Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

HEDDA HEIDENA


Ein Drama

Von Josef Maria Mayer


ERSTE SZENE


HEDDA HEIDENA
Schon immer wollte ich die Hochzeit feiern
In der Venezia, der Meer-Kybele,
Schon immer heiraten im roten Kleid.
JÖRGEN STARK
Nun heißt du nicht mehr Heidena, mein Mädchen,
Nun bist du Ehegattin Hedda Stark.
HEDDA
Nun bin ich sicher in dem Ehe-Hafen.
JÖRGEN
Und ich kann voller Seelenruhe schreiben,
Mein Prosa-Epos von den Katzenkriegen
Ist gut vorangekommen in Venedig.
HEDDA
Ja, ja, ich dachte eigentlich, romantisch
Verklärt wär unsre Hochzeitsreise, aber
Du schriebst nur immer an dem Katzen-Epos.
JÖRGEN
Ich will für dieses Katzen-Epos schließlich
Den Lorbeerkranz des Dichters mir erobern.
Zwei Dinge streb ich an in dieser Welt:
Den Ruhm des Dichters und des Autors Reichtum!
HEDDA
Das Geld verachte ich, doch braucht man es,
Um sicher-froh zu leben in der Welt.
JÖRGEN
Ich will der größte Dichter Deutschlands sein!
Aus Bremen kamen selten Dichter zwar,
Nur Rudolf Alexander Schröder kenn ich,
Doch werde ich Homer noch übertreffen!
Was sind Homeros’ Hektor und Achill
Im Gegensatz zu meinen Katzenkriegern,
Zu Feuerpfote und zu Tigerkralle?
HEDDA
Nur immer schreiben! Welche Langeweile!
Schriftsteller sein und immer fleißig schreiben
Und auf der Hochzeitsreise nicht zu küssen!
JÖRGEN
Talent ist wenig, Fleiß erst macht den Dichter.
HEDDA
Ja, fleißig schreibe von der Katzengöttin,
Doch kennst du nicht die Katze in dem Haus.
JÖRGEN
Ja, jede Frau ist eine Katze, weiß ich,
Doch liebe ich die Bücher mehr, die nicht
Von Frauen handeln oder von der Liebe,
Mehr liebe ich die harte Männerwelt
Von Clans und ihrem kriegerischen Leben.


ZWEITE SZENE


HEDDA
Nun, lieben kann ich diesen Jörgen nicht,
Ich war am Anfang wohl in ihn verliebt,
Verliebt war ich, doch liebte ich ihn nicht.
Ich werde sicher unter ihm noch leiden,
Denn er verehrt den Genius der Frau nicht.
Allein schon in der Sexualität!
Wie schwärmt er für Rimbaud doch und Verlaine,
Ich glaube, er ist homosexuell.
Nur manchmal kommt er eilig in mein Bett,
Um seine eheliche Pflicht zu tun,
Dann steht er nach dem Beischlaf wieder auf
Und legt in seinem Zimmer sich aufs Sofa
Und schläft allein in seiner Bücherei
Und sicher träumt er von der Katzengöttin.
Der Frau Begier nach sanfter Zärtlichkeit
Und nach Geborgenheit im starken Arm
Versteht er nicht, versteht die Frauen nicht.
Noch kürzlich sagte er zu mir: Du bist
Verschlossen, meine Liebe, bist versiegelt,
Als wär ein Schleier dir vor deiner Seele,
Du willst ja gar nicht, dass man dich erkennt. –
Warum ich dennoch ihn zum Mann genommen?
Er kann mir Sicherheit und Ruhe geben.
Ich möchte schließlich einmal Kinder haben
Und brauch dazu soziale Sicherheit.
Das hat ja die Statistik schon entdeckt,
Dass die Erotik für den Mann bedeutet
Der Frauen Busen und der Frauen Becken,
Es ist die pure Sexualität,
Was Männer an den Frauen interessiert.
Doch die Erotik für die Frau bedeutet
Finanzpotenz des Mannes. Geld ist geil!
So sprach auch Berthold Brecht dereinst,
Das Geld macht sinnlich! Rilke sagt es so:
Er redet vom Geschlecht des Geldes, von
Des Gelds Geschlechtsteil! Sicherheit
Ist für die Frauen höchst erotisch, ja,
Die Männer schauen auf der Frauen Hintern,
Die Frauen aber auf der Männer Hintern,
Ob in der Tasche des Gesäßes auch
Ein Portemonnaie mit großer Fülle steckt.
Warum soll ich das leugnen? Ich bin Frau.
Und schließlich bin ich keinem Manne treu,
Auch keinem Ehemanne bin ich treu,
Nein, treu bin ich allein dem eignen Stern!
Jetzt kann mir Jörgen Stark noch nützen, aber
Kommt einst ein andrer Mann von größerm Reiz,
So folg ich meinem Schicksal, meinem Stern.


DRITTE SZENE


JÖRGEN
Was hab ich mitgebracht in unsre Ehe?
Ein Paar Pantoffeln, Erbstück von der Oma.
HEDDA
Und was für ein Symbol! Was will das sagen?
JÖRGEN
Hausvater will ich sein und Patriarch.
Ich will in einem guten Bürgertum
Die Werte der Familie ehren-retten,
Ich will das Geld verdienen durch die Arbeit,
Die Gattin soll zuhaus die Kinder hüten.
Und wenn ich aus dem Arbeitszimmer komme,
Dann soll der Hund mich liebestreu umwedeln.
Am Sonntag red ich an dem Gartenzaun
Mit unsern Nachbarn über Politik.
Ich will der Pater Familiaris sein
Und meine Kinder will ich streng erziehen,
Nicht spielen mit den Kindern wie ein Kind,
Nein, auch die Rute werde ich nicht sparen.
Von meiner Ehefrau erwarte ich,
Dass sie die Küche putzt, die Wohnung aufräumt,
Die Wäsche wäscht, die kranken Kinder pflegt
Und Katze, Hund, Kaninchen Futter gibt.
Das Sagen übers Geld hab ich allein.
HEDDA
Was hab ich mitgebracht in unsre Ehe?
Ein Messer, habs geerbt von meinem Vater.
JÖRGEN
Das Spielzeug ist gefährlich, meine Frau.
Was willst du mir mit dem Symbol bedeuten?
HEDDA
So wie die Stoa-Philosophen einst
Behaupte ich: Des Menschen Freiheit ist
Die Freiheit auch zum eignen Suizid.
Zwar fragten meine Eltern einst mich nicht,
Ob ich geboren werden wollte, aber
Wann ich die Welt verlasse, das entscheide
Ich selbst in aller Freiheit meines Willens.
JÖRGEN
Das sagst du nur, um so mich zu erpressen.
HEDDA
Schau hier den Horngriff an von diesem Messer,
Wo eingeritzt der Name Heidena,
Mein Name, ich bin Hedda Heidena.
JÖRGEN
Nein, meine Frau, du bist jetzt Hedda Stark.
HEDDA
Ich bleibe immer Hedda Heidena,
Ich bleibe stets die Tochter meines Vaters.
JÖRGEN
Und ich, ich bleibe meiner Oma Enkel.


VIERTE SZENE


HEDDA
Jetzt spür ich erst die innre Leere, öde
Ist es in meiner Seele, leer und öde!
Jetzt merk ich erst, wie leer doch diese Ehe,
Wie ödet mich doch an mein Ehemann!
Ja, jetzt, wo Gottlieb Adler in der Stadt ist,
Vermiss ich erst die heiße Leidenschaft.
Zehn Jahre ist es her, dass Gottlieb Adler
Und ich ein Liebespaar gewesen sind.
Ach, damals war ich jung noch, schön und reizend,
Mit allem meinem Liebreiz einer Frau
Hab damals ich versklavt den armen Dichter,
Und Muse war ich dem Poeten Gottlieb,
Er war entflammt von heißer Leidenschaft
Und Sinnlichkeit trieb ihn zu Lobgesängen.
Wie schwierig war doch unsre Liaison,
So himmlisch die Begeisterung, so tollkühn,
Er sah in mir sein Ideal, die Gottheit,
Dann wieder tief betrübt, betrübt zu Tode
Hab ich ihn an des Todes Rand gebracht.
Wie Skorpion und Skorpionenweibchen
War unsre Liaison ein wildes Drama,
Ein Bacchanal, ein wildes Opferfest.
Ja, Gottlieb wollte gerne für mich sterben
Und wollt von Ewigkeit zu Ewigkeit
Im Paradies mit mir vereinigt sein!
Er fragte nichts nach Gott, nichts nach den Huris,
Nichts nach der allerseligsten Maria,
Ich, ich allein war ihm sein Paradies!
Ich, ich war seine ewige Verdammnis!
Bengalische Geliebte war ich ihm
Und seine Muttergöttin aus der Steinzeit.
Ich habe meine Macht zutiefst genossen,
Ich fühlte mich begehrt und mich geliebt.
Dagegen diese arme Jörgen Stark,
Der schlurft in seinen ewigen Pantoffeln
Und will der Patriarch des Hauses sein.
O Gott, bewahre mich vor Langeweile!
Wie öde sieht es aus in meiner Seele!
Ich glaube gar, ich bin schon im Nirvana,
Erloschen schon in mir die Lebensflamme,
Vergangen alle Lust an diesem Leben,
Vorbei die Schöpfungslust, die Werdelust,
In mir ist nichts als grenzenlose Leere!
Jetzt bin ich in der Ödnis Mitte, bin
Gestorben schon in dieser Lebenszeit
Und in dem Leib ist eine tote Seele
Und in dem Busen ist ein müdes Herz.
Nur Gottlieb Adler kann mich noch beleben!
O Gott der Leidenschaft, o Gott der Lust,
Ich bitte, schicke mir den Gottlieb Adler!


FÜNFTE SZENE


GOTTLIEB ADLER
Ich habe, Götter, allzu viel gesoffen,
Ich habe jede Nacht geleert die Flasche
Und im Delirium der schwarzen Schwermut
Ich mischte meine Tränen mit dem Wein.
In Bremen, in der Großstadt, war ich einsam,
In Friesland aber, auf dem platten Land,
Da bin ich nicht mehr einsam, denn die Knaben
Bewundern mich, sind nahezu verliebt,
Geb Unterricht ich in dem ABC.
Das A, das ist die heilige Drei-Einheit
Vom Vater und vom Sohn und von dem Geist,
Das B, das ist der Busen Unsrer Frau.
Da ist er ja, der kleine süße Knabe.
KNABE
Mein Lieber, sag, was lernen wir denn heute?
GOTTLIEB
Heut, lieber Knabe, lernen wir das Reimen.
KNABE
Du sagst ein Wort, ich sage dir das Reimwort.
GOTTLIEB
Mein Liebling, sag, was wollen heut wir essen?
KNABE
Alltäglich Engelsbrot in heiligen Messen!
GOTTLIEB
Und tun wir immer, Liebling, was wir wollen?
KNABE
Nein, Gottes Willen tun, ist was wir sollen.
GOTTLIEB
Wer trägt vor seinem Angesicht ein Gitter?
KNABE
Der Gottesmutter Knecht, Marien Ritter.
GOTTLIEB
Was tun wir, sind wir einsam in der Kammer?
KNABE
Wir lesen Gottes Wort, das ist ein Hammer.
GOTTLIEB
Was ist der Schatz, für den wir feurig brennen?
KNABE
Das Antlitz Jesu Christi zu erkennen!
GOTTLIEB
In jedem Reimwort unterstreiche du
Die Doppelkonsonanten mit dem Stift.
Nun geh und denke dran: Iß Honig, Sohn,
Weil Wabenhonig süß ist für den Gaumen,
So ist die Weisheit süß für deine Seele.
KNABE
Ach, lieber Gottlieb Adler, wenn ich groß bin,
Dann will ich auch ein Dichter sein, wie du!
GOTTLIEB
Erzengel, geh, träum süße Träume!


SECHSTE SZENE


SONJA WEISS
Geliebter Gottlieb, was hast du geschrieben?
GOTTLIEB
Wozu nur du mich inspirieren konntest.
SONJA
Ich inspirierte dich? Wie tat ich das?
GOTTLIEB
Die Lippe, die nach Küssen dürstet, singt.
SONJA
Du weißt, ich habe einen Ehemann.
GOTTLIEB
So sei es denn. Ich hasse ja die Ehe,
Spießbürger sollen eine Ehe schließen,
Doch Dichter bleiben stets romanzensüchtig.
SONJA
Was hast du nun für mich geschrieben, Gottlieb?
GOTTLIEB
Ich dichtete den Lobgesang an Phryne.
SONJA
An Phryne? Wer ist diese Phryne denn?
GOTTLIEB
Praxiteles war Muse sie, Modell,
Sie stand Modell zur Venus auch von Knidos.
Beim Eleusinischen Mysterium
Die Neugetauften sahen aus dem Meer
Nackt Phryne tauchen und sie riefen: Venus
Wird wiederum aus Meeresschaum geboren!
Und Aristoteles, der Pädagoge
Des großen oder kleinen Alexander,
Ließ Phryne stets auf seinem Rücken reiten.
SONJA
Und ich, ich stand Modell für deine Phryne?
GOTTLIEB
Ein Advokat verklagte einst die Phryne,
Doch sie entblößte vor dem Richter ihre
Prachtvollen Brüste und ward freigesprochen.
SONJA
Du findest also meinen Busen prachtvoll?
GOTTLIEB
Ja, prachtvoll ist dein voller Busen, Sonja!
SONJA
Wirst du mit deinem Lobgesang an Phryne
Bekommen auch den Preis der Schiller-Stiftung?
GOTTLIEB
Ja, ganz gewiss, denn Schiller wird mich mögen.
SONJA
Zitiere mir doch einmal aus der Hymne.
GOTTLIEB
Als Phryne Aristoteles zur Arbeit
Einst schicken wollte, sprach der Philosoph:
Schatz, alles was wir müssen ist uns küssen!


SIEBENTE SZENE


SONJA
He, Hedda, hast du etwas Zeit für mich?
HEDDA
Nun, Zeit ist knapp, ich hab so viel zu tun.
JÖRGEN
Nun sag schon, Sonja, was machst du in Bremen?
SONJA
Ich habe meinen Ehemann verlassen.
JÖRGEN
Den dummen Dieter? Aber sag warum?
SONJA
Er hat sich ganz dem Satanas geweiht
Und schreibt an einer Zeitschrift Antichrist.
HEDDA
Nun, Lord Maytreja ist der Antichrist.
SONJA
Ich hab das schöne Friesland dann verlassen
Und folgte Gottlieb Adler in die Stadt.
HEDDA
Der Dichter Gottlieb Adler ist der größte
Rivale meinem Gatten Jörgen Stark.
SONJA
Sag, Jörgen, woran schreibst du eben jetzt?
JÖRGEN
Ich schreib an einem Katzenkrieger-Epos.
SONJA
Und kommt darin auch etwas Liebe vor?
JÖRGEN
Ja, Graustreif von dem Donner-Clan der Katzen
Liebt Silberflut, die Katze von dem Fluss-Clan.
Und Feuerpfote, mein besondrer Heros,
Liebt Katze Tüpfelblatt vom Sternen-Clan.
Die Katzen von dem Sternen-Clan sind Tote.
SONJA
Und Gottlieb Adler dichtet von Hetären.
HEDDA
Ja, wenn er eine edle Muse hätte,
Er schriebe dann geheimnisvollerweise
Von esoterischen Mysterien.
Nun aber nur vulgäre Sinnlichkeit
Ist Gottlieb Adlers liederliche Muse.
SONJA
Na, vielen Dank, du meine beste Freundin.
JÖRGEN
Wenn Gottlieb wäre nicht so ein Genie,
Bekäme ich den Preis der Schiller-Stiftung.
SONJA
Ja, Gottlieb Adler ist der neue Schiller
Und Hölderlin und Goethe in Person.
Ich aber liebe ihn als guten Menschen,
Sein Herz ist fromm und voller sanfter Güte,
Sein weises Herz ist weit wie Sand am Meer.


ACHTE SZENE


HEDDA
Du, Sonja, ich bin schrecklich eifersüchtig
Auf deinen Einfluss auf den Liebesdichter.
SONJA
Du, eifersüchtig? Liebst du Gottlieb denn?
HEDDA
Ich lieb ihn nicht. Ich lieb die ganze Welt
Und liebe keinen doch als mich allein.
SONJA
Ach, Hedda, wenn du aber Kinder hättest!
HEDDA
Nein, Kinder hindern nur die Selbstentfaltung.
SONJA
Willst du denn Gottlieb Adlers Muse sein?
HEDDA
Ich möchte, dass der Dichter mich begehrt
Und mich vergöttert! Ich bin eine Gottheit!
Ich bin ein menschgewordner Gott wie Christus!
SONJA
Ich hab ja nichts getan als ihn zu lieben,
Die Kunst kommt ja von seinem Genius.
HEDDA
Er aber sagt, du inspiriertest ihn.
SONJA
Ach, nur mein Leib und nur mein schöner Busen.
Ich war für ihn ja nur ein Kamerad.
HEDDA
Habt ihr euch körperlich denn nie geliebt?
SONJA
Grad, als ich frisch vermählt mit meinem Mann,
Da habe Gottlieb Adler ich geliebt.
Wir haben heimlich uns geliebt, geschlafen
Am lichten Tag auf meinem breiten Bett.
HEDDA
Wie ist denn Gottlieb Adler in der Liebe?
SONJA
Mein Ehemann war ja zu faul zur Liebe,
Mit Gottlieb aber war sehr gut der Sex.
Wenn ich dran denke, leck ich mir noch heute
Die Lippen vor verzehrender Begierde.
HEDDA
Ich will ihn reizen mit des Weibes Liebreiz!
Was reizt ihn denn, den schmachtenden Poeten?
SONJA
Nun, tiefer Ausschnitt oder kurzer Rock,
Die Männer sind doch alle oberflächlich.
HEDDA
Ja, Männer können einfach gar nicht lieben,
Begehren können sie nur nackte Haut.
Und darum möchte ich auch allen Männern
Auf dieser Erde ihre Herzen brechen!


NEUNTE SZENE


JÖRGEN
Da ist mein lieber Advokat Benoni.
BENONI
Ich weiß wohl, Jörgen, von dem Katzen-Epos,
Du willst damit den Lorbeerkranz erringen,
Den ersten Siegespreis der Schiller-Stiftung,
Doch weißt du, wer dir wird den Sieg abjagen?
JÖRGEN
Du meinst doch Gottlieb nicht mit seiner Phryne?
BENONI
Er hat ein wahres Meisterstück vollendet,
Hexameter der allerschönsten Weise,
Die Hymne an Urania Aphrodite.
BENONI
Hast du denn selbst das Manuskript gesehen?
BENONI
Ich sah es und ich las es, lieber Jörgen,
Ja, er ist ein germanischer Homer.
JÖRGEN
Der Gottlieb ist mein ewiger Rivale.
BENONI
Er ist ein Taugenichts, ein Tunichtgut.
Soll sein Hymne Nachruhm ihm erringen,
Doch Geld machst du in dieser Welt, mein Jörgen.
JÖRGEN
Die Nachwelt kann mir doch gestohlen bleiben.
Für Reichtum dieser Welt schreib ich Romane.
Mein Katzen-Epos ist schon angelangt
Beim zwanzigsten Roman, ich muss schon sagen,
Ich bin vielleicht ein zweiter Marcel Proust,
Vielleicht auch ein erneuerter Balzac,
Nur schreib ich nicht die menschliche Komödie,
Ich schreibe von dem Krieg der Katzen-Clans.
BENONI
Ich werde dafür sorgen schon, mein Jörgen,
Dass die Verlage deine Bücher drucken.
Ich glaube, Knaben lesen das sehr gerne,
Und wenn man laut die Werbetrommel rührt,
Dann werden Taler in der Kasse klingeln.
JÖRGEN
Benoni, Mann des praktischen Verstandes,
Soll Gottlieb für die Schizophrenen schreiben,
Ich schreibe für den Ruhm in dieser Welt.
BENONI
Soll Gottlieb doch die Hände falten, beten,
Wir wollen Scheiße noch zu Feingold kneten.
JÖRGEN
Ein Dichter bist du, mein Benoni! Beten
Und mit dem Reimwort darauf: Scheiße kneten!
BENONI
Ein Genius ist Gottlieb nicht allein,
Ich bin ein Genius, was Geld betrifft.


ZEHNTE SZENE


HEDDA
Gekommen ist nun meine Stunde, da
Ich übe die allmächtige Magie,
Die Herrschaft über einen klugen Mann.
Nein, Jörgen Stark ist mir zu schwach zum Opfer,
Ein müßiger Pantoffel-Patriarch,
Nein, wenn ich siegen will, dann über einen,
Der würdig meines Hasses, meiner Feindschaft.
Was sag ich, Hass? Was sag ich, Feindschaft? Nein,
Hassliebe wär das treffendste der Worte.
Es ist wie in den alten Zeiten, wie
Zur Steinzeit, als die große Göttin herrschte,
Die Männer haben sich entmannt, um ihr
Zu dienen, alle Männer ihre Sklaven.
Heut aber möchte man die Frauen weiblich
Und weiblich meint, mit einer sanften Schwäche.
Die Herren halten sich doch für die Sonne,
Das Weib ist ihnen Mond und Spiegel nur.
Nein, ich, ich bin die große Sonnengöttin,
Ich bin die Herrscherin des Universums,
Ich bin die Kraft, die Göttin Kraft, ich bin
Die Göttin mit den tausend Totenschädeln
Und tanzen werde ich auf Gottlieb Adler.
Er ist ein Genius, und hinter einem
Genie steht immer eine starke Frau.
Wer ist denn Sonja Weiß, sein kleines Liebchen?
Sie ist ja nett und süß und sehr charmant,
Ich aber Tigerin und Panterin,
Ich aber Würgeschlange und Skorpion.
Ich will ihn überwinden, ihn besiegen,
Und singen soll er mir kein Liebeslied,
Nein, unterwerfen soll er sich der Herrin
Und nur noch flehen, dass ich ihn ermorde!
Ich werde ihn zu Tode hetzen, diesen
Poeten, diesen großen Genius,
Ich gehe dann in die Geschichte ein
Als Göttin, die den Heros umgebracht!
Ah, wenn er mir zu Füßen liegt und winselt,
Ah, wenn er mir zu Füßen liegt und bettelt,
Dann stell ich meinen Fuß auf seinen Schädel
Und rufe: Sieg der starken Frauenseele!
Und wenn er mich um Liebe anfleht, wenn
Er will genießen meines Leibes Reize,
Verhöhn ich ihn, verschmähe und verspotte
Die männliche Begierde und erkläre:
Ich lieb dich nicht, du Narr und Liebesdichter,
Ich hass dich nicht, du Narr und Liebesdichter,
Gleichgültig bist du mir, mein Gottlieb Adler,
Gleichgültig bist du mir, du langweilst mich!


ELFTE SZENE


SONJA
Was seh ich da, mein Gottlieb, eine Flasche
Mit Wein, dem du doch abgeschworen hast?
GOTTLIEB
Ich denke an die Zeit, zehn Jahre her,
Als Hedda Heidena verzaubert mich
Mit ihrer weiblichen Erotik und
Magie. Wir waren Lilie da und Löwe,
Sie weiße Lilie, ich der rote Löwe,
Ergaben wir das androgyne Wesen.
SONJA
Das ist Erinnerung, ist doch kein Grund,
Zum Teufel Alkohol zu flüchten, Gottlieb.
GOTTLIEB
Nun, eine Flasche hab ich schon geleert.
SONJA
Dann geh jetzt lieber schlafen, mein Poet.
GOTTLIEB
Nein, eine zweite Flasche will ich leeren,
Ich muss den dummen Schmerz in mir betäuben.
Ja, damals, das war eine große Liebe,
Und nun ist alles hin, ist alles fort,
Mein Leben ist verspielt und ich bin tot.
SONJA
Ich aber hab dich lieb, mein guter Gottlieb.
GOTTLIEB
Ach, die mich lieben, Sonja, muss ich hassen,
Und lieben muss ich jene, die mich hassen.
SONJA
Das denkst du nur in dem Delirium.
GOTTLIEB
Ja, lala, im Delirium der Schwermut,
Ja, lala, im Delirium von Wermut.
SONJA
Ich kann dein Elend nicht ertragen, lieber
Verlass ich dich, als zuzusehen, wie
Du in der Gosse endest als Besoffner.
GOTTLIEB
Ja, geh, mein Weh, die Schmerzen in dem Herzen,
Ich will mich gern von meinen Leiden scheiden,
Nun ströme in mich, roten Weines Schauer,
Und mach mich schlauer, grenzenlose Trauer,
Ich bin doch kein Prophet, ich bin ein Bauer.
Das Weh ist wie der Schnee, und was ich seh,
Der Schnee sinkt selig in der Seele See,
Ach weh, ach läg ich mit der Fee im Klee,
Der Fee die Brüste hüpften wie ein Reh,
Ich schwanke hin und her wie Luv und Lee,
Und seufze der Vergänglichkeit zum Trotze
Und schaue nach der Flasche und dem Weibe!


ZWÖLFTE SZENE


GOTTLIEB
Ach Hedda Heidena, du Panterfrau,
Ich bin jetzt ganz vollkommen ruiniert.
Ich bin nur die Ruine meines Selbst.
HEDDA
Der Teufel Alkohol hat das getan.
GOTTLIEB
Ich bin jetzt ausgestoßen aus der Menschheit.
Die Nägel wachsen mir wie Vogelklauen
Und Bart und Haare wie ein Bärenfell.
HEDDA
So fühle ich mich manchmal auch, so einsam,
So ausgestoßen aus der ganzen Menschheit.
GOTTLIEB
Ich rede, aber keiner hört mir zu.
Ich schreibe Briefe, keiner gibt mir Antwort.
Ich gehe durch die Straßen, keiner sieht mich,
Als wäre ich aus Glas, ganz transparent.
HEDDA
Ich bin allein mit mir und meinem Schatten.
Nur meine böse Doppelgängerin
Ist einzig-treue Freundin in der Welt.
GOTTLIEB
Moralisch bin ich gleichfalls ruiniert,
Mich treibt die wüste Sexualität.
HEDDA
Nur mach du dir kein Bild von mir im Traum.
GOTTLIEB
Ach, wenn die Poesie nicht wär, ich stürbe
Von eigner Hand! Allein Urania,
Mein Epos, hält mich noch in diesem Leben.
Jetzt aber ist mein Manuskript verschwunden!
HEDDA
Und ich hab nicht gelesen deine Hymne.
Hat Sonja Weiß vielleicht dein Manuskript?
GOTTLIEB
Nein, Sonja Weiß, die Muse meiner Hymne,
Sie hat das Manuskript noch nicht gelesen.
Ich wollte drucken die Urania
Und binden lassen schön in rotes Leder
Und dann mit goldnen Lettern: Sonja Weiß
Gewidmet – auf die erste Seite schreiben
Und dann das Buch am Ostertag ihr schenken.
HEDDA
Dann ist dir wohl, dir sei ein Kind gestorben?
GOTTLIEB
Ja, Sonjas Kind und Gottliebs Kind: die Liebe!
Die Liebe in Person ist mir gestorben!
Nun hat mein Leben keinen Sinn mehr, Hedda.
HEDDA
Sei ruhig. Halt es in der Hölle aus!


DREIZEHNTE SZENE


SONJA
Mein lieber Schatz, wo ist das Manuskript,
Darin du mich als Venus hast verherrlicht?
GOTTLIEB
Ich habe es zerrissen und verbrannt.
SONJA
Wie damals mit dem Heldenepos von
Dem großen Lomonossow über Peter
Den Großen, das ich für dich übersetzte?
GOTTLIEB
Ja, deine Übersetzung hatte ich
Mir mitgenommen in die Einsiedlei,
Da mich der Wahnsinn grausam überfiel,
Ich dachte da, du seist die Hure Babel.
SONJA
Warum bist du nur so gemein zu mir?
Ich liebe dich wie einen Bruder, Gottlieb,
Ich liebe mehr dich noch als einen Bruder.
GOTTLIEB
Vielleicht, sag, willst du meine Gattin werden?
SONJA
Ich glaub, du liebst die Hedda Heidena.
GOTTLIEB
Ach, Liebe oder Hass, Begier und Zorn!
SONJA
Doch dass du mein Poem vernichtet hast!
Willst du nichts mehr mit mir zu schaffen haben?
Bin ich nicht mehr dein treuer Kamerad?
GOTTLIEB
Ich liebe und ich hasse Hedda nur!
Ich bin doch nicht dein Sklave, Sonja Weiß,
Ich liebe dich nicht mehr und weiß auch nicht,
Ob ich dich je geliebt hab oder nur
Begier empfand für deinen schönen Körper.
SONJA
Wie kannst du nur so grausam sein, mein Freund?
GOTTLIEB
Ist besser ja allein in einem Winkel
Zu leben unterm Dache als in einem
Palast mit einer Frau, die zänkisch ist.
Und eine Frau, die in der Unzucht lebt,
Ist eine Sau mit goldnem Ring im Rüssel.
SONJA
Wo hast du diese dummen Sprüche her?
Nein, früher warst du lieber, mein Geliebter,
Da sahest du in mir die Schönheitsgöttin.
GOTTLIEB
Doch Schönheit ist vergänglich, meine Liebe,
Und Reiz und Anmut sind nur Lug und Trug.
SONJA
Nein, solche Sprüche möchte ich nicht hören.
Dann geh zu deiner Hedda Heidena!


VIERZEHNTE SZENE


HEDDA
Was ist mit dir? Was schaust du denn so traurig?
GOTTLIEB
Ach, alle Poesie ist ganz vergeblich,
Ich schreibe nur noch für den Scheiterhaufen.
HEDDA
Was, wenn ich dein Poem gefunden hätte
Und hätte Jörgen Stark es übergeben?
GOTTLIEB
Ja, hast du das getan, geliebte Hedda?
HEDDA
Nein, nein, ich hab nur einen Spaß gemacht.
GOTTLIEB
Ich habe Hochzeitslieder schön gesungen,
Doch tanzten nicht mit mir die schönen Frauen.
Ich habe Klagelieder schön gesungen,
Doch weinten nicht mit mir die schönen Frauen.
HEDDA
Ich werde nie dich lieben, Gottlieb Adler!
GOTTLIEB
Da bohrst du mir ein Schwert in meine Seele!
HEDDA
Ich will auch nicht, dass du mich heiß begehrst!
GOTTLIEB
Gescheitert bin ich ganz in diesem Leben!
HEDDA
Doch Trost ist ein absurdes Wort, mein Freund,
Wer nicht verzweifeln kann, der muss nicht leben.
GOTTLIEB
Verzweiflung, ja, und Hoffnungslosigkeit.
HEDDA
Denk an die Königin Kleopatra,
Sie setzte eine Schlange an den Busen
Und nahm sich selber so das schlimme Leben.
Denk an den Philosophen Seneca,
Er tötete sich selbst voll Seelenruhe.
Und was ich in der Jugend so geliebt,
Die Leiden Werthers, denke auch daran,
Wie Werther auch das Leben dir zu nehmen.
Der Selbstmord ist allein ein schöner Tod,
Denn da beweist sich eines Menschen Freiheit.
Ob er geboren werden will, das fragte
Ihn keiner, nein, man brachte ihn zur Welt,
Ob er auch lieber nicht geworden wäre,
Doch ob er sterben will, entscheide er
Alleine, wann und wie er sterben will.
GOTTLIEB
Ja, wie denn, durch Erhängen mit dem Strick,
Wie weiland der Verräter Judas tat?
HEDDA
Nein, nimm mein Messer. Hier geschrieben steht
Mein Mädchenname: Hedda Heidena.
GOTTLIEB
So sterbe ich, weil ich zu sehr geliebt.


FÜNFZEHNTE SZENE


HEDDA
Nun brenne, brenne, Gottliebs Manuskript!
Nun brenne, Gottliebs Kind und Sonjas Kind!
Ja, Sonjas Kind verbrenne ich zu Asche!
JÖRGEN
Sag, Satansbraten, was verbrennst du da?
HEDDA
Zu Asche ich verbrenne Gottliebs Epos
An Sankt Urania, gewidmet Sonja.
JÖRGEN
Und warum, Braut des Teufels, tust du das?
HEDDA
Mit diesem Epos würde Gottlieb Adler
Berühmt als größter Dichter Deutschlands werden.
Und Deutschland wäre wieder Griechenland.
Ich will jedoch, dass einzig Jörgen Stark
Gelesen wird von allen Kindern Deutschlands.
Und Deutschland wird das Reich der Katzengöttin.
JÖRGEN
Für meinen Ruhm bist du besorgt? Geliebte!
HEDDA
Wenn du erst ein Erfolgsautor geworden,
Dann werden Germanistikprofessoren
Und auch Studentinnen der Germanistik
Nachforschen, wer die Frau an deiner Seite.
JÖRGEN
Ja, hinter jedem großen Manne steht
Ein Musenweibchen, das ihn inspirierte.
HEDDA
Wenn du den Preis der Schiller-Stiftung kriegst,
Dann wirst du Geld bekommen, lieber Mann.
JÖRGEN
Des Gelds Geschlechtsteil ist erotisch, Weib.
HEDDA
Dann mit dem Geld erfüll ich meine Träume.
Du wirst mir dann ein schönes Landhaus kaufen
Und kaufen mir ein Pferd, reinrassig, edel.
Ich werde nur die schönsten Kleider tragen
Und Schmuck von Silber, Gold und Edelsteinen
Und Schuhe aus dem Leder von Delphinen.
JÖRGEN
Für diese Eitelkeit verbranntest du
Das größte Epos eines deutschen Dichters?
O Eitelkeit der Eitelkeiten, Weib!
HEDDA
Ja, kann denn ein Autor in Deutschland sein,
Wenn Gottlieb Adler deutscher Dichter ist?
Ich bin doch deine Muse, Jörgen Stark.
Und mehr als Muse noch, die Ehefrau,
Die sich um den Erfolg zu kümmern hat.
Dein Geld ist meins. Dies Feuer ist für dich!


SECHSZEHNTE SZENE


BENONI
Nun, Hedda Heidena, ist Gottlieb Adler
Gefahren in die Hölle, in den Himmel.
Das Messer fand ich in dem Leichnam stecken,
Dein Mädchenname steht auf diesem Messer.
HEDDA
Was willst du sagen mir damit, Benoni?
Dass etwa ich sei schuld an seinem Tod?
BENONI
Ich hab das Messer ja an mich genommen,
Dass es die Polizei nicht findet, Schönste.
HEDDA
Du nennst mich Schönste? Schaust so lüstern drein?
BENONI
Wenn ich das Messer geb der Polizei,
So wirst du sicher angeklagt, Geliebte.
HEDDA
Dann gib das Messer nicht der Polizei.
BENONI
Aus Liebe will ich dir zu Willen sein,
Wenn du aus Liebe mir zu Willen bist.
HEDDA
Ich dir zu Willen sein, wie meinst du das?
BENONI
Ja, weißt du nicht, dass ich dich sehr begehre?
Ich werde vorm Gefängnis dich bewahren,
Wenn du mir deine Liebe schenkst, Geliebte.
HEDDA
Ich lieb dich nicht, du Winkeladvokat!
BENONI
Nun, solche Liebe mein ich nicht, romantisch
Musst du mich auch nicht lieben, o Begehrte,
Doch schenke mir die Reize deines Körpers!
HEDDA
Und wenn ich meine Reize dir geschenkt,
Verrätst du dann mich an die Polizei?
BENONI
Nein, Gott verdamm mich in die tiefste Hölle,
Wenn ich nur Einmal mit dir schlafen darf!
HEDDA
Ich bin geschmeichelt, Winkeladvokat,
Für mich du opferst auf dein Seelenheil
Und wirfst dich Satan in die Arme, nur
Für Eine Liebesnacht mit der Begehrten?
Ich bin geschmeichelt! Doch ich sage: Nein!
BENONI
Das Messer aber ist verräterisch!
Was ist denn schon dabei? Doch nur der Körper,
Doch nur den unbeseelten Körper will ich,
Dein Herz ist mir egal, ich will dein Fleisch!
Entscheide dich: Gefängnis oder Bett?


SIEBZEHNTE SZENE


HEDDA
Wie ekelt mich das Erdenleben an!
Nun Gottlieb Adler hat sich selbst ermordet,
Nun sehe ich, wie billig ist dies Leben,
Man wirft es weg aus nichts als Liebeskummer!
Was für ein Schwächling dieser große Dichter!
Jetzt bleibt nur noch die arme Kreatur,
Mein Mann, der Herr Pantoffel-Patriarch!
Was sind das doch für Elendskreaturen!
Ich glaube gar, von einem bösen Willen
Sind wir geworfen in die Welt aus Schein.
Erlösung – doch nicht christliche Erlösung
Mit der persönlichen Unsterblichkeit
Und glücklichem Genießen in den Himmeln,
Das such ich nicht, doch die Erlösung such ich,
Die im Erlöschen meiner Seele liegt!
Den Ego-Tod in alle Ewigkeit
Begehre ich und traumlos schlafen will ich
Und mich versenken in das Nichts, die Leere,
Verlöschen in dem Ungewordensein,
Als wär ich nie geboren, nie geworden!
Denn besser als die Menschen, die noch leben,
Viel besser haben es die Toten doch,
Und besser als die Toten, die einst lebten,
Viel besser geht es doch den Ungewordnen!
Die Seele, welche nie erschaffen wurde,
Die Seele preise ich allein glückselig!
Wenn ich mir jetzt das dumme Leben nehme,
Dann nicht, um Gottliebs Seele zu begegnen
In einem Paradiesesgarten droben
Hoch über allen Galaxien, sondern
Ich will mich ungeschehen machen, will
Zum Schöpfer sagen: Hättest du doch nicht
Geschaffen meine Seele, denn ich bat
Dich nicht darum, mein Schöpfer, mich zu schaffen!
Wer gab dir denn das Recht dazu, mein Schöpfer,
Ein Wesen zu erschaffen, das nicht will
Erschaffen sein, das ungeworden bleiben
Im Nichts und in der Leere will und nie
Die Schöpfung sehen, die ein böser Gott
Geschaffen hat. Ach, wäre auch die Schöpfung
Des Universums nie erschaffen worden!
Wenn Gott vor aller Ewigkeit glückselig
In seiner liebenden Dreifaltigkeit
Gewesen ist, warum hat Gott als Schöpfer
Die böse Welt aus namenlosen Leiden
Geschaffen und der Seele Nichtigkeit
Gehaucht, aus Nichts, im Leeren zu verlöschen?
Nein, Schöpfergott, ich sage Nein zu dir!

(Sie schneidet sich die Pulsadern auf und verblutet.)


ACHTZEHNTE SZENE

SONJA
Ach Jörgen, ich hab das Notizbuch doch
Von Gottlieb Adler noch, dem Genius,
Germanischem Propheten der Idee,
Und darin stehen weite Teile schon
Des Epos von Urania geschrieben
In klassischen Hexametern und Teile
In Prosa auch, die doch poetisch ist.
JÖRGEN
So wollen du und ich, geliebte Sonja,
Rekonstruieren die Urania,
Posthum veröffentlichen dieses Epos,
Auf dass der Name Gottlieb Adlers strahle
So wie das Sternbild Adler an dem Himmel.
Ich habe ein Gedicht geschrieben auf
Den Tod von Hedda und von Gottlieb, weißt du.
SONJA
So rezitiere dein Gedicht, mein Jörgen.
JÖRGEN
Ich schaute eine Seele, die war rein,
War rein wie eines Kindes Seele, nein,
War rein wie eines Engels Seele, siehe,
Ich sah sie schweben in der Morgenfrühe
Zu einem Diamanten auf, darin
Ein Auge war, lebendig war der Sinn
Des Auges, und die Seele sah hinein
Und dachte voller tiefem Grauen: Nein,
Ich tat noch niemals Gutes auf der Erde,
Verdammt ich sicher in das Feuer werde,
Ach würde doch ich von dem Feuer besser!
Ein Schmerz durchfährt mich, wie von einem Messer,
Als schnitt ein Messer scharf durch meinen Arm,
Ich stehe ganz im Feuer, Gott erbarm!
Als Gott sie um Erbarmen bat, da kam
Ein Lichtstrahl, der die Sicht ihr ganz benahm,
Vom Lichtstrahl stand die Seele ganz geblendet,
War all ihr Leid mit einemmal beendet,
In Ohnmacht ist die Seele da gefallen
Und ruht nun selig in des Himmels Hallen.
SONJA
Sehr schön, mein Jörgen Stark, du bist ein Dichter,
Du wirst das Lebenswerk von Gottlieb Adler
Vollenden nach dem Tod des Genius
Und Ruhm ihm schaffen in den deutschen Landen
Und ganz Europa und der ganzen Welt.
Ich aber werde bei dem Mahl des Herrn
Für seine Seele in dem Fegefeuer
Gebete opfern und die Hostie opfern,

Auf dass er bald gelangt ins Paradies!