Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

EURYDICE IM HADES


Ein komisches Trauerspiel von Josef Maria Mayer

ERSTER AKT


(Ort: Die Erde, Theben in Griechenland. Zeit: Die Antike.)

ERSTE SZENE


EURYDICE
Mein Gatte Orpheus! Welche Langeweile doch
Ist eingekehrt in unsre Ehe! Du sitzt da,
Du starrst in deinen Becher voller Zypernwein
Und schaust mich nicht mehr an und sprichst mit mir nicht mehr.
ORPHEUS
Geliebte, wenn ich an die Philosophen denk,
Ob Wasser oder Feuer Urgrund ist der Welt,
So weiß ich doch, dass du davon rein nichts verstehst.
Nur wenn ich spräche von der Lust als Höchstem Gut,
So würdest du den Philosophen wohl verstehn,
So aber würfe ich die Perlen vor die Sau.
EURYDICE
Doch Menschen auch, die Lust als Höchstes Gut anschaun,
Auch solche können herzensgute Menschen sein.
ORPHEUS
Mich langweilt deine Weisheit dieser eitlen Welt
Und dein Geplapper und Geplauder noch vielmehr.
Du redest über Menschen nur, nur übers Fleisch,
Ich aber denke an die ewgen Götter nur.
EURYDICE
Als ich noch jung war, Dichter, warst du sehr charmant
Und sangest zu der Lyra Liebes-Oden mir
Und priesest mich ans Neue Aphrodite gar,
Jetzt aber bist du mürrisch, übellaunig nur
Und machst mir keine netten Komplimente mehr.
ORPHEUS
Ja, wenn die Reize einer jungen Frau vergehn,
Vergehen auch die Komplimente eines Manns.
Die Jugend nur ist reizend und erotisch, doch
Die Gnade einer reifen Frau besteht darin,
Dass man mit ihr von ewgen Göttern reden kann
Und über Philosophenweisheit sprechen kann.
EURYDICE
Ich glaub, du schaust dich nur noch nach der Jugend um.
ORPHEUS
Zur süßen Liebe fehlt es dir, Eurydice,
An heißer Leidenschaft wie in der Jugendzeit,
Zur weisen Freundschaft fehlt es dir, Eurydice,
An männlichem Verstand und weiblichem Genie.
EURYDICE
Bevor du weiter mich beleidigst, lieber Mann,
Geh in den Garten ich, die Rosen anzusehn,
Du bleibe nur allein mit deinem Becher Wein.

(Eurydice ab.)

ORPHEUS
Ich will berauschen mich am roten Zypernwein,
Am Blute des Dionysos, des Herrn des Wahns,
Ich will berauschen mich am Purpurblut des Herrn
Dionysos und dann versinken in dem Arm
Des Morpheus, der mir schöne Träume oft geschenkt,
Und also bitte ich den Gott des Schlafs, des Traums,
Dass ich noch einmal von dem Mädchen Nympha träum!
Wie schön sie war mit ihrem purpurroten Mund,
Der lachend meine Finger abgeküsst im Traum,
So süße Lippen, o so feucht und o so warm!
Ja, Nympha ist mein Traum, des Dichters Ideal,
Sie ist so schlank wie eine Palme, anmutreich,
Die lange glatte Haarflut ist maronenbraun,
Die braunen Augen groß und von der Mandel Form,
Der schlanke weiße Hals ein langer Schwanenhals,
Die mädchenhaften Brüste fest und straff und weiß,
Sie ist ein Ideal, ist geistige Idee
Von sinnenhafter Schönheit rein und makellos!
Ich wäre längst zu ihr gegangen, ihr als Mann
Zu offenbaren Liebe nach Poeten-Art,
Doch eine Göttin hält mich bei Eurydice!
Ich hätte doch Eurydice verlassen schon
Und wäre längst gegangen schon zur jungen Maid,
Wenn diese hohe Göttin mir nicht Herrin wär!
Die Göttin Pheme ist die Göttin meines Ruhms,
Sie wird für meinen Nachruhm sorgen in der Zeit,
Und Göttin Pheme – oder nenn ich Ossa sie –
Des Ruhmes Göttin Pheme hat mir prophezeit,
Dass meines Ruhms Unsterblichkeit in Zukunft ist
Verbunden mit dem Namen der Eurydice!
Eurydice –mein Ruhm! Die Göttin Pheme sprachs,
Des Ruhmes Göttin Ossa hat es prophezeit!
Und was auch soll das junge Mädchen Nympha mir?
Noch ist sie jung, noch ist sie reizend, makellos,
Von ungeheurer Anmut, großer Grazie,
Jedoch die Weisen lehren mich, bei Töchtern stets
Die Mütter anzuschauen, denn so werden sie,
Wenn ihrer Jugend Reiz verflogen ist, ja dann
Trägt Warzen sie wie Hexen von Thessalien,
Nein, Nymphas Mutter ist ein widerliches Weib,
Ist nicht nur hässlich, sondern auch noch dumm wie Stroh!
O Göttin meines Ruhmes, Göttin Pheme du,
Besondre Art von Göttin du mit Zungen viel,
Die du mit vielen Zungen die Posaune bläst,
Dir weih ich meinen Ruhm in Zeit und Ewigkeit!


ZWEITE SZENE


EURYDICE
Mein heimlicher Geliebter, Aristäus mein,
Ich habe Langeweile in der Ehe zwar
Und all mein Leben ist ein Leben ohne Salz,
Das stört mich aber nicht. Ich lebe gerne noch,
Denn wenn man einmal eine große Qual erlebt,
Weiß man zu schätzen süße Langeweile erst.
ARISTÄUS
Sprich nicht von Langeweile, vielgeliebtes Weib,
Die Muße preise du als große Göttin mehr!
EURYDICE
Und wäre ich nicht müßig in dem Garten oft
Und träumte vor mich hin und lauschte Vogelsang,
Wie könnten wir sonst scherzen voller Liebesglut?
ARISTÄUS
Ja; denke dir, Eurydice, du wärest gar
Ein Bauernweibchen oder eine Sklavin gar
Und müsstest Tag für Tag sehr schwere Arbeit tun,
Wann sollten dann wir voller Liebe scherzen süß?
EURYDICE
Und, Aristäus, wenn du von der Liebe sprichst,
So fühle ich mich wieder wie zur Jugendzeit,
Als Orpheus noch für mich geschwärmt voll Liebesglut.
Wie abgestanden unsre Ehe heute ist,
Wie schales Wasser, weder heiß noch kalt, nein lau,
Zum Speien ist dies laue abgeschmackte Nass!
ARISTÄUS
Ich bin ein Imker, meine Herzenskönigin,
Und sehe gerne Bienen mit dem Stachel scharf
Im Krokuskelche bohren, um den Nektarseim
Zu sammeln für die große Bienenkönigin.
Du weißt vielleicht, der Staat der Bienenkönigin
Ist ganz ein Matriarchat wie in der Goldnen Zeit,
Als noch die Große Mutter herrschte in der Welt.
Es gibt im Staat nur Eine Bienenkönigin,
Und wer die Wonne ihrer Liebe spüren durft,
War gern bereit, im Bett zu sterben süßen Tod.
Die andern dienen ihr als Sklaven insgesamt.
Und du, Eurydice, bist Bienenkönigin
Und ich will gerne sterben in dem Liebesbett,
Man nennt die Liebe nämlich auch die Kleinen Tod!
EURYDICE
Zwar Orpheus ist ein Sänger, Dichter und Prophet,
Doch solche süßen Worte habe ich noch nie
Von ihm vernommen, oder lange ist es her,
So lange her, dass ich mich nicht erinnern kann.
ARISTÄUS
Mein Schatz, ich möchte gerne einen Bienenstock
Mit einem meiner Bienenvölker stellen hier
In deinen Garten, mitten in den Thymian,
Ja, mitten in die Krokuswiese weiß und blau.
EURYDICE
Komm morgen wieder, Liebling, heute muss ich gehn,
Für heute sei’s genug der Liebesscherzerei,
Jetzt ruft mich abendliche eheliche Pflicht,
Dem Orpheus zu bereiten still sein Abendmahl.

(Eurydice ab.)

ARISTÄUS
Das ist ein Weib, so ganz nach meines Gaumens Schmack!
Doch was ich ihr noch nicht verraten habe, ist,
Dass ich kein Imker bin, dass ich kein Hirte bin,
Jedoch, ein Hirte bin ich wohl und weide all
Die todgeweihten Schafe in der Unterwelt.
Ich bin ein Gott und Pluton ist mein Name, ich
Bin Bruder des Poseidon und des Donnrers Zeus.
Zeus waltet über alle oben im Olymp,
Mit Lilienarmen Hera ihm zur Seite thront,
Poseidon herrscht, der blaugelockte Meeresgott,
Im weiten Ozean mit der Doriden Chor,
Und Amphitrite in der Tiefe hat ihr Bett.
Ich aber, Pluton, bin der Gott der Unterwelt,
Der Hades ist mein Reich, die dunkle Totenwelt,
Und keine Ehegattin mir zur Seite thront,
Ich Gott allein und keine Göttin ist bei mir.
Die Weisen aber sagen: Unersättlich ist
Der Schoß der unfruchtbaren Frau und ebenso
Vollkommen unersättlich ist das Totenreich.
Die Menschen haben tiefe Sehnsucht doch nach mir
Und ihre Dichter sagen: Wen die Gottheit liebt,
Der stirbt schon in der Mitte seiner Zeit. Und auch
Die Dichter sagen: Besser als die Lebenden
Die Toten haben es in dunkler Unterwelt.
Ich auch bin voll Begier nach einem Eheweib,
Wie König Zeus Gespielinnen auf Erden hat
Und Leda einst begattete als weißer Schwan,
Europa einst begattete als weißer Stier,
Und auch Poseidon hat Gespielinnen im Meer
Und manches Mädchen er begattete als Fluss.
Ich aber, Gott, begehre die Eurydice,
Begehre dieses Wonneweib voll Üppigkeit!
Wie üppig ihre vollen großen Brüste sind!
Wie üppig und wie schwellend ihre Lippen sind!
Ich werde eines Tages ihr enthüllen, dass
Ich Pluton bin, dann offenbare ich der Frau
Die ganze Schreckensmajestät des Totengotts!
Vorerst bin ich ihr Schäfer, bin ihr Imker süß,
Vorerst will ich mit der Gewalt des Eros sie
Umgarnen und sie schmeichelnd locken in mein Netz.
Ich sage, ja, mit der Gewalt des Eros, denn
Gott Eros ist bekannt auch in der Unterwelt.


DRITTE SZENE


ORPHEUS
Ich finde dich ganz unerträglich, altes Weib,
Es ist doch besser, dass ein weiser Dichter wohnt
Allein in einem stillen Winkel unterm Dach,
Als dass er wohnt zusammen in dem selben Haus
Mit einem Weib, des Zunge immer zänkisch ist.
EURYDICE
Du bist ein Frauenfeind geworden, dicker Mann.
ORPHEUS
Mit einem Weibchen zu verkehren, welches stets
Gleich einem Wasserfalle schwatzt und plaudert, das
Ist so, als bläse man die Kriegstrompete laut.
EURYDICE
Wir Frauen wissen eben über unser Herz
Zu reden, doch ihr Männer sprecht nur mit dem Wein.
ORPHEUS
Ein Weib, das immer schwatzt und immer plaudert, das
Ist für den stillen und gelehrten weisen Mann
Wie eine Düne ganz aus Sand für einen Greis,
Der an der Krücke humpelnd steigen soll hinan.
EURYDICE
Du bist ganz einfach unverschämt geworden, Mann.
ORPHEUS
Ein schönes Weib, das aber ohne Sitte lebt
Und unmoralisch lebt alleine für die Lust,
Ist so wie eine Sau mit einem goldnen Ring.
EURYDICE
Du nennst mich Sau? Du selber bist ein altes Schwein,
Du vergewaltigst in Gedanken mich, du Schwein!
ORPHEUS
Du bist ein Skorpion, du bist ein Plage-Geist!
Wenn Götter strafen wollen diese Welt der Schuld,
So senden sie Skorpione mit dem Schwanz voll Gift,
Und so ein Plage-Dämon bist du in Person!
EURYDICE
Du bist so arrogant und eingebildet, Kerl,
Du willst, man soll stets lauschen deinem Weisheitswort
Und ganz Empfängnis sein, ganz feminin und still,
Doch wenn die Frau verkündet ihren eignen Wert,
Wenn eine Frau verkündet, dass sie wertvoll ist,
Dann hältst du sie für überheblich und für stolz,
Weil du nur an dich selber glaubst und deinen Wert,
Du hältst dich selbst für einen Philosophen, doch
Du bist ja auch nicht besser als ein geiler Kerl.
ORPHEUS
Ja, tu du nur so keusch und halte dich für Gott,
Ja, halte dich für eine Sonnengöttin, doch
Du bist ein dummes Weib und dazu alt und dick.
EURYDICE
Ich alt und dick? Das höre ich mir nicht mehr an.
ORPHEUS
Ich geh zu meinen Freunden in die Schenke und
Betrinke mich mit Wein, dass ich vergessen kann,
Dass ich vergessen kann mein böses Eheweib!

(Orpheus ab.)

EURYDICE
Jetzt müsste Aristäus kommen, schmeicheln mir,
Und sagen mir, ich sei noch sehr begehrenswert,
Und reden, süß wie Honig, weg die Bitterkeit.

(Auftritt Aristäus-Pluton)

ARISTÄUS
Was schaust du denn so traurig drein, Geliebte mein?
EURYDICE
Mein Gatte Orpheus hat mich schwer beleidigt grad,
Noch ist verletzt, noch ist verwundet mein Gemüt.
ARISTÄUS
Dein Gatte Orpheus weiß dich ja zu schätzen nicht,
Eurydice, du bist zu schön für diese Welt!
EURYDICE
Du sagst so nette Sachen immer, lieber Freund.
ARISTÄUS
Ach, wenn ich dich nur einmal küssen dürfte, Schatz!
EURYDICE
Es ist in Ordnung, Aristäus, küss mich nur.
ARISTÄUS
So sauge ich mich fest an deinem Schwanenhals!
EURYDICE
Du beißt mich ja, Geliebter! Weh, es flieht mein Geist!
PLUTON
Da liegt Eurydice in tiefer Ohnmacht nun!
Der Kuss des Totengottes ist ein kalter Kuss!
Nun ist sie mein, Eurydice ist völlig mein!
Ich habe sie gebissen! Und ein Tropfen Blut
Eurydices hat ihre Seele mir vermacht!
Wir untern Götter lieben sehr das Menschenblut!
Die Priester wollen uns versöhnen mit dem Blut
Von Lämmern, die sie schlachten uns auf dem Altar,
Doch dürsten wir allein nach wahrem Menschenblut!
Das Blut des Menschen ist ein ganz besondrer Saft!
Und jetzt, wo ich von ihrem Blut getrunken hab,
Wo ich von ihrem Fleisch gegessen habe, jetzt
Versunken bin in tiefer Liebe ich zu ihr!
Jetzt, jetzt hat Orpheus keine Rechte mehr an ihr!
Die Ehe ist ein Heiligtum auf Lebenszeit,
Doch mit dem Tode endet auch der Ehebund.
Der Toten Geist gehört dem Totengott allein!
Nun führ ich sie ins Reich des Todesschattens ein,
Nun führ ich sie ins Reich der Finsternis hinab.
Noch einmal wache auf von deinem Schlummer, Weib,
Noch einmal aus der Ohnmacht du erhebe dich,
Noch einmal will ich wecken dich vom Todesschlaf
Und dann gehört mir deine schöne Seele ganz.

(Eurydice erwacht.)

EURYDICE
Du, Aristäus, du bist Pluton? Ich bin dein!


VIERTE SZENE


PLUTON
Du solltest einen Brief an Orpheus schreiben noch
Und Abschied nehmen vom vertrauten Ehemann.
EURYDICE
Ich war zwar eines Dichters Frau und früher auch
Er nannte Muse mich, doch schreiben kann ich nicht.
PLUTON
So sage mir, was du in deinem Herzen trägst,
Dann will ich formulieren deinen Abschiedsbrief.
EURYDICE
Wie soll ich denn beginnen, was sag ich zuerst?
PLUTON
Mein lieber Orpheus? Oder lieber Ehemann?
EURYDICE
Mein Schatz, mein Schätzchen hab ich immer ihn genannt.
PLUTON
Gut, also: Lieber Schatz, ich wende mich an dich...
EURYDICE
Was sage ich in dieser Abschiedsstunde ihm?
PLUTON
An wen denn denkst du jetzt, da dich der Tod geküsst?
EURYDICE
An meine liebe Mutter denk ich allermeist,
Zunächst der Mutter auch an Orpheus denke ich.
PLUTON
Ich denke jetzt, da mich der Bruder Tod geküsst,
In meines Lebens letztem Augenblick an dich!
EURYDICE
Doch an die liebe Mutter noch viel inniger.
PLUTON
Das muss ja Orpheus wissen nicht, das lassen wir.
EURYDICE
In Ordnung. Aber sagen will ich ihm doch noch,
Dass er nach meinem Tode glücklich werden soll
Mit seinem jungen Mädchen Nympha, seinem Schwarm.
PLUTON
Mein Liebling, wenn ich in dem Totenreiche bin,
Sollst keine bittren Tränen weinen du um mich,
Nein, schau ein junges Mädchen an und tröste dich,
Denn in dem Totenreiche sind wir alle jung.
EURYDICE
Und wenn er denkt, ich wäre eifersüchtig dann?
PLUTON
Und denke nicht, ich wäre eifersüchtig dort,
Ich hab im Totenreiche alles was ich brauch
Und wünsche mir nur eines: Dass du glücklich bist.
EURYDICE
Ja, das ist schön. Und auch noch die Erinnerung
An unsre wilde Liebe in der Jugendzeit?
PLUTON
Was willst du sagen von der süßen Liebeslust?
EURYDICE
Er möge sich erinnern, wie wir uns geliebt.
PLUTON
Dann schreib ich so: Mein Schätzchen, denke an die Lust,
Wie wir uns lüstern liebten in der Jugendzeit!
EURYDICE
Ja, das ist gut gesagt. Nur lüstern sage nicht,
Sprich lieber doch von Herzlichkeit, von Innigkeit.
PLUTON
Mein Schätzchen, denke an die süße Liebeslust,
Wie in der Jugend du mich innig hast geliebt!
EURYDICE
Was sag ich weiter? Etwas noch zu seinem Trost?
PLUTON
Vielleicht: Und wenn ich Schatten bin im Totenreich,
Dann denke du daran in deiner Trauerzeit,
Dass ich als dein Daimonium stets bei dir bin.
EURYDICE
Ja, schreibe so. Das ist gewiss ein schöner Trost.
PLUTON
Und weiter Worte auch der Hoffnung noch für ihn.
EURYDICE
Der Hoffnung? Welche Hoffnung denn dem Trauernden?
PLUTON
Ich bin ja stets um dich als dein Daimonium
Und wenn du selber sterben wirst als weiser Greis,
So auf der Insel der Glückseligen vereint
Im Lichte leben Orpheus und Eurydice,
Wie heute Helena lebt dort schon mit Achill.
EURYDICE
Sehr schön. Lies einmal vor. Was haben wir bis jetzt?
PLUTON
Mein lieber Orpheus, Schatz, ich wende mich an dich.
Ich denke jetzt, da mich der Bruder Tod geküsst,
In meines Lebens letztem Augenblick an dich.
Mein Liebling, wenn ich in dem Totenreiche bin,
Sollst keine bittren Tränen weinen du um mich,
Nein, schau ein junges Mädchen an und tröste dich,
Denn in dem Totenreiche sind wir alle jung!
Und denke nicht, ich wäre eifersüchtig dort,
Ich hab im Totenreiche alles was ich brauch
Und wünsche mir nur eines, dass du glücklich bist.
Mein Schätzchen, denke an die süße Liebeslust,
Wie in der Jugend innig du mich hast geliebt.
Mein Herz, und wenn ich Schatte bin im Totenreich,
Dann denke du daran in deiner Trauerzeit,
Dass ich als dein Daimonium stets bei dir bin.
Ich bin ja stets um dich als dein Daimonium,
Und wenn du selber sterben wirst als weiser Greis,
So auf der Insel der Glückseligen vereint
Im Lichte leben Orpheus und Eurydice,
Wie heute Helena lebt dort schon mit Achill.


FÜNFTE SZENE


ORPHEUS
Ich hab den Abschiedsbrief gelesen und ich fühl
Kein bisschen Liebe für die Frau Eurydice.
Nun ist sie also tot. Und ich bin endlich frei!
Was war sie doch für eine Last auf meinem Geist,
Ich konnte nicht mehr denken, kontemplieren nicht,
Sie zog mich immer in des Alltags Not hinab.
Urworte orphisch hätt ich gern geschrieben, doch
Eurydice mich immer band an diese Welt.
Ich bin ein Göttersohn, ich bin ein Kind des Lichts,
Eurydice war eitel und ein Kind der Welt.
Und muss ich denken an Eurydice im Grab,
Wo ihre Leiche liegt, der geilen Würmer Fraß,
So werf ich keine rote Rose in ihr Grab,
Ich werfe eine rote Nelke nur hinab.
Hinab mit dir, du rote Nelke, so profan,
Im Augenblick des Todes der Eurydice
Ich fühle keine Liebe in des Herzens Grund.
Nun ist sie endlich fort und ich bin endlich frei!
Sie sagte ja zu mir: Du lege flach dich hin,
So will ich schreiten über deinen Rücken stolz!
Was schreibt sie aber stolz in ihrem Abschiedsbrief?
Ich solle zu dem jungen Mädchen Nympha gehn
Und trösten mich, in Ewigkeit sind alle jung.
Zu Nympha will ich eilen und ihr sagen an,
Dass ich nun frei geworden von Eurydice
Und dass ich Nympha lieben kann, die junge Maid.
So will ich eilen gleich zu Nymphas Heiligtum,
Zu ihrer Hütte in der lieblichen Natur,
Dort lebt sie unter Pferden, Stute oder Hengst,
Dort lebt sie unter Lämmern als die Hirtin schön,
Dort lebt sie unter Hühnern, Eier legenden,
Dort lebt sie unter Tauben, in den Eichen ruckts.
Dort will das junge Mädchen Nympha treffen ich
Und schauen ihre Schönheit an, der Anmut Glanz,
Der langen braunen Haare Flut und Wasserfall,
Der großen braunen Augen schöne Mandelform,
Der himmlisch süßen Lippen tiefes Scharlachrot,
Des langen weißen Halses schlanken Schwanenhals,
Die schlanke Grazie niedlich hübscher Brüste Paar,
Den braunen Schönheitsflecken auf der linken Brust.
Und sagen will ich Nympha: Maid, ich liebe dich,
Weil du bist ganz der Schönheit göttliche Idee!
Du bist ja keine Frau aus dieser Schattenwelt,
Du bist die makellose göttliche Idee
Der unbefleckten Schönheit in dem Grazienleib,
Und solche Schönheit schaute ich noch nie im Traum,
Wie du sie offenbarst in aller Wirklichkeit.
Nur deine Mutter soll von Liebe hören nichts,
Weil sie den Hexen gleich ist von Thessalien
Und neidisch wäre auf der Tochter reinen Reiz!

(Auftritt der Göttin Pheme.)

PHEME
Mein Orpheus, halte ein, besinne dich ganz still.
ORPHEUS
Gegrüßet seist du, Herrin, was ist dein Begehr?
PHEME
Erzähle mir von deinem Traume heute Nacht.
ORPHEUS
Ich träumte, dass ich läg im breiten Ehebett
Und liebevoll erkannte Frau Erydice.
PHEME
Und an dem Tag du lästerst über sie so laut?
ORPHEUS
Es ist ganz seltsam, denn am hellen Tage bin
Ich voller Groll und voller Ingrimm über sie
Und meine fast, ich hasse Frau Eurydice,
Doch stets zur Nacht, da träum ich liebevollen Traum
Und liebe Frau Eurydice mit Innigkeit.
PHEME
Entferne du aus deinem Herzen allen Hass!
ORPHEUS
Wir lebten zwanzig Jahre doch zusammen als
Ein altes Ehepaar und in Vertraulichkeit
Wie Brüderchen und Schwesterchen. Nun ist sie tot,
Und nach dem ersten Wüten meines Hasses spür
Ich in der Tiefe meines Herzens, dass sie fehlt!
Ja, dass sie fehlt und dass ich sie vermisse sehr!
PHEME
Ein jeder großer Mann in seinem Rücken hat
Und treu an seiner Seite eine große Frau.
ORPHEUS
Wenn ich die Götter sang, die nie ich hab gesehn,
Für jede Göttin stand Eurydice Modell.
PHEME
Du sollst in Ewigkeit des Nachruhms leben so
Als Dichter der Eurydice, ihr Bräutigam
Auf Erden und vom Tode ungeschieden noch.
Und darum sollst du sie erbitten von dem Herrn
Und Vater Zeus anflehen hoch auf dem Olymp,
Dass Vater Zeus Eurydice dir wiedergibt.
ORPHEUS
Wo wohnt denn Vater Zeus? Die Weisen sagen doch,
Allgegenwärtig sei im Innern der Natur
Der Geist des Zeus, es wohne Vater Zeus im Licht,
Das unzugänglich sei, der unerforschte Gott!
PHEME
Ich aber will nach Zypern dich geleiten und
Im Wagen fahren einen Weg auf den Olymp,
Auf Zypern nämlich das olympische Gebirg
Trägt auf dem Gipfel Gottes Haus und Heiligtum
Und ich, die Göttin Pheme, führe dort dich ein
Bei den Olympiern und ihrem König Zeus.


SECHSTE SZENE


CHOR DER EROTEN

Der Weise lehrt,
Dass ein Mann
Und eine Frau
In Treue leben
Sollen ihre Ehe
Bis zum Tode
Des Mannes.

Dann ist die Frau
Nicht mehr gebunden
An ihren Ehemann.

Die Witwe darf
In aller Gottesfurcht
Wieder heiraten.

Aber besser wäre es,
Wenn die Witwe
Allein bliebe
Nach dem Tod
Des Ehemannes
Und im Gebet
Den Göttern diene.

Die jungen Witwen
Sollen lieber
Nach dem Tod
Des Ehemannes
Wieder heiraten,
Damit sie sich nicht
Verzehren
In unbefriedigter
Begierde!

Aber die alten Witwen
Sollen lieber
Ihre Kinder
Und Kindeskinder lehren
Die Lehre der Götter
Und gute Werke tun
Der Barmherzigkeit
Und leben
Wie Jungfrauen
Bis zum Grabe,
Geweihte der Götter!

Aber die Dichterin
Der Liebe sagt:
Wenn ein Mann
Vor seiner Frau stirbt,
Soll die Frau
Den verewigten Mann
Weiter lieben
Als himmlischen Schutzgeist.

Wenn die Witwe
Nach dem Tod
Des Ehemannes
Sich einen Freund
Zum Liebhaber nimmt,

So begeht sie
Nach den Worten
Der Dichterin
Der Liebe
Posthumen Ehebruch!

Wenn ein Mädchen,
Geliebte eines Dichters,
Stirbt in ihrer Jugend,

Soll der Dichter
Sie feiern
Als Schutzgeist
Seiner Liebe,

Er soll sie preisen
In heiligen Hymnen
Als Verkörperung
Göttlicher Weisheit,
Die den Dichter
Zu den Göttern
Nach Elysium führt.

Aber ein anderer
Dichter der Liebe
Lehrte die jungen Dichter:

Stirbt euch
Eine Geliebte,
So trauert nicht
Der Toten nach,
Lebt nicht allein
In Erinnerung
An die tote Geliebte,

Sondern sucht euch
Ein lebendiges Mädchen
Zur Huldigung!



ZWEITER AKT


(Ort: auf dem Olymp. Personen: die Olympier. Zeit: die Ewigkeit.)

ERSTE SZENE

ZEUS
O Tochter, große Artemis von Ephesos,
Wie voller Langeweile ist doch der Olymp!
Nur immer Götter anzuschauen und das All
Und das Gebet der Menschheit gnädig hören an!
Wie voller Langeweile öde ich mich an!
ARTEMIS
Mein Vater und mein Herr! Was wäre dir ein Trost?
ZEUS
Ein Mädchen von den Menschentöchtern sah ich jüngst,
Sie zählte etwa neunzehn Jahre, o so jung,
Sie lehnte lächelnd sich ans Haus von Stein,
Zu ihren Füßen stand ein großer Wasserkrug,
Die langen braunen Haare fielen auf die Brust,
Sie hob die beiden Arme über ihren Kopf,
Da unter ihren Achseln wuchs kein bisschen Haar,
Ihr Schamhaar war wie dunkelbraune Wolle kraus,
Der Beine Säulen waren schlank und voller Kraft.
ARTEMIS
Was sagt denn deine Gattin Hera zu dem Bild?
ZEUS
Ich sah ein andres Bild auf schwarzer Erde noch,
Ein Mädchen von den Menschentöchtern, sechzehn Jahr,
Ihr schwarzes Haar fiel auf das weiße Schulterpaar,
Den linken Arm hielt sie erhoben bis zum Kopf,
Mit ihrer rechten Hand hielt sie den Buchenzweig,
Der ihre Scham verhüllte mit dem grünen Laub.
Die mädchenhaften Brüste waren klein und fest
Und ihrer Brüste Spitzen hatten sich versteift.
ARTEMIS
Was sagt denn deine Gattin Hera zu dem Bild?
ZEUS
Ich träume von der blonden Schönheit Leda noch,
Sie zählte eben vierzehn Jahre, eben reif
Zu dem Geschlechtsakt einer Hochzeitsnacht,
So jung und schön, die blonden Haare fast wie Gold,
Zusammen band sie stets ihr Haar zum Pferdeschwanz,
Die Wangen glühten ihr von innerlicher Glut,
Der blauen Augen scharfe Blicke trafen mich,
Sie schien mir die Idee der Schönheit selbst zu sein,
Und in dem Schoß der Schönheit wollte zeugen ich
Als reiner Geist und darum wurde ich zum Schwan
Und zeugte Helena von Sparta väterlich
Und zeugte einen von dem Dioskuren-Paar.
ARTEMIS
O Vater mein im Himmel! Ich hab auch ein Leid.
ZEUS
O Tochter, schütte deine Seele vor mir aus.
ARTEMIS
Als eines Tags gebadet ich in einem Teich,
Ich, denke du, die unbefleckte Jungfrau keusch,
Da schaute durch den Wassernebel mich ein Mann,
Ein Mensch betrachtete die Jungfraungöttin nackt!
Da habe ich verwandelt ihn in einen Hirsch,
Ich schickte meine Hundemeute da auf ihn
Und meine Hunde haben ihn zerrissen und
Getötet. Wehe mir! Aktäon ist nun tot!
Seit dieser Stunde liegt ein Todesschatten auf
Der Seele deiner Tochter, und ich bin betrübt,
Ich höre noch Aktäon, seine Todesangst,
Ich höre röhren ihn wie einen Hirsch in Brunft,
Ich sehe seinen Leib zerrissen, rot wie Blut,
Ich sehe seine Seele fliehen, seinen Geist,
Entweichen sehe ich der Nase seinen Hauch,
Und voller Trauer ist die Göttin, weil der Mann
Nun nicht mehr ihre nackte Schönheit betet an,
Denn doch geschmeichelt hat mir seine Lustbegier.
ZEUS
Nur Einen Menschen liebtest auf dem Erdkreis du?
ARTEMIS
Mein Kummer ist noch größer, Vater mein und Gott.
Ich hatte einen Mann, der mich sehr tief verehrt,
Geringer als ein Sklave war vor mir der Mann,
Und keusch war er, wie eine Jungfrau war er keusch.
ZEUS
Wie war der Name dieses keuschen Menschensohns?
ARTEMIS
Des Königs Theseus Sohn war er, hieß Hippolith.
ZEUS
Was wurde denn aus dem Verehrer keusch und rein?
ARTEMIS
Weil Aphrodite eifersüchtig war auf mich,
Hat sie des Königs Theseus zweite Ehefrau
Verliebt gemacht in ihren Stiefsohn Hippolith,
Und so geschah die traurige Tragödie,
Dass schließlich Hippolith von einem Ungetüm
Zerrissen wurde, und so ist mein Diener tot!
ZEUS
In meinem Reiche glüht die junge Liebeslust,
In deinem Reiche nur der Todesschatten herrscht.
ARTEMIS
Wer je wie ich so eine tiefe Qual gefühlt,
Wünscht sich des Himmels Langeweile gern zurück.
Denn Muße, diese Göttin inspirierend, ist
Der Musen wahre Mutter, Mutter aller Kunst.
ZEUS
Die Muße hat schon große Könige gestürzt,
Die Muße hat schon reiche Städte ruiniert,
Die Muße ist die Mutter der verliebten Lust.


ZWEITE SZENE


HERA
Mein Bruder und mein Gott, o Göttervater Zeus,
Die göttliche Athene sagte eben mir,
Auf Erden sei ein Weib entführt von einem Gott.
Das warst doch du! Ich kenn doch meinen Ehemann!
Es war gewiss ein junges Mädchen, neunzehn Jahr,
Vielleicht auch sechzehn Jahr, vielleicht auch vierzehn Jahr,
Du schaust ja nur noch jungen kurzen Röckchen nach,
Wie sollte ich denn da nicht eifersüchtig sein?
Ich bin doch deine Schwester, deine Ehefrau!
Und neulich, als wir lagen in dem Ehebett,
Als du vom Wein betrunken lagst und laut geschnarcht,
Da hab ich dich im Traume reden hören von
Europa: Ach Europa! stöhntest immer du.
Wie sollte ich denn da nicht eifersüchtig sein?
Ich bin dir wohl zu alt und dick geworden, wie?
Ja, so ein Götterkönig, der von Fleisch sich nährt
Der Opfergaben seiner Menschheit, der darf wohl
Ein dickes Bäuchlein haben, eine Nase rot,
Der immer zechend mit dem Gott Dionysos,
Weil Wein dir einschenkt stets der Knabe Ganymed,
Da hört man keinen lästern hoch auf dem Olymp:
Der Göttervater ist zu alt geworden und
Zu dick geworden ist sein Bauch, die Nase ist
Zu rot vom Weingenuss. So redet nicht ein Gott,
So redet Hera auch mit Lilienarmen nicht.
Ich schaue nicht zu sehr auf äußerlichen Schein,
Das ist ein Schatten nur der wahren Wirklichkeit.
Der äußre Schein ist nichts als Trug und Illusion.
Ich schaue mehr das Wesen an, der Seele Form,
Ich liebe innerliche Schönheit nur allein.
Was, Vater aller Götter, aller Menschen, was
Denn interessierte mich dein langer grauer Bart?
Solang du der Allmächtige voll Gnade bist
Und der Allweise und der Allbarmherzige,
Solange interessiert mich nicht dein grauer Bart.
Und selbst dein dicker Bauch vom vielen Fleischgenuss
Kann mich nicht stören. Und ich such Adonis nicht
Vom Busen seiner Göttin fortzureißen, nein,
Ich bin als Göttin eine treue Ehefrau
Und hab noch nie betrogen meinen Gatten Zeus.
Du aber rennst nur noch den jungen Mädchen nach,
Und wenn ich es nicht besser wüsste, Vater Zeus,
So glaubte ich, du liebtest auch den Ganymed
Unzüchtig in der Sünder Lust der Sodomie.
ZEUS
Das, Weib, verbitt ich mir, so etwas sage nicht,
Sonst ist mein Ruf als guter Vater ruiniert.
HERA
Dann sag mir, ob du wiederum auf Erden warst,
Ob du ein junges Mädchen wiederum entführt?
Sag mir die Wahrheit, Zeus, und schwöre mir beim Styx!
ZEUS
Ich schwöre, Hera mit dem Lilienarm, beim Styx,
Ich habe jüngst kein Weib der Erdenwelt entführt.
Die Sache mit Europa und mit Leda, das
Ist ja schon länger her, du hast mir schon verziehn.
Auch andre Götter lieben Menschentöchter sehr,
Denk an den Gott Dionysos, wie er im Rausch
Das Mädchen Aura sich genommen hat zur Braut
Und wie er später König Theseus’ Liebste nahm,
Er Ariadne nahm auf Naxos sich zur Braut.
Denk an den Gott Apollon auch, den Dichtergott,
Wie er dem schönen Mädchen Daphne nachgejagt,
Bis sie zu einem Lorbeer ward, was Dichter inspiriert,
Dass man sein Ideal als Lorbeerbaum lobpreist.
HERA
Ich weiß, o Gott, du schaust in ferne Zukunft nun.
ZEUS
Und warum denn auch immer junge Mädchen nur?
So manch ein Gott liebt gleichfalls eine reife Frau,
Denn junge Mädchen kichern nur und tänzeln nur
Und lassen sich anbeten zwar, doch ohne Huld
Und ohne Gegenliebe bleiben kalt sie nur.
Die reifen Frauen aber voller Dankbarkeit
Für eines Gottes Schmeichelei sind liebevoll,
Warmherzig pflegen sie die Freundschaft voller Geist
Und wissen einen Gott zu ehren auch als einen Gott.
HERA
Und du, o Gott, ob du auch eine Göttin ehrst?
ZEUS
Vergiss nun einmal all die jungen Mädchen und
Die reifen Frauen auch der armen Menschenwelt,
Du stets noch meine Göttin mit dem Lilienarm,
Des höchsten Götterkönigs schwesterliche Braut!
HERA
So sagst du also, dass du mich noch immer liebst?
ZEUS
Ich liebe dich noch immer, Himmelskönigin,
Du bist noch immer meine Throngenossin, Braut,
Mitgöttin mit dem Gott und Miterlöserin
Mit dem Erlöser, Königin der Genien
Und Mutter aller Götter, Retterin der Welt
Und Mittlerin der Gnaden von dem höchsten Zeus.
HERA
Und bin ich oft auch eifersüchtig, lieber Gott,
Weil du so viele Bräute hast in dieser Welt,
Doch übereigne ich dir meine Seele ganz.
ZEUS
Ich rufe alle Menschen auf dem Erdkreis auf,
Sich zu vertrauen ganz der Himmelskönigin,
Und sich zu weihen deinem reinen Mutterherz,
Denn keiner hat doch Gott zum Vater, wenn er nicht
Die Himmelskönigin zu seiner Mutter hat!


DRITTE SZENE


HERMES
O Vater Zeus, als Götterbote ging ich um
Und schweifte hin und her auf Erden, um zu sehn,
Wie sich die Götter und die Menschenkinder dort
Vereinigten in unsrer heitern Religion.
Ich sah in Theben eine Frau, Eurydice,
Die Ehefrau des Meistersängers Orpheus war,
Die ward von Pluton als von dem verborgnen Gott
In Bräutigamsgestalt zum Totenreich entführt.
Eurydice nahm Abschied von dem Ehemann
Und folgte ihrem Bräutigam und ihrem Gott
Und sang noch eine Ode an den dunklen Herrn.
ZEUS
Was sang die todgeweihte Braut Eurydice?
HERMES
„O Sonnengott, den Allerhöchsten preise du,
O Göttin du des keuschen Mondes, singe Lob,
Den Ewigvater Zeus Kronion preise du!
O Gaia, schwarze Mutter Erde, singe Preis
Dem großen Vater in der Himmelsregion!
In Quell und Bach, im breiten Strome und im Meer,
Ihr Nymphen, preist mit mir den allerhöchsten Zeus!
Und du, o Kerker meiner Seele, o Verließ,
Du meiner Seele Sarg, du fluchbeladnes Fleisch,
Auch du, auch du, lobpreise Gott, der mich erlöst!
Vor allem aber du, o Bräutigam, o Tod,
Du Seelenbruder meiner Seele, preise Zeus,
Dass ich als Frevlerin nicht scheide von der Welt,
Dann wird unsterblich meine Seele selig sein!“
ZEUS
Gott wohlgefällig ist dies Lied Eurydivces.
HERMES
Dein Bruder Pluton, dunkler Gott des Schattenreichs,
Mit einem Kuss hat ihre Seele ihr geraubt.
Fast wie die Hexen lehren in Thessalien,
Wenn sie vom Dämon sprechen, der da saugt das Blut
Aus eines schönen Weibes Hals wie eine Fledermaus,
So biss der Totengott mit einem Biss sie tot
Und so entführte er die Seele dieser Frau
Als seine vielgeliebte Braut ins Schattenreich,
Auf dass im Hades er auch habe eine Braut.
Der Tod Eurydices soll ihre Hochzeit sein!
Dein dunkler Bruder Pluton schon bereitet hat
Im Hades ihr das Brautgemach und Ehebett
Und will vollziehen mit der Braut das Sakrament
Geheimnisvoller Ehe in dem Totenreich.
ZEUS
Wir Götter feiern Hochzeit zwar im Himmelreich,
Die Seelenschatten in Unsterblichkeit jedoch
Nicht wie auf Erden in der Ehe leben, nein,
Sie sind so frei und selig wie die Götter selbst.
HERMES
Sonst hab ich keinen Gott gesehn auf Erden, der
Zum süßen Liebesspiel sich eine Braut geraubt.
ZEUS
Hast du’s gehört, o Hera, Himmelskönigin?
HERA
Ich hab’s gehört, mein königlicher Bruder Zeus.
ZEUS
Und ich bin froh, dass Hermes diese Botschaft bringt,
Nun siehst du meine Unschuld ein, o Schwester-Braut.
HERA
Verzeihe, Bruder mein und Gott, die Eifersucht!
Du weißt jedoch, ich habe manchen Grund gehabt,
Ich habe manchen Grund zur Eifersucht gehabt.
Ich sage nur Europa, sage Leda nur,
Ich sage nur von Danae und deinem Gold.
ZEUS
Lass die veralteten Geschichten ruhen, Frau
Und Göttin meiner Gottheit, das ist lang vorbei.
Jetzt bin ich treu allein der Himmelskönigin
Und schaue nicht mehr nach den jungen Mädchen aus.
HERA
O Vater aller Götter, aber duldest du,
Dass Pluton, der ja nur dein kleiner Bruder ist,
Ein Weib entführt vom Bette ihres Ehemanns?
Du musst als König aller Götter sorgen doch
Dafür, dass in dem Reiche festgehalten wird
Die Heiligkeit der Ehe zwischen Mann und Frau.
Ich bin der Ehe Göttin, das bedeutet viel.
ZEUS
So, Hermes, send ich dich als Götterboten aus,
Geh du zum dunklen Pluton in das Totenreich.
HERMES
Da geh ich gar nicht gerne ein, o Herr und König Zeus.
ZEUS
Gehorche mir, o Hermes! Oder vielmehr noch,
Gehorche Hera, denn die Himmelskönigin
Will, dass ich meinen Bruder Pluton lade ein
Und ihn zur Rede stelle wegen dieser Frau.
HERMES
Wenn es die Himmelskönigin so will! Ich geh.
ZEUS
So nehme Abschied von den Göttern im Olymp
Und steig hinab zur Mutter Erde und hinab
Noch tiefer, bis du in den finstern Hades kommst,
Und rede dort mit Pluton, gib ihm den Befehl
Im Namen deines Gottes Zeus Kronion, dass
Er bald erscheine bei dem Bruder im Olymp.
HERA
Ich, Himmelskönigin, geb meinen Segen dir,
O Hermes, führe du nur meinen Willen aus.


VIERTE SZENE


ZEUS
Willkommen, junger Bruder, hier auf dem Olymp,
Nun kommst du einmal her aus deiner dunklen Nacht,
Das Licht zu sehen auf dem himmlischen Olymp,
Es fehlte nur Poseidon, dritter Bruder er,
Der in dem Meere liegt in Amphitrites Bett,
Poseidon, Pluton, Zeus, drei Brüder wären wir
Und stellten uns der Großen Mutter Rhea vor,
Der Großen Göttermutter, ihr zu huldigen.
PLUTON
Was ließest du mich kommen in die Götterburg?
Familientreffen sind mir ganz zuwider, Zeus!
ZEUS
Nun, kommen wir zur Sache. Es geht ein Gerücht,
Du habest dir ein Weib ins Totenreich entführt?
PLUTON
Des willst du Richter sein, du buhlerischer Gott?
ZEUS
Nun, Hera will es wissen, denn die Königin
Des Himmels fürchtet, dass man bricht den Ehebund
Von Mann und Frau allein durch eines Gottes Wahl.
PLUTON
Ich habe nichts dergleichen je getan, o Zeus,
Das sage bitte du der Himmelskönigin,
Dass ich bin unbeweibt in meinem Totenreich
Und breche nicht die Ehe zwischen Mann und Frau.
ZEUS
Gut. Aber wer kommt da? Die Göttin dort erscheint
Mit einem sterblichen Gefährten im Olymp.
Das ist die Göttin Pheme doch, die bringt den Ruhm,
Ihr sterblicher Gefährte muss wohl sein berühmt,
Ein Weiser oder ein Poet? O Göttin, sprich!
PHEME
Der Mann an meiner Seite, das ist ein Poet,
Aus eigner Tugend hätte niemals er gewagt,
Zum Vater Zeus zu treten hoch auf dem Olymp,
Doch ich als seine Schutzfrau, ich begleite ihn,
Und ich ermutige den Dichter: Sprich mit Zeus,
Zeus ist ein Vater voller Huld und Zärtlichkeit.
ZEUS
Das bin ich wohl. So rede, Menschensohn, zu mir.
ORPHEUS
Mein Name Orpheus ist und ich bin ein Poet,
Ich hatte eine Frau, die meine ganze Lust
Und Liebe war, und wenn wir oft auch stritten uns,
Und voller Langeweile unsre Ehe war,
Nun, da sie tot ist, weiß ich erst: Ich liebte sie!
ZEUS
Tot deine Lieblingin und ist im Totenreich?
ORPHEUS
Ja, Pluton hat sie mir entführt, o Vater Zeus,
O Vater, Vater, gib mir meine Frau zurück!
ZEUS
Da stehen Worte zueinander, Gegenteil
Zu Gegenteil, da ist zuerst das Gotteswort
Und ihm zu widersprechen wagt das Menschenwort.
Der Gott des Todes, Pluton, legt das Zeugnis ab,
Er habe nicht des Dichters Ehefrau entführt.
Kann Pluton lügen? Ist er doch ein großer Gott!
Dagegen steht des Meistersängers Menschenwort
Aus seiner menschlichen Erfahrung, ihm geraubt
Sei seine Frau geworden von dem Totengott,
Und Göttin Pheme legt ein Wort ein für den Mann.
Wenn Gott und Mensch im Streite miteinander sind,
Dann muss der Gott der Götter und der Menschen wohl
Die Sache untersuchen, und das soll geschehn,
Ich werde selber steigen in das Totenreich
Und untersuchen dort die Angelegenheit,
Weil Richter ich der Götter und der Menschen bin.
Jedoch, wenn mir des Dichters Ehefrau gefällt,
So will ich selber haben sie zu meiner Braut!
Denn keiner Ehre könnte größer sein, als Gott
Zum Bräutigam zu haben, aller Götter Gott!
Ich weiß, dass keine sterbliche Geliebte je
Zum Erdkreis wiederkehren möchte, wenn sie schon
Beging mit Gott die Hochzeit in Elysium!
Ich werde also steigen in die Unterwelt
Und bitte alle euch, die mit mir Götter sind,
Zu folgen mir zum Hades in die Unterwelt.
HERMES
Mit Flügeln an Sandalen und am Helm, o Zeus,
Ich folge dir, o Herr, ins Totenreich hinab.
Ich bin der Götterbote ja und werde einst
Auf Erden Kunde geben von dem  Totenreich
Und der Unsterblichkeit der Seele in dem Geist.
ARTEMIS
In meiner immerwährenden Jungfräulichkeit
Ich folge dir, o Vater, in das Totenreich,
Denn wiedersehen will ich meinen Hippolith.
DIONYSOS
Ich, kein Olympier, doch Gott auf dem Olymp,
Ich werde Zeus Kronion folgen auch hinab,
Weil ich der Kummerbrecher bin, und Schatten sind
Im Hades voller Kummer, oder weil ich bin
Der Seelensorger, und ich sorge für Manie,
Für heitern Wahnsinn bei den Unterirdischen.
ZEUS
Und du, o Göttin Pheme, kommst du mit hinab?
PHEME
Des Ruhmes Göttin liebt ja sehr das Totenreich,
Weil große Dichter erst nach ihrem Tod berühmt
Geworden sind, nicht alle, aber viele doch,
Die erst nach ihrem Tod auf Erden anerkannt
Als Meister worden sind, und darum komm ich mit.
ZEUS
Wohlan, ihr lieben Götter, auf! Wir brechen auf!


FÜNFTE SZENE


CHOR DER EROTEN

Bei den Göttern
Ist Liebe.
Liebe ist
Der älteste Gott.
Liebe ist
Der Anfang
Von Himmel und Erde.

Schaut die Götter,
Wie sie sich lieben,
Gott und Göttin
In heiliger Ehe.

Die Götter im Olymp
Sind alle verliebt.
Kein Gott ist unter ihnen,
Der ohne Liebe wäre.

Artemis liebt auch,
Sie liebt die Jungfraun.
Hestia liebt auch,
Sie liebt die Vestalinnen.
Athene liebt auch,
Sie liebt die Philosophen.

Die Götter im Olymp
Sind eine heilige Familie.
Zeus und Hera
Sind Mann und Frau.
Artemis, die Große,
Ist Tochter Gottes.

Rhea, die Göttermutter,
Ist die Große Mutter
Von drei Göttern.

Zeus und Poseidon und Pluton
Sind Brüder
Und lieben sich
Wie treue Brüder.

Zeus ist Pflegevater
Vom Knaben Ganymed
Und liebt ihn
Wie seinen eigenen Sohn.

O heilige Familie
Der Götter im Olymp,
Segnet die Familie
Der Menschheit auf Erden!

Eurydice fragte
Den weisen Orpheus:
Gibt es die Götter wirklich?
Und Orpheus sprach:
Die Menschen haben
Die Götter erschaffen
Nach ihrem Ebenbild.

Die Götter des Olymp
Sind des Menschen
Bild und Gleichnis.

Wie die Menschen
Brechen sie die Ehe.
Wie die Menschen
Sind sie begierig nach Lust.
Wie die Menschen
Streiten sie sich.
Wie die Menschen
Führen sie Krieg.

Das ist die Würde
Eines Gottes im Olymp,
Dass er Ebenbild ist
Eines griechischen Menschen.
Das ist die unvergängliche
Würde des Gottes
Und sein unverbrüchliches
Recht als Gott.

Seht den Gott
Der Götter,
Den Vater
Der Götter und Menschen,
Den König,
Wie er sich neigt
In Gnade herab
Zur Tochter des Menschen,
Denn er will als Geist
Zeugen in ihrer Schönheit.

Die Menschentochter
Ward von Gott erwählt
Zur heiligen Göttermagd,
Dass sie Mutter wurde
Des Sohnes Herakles.

Herakles, Sohn des Zeus,
Von der Menschentochter
Jungfräulich geboren,
Wird aufgenommen
Im Olymp
Und von Zeus adoptiert
Zu einem Gott.



DRITTER AKT


(Im Hades, genauer: In Plutons Schlafzimmer.)

ERSTE SZENE


PLUTON
Eurydice, komm mit mir in mein Schlafgemach,
Ins Brautgemach des Gottes dunkler Unterwelt.
Ich will verbergen dich vor allen Toten hier,
Mein sollst du sein allein, die Meine ganz allein,
Und krönen will ich dich zur Königin des Reichs.
Hier unten ist von Ewigkeit zu Ewigkeit
Dein Bett bereitet, schau, des Gottes Ehebett,
Hier sollst du liegen in den Kissen weich und warm,
Sollst Heldenepen liegen haben auf dem Bett
Und lesen die Gebete an die Götter hier
Und mit den Oden meiner Sänger schlafen ein.
Ich will verschließen hinter dir die Flügeltür
Und niemand soll dir stören deinen tiefen Schlaf.
EURYDICE
Der schönste Ort im Universum ist mein Bett!
Und Todessünde ists, zu stören meinen Schlaf.
PLUTON
Von Ewigkeit zu Ewigkeit dein tiefer Schlaf
Soll dir in Träumen zeigen die Glückseligkeit.
Dass keiner von den Toten störe deinen Schlaf,
Hab ich den Styx zu deinem Wächter hier bestellt.
EURYDICE
Mein lieber Pluton, du verlässt mich wieder jetzt?
PLUTON
Ich geh, zu richten Tote und Lebendige.

(Pluton ab. Auftritt Styx.)

STYX
O herrliche Eurydice, o Königin,
Du Königin der Toten und der Lebenden,
Ich, Styx, ich bin der Wächter deinen Brautgemachs,
Mich hat mein Gott und Herr, der dunkle Pluton hat
Beauftragt mich, zu schützen deine Seelenruh.
Ich stehe hier vor deinem Bett mit meinem Schwert
Und halte jedes Alptraums Schrecken von dir fern.
Auch sollen nicht die Fledermäuse nahen dir
Und nicht Dämonen saugen Blut aus deinem Hals.
Entkleide dich, du schöne Königin des Reichs,
Entkleide dich und ziehe dir das Nachthemd an,
Ich singe dich mit einem Lied in süßen Schlaf.
EURYDICE
O Styx, wenn du der Wächter meiner Ruhe bist,
So fürchte ich mich nicht vorm tiefen Todesschlaf!
Und wenn du morgen in der Frühe mich erweckst,
So will ich mich erinnern an den Traum vom Glück.
STYX
Wenn ich dich sehe so in deinem Nachthemd schön,
Wie schön die Haare flattern dir um deinen Leib,
Dann will ich dir bekennen: Ich begehre dich!
EURYDICE
O Styx, mein lieber Freund, ich bin doch Plutons Braut!
STYX
Doch ich bin auch nicht zu verachten, Königin,
Ich war dereinst ein König in Arkadien.
Mir haben alle Hirten dieser Welt gedient
Und Lämmer haben sie geopfert für mein Heil.
Und alle Nymphen und Najaden sangen süß
Die Liebeslieder mir zu Ehren, Lob und Preis.
Die Nymphen in den Bäumen säuselten betört
Und die Dryaden rauschten lauter Lobpreis mir.
Ich war der Vielgeliebter aller Geisterwelt
Und hatte unter mir ein goldnes Friedensreich.
Die Schäfer und die Nymphen waren stets verliebt
Und stets war Frühlingszeit in meinem Friedensreich.
Das goldene Äon des göttlichen Saturn
Mit seiner Einfalt, Lauterkeit und Heiligkeit
Verwirklicht war in meinem Reich Arkadien.
Genug des Lobes meiner Wenigkeit, o Frau,
Erhabne Frau und Herrscherin, ich liebe dich
Und möchte gerne steigen zu dir in das Bett!
EURYDICE
O Styx, mein lieber Freund, jawohl, das schmeichelt mir,
Ich werde gern begehrt, o Styx, doch nicht zu sehr,
Ich bin doch schließlich meines Gottes Pluton Braut.
STYX
Doch träumen darf ich wohl von dir und deinem Bett?
EURYDICE
Nun, träume was du willst, doch komm mir nicht zu nah,
Berühre meinen keuschen Leib nicht in dem Bett,
Denn ich bin eine Gottgeweihte, Gottes Braut,
Und nicht Objekt der sinnlichen Begierde mehr.
STYX
Ja, kann ich gar nicht dich verführen, Königin?
Ich hatte in Arkadien vor langer Zeit
Auch eine Königin in meinem Königtum,
Und sie hat stets bescheinigt mir: Die Liebe war
Mit mir gelungen und die Wollust in dem Bett!
EURYDICE
O Styx, o Styx, du denkst nur irdisch und gemein,
Ich aber bin ein Geist und bin ein Luftgespenst,
Ich habe doch im Hades keinen Körper mehr,
Das, was du siehst an mir, ist nur ein Schattenbild,
Ein Seelenschatten nur, ein flüchtiges Phantom,
Ich denke jetzt nicht mehr an die Begierdelust,
Ich denke nur noch an die heilige Union
Mit meinem Gott und Herrn, dem Gott im Totenreich.


ZWEITE SZENE


EURYDICE
Ich möchte meinen lieben Orpheus wiedersehn!
Ich träume jede Nacht im tiefen Todesschlaf
Von meinem Vielgeliebten, er ist immer da,
Als lebe er unsterblich mir in meinem Geist.
Gestorben bin ich zwar und bin im Totenreich,
Doch seh ich allezeit vor mir den Lebenden.
Ach, wenn ich wieder auf die Erde dürft zurück!
Doch ist der Weg ins dunkle Schattenreich der Weg,
Von dem es keine Wiederkehr zur Erde gibt.
Zwar lehren weise Männer, dass die Seele kann
Zur Buße ihrer Sünden wiederkehren auf
Die Erde und ein Tugendleben fangen an,
Doch anders ist es in der Wahrheit, denn der Tod
Ist ein für allemal, endgültig ist der Tod.
Doch nach dem Tode dauert noch die Sehnsucht an
Und Liebe ist unsterblich, ja, die Liebe bleibt.
Die Religion hat aufgehört, ich seh den Gott,
Die Hoffnung ist vorbei, ich bin am letzten Ziel,
Doch Liebe bleibt, die Liebe bleibt in Ewigkeit.
Ich hab genug vom Todesschatten, hab genug
Von dieser dunklen Nacht der trüben Ewigkeit,
Ich will nicht mehr ein Schattendasein führen nur
In einer dunklen Welt der Todesschatten, nein,
Ich will nichts hören mehr vom Tod, vom Totenreich,
Ich will nicht mehr die Königin des Hades sein.
Ihr guten Götter, gebt mir meinen Leib zurück
Und lasst mich leben wieder in der schönen Welt!
Zwar Menschen gibt es auf der schwarzen Erde, die
Begehren von den Göttern nichts als frühen Tod
Und sagen: Wen die Götter lieben, lassen sie
In seiner Jugend sterben! Aber ich nicht so,
Ich liebte sehr das Leben und die Erdenwelt,
Ich liebte überaus die göttliche Natur,
Und wenn ich in den Wäldern Thebens bin spaziert,
So hab ich eingeatmet sehr bewusst den Wind
Und wusste nicht: Ist es mein Atem, ists der Wind?
Wenn ich am Meere saß im Sonnenuntergang,
So hatt ich selbst ein ozeanisches Gefühl.
Und wenn ich unter Eiche saß und Apfelbaum,
Im Wipfel gurren hörte dann das Taubenpaar,
Dann war ich mit der Seele der Natur vereint.
Dagegen dieses Schattenreiches Düsterkeit
Und dieses tristen Nebels finstre Ewigkeit,
Wo Seelenschatten seufzen nur noch nach dem Glück,
Des bin ich überdrüssig, hört, ihr Götter, hört,
Gebt meinen Orpheus mir und meinen Leib zurück,
Ich will zurück in meines Mannes Ehebett,
Ich sehne mich zurück nach süßer Liebeslust,
Zurück nach der Geschlechtlichkeit, dem Liebesakt!
Was soll mir eines Schattens Geisterliebe hier?
Gott kann mir geben nicht, was Orpheus einst mir gab!
In Theben nun, ich seh es hier vom Jenseits aus,
In Theben ist des finstern Winters Ende da.
Lang Orpheus litt an solcher dunklen Finsternis,
Da hinter Wolken war die matte Sonne schwach
Und Winde schnitten scharf und stritten mit dem Frost.
Schnee lag auf Bergen und im Wipfel auch des Baums
Und harter Hagel schoss aus schwärzlichem Gewölk.
Sturm bog die Bäume und erschütterte das Haus
Und schöne Frauen trugen winterlichen Pelz.
Der Winter dauerte ein halbes Jahr lang zwar,
So hatte Orpheus melancholisch doch im Weh
Um seiner Liebsten Tod und Winters Dunkelheit
Noch einen Freund, der sagte: Schau, es kommt der Lenz!
Dann wird die Sonne siegen ob der dunklen Nacht
Und mit der Sonne siegen wird auch dein Gemüt!
Doch Orpheus glaubt es kaum. Er war voll Traurigkeit
Und war so müde, hatte keine Hoffnung mehr
Und hoffte nicht auf Freude mehr in dieser Welt.
Nein, Orpheus wünschte nur noch zu erlöschen, ach,
Sich aufzulösen in der Todesruhe Schlaf!
Doch kamen bald die ersten Blumen in dem Hain,
Die weißen Glockenhäupter an der Stängel Grün,
Und Krokus blühte weiß und gelb und violett,
Narzisse sprosste selbstverliebt am Wasserteich.
Die ersten Tage strahlten von der Sonne Sieg
Und Orpheus wollte Rosen pflanzen mir am Grab,
Der Liebe rote Rose, stärker als der Tod!
So trat er in das Licht und sein Gemüt ward heil
Und im Triumph der Sonne Orpheus ward gesund.
Wie Blumen blühten Mädchen in der Frühlingswelt
Mit Rosenlippen und Narzissenlocken und
Der blauen Augen tief bescheidnem Veilchenblau.
Die Blumenmädchen sanft spazierten auf dem Markt,
Zur Schau die Anmut tragend und den heitern Reiz.
Der Frühling siegte so, und bald der Sommer kommt,
Im Sommer wäre gerne ich bei meinem Mann
Und baden ging ich gern im Wasser mit ihm nackt,
Ich äße gern zum goldnen Honig weißen Quark,
Tränk gern die süße Milch, wenn Orpheus in der Nacht
Im Schutze der Platanen tränke roten Wein,
Läg gerne in den Amen des Geliebten in dem Bett,
Liebkoste gerne ihm die nackten Glieder sanft –
Doch weh! Im Totenreiche ist Eurydice!


DRITTE SZENE


HERMES
Ihr Götter des Olymp, hier ist das Totenreich,
Hier irgendwo im Hades muss das Weibchen sein.
Hier ist die Halle des Gerichts und hier der Saal,
Wo Totenschatten sitzen festlich beim Bankett.
Eurydice jedoch, ich seh die Schöne nicht.
ARTEMIS
Wie sieht sie aus? Beschreibe uns Eurydice.
HERMES
Sie hatte braunes Haar, das fiel ihr auf die Brust,
Sie hatte Augen, bläulich wie der Ozean.
Die Augenbrauen wie die Waage des Gerichts,
Die Lippen voll und zu Liebkosungen gemacht.
Der Körper eher klein, die Schenkel voller Kraft,
Der Busen hüpfte wundervoll in Üppigkeit.
DIONYSOS
So war sie ganz nach meinem göttlichen Geschmack,
Doch sehe ich sie nicht in diesem Totenreich.
ZEUS
Mein Bruder Pluton hat sie sicherlich versteckt,
Ich ahne auch, wo er Eurydice versteckt.
Ihr Götter der Olympus, lasst mich jetzt allein.

(Die Götter ab. Zeus verwandelt sich in eine Honigbiene und fliegt durch das Schlüsselloch in Plutons Schlafzimmer, wo er Eurydice findet und sie summend umschwärmt.)

EURYDICE
Wie kommt die Honigbiene in das Totenreich?
Das ist ein Zeichen und Symbol des Frühlingslichts!
Das ist ein Zeichen und Symbol des Lebens, ja,
Des Lebens und der Liebe, denn im Frühling stets
Die Honigbienen bohren ihren Stachel scharf
In offne Blütenkelche, Rosen, Krokusse,
Narzissen, Hyazinthen und Vergissmeinnicht
Und saugen aus dem Stempel dort den Nektarseim.
So ist es in der Liebe auch. Ach, Orpheus, ach,
Wie wir im Frühling stets im Garten saßen und
Den Bienen und den Schmetterlingen sahen zu
Beim hochzeitlichen Liebesspiel in der Natur!
Ich weiß, du sprachest von dem Gotte Eros oft,
Dem ältesten und ersten aller Götter, der
Im Inneren der Seele der Natur bewirkt
Das Leben der Natur als göttliches Gesetz,
Und dieses Weltgesetz der Liebe nanntest du
Den immanenten Logos oder großen Zeus.
Was willst du, Biene? Willst du meinen Honigseim?

(Zeus verwandelt sich aus der Biene wieder in den Vater der Götter und Menschen.)

ZEUS
Ich bin der Herr, dein Gott, der Vater allen Seins.
EURYDICE
Du, Vater Zeus, bist hier in deines Bruders Reich?
Wo immer du auch bist, o Zeus, ich bet dich an!
ZEUS
Anbetung, Weisheit, Lobpreis, Dank gebühren mir.
EURYDICE
So bist du mächtiger als Pluton, Vater Zeus?
ZEUS
Der Himmel ist des Zeus,  Poseidons ist das Meer,
Des Bruders Pluton Eigentum der Hades ist,
Und doch ist Zeus der Vater aller Götter, der
Der Herr des Himmels ist, der Herr des Meeres ist,
Und Zeus ist Herrscher auch der dunklen Unterwelt.
EURYDICE
Wie aber komme ich dazu, dass du, o Zeus,
Dass du zu mir kommst, Vater, in die Unterwelt?
ZEUS
Hab keine Angst, Eurydice, hab keine Angst,
Denn du hast Huld gefunden in den Augen Zeus’.
EURYDICE
O Gott, mit mir geschehe, was du immer willst.
ZEUS
So ganz ergibst du meinem Willen dich, o Magd?
EURYDICE
Ja, mach mit mir, was immer du nur machen willst!
ZEUS
Mein Wille ist die Rettung deiner Seele, Mensch!
EURYDICE
So willst du mich erlösen von dem dunklen Tod?
ZEUS
Ich schenke die Unsterblichkeit der Seele dir
Und geb dir einen neuen Körper ganz aus Geist!
EURYDICE
O Vater, Lob und Preis sei dir, mein Seelenheil
Verdank ich deiner göttlichen Barmherzigkeit.
ZEUS
Der Vater hat dich lieb, weil er die Liebe ist.
EURYDICE
In der Unsterblichkeit der Seele, großer Gott,
Wo soll ich leben ewig in der Ewigkeit?
ZEUS
Ich habe dich erwählt und dich berufen, Magd,
Du sollst beim Vater leben in der Götterburg,
Vereint mit den Olympiern auf dem Olymp
Sollst sitzen du mit mir beim himmlischen Bankett.
EURYDICE
Ich danke dir von Ewigkeit zu Ewigkeit.


VIERTE SZENE


CHOR DER EROTEN

Vor allen Göttern
Der Erste
Und Älteste
Ist Eros, der Gott,
Der allmächtig ist.
Eros herrscht
Über Himmel und Erde
Und Meer und Unterwelt
Und über alle Götter
Und über alle Menschen,
Männer und Frauen,
Knaben und Mädchen,
Selbst über die Greise noch.
Alles ist ihm untertan,
Auch die Tiere der Erde,
Die Vögel des Himmels
Und die Fische im Meer,
Selbst die Schlangen der Unterwelt.
Eros ist allein
Allmächtig
Und beherrscht das All
Als König des Universums.

Aber die Weisen sagen auch:
Eros ist in allem,
Eros lenkt die Bahnen
Der Erde um die Sonne,
Des Mondes um die Erde.
Eros führt hinauf
Des Tierkreises Zeichen,
Eros gibt den Wolken
Ihre Wanderung vor
Und bestimmt den Weg
Des Donners, der Blitze,
Des Schnees und Hagels,
Eros lässt es regnen
Auf die schwarze Erde,
Eros führt herauf
Die Jahreszeiten
Und Tag und Nacht
Und lässt alles wachsen
Und lehrt die Tiere,
Sich zu vermehren.
Eros ist Grünkraft in den Pflanzen,
Eros ist Instinkt in den Tieren,
Eros ist Geist in den Menschen,
Eros ist die Weltseele
Und macht die Seelen
Der Menschen unsterblich.

Die alten Dichter fragten,
Ob Eros herrsche
Auch im Hades?
Und so erfanden sie
Den heiligen Mythos
Von Pluton und Kore,
Dem heiligen Mädchen.
Ja, Eros herrscht
Auch im Hades.
Tantalus ist ewig
Voller Begierde
Nach dem unerreichbaren
Objekt seines Verlangens!
Eros herrscht
Auch in der Unterwelt.
Aber seine Herrschaft
Im Hades
Ist die Herrschaft
Der ewig unbefriedigten Liebe!
Selbst die Dämonen
Begehren vergebens
Die schönen Jungfraun Elysiums.

Eros ist die Lust.
Und alle Lust
Der Männer und Frauen
Will Ewigkeit,
Will tiefe, tiefe Ewigkeit!
Darum stiftet Eros
Das schöne Reich
Der glückseligen
Inseln Cytheres!
Denn die Weisen sagen:
Die gerechten Seelen
Leben in Elysium
Gemeinsam mit den Nymphen,
Den Jungfrauen von Elysium,
Und schauen selig
Die göttliche Schönheit
Und ergötzen sich
Und genießen
Die Schöne Liebe
Der Göttin Urania!
Eros hat den Seelen
In ihr Herz gelegt
Den Sinn der Ewigkeit,
Denn Eros treibt
Die liebenden Seelen
Zur Schau der göttlichen Schönheit,
Zum Genuss der göttlichen Liebe,
Aphrodite Urania!


VIERTER AKT


(Ort: Im Hades und vor dem Tor zur Erde.)

ERSTE SZENE


PLUTON
Willkommen seid zu meinem ewigen Bankett.
Demeter gab uns reichlich ungesäuert Brot,
Dionysos hat Mengen Wein uns eingeschenkt.
ARTEMIS
Ich habe einen Hirsch gejagt, hier ist sein Fleisch.
ZEUS
Ich habe regnen lassen auf der Erde Kreis
Und fruchtbar machte ich die Mutter Erde so.
Mein Sohn Apollon gab dazu den Sonnenschein
Und alles wuchs heran in großer Fruchtbarkeit.
HERMES
Die Menschen haben ihre Arbeit auch getan
Und wir nun speisen festlich ihrer Hände Werk.
ZEUS
Eurydice soll kosten von dem leckern Brot.
EURYDICE
Ich liebe dieses Brot mit Honig und mit Quark.
DIONYSOS
Und jetzt die Becher roten Weines eingeschenkt,
O Vater Zeus, der Rotwein ist mein rotes Blut.
HERMES
Auch mich soll Rotwein fröhlich machen, aber doch
Soll meine Weisheit immer bleiben mir im Sinn.
ZEUS
Ich hab den Wein geschaffen für der Menschen Lust.
ARTEMIS
Die Könige bedürfen nicht des roten Weins,
Doch Elende bedürfen reichlich Wein und Schnaps.
DIONYSOS
Beim Saitenspiel und wenn der Wein die Becher füllt,
So spart, ihr Himmelsgötter, eure Weisheit nur.
ZEUS
Dionysos, du hast den allerbesten Wein
Zurückgehalten in dem Hades noch bis jetzt.
ARTEMIS
Eurydice hat keinen Wein mehr in dem Kelch.
DIONYSOS
Sechs Fässer hab ich hier mit allerbestem Wein,
So trinke nur, Eurydice, und sei berauscht,
Dionysos ist auch betrunken schon und schon
Ist mir Eurydice die allerschönste Frau.
ZEUS
Ich bin betrunken, Götter ihr im Totenreich,
So schlag die Zymbel, o Dionysos, ich will
Als König aller Götter tanzen einen Tanz.
Wisst ihr, wie einst das Universum worden ist?
Die Göttin Nacht getanzt hat ihren großen Tanz,
Der Wind als eine Schlange hat sich beigesellt,
Die Göttin Nacht getanzt hat mit dem Schlangenwind,
Erotisch war der Tanz, erotisch und lasziv,
Ein Bauchtanz wars, ein Schleiertanz der Göttin Nacht,
Die Schlange schlang sie sich um ihren nackten Leib,
Und so im Tanz begattet ward die Göttin Nacht,
Und da sie schwanger war, da legte sie ein Ei,
Ein Urkeim war es, in dem Eros hat gewohnt,
Und Eros hatte aufgebrochen dieses Ei
Und alle Samen in dem Ei entfaltete
Gott Eros und gestaltete das ganze All.
Und nun bin ich der König aller Himmlischen
Und aller Sterblichen auf Mutter Erde Kreis
Und tanze meinen Tanz im dunklen Totenreich.
Und siehe da, mein Tanz, er wird noch zum Galopp
Und Hengst bin ich und Reiter bin ich und ich stürm
Durchs Totenreich und schaffe Auferstehungen
Durch meinen Tanz und meinen stürmischen Galopp!
Wo aber ist die Göttin, welche mit mir tanzt?
ARTEMIS
Ich tanze nicht, und wenn ich tanze, so nicht schön.
ZEUS
Eurydice, komm, tanze einen Schleiertanz!
EURYDICE
Ich bin die Tänzerin, die Tänzerin vor Gott,
Ich schwenk die Hüfte, schüttle meines Busens Paar,
Ich bin die Tänzerin und Frühling ist mein Tanz.
Doch wenn mich Orpheus sehen könnte bei dem Tanz!
Ich bin die Tänzerin und tanz mit meinem Gott,
Erotisch und lasziv vor Göttern ist mein Tanz!
Komm, Zeus, sei du die Schlange und der Wind,
Ich bin die Göttin Nacht, die süße Frühlingsnacht!
Ja, wisst ihr nicht, ihr Götter, dass geschaffen ward
Das Universum in der ersten Frühlingsnacht?
Am ersten Mai erschaffen ward der Welten All!
Und ich, betrunken von der Liebe und dem Wein,
Im Rausch hab ich der Schöpfung Tanz getanzt!
Ich lass mein Becken kreisen in der Ewigkeit
Und aus dem hocherotischen Getändel wird
Das Universum als ein wunderschöner Schmuck!
Ihr Götter, ob ihr auch vor Lustbegier vergeht,
Ich tanze dieses Universums Schöpfungstanz!
Ich bin die Göttin dieser süßen Frühlingsnacht,
Die erste Morgenröte aller Ewigkeit!
Und Gott der Vater ist mein Tänzer und mein Mann,
Gott ist der Tänzer und wir alle sind der Tanz!


ZWEITE SZENE


ORPHEUS
Ihr Götter auf dem Fest im Hades, drunten seid
Ihr fröhlich, unbesorgt? Ich Dichter aber muss
Auf Erden in dem Licht voll Traurigkeiten sein?
Die Muse ging mir fort und ohne Stimme muss
Ich leider klagen stumm, selbst ohne Tränenflut
Mein Herz ist mir verstummt und ich bin fast schon tot,
Ich leb als Schatten nur an einem öden Ort
Und bin mein eigenes Gespenst, nicht mehr ich selbst.
ZEUS
Was wagst du Sterblicher zu stören unser Fest?
DIONYSOS
Wir tranken grade Wein in schöner Fröhlichkeit.
ORPHEUS
Den Frohen kommt ja nicht der Trauervolle recht.
PHEME
Bei Orpheus und dem Ruhm, ihr hohen Götter, hört,
Hier hat ein Sterblicher ein Wünschen, das gerecht.
ZEUS
Nein, Menschen sollen all vom Wünschen lassen ab,
Mein Wille nur geschieht, was ihnen sei genug.
ARTEMIS
Mir aber sage an, was du vom Vater wünschst!
ORPHEUS
Ich bitte Vater Zeus und alle Götter hier,
Eurydice mir wieder zuzuführen rasch.
ZEUS
Eurydice, die eben so sehr schön getanzt?
ORPHEUS
Ihr Götter habt genug geliebte Sterbliche,
Denn Zeus hat ja Europa und hat Leda auch,
Dioysos hat Ariadne, Aura auch,
Apollon Daphne, Syrinx hat der wilde Pan,
Ich aber habe nur Eurydice, nur sie.
PLUTON
Eurydice ist tot! Eurydice ist tot!
ORPHEUS
So wende ich mich zum Allmächtigen, zu Zeus,
Dass er sie auferwecke aus dem Totenreich!
PLUTON
Ich habe sie gebannt in diese Unterwelt.
ORPHEUS
O Zeus, enttäusch mich nicht, du bist allmächtig doch!
Der Tod ist unser letzter Feind, der alte Tod.
Du hast den Tod doch nicht geschaffen, Vater Zeus,
Du hast doch kein Gefallen an des Menschen Tod.
ZEUS
O Tod, wo ist dein Stachel, Tod, wo ist dein Sieg?
PHEME
O Zeus, gib doch Eurydice den Mann zurück,
Der Dichter kann ja ohne Muse dichten nicht.
ZEUS
Ich sehe Artemis mich lieblich lächeln an
Und seh der Jungfrau Augen bittend sehn mich an.
Nun gut, ich bin bereit, Eurydice darf nun
Verlassen diesen Hades, diese Unterwelt,
Eurydice darf wieder in die Oberwelt.
EURYDICE
Ich weiß, es herrscht der Frühling auf der Erde jetzt,
In meinem Garten blühen Tulpen rot und gelb
Und Hummeln summen durch die süß gewürzte Luft,
Die Sperlinge bereiten sich ein Nest im Baum
Und Tauben-Ehepaare sitzen an dem Teich.
ZEUS
Die Schöpfung ist sehr schön, o freue dich daran!
ORPHEUS
O Zeus, ich bin voll Dankbarkeit für deine Gunst,
Wie kann ich je genug dir danken, Vater Zeus?
Eurydice empfange ich voll Zärtlichkeit
Und will ermuntern sie mit Heiterkeit und Scherz.
ZEUS
Nun, Orpheus, wenn du aufsteigst aus der Unterwelt,
Eurydice wird folgen dir als Totengeist.
Doch schaue dich nicht um! Wenn du auch nicht verstehst,
Warum ich dies gebiete, achte mein Gebot!
Der Götter ewige Gebote achte du,
Dann ist dein Leben sicher und dein Lebensglück.
ORPHEUS
Und wenn ich sterben müsste, schau ich mich nicht um.
ZEUS
Eurydice, du folge immer Orpheus nur,
Doch lock ihn nicht, sich umzuschaun, nach dir zurück
Ins Totenreich zu schauen. Das Vergangne sei
Vergangen, und der Hades bleibe still zurück.
Dich, Orpheus, Göttin Pheme wird begleiten dich,
Die dich begleitet in die Unterwelt hinab,
Sie führt dich auch nach oben in die lichte Welt.
Eurydice, und dich begleiten wird der Styx,
Der König von Arkadien gewesen einst,
So nimmt der ganze Hades von dir Abschied, Frau.
PLUTON
Wenn Vater Zeus gebietet, muss gehorchen ich,
Denn Vater Zeus ist König aller Götter ja.
Doch dich vermissen werde ich, Eurydice,
Behalten hätte gern ich dich im Totenreich,
Doch triumphierte Vater Zeus, des Lebens Herr.


DRITTE SZENE


PHEME
Nun, Orpheus, auf zur Oberwelt, ins helle Licht,
Vergangen ist die Nacht, der Winter ist vorbei,
Der Regen ist vergangen und der Lenz ist da,
Die Feigenbäume künden schon den Sommer an!
ORPHEUS
Ich hab zu tief geschaut ins Schattenreich,
Noch wohnt der Schatten dunkler Nacht in meinem Geist.
Kaum kann ich glauben, dass ich wieder seh das Licht.
Vergangen ist die Kraft der schönen Hoffnung mir,
Ich träum nicht mehr von einem süßen Erdenglück,
Von lichter Sonne, heißem Süden und dem Meer.
PHEME
Die Dichter sind doch immer melancholisch, Sohn,
Auf dunklem Grund der Iris Bogen leuchtet auf,
Auf melancholischem Gemüt der Genius.
ORPHEUS
O schwarze Schwermut, lässt du mich nicht glücklich sein,
So sorge in der Nachwelt du für meinen Ruhm!
PHEME
Noch bin ich ja bei dir, des Ruhmes Göttin ich,
Doch heiße ich dich hoffen, hinter dir geht ja
Eurydice den steilen Weg aus Nacht ins Licht.
EURYDICE
Mein Orpheus, drehe dich nicht um, doch lausche mir,
Auch mir ist meine Seele düster-depressiv,
Genossin deines Leidens bin geworden ich,
Doch folg ich dir aus dunkler Nacht ins helle Licht.
STYX
Und ich an deiner Seite, Frau Eurydice,
Ich folg dir wie ein Schatten, den man nicht verkauft.
EURYDICE
O Styx, du König von Arkadien, bleib dort,
Wo du gewesen bist, im untern Schattenreich,
Was sollen wir mit dir im Süden und im Licht?
Du bringst ja nur den Tod, den Krieg, den Männermord.
STYX
Auch Pluton selber, wenn das Schicksal es erlaubt,
Auch Pluton selber lebte lieber doch im Licht.
Die trunknen Dichter prophezeiten ja dereinst,
Das ganze Reich der Toten würde noch erlöst
Und Hades dann verwandelt in Elysium.
Ich glaube nicht, dass das geschieht. Das Schicksal will
Den Hades ewig, ewig auch Elysium.
EURYDICE
O blinde Macht des Schicksals, du bist fürchterlich,
O Moira, welcher selbst der höchste Zeus gehorcht!
STYX
Ich glaube nicht an Zeus, ich glaub ans Schicksal nur.
PHEME
Hier ist Ortygia, der Eingang in die Welt
Der Schatten und der Aufgang in die lichte Welt.
ORPHEUS
Ich sehe schon von ferne dort die Perlentür.
PHEME
Die Pforte zu dem Licht sich öffnet einen Spalt.
ORPHEUS
Und jenseits ist ein Licht, ein blendend weißes Licht.
EURYDICE
Ich ahne schon den Süden und das Sonnenlicht,
Ich ahne schon so reinlich wie Kristall das Meer.
ORPHEUS
O meine Vielgeliebte, o Eurydice,
Noch einmal Süden, Sommer, Sonne, lichtes Meer!
EURYDICE
Noch einmal baden nackt im Licht im klaren Meer!
ORPHEUS
Noch einmal Sinnlichkeit und Übersinnlichkeit!
STYX
Mich blendet dieses Licht, ich kann nicht schaun hinein.
ORPHEUS
Wär nicht mein Auge sonnenhaft, ich könnte nicht
Die Sonne schauen. Wär in mir nicht Gottes Geist,
Ich könnt nicht schauen Götter in Elysium.

(Zeus schleudert einen Blitz.)

ORPHEUS
O Gott und alle Götter, welch ein greller Blitz!
Bist du getroffen, Lieblingin Eurydice?

(Orpheus schaut sich nach Eurydice um.)

EURYDICE
Verloren! Wehe, wehe mir, ich bin verlorn!
Unrettbar sink ich nieder in das Totenreich!
Die schöne Hoffnung auf das Licht ist mir versagt!
Nie mehr die Erde seh ich, nie die Mutter mehr,
Die feuchte Mutter Erde nie im Sonnenlicht!
Jetzt bin ich tot! Gestorben bin zum zweiten Mal
Ich durch die Laune eines blinden Schicksals! Weh!
Weh, Weh und dreimal Weh! Weh ist ein gutes Wort.
ORPHEUS
O Vater Zeus, so treibst du deinen Spott mit mir?
Bin ich ein Spielball deiner blinden Laune nur?
O Vater, nicht mehr Vater! Vater bist du nicht!
So alt die Liebe ist, doch älter ist der Schmerz!
PHEME
Bring, Orpheus, deine Leiden in ein Klagelied.

(Pheme und Orpheus steigen auf die Erde, Eurydice und Styx versinken im Totenreich.)


VIERTE SZENE


PLUTON
Da bist du wieder, o Eurydice, o Braut!
ZEUS
Du, Bruder Pluton, sollst nicht haben diese Frau!
Schau sie dir jetzt noch einmal aufs Genauste an,
Und dann entsage ihrer Schönheit, ihrer Reize!
PLUTON
Die lichten Augen sind noch blauer als das Meer,
Die braunen Haare fluten auf die Schultern ihr,
Des Mundes volle Lippen sind voll Sinnlichkeit,
Die Brüste, der Gazelle Zwillingskitze sie!
ZEUS
Ich male sie dir unerreichbar vor den Sinn,
Du staune sie nur an und dann entsage du!
PLUTON
Und hab sie doch besessen hier im Brautgemach,
Ich sah die Brüste nackt und nackend ihren Leib,
Jetzt aber ist sie mir genommen, weh mir, weh,
O Zeus, o lass mir nur ihr Busentuch noch da!
ZEUS
In meiner Vorsicht hab ich andres mit ihr vor,
Sie soll nicht Königin im Totenreiche sein.
PLUTON
Wenn es der Ewigkeit der Vorsicht Zeus’ gefällt,
Wir haben uns dem Schicksal ja zu beugen stets.
Und so entsage ich nach deinem Willen, Zeus,
Nur nimm mir nicht das Recht, zu träumen von der Braut,
Die ich für kurze Zeit genossen hab im Schlaf.
ZEUS
Die Königin der Unterwelt wird eine sein,
Die dazu ist vom höchsten Schicksal auserwählt.
PLUTON
In einer göttlichen Vision ich schaute schon
Auf Blumen wandeln meine Braut Persephone,
Die reine Jungfrau Kore, meine Königin.
ZEUS
Und schaust du schon Persephone, die Königin,
Empfindest du da Trost der Providentia,
Dass du Eurydice entsagen musst und doch
Nicht ewig einsam bleiben musst im Totenreich?
PLUTON
Eurydice war schön, ich liebe sie noch jetzt,
Drum weihe ich Eurydice dem König Zeus
Und auch dem makellosen Herzen Artemis’,
Geschehe nur der ewiglichen Vorsicht Plan,
Ich aber will verzichten auf Eurydice
Und traue mich der reinen Jungfrau Kore an.
ZEUS
Wir Götter müssen tun, was nur das Schicksal will.
EURYDICE
Ihr redet über mich, als wäre ich nicht da.
ZEUS
Jetzt wende ich mich dir zu, liebe Freundin mein,
In meiner Vollmacht als der Götter König und
Der Menschen Vater, will ich dich verwandeln jetzt
Aus einer Menschentochter nach des Fleisches Art
In eine Himmlische nach einer Göttin Art.

(Eurydice wird in eine göttliche Aureole gestellt.)

EURYDICE
O Zeus, wie wird mir? Bin ich eine Göttin jetzt?
ZEUS
Ich, Gott von Art, von Ewigkeit zu Ewigkeit,
Aus Gnade ich zur Göttin dich vergötterte.
EURYDICE
Wie ist mein neuer Name und was ist mein Amt?
ZEUS
Dein neuer Name, heilige Eurydice,
Ist Aphrodite, Liebesgöttin sollst du sein!
EURYDICE/APHRODITE
Und werde steuern ich den Kriegen in der Welt?
ZEUS
Nein, Tochter Aphrodite, Krieg ist nicht dein Amt,
Nein, die Mysterien des Ehebettes du
Verkünde als die keusche Königin der Lust!
APHRODITE
So breche also jetzt das Reich der Liebe an,
Die Liebe breche in dem Frühling immer aus,
Wenn Täuberich und Taube gurren liebevoll,
Die Hündinnen in ihrer heißen Läufigkeit
Beschnuppern lassen sich vom Rüden, auch von zwein,
Die Knaben mit den Mädchen spielen in dem Grün,
Die Philosophen schauen zu den Jünglingen,
Die alten Männer schauen nach den Mädchen jung,
Der alte Ehemann die alte Ehefrau
In jugendlicher Zärtlichkeit liebt bis zum Tod,
Die Liebe sei das Weltgesetz, sie sei im All
Die Harmonie, die alle Welt zusammen hält.

(Aus der Ferne tönt die Leier des Orpheus und seine Stimme.)

ORPHEUS
Zeus’ Tochter Aphrodite, komm von deinem Thron,
Komm rasch zu mir, du listenreiche Königin,
Die Sperlinge, sie führen deinen Wagen an,
So komm zur schwarzen Mutter Erde doch herab,
Steh mir im Kampf zur Seite, meine Herrin du!
ZEUS
Nun, Aphrodite, zieh hinan ins Himmelreich!


FÜNFTE SZENE


CHOR DER EROTEN

Eros, Eros,
Göttlicher Eros,
Eros, Eros!

Du bist der älteste
Gott
Und doch ein Kind!

Reiße auf
Den Himmel
Und komm herab
Wie Tau auf die Erde!

Siehe, siehe,
Wir sehen,
Und was wir sehen,
Siehe, es ist
Die Kenosis
Des göttlichen Eros!

Er kommt,
Er kommt,
Der Sieger kommt,
Der Triumphator,
Der Pantokrator,
Eros kommt!

Er schreitet herbei
Und umschlingt
Den Pfahl
Der Leiden der Liebe!

Eros leidet!
Eros leidet
Für seine Braut!

Wer ist sie,
Schön wie die Morgenröte,
Strahlend wie die Sonne,
Mild wie der Mond,
Geordnet wie Sterne?

Psyche ist es!
Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser,
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Sturm!

Ha! Wir schauen
Und was wir schauen
Ist Eros
Am Pfahl der Leiden
Aus göttlicher Liebe,
Umschlingend
Seine heilige Braut!

Psyche, Psyche,
Wir lieben dich!
Und glauben
An die Unsterblichkeit
Menschlicher Seele!

Eros, der Sieger
Über den Tod,
Triumphator
In Ewigkeit,
Pantokrator
In Elysium,

Eros reißt sie hinan,
Psyches Entelechie
Strebt hinan,
Ins Ewiggöttliche
Hinan, hinan!

Ha! Wir schauen
Und was wir schauen, ist:
Die Kenosis des  Eros
Bewirkt aus Gnade
Die Theosis
Der menschlichen Psyche!

Psyche, willkommen
In allen Himmeln!
Alle sieben Himmel
Heißen dich willkommen,
Göttliche Psyche,
Von Eros vergöttlicht,
Göttin Seele!

Die Himmel neigen sich
Vor deiner Herrlichkeit,
Eros, unser Herr!

Wir feiern die Hochzeit,
Die heilige Hochzeit
Des göttlichen Eros
Und der menschlichen Psyche!


Eros ist eins und alles!
Eros ist alles in allen!