Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

DIE SEELENVERWANDTEN



Von Josef Maria Mayer



ERSTER AKT


ERSTE SZENE


(Anna und Peter, beide 24 Jahre alt, im Jahr 1990 in Berlin-Spandau.)

PETER
Du bist schön, du Wonneweib!
Trinkst du Wodka mit mir?
ANNA
Wodka mit bittrer Limone, ja.
PETER
Wie hast du deine Jugend verbracht?
ANNA
Im Kampf für die Revolution.
PETER
Du auch, mein Sohn Brutus?
ANNA
Ich war schon als Kind
Bei den jungen Pionieren,
War Funktionärin
In der sozialistischen Jugend.
PETER
Ich auch, du Schöne.
Ich studierte die kommunistischen Dichter,
Berthold Brecht
Und Johannes R. Becher
Und Wladimir Majakowski
Und Pablo Neruda.
ANNA
Ich habe mit meiner Freundin Eva
Das Kapital von Marx studiert.
PETER
Glasnost und Perestroika
Haben mir den Glauben
An die kommunistische Lehre genommen.
ANNA
Aber Frieden und Gerechtigkeit
Und Freiheit für die Menschen
Liebst du immer noch?
PETER
Ich liebe dich!
ANNA
Ich liebe dich auch!
PETER
Ich wollte die Welt
Vom Kopf auf die Füße stellen.
ANNA
Wie Lenin es tun wollte
Mit der Dialektik Hegels?
PETER
Hast du Hegel gelesen?
ANNA
Auf französisch.
PETER
Frankreich! Zunge der Liebe!
ANNA
Schenk mir noch ein Glas Wodka ein.
PETER
Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang,
Der bleibt ein Narr sein Leben lang!
ANNA
Wenn du nicht mehr glaubst
An die Ideologie des  Kommunismus,
Was glaubst du dann?
Glaubst du an Gott?
PETER
Ich habe Mythologie studiert,
Mythologie des Matriarchats,
Ich glaube an die Muttergöttin.
ANNA
Mutter?
PETER
Die dreifaltige Göttin
Des Himmels und der Erde und des Meeres.
Und du, glaubst du an Gott?
ANNA
Was dir die Muttergöttin ist,
Das ist mir die Natur.
Höre ich Bäume rauschen
Oder höre ich rauschen das Meer,
So bin ich geborgen.
PETER
Und lebst in Berlin
Und nicht auf dem Land?
ANNA
Später einmal will ich auf dem Land leben,
Vielleicht in Friesland am Meer.
PETER
Der See in Spandau ist auch schön.
ANNA
Ja, wenn der Mond sich spiegelt
Im stillen Spiegel des Sees.
PETER
Wollen wir spazieren gehen
Bei Mondschein am See?
ANNA
Ich bin zu betrunken.
Ich will schlafen.
PETER
Ich will auch schlafen,
Anna, schlafen mit dir!
ANNA
Komm, gehen wir ins Bett!
PETER
Zu schlafen mit der Priesterin Aphrodites,
Heißt zu schlafen mit Aphrodite.


ZWEITE SZENE


(Anna und Peter am Frühstückstisch. Sommer.)

ANNA
Guten Morgen, Schatz, hast du gut geschlafen?
PETER
Das weißt du besser als ich.
ANNA
Hast du schon einmal so gut geschlafen?
PETER
Noch nie lag ich so weich gebettet.
ANNA
Aber geliebt hast du schon einmal?
PETER
Als ich noch aufs Gymnasium ging,
Liebt ich ein Mädchen,
Weil sie Maria hieß.
ANNA
Nur weil sie Maria hieß?
PETER
Als Kind im Weihnachtsgottesdienst
Fand ich Maria immer so schön.
Und du, hast du geliebt vor mir?
ANNA
Den einen und den andern.
PETER
Und bist bei keinem geblieben?
ANNA
Ach, ihr Männer seid ja so:
Mit eures Lebensbalsams Füllekraft
Schüttet ihr eure Begierde aus
Und mit der Begierde alle Liebe
Und lasst das Weib allein zurück.
PETER
So bist du also eine Blume,
Die von Biene zu Biene fliegt?
ANNA
Wohin die Liebe fällt,
Da bleibt sie liegen.
PETER
Und ich, ich liebe nur die Schönheit.
ANNA
So kannst du nicht treu sein?
PETER
Der Schönheit bleib ich ewig treu.
ANNA
Und bin ich schöner
Als deine Jugendliebe Maria?
PETER
Du bist schön
Wie die Venus von Milo.
ANNA
Die sah ich in Paris.
PETER
Du bist ein Weib,
Du bist so weiblich!
ANNA
Wie meinst du das?
PETER
Du darfst dich anlehnen an mich.
ANNA
Darf ich auch vor dir weinen?
PETER
Wenn du weinen musst,
Will ich dich trösten,
Denn ich fühle
Wie ein Bruder
Für seine geliebte Schwester
Zärtliche Liebe für dich.
ANNA
Wie Brüderchen und Schwesterchen
Im deutschen Kindermärchen?
PETER
Ich werde immer Mitleid mit dir haben.
ANNA
Und ich, mein Schatz, ich liebe dich
Wie einen Bruder
Und mehr noch als einen Bruder.
PETER
Meine Genossin bist du,
Mein kleiner Kamerad:
Mon filou!
ANNA
Sag nicht filou zu mir.
PETER
Mon bijoux!
ANNA
Das ist schon schöner.
PETER
Ma jolie!
ANNA
Schatz, lass das keinen hören.
Reichst du mir den Honig?
PETER
Reichst du mir den Quark?
ANNA
Und gib bitte das Sesambrot.
PETER
Hast du Kaffee gekocht?
ANNA
Und heiße Milch dazu.
PETER
Und gleich gehst du duschen?
ANNA
Ja, komm mit mir unter die Dusche!


DRITTE SZENE


(Anna und Peter auf dem Balkon im Sonnenschein.)

PETER
Was liest du da? Slawistik?
ANNA
Enthüllungen über den Stalinismus.
PETER
Über Stalin, den entlaufenen Klosterschüler?
ANNA
Er hat alle Kommunisten,
Die an der Oktoberrevolution
Teilgenommen, ausgerottet.
PETER
Trotzki war auch ein Terrorist.
ANNA
Ja, es war eine Diktatur
Des Staatsterrorismus.
PETER
Mütterchen Russland
War doch einst so fromm.
ANNA
Die Mönche wurden verfolgt
Vom stalinistischen Terror-Regime.
PETER
Stalin hat sich selbst ernannt
Zu Väterchen Zar.
ANNA
Wohl nicht von Gottes Gnaden.
PETER
Stalin hat sich anbeten lassen
Wie einen Gott.
ANNA
Er war nicht besser
Als Adolf Hitler.
Sie haben sich beide
Polen geteilt.
PETER
Ja, ja, die Herren Götter
Und Väter ihrer Völker!
Dostojewskis Russland
Verehrte Mütterchen feuchte Erde
Und Mütterchen Gottesmutter.
ANNA
Die Kommunisten haben,
In Wahrheit gesagt,
Mehr Menschen umgebracht,
Als selbst die erzbösen Nazis!
PETER
Warum haben wir das nicht bedacht
In unserm Jugend-Idealismus?
ANNA
Wir haben die russische Revolution
Romantisch verklärt.
Aber was liest du?
PETER
Ich lese das Gilgamesch-Epos.
ANNA
Was ist das?
PETER
Ein babylonisches Heldenepos.
Da ist ein König,
Der hat einen Kameraden,
Aber es stirbt der Kamerad,
Und der König sucht fortan
Das Geheimnis des ewigen Lebens.
ANNA
Also Männerfreundschaft.
PETER
Da ist auch die Göttin der Liebe,
Ishtar, die Göttin der Schönheit,
Die begehrt den König Gilgamesch.
ANNA
Und liebt er sie auch?
PETER
Er sagte: O Liebesgöttin,
Du hattest diesen und jenen
Und manchen Geliebten
Und alle hast du ruiniert,
Darum lass mich in Ruhe,
Deine Liebe ist tödlich!
ANNA
Und hat er gefunden
Das Geheimnis des ewigen Lebens?
PETER
Nein. Der Tod blieb allmächtig.
Als einzige Rettung blieb ihm
Ein Werk, um Nachruhm zu erringen
Und so im Angedenken der Menschen
Auch nach dem Tod zu verbleiben.
ANNA
Hast du Angst vor dem Tod?
PETER
Manchmal lieg ich im Bett
Und fühle in tiefer Verzweiflung:
Ich bin ein Waisenkind im Weltall!
Ich suche die göttliche Mutter,
Aber hab sie noch nicht gefunden.
ANNA
Komm an meinen Busen!
PETER
Eine Dichterin dichtete einmal:
Ich bin müde vom Tod,
Ich möchte einen Herzallerliebsten haben,
Mich in seinem Fleisch vergraben!
ANNA
Komm, mein lieber Schatz,
Vergrabe dich in meinem Fleisch!


VIERTE SZENE


(Anna und Peter im Bett.)

PETER
Ich habe noch nie die körperliche Liebe
Genossen, wie ich sie mit dir genossen.
ANNA
Ja, wir passen sehr gut zusammen.
Hast du schon einmal
Mit einer Frau geschlafen?
PETER
Ich kannte in der Jugend
Nur die platonische Liebe.
ANNA
Platonische Liebe?
Also ohne körperliche Liebe?
PETER
Ich liebte nur einen Traum,
Nur die lichte Frau,
Die ich im Traum sah.
ANNA
Aber ich bin real.
PETER
Ja, du bist ein reales Weib,
Schöner als die steinerne Venus.
ANNA
Ich habe hier Lehrbücher
Über die körperliche Liebe,
Dort oben im Regal
Über meinem Bett.
PETER
Dies hier? Das ist
Das Kamasutra.
ANNA
Ja, und das daneben auch.
PETER
Das Tao der Liebe.
ANNA
Hast du auch schon gelesen
Über die Kunst der Liebe?
PETER
Ja, Ovid.
ANNA
So etwas lese ich ja nicht.
PETER
Ich werde dir ein Buch schenken.
ANNA
Welches?
PETER
Die Memoiren Casanovas.
ANNA
Ich bin ja keine Intellektuelle,
Ich liebe nicht mit dem Kopf,
Sondern mit dem Herzen.
PETER
Küss mich!
ANNA
So?
PETER
Wie es in einem Blues-Song heißt:
Kisses sweeter than wine!
ANNA
Beschreibe mich,
Wie du mich siehst!
PETER
Deine Haare sind schwarz
Wie Rabenflügel oder die Nacht.
Deine Augen sind blau
Wie der Ozean der Liebe.
Deine Wangen sind rötlich
Wie ein Granatapfel.
Deine Lippen sind süß
Wie eine geteilte Feige.
Deine Brüste sind groß
Wie Kirchenglocken.
Dein Bauchnabel ist rund
Wie ein Topf voll Zucker.
Dein Schamhaar ist kraus
Wie der Salatkopf Inannas.
Deine Schenkel sind gebogen
Wie eine goldene Spange.
Deine Füße sind klein
Wie weiße Lotossprossen.
ANNA
Du bist ein Dichter.
Bin ich deine Muse?
PETER
Die Schönste aller Musen –
ANNA
Mit dem größten Busen?
PETER
Muse, gekommen vom dritten Himmel –
ANNA
Zu erwecken deinen Pimmel!
PETER
Genug gedichtet.
Lass uns lieben!
ANNA
Aber diesmal anders herum.
PETER
Wie meinst du das?
ANNA
Ich will es dir zeigen.
PETER
Du bist meine Lehrmeisterin
In der Kunst der Liebe.


FÜNFTE SZENE


(Anna und Peter. Spaziergang am See von Spandau.)

ANNA
Wir leben zusammen
In einer großen Wohnung.
Schön ist es, für eine Frau,
Mit einem Mann zusammen zu sein,
Und doch fehlt ihr etwas,
Es fehlt ihr eine Freundin.
PETER
Wer ist denn deine Freundin?
ANNA
Eva, mein herzallerliebstes Evchen!
PETER
Du kannst sie doch treffen.
ANNA
Sie lebt gerade in Darmstadt.
Aber ich möchte sie gerne
Zu uns einladen,
Mit uns zu wohnen
In unsrer gemeinsamen Wohnung.
PETER
Erzähl mir von Eva.
ANNA
In unsrer Jugend haben wir
Zusammen studiert
Das Kapital von Marx.
Wir sind zusammen gereist
Nach Portugal
Und haben gemeinsam
Viele Männer geliebt.
Jetzt ist sie stiller geworden,
Ist religiös geworden.
PETER
Religiös? Was glaubt sie denn?
ANNA
Ich weiß nicht so genau,
Ich hab es nie verstanden.
PETER
Aber sonst verstehst du dich gut
Mit deiner Freundin?
ANNA
Ich kann ihr alles erzählen.
Sie kann so gut zuhören.
PETER
Ist sie denn auch schön?
ANNA
Ganz reizend!
Sie wird dir gefallen.
PETER
Dann lade Eva doch ein.
ANNA
Du bist lieb, mein Schatz.
PETER
Aber ich seh es schon kommen,
Wenn du mit deiner Freundin
Hier täglich zusammen bist,
Dann werdet ihr plaudern,
Dann werdet ihr schwatzen,
Und ich werde mich langweilen.
ANNA
Ich dachte, du sprichst gerne
Mit einer guten Frau.
PETER
Ja, eine Frau allein
Offenbart dem Mann
Das Geheimnis des Lebens,
Zwei Frauen zusammen
Offenbaren nichts!
ANNA
Was machen wir mit dir?
PETER
Ich habe einen Freund,
Mark ist sein Name.
Er wohnt in Köln
Und arbeitet dort
Als Bühnenbildner.
ANNA
Lad ihn doch ein!
Ich möchte deinen Freund
Gern kennen lernen.
PETER
Er ist kein Intellektueller,
Mehr Handwerker,
Aber wenn wir zusammen sitzen
Bei einem herben Bier,
Dann macht er mir viel Spaß,
Er heitert mich immer auf.
ANNA
So ist er lebenslustig?
PETER
Ich mit meiner Schwermut
Bin der Ritter von der traurigen Gestalt,
Und Mark mit seinem Witz
Ist der treue Freund
Mit dem derben Realitätssinn.
ANNA
So ist er dein Narr?
PETER
Aber ein Narr, wie früher
Am Hofe eines Königs,
Der einzige, der dem König
Die Wahrheit sagen durfte.
ANNA
Schön, dann lass ihn kommen.


SECHSTE SZENE


(Anna, Peter, Eva und Mark spazieren am Spandauer See. Peter und Eva gehen zusammen voran, Anna und Mark folgen.)

PETER
Wie schön du bist!
EVA
Danke. Du bist sehr nett.
PETER
Anna sagte, du seiest religiös?
EVA
Ich sage eher: Spirituell.
PETER
Glaubst du an Gott?
EVA
An Gott glaub ich, ja,
Aber nicht an Gott den Vater,
Sondern an eine göttliche Kraft.
PETER
Wo ist diese Kraft zu finden?
EVA
Ich meine, im Innern der Seele.
In der Tiefe der Seele
Ist die Seele eins
Mit der göttlichen Kraft.
Und du, glaubst du?
PETER
Ich glaube an die Mutter Natur,
An Werden und Vergehen,
An die Fruchtbarkeitsgöttin.
EVA
Gott oder Göttin!
Meistens heißt es,
Der Gott sei die Sonne
Und die Göttin sei der Mond.
Aber Isis in uralten Zeiten
War die Sonnengöttin.
PETER
Zu Recht sagen die Deutschen:
D i e  Sonne und  d e r  Mond,
Denn der Mann empfängt
Sein Licht von der Frau.
EVA
Was heißt Frau?
Ist wie Yin und Yang,
Der Mann das Licht,
Die Frau das Dunkle?
PETER
Mir erschien die Frau
Immer als eine Lichtgestalt.
ANNA
Du bist Bühnenbildner?
MARK
Ja, ich habe Zimmermann gelernt,
Wollte dann aber zum Theater.
ANNA
Ich habe auch einmal
In einer Theatergruppe gespielt.
Damals nannte ich mich
Jekatharina.
Was wird denn gespielt
In deinem Theater?
MARK
Zuletzt gespielt wurde
Die Mutter
Von Berthold Brecht.
ANNA
Von Brecht kenn ich sogar
Ein Kinderlied.
MARK
Und wie lautet das?
ANNA
Xanthippe sprach zu Sokrates:
Bist du schon wieder blau?
Sprach Sokrates:
Bist du auch sicher des?
Er gilt seitdem als weiser Mann
Und sie als böse Frau.
MARK
Wein und Weiber
Betören die Weisen!
Wie gut, dass ich kein Weiser bin!
Ich lass mich gerne betören
Von Wein, Weib und Gesang!
ANNA
Ich werde gleich Spaghetti kochen
Mit Fleisch und Gemüse,
Reis-Essig und Soya-Sauce,
Und dann können wir trinken,
Das wird lustig.
MARK
Und Musik wollen wir hören.
ANNA
Und tanzen, tanzen!
MARK
Dich möchte ich gerne tanzen sehen,
Du hast einen musikalischen Leib!
ANNA
Ich tanze,
Wenn du dazu die Musik spielst
Auf deiner Wirbelsäulenflöte.
MARK
Ich freu mich.


SIEBENTE SZENE


(Nacht. Peter betrunken, mit einer Wodka-Flasche in der Hand, vor Evas Zimmertür.)

PETER
Wie reizend Eva ist!
Wie sie mich erotisiert!
Sie hat einen ungeheuren
Sex-Appeal!
Das leichte Kleidchen,
Die sichtbaren Brüste,
Das kurze Röckchen,
Die glänzenden Schenkel!
Aber gleichzeitig ist sie
Keusch wie eine Nonne,
Ein eiskaltes
Rühr-mich-nicht-an!
Ah, ich will mit ihr schlafen!
Sie ist meine Traumfrau!
Die platonische Jugendliebe
Maria war nur erträumt,
Anna war pure Fleischeslust,
Aber Eva ist mein Ein-und-Alles,
Meine platonische Traumfrau
Und die Königin meines Fleisches!
Mit ihr zu schlafen
Muss der Himmel sein!
Wenn es einen Himmel gibt
Und eine Ewigkeit der Liebe,
Will ich im Himmel
Für alle Ewigkeit
Mit Eva schlafen!
Doch sie lässt mich nicht ran!
Aus Treue zu Anna
Lässt sie mich nicht in ihr Bett!
Was tun?
Ich werde zu Anna gehen
Und zu Anna ins Bett steigen
Und mit Anna schlafen
Und bei dem Liebesakt
Von Eva träumen:
Eva nackt!
Eva im Bett!
Eva beim Sport der Liebe!
Wenn ich träume
Von Liebe mit der Geliebten,
Ist sie dann nicht mein?
Anna wird mir die Begierde stillen,
Aber wenn ich mich in Anna ergieße,
Dann stöhne ich heimlich: Eva!

(Er geht zur nächsten Zimmertür und tritt ein. Anna liegt im Bett. Peter steigt zu Anna ins Bett.)

ANNA
Mark, bist du das?
PETER
Ich bins, Peter.
ANNA
Ach du, Schatz.
PETER
Hast du geträumt?
ANNA
Bist du auch nicht eifersüchtig?
PETER
Wie kann man auf Träume
Eifersüchtig sein?
ANNA
Ja, ich habe geträumt,
Mark kam zu mir
Und er war sehr erregend
Und beinah hätten wir
Miteinander geschlafen,
Aber da kamst du
Und hast mich geweckt.
PETER
Ich will mit dir schlafen!
ANNA
Ich habe große Lust in mir.
PETER
Lass mich mit dir schlafen
Und träume einfach weiter,
Dass Mark jetzt mit dir schläft.
ANNA
(singt)
Die Gedanken sind frei,
Wer kann sie erraten?
Sie fliegen vorbei
Wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
Kein Jäger erschießen,
Es bleibet dabei,
Die Gedanken sind frei!
PETER
Wenn du von Mark träumst,
Träum ich von Eva.
ANNA
Aha! Hab ich’s mir doch gedacht:
Eva ist dein Sex-Idol!
PETER
Weißt du, Schatz,
Wenn wir jetzt miteinander schlafen,
Dann schlafen in unsern Träumen
Eva und Mark miteinander.
ANNA
Red nicht soviel.
Komm lieber!


ACHTE SZENE


(Einige Zeit ist vergangen. Draußen ist schon Herbst. Anna und Peter am Frühstückstisch.)

ANNA
Ich habe dir etwas zu sagen,
Ich weiß nicht,
Ob du erschrecken wist
Oder dich freust:
Ich bin schwanger!
PETER
Von mir?
ANNA
Von dir und keinem andern.
Es wird ein Sohn.
PETER
Ich freu mich!
Wie wollen wir ihn nennen?
Vielleicht Aaron?
ANNA
Oder Leon?
PETER
Maximilian!
ANNA
Ja, Maximilian!
PETER
Aber du liebst doch Mark.
Willst du jetzt vielleicht
Mit Mark zusammen sein?
ANNA
Schatz, wir haben ein Kind zusammen!
Ich verzichte auf Mark!
PETER
Aber wird er bleiben?
ANNA
Nein, er geht zurück nach Köln,
Er will wieder am Theater
Als Bühnenbildner arbeiten.
Sie führen ein Stück
Über die heilige Johanna auf.
PETER
Aber du wirst ihn vermissen?
ANNA
Ja, sicher.
Aber wenn erst das Kind da ist,
Werde ich nur noch
An Maximilian denken.
PETER
Lass mich deinen Bauch berühren.
ANNA
Aber du, du liebst doch Eva!
Willst du mit ihr zusammen sein?
PETER
Ich bin hin und her gerissen,
Ich hab dich doch von Herzen gern,
Aber ich verzehre mich
Nach Eva, meiner Liebe.
Sie zu sehen Tag für Tag,
Wie sie vor mir herumspaziert,
Diese Herrlichkeit,
Und sie nicht haben zu können,
Das frisst meine Seele auf!
Und nun haben wir ein Kind!
Weißt du, heute Nacht
Hatte ich einen besonderen Traum.
ANNA
Von Eva?
PETER
Nein, nicht von Eva,
Von einer anderen Frau,
Du wirst staunen,
Ich träumte
Von der Himmelskönigin Maria!
ANNA
Wirst du jetzt etwa katholisch?
PETER
Das will ich nicht sagen,
Aber die Himmelskönigin
Erschien mir im Traum,
Da war ich in Lourdes
Im Süden Frankreichs.
ANNA
Wie sah Maria denn aus?
PETER
Wie Eva fast,
Aber noch schöner.
Ich will jetzt zu Fuß pilgern
Von Berlin nach Lourdes
Und die Himmelskönigin suchen
Und sie fragen, was ich tun soll.
Ich suche Seelenfrieden!
Ich bin so zerrissen innerlich,
Dass ich fürchte,
Vernichtet zu werden!
ANNA
Und unser Kind?
Soll es ohne Vater sein?
PETER
Ich bin in einem Jahr wieder da.
ANNA
Ich werde Maximilian
Gemeinsam mit Eva aufziehen
Und hoffe auf deine Rückkehr,
Denn ein Knabe braucht
Einen liebevollen zärtlichen Vater.
Aber entscheide dich,
Wem du dein Herz schenken willst.


NEUNTE SZENE


CHOR DER SCHICKSALSGÖTTINNEN

Wenn die Seele
Vor der Empfängnis
Im Kerker
Des Körpers
Schon ewig lebt
Im Himmel,

So schwebt die Seele
Mit allen Seelen
Vor dem Thron
Des schöpferischen Gottes.

Und zur Rechten
Des Thrones Gottes
Ist ein makelloser
Himmelsspiegel.

Und in dem makellosen
Himmelsspiegel
Schaut die Seele
Ihren vorherbestimmten
Seelenpartner.

Wenn dann die Seele
Zur Erde schwebt
Und in der Empfängnis
Kommt in den Körper,
Trinkt sie
Vom Wasser des Vergessens.

Und so vergisst sie
Die selige Schau
Des vorherbestimmten
Seelengefährten
Im Himmelsspiegel,
Und irrend
Sucht sie auf Erden
Den rechten Partner.

Wenn die Seele
Trift den vorherbestimmten
Schicksalsgefährten,
Leuchtet dieser Mensch
Wie eine Gottheit,
Und der liebenden Seele
Wachsen die Flügel
Und sie fliegt
Zur seligen Schau
Der geliebten Seele
Im Spiegel Gottes.

Und wenn ein Mann
Sich hingezogen fühlt
Zu einer Frau,
Dann weil die Frau
Ihn berufen hat,
Berufen zur Liebe.

Kein Mann
Kann kommen
Zur Frau,
Es sei denn,
Die Frau zieht ihn an.

Aber in der tragischen
Liebe,
Die unerwidert bleibt,
Was ist das?

Da wird der Mann
Berufen zur Liebe
Von einer Frau,

Aber er weiß nicht,
Welche Frau
Ihn berufen.

So irrt er sich
Sozusagen in der Tür
Und tritt ein
Bei einer Frau,
Die ihn nicht gerufen.

Aber der Mann
Spürt stark
In seiner Seele
Den weiblichen Lockruf.

Und so scheitert
Der liebende Mann
Am Felsen
Seines Schicksals.

Und er verzehrt sich
Nach Gegenliebe
Jener Frau,
Die ihn nicht gerufen.

Und er erkennt nicht
Die Frau, die in Wahrheit
Ihn berufen zur Liebe,
Zur Harmonie
Der heiligen Ehe.


ZWEITER AKT


ERSTE SZENE


(Anna und Eva am Teetisch.)

ANNA
Meine Busenfreundin,
Kommst du mit mir
Zur Laien-Schauspielgruppe?
EVA
Zum epischen Theater?
Was ist das eigentlich?
ANNA
Das ist die Lehre
Der Schauspielkunst
Nach Berthold Brecht:
Der Schauspieler soll
Sich nicht identifizieren
Mit seiner Rolle,
Sondern in Distanz
Die Rolle nur zeigen.
EVA
Und so spielt ihr?
ANNA
Nein, wir spielen
Nach der Lehre
Des russischen
Schauspiellehrers
Stanislawki. Das heißt:
Der Schauspieler soll
Sich identifizieren
Mit seiner Rolle
Und die Figur nicht nur spielen,
Sondern selber sein.
EVA
Und was übt ihr für ein Stück?
ANNA
Wir üben ein neues Stück
Von Josef Maria Mayer,
Das Mysterium Buffo
Oder Mausoleum Buffo.
EVA
Worum geht es da?
ANNA
Es sind Gespräche
Der kommunistischen Führer
Und kommunistischen Dichter
In der Hölle.
EVA
Wen spielst du dabei?
ANNA
Ich spiele Inès Amand,
Die französische Geliebte
Von Wladimir Iljitsch Lenin.
EVA
Das Theaterspielen
Ist meine Sache nicht.
ANNA
Was willst du tun?
EVA
Ich werde Architektur studieren.
ANNA
Was für eine Architektur?
EVA
Die mystische.
ANNA
Was ist das?
EVA
Die uralte Weisheit
War schon bekannt
Auf der Insel Atlantis,
Wo es wunderschöne Tempel gab
Für den Gott Poseidon
Und die Jungfrau Klito.
Dann ging die Weisheit
Nach Ägypten,
Wo die Tempel von Luxor
Und die Pyramiden von Gizeh
Errichten wurden
Von mystischen Architekten.
Dann unterrichtete
Die uralte Weisheit
Den weisen König Salomo,
Der den Salomonischen Tempel
Für Jehowah errichtete.
Im Mittelalter
Ward von der uralten Weisheit
Der mystischen Architektur
Die Kathedrale
Von Chartres gebaut.
In dieser Kathedrale
Von Chartres befindet sich
Der Rock
Der allerseligsten Jungfrau.
ANNA
Und willst du einmal
Selber etwas bauen?
EVA
Ja, eine kleine Kapelle
Der göttlichen Sophia.
ANNA
Wer ist das?
EVA
Die Göttin der Weisheit.
ANNA
Und den Kölner Dom
Sieht Mark gerade.
EVA
Und das Heiligtum von Lourdes
Sieht Peter gerade.


ZWEITE SZENE


(Anna stillt ihr Baby Maximilian.)

ANNA
Mein süßes Kind,
Wie ruhen meine Augen
So zärtlich auf dir,
Wie bin ich stolz auf dich,
Wie strahlst du
In meine Augen!
O ich muss denken,
Wie dein Charakter ist,
Was deine Stärken sind,
Ob du Genießer bist
Oder Denker
Oder Phantast,
Ob du allein sein wirst
Oder  gesellig leben,
Ob du ein Sozialarbeiter wirst
Oder ein Priester,
Ob du ein Heiliger bist
Oder ein inkarnierter Engel?
In deinen Augen
Leuchtet mir Gott auf!
Ich glaube zwar nicht
An einen Vater im Himmel,
Aber ich glaube
An den Gott
In den Augen
Meines Kindes!
Deine Lippen
Sind so kusslich,
Und wie lieb ich es,
Wenn du an meiner Brust
Die Milch der Liebe saugst!
Ich will dich nicht nur
Mit Muttermilch stillen,
Ich will dich stillen
Mit Mutterliebe!
O wenn deine Augen
In meine Augen schauen,
Dann sind wir eins
Wie ich mit keinem Mann
Je eins gewesen bin,
Dann fließt das Licht
Aus deinen Augen
Durch meine Augen
In meine Seele
Und entzündet
In meinem Herzen
Das zärtliche Feuer
Der zauberhaften Liebe.
Wenn ich dich betrachte,
Mein Maximilian,
So seh ich in deiner Nase
Eine erstaunliche Ähnlichkeit
Mit Marks Nase,
Die selbe Charakternase,
Die selbe Adlernase,
Die auf Stärke hinweist.
Das ist nicht Peters Nase,
Peter hat eine kleine Nase,
Eine schmale Nase,
Nein, Maximilian,
Deine Nase beweist,
Dass dein geistiger Zeuger
Der Mark meiner Träume ist.
Aber betrachte ich weiter
Dein schönes Antlitz,
So seh ich deinen Mund
Verblüffend ähnlich
Evas schönem Mund,
Du hast das selbe zauberhafte
Charmante Lächeln,
Dein Mund, mein Kind,
Ist nicht ähnlich
Meinem Mund,
Meinem breiten Mund
Mit den vollen
Sinnlichen Lippen,
Die gerne lachen.
Nein, Maximilian,
Du hast nicht mein Lachen,
Du hast Evas Lächeln.
Und so erkenne ich,
Dass deine geistige Mutter
Eva ist, die Eva,
Von der Peter geträumt hat,
Als er dich zeugte,
In seinem Samen war
Als Inbild beschlossen
Evas lächelnder Mund.
Und so bist du eigentlich
Nicht nur mein Sohn,
Sondern auch Evas Sohn,
Und so bist du eigentlich
Nicht nur Peters Sohn,
Sondern auch Marks Sohn.
Und die leiblichen Eltern
Werden ergänzt
Von geistigen Eltern,
Die Traumgestalten sind,
Mein Traum-Mann Mark,
Peters Traum-Frau Eva,
Und du das Kind
Von leiblicher Zeugung
Und geistiger Zeugung auch.


DRITTE SZENE


(Sommer 1991. Am Spandauer See. Peter und Eva spazieren zusammen.)

EVA
Du bist zurückgekommen
Aus Lourdes?
Was hast du dort erlebt?
PETER
Ich habe der Großen Mutter
Gebeichtet
Meine Zerrissenheit,
Denn ich liebe Anna
Und ich liebe dich!
EVA
Hast du Seelenfrieden
Gefunden bei der Mutter?
PETER
Nachdem ich der Großen Mutter
Gebeichtet in Lourdes,
Muss ich auch dir, o Eva,
Beichten in Berlin.
EVA
Was hast du mir denn
Zu beichten?
PETER
In meiner Phantasie
Hab ich oft
Mit dir geschlafen,
Sowohl im nächtlichen Traum,
Als auch in Annas Bett.
EVA
Wenn du mich phantasierst
Und es zum Samenerguss kommt,
Ist das wie eine Vergewaltigung
Meines Astralkörpers!
PETER
Verzeih mir,
Ich begehre dich!
EVA
Es ist schön,
Begehrt zu werden,
Das sagt mir doch,
Dass ich noch reizend bin.
PETER
Ich habe in Lourdes beschlossen,
Ich möchte mit dir
Zusammensein
Bis ins hohe Alter
Und von dir allein
Zu Grabe getragen werden.
EVA
Rede nicht vom Tod!
Ich fürchte mich vorm Tod!
PETER
Eva, verzeih,
Aber ich liebe dich!
EVA
Ich liebe dich doch auch.
PETER
Willst du denn mit mir
Zusammensein
Bis ans Ende des Lebens?
EVA
Ich kann dich doch nicht
Wegnehmen
Meiner besten Freundin
Anna,
Die du doch auch liebst,
Und die dich liebt!
PETER
Ich weiß nicht,
Ob sie mich liebt,
Oder ob sie mich nur
Haben will als Vater
Und Versorger des Kindes.
EVA
Nein, sie liebt dich,
Sie liebt dich mehr noch
Als einen Bruder.
PETER
Aber wenn Anna
Mich gehen ließe,
Du würdest mich nehmen?
EVA
Wir müssen warten,
Was das Schicksal
Über uns beschließt.
Alles ist Schicksal,
Im vorigen Leben
Erworben als Schuld.
PETER
Eva, Geliebte, du warst
In einem vorigen Leben
Meine Schwester
Oder meine Frau!
EVA
Wer weiß denn schon,
Was wir lernen sollen
In diesem Leben,
Welche Schuld abbüßen?
PETER
Ach, das Dasein selbst
Ist schon eine Schuld
Und das Leiden
Ist nichts als Buße
Für die Daseinsschuld.


VIERTE SZENE


(Abend. Spandauer See. Eva im Ruderboot mit Maximilian. Peter am Ufer.)

EVA
Peter!
PETER
Eva!
EVA
Ich komm gleich zu dir!
PETER
Rudre langsam,
Pass auf Maximilian auf!
EVA
Der Abendstern wacht
Über unserm Leben.
PETER
Die himmlische Venus
Führe dich sicher!
EVA
Ein Sturm zieht auf.
PETER
Hoher Wellengang!
EVA
Maximilian, halte dich fest
Am Rand des Bootes!
Verstehst du mich,
Maximilian, Peters Sohn?
PETER
Eva, bringe du mir
Den kleinen Maximilian,
Wie Mutter Maria uns
Das göttliche Kind gebracht.
EVA
Das Boot schaukelt!
PETER
Du bist stark, Eva,
Du schaffst das.
EVA
Das Boot, das Boot!
PETER
Gekentert! Ihr Götter!
EVA
Maximilian!
PETER
Er ertrinkt!
Mein Sohn! Mein Sohn!
EVA
Ich tauche nach ihm!
PETER
Eva! Maximilian!
EVA
Er ist tot!

(Eva am Ufer mit dem toten Maximilian.)

PETER
Tot mein Sohn! Mein Sohn tot!

(Längeres Schweigen.)

EVA
Was  soll uns das sagen?
Alles hat einen Sinn.
Alles Äußere um uns
Kommt aus unserm Inneren.
PETER
Die himmlischen Götter
Oder soll ich sagen
Der schreckliche Gott
Hat uns gezeigt:
Nichts bindet mich mehr
An Anna,
Maximilians Mutter,
Ich bin frei,
Dich zu lieben, Eva!
EVA
Du glaubst, das ist
Ein Wink des Schicksals?
PETER
Gott der Vater selbst
Hat seinen Sohn geopfert,
Dass wir das Leben haben.
EVA
Das Opfer Maximilians
Soll das Fundament sein
Unsres Liebesglücks?
PETER
So wollen es
Die grausamen Götter
Oder das Schicksal.
EVA
Lass uns zuerst
Den Liebling begraben.
PETER
Wenn Maximilian
Begraben wird,
So werde ich mit ihm
Begraben unter der Erde,
Ich bin schon tot
Und wandle nur noch
Als Schatte auf Erden!
EVA
Wehe, wehe, wehe
Unsrer verhängnisvollen
Liebe auf Erden!
PETER
Welche schreckliche Schuld
Lastet auf unserer Liebe,
Für die Maximilian
Büßen musste
Mit seinem Tod?



FÜNFTE SZENE


(Eva liegt im Sterbebett. Peter sitzt auf einem Stuhl neben ihrem Bett.)

PETER
Warum willst du mich nicht?
EVA
Gott lehrte mich Verzicht.
Ich kann doch mein Glück
Nicht auf Maximilians Tod bauen.
PETER
Du darfst nicht sterben!
Lieber noch soll Anna sterben,
Nur du nicht!
Ich bete: Gott,
Nimm mir alles,
Nur diese scharlachrote Rose nicht!
Ich brauche dich,
Ich brauche dich zum Leben,
Ich brauche dich zum Atmen!
EVA
Ich will ganz Geist werden,
Engel werden
Und in der geistigen Anderswelt
Als körperlose Seele
Schweben im Licht.
PETER
Und darum isst du nichts mehr?
Iss und trink, Geliebte,
Und genieße das Leben mit mir.
EVA
Gib mir
Einen Aprikosenkern,
Mehr vertrage ich nicht.
PETER
Und was willst du trinken?
EVA
Eine Untertasse voll
Sauerkrautsaft,
Dann lass mich sterben.
PETER
Du darfst mich nicht verlassen!
Wie soll ich ohne dich
Leben in der Welt?
Du bist meine Sonne,
Du bist mein Licht,
Du bist mein Atem,
Du bist meine Seele!
Verlass mich nicht,
Du meine Seele,
Sonst sterbe auch ich!
EVA
Jetzt gehört meine Seele
Gott ganz!
PETER
Wer ist dein Gott?
EVA
Mein Gott ist der Gott,
Der Kraft ist,
Der voller Energie ist.
PETER
Wo ist er denn, dein Gott?
EVA
Im tiefsten Innern
Meiner Seele
Ist mein Seelengrund
Seinsmäßig eins
Mit meinem Jesus.
PETER
Und dein Atem
Ist der Atem Gottes.
EVA
Und ich hauche
Meine Seele aus
In die göttliche Kraft.
PETER
Wo soll ich hin
Nach deinem Scheiden?
EVA
Begrabe mich.
PETER
Wo soll ich dich begraben?
EVA
In der von mir gebauten
Kleinen Kapelle
Der himmlischen Sophia.
PETER
Wenn du stirbst,
Sterbe ich dir nach.
Im Elysischen Gefilde
Werden wir heiraten!
EVA
Nein, wir werden nicht
Heiraten im Jenseits,
Sondern wie Engel sein
Und alle Seelen lieben.
PETER
So bleibst du mir
In alle Ewigkeit
Versagt?
EVA
Die Liebe allein
Ist genug.


SECHSTE SZENE


(Anna allein in der Kapelle der himmlischen Sophia vor den aufgebahrten Leichnamen von Eva und Peter.)

ANNA
Meine lieben Toten,
Ich träume oft von euch,
Dann seid ihr
Nicht tot.
Ihr kommt
Aus euren Gräbern
Und wandelt wieder
Wie einst im Leben,
Immer noch lebendig,
Wie auferstanden.
Ich kann nicht glauben,
Dass ihr tot seid.
Oft geschieht
In unserm Haus
Ganz seltsam Merkwürdiges,
Es knarren die Türen,
Es schlagen die Fensterflügel,
Das Licht geht plötzlich an,
Dann denke ich,
Meine Toten sind da.
Ich weiß nicht,
Ob ich den Verstand verliere.
Ich glaube ja nicht
An ein Leben
Nach dem Tode,
Und doch glaube ich,
Dass ihr lebt,
Dass ihr da seid,
Als gute Geister
Um mich seid,
Mein Maximilian
Wie ein Engel,
Peter und Eva
Wie lebende Seelen.
Ich glaube nicht
An den Himmel
Und nicht an ein Paradies
Über den Sternen,
Ich glaube,
Die Toten sind
Als gute Geister
Um mich herum
Auf Erden.
Und neulich, Eva,
Vor Schloß Charlottenburg,
Sah ich dich stehen
Am Rand der Straße,
Genauso schön,
Wie du im Leben warst.
Und noch einmal
Sah ich dich
Auf der ägyptischen
Museumsinsel,
Du große Kleopatra,
Du schöne Nofretete!
Und auch dich, Peter,
Sah ich beim Christusdom
Und im Lustgarten
Und du schautest ernst
Und freundlich mich an.
Und noch einmal
Sah ich dich
Vor einem Bücherladen
Und du legtest
Deine Hand
Auf das Buch,
Das ich lesen sollte:
Diotima!
Ihr Toten
Seid nicht tot!
Dem ewigen Leben
Lebt ihr alle!
Ach Maximilian,
Mein heiliger Engel,
Ich kann keinen Knaben sehen,
Der schön ist,
Ohne dass ich glaube,
Ich sehe dich!
So malen die Maler
Die Engel doch, wie Kinder,
Wie nackte Kindlein
Mit Flügeln an den Schultern.
Ich glaube zwar nicht
An die Engel,
Aber ich glaube doch,
Dass du, mein Maximilian,
Mein heiliger Engel bist!
Ich sage immer:
Ich glaube nicht –
Und dann sag ich doch:
Aber ich glaube –
Ich bin so einsam!
Ich bin so seelenkrank!
Alle, die ich liebte,
Sind tot!
Ich bin so verzweifelt,
Dass ich bete
In meiner Verzweiflung:
Hosianna, Hosianna!


SIEBENTE SZENE


CHOR DER SCHICKSALSGÖTTINNEN

Die Menschen,
Die Böses getan
Zu Lebzeiten,
Kommen nach dem Tod
In die Unterwelt,
In den Hades,
Dort leben sie
Als traurige Schatten
An den feurigen
Unterweltsflüssen
Und bejammern
Ihr Leben
Und verzehren sich
Vergeblich
Nach lockenden Früchten,
Ewig unerreichbar,
Und werden gerädert
Und schöpfen vergeblich
Wasser in löchrige Fässer.
Die flattern umher
Wie Fledermäuse
Und huschen umher
Wie piepsende Ratten
Und bangen
Vor dem Fürsten
Der Finsternis,
Dem schrecklichen Hades,
Vor dem kein Entrinnen ist,
Sondern in Ewigkeit
Sind sie leere Gespenster
In trüber Öde,
In ewiger Trübsal
Und nie getrösteter Trauer.

Aber die Menschen,
Die auf Erden
Nicht nur Böses getan,
Sondern auch Gutes,
Aber nicht nur Gutes getan,
Sondern auch Böses,
Die kommen
Nach dem Tod
In ein Zwischenreich,
Nicht in den Hades,
Nicht in Elysium,
Dort baden sie
In feurigen Flüssen,
Reinigen sich
Und bereuen
Alle ihre Fehler.
Die mittelmäßigen Seelen
Aus dem Zwischenreich
Teilen sich
In zwei Gruppen:
Die einen kommen
Nach der Reinigung
Nach Elysium,
Die andern aber,
Zur Buße ihrer Sünden,
Werden wiedergeboren
Und kommen erneut
In den Kerker
Eines Körpers
Und müssen wieder leiden
Auf Erden
Zur Buße ihrer Sünden.

Aber die guten Seelen
Kommen nach dem Tod
Nach Elysium,
Zu den Inseln
Der Seligen,
Zu den Gärten
Des Himmels,
Zu den Nymphen
Der oberen Wasser,
Zu den Jungfrauen
Der himmlischen Zelte,
Zu den Spiegeln
Der himmlischen Götter,
Zu schauen
Die göttliche Wahrheit,
Die göttliche Güte,
Die göttliche Schönheit!
Die Seelen der Guten
Im Elysäischen Gefilde
Fahren in Wagen
Gemeinsam mit den Nymphen
Zu den Chören
Der himmlischen Götter
Und schauen oberhalb
Der himmlischen Götter
Den König der Götter,
Den gastfreundlichen Gott,
Den Vater der Äonen,
Und leben in Ewigkeit
Bei dem Vater der Götter und Menschen
Gemeinsam mit den himmlischen Nymphen
In den heiligen Palästen des Vaters.