Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

JEANNE UND DER WEIN


Von Josef Maria Mayer


ERSTER TEIL
DIE JUNGFRAU VON ORLEANS

(Fragment)


ERSTE SZENE


(In der königlichen Kapelle des Schlosses zu Rouen, Februar 1431. Monseigneur Pierre Cauchon und andre Doktoren der Theologie, und Jeanne.)

CAUCHON
Dies Mädchen, das ihr seht, die Jeanne, nahm man gefangen
In unsrer Diözes. Dass sie sich hat vergangen
Am Glauben, klag ich an, in unsrer Diözes
Beauvais und andern Orts, wovon ich vieles les,
Die ganze Christenheit hat davon klare Kunde
Und König Heinrich hat sie heut in dieser Stunde
Uns übergeben, dass wir machen den Prozess
In Glaubenssachen ihr. So, Jeanne, sei sicher des,
Drum luden wir dich ein. Nun sollst du eidlich schwören
Aufs Evangelium, und sollst uns nicht betören,
Jeanne, willst du, was ich frag, mir Antwort geben wahr,
Beim Evangelium, mir Antwort geben klar?
JEANNE
Ich weiß nicht, was du fragst. Vielleicht da gibt es Fragen,
Da kann ich leider dir nicht rechte Antwort sagen.
CAUCHON
Nun, schwören sollst du mir, dass du die Wahrheit sagst,
Wenn fragen will ich dich, was du zu glauben wagst.
JEANNE
Die Wahrheit sage ich, wo ich geboren bin,
Von allem was ich tat, seit mündig ward mein Sinn
Und ich nach Frankreich kam. Doch von der Offenbarung –
Nun, davon sprech ich nie, so sagt mir die Erfahrung,
Hab keinem sie vertraut, nur Charles allein, dem Herrn,
Und schlägst du mir den Kopf vom Rumpf, ich leid es gern,
Denn die mir geben Rat, so sei es Gott geklagt,
Die Stimmen haben mir zu schwätzen untersagt.
Doch eine Woche noch, ich von den Stimmen werde
Vernehmen, ob ich darf bekennen auf der Erde.
CAUCHON
Ich wiederhole dir: Schwör, dass du Wahrheit sagst
In Glaubensfragen, was du da zu glauben wagst.

(Jeanne kniet nieder und schwört auf das Evangelium.)

CAUCHON
Wie ist dein Name und Vorname, sollst du sagen.
JEANNE
Man nannte mich Jeanette. Jedoch seit jenen Tagen,
Da ich nach Frankreich kam, da nannte man mich Jeanne.
Nachnamen weiß ich nicht.
CAUCHON
                        Geboren wo und wann?
JEANNE
In Domremy geborn.
CAUCHON
                        Wie heißen Vater, Mutter?
JEANNE
Mein Vater, der hieß Jacques, und Isabelle die Mutter.
CAUCHON
Und wo ward sie getauft, ward neugeboren sie?
JEANNE
Getauft, ich bin getauft, das war in Domremy.
CAUCHON
Und bei der Taufe, wer war Patin da und Pate?
JEANNE
Mir Patin Agnes war, dazu im Gottesstaate
Mein Pate, der hieß Jean.
CAUCHON
                        Wer war der Gottesmann,
Der Priester, der getauft dich auf den Namen Jeanne?
JEANNE
Hochwürden Jean Minet.
CAUCHON
                        Und lebt er noch, Hochwürden?
JEANNE
Ja, heute trägt er noch des Hirtenamtes Bürden.
CAUCHON
Wie alt bist du denn nun?
JEANNE
                        Bin neunzehn Jahre jung.
CAUCHON
Und hat man dich gelehrt?
JEANNE
Gebete voller  Schwung,
Das Vaterunser erst, desgleichen auch das Ave.
Die Mutter unterwies im Glauben mich an Jahwe.
CAUCHON
Das Vaterunser sprich!
JEANNE
                        Nur wenn ich beichten darf,
So sag ich dir genau, wem ich mich unterwarf.
CAUCHON
Das Vaterunser sollst du auf der Stelle beten!
JEANNE
Nur wenn ich beichten darf, will ich freimütig reden.
CAUCHON
Dir ist es untersagt, dich zu entfernen aus
Dem Kerker hier, es ist dein Kerker dieses Haus.
JEANNE
Das ist mir ganz egal. Wenn ich entkommen könnte,
So täte ich es gleich, und keiner sagen könnte,
Dass ich ein Unrecht tät. Erheb ich Einspruch doch
Hier gegen dies Verließ, die Fesseln und das Loch.
CAUCHON
Du hast ja schon versucht zu fliehen aus Verließen
Und darum wir dich hier in Ketten lassen büßen.
JEANNE
Gewiss, ich hab’s versucht zu fliehen, denn ich dächt,
Dass die Gefangene zu fliehen hat ein Recht.


ZWEITE SZENE


(Pierre Cauchon, Magister Beaupère, Andere, und Jeanne.)

BEAUPERE
Der Bischof sagte mir, ich solle dich verhören.
Ich fordere dich auf, bei Gottes Wort zu schwören,
Wie gestern du getan, dass du die Wahrheit sagst
Und nichts als Wahrheit nur.
JEANNE
                        So wie du mich verklagst,
Wenn du mir Fragen stellst, darauf ich möchte schweigen,
Dann schweige ich, doch sonst will ich nur Wahrheit zeugen.
Ich habe nichts getan, was Offenbarung nicht
Mir aufgetragen hat als meine Glaubenspflicht.

(Jeanne schwört auf die Bibel.)

BEAUPERE
Wie alt warst du, als du das Vaterhaus verlassen?
JEANNE
Wie alt ich war? Ich kann mein Alter gar nicht fassen.
BEAUPERE
Hast du erworben dir je eine Fertigkeit?
JEANNE
Ja, gut war ich als Kind in Frauenhandarbeit.
Als ich beim Vater war, ich ihm den Haushalt führte.
Die Schafe hab ich nicht gehütet, wie’s gebührte.
BEAUPERE
Hast du gebeichtet auch die Sünden jedes Jahr?
JEANNE
Beim Pfarrer tat ich dies. Wenn er verhindert war,
Beim andern Pfarrer dann. Ich beichtete auch zweimal
Bei einem Bettelmönch, vielleicht war es auch dreimal,
Das war in Neufchateau, vor den Burgundern bang,
Ich ging nach Neufchateau, und dort auf meinem Gang
Ich kam zu einer Frau, La Rousse, genannt die Füchsin,
Die hatte rotes Haar und Augen einer Lüchsin.
Zu Ostern dort empfing ich auch den Leib des Herrn.
BEAUPERE
Wann hörtest du zuerst die Stimmen nah und fern?
JEANNE
Da war ich dreizehn Jahr, da hörte ich die Stimme,
Die kam von meinem Gott, mit einem sanften Grimme
Zu führen mich geschickt. Da war ich voller Angst.
Es war zur Mittagszeit. Ich sagte: Jeanne, du bangst?
In Vaters Garten wars, die Sommersonne glastet,
Den ganzen Tag zuvor ich hatte streng gefastet.
Zur Rechten hörte ich die Stimme schön und schwer,
Die Stimme wundervoll kam von der Kirche her.
BEAUPERE
Und sahst du einen Glanz, als du die Stimme hörtest?
JEANNE
Fast immer sah ich Licht. Und wenn du mich beschwörtest,
Ja, große Helligkeit, stets von der Seite dort,
Wo auch die Stimme war, das Licht war bei dem Wort.
BEAUPERE
Wenn von der Seite kam des Himmelslichtes Brennen,
Wie konntest du das Licht mit dem Gesicht erkennen?
JEANNE
Und wär ich anderswo und wär in einem Wald,
Die Stimme hörte ich, die wie ein Echo hallt.
BEAUPERE
Was von der Stimme denkst du denn mit deinen Gaben?
JEANNE
Die Stimme war sehr ernst und heilig und erhaben.
Ich glaube, dass sie war zu mir von Gott gesandt.
Beim dritten Mal wars klar: Ein Engel vor mir stand.
Die Stimme leitete mich gut durch aller Landen.
Ich hab die Stimme stets gehört und stets verstanden.
BEAUPERE
Was sagte sie dir denn zu deinem Seelenheil?
JEANNE
Der Tugend Weg zu gehn und sei er noch so steil,
Zur Messe auch zu gehn, dass ich die Messe singe,
Dass es notwendig sei, dass ich nach Frankreich ginge.
Zwei-, dreimal sprach das Wort, dass ich nach Frankreich muss,
Vom Vater ginge fort und ohne Abschiedsgruß.
So konnt ich bleiben nicht, da wo ich war gewesen,
Denn von der Stimme war ich also auserlesen,
Um die Belagerung von Orléans mit Kraft
Schnell aufzuheben und mit Jugendleidenschaft.
Robert de Baudricourt, den sollte ich besuchen,
Dass er mir Leute gibt. Doch tat er mich verfluchen,
Ich sei ein dummes Ding, er zweimal wies mich ab,
Beim dritten Mal er mir dann meine Leute gab.
Das wusste ich vorher, die Stimme hat’s gesprochen,
Und was versprochen sie, das hat sie nie gebrochen.
Der Fürst von Lothringen, der wollte mich dann sehn,
Ich ging und sprach zu ihm, ich wollt nach Frankreich gehn.
Da fragte mich der Fürst, ob er genesen werde?
Ich sprach: Das weiß ich nicht, o Herzog dieser Erde.
Von Reisen sprach ich kaum. Ich bat ihn, seinen Sohn
Mir mitzugeben und die Schar von seinem Thron,
Dass sie nach Frankreich mich begleite, dass sie ritten,
So wolle ich zu Gott um sein Gesunden bitten.
Dann kehrte ich zurück nach Vaucouleurs, dann frei
Zog ich nach Saint-Urban und schlief in der Abtei.
Ich trug ein Männerkleid, mir war ein Schwert gegeben,
Sonst andre Waffen nicht, ich schwörs bei meinem Leben.
Ein Ritter war bei mir, ein Junker war bei mir
Und vier Bewaffnete, ich glaub es waren vier.
Wir kamen nach Auxerre. Und dass ich’s nicht vergesse,
Im Kirchlein von Auxerre, dort hörte ich die Messe.
Und gleich nach dieser Zeit oft hörte ich den Schall
Der Stimme, einen Ton wie leisen Echohall.
BEAUPERE
Wer hat geraten dir, ein Männerkleid zu tragen?

(Jeanne schweigt eine Zeit.)


ZWEITER TEIL

SONETTE AN DEN WEIN



1

Herr, meine Seele ist voller Schmerzen, den elenden Tag lang,
Meine Seele ist bang und zittert vor fröstelnden Ängsten.
Tote reden mit mir und versuchen mich zärtlich zu trösten,
Aber trostlos ist meine Seele um Mitternacht auch noch.

O Bordeaux! Ich leere den Wein, der von gestern geblieben,
Noch ein Glas und noch ein Drittel der offenen Flasche,
Eine neue Flasche entkork ich und gieße den Rotwein
In das Glas, um zu betäuben die bitteren Schmerzen.

Bacchus, Kummerbrecher, tust du dein göttliches Werk nicht?
Blutige Tränen Christi, heilt ihr mir nicht die Seele?
Trostlos traurig bin ich und berausch mich am Rotwein,
Zu betäuben die bitteren Schmerzen der ängstlichen Seele.

O du Blut der Angst, du fließt mir kalt durch die Seele,
Habe Erbarmen mit mir, du göttlich glühender Rotwein!


2

Bist du auch irgendwann einmal nüchtern, fragte mein Bruder
In dem Herrn, er hoffe für den ewigen Himmel,
Dort mit mir und Jesus den ältesten Rotwein zu trinken,
Den ihm jetzt leider erlaubt nicht zu trinken der hässliche Ausschlag.

Was für ein Himmel, was für Paradiese, wo Jesus
Mit den Aposteln liegt zu Tische und fleißig trinkt Rotwein
Und die Erlösten zechen droben mit den Aposteln
Und mit dem Meister ältesten Rotwein der Hochzeit von Kana.

Ich aber denke anders: Gott selber ist doch der Rotwein,
Gott ist der Rotwein, an dem ich im Himmel mich ewig berausche,
Ich bin der Tropfen Wasser, der wird geflößt in den Rotwein,
Ja, ich selber werde zum übergöttlichen Rotwein!

Gottes Trunkenheit wird mich im Paradiese berauschen
Und ich kenne nicht mehr Glas und Flasche und Bruder.


3

Gestern hab ich getrunken italienischen Rotwein
Auf der Geburtstagsfeier meiner Freundin und Muse.
Ach, wie unleidliche Weiber-Torheit musste ich hören,
Bis am Abend hereingetreten die herrliche Madel!

Bei dem Blute des Bacchus, diese herrliche Madel
Pries den Rotwein der Krim, die vollen Weinkeller Jaltas,
Ihre Gesten voll Grazie, ihre Augen voll Lichtglanz
Und die lieblich geformten Lippen kussliche Röte.

Nein, die vor mir saß, das war nicht die Madel von Deutschland,
Wahrlich, wahrlich, es war die florentinische Venus,
Ihre rotblonden Locken fielen auf niedliche Brüste,
Ihre liebliche Körpergestalt von schlankester Anmut.

O beim Blute des Bacchus und dem Liebreiz der Venus,
Eine Göttin der Schönheit sah ich, trunken vom Rotwein!


4

Ja, in vino veritas! Weisheit schlummert im Rotwein,
Aber einsam der Denker muss trinken die Weisheit im Rotwein.
Leerer Lärm der prächtigen Feste von alternden Weibern
Ist der Weisheit abhold, sie trinken gezuckerten Schaumwein,

Trinken süßlich Sekt und kichern albern und töricht,
Reden obszön und breiten aus die heidnische Torheit
Von den schicksalbestimmenden Sternen, nackigen Männern,
Prahlen, wie sie reiten die Hengste mit nackigem Busen!

Aber die Freunde? Ach die Freunde! Sie trinken Jasmintee
Oder Ingwertee und braune sprudelnde Brause,
Schwatzen geistige Unweisheit, theologische Torheit,
Milchbärte sie im Glauben, protestantische Narren.

Nein, wer weise sein will, geht ins katholische Weinhaus,
Gott ist der Schenke, der Becher und der blutige Rotwein.


5

Im katholischen Weinhaus spricht der Schenke, der Priester:
Wie der Tropfen des Wassers mit dem reichlichen Rotwein
In dem Kelche sich mischt, untrennbar beide vereinigt,
Nie mehr löst sich der Tropfen Wasser ab von der Weinflut,

So auch mischt sich des Katholiken menschliche Seele
Mit der Gottheit Christi, dem Blut und der Seele des Christus.
Dies ist der Augenblick seliger Ewigkeit, da mit der Gottheit
Sich vereinigt unauflöslich die gläubige Menschheit.

Denn in der Ewigkeit ist die Gottheit der blutige Rotwein
Und die Erlösten sind wie einzelne Tropfen von Wasser,
Die im Kelche verschwimmen, in dem Kelche der Liebe,
Menschliches Wasser ist geworden zu göttlichem Weine.

Nicht nur trinken werden wir Gott beim Hochzeitsmahl Christi,
Sondern trunken sein von der ewigen Trunkenheit Gottes!


6

Unser himmlischer Vater hat den blutigen Rotwein
Seines über alles innig geliebten Messias
Oder eingeborenen Sohnes eingeschenkt reichlich
In den rubingeschmückten Kelch des Heiligen Geistes.

Unser himmlischer Vater wollte trinken den Blutwein
Seines eingeborenen Sohnes, des göttlichen Christus,
Setzte an die Lippen den Kelch des Heiligen Geistes,
Um zu saugen innig begierig den Wein aus dem Kelche.

Aber der himmlische Vater schüttete Unmengen Blutwein
In den Kelch des Heiligen Geistes, der überfloss reichlich,
Und von der überfließenden Gottheit strömendem Weine
Ward die Welt, der unendliche Kosmos und alle die Seelen.

Ich auch bin ein Tropfen vom Weine des strömenden Christus
Und in meiner Seele glüht die Trunkenheit Gottes.


7

Nie genug von der überströmenden Trunkenheit Gottes!
Gottes Trunkenheit ist die ewige Seligkeit Gottes!
In der Ekstase wirst du mystisch erkennen die Gottheit,
Trunken von der nüchternen Trunkenheit Heiligen Geistes!

Ja, Geliebte, berauscht euch an der göttlichen Liebe!
Nur im prophetischen Wahnsinn erkennt der Weise die Liebe!
Trinkt, ihr Kinder, die Milch der Mutterliebe der Gottheit,
Trinkt, ihr Männer, den herben Wein der Ewigen Weisheit!

Gott ist es nie genug mit seiner Trunkenheit, Brüder,
Schwestern, Gott hat nie genug am Schaumwein der Liebe!
Aber, ihr weiseren Denker, ihr erkanntet mit Staunen,
Philosophischem Staunen, über der Trunkenheit Gottes

Auch noch Gottes Schlaf: Die unerforschliche Gottheit!
Engel! Schlafen will ich mit der schlafenden Gottheit!