heilsplan Gottes, ich hatte auch die Schönheit der heiligen Ikone
der Jungfrau von Guadelupe noch nicht gesehen, aber diese sanften,
zärtlichen Mutterworte sprachen unmittelbar in mein Herz.
Nun fand ich
durch die Führung des Heiligen Geistes ein Buch der katholischen
Dichterin Gertrud von Le Fort: Die Ewige Frau. Sie hatte, so wie
Reinhold Schneider von der Dunklen Nacht des Johannes vom Kreuz
beeinflusst war, sich mit der Lehre der heiligen Edith Stein über
das Wesen der Frau auseinandergesetzt. So kam mir durch die
Vermittlung der Poesie die erste Milch aus der Brust des Berges
Karmel zu. Die Ewige Frau ist die Tochter Gottes, die Mutter des
Sohnes und die Braut des Heiligen Geistes. Als Tochter ist sie die
starke Jungfrau in makelloser Reinheit, siegreich durch ihre
triumphale Keuschheit. Als Mutter gibt sie alles ihrem Sohn, schenkt
sie alles ihrem Sohn, lebt sie ganz für den Sohn und vollendet sich
in ihrem Sohn. Als Braut des Heiligen Geistes trägt sie den
Schleier, der das Wesen der Frau symbolisiert. Die verschleierte Isis
von Sais ist ein Symbol für das verschleierte Wesen der Frau. Die
radikale Entblößung ist die Preisgabe der Würde der Frau, der
Schleier aber begleitet sie als jungfräuliche Braut in der Hochzeit,
als Witwe in der Trauer, als Nonne in der Ehe mit Gott. Die Braut des
Heiligen Geistes ist es auch, die den Dichter inspiriert. Sie schenkt
dem charismatischen Dichter eine Muse als Stellvertreterin der
Madonna. Die Muse als ersehnte oder rein geistige Braut stellt im
Leben des berufenen Dichters die Jungfrau-Mutter dar. Sie bringt ihm
die andere Hälfte der Wirklichkeit entgegen. Ohne die Braut des
Heiligen Geistes begreift der Christ nicht den wahren Geist, sondern
er bleibt bei dem Gott seines Verstandes, er kennt nur den Gott, den
sein Verstand erdenken kann. Wo aber die Braut des Heiligen Geistes
ein Herz erfüllt, da zieht sie die Fülle des Heiligen Geistes in
das Herz herab.
In der
Weihnacht hatte ich eine Vision, die Madonna schwebte am Himmel und
rief mich zu sich. Die Madonna war von jugendlicher Schönheit, ganz
rein, ganz strahlend, sah aus wie die Sixtinische Madonna von
Raffael.
Ich
übersetzte die Hymne von Edmund Spenser, die Hymne an die himmlische
Schönheit, und fand in dem Lobpreis der Sapientia Divina eine
göttliche Weiblichkeit, die mich überaus faszinierte und anzog,
wenn ich auch noch nicht recht verstand, wer diese Sapientia Divina
war. Sie war schöner als die Venus der Künstler, sie war makellose
Schönheit, unbefleckte Schönheit, himmlische Schönheit, die Idee
der Schönheit an sich, sie war gewissermaßen die Platonische Urania
als das Höchste Gut. Sie war wie der Engelsgeist des Neoplatonismus.
Sie schien ganz so wie die Unbefleckte Jungfrau Maria in ihrer
himmlischen Schönheit, aber der Theologe erkannte in ihr das Wesen
des Logos, eine feminine Erscheinungsweise Christi!
ZWEITES KAPITEL
Am 9. Februar
war solch eine dichte Präsenz Christi in meiner Zelle, ich meinte
fast, Christus als Lichtgestalt zu sehen. Ich legte mich auf mein
Angesicht zu seinen Füßen. Ich hörte seine leise Stimme in meinem
innern Herzen die Worte formen: „Ich lade dich ein zum
Allerheiligsten Altarsakrament! Ich erlaube dir die Verehrung meiner
Mutter.“ Am nächsten Tag hatte ich das bestimmte Gefühl, dass
Maria, die Mutter der Barmherzigkeit, mich in ihren Schutzmantel
hüllte und bei mir war. Ich hörte in der Universität die Stimme
Mariens in meinem innern Herzen: „Du bist ein Gezeichneter.“ Die
Protestanten glaubten meiner Vision nicht. Sie wollten weiter ihre
Laientheologie betreiben und sich über den ersten Petrusbrief
austauschen. Mir aber war die Lehre Petri wichtig geworden, dass wir
eine Zeit lang leiden müssen, aber eine Ewigkeit glückselig sein
sollen. Unter den Leiden verstand ich nicht nur physische
Christenverfolgungen, wie die Protestanten, sondern alle irdischen
Leiden, alle Krankheiten und auch alle seelischen Leiden und auch den
großen Schmerz der unerwiderten Liebe. Ich trennte mich von der
protestantischen Gruppe.
Ich ging nun
oft spazieren und sprach mit der Madonna. Ich wollte allein für die
Madonna leben und bat Gott in jener Zeit ums Charisma der
Ehelosigkeit, um ganz allein mit der Madonna vermählt zu sein. Dann
studierte ich in der Universitätsbibliothek die katholische
Mariologie. Von Maria nie genug, sagte ein Heiliger. Ich bewegte mich
von Anfang an in die Richtung eines marianischen Maximalismus. Ich
studierte dann die Dogmen der Kirche, die Lehrentscheidungen der
Päpste aller Jahrhunderte. Die katholische Novizin aus Westfalen
machte mich bekannt mit den Erscheinungen Mariens in Medjugorje. Ich
betete ein Weihegebet an die Allerheiligste Dreifaltigkeit durch das
Unbefleckte Herz Mariens. Ein charismatischer Prophet aus Frankreich
bezeichnete Maria vor allem als die Braut des Heiligen Geistes. Ich
hatte große Schwierigkeiten, Maria als Mutter anzurufen. Eine
Feministin schrieb einmal: Im Mittelalter war das Frauenideal die
Unbefleckte Jungfrau, im bürgerlichen Kapitalismus ist das
Frauenideal Frau Saubermann, die Meisterin der Hygiene. Ich nannte
Maria vor allem Braut des Heiligen Geistes und meine Braut. Der
katholische Priester empfahl mir, mit Maria wie mit meiner Freundin
zu reden. Ich studierte nun auch die Weisheitsschriften des Alten
Testaments, die die Protestanten aus der Heiligen Schrift entfernt
hatten. Ich sah einen Lebensplan vor mir, Bräutigam der Ewigen
Weisheit zu sein und Minnesänger der Madonna.
Ich erinnere
mich an den seligen Mai, den Mai der Madonnen-Minne! Selig schenkte
mir Madonna meine Devi wieder in erneuerter Schönheit! Nun war Devi
das Abbild der Madonna. Ich sah Raffaels Madonna im Sessel, so saß
Devi vor mir in ihrem Sessel, wenn sie mich empfing. Sie gewährte
mir Audienz, wir durften plaudern über Gott und die Kunst. Sie
schätze mich als Philosophen und Poeten. Ich schätze sie als meine
Inspiration und als Abbild der göttlichen Schönheit. Ich sah im
Geist den Mund der Madonna, ich sah Devis roten Mund. Was sah ich,
Devis Mund, den Mund der Madonna? Es war der rote Mund der
Minnegeliebten, ich küsste im Geist den roten Mund der Madonna.
Mit Devi
ging ich zu einer Aufführung chinesischer Kampfkunst. Devi war schön
geschmückt wie eine orientalische Muse. Sie war die Grazie und der
Liebreiz in Person, geschmückt wie die himmlische Braut Jerusalem!
Der Meister der chinesischen Mönche überreichte Devi eine weiße
Lilie. Mich hatte mein geliebtes China wieder ergriffen. In einem
großen Garten beim Haus der katholischen Studenten saß ich allein
und sah in diesem Garten einen chinesischen Garten und wollte als
chinesischer Dichter chinesische Naturgedichte schreiben. Da begann
ich, Gedichte von Li Tai-Bo aus dem Englischen zu übersetzen und
nachzudichten. Ich gab Devi die Gedichte und sie lobte meine Verse.
Da durfte ich fortan ihr meine Gedichte zu lesen geben. All meine
Liebesgedichte, die Devi als Madonna oder als Braut Christi priesen,
durfte ich ihr in Liebesbriefen zuschicken, und sie las sie gerne und
lobte meine Lieder.
Der Mai ging
in einen strahlenden Sommer über. Ich las die Gedichte von San Juan
de la Cruz und versuchte sie nachzudichten. Da ward ich ergriffen von
der Liebesglut des göttlichen Eros! Ich brannte in einem heißen
Feuer der Liebe, ich wusste nicht, ob meine erotische Liebe Devi
galt, der Madonna galt, Gott galt? Es war eine brennende Liebe, ein
göttlicher Eros, der liebte, weil er liebte! Es war eine Liebe, die
nicht dies oder jenes liebt, sondern die liebt um der Liebe willen,
eine göttliche Liebe, die die göttliche Liebe liebt! Ich war
verliebt in die göttliche Liebe!
Devi zeigte
mir das Paradies in ihrem Garten. Alles blühte in himmlischer
Schönheit in ihrem Garten. In diesem Paradiesgärtlein der Madonna
auf Erden sah ich den Garten Eden wiederauferstehen. Aber es war
nicht allein der himmlische Garten Eden auf Erden, der allein nicht
selig macht! Was frage ich nach dem Garten Eden, was frage ich nach
dem himmlischen Paradies, wenn die Geliebte nicht gegenwärtig wäre?
Aber sie war ja da! Sie war der Inbegriff der Schönheit, von einem
göttlichen Liebreiz, eine Grazie Gottes, eine göttliche Charis! Ihr
Leib war mehr noch Paradiesverheißung als der allerschönste Garten!
Sie war eine Verheißung von ewiger Wonne und Lust, von Ekstase der
Glückseligkeit!
So kam ich
nach Lourdes. O schöner Süden, würdig der Madonna! Die
Jugendlichen waren auf der Suche nach Sommerromanzen oder einer Ehe,
die alten Mütter sangen der Großen Mutter Gottes, aber ich schlich
mich abseits durchs Gebüsch und suchte die Madonna der Minne, Maria
als Freundin, Maria als Braut, Maria als Geliebte. Ich legte bei
einem Priester meine Generalbeichte ab. Dann kroch ich auf Knien den
Kreuzweg entlang. Am Ende des Kreuzweges kam ich in eine Halle, da an
allen Wänden Fotos von Michelangelos Pieta ausgestellt waren. Als
ich aber der Mund der Pieta sah, den Mund allein, da begannen meine
Knie zu zittern, denn ich schaute die göttliche Schönheit, die Idee
der Vollkommenheit! Es war, als küsste mich die Madonna! Drauf sang
ich das Hohelied in französischer Sprache nach. Ich hatte den
Musenkuss
der Madonna empfangen! Fortan war auch ich ein Goldmund, fortan war
ich der charismatische Troubadour Mariens! Dann steckte ich mir einen
Rosenkranzring an, der zehn Ave-Perlen trug, der Priester weihte ihn
mir auf der Kappelle des Hügels, der den Namen Berg Karmel trug. Ich
war fortan Verlobter der Madonna. Und Maria sprach durch einen
Propheten zu mir: „Du hast mich so oft gebeten, Ja zu dir zu sagen.
Ich sage jetzt mein Ja zu dir, sag auch du dein Ja zu mir, ein Ja für
immer!“
Wieder
zuhause dichtete ich die homerischen Epen nach. Das Licht des Südens
und die Schönheit der Madonna und der erotische Liebreiz Devis im
sommerlichen Paradiesgarten evozierten mir die Vision einer
himmlischen Aphrodite, einer Göttin der Liebe und Schönheit!
Berauscht
von Liebe, Leidenschaft, Eros und Wein fühlte ich mich verzückt
entrückt in den Garten Eden, ich war bei der ersten Schöpfung, bei
Eva von Eden, ich sah die Entrückung Evas an den Thron der Madonna,
der Himmel war voller Grazien und Huris, ein Meer der Liebe und ein
Paradiesgarten der Schönheit! Aber dann stürzte ich auf den
felsenharten Boden der Realität, auf die lieblose Erde! Da
verzweifelte ich und es verdross
mich zu leben! Der Feind trat zu mir und versuchte mich mit dem
Gedanken an den Selbstmord. Ich bat einen Priester um Hilfe, aber er
verwies mich ans Irrenhaus. Dort setzte man mich eine Woche lang
unter Drogen. Ich durfte in diesem medizinischen Drogenrausch noch
einmal im Halbschlaf vom Paradies träumen, die allerschönsten
Träume trösteten meine Seele. Bald aber raubte mir der Lärm und
das Geschrei der Irren die Ruhe, ich ging in meine Wohnung. Ich
fühlte mich wie ein absolut einsamer Mensch auf der Erde, der keinen
anderen Halt und Trost hat als die Liebe Mariens allein. Nur der
schmerzensreiche Rosenkranz als Nabelschnur der himmlischen Mutter
rettete mich in dieser finstern Stunde. Ich begriff die Lehre über
die Mystische Union mit Maria: Wer sich ganz mit Maria vereinigen
will, muss
bereit sein zur totalen Menscheneinsamkeit!
So führte
Madonna mich in den Schoß der heiligen Mutter Kirche. Ich ward
gesalbt mit Chrisam oder Myron, bekannte mich zum Glauben der
Apostel, ward berufen, den Reichtum des Wortes Gottes in die Kirche
einzubringen. Ich wurde erfüllt vom Heiligen Geist und tanzte nach
dem Gottesdienst an der Hand des Heiligen Geistes durch die Straßen.
Ich traf mich an diesem Tag mit Devi, schenkte ihr einen Strauß
Rosen und trank ein Glas Champagner mit ihr.
DRITTES KAPITEL
Daran denk
ich gerade, wie ich mit Devi im Winter einen Spaziergang machte unter
den Bäumen am Flötenteich, da die Wiesen mit Schnee bedeckt waren,
wir uns scherzend heiter mit Schnee bewarfen. Das vergesse ich nicht,
was ich da sah, wie Schneestaub glitzernd auf Devis langen braunen
Wimpern lag! Tausend Grazien auf einer Wimpernspitze!
Ich
versenkte mich ganz ins Marienleben. Drei Marienleben schrieb ich.
Das erste erzählte ihr Marienleben von Sankt Anna an, bis zur
Mystischen Rose im Himmel. Dabei entdeckte ich die Erzählung von
Agabus. Nämlich als Madonna einen Mann bekommen sollte, bewarben
sich zwölf Männer vom Stamme Davids. Nach dem Entscheid des
Heiligen Geistes ward Josef auserwählt. Agabus aber war so
leidenschaftlich verliebt in Maria, dass er in großem Liebesschmerz
den Stab des Orakels über seinem Knie zerbrach. Ich fühlte so mit
dem armen Agabus, ich kannte diese Leiden des jungen Agabus! Ich war
ja selbst der verschmähte Freier, und Devi war ja selbst schön wie
die Madonna, aber mir nicht von Gott gegeben! Später meinte ich, auf
der Hochzeit von Kana im Hintergrund im Hochzeitssaal auch Agabus zu
sehen, wie er heimlich die Madonna bewunderte, als sie Wasser in Wein
verwandelte durch die Allmacht ihrer Fürsprache. Ja, ich kam auf den
Gedanken, Agabus sei gewiss
vor Schmerz zum Eremiten auf dem Berge Karmel geworden und ein großer
mystischer Verehrer der Gottesmutter Maria. Da tröstete ich mich mit
dem Gedanken, die Madonna sei noch oft in einer Bilokation oder
später als Himmelskönigin dem Einsiedler vom Berge Karmel
erschienen und habe den verliebten Agabus letztendlich doch noch als
einen mystischen Bräutigam angenommen. Die Madonna hat ja so ein
barmherziges Herz! Wie könnte sie einen, der sie leidenschaftlich
liebt, unglücklich lassen? Hat sie je einem Mann das Herz gebrochen?
War ihr Herz nicht allen offen? Hat sie nicht selbst gesagt im Buch
der Sprüche Salomos: Ich liebe, die mich lieben? So hat auch Agabus
nach langen Leiden zuletzt noch seine Vermählung mit der Jungfrau
Maria gefunden, aber nicht im irdischen Sinne, sondern im mystischen
Sinn.
Das zweite
Marienleben, das ich schrieb, beschrieb die Ikonen der Orthodoxen. Da
gibt es ja fest vorgeschriebene Typen. Ich sah im Geist all diese
Ikonen der Gottesmutter mit dem Gottessohn vor mir. Dabei vermischte
sich vor den Augen meines Herzens das Bild Devis mit ihrem kleinen
Valentin mit den Ikonen Mariens mit dem kleinen Jesuskind. Besonders
liebte ich die Galaktotrophousa, die Maria Lactans, die
milchspendende Madonna. Ich sah Maria ihr Kleid öffnen und ihre
Brust hervorholen, das Jesuskind an die Brust legen, und ich sah, wie
das Jesuskind getröstet ward in seinem Kreuzesleiden an der Brust
der göttlichen Mutter, die ihm die süße Milch des Trostes
einflößte aus dem prallen Reichtum ihrer herrlichglänzenden
Mutterbrust! Ich sah Valentin auf dem Schoße Devis und sie küssen
mit kindlicher Zärtlichkeit. Und ich wollte selbst als solch ein
heiliges Kind auf dem Schoß der heiligen Mutter sitzen und ruhen in
ihrem Arm und saugen an ihren glänzenden Brüsten und küssen ihren
Mund! Ich wollte selbst an stelle Valentins die Mutter Devi küssen,
und ich bat das Jesuskind, mir seinen Platz zu überlassen, damit ich
an den Brüsten der Madonna saugen dürfe!
Das dritte
Marienleben, das ich schrieb, ging auf eine tiefenpsychologische
Interpretation byzantinischer Marien-Ikonen zurück. Da wurde Maria
zu einem Symbol der Seele. Maria war Inbegriff der Anima. Da war die
Bildsprache der heiligen Ikonen eine Sprache der ewigen Archetypen.
Da fand die Vermählung des Männlichen und des Weiblichen statt. Da
fand der Mann die vollkommene Ikone seiner inneren Anima. Die Anima,
die ich immer projiziert hatte auf die Frau, die fand nun ihren
makellosen Ausdruck in der unbefleckten Madonna. Sie war ich und ich
war sie, sie war die Seele meiner Seele. Nun verstand ich das Wort
des Magnificat anders: Magnificat anima mea dominum! Maria selbst war
die Anima Mea und pries die Größe des Herrn. Maria selbst war die
Anima Mea und vermählte sich mit Gott, indem sie ihr Ja-Wort sprach.
Maria selbst war die Anima Mea, die mit Christus litt die
Kreuzesleiden und die mit Christus verherrlicht wurde im Himmel.
Maria selbst war die Anima Mea, die in der Vollendung Braut Christi
ist und als Himmelskönigin mit dem Himmelskönig herrscht!
Auf mir
ruhte die Salbung. In mir brannte die Liebe. Was ich sah, war eine
Vision des Göttlichweiblichen. Ich verklärte in religiöser Erotik
meine Geliebte Devi zur Göttin und in erotischer Religion verklärte
ich Gott als eine himmlische makellose Göttin der Schönheit,
Weisheit und Liebe. Ich sang Devi als germanische Göttin, sie war
mir Iduna, die makellose Jungfrau im weißen Kleide, die im Paradiese
die Äpfel des ewigen Lebens hütet und die die Dichter inspiriert
mit ihrem inspirierenden Kuss.
Sie war Frick, die große Göttin der ehelichen Liebe! Sie war
Freyja, nicht die schwarze Katzengöttin der Hexen, sondern Unsre
Liebe Frouwa, die himmlische Liebe und Schönheit in makellosem
Liebreiz ihrer fleckenlosen Grazie! Ich sang Devi als Aphrodite, aber
nicht die närrische Aphrdite des Homer, die
menschlich-allzumenschlich ist, sondern die weibliche Inkarnation der
Liebe Gottes, die göttliche Liebe selbst. Die Aphrodite der Heiden
war ja nichts als ein Symbol für die erotische Liebe zwischen den
Geschlechtern und für die Macht des göttlichen Eros in der Natur,
die Aphrodite der Heiden war niemals selbst eine liebende Göttin,
sie wurde wie der Gott des Aristoteles von den Menschen gefürchtet
und geliebt, aber sie selbst war keine liebende Göttin, sondern eine
launische Willkürherrscherin, die Tyrannei der Triebe. Aber die
Aphrodite, die ich in Devi schaute, war die Aphroditissa der
griechisch-orthodoxen Kirche von Zypern, die Panhagia Aphroditissa
von Kouklia, die gen Himmel gefahrene Madonna, mit Leib und Seele in
den Himmel aufgenommen, die zum Zeichen ihrer Auferstehung den Gürtel
ihres Liebreizes, den Gürtel ihrer Charis dem Apostel Thomas
in die Hände
legte, der diesen Charis-Gürtel der Aphroditissa auf dem Gipfel des
Olymp im Kloster als Reliquie bewahrte. Ich will pilgern auf den
Gipfel des Olymp und den Charis-Gürtel der Aphroditissa Maria
küssen! Ich verherrlichte Devi als chinesische Göttin Guan Yin. Wer
ist diese, die heraufsteigt aus der Morgenröte? Sie ist die Vision
der Chinesen von der makellosen Mutter der Barmherzigkeit, der Mutter
der Gnade, der barmherzigen Jungfrau, die Mitleid mit allen Armen und
Leidenden hat. Sie ist die chinesische Madonna mit dem Kind im Arm.
Manche meinen, sie ist eine Erinnerung an die Marienverehrung, die
der heilige Apostel Thomas auf seiner Missionsreise nach China
gestiftet hat. Diese Jungfrau Maria des heiligen Apostels Thomas
wurde später von den Chinesen als Guan Yin verehrt, die
jungfräuliche und unbefleckte Göttin der Barmherzigkeit. Was ich in
diesen Visionen des Göttlichweiblichen schaute, war die Liebe
Gottes, die Schönheit Gottes, die Barmherzigkeit Gottes. Die Liebe
Gottes sah ich als Unsere Liebe Frouwa, die Schönheit Gottes sah ich
als Aphroditissa von Zypern, die Barmherzigkeit Gottes sah ich als
chinesische Mutter der Barmherzigkeit. Die dreifaltige Gottheit der
Liebe, Schönheit und Barmherzigkeit sah ich im Spiegel der Jungfrau
Maria. So schrieb Puschkin: Ein Gott in drei Personen, das schien mir
nicht vernünftig, bis ich sah in meiner Einen Geliebten die drei
Grazien vereinigt. Madonna, die mir in ihrer Stellvertreterin Devi
erschien, begegnete mir als der Spiegel der Allerheiligsten
Dreifaltigkeit.
Der Eros
glühte in mir. Devi erschien mir schön wie Venus. Ich dichtete das
Märchen von Amor und Psyche nach. Devi war Psyche, die so schön
war, dass Venus eifersüchtig wurde. Devi war so reizend, dass sie
eine Zeit lang beinah die Madonna in den Schatten stellte! Und wer
war Eros? Eros, das war mein Herz, Eros, das war Christus. In mir war
Christus der Bräutigam der Psyche Devi, Christus in mir war der
Bräutigam Eros. Was begehrte der Bräutigam Christus-Eros? Er kam
aus den höchsten Himmeln vom Göttervater herab und gesellte sich
der sterblichen Braut zu, schloss
einen Pakt der Liebe mit ihr, vereinigte sich mit ihr in mystischer
Kommunion als wie in einer erotischen Erkenntnis. Aber Psyche fiel
vom Glauben ab durch ihren Zweifel, durch ihren Mangel an Glauben.
Der göttliche Eros Christus aber gab seine Braut nicht auf, sondern
sandte die Madonna Venus, die arme verlorene Psyche Devi zu prüfen
und zu läutern. Sie musste durch das Feuer der Leiden, durch den
Reinigungsofen der Trübsal, durch die dunkle Nacht der Seele. Auf
die allmächtige Fürsprache der Königin der Schönen Liebe gelangte
Psyche in die Gunst, erneut von Christus-Eros angenommen zu werden.
Nun konnte der himmlische Amor Jesus sein Werk vollenden, zu dem er
gesandt war vom Göttervater Jove, dem Herrn, er konnte Psyche
vergöttlichen, durch die Vereinigung mit seiner göttlichen
Menschheit wurde ihre Menschheit vergöttlicht. So gelangte sie auf
den Gipfel des Olymp und lebte in der Burg der Himmlischen in der
himmlischen Hochzeit mit dem Bräutigam Eros. Dieses Märchen aus
Rom, dieses Märchen aus dem alexandrinischen Isis-Mysterienkult war
eine tiefe neuplatonische Weisheit. Die Protestanten hatten immer die
Agape gegen den Eros ausgespielt und einen unversöhnlichen Gegensatz
zwischen Mutter Teresa von Kalkutta als Ikone der göttlichen Agape
und Don Juan als Ikone des sterblichen Eros aufgestellt. Ich hatte
aber im wahren Don Juan, in San Juan de la Cruz, schon etwas von der
göttlichen Eros-Macht des Herrn Jesus empfunden. Erst Papst Benedikt
in seiner Enzyklopädie Deus Caritas Est
sprach das befreiende Wort, dass Gott Caritas ist, aber Gott ist auch
Amor. Dionysios Areopagita erklärte mir später das geheime Wesen
des göttlichen Eros, der Christus ist. Zuerst aber lernte ich es
durch die Poesie, durch das Leben, ja, ich lernte es durch Devi.
Ich las in
jener Zeit ein Buch von einem Benediktinerpater, der das Verhältnis
von Eros und Mystik beschrieb. Der Autor verwies auf die himmlische
Erotik der Brautmystik einer Mechthild von Magdeburg und auf die
himmlische Minne eines Heinrich Seuse zur Ewigen Weisheit. Diese
katholische Brautmystik war hohe Minne, aber zugleich auch gesättigt
von einer poetischen Erotik, von einem bräutlich-erotischen
Verhältnis zur Gottheit.
Dann
studierte ich einen jüdischen Religionsphilosophen, der das
Verhältnis des Eros zur Religion überhaupt behandelte. Er sprach
von der Religion der Schöpfungswonne, wie er sie nannte, der
Religion des Mutterrechts aus der vorhistorischen Menschheitsepoche,
da die große Muttergöttin der Fruchtbarkeit die ewige Wiederkehr
der Natur verhieß, da das Geheimnis der schöpferischen
Fruchtbarkeit gefeiert wurde in dem religiösen Kult der Heiligen
Hochzeit von Gott und Göttin, von Himmel und Erde, von Phallus und
Vulva. Heute wollen manche Frauen diese Religion erneuern, aber nach
der Auffassung des jüdischen Philosophen ist der Mensch in unserm
Zeitalter auf Erlösung angewiesen, er kann nicht einfach die
Schöpfung und die Fruchtbarkeit der Natur feiern, sondern sehnt sich
nach einem Erlöser. Was aber ist Eros in der Religion der Erlösung?
In der religiösen Erotik offenbart sich eine göttliche Dimension in
dem Geheimnis der zwischengeschlechtlichen Erotik. Dabei gibt es zwei
Formen, diese religiöse Erotik zu leben. Das eine nannte er die
umarmende Erotik, das ist die Ehe, da Mann und Frau als ebenbürtige
Partner in Vereinigung eine gewissermaßen göttliche Ganzheit
bilden. In der Vereinigung des Mannes und der Frau ist der Geist
Gottes als dritte Person gegenwärtig, ja, bis hinein in den Akt der
sexuellen Vereinigung. Diese umarmende Erotik ist vor allem
Herzensangelegenheit der Frauen, wie der Philosoph glaubte. Der Mann
neigt eher zur zweiten Form der religiösen Erotik, der anbetenden
Liebe. Hier wird die Geliebte nicht als gleichberechtigte Partnerin
angesehen, sondern sie wird in die Sphäre einer Göttin erhoben. Die
gesamte hohe Minne des Mittelalters war solch eine anbetende Erotik.
Dante und Goethe waren als Dichter Vertreter dieser anbetenden
Erotik. Dante erhob Beatrice zu einer Heiligen und Quasi-Göttin im
Paradies und Goethe verherrlichte die Frau von Stein als eine
himmelfahrende Madonna. Wenn dem Dichter die konkrete sterbliche Frau
nicht mehr genügt als Objekt seiner Anbetung, wählt er sich
womöglich ein Ideal, gebildet aus Traum und Phantasie. Vollendet
wurde diese anbetende Erotik in der Marien-Minne, da die
Dichter-Mönche sich als Josef bezeichneten, die Madonna ihre wahre
Freundin nannten, ihre Schwester und Vielgeliebte. Der Höhepunkt der
anbetenden Marienminne ist die mystische Vermählung mit Maria.
Raffael hat in seiner Sixtinischen Madonna diese anbetende Erotik
verherrlicht, da die Madonna als eine allerreinste Frau in der Aura
einer Gottheit erscheint. Goethe hat in dem letzten Akt des Faust die
Mater Gloriosa angebetet als Jungfrau, Mutter, Königin, ja, Göttin!
Der römisch-katholische Renaissance-Poet Jakob Balde pries Madonna
als Diva und Dea Domina. Das ist der Höhepunkt der anbetenden
religiösen Erotik. Diesen Weg also wies mir die Ewige Weisheit und
der göttliche Eros, die eine Person sind.
Im Sommer
lag ich im Schlosspark unter einer mächtigen Blutbuche und fühlte
mich wie Adam im Paradies. Adam war schon die Rippe entnommen, die
Wunde war noch nicht mit Fleisch geschlossen, Gott hatte im
Verborgenen schon die Rippe zur Eva gestaltet, aber Gott hatte die
Eva noch nicht zu Adam geführt. Adam fühlte den Schmerz der Wunde,
ihn schmerzte die fehlende Rippe, er wusste, Eva lebt, aber Gott
schien Adam die Eva nicht schenken zu wollen. Adam blieb allein mit
seiner schmerzenden Herzenswunde. Da las ich die Botschaften Marias
von Medjugorje. Es überströmte mich solch ein himmlisches Glück,
eine solche himmlische Liebe und Schönheit, dass der blaue
Sommerhimmel mit der leuchtenden Sonne fast die Gestalt der
Himmelskönigin annahm, die mich von oben voller Huld, Gnade und Güte
anlächelte voll entzückenden Liebreizes, voller Warmherzigkeit! Ich
fühlte mich unaussprechlich schön geliebt von der himmlischen
Madonna. Ein charismatischer Prophet pries die Königin des Friedens
und betete: Maria, ich weihe dir jedes Gefühl der Einsamkeit in mir.
Gott sprach zu Adam: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.
Als der Neue Adam auf dem Holz des Kreuzes entschlief, gebar Gott aus
der Herzenswunde des Neuen Adam seine Braut, die Neue Eva. Du, o
Maria, Neue Eva, erwirke mir die Liebe zur vertrauten Einsamkeit mit
Gott, dass ich liebend gern allein bin mit dem alleinigen Gott! Da
sprach die Königin des Friedens ihre Hauptbotschaft zu mir: Bete,
bete, bete! Ich beschloss,
mein Leben, meinen Tag, meine Stunden in den Dienst des
immerwährenden Gebetes zu stellen. An jenem Tag erfüllte Maria mich
mit der Schönheit und Freude der Kinder des Lichts. Ich hatte
Frieden mit Gott und Frieden in meinem Herzen. Durch mein Gebet zur
Königin des Friedens wollte ich wie in einer marianischen
Friedensbewegung der Frieden Christi in die Welt tragen.
Durch die
katholische Novizin aus Westfalen und den charismatischen Propheten
aus Frankreich war ich auf das Goldene Buch des heiligen Ludwig Maria
Grignion von Montfort gestoßen. Nicht allein die Ganzhingabe an
Maria beeindruckte mich stark, sondern auch die Verherrlichung der
Ewigen Weisheit. Grignion nannte sie Himmelskönigin und Idee der
Schönheit. Er meinte damit aber nicht Maria, sondern Jesus, die
Ewige Weisheit, die Himmelskönigin und Idee der Schönheit. Diese
Ewige Weisheit schließt einen Bund mit ihrem Auserwählten, der
einer geistlichen Ehe gleichkommt. Die Kinder der Welt haben dafür
kein Verständnis, aber diese Ehe, obwohl eine rein geistliche Ehe,
ist doch eine wirkliche Ehe. Grignion sprach auch davon, dass die
Ewige Weisheit, nachdem sie leidenschaftlich das Kreuz begehrt,
gekreuzigt, gestorben, begraben, auferstanden am dritten Tage und gen
Himmel gefahren ist, dass diese Ewige Weisheit auf Erden geblieben
ist in der demütigen Gestalt des Brotes verborgen, so dass, wer die
Hostie speist, sich mit der Ewigen Weisheit in der Kommunion mystisch
vereinigt.
Ich sah dann
den Papst Johannes Paul vor der heiligen Ikone der Jungfrau von
Guadelupe knien. Es war das erste Mal, das ich die Jungfrau von
Guadelupe sah. Ich hörte, das Original sei unvergleichlich schön,
ein Bild nicht von Menschenhand, und es sei auch nicht zu kopieren.
Dennoch freute ich mich sehr, als eine Kopie des wunderbaren
Gnadenbildes mir von der katholischen Novizin geschenkt wurde. Ich
erkannte mein Ideal in diesem Bild. Sie war schöner als die Pieta
von Michelangelo, schöner als die Sixtinische Madonna von Raffael,
schöner als die Felsgrottenmadonna von Leonardo da Vinci! Sie war
schöner als die Mona Lisa von Leonardo und die Venus von Botticelli!
Sie war die Ikone der göttlichen Schönheit, Abbild der Idee der
Schönheit! Mir schien sie Devi ähnlich. Devi in ihren liebevollsten
Stunden war wie ein Schimmer dieser Jungfrau von Guadelupe. Diese
Devi und diese Jungfrau von Guadelupe war auch die schwarze und
schöne Freundin Sulamith. Ich erwählte sie zu meinem Ideal.
Der
Fundamentalismus im Islam war in den Terrorismus übergegangen. Ich
fühlte mich herausgefordert, mich mit dem Islam zu beschäftigen.
Der evangelikale Protestantismus dachte sich den Islam als eine
antichristliche Erfindung Satans. Aber das Zweite Vatikanische Konzil
bezeichnete den Islam als eine ehrwürdige Religion des Einen Gottes,
des Schöpfers, des Barmherzigen und Allweisen Herrn, des Richters
der Welt. Ich begann, den Koran zu lesen und beschäftigte mich mit
der mystischen Weisheit der Dichter-Propheten. Zuerst näherte ich
mich dem Islam über den Westöstlichen Diwan Goethes, die
Nachdichtungen und Nachahmungen islamischer Liebespoesie von Rückert
und Platen. Dann las ich Hafis, Saadi, Nizami und Rumi. Ich fand hier
eine Religion der Liebe, eine Brautmystik, die nicht allein aus den
Quellen des Koran gespeist war, sondern auch aus dem Alten und Neuen
Testament, dem Neuplatonismus und indischer Mystik. Jenseits der
dogmatischen Begrenzungen und Unterschiede gibt es eine
Religions-Ökumene der Mystik. Die Sprache der Liebe sprechen alle
Völker, und alle Dichter und Liebenden, die Gott in der Sprache der
Liebe verherrlichen als Bräutigam ihrer Seele, sind nicht fern dem
Reich Gottes oder sind gewissermaßen anonyme Christen. Manche
sprechen ja von der von Natur aus christlichen Seele, ja, man kann
sagen von der von Natur aus katholischen Seele jedes Menschen. Jeder
Mensch, der aufrichtig Gott sucht, kann von Christus dem Bräutigam
berührt werden, auch ohne dass er der Kirche angehört. Das sagte
schon Augustinus, dass das Himmelreich Gottes nicht identisch ist mit
der Kirche Christi. Der Geist weht, wo er will. Die Terroristen des
Islamismus aber, die sich auf Gott beriefen und den Mord als
Martyrium verherrlichten, standen in der Knechtschaft Satans.
Meine tiefe
Traurigkeit der Seele, immer wieder erneuert durch das
Verschmähtwerden meiner leidenschaftlichen Liebe, fand einen Trost
in der reinen
kindlichen Liebe Jedidjas, des Sohnes Corinnas. Er war jetzt zwei
Jahre alt und verschmähte seine Eltern, wenn ich kam. Wir waren
glückselig zusammen in den gemeinsamen Spielen und Lesungen und
Liebkosungen. Er lernte von mir sprechen und gehen. Solange noch
neugeborene Kinder an den Brüsten ihrer Mütter trinken, ist noch
eine Hoffnung für die Menschheit. Die reinen strahlenden Augen eines
kleinen Kindes lassen den Gläubigen und Liebenden in das Antlitz
Gottes schauen. Ich las die Briefe der Kleinen Therese von Lisieux
und nahm daraus vor allem die Verehrung Christi als göttliches
Jesuskind auf.
In Jedidja begegnete mir das Jesuskind. Ich war von den Frauen
verschmäht, verachtet, ausgenutzt worden, aber das göttliche
Jesuskind liebte mich mit bedingungsloser Liebe. Ja, ich kann es nur
sagen, wie paradox es auch klingen mag, es war mir, als ob das
göttliche Jesuskind mich anbetete! Du kannst an alle Götter
glauben, an welche du willst, aber es gibt nur einen wahren Gott, der
an dich glaubt! Sobald ich in dem kleinen Kinde Jedidja gewissermaßen
ein Sakrament des göttlichen Jesuskindes erblickte und ich das
göttliche Jesuskind anbetete, indem ich meine Liebe dem Kinde
Jedidja schenkte, begann das Jesuskind an mich zu glauben! Ich war
ganz bereit und ganz hingegeben und sprach zum göttlichen Kinde:
Nimm mich als dein Spielzeug an, nimm mich als deinen Ball an und
spiele mit mir dein göttliches Ballspiel! Spiele mit mir, wenn du
Lust und Verlangen hast, mit mir zu spielen, und lass mich liegen,
wenn du müde bist, ich bins zufrieden! Ich bin nichts als der Ball
des göttlichen Kindes! Und wenn du, o göttliches Kind, wenn du
lachend ausrufst: Ballo! Dann bin ich da und lass
dich mit mir spielen!
Nun trennte
Devi sich von ihrem Lebensgefährten Albert. Sie wollte eine eigene
Wohnung mit ihrem Sohn Valentin beziehen. Ich bot ihr meine Hilfe an.
Wir renovierten zusammen eine Wohnung. Ich war ihr Sekretär für
bürokratische Angelegenheiten und ihr Hilfs-Zimmermann. Sie war von
Berufsausbildung Zimmermännin und so bildete sich in mir der Mythos
von Sankt Josef, dem Zimmermann, der mit der Madonna zusammen die
Wohnung in Nazareth baute, dabei sah ich an Devi, wie die makellose
Madonna eine geschicktere Zimmermännin war als Sankt Josef. Wie
Madonna den Hammer hielt und geschickt bewegte! Wie sie nagelte! Wie
sie den Pinsel in die Farbe tauchte und pinselte! Es war eine Arbeit
wie eine Romanze, eine Arbeit wie ein Minnedienst. Devi stand im
Obergemach, ich reichte ihr die Latten des Bettes hinan, sie scherzte
über die Latte. Ich träumte davon, im Dachgemach mit Devi im Bett
zu liegen und sie zu lieben. Ich sah im Geist sie schon im
Himmelsbett liegen, verschleiert von einem weißen Schleier, und wie
ich sie im Geist erkannte. Ich las eines Morgens die Geschichte von
David und Abigail vom Karmel. David nahm ja Abigail vom Karmel zur
Frau, nachdem Nabal der Narr gestorben war. Da frug ich Devi, ob sie
mit mir zusammen sein möchte. Sie aber sprach Nein. Da war ich sehr
erschüttert, denn ich hatte aus der Bibelgeschichte eben diese
Hoffnung geschöpft. Aber in meinem Herzen waren zwei Wege, der eine
Weg war die Liebe zu Devi und die Sehnsucht, ein Liebespaar mit ihr
zu sein, der andere Weg war die Madonnen-Minne und die Sehnsucht,
jungfräulicher Gefährte der Madonna zu sein. Ich sah ja Devi
vielmehr als Schleier der Madonna, und mich sah ich in dieser Zeit
als den Zimmermann Josef, den keuschen Bräutigam der Madonna. Aber
dass Gott mir die Hoffnung auf Devis Liebe zerschmetterte, ließ mich
sehr traurig werden. Da spürte ich die Nähe meiner heimgegangenen
Großmutter. Sie kam wie ein Engel vom Himmel in einem weißen
Lichtgewand mit großen weißen Flügeln aus Licht und hüllte mich
mütterlich in ihren Mantel, in ihre Flügelarme. Meine Großmutter,
die wahre Mutter meiner Seele, nahm mich, nein, nicht in ihre Arme,
sie nahm mich in ihre Flügel und tröstete mich mit himmlischer
Mutterliebe. Da spürte ich zum ersten Mal die Mutterliebe Mariens.
Ich hatte vorher mit dem Namen Mutter immer nur Herzenshärte und
Verachtung verbunden, aber jetzt kostete ich die süße Mutterliebe
der Madonna. Ja, jetzt wurde mir die süße Bedeutung des Namens
Gottesmutter anvertraut. In meiner himmlischen Großmutter-Großengelin
begegnete mir die himmlische Mutterliebe der himmlischen
Gottesmutter. Nun hatte ich wirklich eine liebende Mutter gefunden.
Ich spürte in diesem traurigen Augenblick die Prophezeiung Jesajas:
Ich will euch trösten wie eine Mutter, spricht der Herr!
Devi
aber war in diesen Tagen schwanger geworden, nicht von meinem Samen,
sondern sie kehrte zurück zu ihrem Lebensgefährten Albert. Ich aber
war in dieser Zeit als geistiger Bräutigam mit meiner geistigen
Braut Devi so vereinigt gewesen, dass ich sogar ihre Gedanken in
meinem Innern hören konnte. So bildete sich mir der Mythos, dass die
Frucht ihres Schoßes nicht empfangen ist aus dem Samen eines Mannes,
nicht nach dem Willen des Fleisches und des Blutes, sondern
jungfräulich empfangen durch das Zeugen meines Geistes. Platon
spricht ja von der philosophischen Liebe, sie sei ein Zeugen des
Geistes in der Schönheit. So war also nach meiner privaten
Mythologie der Minne die Leibesfrucht Devis empfangen worden
jungfräulich von dem Zeugen meines Geistes im Herzen der Schönheit.
Damals sprach ich zum Priester Johannes: Ich lebe nur noch im
Hohenlied Salomos, ich arbeite die Arbeit der Caritas und diene einer
Frau und meine, so der Madonna zu dienen. Aber ich weiß nicht, ob
ich die Frau heiraten will oder ob ich die Madonna heiraten will. Da
sprach der Priester: Das sind zwei ganz verschiedene Paar Schuhe,
eine Frau zu heiraten oder die Madonna zu heiraten. Gott aber hatte
mir die Abigail vom Karmel, nämlich Devi, nicht zur Frau gegeben,
Nabal der Narr war nicht gestorben, sondern Abigail vom Karmel kehrte
zu Nabal zurück und David ging wieder einsam in die Wüste.
Am
Weihnachtsfest besuchte ich Devi. Sie aber sah mich nicht an, sie
übersah mich vollkommen, das Herz ganz von mir abgewandt, himmelte
sie verliebt den Lebensgefährten Albert an. Ich war enttäuscht und
zog mich in die Einsamkeit zurück. Von der heiligen Nacht bis zum
Fest der Heiligen Drei Könige, die berühmten zwölf Weihenächte,
hatte ich das Gefühl, mit der Madonna in meiner Wohnung zu leben.
Sie lebte wie eine Freundin und Geliebte bei mir und mit mir. Ich war
ganz versunken in ihre himmlische Minne. Von aller Mühsal und aller
Bitterkeit ruhte ich aus in der Umarmung meiner himmlischen
Geliebten. Ja, ich tanzte mit ihr! Und ich sah ein Bild der Madonna
in dem Augenblick, da der Engel Gabriel sie grüßte und sie mit und
in den Worten des Engels das Wort Gottes im Ohr empfing. Madonna trug
einen himmelblauen Umhang, fließende Seide, und ein weißes Kleid
aus himmlischem Licht und feiner reiner Seide, die den schlanken
femininen Leib umfloss
mit solcher himmlischen Grazie, das es ein reines Entzücken war. Der
feminine Körper der Madonna war makellos und vollkommen, von
perfekter Schönheit und himmlischem Liebreiz. Unter der fließenden
Seide ihres negligenten Seidenkleides zeichneten sich die hübschen
Brüste ab, die wohlgeformt waren, jungfräulich hübsch, nicht üppig
wie bei einer Fruchtbarkeitsgöttin, aber doch von weiblicher
Schönheit in der Perfektion des goldenen Maßes, Brüste nach dem
Bilde Gottes! Der feurige Liebesstrahl des Heiligen Geistes strömte
dem keuschen Schoß der Madonna entgegen, ihre ganze Körperhaltung
war bereit zur Empfängnis, alles an ihr und in ihr war ein einziges
Ja-Wort zur göttlichen Vereinigung und zur göttlichen Empfängnis!
Da meinte ich, die Madonna sei bei mir auf meinem Sofa, ich ruhe in
ihrer Umarmung, da las ich am Tag der Drei Magier vom Morgenlande im
Propheten Jesaja: Ziehe deine Herrlichkeit wieder an, o Tochter Zion!
Da schien es mir, ob mich auch jeder für wahnsinnig halten wird, der
dies liest, dass die Madonna ihre negligente Seide ausgezogen habe
und mir in himmlischer Umarmung und mystischer Vereinigung beigewohnt
auf Erden, bis der Geist Gottes der Madonna sagte, sie möge nun das
Gewand ihrer himmlischen Herrlichkeit wieder anziehen und heimkehren
in den Schoß Gottes.
VIERTES KAPITEL
Jedidja will
ich preisen. Die Ehebrecherin Bathseba hatte mit dem Ehebrecher David
einen Sohn bekommen, den gaben sie in die Obhut des Propheten Nathan,
der nannte den kleinen Salomo mit dem neuen Namen Jedidja, das heißt,
Geliebter des Herrn. Jedidja war es, als ob er zwei Väter habe,
einen leiblichen Zeuger und einen geistlichen Paten. Wenn der
geistliche Vater kam, sah er den leiblichen Zeuger nicht mehr an. Der
leibliche Zeuger stand am Feuerofen, und wenn er sich die Hand
verbrannte, rief er: O Teufel! Weiß der Teufel, sagte er immer.
Lieber wollte er in die Hölle kommen als in den Himmel und lieber
den Teufel treffen als Gott begegnen,
er bekannte sich zum Antichristen. Ich aber führte Jedidja in den
Glauben an Gott ein. Jedidja aber meinte, es gäbe nicht nur einen
Gottvater, sondern es gäbe einen guten Gott und einen bösen Gott.
Als ich ihm erzählte, Jesus sei Gottes Sohn, sagte Jedidja: Und Gott
ist die Mutter von Jesus! Jedidja hatte eine Marienvision und wollte
seine Mutter bewegen, sich zu kleiden wie die Königin des Himmels in
einem langen goldenen Kleid, mit goldener Krone im Haar und goldenen
Sandalen an den Füßen. Jedidja hatte von Gott ein Gefühl für die
Schönheit der deutschen Sprache bekommen. Er sprach, ich meinte
immer, wie ein Lied von Eichendorff. Er hatte einen Sinn für die
Schönheit der Kunst. Wenn er bei mir schlief, schauten wir uns
stundenlang Bilderbücher mit Gemälden an, er wählte die Primavera
von Botticelli zu der Dame seines Herzens. Er nannte sie die
Blumenkönigin. Möge der Gott, der die Sünden der Väter den Söhnen
nicht anrechnet, dem lieben Jedija eine Frau schenken, lieblich wie
die Primavera von Botticelli! Jedijda liebte sehr den Knaben David,
der mit einer Steinschleuder den Riesen Goliath besiegte, und Jedidja
spielte immer David, wenn er bei mir war, er nahm ein Holzkreuz, an
dem ein Lederband befestigt war, als Steinschleuder des jungen David.
Jedidja liebte sehr den Erzengel Michael, den wir uns in Gemälden
anschauten, wie er mit dem Schwert des Ritters Gottes den Drachen
Satan vernichtete! Jedidja liebte sehr den heiligen Georg, wie er mit
der Lanze den Drachen durchbohrte, der die Prinzessin verschlingen
wollte! Gott war für Jedidja der Allmächtige! Allmächtiger, segne
auf die Fürsprache der Himmelskönigin, des heiligen Erzengels
Michael und des heiligen Georg das zeitliche und ewige Heil des
lieben Jedidja!
Corinna aber
war schwanger und hatte Zwillinge empfangen. Ihre Sorge war, die
Kinder nicht großziehen zu können, sie bat mich um Hilfe und
Mitarbeit. Der Bruder Satansbraten aber drängte Corinna, die Kinder
im Mutterschoß zu ermorden. Ich
sah die
lebendige Ikone der Apokalyptischen Frau. Ich sah die Apokalyptische
Frau, sie war schwanger, aber der rote Drache suchte das Kind zu
verschlingen. Während Corinna sich beraten ließ, ob sie die Kinder
leben lassen könne oder die Kinder ermorden solle, saß ich vor der
Tür des Beratungszimmers und betete den Rosenkranz. Königin des
heiligen Rosenkranzes, deine Perlenschnur ist zur Nabelschnur für
die Zwillinge geworden. Ich bat die Himmlische Mutter, das Leben der
Zwillinge zu retten. Ihr Unbeflecktes Herz hat triumphiert und hat
den Satan, den Menschenmörder von Anfang an, unterworfen. Die
Himmlische Mutter Maria ist die wahre Mutter der Zwillinge, die zum
Namen bekamen Midda und Siddi. Ich malte ein Bild im Stile naiver
Malerei, da ich Corinna als Sixtinische Madonna malte, die Jedidja
als Jesuskind in den Armen trug, aber zu ihren Füßen schauten von
der himmlischen Wolke zwei Cherubini, das waren die englischen Seelen
von Midda und Siddi.
Ich schrieb
einen Brief an einen benediktinischen Mönch und einen an eine
karmelitische Nonne. So entspann sich über die nächsten drei Jahre
ein Briefwechsel. Der Benediktiner erkannte meine Mutterwunde und die
Sehnsucht nach der Mutterliebe und die Sehnsucht nach der Gegenwart
des Weiblichen. Er erkannte meine große Liebe zu Maria und ermutigte
mich zu diesem Weg, aber er wies mich daraufhin, dass Maria mich zu
Gott als Mutter führen wollte. Das war eigentlich schon immer meine
geheime Sehnsucht gewesen, ich habe nie einen Zugang zum Vaterbild
Gottes gefunden. Der Mönch meinte auch, die Ehe mit Maria in einem
zölibatären Leben könnte ein guter Weg für mich sein, ich solle
aber davon ausgehen, dass die Sehnsucht nach den Frauen bleiben
würde. Als er erkannte, dass ich die Mutterliebe Gottes in der
Theologie der Hagia Sophia studierte, entließ er mich in die
Freiheit, ich solle nun den Weg von Gott selbst geführt gehen. Die
karmelitische Nonne las meine Nachdichtungen der Gedichte des
heiligen Johannes vom Kreuz und der kleinen Therese von Lisieux,
meine Nachdichtung des Hohenliedes und einige eigene Liebesgedichte.
Sie ermutigte mich, den Weg mit Maria zu gehen, ehelos zu bleiben,
sie bestätigte mir eine mystische Begabung und ein schönes Talent
von Gott, mystische Erfahrungen dichterisch ins Wort zu bringen,
wobei sie mich daraufhin wies, nicht viele würden mich verstehen,
sondern nur wenige. Aber vielleicht sei mir beschieden, nach meinem
Tod eine Wirkung in der Kirche zu entfalten. Dann entließ mich auch
die Karmelitin und sagte: Wenn niemand dich mehr versteht, wird der
Herr selbst
dich führen.
Wenn ich im
Hochsommer mit Corinna und Jedidja am Badesee des Generalissimus
Tilly war, schien mir, der heilige Josef bade mit dem kleinen
Jesusknaben im See von Genezareth und spiele Ball mit dem kleinen
Jesus. Aber wenn Jedidja bei mir war, dann schmeichelte sich seine
schöne reine Seele so in mein Herz, dass ich ihn als den
Erstgebornen meiner Seele, meinen ersten Seelensohn empfand, und
zugleich als einen wahren Freund. Denn wie David über Jonathan
sagte: Deine Liebe war mir kostbarer als die Liebe der Frauen! So war
es mit Jedidja, seine Liebe zu mir war reiner, schenkender,
gottähnlich als die oft so karge oder gar egoistisch motivierte
Zuneigung der Frauen.
Aber als
Devi ihren zweiten Sohn gebar, war ich am Tag vor ihrer Niederkunft
bei ihr. Sie war in ihrer allerhöchsten Schwangerschaft, der
gewaltige Bauch wölbte sich majestätisch, mir schien das Becken
gewaltig erweitert, die köstlichen Brüste waren mächtig
angeschwollen, und es tropfte schon Milch aus den Brustspitzen und
nässte das Hemd. Da war mir, ich sähe eine Große Mutter, wie sie
in der Altsteinzeit dargestellt worden in Idolen, es war mir, ich
sehe eine allmächtige und überaus majestätische Gottmutter im
Thron! Am nächsten Tag lag ihr kleines Kindlein in ihrem Bett. Ich
besuchte sie an ihrem Kindsbett. Mir war, als ob ich eine lebendige
Ikone sähe, wie man in der Orthodoxie der Geburt der Maria
darstellt, da die heilige Anna in einem herrlichen Bett in Rot und
Blau und Weiß, wie eine Ur-Madonna, ein heiliges Kindlein gebiert.
Ja, mir war, ich war in der Grotte von Bethlehem und sah die Madonna,
das kleine Jesuskindlein in ihren Armen geborgen. In den ersten
Momenten ihrer Schwangerschaft war Devi überzeugt, mit einer Tochter
schwanger zu sein und wollte sie Theophanu oder Seraphina nennen,
aber nun war es ein Sohn, ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns
geschenkt, und sein Name war Jesse.
Nun kam auch
Corinna nieder mit ihren Zwillingsknaben. Ich besuchte sie in der
Entbindungsstation, da legte sie mir den kleinen Siddi in die Arme,
der mich aus großen Augen anschaute, und dann den größeren Midda,
der selig in meinen Armen schlief.
Die Christen
wählen sich nicht die Heiligen, die sie verehren, sondern die
Heiligen wählen die Christen, welche sie führen wollen. So kam zu
mir in diesem Augenblick vermehrt die Botschaft der heiligen Mutter
Teresa von Kalkutta. Jesus dürstet in den Armen, in den Kleinen, und
wartet auf die Liebe der Christen. Habt ihr keine Slum-Bewohner,
keine Leprakranken bei euch, so schaut euch die Kleinsten der Kleinen
an, die Kinder, die auf eure Liebe warten! In den Seelen der kleinen
Kinder wartet Jesus auf eure Liebe, auf euren Gottesdienst, in den
kleinen Kindern könnt ihr Jesus umarmen!
Die
katholische Novizin, mit der ich seit Jahren im regen Briefwechsel
stand, die ich wie eine Schwester liebte, begegnete in ihrem Studium
dem
feministischen Heidentum. Sie erlag der Versuchung und fiel vom
Glauben ab. Ich habe es mehrmals beobachten müssen, dass der Satan
die Gläubigen zuerst in die Unzucht lockt und ihnen dann den Glauben
raubt. Aber wenn ein solcher strahlender Morgenstern wie meine
Schwester fällt, dann ist die Gefahr sehr groß, dass sie andere mit
hinabreißt. Ich begann also, all die Bücher des heidnischen
Feminismus wieder zu lesen, die ich vor meiner Bekehrung gelesen. Ich
war fasziniert von der modernen Utopie des goldenen Zeitalters des
Matriarchats der Großen Mutter. Meine Sehnsucht war doch die Große
Mutter! Aber im heidnischen Feminismus ist Gott der Herr der
patriarchale Vatergott und Erzfeind der Freiheit und Liebe, dagegen
Luzifer der Bräutigam der Hexen, der Satan der Alte Gott des
Goldenen Zeitalters. Über die Sehnsucht nach der Großen Mutter
schlich sich die alte Schlange Satan an mich heran. Ich hatte
gefährliche Geisteskämpfe zu bestehen. Allein der Gnade der
Jungfrau hab ich es zu verdanken, dass ich nicht gefallen bin wie
meine Schwester! Ich hab es nicht verdient! Es war reine Gnade! Ich
hielt mich an der Madonna fest. Aber die Madonna nahm die Gestalt
einer heidnischen Fruchtbarkeitsgöttin an. Ich feierte Weihnachten
nicht in der heiligen Messe oder überhaupt einem christlichen
Gottesdienst, sondern am Tag der Wintersonnenwende sah ich in der
blauen Abenddämmerung im Schneefall die Madonna am Himmel
erscheinen, da schien sie mir schön wie eine himmlische Aphrodite.
All meine erotische Leidenschaft für Devi floss
ein in die trunken-dionysische Verehrung der himmlischen Aphrodite
Maria. Ich sah am Ende des Jahres, da ich zu Corinna fuhr, um mich
mütterlich um den kleinen Midda zu kümmern, im Geiste den Schoß
Devis vor mir. Es war wie im indischen Göttinnenkult, da man Tempel
baute, die die Vulva der Göttin darstellten, darin als Sakrament ein
Symbol der Vulva der Göttin verehrt wurde. Ich war besessen von dem
Gedanken an die Vulva Devis. Es schien mir die Vulva Devis im Kosmos
zu schweben, glühendes Zentrum des Kosmos. Da hörte ich, der Jesuit
Pierre Teilhard de Chardin pries das brennende Herz Jesu als das
Zentrum des Kosmos. Mir aber schien der Schoß Mariens das Zentrum
des Universums zu sein. Wie eine heidnische Göttin verehrte ich
Maria, deren Vulva das Zentrum des Universums war. Maria rief in
Fatima dazu auf, sich ihrem Unbefleckten Herzen zu weihen, ich aber
weihte mich am Ende dieses Jahres in einer leidenschaftlichen
Ganzhingabe dem Schoß Mariens, der Mitte des Universums!
FÜNFTES KAPITEL
Die ersten
Monate des neuen Lebens des kleinen Midda übernahm ich die Aufgabe,
in der Mittagszeit ihn zu wiegen und zu tragen und zu stillen mit dem
Fläschchen Muttermilch. Da lag er in meinen Armen, an meinem Herzen,
beruhigte sich an dem liebevollen Pochen meines barmherzigen Herzens,
schmiegte sich in die Geborgenheit der Beuge meiner Arme und schlief
in der Schaukel meiner Arme wie in einer Wiege. Dabei murmelte ich
unablässig mein Ave Maria und sang ihm Marienlieder vor. Er wuchs
auf mit der Muttermilch des allersüßesten Namens Maria.
Aber in
meinem Geist war es doch wie ein Schlachtfeld, es war als kämpften
einen vorhistorischen Kampf auf dem Feld meiner Seele die
matriarchale Große Muttergöttin und der patriarchale Vatergott. Ich
wollte zutiefst Christ bleiben, denn ich glaubte trotz aller
Unkenrufe der heidnischen Feministinnen an Jesus Christus. Aber ich
wollte Gott als Große Mutter ehren und lieben. Keiner half mir in
jener Zeit. Ich hatte das Vertrauen in die Kirche verloren, in den
seelsorgerlichen Beistand der Priester. Eine evangelische Pastorin
sprach: Wenn du die Muttergöttinnen suchst, kennst du dann die
Jesus-Sophia? Ja, sagte ich, sie
ist meine einzige Rettung! Ich entschloss
mich also, mit der ganzen Leidenschaft meiner geistlichen Sehnsucht,
die Jesus-Sophia zu suchen. Ich wandte mich nun vom heidnischen
Feminismus zum christlichen Feminismus und suchte alles über die
Jesus-Sophia zu erfahren.
In der
Bibliothek der Universität fand ich viel Literatur über die
christliche Sophia. Immer deutlicher erschien vor mir die göttliche
Gestalt der Frau Weisheit. In der Bibel las ich immer wieder und fast
ausschließlich die Weisheitstexte des Alten Testaments, die Sprüche
Salomos, die ersten neun Kapitel, die Weisheit Salomos, vor allem das
sechste bis zehnte Kapitel, Jesus Sirach, vor allem das
vierundzwanzigste Kapitel, und im Neuen
Testament den ersten Korintherbrief, die ersten drei Kapitel, da
Christus als Gottes Sophia bezeichnet wird. Ich hatte das Bedürfnis,
zur Ewigen Weisheit, zu Sophia zu beten. Aber ich war unsicher und
scheu, denn ich kannte aus der ganzen christlichen Literatur kein
Gebet zu Sophia. Darum bat ich: Sophia, wenn du lebst und ich zu dir
beten darf und du Gebet erhörst, dann gib mir bitte ein Zeichen. Ich
hätte gerne eine Ikone von dir. Wenn du also willst, dass ich zu dir
bete, dann lass
mich eine Ikone von dir bekommen! Kaum hatte ich so gebetet, hatte
ich drei Tage später die Ikone der Hagia Sophia von Nowgorod auf
meinem Hausaltar. Dann fuhr ich zu Corinna und dachte an den Vers von
Alexander Blok, da er die Schöne Dame anbetete, welche eine
poetische Version der Hagia Sophia des weisen Wladimir Solowjew ist,
da Alexander Blok sie „Russlands Venus, ohne Begierde und von
makelloser Reinheit“ nannte. Da dachte ich: Lebst du, Sophia? Im
nächsten Augenblick sah ich an einer Hauswand in großen
Buchstaben den Namen Sophia angemalt. Ich hatte nun zwei Zeichen vom
Himmel bekommen und begann, zu Sophia zu beten und Gott als meine
göttliche Mutter anzubeten. Allerdings entfernte mich diese
Spiritualität, die aus der Tiefe meiner Seele aufgestiegen war, für
eine Zeit von der katholischen Kirche und allem
christlich-konfessionellen Kult.
Ich wollte
mich aber doch mit der katholischen Kirche versöhnen und beichtete,
um mich ganz Jahwe, dem Herrn, zu übereignen. Der Priester riet mir
zu einem Gebet, da ich Jesus als meine Weisheit annahm. Der Priester
sprach von einem mütterlichen Gott der Weisheit, den ich ehren und
lieben solle.
Ich
versuchte dann einige Zeit lang in der Heiligen Messe auch in der
Hostie die Hagia Sophia zu sehen, welche von Jesus Sirach eine
liebevolle Mutter und jugendliche Braut genannt wird. Ich fühlte
mich aber von niemandem ermutigt und auch schien mir mein
persönlicher eucharistischer Kult nicht mit dem Kult der kirchlichen
Liturgie übereinzustimmen. So war ich verunsichert und unterließ
die Sophienkommunion und die Kommunion überhaupt. Die Kirche empfand
ich nicht mehr als eine Heimat, ich war der christlichen Sprache von
der Männlichkeit Gottes des Vaters und des Sohnes entfremdet und
beschloss,
eine Sekte mit einem einzigen Mitglied zu werden.
Ich verlegte
mich darauf, die theosophische Lehre der christlichen Mystiker zu
studieren. Ich las Jakob Böhme und versuchte, etwas zu verstehen,
ich las Schriften und auch Gedichte von Wladimir Solowjew, aber so
ganz befriedigt fühlte ich mich von diesen Autoren nicht. Ich
erkannte aber die geheimnisvolle Größe der Sophia, ich erkannte,
dass sie Christus in weiblicher Gestalt war und Braut meiner Seele,
dass ich auf Erden Verlobter der Sophia war und sie mir im Himmel in
einer himmlischen Hochzeit ihre Gottes-Ehe in einer Ganzhingabe
schenken will, ich erkannte, dass sie ein göttliches Mysterium ist,
unbegreiflich groß, den Verstand übersteigend, letztlich
unerkennbar dem menschlichen Geist, dass sie dennoch eine
geheimnisvolle Freundin und mystische Braut ist, die wirklich
lebendig und wirklich liebend ist.
Devi sagte
mir im Mai, im Marienmond der Minne: „Ich liebe dich nicht! Ich
liebe dich nicht! Ich liebe dich nicht!“ Da brach ich unter Tränen
zusammen, als ich mit Jedidja allein in seinem Kinderzimmer war.
Im Sommer
fuhr ich mit Devi und Valentin und Jesse und Corinna und Jedidja und
Midda und Siddi auf die kleinste Dornröscheninsel der südlichen
Nordsee. Es gab einen regelmäßigen Krieg zwischen dem friedlosen
Valentin und dem kindlich-unschuldigen Jedidja. Da ich aber Jedidja
verteidigte gegen die Brutalität seines größeren Freundes, ward
Valentins Mutter Devi verärgert über mich. Als ich ihr einmal
sagte, ich könne nichts gegen mein Herz, welches Midda sehr lieb
habe, aber wenig für Siddi empfand, da verstand Devi aus meinen
Worten, dass ich Jedidja liebe, aber Valentin nicht. Valentin aber
war fundamentalistischer Vegetarier geworden. Während wir nun den
frischen Nordseefisch genießen wollte, brach er einen Krieg vom
Zaun. Wie die fundamentalistischen Islamisten mit Terror, Mord und
Krieg die Welt von der Herrlichkeit ihres Gottes überzeugen wollten,
so wollte Valentin durch seinen Krieg in der Kinderstube uns
überzeugen von der großen Liebe zu allen Lebewesen, die im
Vegetarismus zum Ausdruck komme. Ich verließ den Zank der Weiber und
Kinder und kam gerade rechtzeitig zum Gottesdienst der kleinen
katholischen Inselkirche. Der Altar war aus einer großen Muschel
gebildet. Der Priester bat mich, als Lektor das Wort Gottes
vorzutragen. Das war das erste Mal, dass ich am Altar dienen durfte.
Gott schenkte mir einen übernatürlichen Frieden wieder. Ich stand
auf einem Hügel und schaute in den Himmel, ich sah die Wolken nach
Gesetzen sich bewegen, die Möwen nach Gesetzen fliegen, ich sah das
Gesetz Gottes in der Herrlichkeit der Natur auf dieser meiner
Lieblingsinsel, und ich ahnte einen Gottvater wie einen germanischen
Allvater, ich hatte das Gefühl, wie ein germanischer Luther unter
Gottes Himmel zu stehen, ohne Maria und die Heiligen, allein als Sohn
des Vaters im Himmel, unmittelbar zum allmächtigen Gottvater zu
sprechen.
Ein
heidnisch-feministischer Philosoph hatte in seiner vorhistorischen
Utopiawelt von den Jungfrauen-Priesterinnen gesprochen, welche der
göttlichen Sophia dienten, denn allein die heiligen Jungfrauen in
ihrem klösterlichen Zölibat könnten als Priesterinnen ihrer Göttin
Sophia die matriarchale Welt des Goldenen Zeitalters führen, da die
Mütter mit den alltäglichen Sorgen und Nöten der Kinderstube
keinen Sinn für die Geheimnisse der Göttin hatten. Das war mir nun
ganz klar geworden. Devi und Corinna zeigten mir die Begrenztheit
ihres Denkens, das von alltäglichen Sorgen und Nöten beschränkt
war, ein Denken, das nicht über die Notdurft des Tages und die Enge
der Kinderstube hinausreichte. Wer aber wie Jakob Böhme die Jungfrau
Sophia suchen wolle, müsse jungfräulich wie eine Klosternonne
leben, denn die Jungfrau Sophia ist geheimnisvoll verborgen, wer
vermag sie zu finden? Er muss
frei sein von allen andern Geschäften und Arbeiten, er muss
sich ganz allein in die Weisheit der Weisen, die Weisheit der
heiligen Dichter, die Lehren der großen
Denker und
die Prophetie der Heiligen Schrift versenken, dann wird ihm Gott der
Vater die Jungfrau Sophia schenken, wenn es Gott gefällt. Die
Jungfrau Sophia geht nämlich geheimnisvoll umher auf Erden und
sucht, wer ihrer würdig ist. Wenn sie aber einen findet, der sie
aufrichtig sucht, dem offenbart sie sich. Sie sitzt schon morgens vor
seiner Tür und eröffnet ihm ihre Geheimnisse. Aber bevor sie ihm
all ihre süßen Wonnen schenkt, prüft sie ihn mit einer strengen
Erziehung, ob er ihrer so überaus süßen Gnaden auch würdig ist.
Ich nahm nun
Abschied von Devi, denn ich war es Leid,
mir das Herz immer wieder von ihrer Lieblosigkeit so wund schlagen zu
lassen. Ich wandte mich ganz Corinna und den Kindern zu. Wieder hörte
ich die Botschaften von Mutter Teresa von Kalkutta, die mich
ermutigte, den Kleinen und Armen zu dienen. Kindern die Haare zu
kämmen, Kinder zu waschen, das ist ein Gottesdienst für Jesus. So
habe ich denn auch im Advent das erste Mal ein Kind gewickelt. Midda
lag auf dem Wickeltisch, ich wischte ihm den Kot von seinem sanften
Rosenpopo, salbte seine wunde Stelle mit einem Balsamöl und wickelte
ihn in die Linnenwindel. Dabei war es mir, als ob ich die Madonna in
Bethlehem sähe, wie sie zum heiligen Josef sprach: Mein liebes
Josephchen, mein süßer Seppel! Kannst du jetzt mal das
Jesuskindlein wickeln?
Die alte Windel aber, die beschmutzt war vom Kot des fleischgewordnen
Gottessohnes, wusch Madonna rein. Ich hörte von Maria von Agreda,
einer spanischen Nonne, die erzählte, wie Maria eine reingewaschene
Windel des Gottessohnes den drei Magiern vom Morgenland als Reliquie
mitgegeben. Ja, so kann das Wickeln eines Säuglings, das Abwischen
des Kinderkotes vom Kinderpopo zu einer Weihnachtsandacht werden, zu
einer Verehrung der Inkarnation des Logos!
In jener
Zeit hörte ich einen wunderbaren Bericht über die Jungfrau von
Guadelupe. Ich hörte, dass Papst Johannes Paul der Zweite die
Jungfrau von Guadelupe „mein Mädchen“ nannte, mein braunes
Mädchen, dass er sie über alles Geschaffene liebe, und dass bei
seinem bevorstehenden Tod die Morenita kommen werde und seinen Geist
mit einem Kuss
aus dem Kissen seines Sterbebettes rauben wird. Ja, ich hörte, dass
Johannes Paul ein Künstler gewesen und dass er die Jungfrau Maria
von Guadelupe zur Muse seiner Künstlerseele erwählt habe. Das war
ein Wort von Gott! Ja, so tat ich es dem Heiligen Vater nach, dem
Papst, der ein Poet war, und wählte Maria von Guadelupe, die
Schönste aller Frauen, zu meiner himmlischen Muse!
Am
Weihnachtsfest aber hörte ich von einem modernen Märchen, von König
Arthus und der Fee Morgana, von den heidnischen Kelten und den
christlichen Missionaren. Ich sah die Religion der Naturgöttin und
sah die Religion Christi. Ich sah in der Naturgöttin den Traum vom
ewigen Werden und Vergehen, die Verehrung einer Gottheit, die in sich
zugleich böse und gut sei, und ich sah die Religion Christi, in der
die Liebe Gottes über alles Böse, über die Schuld und den Tod
triumphierte und mit der Auferstehung des Fleisches das ewige Leben
in ewiger Glückseligkeit schenkt! Da wusste ich, ich muss
eine endgültige Entscheidung treffen, ob ich der Naturgöttin oder
dem Gottessohn Jesus Christus folgen wollte, und ich schwor Christus
meine Treue. Am Ende des Jahres sagte ich Ja zu Jahwe,
dem Herrn und Vater, der mich tröstet wie eine Mutter.
SECHSTES KAPITEL
Ich studierte
in der Universität alle aufzufindenden alten Hymnen an die Große
Göttin, ich schrieb die Hymnen an die Himmelskönigin Ishtar auf
Maria um, ich schrieb die Hymnen an die Göttin Isis auf die Hagia
Sophia um. Dann gestaltete ich traditionelle Marienlieder um, das sie
meinem christlich-feministischen Geschmack mehr entsprachen. Ich
schrieb die Hymnen an die Große Mutter Indiens auf Maria um. Dann
dichtete ich noch des Minnesangs Erzvater aus dem Mittelhochdeutschen
nach, welches ein Minnesang nach Motiven des Hohenliedes war. Es war
ein einziger weiblicher Kosmos von Sulamith, Maria, Hagia Sophia, es
war die Schau eines Göttlichweiblichen als Himmelskönigin und Braut
und Geliebte des Dichters und Denkers.
Ich hörte
von einer jüdischen Religionswissenschaftlerin, das man sich mit der
Kabbala nicht vor dem vierzigsten Lebensjahr beschäftigen solle, da
man sonst zu absurden und abstrusen Spekulationen kommen würde. Erst
müsse man fest in seinem überlieferten Glauben stehen, dann kann
man sich mit den Geheimnissen der jüdischen Mystik und Theosophie
beschäftigen. Ich las nun zum ersten Mal den Sohar und leitete eine
Beschäftigung mit der Kabbala ein. Auch hier begegnete mir das
Göttlichweibliche in Gestalt der Chochmah oder Sophia und in Gestalt
der Schechinah, der Einwohnung Gottes in der Schöpfung, der Immanenz
Gottes, in göttlichweiblicher Gestalt gedacht als Braut der
Propheten, als Matrone des Gottesvolkes. In Zusammenhang mit
christlich-feministischer Diskussion über die Kabbala erkannte ich,
das die Schechinah auch Malkuth ist, Malkuth ist aber das Königreich
Gottes, das Himmelreich, welches Jesus gepredigt hat.
Malkuth-Schechinah erscheint aber wie eine göttlichweibliche
Gestalt. Jesus predigte diese Malkuth-Sphäre in weiblichen Bildern
vom Backen, vom Ackerbau, vom Keltern, vom Nähen, vom Fegen eines
Hauses, vom Rufen der Freundinnen.
Eines Abends
ging ich spazieren und hörte aus einem Radiolautsprecher, das Papst
Johannes Paul im Sterben liege. In der Nacht starb der Papst. In der
selben Nacht sah ich ein Theaterstück, das der Papst geschrieben
hat. Es ging darin um die Berufung zur Kunst und die Berufung zur
Nachfolge Christi. Ein Satz in dem Drama traf mich, das Wort von der
Eitelkeit der säkular-profanen Kunst, und dass die Kunst ihre
eigentliche Berechtigung im Reich Christi erst erhält, wenn sie sich
ganz in den Dienst der Verherrlichung Gottes stellt. Die Engel und
die Menschen sind geschaffen zur Verherrlichung Gottes, und auch die
Kunst erlangt ihre eigentliche Würde erst dadurch, dass sie Gott
verherrlicht. In den folgenden Tagen sah ich immer wieder die Ikone
des Antlitzes des Heiligen Vaters und hörte immer wieder das
gläubige Volk jubeln: Viva il Pappa!
Da war mir, als ob ich nun einen Vater gefunden habe. Dies war
wirklich ein Vater nach dem Vaterherzen Gottes. Ich träumte in den
folgenden Wochen oft vom Heiligen Vater und fühlte mich von ihm
ermutigt, selbst ein Vater nach dem Vaterherzen Gottes zu werden,
selbst eine Ikone des Vaters im Himmel zu sein und wie der Heilige
Vater selbst ein äußerst zärtlicher Papa zu sein, wobei der
Heilige Vater mir im Traum die Kinder Corinnas zeigte. Aber der
Heilige Vater sprach im Traum mit mir auch über Goethe, Hölderlin
und Rilke. Diese drei waren das große Dreigestirn meiner Meister,
die meine Poesie beeinflusst hatten. Dann hörte ich noch ein Wort
aus dem Testament des Heiligen Vaters, es war so, dass er starb mit
diesen Worten auf den Lippen: „Ich bin fröhlich, seid auch ihr
fröhlich! Betet allezeit fröhlich zur Jungfrau Maria!“ So starb
er.
In jener
Zeit suchte ich vor allem in zwei Dichtern den Weg der
Poesie zur Verherrlichung Gottes, nämlich in Eichendorff als dem
Minnesänger Unserer Lieben Frau und in Klopstock als dem großen
seraphischen Dichter Jehovas
und des Messias.
Da
aber kam zu mir eine ausgezeichnete Nachdichtung der gesammelten
Gedichte von Puschkin. Ich war so ergriffen von Puschkin, so
begeistert von seiner Muse und seinem Genius, dass ich die nächsten
Jahre intensiv Puschkin studierte. Wladimir Solowjew schrieb einmal,
der Schönheitskult Puschkins sei ihm, dem Freund der Hagia Sophia,
niemals fremd gewesen. Die nächsten Jahre las ich immer wieder die
Gedichte Puschkins, seine südlichen Poeme, die stark an Byrons
östliche Poeme erinnern, und vor allem den Eugen Onegin. In Tatjana
erkannte ich Devi wieder. Besonders ein Gedicht Puschkins aber
beeindruckte mich über alles Maß, nämlich das Gedicht von dem
Ritter, der eine Vision von Maria hatte, so dass er fortan keiner
sterblichen Frau mehr diente, sondern als Minneritter allein der
Madonna diente. Er sprach nur noch von der Himmelskönigin und folgte
nicht dem kirchlichen Kult, er betete nicht den Vater und den Sohn
und den Heiligen Geist an und starb ohne Sakramente, aber die
Himmelskönigin stellte ihn als ihren Paladin ihrem Sohn vor und so
ward er gerettet.
Jedidja
ward in einen evangelischen Kinderchor aufgenommen und sang die
Urgeschichte von Adam an bis Noah. Ich ging einmal mit ihm ins
Museums, da Felshöhlenmalereien aus der Eiszeit ausgestellt waren.
Wir waren in einer dunklen Felshöhle und sahen die Malereien der
Mammuts und die Ikone der Großen Mutter.
Dann
aber bekam Corinna Brustkrebs. Sie lag im Hospital des engelgleichen
Pius des Zwölften, ich betete in der Kapelle des engelgleichen Pius
des Zwölften, da junge Frauen eine Marienlitanei sangen und eben
sangen: Ave du Knotenlöserin! Ich weihte Corinnas Metastasen der
Knotenlöserin. Dann sah ich am Wegesrand ein Buch über die
Erscheinungen Mariens in Amsterdam, da sie als die Fraue aller Völker
erschien, sie flüsterte für die Christen in Deutschland ein Wort:
Caritas... Ich erkannte, der Dienst der Caritas entscheidet über
Heil und Unheil im Weltgericht, denn wenn Jesus kommt, dann sagt er:
Du hast die Kranken im Krankenhaus besucht, da hast du mich besucht,
du hast den Kleinen zu essen und zu trinken gegeben und ihnen Kleider
angezogen, da hast du mich genährt und gekleidet, du hast für die
Todgeweihten gebetet, da hast du mir in meiner Todesangst
beigestanden, du hast die Irrenden gelehrt, da hast du meine Weisheit
geehrt. Komm herein zu deines Meisters Wonne!
In
der Heiligen Schrift fand ich den Mythos für die neue Situation. Der
Herr sprach zum Propheten Hosea: Nimm dir zum Weibe die Hure Gomer,
die Tochter Diblajims, und zeuge mit ihr Söhne. Der Erstgeborene war
Jesreel, das heißt, Gott ist der Sämann, dann kamen die Zwillinge
Lo-Ruhama und Ammi. Ammi wird sagen: Du bist mein Vater und mein
Gott! Aber Gomer, die Hure, wird alle Gaben Gottes des Herrn ihren
Liebhabern vor die Füße legen, sie trägt die Zeichen ihres
Ehebruchs an ihren Brüsten. Dich aber, spricht der Herr, führe ich
in die Wüste, dort werde ich liebevoll mit dir reden, du wirst mich
nicht mehr Venus nenne, sondern Sophia. Dort will ich, Sophia, mich
mit dir verloben. Die Brautgabe sind meine Barmherzigkeit und Liebe,
meine Gerechtigkeit und mein Gericht. Ich will mich mit dir verloben,
spricht Sophia, und du wirst Sophia erkennen.
Nun
erwähne ich die Eltern Corinnas. Aimée war eine baskische
Großmutter mit silbernem Haar und Karl ein weitgewanderter
Königsberger. Sie nahmen Corinna und ihre Kinder und meine Wenigkeit
mit nach Rügen. Ich las dort abends beim Wein immer die Bagavadgita
und versuchte selbst eine Nachdichtung. Ich sah die Irrlehre, dass
der Leib nicht zum menschlichen Wesen gehört, der Mensch allein nur
die unsterbliche Seele sei, die unsterbliche Seele in Seelenwanderung
von Leib zu Leib fortlebe, aber dennoch war die meditative
Philosophie der Gita wohltuend und beruhigend für den
aufgescheuchten Geist. Bei theoretischer und dogmatischer Kritik an
dem philosophischen Gedicht habe ich doch großen Respekt für die
Weisheiten, die darin verborgen liegen.
Auf
Rügen war ich vor allem mit Jedidja beschäftigt. Morgens spielten
wir Ball, da sprach Jedidja: Du bist Gott der Vater und ich bin der
heilige Erzengel Michael und wir spielen mit der Sonne Ball! Wenn wir
die großen goldenen Kornfelder sahen, sagte ich zu Jedidja: So schön
ist Maria, wie ein goldener Weizenhaufen ist ihr Körper, umsteckt
mit blauen Kornblumen, weißem Wiesenschaumkraut und rotem Wildmohn.
Da sprach Jedidja: Maria ist so rein wie Gold! In einer Nacht schlief
ich im Caravan und Jedidja schlief bei mir, da kam ein Gewitter herab
und Blitze zuckten durch den Nachthimmel. Wir wachten vom trommelnden
Regengeprassel auf und staunten die Herrlichkeit des Herrn im
Gewitter an. Die donnernde Stimme des Herrn ergeht mit Macht, die
donnernde Stimme des Herrn ergeht mit Pracht! Der Herr sprach aus dem
Wettersturm! Der Herr bewaffnet sich mit der Schöpfung und
verteidigt den Gerechten gegen die Gottlosen. Der Vater im Himmel
offenbarte Jedidja seine Herrlichkeit, das Arsenal seines Gerichts,
der Himmel riss
auf, ich sah den Weißen Thron Gottes im Himmel und trat, wie ein
Vater mit seinem Sohn, mit Jedidja vor Gott den Herrn und weihte
Jedidja dem Allmächtigen!
Der
Mensch entscheidet sich selbst, ob er zum Abbild des Antlitzes
Christi werden will oder ob er die hässliche Fratze Satans
widerspiegeln will. Bruder Satansbraten hatte sich dem Antichristen
und dem Satan geweiht und war wahnsinnig geworden. Er spiegelte die
tierische Fratze Satans wieder. Er, der die eigenen Söhne seiner
Lende morden wollte und noch die schon Geborenen weggeben, er ließ
nun die Freundin in der Situation einer tödlichen Krankheit im Stich
und ging in die Finsternis seines Wahnsinns. Er bleckte seine Zähne
und knurrte mich an und verfluchte mich. Der Herr aber wandte den
Fluch in Segen.
Ich ward
eingeladen zu einer Bibelgruppe der katholischen Kirche, daran auch
Protestanten teilnahmen. Ich fand dort eine erschreckende Unkenntnis
der einfachsten und fundamentalsten Tatsachen des Evangeliums. Bei
der Protestanten begegnete mir wieder dieser kumpelhafte Begriff von
Petrus, dem Großmaul, dem Choleriker, dem Schwächling, dem
Verräter, der Apostel Petrus war ein Narr wie wir es sind. Das
empörte meine Seele, die den heiligen Apostel Petrus, den Fels der
Kirche, wie den Heiligsten aller Heiligen Väter und wie einen meiner
wahren Väter von ganzem Herzen liebte. Bei den katholischen Frauen
fand ich nahezu Hass
und Verachtung für die Jungfrau Maria, man verachtete ihre Demut als
Hundedemut und ihre Reinheit als asexuelle Leibfeindlichkeit. Man
warf mir vor, ich würde mich hinter der theologischen und
philosophischen Bildung verbergen, man
begann stattdessen, den Bibelkreis in eine Plauderrunde
umzugestalten, da zwanzig Frauen und ein Mann erst einmal erzählen,
was sie letzte Woche so erlebt haben. Da verließ ich dies Konzil der
schnatternden zahmen Gänse. Kierkegaard erzählte von der Wildgans,
die sich auf einem Hof zahmer Gänse niedergelassen, da wurde die
Wildgans selbst bald zur zahmen Gans und vergaß die Freiheit. Ich
hörte auch, wie ein Bauer ein Adler-Ei aus einem Adlernest nahm und
es von einer Henne ausbrüten ließ. Der Bauer beschnitt dem jungen
Adler die Flügel, er lebte mit den Hühnern auf dem Hühnerhof. Da
kam ein Gewitter, kopflos rannten die aufgescheuchten Hühner in
Todesangst gackernd über den Hühnerhof, der junge Adler aber, dem
seine Flügel nachgewachsen waren, sah einen großen mächtigen Adler
majestätisch erhaben am Himmel schweben, das war Christus, der Adler
Gottes, da hob der junge Adler seine Schwingen und folgte Christus,
dem ewigen Adler des ewigen Evangeliums!
Ich las nun
das I Ging in der Übersetzung von Richard Willhelm, diesem großen
Lehrer der chinesischen Philosophie. In den ewigen Urteilen über
Weisheit und Torheit, über Gutheit und Bosheit erkannte ich die
ganze Torheit und Bosheit, die mir in der vergangenen Zeit unter den
Gottlosen begegnet war. Mir war zumute, satirische Epigramme zu
schreiben. Die Torheit nahm die Gestalt eines dummen Weibes an, ich
sah die Torheit als die Frau Torheit, die große Gegenspielerin der
Frau Weisheit. Wie in der Apokalypse die Gegenspielerin der
himmlischen Jungfrau Jerusalem die Hure Babylon ist, so ist in der
salomonischen Theologie Frau Torheit die Gegenspielerin der Frau
Weisheit. Ja, in Wahrheit hat Frau Weisheit zwei Gegenspielerinnen,
die eine ist Frau Torheit, ein dummes Weib, viel schwatzend, nichts
wissend, unbelehrbar, verstockt, egoistisch, liebt sie die Unwahrheit
und die List und betrügt alle Menschen. Die andere Gegenspielerin
ist die Fremde Frau, sie ist eine Ehefrau, die zum Ehebruch verführen
möchte, sie spielt alle erotischen Reize aus, das Parfüm Ägyptens,
die Seide Chinas, die Schmuckstücke Babylons, die ganzen erotischen
Reize ihres kaum verhüllten Körpers spielt sie aus, um den
Gerechten in ihr Bett zu locken, wenn der Ehemann nicht zuhause ist.
Sie begeht Ehebruch, wischt sich das Maul und spricht: Ich habe
nichts Böses getan. Gott der Herr aber sprach zu mir: Was willst du
dich an den Brüsten eines andern Weibes berauschen? Berausche dich
an den Brüsten der Sophia, deiner jungen Geliebten, die so schön
ist wie eine Gazelle und so eng gebaut wie eine Hindin!
Ich fuhr mit
Corinna und Midda nach Berlin. Corinna setzte ihre Hoffnung auf eine
chinesische Atem-Meditation, die ihr das sterbliche Leben retten
sollte. Areligiös wie sie war, vertraute sie das Gut ihrer
leiblichen Gesundheit den Priestern des Chi an. Ich aber ging mit
Midda in die Kirche des heiligen Bernhard von Clairvaux und weihte
Midda der Mutter der Schmerzen, die dort in der Kapelle verehrt ward.
Midda nannte mich Mama und beachtete niemanden mehr, wenn wir
zusammen waren. Wir waren verbunden wie Mutter und Sohn. Wir gingen
jeden Morgen in der Natur spazieren und betrachteten Enten, Ziegen,
Schafe, Schweine, Pferde, gingen in den Berliner Zoo und bewunderten
Elefanten, Gazellen, Hirsche, Flamingos, Panther, Löwen, Kamele,
Ziegen und Lämmer. An einem Morgen sah ich im Morgengebet am Himmel
in der lichten Bläue des Äthers und im Rosarot der Morgenröte das
Antlitz der Jungfrau Maria liebevoll lächeln. Zärtlich lächelte
mich die Madonna an und gab mir einen Kuss.
In der
Adventszeit war ich eigentlich erschöpft von der grenzenlosen
Beanspruchung durch Corinna, die mich wie einen Knecht behandelte.
Ich hörte ein Wort von Dietrich Bonhoeffer: Der Christ kreise nicht
um seine eigenen Leiden, sondern um die Leiden Gottes in der Welt.
Die Leiden Gottes in der Welt sind die Leiden der Kranken, der
Sterbenden, der ungeliebten Kinder. Nur wer bereit ist, dem Rad der
Vernichtung in die Speichen zu fallen, nur wer bereit ist, für die
Juden zu schreien, das heißt für die Verfolgten, Verachteten, vom
Mord bedrohten, Hilflosen, nur der darf auch gregorianisch singen.
Ich sagte mir: Nur wer bereit ist mit selbstloser Opferliebe den
kleinen ungeliebten Kindern die Liebe Gottes zu bringen, darf auch
Minnesänger der Madonna sein und philosophische Spruchweisheiten
dichten. Mutter Teresa von Kalkutta brachte mir ermutigend erneut
ihre Botschaft von der Mission der Nächstenliebe, von dem Durst Jesu
in den Seelen der Allerkleinsten. Da hörte ich, Midda habe Fieber
und verlange nach mir. Ich eilte zu ihm und hielt den Fieberkranken,
ich sah in seinen großen fieberheißen Augen das Antlitz des
leidenden Christus. Da schenkte ich dem Leiden Christi in Middas
großen Augen mit letzter Kraft alle Liebe, die ich hatte. Wir lagen
in einem Bett. Ich bat die Jungfrau von Guadelupe, Midda mit ihrem
Sternenmantel zuzudecken. Da war mir mit einemmal, ich war im Stall
von Bethlehem, wir feierten heilige Weihnacht, ich lag mit dem
Jesuskinde in einer Krippe, das Jesuskindlein schlief an meiner Seite
und hielt vertrauensvoll meine Hand mit seinem Händchen. Der heilige
Josef hatte wirklich ein zartfühlendes liebendes Vaterherz für den
armen kleinen Jesusknaben, der so früh schon sein Kreuz erfuhr! Das
war ein heiliges Weihnachtsfest, seliger als das bürgerliche Fest
der Tannenbäume und bunten Geschenke. Hier war das Jesuskind selbst
das Geschenk, und Gott der Vater hatte seinen Liebling in mein Bett
gelegt!
SIEBENTES KAPITEL
Ich will nun
zum Ende kommen. Ich bin müde der Erinnerungen. Alles Übel in der
Welt, sagt Pascal, kommt daher, dass der Mensch nicht allein sein
kann in seinen vier Wänden. Alle deine Leiden, sagt die Jungfrau
Maria zu mir, kommen von Satan und seinen Verbündeten.
Ich will
aber zur Erinnerung an Jedidja noch die Osterzeit auf Sylt
beschreiben. Jedidja und ich versenkten uns in die Zeit der
katholischen Ritter, die um Minne stritten, um das Heilige Grab des
Herrn und den Heiligen Gral. Wir waren allein, wie Vater und Sohn,
und uns verband die innigste Gemeinschaft von zärtlicher Liebe. Wir
waren Ritter vom Roten Kreuz und unsere Dame war die Himmelskönigin.
Ich war am Strand von Sylt allein und sah die Jungfrau Maria wie eine
Aphrodite über der Nordsee schweben, ich war berauscht von der
Schönheit der Madonna, welche die Weltseele war, deren Name an
diesem Tage war Panhagia Aphroditissa. Ich hatte die Ahnung der
Gegenwart der Hagia Sophia in der Heide der Dünen, da schien mir,
das Paradies ist nicht im Himmel, ich meine, das Paradies ist nicht
auf den Sternen, sondern das Paradies ist unsichtbar um uns. Während
ich den Rosenkranz meditiere und zur Hagia Sophia bete, sind die
Heiligen und meine geliebten glückseligen Geister hier auf Erden
unsichtbar um mich, ich lebe in geistiger Gemeinschaft mit den Seelen
des Paradieses, die guten Geister umschweben mich und segnen mich.
An dem
Osterfest aber war ich mit Midda auf Sylt. Ich will nicht mehr zornig
schmähen die Tyrannei der Torheit, nicht den ewigen Zank der Narren,
nicht den beständigen Krieg, den die Egoisten stiften. Nein, ich
will nur an Midda denken. Ich dachte an die platonische Knabenliebe,
ich meine nicht die Sodomie der Päderasten, ich meine die keusche
reine Minne eines Weisen zu einem schönen reinen Knaben. Midda war
mein Page. Ich war Hafiz
und er war mein Liebling. Ich war Sokrates und er war mein
unschuldiger Alkibiades. Entnervt von Xanthippe, die den Abfalleimer
voll Kot über den Philosophen gekippt, ging Sokrates zu Alkibiades
und bewunderte die kindliche Unschuld des schönen Knaben, seine
herzliche Liebe, die aus den klaren Augen strahlte. Ja, in Midda sah
ich den Liebling, als welchen Salomo die Ewige Weisheit bezeichnet.
Gott der Vater spielte vor Anbeginn der Schöpfung mit seinem
Liebling. Der Liebling des Vatersgottes war sein Hätschelkind, sein
Schoßkind. Diesen göttlichen Liebling, diesen ewigen Liebling sah
ich aufleuchten in dem lieben Pagen Midda. Es war der Messias, nach
dessen Abbild Midda gestaltet war. Mit dieser platonischen
Knabenliebe im Herzen saß ich auf dem Deich an der Nordsee und
meditierte den Rosenkranz, da hörte ich das Rauschen des Meeres und
sah erneut die Jungfrau Maria als Panhagia Aphroditissa über dem
Meer aus dem Himmel erscheinen, sie lud mich ein zur mystischen
Vereinigung mit ihr. Sie war das Meer der Gnade, ein Ozean aller
Gnaden Gottes, und dieweil ich das Ave murmelte, das Chaire
Kecharitomene, verschmolz ich mit dem Ozean aller Gnaden in einer
ozeanischen Glückseligkeit, verschmolz ich mit der Panhagia
Aphroditissa, verschmolz ich mit Maria. Erquickt von dieser
Vereinigung brachte ich mein liebendes Herz zum kleinen Midda, dem
Anderen Messias.
Ich studierte
weiter in der Kabbala, studierte die Vorsokratiker, Platon und
Plotin, Dante, Ficino und Solowjew. Ich bildete so eine Philosophie
der göttlichen Liebe, der göttlichen Schönheit, der göttlichen
Weisheit. Ermutigt vom neuen Papst Benedikt entschloss
ich mich zur Ehelosigkeit fürs ganze Leben, verstanden als eine Ehe
mit der Hagia Sophia. Ich versöhnte mich mit der heiligen
katholischen und apostolischen Kirche im Bußsakrament und
zelebrierte wieder die Kommunion der Eucharistie. In der heiligen
Hostie begegnete mir die fleischgewordene Weisheit. Frau Weisheit hat
ihr Mahl bereitet und ihren Wein gemischt! Kommt zu mir, alle die ihr
hungrig und durstig seid! Wer von mir isst, wird immer wieder nach
mir verlangen! Mit, in und durch die Hostie kam die Hagia Sophia in
das Innere meines Herzens, bezog das Brautgemach im Innern der Seele
und erwartete im Hochzeitsbett des Brautgemaches den Kern meiner
Seele zur mystischen Vereinigung.