Ein Drama von Josef Maria Mayer
ERSTER AKT
ERSTE SZENE
(Mutter Bea und ihre vierzehnjährige Tochter
Eske in der Küche.)
MUTTER BEA
Was hast du dir gekauft
für deinen Urlaub?
ESKE
Hier, liebe Mama,
siehe: den Bikini!
MUTTER BEA
Nein, Flittchen, nein,
den ziehst du mir nicht an!
ESKE
Meinst du, ich könnte
mich nicht zeigen so?
MUTTER BEA
Ich will nicht, dass
die Männer dich begehren!
Du bist zu jung noch
für das Liebesspiel,
Du bist ja noch ein
Kind und keine Frau.
ESKE
Doch meine Brüste sind
schon rund und fest.
MUTTER BEA
Als die französische
Armee dereinst
Die Bombe explodieren
ließ in dem
Atoll, das man Bikini
nennt, da fand
In Frankreich eine
Mode-Messe statt,
Man stellte erstmals
den Bikini vor
Und nannte ihn nach dem
Atoll der Südsee,
Wo grad die böse Bombe
explodierte.
ESKE
Das ist mir ganz egal.
Ich will ihn tragen.
Ich muss doch meinen
Körper nicht verstecken!
MUTTER BEA
Wenn Männer deinen
Körper nur begehren
Und dich benutzen als
ihr Lustobjekt,
Dann werden sie auch
mit dir schlafen wollen
Und werden dich danach
verlassen, dann
Sitzt du allein mit dem
zerrissnen Herzen.
ESKE
Ich will doch mit den
Männern gar nicht schlafen.
Ich will den Körper
nur der Sonne zeigen.
MUTTER BEA
Ja, Frankreichs Sonne!
Da ist Lüsternheit.
Ich will nicht prüde
sein, mein liebes Fräulein,
Doch nackt gehst du mir
nicht in Frankreich um!
ESKE
Die andern Jugendlichen
lachen mich
Doch aus, wenn ich wie
eine Alte gehe
Und gar nichts zeig von
meinen Jugendreizen.
MUTTER BEA
Ihr jungen Mädchen,
reizt mit euren Reizen
Und schickt erotische
Signale aus
Und wollt doch gar
nichts von den Männern! Das
Laß ich nicht zu.
Nein, weg mit dem Bikini!
ZWEITE SZENE
(Zwei achtzehnjährige Gymnasiasten, Dodo und
Erich, in Dodos unaufgeräumtem Zimmer.)
DODO
Was willst du in der
Zukunft einmal werden?
ERICH
Ich werde sicher einmal
Comics zeichnen.
Ich habe einen Comic
schon gezeichnet,
Faust, der Tragödie
Ersten Teil, bebildert.
DODO
Was weißt du von der
Sexualität?
ERICH
Ich bin ja immerdar
verliebt, verliebt,
Ich glaube gar, ich bin
der Don Juan,
Der Don Juan des steten
Liebeskummers!
DODO
Ja, ja, ein junges
Mädchen auf dem Fahrrad
Ist wie ein Cherub auf
dem Rad des Thrones!
Wenn aber ich ein junges Mädchen seh,
Wenn aber ich ein junges Mädchen seh,
Dann denk ich: Werde
einmal fünfzig Jahre,
Dann ist auch deine
Schönheit all dahin.
ERICH
Wenn einmal mich ein
Mädchen käm besuchen
Und wollt mit mir in
einem Bette schlafen,
Ich stieße sicherlich
sie nicht zurück.
DODO
Was aber weißt du von
der Liebeskunst?
ERICH
Bei uns zuhause spricht
man nicht davon.
DODO
Ich hab die ganze
Liebeskunst studiert,
Ich habe Lehrgedichte
schon geschrieben,
Was sagt das Kamasutra
von der Liebe
Und andre Liebesbücher
Hindostans
Und schrieb auch über
Liebes-Taoismus.
ERICH
Ja, darf ich das denn
alles einmal lesen?
DODO
Es sollen dies die
Leute niemals lesen,
Ich hab es ganz allein
für mich geschrieben.
ERICH
Doch bitte gib es mir
zu lesen einmal.
DODO
Und Liebe und
Verantwortung? Das auch?
ERICH
Verantwortung? Dass
Liebe Arbeit ist?
DODO
Dass Liebe kein Gefühl
allein, dass Liebe
Entscheidung ist, die
trifft der Menschen Wille.
ERICH
Ich bin kein Esel, der
nur Lasten schleppt!
Ich bin ein
Schmetterling, der flattert lustig
Von Blumenkelch zu
Blumenkelch, Seim naschend.
DRITTE SZENE
(Eske und ihre vierzehnjährige Mitschülerinnen
Maria und Andrea auf dem Schulhof. Alle sind sehr hübsch.)
ESKE
Wie denn gefallen euch
die ältern Jungens,
Die mit dem Dodo sind
in einer Klasse?
MARIA
Dein Dodo, ja, das ist
ein lieber Mensch.
Der Erich scheint mir
etwas schizophren,
Ich glaube, er raucht
Haschisch in der Pfeife,
Der endet einmal in dem
Irrenhaus.
ANDREA
Der Dodo ist ja
wirklich sehr charmant.
Der Volker, der ist
nüchtern, realistisch,
Er denkt so ganz wie
eine Zählmaschine.
MARIA
Der Werner macht mir
nichts als Langeweile.
Der Thomas aber ist ein
rechter Dummkopf.
ESKE
Der Dodo, wie er mich
doch immer anschaut!
MARIA
Der schaut doch allen
jungen Mädchen nach.
ANDREA
Mir hat er auch gesagt,
wie schön ich bin.
ESKE
Mein Vater redet übel
von dem Dodo,
Stiefvater sagt, er sei
ein schlimmer Finger.
ANDREA
Ach, Väter, Väter!
Wenn du wüsstest, Eske!
Mein Vater haut mich
immer auf den Hintern!
ESKE
Wie ist denn das? Tut
das so richtig weh?
ANDREA
Es ist so ähnlich wie
das Kinderkriegen.
ESKE
Ja, meine Schwester
Fanny hat ein Kind.
Ich weiß nicht, wie
sie so dazu gekommen.
Wie ist das wohl, das
Kindermachen? Schön?
MARIA
Nun, meine Mutter sagt,
die Kinder macht
Der liebe Gott den
Eltern zum Geschenk.
ESKE
Man hat mir doch noch
nichts davon erzählt,
Wie es so zugeht bei
dem Kindermachen.
Ich möchte auch wohl
so ein kleines Püppchen,
Doch jetzt noch nicht,
erst wenn ich älter bin.
ANDREA
Lass du dir nur kein
kleines Püppchen machen,
Denn dann ist es vorbei
mit Spaß und Party.
ESKE
Ich seh’s bei Fanny,
die hat nichts als Sorge,
Sie kriegt ja fast
schon graues Haar vor Sorge.
VIERTE SZENE
(Dodo, Erich, Volker, Werner und Thomas auf dem
Schulhof des Gymnasiums in der Raucherecke.)
VOLKER
Genosse Erich, wirst du
nicht versetzt?
THOMAS
Musst du dann mit den
Kleinen weiter lernen?
DODO
Wer wahrhaft Freund ist
seinem Freunde, der
Bleibt guter Freund
auch dem, der sitzen blieb.
ERICH
Ha! Zwar ich dachte,
ich werd nicht versetzt,
Muss zu den Bübchen
eine Klasse tiefer.
THOMAS
Da sind doch auch
besonders schöne Mädchen.
ERICH
Mir schien, dass ich
den wenigen Verstand
Vernichtet hab mit
meiner Haschischpfeife.
DODO
Wahrnehmung soll doch
so erweitert werden.
ERICH
Ich schlich mich aber
in das Lehrerzimmer
Und schaute in den
Schrank von Sauerland,
Der ja mein Tutor ist,
nach meinem Zeugnis.
DODO
Der strenge Sauerland,
der Maoist?
ERICH
Ich sage euch, er wird
mich doch versetzen!
THOMAS
Ich bin enttäuscht,
mein Lieber, alter Schwede,
Ich dachte, dass du es
den Lehrern zeigst,
Wir sehr wir spucken
auf den Unterricht!
WERNER
Du warst doch immer
unser aller Vorbild,
Weil du gezeigt, es
gibt was Wesentliches,
Was nicht gelehrt wird
in der dummen Schule.
VOLKER
Ja, du hast vorgelebt,
dass diese Schule
Ist keine Lebensschule,
sondern Zwang,
Den gern abschüttelt,
wer es irgend kann.
THOMAS
Ich dachte, wird der
Erich nicht versetzt,
Dann geht er sicher von
der Schule ab
Und tingelt als
Zigeuner durch Europa.
DODO
Jetzt wirst du doch
versetzt, mein lieber Freund,
Im nächsten Schuljahr
lehrt uns Frauenknecht
Macbeth, ich schwöre,
das gefällt uns beiden.
ERICH
Ich bleib euch noch
erhalten, Weggefährten.
DODO
Macbeth und seine Lady
– sieh, wir kommen!
FÜNFTE SZENE
(Ein kleines Wäldchen. Eske sucht abseits des
Weges Pilze. Dodo kommt auf seinem Fahrrad vorbei, hält an und tritt
zu Eske.)
DODO
Na, schöne Eske,
Jungfrau Morgenröte,
Was machst du hier im
dunklen Wald allein?
ESKE
Ich suche Pilze für
der Mutter Küche.
DODO
Für ein Omelett mit
Eiern und mit Pilzen?
ESKE
Wir braten uns die
Pilze in der Pfanne.
DODO
Schau dort, ein
Eichhorn! Weißt du, süße Eske,
Das Eichhorn gräbt die
Tannenzapfen ein
Und spart sie so als
Wintervorrat auf,
Im Winter hat es aber
dann vergessen,
Wo es die Tannenzapfen
hat vergraben.
ESKE
Die beiden dort, die
streiten sich ums Weibchen!
DODO
Die evangelische
Konfirmation
Hast du mit vierzehn
Jahren jüngst erfahren?
ESKE
Ja, das war schön, ein
weißes Fladenbrot
Und eine Schale voll
von roten Trauben.
DODO
Was macht denn die
Andrea, diese Schlanke?
ESKE
Ach, die kriegt Schläge
ja auf ihren Hintern
Von ihrem Vater, diesem
reichen Mann.
Schlag mir doch auch
einmal auf meinen Hintern!
DODO
Ganz wie du willst! Nur
einen leichten Klapps!
ESKE
Das war ein leichter
Klapps? Das war ja Streicheln!
DODO
Nun gut, dann schlag
ich etwas fester zu.
ESKE
Das hab ich schon
gespürt, das war ein Schlag.
DODO
Nun hab ich Lust
bekommen, deinen Hintern
Zu schlagen, doch jetzt
schlag ich richtig zu!
ESKE
Nein, nicht so doll!
Das tut ja richtig weh!
DODO
Soll ich dir auch noch
in den Hintern treten?
ESKE
Ach Dodo, bitte, sei
nicht so brutal!
DODO
Nun bin ich vor mir
selbst erschrocken, Eske,
Daß ich so grausam
sein kann, so brutal!
Komm, lass mich deinen schönen Hintern streicheln!
Komm, lass mich deinen schönen Hintern streicheln!
ZWEITER AKT
ERSTE SZENE
(Dodo und Erich in Dodos unaufgeräumtem Zimmer.
Sie hören Blues-Musik und rauchen.)
ERICH
Es gibt so viel zu tun
in dieser Welt,
Und wer nichts leistet,
der ist auch nichts wert.
Den Wert des Menschen,
den bemisst man heut
Am Gelde, das er sich
erworben hat.
Es ist ein solcher
Druck in unsrer Schule,
Daß ich die Leistung
nicht erbringen kann.
DODO
Du klingst bedrückt,
ja, ziemlich depressiv.
ERICH
Mir geht durch meine
Seele ein Gedicht:
Nur Angst über Angst!
Nur Not über Not!
Nur Dunkel über
Dunkel!
Nur Schimmel über
Schimmel!
Nur Grab über Grab!
Nur Tod über Tod!
DODO
Muss ich mir Sorgen
machen über dich?
ERICH
Die Sorgen doch
verlängern nicht mein Leben.
(Dodos Mutter kommt herein mit Tee und Keksen für
die beiden.)
DODOS MUTTER
Was liegt da für ein
Buch auf deinem Tisch?
Faust, der Tragödie
erster Teil, von Goethe?
So etwas liest du
schon? Mein lieber Sohn,
Du bist zu klug, dein
Köpfchen ist zu voll,
So etwas hast du nicht
von deinem Vater.
ERICH
Dank, liebe Frau, für
Kekse und für Tee.
DODO
Ja, lass uns wieder
jetzt alleine, Mutter.
(Die Mutter ab.)
ERICH
Bei meiner Mutter gibt
es immer Fleisch
Und sie begreift nicht,
dass ich Fleisch nicht mag.
DODO
Lass uns zusammen
spielen einen Blues.
(Sie nehmen Gitarre und Mundharmonika und spielen
und singen den Blues-Song: Nobody knows you when you are down and
out!)
ZWEITE SZENE
(Mutter Bea und ihre Tochter Eske in der Küche.)
MUTTER BEA
Nun, Eske, Fanny hat
ein Kind gekriegt,
Und Fanny ist doch grad
erst achtzehn Jahr.
Sei klug, mein Kind,
und mach es ihr nicht nach.
ESKE
Wie kam denn Fanny zu
dem Kinde, Mutter?
MUTTER BEA
Vor einem Jahr saß
Fanny auf dem Zimmer
Und Marius, der freche
Nachbarsjunge,
Besuchte Fanny. Und ich
hörte was,
Da dachte ich, ich guck
mal lieber nach,
Da lagen beide nackt in
Fannys Bett.
Ich sagte: Ja, was
macht denn ihr da beide?
Da sagte Marius: Wir
vögeln eben!
ESKE
Was heißt das und was
ist das, Vögeln, Mutter?
MUTTER BEA
So spricht man nicht!
Sie machten eben Liebe.
ESKE
Wie macht ein Mädchen
Liebe mit dem Freund?
MUTTER BEA
Nicht mit dem Freund
von nebenan mal so,
Als ob man eben ein
Glas Wasser trinkt,
Es muss schon wirklich
Liebe dabei sein.
ESKE
Wenn ich verliebt bin,
ist das dann schon Liebe?
MUTTER BEA
Nein, Liebe ist nicht
nur so ein Gefühl,
Ist nicht wie
Schmetterlinge in dem Bauch.
Verrückt im Frühling
spielen die Hormone
Und dann befallen sie
sich wie die Tiere,
Aus bloßem
Gattungstrieb. Das ist nicht Liebe.
ESKE
Wer sagt denn, dass die
Liebe dauernd bleibt?
MUTTER BEA
Drum lerne deinen
Freund zuerst gut kennen
Und warte noch, bis du
dich hingibst ganz.
Du sollst erst wissen,
dass er auch der Rechte,
Daß er dich wirklich
liebt, nicht nur begehrt.
ESKE
Wenn er mich liebt,
wird er mich ewig lieben?
MUTTER BEA
Er soll dir seine Treue
ja versprechen,
In guten und in
schlechten Zeiten soll
Er ehren dich und
lieben dich von Herzen.
ESKE
Doch wüsst ich gern
auch, ob die Liebe schön ist,
Wenn so ein lieber Mann
ein Mädchen liebt.
MUTTER BEA
Da denkst du doch nicht
schon an wen bestimmtes?
ESKE
Der Dodo sieht mich
immer zärtlich an.
DRITTE SZENE
(Werner kommt aus der Schul-Toilette, in seiner
Hand die Venus von Urbino als Gemälde-Postkarte.)
WERNER
Nein, Venus, das ist
nicht die wahre Liebe!
Dich zu begehren, das
ist Leidenschaft,
Da ich genieße deinen
nackten Leib.
Die Ich-Sucht bloßer
Selbstbefriedigung
Ist das und keine
Liebesganzhingabe.
Ich träume bloß in
meiner Phantasie,
Daß ich die
Liebesgöttin selbst beschlafe
Und habe Lust und gebe
mich nicht hin
Und schenke keinem
Menschen meine Liebe
Und liebe meine
Phantasie allein
Und bleibe einsam in
dem Selbstgenuß
Und bleibe doch nach
dem Erguß des Feuers
Wie eine öde Wüste
leer zurück.
Ich bin enttäuscht von
dir, du nackte Venus,
Denn zwar du reizest
die Begierde an
Und gaukelst die
Befriedigung mir vor,
Doch fühl ich mich so
schal und abgeschmackt,
Als ob ich selber mich
betrogen hätte.
Adieu, du große
Liebesgöttin Venus,
Ich fall auf deinen
Trug nicht mehr herein!
Dies Götzenbild der
Selbstbefriedigung
Und der Entleerung und
der Seelenödnis
Verbrenne ich! Ich
zünde dich jetzt an!
Nie mehr verehre ich
die nackte Venus!
Ich dien nicht mehr der
Göttin des Bordells!
(Er verbrennt das Bild der Venus.)
Ach, wohin nur mit all
dem Lebenstrieb?
Das Schicksal schenke
bald mir eine Freundin!
Es ist in mir ein
großer Liebestrieb
Und was ich heut
umsonst verschüttet habe,
Das hätte wohl
Prinzessinnen beglückt!
Nun, irgendwo hab ich
gelesen jüngst,
Daß intellektuelles
Forschen stillt
Den heißen Trieb des
liebenden Verlangens.
So will ich
Wirtschaftswissenschaft studieren,
Will das Gesetz des
Kapitals studieren,
Der Zahlen Nüchternheit
gibt mir den Frieden.
Wer an Profit und an
Rendite denkt,
Hat keine Zeit, an
Brüste viel zu denken.
Die Wirtschaft
interessiert mich, was auch werde,
Ob ich einst in die
Wirtschaft selber gehe,
Das weiß ich nicht,
doch ökonomisch denken
Erlöst mich von der
Übermacht der Venus.
VIERTE SZENE
(Eske und Dodo auf einem Heuboden. Sie ziehen sich
wieder an.)
ESKE
Wenn meine Mutter das
erfährt, Geliebter,
Dass wir ein Liebesnest
uns hier bereitet!
DODO
Ich hab den Leib der
Göttin Morgenröte
Erkannt, in
Wirklichkeit und nicht im Traum!
ESKE
Du hast dir so viel
Zeit gelassen, Lieber!
DODO
Mir ist, als hätte ich
dein Fleisch gegessen,
Mir ist, als hätte ich
dein Blut getrunken.
ESKE
Ich bin zufrieden,
Lieber, bin ganz still.
DODO
Und ich, Geliebte, hab
schon wieder Lust.
ESKE
Jetzt muss ich los,
muss Hausaufgaben machen.
DODO
Und keine künstliche
Verhütung, nein!
Ich will dich nicht mit
einem Handschuh streicheln.
ESKE
O die Natur! Die Liebe
und das Heu!
Ich riech dich noch auf
aller meiner Haut.
DODO
Du duftest gut, nach
Liebe und nach Heu.
ESKE
Doch meine Mutter darf
es nicht erfahren,
Sie warnt mich immer
vor der Männerliebe.
DODO
Beim Vögeln sind wir
frei wie Vögel, Liebste,
Kein Alter darf uns da
den Flug verwehren.
ESKE
Wie Vögel sind
geflogen wir im Himmel.
DODO
Ich hatte auf dem
Höhepunkt Gesichte
Von einem Erdbeergarten
in dem Himmel.
ESKE
Das machen wir noch
einmal, mein Geliebter,
Gleich morgen treffen
wir uns wieder hier
Und lieben uns im Heu
und jeden Tag.
DODO
Die Alten denken immer
an den Ernst
Des Lebens, ihnen ist
die Liebe Arbeit,
Nur in der Jugend ist
die Liebe Spiel
Und Heiterkeit und
köstlicher Genuß.
ESKE
Ja, lustig ist das
Leben und die Liebe.
DODO
Und alle Lust will
tiefe Ewigkeit!
FÜNFTE SZENE
(Dodos Mutter namens Frau Bargeld sitzt in einer
blitzblanken Küche und liest einen Brief.)
DODOS MUTTER
Was hat der gute Erich
mir geschrieben?
„Frau Bargeld, Sie
allein sind meine Hoffnung!
Zwei Möglichkeiten
gibt es für mich nur,
Die eine Möglichkeit
ist eine Reise
Nach Kuba, um im
Paradies zu leben
Bei Rum aus Zuckerrohr
und bei Zigarren,
Doch dazu brauch ich
tausend deutsche Mark.
Frau Bargeld, geben Sie
mir bitte doch
Für meine Freiheit
tausend deutsche Mark.
Die andre Möglichkeit
– Sie fragen sich?
Ich habe mir ein Messer
schon gekauft,
An seinem Schaft sind
Perlenmutterplättchen,
Der Stahl ist deutscher
Stahl aus Solingen.
Was will ich mit dem
Messer? Mich ermorden!
Ich las ein Gleichnis
von Gautama Buddha:
Es war ein Mensch, der war schon sehr erleuchtet,
Es war ein Mensch, der war schon sehr erleuchtet,
Der hatte sechs
Erleuchtungen bereits
Und wollte nun die
siebente Erleuchtung
Und darum wollte er
sich selbst ermorden,
Um frei zu werden von
der Werdelust!
Da kam der Teufel zu
dem Heiligen
Und sagte: Frommer,
bring dich ja nicht um!
Das liebe Leben ist voll Leidenschaft
Das liebe Leben ist voll Leidenschaft
Und lustig ist das
Dasein in der Welt!
Gautama Buddha dies von
fern erkannte
Und bannte fern den
Teufel von dem Frommen
Und der ermordete sich
selbst und sank
Wie eine Träne in den
Ozean.
Kurzum, ich bin
entschlossen, mich zu töten,
Frau Bargeld, geben Sie
mir nicht das Geld,
Auf dass ich reisen
kann ins Paradies.
Ich bleibe, Gnädigste,
Ihr Erich Schneider.“
(Dodos Mutter legt den Brief beiseite, nimmt ein
Blatt Papier und einen Kugelschreiber und schreibt das
Antwortschreiben.)
DODOS MUTTER
Du guter Erich, bring
dich ja nicht um!
Zwar kann ich dir nicht
tausend deutsche Mark
So einfach schenken,
das verstehst du doch?
Bedenke: Nach dem Regen
kommt die Sonne!
So halte nur die Ohren steif und lebe!
So halte nur die Ohren steif und lebe!
Ich grüße dich, Frau
Bargeld, Dodos Mutter.
SECHSTE SZENE
(Abenddämmerung. In einem Park unter einer
Blutbuche sitzt Erich und spielt mit dem Messer.)
ERICH
Jetzt ist die Zeit, da
es zum Sterben geht.
Ich denke an ein Lied
aus meiner Kindheit.
(Er singt)
Tochter Zion, freue
dich!
Jauchze laut,
Jerusalem!
(Die siebzehnjährige Schönheit Julie kommt
vorbei, ganz das Modell einer Renaissance-Madonna.)
JULIE
Ach Erich, was machst
du denn hier im Park?
Was soll das Messer da
in deiner Hand?
ERICH
Ich hab die Lust
verloren an dem Leben.
JULIE
So komm doch mit in
meine Künstlerkreise.
Wir leben für die
Kunst, für die Musik,
Ich spiele Violine,
spiele Cello
Und singe auch. Dann
steh ich auch Modell
Bei einem jungen Maler.
Meine Eltern
Sind Musiker, wir
reisen durch die Welt
Und haben eine tiefe
Lebensfreude
Und freuen uns an allem
wahren Schönen!
ERICH
Du bist so schön, du
göttliche Julie!
JULIE
So kommst du morgen
also uns besuchen?
Vielleicht wir
musizieren dann zu zweit,
Ich weiß, du spielst
sehr schön die Blues-Gitarre
Und Mundharmonika und
auch Trompete.
Bis morgen also! Sei
nur, fröhlich, Erich!
(Julie ab.)
ERICH
Das war mein
Todesengel! O wie schön!
Wie schön und lieblich
bist du, Schwester Todin!
Doch dass ich muss zur
Unterwelt hinab
Und hab die Liebe einer
schönen Frau
Noch nicht genossen,
körperliche Liebe!
So komme, Nichts, du
Ozean der Leere!
(Er schneidet sich
die Pulsadern auf und verblutet.)
Ach Gott...
Ach Gott...
(Erich ist gestorben.)
DRITTER AKT
ERSTE SZENE
(Im Lehrerzimmer des Gymnasiums. Der konservative
Direktor, der maoistische Lehrer Sauerland und Frau Hansen, eine alte
dicke Frau mit Damenbart.)
DIREKTOR
Der Schüler Erich
Schneider ist gestorben,
Das ist ein Fleck der
Schande unsrer Schule.
Das humanistische
Gymnasium
Soll Schülern Glück
und Sinn des Lebens zeigen.
Wir haben hier in
diesem Fall versagt.
SAUERLAND
Wenn einer steht am
Rande eines Abgrunds,
So soll man geben ihm
noch einen Stoß.
DIREKTOR
Sie Maoist zitieren
Friedrich Nietzsche?
SAUERLAND
Der Erich war kein Held
im Klassenkampf!
Die Kommunisten haben
Disziplin,
Doch Erich war ein
fauler Anarchist,
Dazu von seinen Drogen
ruiniert.
FRAU HANSEN
Bei meinem Barte der
Prophetin sag ich,
Der Mensch soll Hammer
oder Amboss sein.
Wer leidet, der hat
dieses schon beschlossen,
Wer selbst sich liebt,
nur der wird glücklich sein.
DIREKTOR
Was aber sagen wir der
Elternschaft?
FRAU HANSEN
Sie sollen ihre Kinder
streng erziehen
Und schon zur Kindheit
die Askese lehren.
Wenn Kinder aber weißen
Zucker naschen
Und trinken Milch und
essen weißes Brot,
Dann werden sie
verwöhnte Gören werden.
SAUERLAND
Man soll den Vätern
sagen, dass sie nicht
Mit ihren kleinen
Kindern spielen sollen.
FRAU HANSEN
Nur wer ein hartes Herz
hat in der Welt,
Der kommt zum Ziel der
Selbstverwirklichung.
Wer aber depressiv im
Trübsinn hockt,
Verdient es auch, von
dieser Welt zu scheiden.
DIREKTOR
Wir brauchen hier ein
neues Christentum,
Wir brauchen Werte
wieder und Moral.
SAUERLAND
Nicht Religion! Nicht
Opium fürs Volk!
FRAU HANSEN
Wir brauchen Vegetarier
und Seelen,
Die Eine Weisheit in
der Welt erkannten:
Du lieb dich selbst und tu dann was du willst!
Du lieb dich selbst und tu dann was du willst!
ZWEITE SZENE
(Im Lehrerzimmer. Die bärtige Frau Hansen, alt
und dick, und der herbeizitierte Dodo.)
FRAU HANSEN
Du, Dodo, du warst
Erichs bester Freund,
Du hast ihn in den
Suizid getrieben!
DODO
Ich bin mir aber keiner
Schuld bewusst.
FRAU HANSEN
Du hast nicht nur an
diesem Leben Schuld,
Du hast auch am
vergangnen Leben Schuld!
DODO
Sie glauben an die
Reinkarnation?
FRAU HANSEN
Ich war vor vielen
tausend Jahren einst
Ägyptische Prinzessin,
dass du’s weißt!
DODO
Und Putzfrau bei Iwan
dem Schrecklichen?
FRAU HANSEN
Bei meinem Damenbarte
der Prophetin,
Du hast den Erich in
den Tod getrieben!
Das Beste wär, du
brächtest auch dich um!
DODO
Sie haben aber Haare
auf den Zähnen.
FRAU HANSEN
Du meinst wohl, eine
Frau soll lieblich sein,
Soll immer nett sein,
zauberhaft, charmant?
Ich will dich eines
Besseren belehren!
Ihr liebt die hübschen
Mädchen, feminine,
Ja, feminin die Mädchen
sollen sein,
Doch eine Frau, die
feministisch ist,
Die nennt ihr einen
alten Drachen dann!
DODO
Es gibt nur junge
Huren, alte Hexen.
FRAU HANSEN
Die alte Hexe zeigt dir
ihre Macht!
Ich werde dir in Werte
und Moral
Ein Zeugnis geben, dass
dein Vater staunt!
DODO
Was ich von Epikur
geschrieben habe,
Beruht auf seinen
eignen Schriften aber.
Sie können meine
Schrift nicht schlecht bewerten.
FRAU HANSEN
Der Volker Bürger
schrieb genau das selbe,
Die gleiche Punktzahl
habt ihr zwar erzielt,
Doch fühle ich in
meinem dicken Bauch,
Dass du verdienst die
allerletzte Note.
DODO
Kann ich jetzt gehen,
liebe Frau Prophetin?
FRAU HANSEN
Ja, geh nur, Dodo, fahr
du nur zum Mond!
DRITTE SZENE
(Erichs Begräbnis. Eltern, Lehrer und Schüler
stehen am offenen Grab und reden durcheinander.)
ELTERN
Ach Junge, Junge, schon
so früh gestorben –
Dass meinem Kinde das
nicht auch passiert –
Der Tod ist ungerecht,
das Leben heilig –
Was hat ihn zur
Verzweiflung nur getrieben –
Der Vater weint, die
Mutter ist verstört –
Wie kann man nur sein
Leben so vergeuden –
Die Jugend heute ist
doch all zu wild –
Zu meiner Zeit, da gab
es keinen Selbstmord –
Wir müssen beten für
die Arme Seele –
LEHRER
Wir haben ihm zu leben
beigebracht –
Auch Seneca erwählte
sich den Selbstmord –
Die Menschen sollen
doch das Diesseits lieben –
Die Jugend, Jugend,
wirft so schnell sich weg –
Und alles um ein
Mädchen, wie man sagt –
Sie haben keine
Disziplin mehr heute –
Dem fehlte das
Bewusstsein für die Pflicht –
Dem fehlte das
Bewusstsein für den Kampf –
SCHÜLER
Man kann sich ja an
einem Strick erhängen –
Erschießen kann man
sich mit der Pistole –
Auch stürzen kann man
sich von einem Hochhaus –
Auch Gift ist möglich
oder Schlaftabletten –
(Die Schüler lachen albern.)
Was gibt es morgen denn
in Religion? –
Wir reden morgen übers
Judentum –
Ich muss noch heute
Schillers Räuber lesen –
Und dann der Satz noch
von Pythagoras –
Und Thomas Mann im
Licht von Friedrich Nietzsche –
Ach Friedrich Nietzsche
war doch fast ein Nazi –
Und in Musik die
Kindertotenlieder
Von Gustav Mahler nach
dem Text von Rückert –
Wann gehen wir denn
endlich wieder schwimmen –
(Die Trauergesellschaft löst sich auf.)
DODO
(allein)
Du warest Er- und Ich,
mein Doppelgänger,
Nun gingst du in die
Finsternis des Jenseits,
Und meine Seele ist mit
dir gestorben
Und ich verliere den
Verstand – ah weh!
VIERTE SZENE
(Andrea, sechzehn Jahre, schwarze Haare, schwarzes
Kleid, anmutig schlank, und Julie, eine Modell-Schönheit mit roten
Fingernägeln und rotem Mund, braunhaarig, sehr schlank,
siebzehnjährig, stehen an Erichs Grab. Es sind schon Blumen
gepflanzt und ein Grabstein aufgestellt.)
ANDREA
Wer hat den armen Erich
denn gefunden?
JULIE
Ich habe ihn vor seinem
Tod gesehen,
Ich glaub, ich war die
Letzte, die ihn sah,
Gefunden hab ich ihn im
Morgengrauen.
ANDREA
Mit einem Messer hat er
sich ermordet?
JULIE
Ja, hier, mit diesem
Messer, das ich fand,
Es war ganz
blutverschmiert, ich habs gewaschen.
ANDREA
Oh bitte, Julie, gibst
du mir das Messer?
JULIE
Was willst denn du
gerade mit dem Messer?
ANDREA
Es soll mich immerdar
an ihn erinnern.
JULIE
Das geht nicht, nein,
das Messer bleibt bei mir.
Ich habe ihn als Letzte
ja gesehen
Und auch als Erste
Erich tot gesehen.
ANDREA
Ich hab noch nie
gesehen einen Toten.
JULIE
Ja, so ein Toter, der
ist gelb wie Wachs.
ANDREA
Hast du den toten Erich
noch geküsst?
JULIE
Nein, nein, das war mir
denn doch gar zu schaurig.
ANDREA
Auch war ja seine Seele
nicht mehr da.
JULIE
Wer weiß, vielleicht
gespenstert er ums Grab?
Ich möchte hier um
Mitternacht nicht sein.
ANDREA
Ich bete einen
Rosenkranz für ihn,
Daß seine Arme Seele
Frieden findet.
JULIE
Vielleicht wird er ja
noch einmal geboren?
ANDREA
Dass Gott verzeihn ihm
möge seinen Selbstmord,
Denn Suizid ist Sünde
vor dem Schöpfer.
FÜNFTE SZENE
(Dodo und seine Eltern, Herr und Frau Bargeld.)
HERR BARGELD
Du, Dodo, bist ja nur
ein Taugenichts!
Der Erich Schneider wär
geworden sicher
Versicherungsvertreter
oder Bankmann,
Wenn du ihn nicht so
ganz verdorben hättest!
DODO
Ich, Vater, werde
Gitarrist des Blues.
HERR BARGELD
Brotlose Künste! Und
von meinem Geld!
Nein, Dodo, du gehörst
ins Irrenhaus!
FRAU BARGELD
Der arme Junge! Der ins
Irrenhaus?
Mein Schatz, was sollen
da die Leute sagen!
Nun schimpf nicht so
mit deinem armen Jungen.
DODO
Ja, liebe Mutter, steh
mir nur zur Seite.
HERR BARGELD
Mein liebes Mädchen,
schau dir einmal an
Das Zimmer, drin der
arme Wilde haust.
FRAU BARGELD
Da hast du recht, mein
Liebling. Sag mal, Dodo,
Wann hast du mal dein
Zimmer aufgeräumt?
Sonst kommen noch die
Ratten in dein Zimmer!
DODO
Ich träum Alpträume
immer von den Ratten.
HERR BARGELD
Da haben wirs! Du
kommst ins Irrenhaus!
DODO
Nein, Vater, lass mir
meinen frohen Wahnsinn!
Ich rede mit den Bäumen
in dem Walde
Und sehe Göttinnen auf
allen Gassen.
FRAU BARGELD
So zwischen Himmelreich
und Erde schwebend,
Mein Junge, du gehörst
ins Irrenhaus.
DODO
Als David zu dem König
Achisch kam,
Da stellte David sich
meschugge, so
Dass ihm der Speichel
in den Bart gelaufen.
Da sprach der König
Achisch zu den Dienern:
Hab ich noch nicht genug Meschugge hier?
Hab ich noch nicht genug Meschugge hier?
HERR BARGELD
Ich selber fahre dich
mit meinem Wagen
Ins Irrenhaus und geb
dir Kleidung mit.
Wenn aber du dem
Irrenhaus entläufst,
Will ich nichts mehr
mit dir zu schaffen haben!
FRAU BARGELD
Ja, sei gehorsam nur
den Irrenärzten,
Ein Irrenarzt ist auch
ein Gott in Weiß.
SECHSTE SZENE
(Dodo im Irrenhaus. Andere Irre um ihn im
Raucherzimmer.)
ERSTER IRRER
Ich bin als Kind ja
schon zum Mond gefahren,
Das glaubt mir keiner,
aber es ist wahr.
Auch hab ich ein
Perpetuum Mobile
Erfunden, denn ich bin
ein Genius.
ZWEITER IRRER
Ich hatte eine
himmlische Vision:
Am Himmel sah ich einen roten Drachen
Am Himmel sah ich einen roten Drachen
Und sah daneben
leuchten auf ein Herz
Und in dem Herzen
steckten sieben Schwerter.
DRITTER IRRER
Ich habe keine Seele
mehr, denn weißt du,
Ich hatte eine Freundin
und die hatte
Im Hause eine schwarze
Katze, die
Befreundet war mit
einer unsichtbaren
Dämonen-Katze, die
mich angefallen
Und meine Seele mir
zerkratzte, da
Ist all mein Blut der
Seele ausgelaufen.
VIERTER IRRER
Die Pflegeschwester ist
sehr schön, ich frag mich,
Wenn ich in meiner
Phantasie berühre
Den nackten Leib der
schönen Pflegeschwester,
Ob sie sich dann wohl
vergewaltigt fühlt?
FÜNFTER IRRER
Kalinka, ach Kalinka,
ach Kalinka!
SECHSTER IRRER
Kennst du auch Sankt
Franziskus, der gepredigt
Den Vögeln? Er
verstand die Vogelsprache!
DODO
O heiliger Franziskus,
komm und hilf mir!
O führ mich in die
Freiheit wieder, Herr!
Franziskus, der die
Stigmata empfangen,
Seraphicus, du führ
mich in die Freiheit!
PFLEGESCHWESTER
(eintretend)
Herr Bargeld, wollen
Sie uns schon verlassen?
DODO
Der Arzt will mich
behalten, doch ich gehe.
PFLEGESCHWESTER
Herr Bargeld, gehen Sie
getrosten Mutes.
DODO
Sie müssen nur
bedenken, liebe Schwester,
Dass Narrenwärter
selbst auch Narren sind.
PFLEGESCHWESTER
Und bleiben Sie nicht
einsam, rat ich Ihnen.
DODO
Ich will in meinen Turm
von Elfenbein
Und nur mit mir und mit
den Göttern reden
Und anschaun die Ideen
in ihren Tänzen!
SIEBENTE SZENE
(Eske in ihrem Jungmädchenzimmer. Sie liegt im
Bett. Nur ein nackter weißer Arm langt aus dem Bett. Ihre Mutter Bea
kommt mit Kamillen-Tee.)
MUTTER BEA
Was hast du denn, mein
armes liebes Kind?
ESKE
Mir ist so übel, meine
liebe Mutter.
MUTTER BEA
Gleich kommt der Onkel
Doktor, liebes Kind.
(Der Hausarzt tritt ein.)
DOKTOR
Wie geht es meiner
kleinen schönen Eske?
ESKE
Mir ist so übel und
ich hab Gelüste.
DOKTOR
Gelüste, was denn für
Gelüste, Eske?
ESKE
Auf Gurkenscheiben,
dazu Schokolade.
DOKTOR
Und deine
Monatsblutung, wann war die?
ESKE
Ist diesen Monat nicht
gekommen, Doktor.
DOKTOR
Ja, dass du’s weißt,
mein Mädchen, du bist schwanger!
MUTTER BEA
Wie, du bist schwanger?
Ordinäre Hure!
Das Kind wird auf der
Stelle abgetrieben!
ESKE
Ach Mama, Mama, sag,
was soll ich tun?
MUTTER BEA
Herr Doktor, treiben
Sie das Baby ab!
Die Eske ist doch
selber noch ein Kind.
DOKTOR
Beim Eide des
Hippokrates, Frau Mutter,
Das Leben unsrer Eske
will ich retten.
Besorgen Sie sich den
Beratungsschein
Und gehen eilig dann
ins Krankenhaus.
MUTTER BEA
Sie sind ein
Lebensretter, lieber Doktor.
(Doktor ab.)
ESKE
So kurze Lust, so eine
schwere Folge!
MUTTER BEA
Wer war es denn, der
dir dies Kind gemacht?
ESKE
Nun, Dodo, als wir uns
im Heu geliebt.
ACHTE SZENE
(Nacht. Dodo allein auf dem Friedhof. Er steht an
Eskes Grab.)
DODO
Nun Eske auch bei der
Abtreibung starb,
Hab ich die Lust am
Leben ganz verloren!
Ich will zu Eske in das Fegefeuer!
Ich will zu Eske in das Fegefeuer!
Ich will zu Erich in
das Fegefeuer!
O Gott, ich bin des
Lebens überdrüssig!
Doch wer erscheint als
Geist auf diesem Friedhof?
Du Totengeist aus der
Vergangenheit,
Woher kommst du? Und
nenn mir deinen Namen!
GEIST
Ich bin der Geist des
abgeschiednen Erich.
Heut wird dich Gott mit
seinem Schwerte schlagen
Und keiner wird dich
finden und verbinden!
DODO
Ich habe noch dein
Messer, lieber Erich,
Ich hab es von der
göttlichen Julie!
GEIST
Ja, töte dich! Du
kannst ja Buße tun
Und Sühne leisten für
den Suizid
Im Fegefeuer deiner
Läuterung!
DODO
Ich wills! Zu Erich und
zu Eske jetzt!
(Ein Unbekannter erscheint.)
UNBEKANNTER
Du willst dich doch
nicht etwa selbst ermorden?
DODO
Ach, ich ertrag nicht
mehr die Daseins-Hölle!
UNBEKANNTER
Ich kenne dich, mein
lieber Bruder Dodo,
Ich sage dir, mein
Lieber: Du sollst leben!
Du bleib am Leben! Denn
du sollst erblühen
Wie eine weiße Lilie
auf dem Felde!
DODO
Wer sind Sie aber,
unbekannter Herr?
UNBEKANNTER
Wenn du nach meinem
Namen weiter fragst,
So sag ich dir, mein
Name ist: Das Leben!
(Unbekannter ab.)
DODO
So will ich leben und
um Eske trauern!
Ach, möge Eske mir zum Engel werden!
Ach, möge Eske mir zum Engel werden!
(Dodo verlässt den Friedhof.)