Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

DIE GEHEIMNISSE


Poem von Josef Maria Mayer


ERSTER GESANG


Bruder Markus ging alleine
In der Nacht auf dem Gebirge
Und er sah die volle Luna
Schwimmen durch die dunklen Wolken.

Und da standen Silberbuchen,
Drunter wuchsen Donnerdisteln,
Und des Nachts im weiten Weltraum
Drehte sich die Axis Mundi.

Und es war ein Liebesflüstern
In den dunkelgrünen Wäldern
Und es hauchte Liebesseufzer
Aus dem All die keusche Luna.

Bruder Markus ging am Stabe,
Ging an seinem Hirtenstabe,
An der Spitze seines Stabes
Schaukelte die Pilgermuschel.

Bruder Markus dachte, dachte,
Was der Sinn sei seiner Dichtkunst
Und er hörte einen Engel
Lehren von der frommen Dichtkunst:

Menschen leben sonst in Massen,
Gottlos leben Narrenhaufen,
Doch der Dichter ist persönlich
Schon zum wahren Selbst geworden.

Was der Bankmann mit dem Gelde,
Der Jurist mit dem Gesetz tut,
Das sind nur Notwendigkeiten,
Uns das Leben hier zu fristen.

Aber eines Dichters Träume,
Seine Schönheitsideale,
Seine Liebe und sein Leben
Zeigen uns den Sinn des Lebens.

Dichter sind Person geworden,
Individuen, besonders,
Nicht wie Bürger, wie Philister,
Sondern manchmal wie Verrückte!

Aber der verrückte Dichter
Gibt das Zeugnis seines Lebens
Als Prophet im eignen Lande,
Dem doch keiner lauschen möchte.

Und der Engel schwieg und Markus
Weiter ging durchs dichte Dunkel,
Aber in der Ferne Lichter
Leuchteten wie weiße Kerzen.

Näher trat der Wandrer, schaute
Eine heilige Kapelle.
Dieses Kloster auf dem Berge
War wie eine Burg aus Felsen.

Draußen vor dem Felsenkloster
War ein großer grüner Garten,
Eichen standen da und Buchen,
Apfelbäume, Pflaumenbäume.

Bruder Markus dabei dachte
An ein Heilungswunder Jesu,
Der den Blinden fast geheilt hat
Und der Blinde sah durch Nebel

Menschen gehen um wie Bäume,
Und der Blinde sprach zu Jesus:
Menschen sehe ich wie Bäume
Wandeln durch den grünen Garten.

Nämlich dort in Prozessionen
Bruder Markus schaute Knaben,
Allesamt in weißen Kleidern,
Kerzen in den Händen haltend,

Kleine Glöckchen klangen leise
Und ein Heiligtum erstrahlte
Lichter als die Doppel-Sonne
In des Weltraums fernen Weiten.

Und die Knaben zogen singend
Mit der weißen Sonnenscheibe
In dem Dunkel durch den Garten
Und es läuteten die Glöckchen.

Als der Knabenchor verschwunden
War im dunklen Burggemäuer,
Trat der fromme Bruder Markus
An die Pforte der Kapelle.

Montsalvat stand dort geschrieben,
Sei willkommen jeder Waller,
Jeder Pilger auf der Erde,
Pilgernd nach dem Himmelreiche.

Bruder Markus klopfte dreimal
An die Pforte, und ein Alter
Öffnete die Klosterpforte,
Ließ herein den Erdenwaller.


ZWEITER GESANG


Bruder Markus war im Kloster,
Droben in der Bergkapelle,
Und der Alte führte lächelnd
In den Saal ihn ein, den lichten.

An der Wand im Osten sichtbar
Ein Altargemälde, nämlich
War ein Kreuz zu sehen, aber
Nicht das nackte Kreuz alleine,

Sondern dieses Kreuz umschlungen
War von einer roten Rose.
Seid ihr Rosenkreuzer etwa?
Fragte Markus jenen Alten.

Und der Alte sagte leise:
Der Erlöser auf dem Blute
Hat ja eine Weggefährtin,
Miterlöserin ist jene.

Der Erlöser auf dem Blute
Wird symbolisiert im Kreuze,
Da sein Tod den Tod besiegte,
Da sein Blut die Sünden tilgte.

Miterlöserin genannt wird
Die geheimnisvolle Rose,
Denn sie ist zum Neuen Adam
Brautgenossin, Neue Eva.

Aber das ist ein Geheimnis,
Das nur wenige verstehen.
Doch wir haben junge Ritter,
Die sich weihten ganz der Rose,

Welche diese rote Rose
Miterlöserin anrufen
Als Erlöserin des Mannes
Durch den Dorn in ihrem Herzen.

Diese sind die Minneritter,
Die der roten Kreuzesrose
Leib und Seele gänzlich weihten
Und der Neuen Eva dienen.

Bruder Markus nickte wissend
Und er sprach: Bedürfen Ritter
Doch der höchsten Minnedame,
Die allein sie kann erlösen.

In der Mitte dieses Saales
War zu sehen eine Tafel,
War ein runder Tisch, war eine
Eingesetzte Tafelrunde.

An dem Tische standen Stühle,
Zwölf geschnitzte Ritterstühle
Und als dreizehnter ein Thronstuhl,
Der war größer als die andern.

Bruder Markus fragte leise
Nach der heimlichen Bedeutung
Dieser Stühle, die da standen,
Dieses Thronstuhls, der da glänzte.

Und der Alte sagte lächelnd:
Diese Stühle, diese zwölfe,
Die symbolisieren bildlich
Alle Religion der Menschheit.

Doch der dreizehnte, der Thronstuhl,
Der symbolisiert den Glauben,
Den Gehorsamsakt des Glaubens
Auf die Offenbarung Gottes.

Auf den Stühlen, auf den zwölfen,
Sitzen Ritter dieses Tempels.
Alle sollst du kennen lernen,
Ihren Glaubenslehren lauschen.

Alle wohnen um den Tempel
Rings verstreut in Einsiedleien,
Einen nach dem andern mögest
Du besuchen in der Hütte.

Alle haben Samenspuren,
Die die Weisheit weit verstreute,
Lausche ohne Vorurteile,
Schau die Samen an der Weisheit.

Doch der Dreizehnte der Stühle,
Voller Glorie dieser Thronstuhl,
Der gehört dem Einen Meister,
Alle andern sind Gesellen.

Diesen einen unsern Meister
Sollst du schließlich kennen lernen.
Und sein Name ist Humanus,
Leider krank ist unser Meister.

Leidend liegt der höchste Meister
Fast gelähmt im Krankenbette,
Doch er opfert seine Leiden
Zur Bekehrung aller Sünder.


DRITTER GESANG


Bruder Markus sprach zum Alten:
Wer ist jener Mann Humanus?
Du erzähle mir sein Leben,
So dass ich ihn kennen lerne.

Und der Alte sagte lächelnd:
Achtzig Jahre lang im Schoße
Seiner Mutter war er, wollte
Nicht geboren sein auf Erden.

Als die Mutter ihn geboren,
Waren seine Augenbrauen
Weiß vom Silberhaar der Weisheit,
Weise ist er schon geboren.

Als er war ein kleines Kindlein,
Sog so stark er an den Brüsten
Seiner Mutter, dass der Milchstrom
Spritzte weißlich an den Himmel.

Als er lag in seiner Wiege,
Nahten sich zwei lange Schlangen,
Wollten ihn erwürgen, aber
Er zerriss die Schlangen lachend.

Als er war ein kleiner Knabe,
Ging er auf dem Regenbogen
Froh spazieren mit den Freunden,
Abgestürzt sind seine Freunde.

Wenn er sah ein totes Hühnchen
In dem Garten seiner Mutter,
Auferweckte er das Hühnchen,
Er erweckte es vom Tode.

Modellierte er ein Täubchen
Aus dem Lehm der Mutter Erde,
Hauchte an das Täubchen tönern
Und es flatterte zum Himmel.

Einmal hat er gar erfunden
Eine schlichte Schildpattleier
Und erfunden auch die Flöte
Und er blies die Doppelflöte.

Sah er aber andre Knaben,
Die besessen von dem Dämon,
Mit dem Zeigefinger Gottes
Er befreite sich vom Dämon.

Als er war ein schöner Jüngling,
Hing neun Nächte er im Baume,
In dem Baum, den Kopf nach unten,
Bis er Vögel sprechen hörte.

Er verstand die Vogelsprache
Und er predigte den Vögeln.
Wenn er einen Fels betreten,
Bat den Fels er um Verzeihung.

Als ein junger Mann versammelt
Er die armen Straßenkinder
Um sich, jedem Arbeit gebend,
Auch erzog er sie im Glauben.

Und da traf er einen Knaben,
Der die Schrift nicht lesen konnte
Und nicht Lettern schreiben konnte,
Und er fragte: Was denn kannst du?

Und der Knabe sagte schüchtern:
Pfeifen kann ich wie ein Meister!
Sprach Humanus: Also pfeifst du
Alle Knaben mir zusammen.

Wenn Humanus ging alleine,
So ward immer er begleitet
Von dem grauen Straßenhunde,
Der ihm einmal zugelaufen.

Als er zählte dreißig Jahre,
Gründete er dieses Kloster,
Weihte es der Weisheit Gottes
Und dem Frieden, der Versöhnung.

Als gegründet er das Kloster
Und sich selber Gott geweiht hat,
Hat ihn Gott der Herr geschlagen
Und ein Teufel ihn geohrfeigt.

Und in seinem Fleische steckte
Ein geheimnisvoller Pfahl, das
War in seinem Todesleibe
Eine unerklärte Krankheit.

Dreimal bat er Gott den Höchsten,
Ihn vom Teufel zu befreien.
Doch der Herr ihn nicht erhörte,
Weiter ohrfeigt ihn der Teufel.

Doch er opfert seine Krankheit
Für das Seelenheil der Sünder,
Für das Glück der armen Seelen
Und zum Troste seiner Dame.


VIERTER GESANG


Vater ist sie nicht, die Gottheit,
Sondern Mutter aller Wesen,
Tao heißt die Mutter-Gottheit,
Sie ist Weg und alte Weisheit.

Also sprach zu Bruder Markus
In der Einsiedlei der Ritter,
Der studiert den Taoismus,
Diese Religion aus China.

Wie ich im I Ging gelesen,
Ist die ganze Welt gebildet
Aus dem männlich Positiven
Und dem weiblich Negativen.

Yin und Yang wird das betitelt,
Licht und Schatten sind die beiden
Kräfte, die sind männlich, weiblich,
Die die ganze Schöpfung bilden.

Doch hervor sind sie gegangen
Aus dem Urprinzip, dem Tao,
Diesem unfassbaren Einen,
Namenlosem, Grenzenlosem.

Dieses Urprinzip der Dinge
Ist Zusammenfall in Einem,
Aller Gegensätze Doppel
Fällt im einen Eins zusammen.

Dieses übertranszendente
Einheitswesen ist die Gottheit,
Welche ist undefinierbar,
Unerkennbar, unergründbar.

Tao ist das Urgeheimnis,
Tao, unaussprechlich dunkel.
Was man sagen kann von Tao,
Das ist nicht das wahre Tao.

Lao Tse hat dies beschrieben
In dem Buch von Te und Tao,
Dieses Buch ist philosophisch,
Voll geheimer dunkler Sprüche.

Christenmissionare lieben
Sehr das Buch von Te und Tao,
Aber haben sie gelesen,
Tao ist die Große Mutter?

Alle Menschen sind so fröhlich,
Gehen zu der Frühlingsfeier,
Ich allein bin traurig, traurig,
Doch ich lieb die Große Mutter.

Bei Musik und Speise bleiben
Alle Narrenmenschen stehen,
Aber spricht man von dem Tao,
Will kein Menschenohr mehr hören.

Alle sind so klar und deutlich,
Himmel ehren sie als Vater,
Ich allein bin traurig, traurig,
Doch ernährt mich Mutter Tao.

Tschuang Tse hat auch geschrieben
Von dem Tao, dieser Weisheit,
Die in Himmel lebt und Erde
Und im Inneren des Menschen.

Huang Di, der Gelbe Kaiser,
Fand die Perle auch des Tao,
Er verschwand im Großen-Ganzen,
Er verschwand im Runden-Einen.

Und die Königin der Feen
Hsi Wang Mu hat auch gefunden
Mutter Tao auf dem Kunlun,
In dem Paradiesesgarten.

Acht Unsterbliche in China
Haben Tao auch gefunden
Auf der schönen Insel Penglai
In dem Gelben Meer im Osten.

Hast erkannt du Mutter Tao,
Soll nur Tao noch geschehen.
Zeichne du dich aus durch Wu-Wei,
Durch das weisheitsvolle Nicht-Tun.

Lass du Tao nur geschehen
In Natur und in dem Menschen,
Und das Gelbe Reich der Mitte
Findet seinen Himmelsfrieden.

Und der Ritter lächelt weise,
Bruder Markus war verwundert,
Daß der Glaube an die Mutter
Diesen Ritter selig machte.

Bruder Markus nahm vom Ritter
Abschied, doch er blieb in China,
Denn der andre Ritter dachte
Allezeit an Vater Himmel.


FÜNFTER GESANG


Bruder Markus kam zum Ritter,
Der Konfuzius studierte.
Siehe, sprach der Tiefgelehrte,
Im I Ging will ich studieren,

Bis das Buch ist ganz zerblättert,
Ja, mein Leben lang studier ich
Das I Ging, die Kommentare,
Die Konfuzius geschrieben.

Alle Bücher will ich lesen,
Die gehören zu dem Kanon.
Ja, ich liebe sehr die Oden,
Liebe sehr das Buch der Lieder.

Nämlich auch die Liebeslieder
In dem alten Buch der Oden
Haben mystische Bedeutung,
Allegorisch sind zu deuten.

Und in den Annalen les ich,
Lenz-und-Herbst-Annalen, weiter
Die Urkunden auch studier ich
In der Schule der Gelehrten.

Im Li Gi, dem Buch der Sitte,
Ich studiere Pädagogik,
Die Musik ich auch studiere,
Die Konfuzius geliebt hat,

Nicht die sinnlichen Musiken
Aus dem Süden, Tanz und Rhythmus,
Nein, die geistigen Musiken
Aus dem Norden, rein und heilig.

Ich studiere die Gespräche
Unsres Meisters mit den Jüngern
Und von Menzius die Schriften,
Der die Menschenliebe lehrte.

Nämlich Menzius behauptet,
Daß die große Menschenliebe
Und Gerechtigkeit im Innern
Der Natur des Menschen lebe.

In der Schule der Gelehrten
Ich studiere, lerne, lerne,
Eitel ist es, viel zu lernen,
Ohne selber nachzudenken.

Unsre Ahnen wir verehren,
Ihre Seelen sind unsterblich.
Und wir opfern unsern Ahnen
Bei den Riten vor dem Schreine.

Tugenden des Altertumes
Üben wir in neuern Zeiten,
Menschlichkeit vor allem üben
Wir als innerliche Tugend.

Zu der Menschlichkeit gesellt sich
Die Gerechtigkeit, die Sitte,
Weisheit suchen wir vor allem,
Gütig suchen wir zu leben.

Unsre Pflichten wir beachten,
Sind loyal zu weisen Herrschern,
Halten treulich zu den Riten,
Die die Alten überliefert.

Pietätvoll unsre Kinder
Ehren Vater, ehren Mutter,
Und sie opfern ihren Eltern,
Wenn die Eltern sind gestorben.

Fleißig sind wir stets im Lernen,
In der Schule der Gelehrten
Hochgeachtet ist das Lernen,
Aber noch viel mehr das Denken.

Ist die Seele so geordnet
In den Übungen der Tugend,
Die Familie ist geordnet
In den strengen Hierarchien.

So ist auch das Dorf geordnet,
Sind geordnet die Provinzen,
Gut geht es dem Reich der Mitte
Und der Kosmos ist geordnet.

Doch Lu Xun, der freche Dichter,
Sagte, dass die alte Tugend,
Die Konfuzius gelehrt hat,
Menschenfresserei sei ähnlich.

Der Diktator und die wilden
Roten Garden dann zerstörten
Alle Pietät und Tugend
Und die Ordnungen des Reiches.

Heute wieder die Gelehrten,
Unter ihnen junge Christen,
Sie studieren in den Büchern,
Die Konfuzius gesammelt.


SECHSTER GESANG


Bruder Markus kam zum Ritter,
Der die Lehre Buddhas schätzte.
Der Buddhist und Philosoph sprach
Von Siddartha, von Gautama.

Als der Prinz war neunundzwanzig
Jahre alt, sonst wohlbehütet,
Sah er vorm Palast des Königs
Die Gebrechlichkeit der Menschheit.

Und es sah der Sohn des Königs
Einen Krüppel, stark behindert.
Fragte er: Was ist ein Krüppel?
Hörte er: Das ist die Krankheit.
Sah er einen kleinen Knaben,
Der da bettelte vor Hunger.
Fragte er: Was ist die Armut?
Hörte er: Das ist das Leiden.

Und er sah ein altes Weiblein,
Das verstorben in der Gosse.
Fragte er: Was ist das Sterben?
Hörte er: Das ist der Teufel.

Und Siddartha, der Gautama,
Religionen er studierte
Und die Philosophenlehren
Und sehr lange meditierte,

Bis er unterm Feigenbaume,
Unterm Ficus religiosa,
Ist erwacht, und er erkannte
Wahrheit, vierfach reine Wahrheit.

Buddha selbst ist keine Gottheit,
Seine Lehre stammt von Gott nicht,
Sie ist keine Offenbarung,
Sondern Schau beim Meditieren.

Dieses ist des Buddha Wahrheit,
Daß das Leben ist ein Leiden,
Die Personen, Existenzen,
Existierend alle leiden.

Alle Leiden aber stammen
Aus der Gier und aus dem Hasse
Und aus der Verblendung, diese
Drei nennt er die Lebensgifte.

Alles Leiden überwindet
Man allein, wenn man beseitigt
Diese Lebensgifte, nämlich
Gier und Hass und die Verblendung.

Und der Weg zur Überwindung
Ist der Pfad der Lehre Buddhas.
Achtfach ist der Pfad der Lehre,
Lehre ists der Selbsterlösung.

Alle Kreaturen kreisen
In Samsara, in dem Weltrad,
Weltrad der Inkarnationen
Und der Reinkarnationen.

Aus dem Weltrad wird erlöst nur,
Wer ein ethisches Verhalten
Übt und Tugenden, Versenkung,
Mitgefühl und tiefe Weisheit.

Wer entkommen dem Samsara,
Wird verlöschen im Nirwana,
Ist kein Paradies der Gottheit,
Ist das Nichts nicht der Vernichtung.

Frei von aller Ich-Verhaftung
Löst sich auf das leere Nicht-Selbst
In dem ungewordnen Zustand
Ungewordener All-Einheit.

In der Lehre Buddhas gibt es
Keine Gottheit, alles schaffend,
Die Unsterblichkeit der Seele
Ist nur Illusion und Täuschung.

Ja, es gibt im Menschen-Innern
Auch kein Selbst, das wär beständig,
Sondern Menschen sind ein Nicht-Selbst,
Und in Reinkarnationen

Nach dem karmischen Gesetze
Der Vertilgung aller Sünden
Neugeboren wird das Selbst nicht,
Denn es gibt kein Selbst des Menschen.

Diese Weisheitslehre Buddhas,
Sie ist Philosophenlehre,
Keine Religion, denn Buddha
Nicht erkannte eine Gottheit.

Dieser Weg der Lehre Buddhas
Soll durch stetes Meditieren
Und durch das Erwachen schließlich
Einen Menschen ganz erlösen.


SIEBENTER GESANG


Bruder Markus kam zum Ritter,
Der der Lehre Buddhas folgte
Nach der Art des Großen Wagens
Und zum Boddisattwa betet.

Und er saß vor der Ikone
Der buddhistischen Madonna,
Der chinesischen Madonna,
Guan Yin, der Mitleidsgöttin.

Und er sprach zu Bruder Markus:
Als im großen zweiten Weltkrieg
Japan bombadierte Taiwan,
Da ist Guan Yin erschienen

Über Taiwan und beschützend
Breitete sie aus den Mantel
Mütterlichen Allerbarmens,
Mutter der Barmherzigkeiten.

Guan Yin, ein junges Mädchen,
Göttlich-weiblich, schön und lieblich,
Voller Anmut ist ihr Antlitz
Und sehr liebevoll ihr Lächeln,

Zärtlich blicken ihre Augen
Voll Barmherzigkeit nach unten,
Kusslich sind die roten Lippen,
Sehr charmant umspielt vom Lächeln.

Auf dem Haupte ihre Krone
Hält sie mit der schlanken Rechten,
Mit der schlanken Linken hält sie
Eine rosa Lotosblume.

Diese rosa Lotosblume
Hält sie zwischen ihren Brüsten,
Sie symbolisiert das reine
Herz der Muttergottes Chinas.

Guan Yin, ihr Name lautet:
Die das Flehen hört der Armen.
Guan Yin schenkt uns ihr reines
Herz als Weg zu der Erlösung.

Guan Yin in meiner Seele
Weckte meine große Sehnsucht,
Endlich aufgelöst zu werden
In dem Ozean der Liebe!

Und der Ritter nahm ein Büchlein,
Las es vor dem Bruder Markus,
Verse aus der Lotos-Sutra,
Sutra von der Göttin Kwanyin:

Wenn du bist in einem Seesturm,
Rufe an die Göttin Kwanyin,
Und die aufgewühlte Meerflut
Wird ein ruhig glatter Spiegel.

Wenn du brennst in einem Feuer,
Rufe an die Göttin Kwanyin,
Und das Feuer wird zum süßen
Ozean von süßem Wasser.

Überfallen dich die Räuber,
Rufe an die Göttin Kwanyin,
Und das Messer wird den Räubern
Fallen aus den Räuberfäusten.

Streite mit den Advokaten,
Rufe an die Göttin Kwanyin,
Und der Richter spricht sein Urteil
Und du wirst viel Gnade finden.

Beißen dich die Feuerschlangen,
Rufe zu der Göttin Kwanyin,
Und die Schlangen werden Tauben,
Die Skorpione Schmetterlinge.

Leidest du die Not des Hungers,
Rufe an die Göttin Kwanyin,
Und du findest Trank und Speise,
Wasser mitten in der Wüste.

Drohen dir die Menschenfresser,
Rufe an die Göttin Kwanyin,
Und die Menschenfresser fressen
Nur gedünstetes Gemüse.

Will man dich vom Berge stürzen,
Rufe an die Göttin Kwanyin,
Und dein Körper wird bekommen
Flügel, wird zur Sonne fliegen.

Will man sperren ins Gefängnis
Deinen Körper, rufe Kwanyin,
Und du wirst Erlösung finden
Aus den Ketten deines Körpers.

Nimm die Perlenschnur zu Händen,
Murmle du der Mutter Mantra:
Das Juwel der Gottheit leuchtet
In der Seele Lotosblume!


ACHTER GESANG


Bruder Markus kam zum Ritter,
Der die Götter aus den Veden
Liebte, dreißig Millionen
Götter von dem Ganges-Tale.

Arier vom Norden kamen,
Brachten mit den Gott und Vater.
Die Drawiden in dem Süden
Liebten nur die Große Mutter.

Nicht allein die Große Mutter,
Nein, den Lingam auch als Steinbild,
Und die Kuh war ihnen heilig
Und der Affe ihnen heilig.

Doch die Arier die Götter
Priesen an als starke Männer,
Indra war der stärkste Bulle,
Indra mit dem Donnerhammer.

Indra machte das Gewitter
Und mit Regengüssen fruchtbar
Mutter Erde, die besamt ward
Von dem Regenguss des Bullen.

Indra, der erschlug den Drachen,
Indra machte gutes Wetter,
Sonne in den Trockenzeiten,
Im Monsun den guten Regen.

Indra brachte den Verehrern
Gold, was alle Menschen lieben,
Und den Bauern reiche Ernte
Und den Kühen viele Kälber.

Darum Dank und Preis sei Indra,
Der die Kühe fruchtbar machte.
Indra, mehre unsre Herden,
Opfer wollen wir dir bringen,

Opfern dir vom Saft des Soma,
Opfern dir im Opferfeuer.
Unsre Weisen dich beschwören,
Unsre Sänger dich besingen.

Unsre alten weisen Dichter
Sangen Göttern nur die Hymnen,
Priester waren unsre Dichter,
Gott der Inhalt ihrer Lieder.

In den ältesten der Veden,
Im Rig-Veda, auch besungen
Wird die alte Muttergöttin
Der Drawiden, aber arisch.

Nicht nur, dass zum Schöpfer Brahma
Saraswati sich gesellte,
Sie, die Göttin aller Sprache,
Aller Poesie und Weisheit,

Sondern Ushas glänzt vor allen,
Sie, die Göttin Morgenröte.
Und es preisen ihre Dichter
Herrlich sie in hohen Hymnen.

Morgens an dem Himmel aufgeht
Wunderschön die Himmelsgöttin,
Ihren Wagen ziehen Rinder,
Heiligschöne weiße Kühe.

Und sie steigt hinan im Osten
Und sie lächelt von der Höhe,
Eine reine Mädchengöttin,
Heiligschöne Jungfraungöttin.

Heil dir, Ushas, Morgenröte,
Segne jedes Land im Osten,
Heil dir, Ushas, Mädchengöttin,
Rein erleuchte unsern Dichter.

Eines Morgens stand ich betend
Auf dem Turm an meinem Hause
Und ich sah im großen Baume
Neben meinem Turm die Vögel

Und es war ein blauer Himmel
Und ich schaute an dem Himmel
Eine Lichtgestalt als Jungfrau,
Heiligschöne Morgenröte,

Und ich sah die Jungfrau lächeln
Und mit Liebesblicken segnen
Und ich grüßte meine Göttin,
Meine junge Himmelsgöttin.

Und erheitert von dem Mädchen
Und erleuchtet von dem Morgen
Sang ich meine Jubelhymne
An den heitern lichten Himmel.


NEUNTER GESANG


Bruder Markus kam zum Ritter,
Der die Hindu-Traditionen
Liebte und vor allem Krishna:
Vishnu ist ein Mensch geworden.

Siehe, sprach der Hindu-Ritter,
In den Krishna-Traditionen
Sich entwickelte die Bakthi,
Religion der Gottesliebe.

So wie auch im Hohenliede
Sulamiths und Salomonis,
So in der Govinda-Gita
Krishna mit dem Mädchen Radha,

Sie verkörperten die Liebe
Eines Gottes zu der Seele
Und zugleich die Gottesliebe
Einer Seele zu der Gottheit.

Nämlich in der Zeit des Frühlings
Mit den Freundinnen tanzt Radha,
Weil es ist die Zeit der Liebe,
So verliebt sie sich in Krishna.

Krishna kommt in seinen Garten,
Wo die Freundinnen und Radha
Tanzen ihre Frühlingstänze.
Krishna liebt das Mädchen Radha.

Krishna küsst das Mädchen Radha
Und umarmt sie um die Hüfte,
Radha presst die großen Brüste
An die Brust des Gottes Krishna.

Krishna liebt das Mädchen Radha,
Aber Radha nicht alleine,
Auch die Freundinnen des Mädchens
Liebt der Bräutigam, der Hirte.

Aber Radha eifersüchtig
Auf die Freundinnen des Hirten,
Trennt sich von dem Gotte Krishna,
Geht alleine ihres Weges.

Ferne von dem Gott und Menschen
Radha irrt in öder Wüste.
Krishna sehnt sich nach dem Mädchen
Und er ruft sie zu der Umkehr.

Eine Freundin der Geliebten
Krishna sendet zu dem Mädchen,
Und die Freundin soll zu Radha
Sagen, Krishna sei voll Sehnsucht.

Und die Freundin der Geliebten
Schildert ihrer Busenfreundin,
Wie der Gottmensch krank vor Liebe,
Sich verzehre nach dem Mädchen.

Da kehrt Radha um zu Krishna
Und sie kehrt in seinen Garten
Und sie fleht um seine Liebe,
Daß er sie am meisten liebe.

Krishna freut sich über Radha,
Daß sie heimgekehrt zum Hirten,
Und er küsst das junge Mädchen,
Küsst des Mädchens große Brüste.

Sie umarmt den Gott und Menschen
Und sie gibt sich hin dem Hirten
Und in ihren langen Haaren
Liegt der Gott und Mensch gefesselt.

Und sie spielen in dem Frühling
Sinnlich-schwüle Liebesspiele
Und vollziehen Einigungen
In dem grünen Bett des Gartens.

Krishna ist der Gott, der Eine,
Millionen Namen hat er,
Vishnu heißt er, Shiva heißt er,
Brahma heißt er, Rama heißt er.

Denn die Deutschen sagen Wasser
Und die Briten sagen water,
Ists das Eine Element doch,
Aber mit verschiednen Namen.

Radha aber ist die Seele,
Welche ihren Gott geliebt hat,
Welche ihren Gott verlassen,
Heimgekehrt ist zu der Gottheit.

Und die schwülen Liebesspiele
Und die Einigung im Bette
Ist Vereinigung des Geistes
Gottes mit dem Menschengeiste.

Wenn der Mensch erkennt die Einheit
Seines Geistes mit der Gottheit,
Menschengeist und Geist der Gottheit
Sind vereinigt in Verschmelzung!


ZEHNTER GESANG


Bruder Markus kam zum Ritter,
Der da den Islam studierte,
Murmelnd an dem Rosenkranze
Neunundneunzig Namen Allahs.

Gott ist herzlicher Erbarmer,
Ist Barmherzigkeit und Mitleid,
Gott ist König aller Himmel
Und der Heilige der Völker,

Gott ist Frieden auf der Erde,
Ist die Sicherheit bewahrend,
Ist Beschützer und Bewacher,
Ist erhaben und ehrwürdig,

Gott ist kräftig, ist der Starke,
Gott ist vornehm, ist der Stolze,
Gott ist Schöpfer aller Wesen,
Ist der Schaffende der Schöpfung,

Gott ist formend alle Formen,
Der Verzeiher, Allbezwinger,
Ist der Geber und Verteiler,
Der Versorger aller Menschen,

Der Allwissende, der öffnet,
Der die Gabe auch zurückhält,
Doch in Großmut Gaben spendet,
Der Erniedriger der Stolzen,

Der Erhörer der Bescheidnen,
Der Verteiler wahrer Ehre,
Der da schlägt die Unterdrücker,
Gott kann hören, Gott kann sehen,

Ist der Richter, der Gerechte,
Ist feinfühlig und ist gütig,
Ist der Kenner aller Herzen,
Er hat Nachsicht, er hat Mitleid,

Gott ist voll von reicher Großmut
Und von herzlicher Verzeihung,
Gott ist dankbar, ist der Höchste,
Ist der Große, der Bewahrer,

Der ernährt und der berechnet,
Majestät und voller Ehre,
Der Versammler, der Erhörer,
Der Erhörer der Gebete,

Ist der Weite voller Wohltat,
Ist der Weise, ist die Weisheit,
Gott ist (den wir Allah nennen)
Gott ist nichts als schöne Liebe!

Gott ist glorreich und ist herrlich,
Wird die Menschen auferwecken,
Ist der Zeuge, ist der Wahre,
Ist der Helfer aller Schwachen,

Gott ist mächtig, ist der Starke,
Ist der Feste, Dauerhafte,
Ist der Schutzherr aller Armen,
Dank sei ihm und Ruhm und Lobpreis,

Alles weiß er aufzuzeichnen,
Ist der Ursprung aus dem Nichtsein,
Der zum Leben wird erwecken,
Der da alles Leben spendet,

Gott den Tod hält in den Händen,
Der Lebendige, das Leben,
Gott allein ist ewig seiend,
Gott, der alle Seelen findet,

Gott ist reich an Ruhm und Ehre,
Ist der Einzige, der Eine,
Unabhängig er von allen,
Ist der Mächtige, ist Allmacht,

Gott bestimmt ein jedes Schicksal,
Gott schiebt auf das böse Unheil,
Und voran stellt er die Guten,
Ist der absolute Herrscher,

Ist der Erste, ohne Anfang,
Ist der Letzte, ohne Ende,
Der Verborgne, Offenbare,
Ist der Reine, ist der Gute,

Ist es, der die Reue annimmt,
Wird gerecht Vergeltung üben,
Voller Mitleid, voller Herrschaft,
Ihm allein gebührt die Ehre,

Ist der Richter aller Menschen,
Der Versammler in dem Jenseits,
Der zurückweist die Verbrecher,
Schaden zufügt allen Bösen,

Ist der Reiche, Vorteil gebend,
Ist das Licht und ist die Leitung,
Gott ist Schöpfer alles Neuen,
Gott allein ist ewig bleibend,

Ist der Erbe in dem Himmel,
Ist der Führer der Gerechten,
Gott ist voll Geduld und Langmut –
Wer das sagt, kommt in den Himmel!


ELFTER GESANG


Bruder Markus kam zum Ritter,
Der studiert die Sufi-Mystik,
Dieser mystische Sufismus
Ist in dem Islam die Gnosis.

Dieser Sufi-Mystizismus
Gründet auf dem Worte Gottes,
Dem Koran, doch übersteigt er
Mystisch alle Religionen.

Sufi-Weise sprechen gerne
Beim Koran vom innern Sinne,
Die unmittelbar zur Gottheit
Individuell gelangen.

Mohammed in seinem Leben
Ist der Sufi-Meister Vorbild,
Wie man kann im Geist gelangen
Zu der einen Gottheit Einheit.

Schon als Mohammed noch lebte,
Gabs islamische Asketen,
Welche in der Wüste Jemens
Lebten große Ich-Abtötung.

Rabia, die Tochter Gottes,
Heilige der Sufi-Mystik,
Lebte starke Selbstkasteiung,
Lebte trunkne Gottesliebe.

Nicht aus Furcht vorm Höllenfeuer,
Nicht aus Lust am Paradiese
Wollte sie den Herrn anbeten,
Sondern weil er ist die Gottheit.

Misri lehrte die Auflösung
Seiner Selbst und die Erkenntnis
Seines Herrn, intuitive
Einheit und den Lobpreis Gottes.

Und Bistami sprach: Die Liebe
Ist der Weg zur Gottes-Einheit.
Denn die liebevolle Gottheit
Ist der Weg, das Ziel des Weges.

Doch al-Halladsch sagte mystisch:
Ich bin selbst die Gotteswahrheit!
Ich bin Gott! Doch man verbrannte
Diesen Mystiker als Ketzer.

Rumi sprach: Ich bin die Gottheit,
Denn es ist nichts als die Gottheit.
Gott allein ist existierend,
Gott allein ist Eins und einzig.

Al-Ghazali, Theologe
Der sunnitischen Muslime,
Orthodoxe er versöhnte
Mit dem mystischen Sufismus.

Al-Ghazali sprach vom Herzen,
Das feinstofflich ist, der Fromme
Bildet dieses Herz, das feine,
Das verwandt ist mit den Engeln.

Dieses feine Herz ist Führer
In den Paradiesesgarten.
In dem Jammertal der Erde
Aber lebt es in Verbannung.

Rumi lebte die Gebete,
Immerwährende Gebete
Und den Tanz der Namen Gottes,
Ja, er tanzte noch auf Gräbern!

Lösche aus die Welt der Sinne,
Individuelle Züge,
Lass dein Ich vorm Tode sterben,
Lös dich ins Prinzip der Gottheit.

Nämlich Gott ist der Geliebte
Und die Liebenden die Frommen.
Die poetischen Gebete
Preisen trunken den Geliebten.

Das Gesetz, das sind die Dornen,
Und der Weg, das ist der Stängel,
Und die Blüte ist die Wahrheit
Und der Duft ist die Erkenntnis.

Tief berauscht von Gottesliebe
Sind die Mystiker, sind trunken
Von dem Wein der Gottesliebe,
Gott berauscht wie Wein den Trinker.

Und der Schenke – o der Knabe! –
Ist der Scheich, der Mystik Meister,
Und das Glas, gefüllt mit Rotwein,
Ist der Derwisch, Gottes Bettler.

Jesus Sohn Marias ist der
Heilige Prophet der Liebe:
Hu! Die Gottheit ist die Liebe!
Hu! Die Gottheit ist die Einheit!


ZWÖLFTER GESANG


Bruder Markus kam zum Ritter,
Der die Religion der Juden
In den Schriften tief studierte,
In der Lehre der Rabbinen.

Abraham, der Auserwählte,
Er empfing die Offenbarung,
Daß ein Gott ist in dem Himmel,
Er, der Einzige und Eine.

Abraham, der Glaubensvater,
Sollte opfern seinen Knaben,
Gott nahm aber statt dem Knaben
Einen Widder sich zum Opfer.

Isaak den Jakob lehrte,
Daß ein Gott sei Gott alleine.
Jakob sah den Herrn des Himmels
Droben auf der Himmelsleiter.

Jakob hatte viele Söhne,
Diese bildeten die Stämme
Israels, die Gotteskinder,
Auserwählte Gottessöhne.

Israel kam nach Ägypten,
Dort vierhundert Jahre Sklaven
Waren sie, bis Gott vom Himmel
Moses als Befreier schickte.

Israel floh aus Ägypten,
Weil der Herrgott sie befreite.
An dem Sinai war Moses
Mittler eines Gottesbundes.

Gott gab Israel die Tora,
Das Gesetz des alten Bundes,
Dieses ist die Gottesweisung,
Wer sie einhält, der wird leben.

Gott dann gab dem Gottesvolke
Könige und auch Propheten,
Die das Gotteswort verkündigt
Von dem Willen ihres Schöpfers.

Gottes heilige Propheten
Mahnten Israel, die Kinder,
Umzukehren zu dem Herrgott,
Gott, dem Bräutigam des Volkes.

Sprach der alte Judenritter
Zu dem frommen Bruder Markus:
Nach dem Tode Jesu Christi
Lehrten aber die Rabbinen.

Da verfassten sie die Schriften,
Als der Tempel ruiniert war
Durch das Heidenvolk der Römer,
Was jetzt sei Gesetz der Juden.

Also im Talmud studiere
Ich die Lehre der Rabbinen,
Daß die Tora eine Jungfrau,
Welche immer bleibt jungfräulich.

Denn die Tora ist die Gattin
Aller dickbeleibten Rabbis,
Nicht wie füllige Matronen,
Sondern enggebaute Jungfrau.

Und es macht den Rabbis Freude,
Jungfrau Tora zu erkennen
Noch mit fünfzig Lebensjahren
Wie dereinst mit dreißig Jahren

Israel, das Volk des Bundes,
Lebte auf der ganzen Erde,
So in Babylon und China,
Spanien und Osteuropa,

In Amerika und Russland,
Und sie hielten die Gesetze,
Aßen niemals Fleisch von Schweinen
Und besuchten Synagogen.

Doch im zwanzigsten Jahrhundert
Satansbraten waren Hitlers
Nationale Sozialisten,
Welche alle Juden hassten.

Achtzehn Millionen Juden
Lebten auf der ganzen Erde
Und ein Drittel, sechs Millionen,
Wurden umgebracht von Deutschen!

Aber nach dem zweiten Weltkrieg
Sammelten sich viele Juden
Von den Enden dieser Erde
In dem Staat der Israelis.

O Prinzessin Sabbat, schmück dich,
Zünde an die Sabbatkerzen,
Denn dein Bräutigam wird kommen,
Er, der jüdische Messias!


DREIZEHNTER GESANG


Bruder Markus kam zum Ritter,
Der die Kabbala studierte,
Dieser las im Buche Sohar
Aus dem dreizehnten Jahrhundert.

Aber Kabbalisten sagen,
Daß die Lehre überliefert
Sei von unserm Vater Adam,
Sie enthalte Adams Weisheit.

Auf dem Sinai hat Mose
Nicht nur die geschriebne Tora
Von dem Herrn empfangen, sondern
Auch die ungeschriebne Tora.

Kabbalisten nun die Tora
Legen mystisch aus und reden
Von dem Höchsten neuplatonisch,
Von Emanationen Gottes.

Das En Soph sei über allem,
Dies ist die verborgne Gottheit.
Diese Gottheit emanierte
In den Sephiroth der Gottheit.

Über allem sei die Kether,
Sei die höchste Gotteskrone,
Drunter sei der Vater Weisheit,
Drunter sei die Mutter Klugheit.

Letzte Sephiroth von allen
Ist die Schechinah. Matrone,
Hat sie Israel begleitet
In die irdische Verbannung.

Herrlichkeit sei eine Sphäre
Gottes mit dem Namen Jahwe,
Diese Sphäre sich vermählte
Mit der Schechinah-Prinzessin.

Diese Liebe sei besungen
In dem Hohenlied der Liebe.
Salomo, das ist Jehowah,
Schechinah die Sulamithin.

Diese Schechinah begleitet
Israel in die Verbannung
Und geleitet heim die Kinder
Israel zum Reich der Himmel.

In dem Himmel wohnt der Vater,
Wohnt der Ewige, der König.
Er hat eine schöne Tochter,
Die wohnt im Palast des Himmels.

Und der König und der Vater
Sucht für seine schöne Tochter
Einen Bräutigam auf Erden,
Sucht sich einen Kabbalisten.

Schechinah ist die Prinzessin,
Ist die schöne Tochter Gottes.
Und der Schriftgelehrte betend
Sieht die Tochter an dem Himmel.

Oben an dem Himmelsfenster
Kurz erscheint die Tochter Gottes
Und der Schriftgelehrte liebt sie
Und begehrt sie zur Geliebten.

Und wenn er sie kurz gesehen,
Will er zu ihr in den Himmel.
Denn sie ist die reine Perle,
Die verborgen in der Muschel.

Wie kann einer Gott erreichen,
Gott, der unerreichbar hoch ist
Und der wohnt in einem Lichte,
Das den Menschen unzugänglich?

Dieses können Kabbalisten,
Wenn sie die Prinzessin freien.
Wer ein Bräutigam der Tochter
Gottes, wird zum Sohne Gottes.

Alle sollt ihr Söhne werden,
Die ihr freit die Tochter Gottes.
Sie hat viele Bräutigame
Und bleibt immer reine Jungfrau.

Ja, sie ist die reine Jungfrau,
Keusche Braut des Schriftgelehrten,
Mütterlich ist sie Matrone,
Mutter allen Kindern Gottes.

Auf zur Hochzeit, Schriftgelehrte,
Lebt im Hohenlied der Liebe,
Seid wie Salomo Verliebte
In die heilige Prinzessin!

Wer die Jungfrau und Matrone
Schechinah zur keuschen Braut hat,
Der wird anerkannt vom Vater
Als ein Schwiegersohn des Vaters.


VIERZEHNTER GESANG


Bruder Markus kam zum Ritter,
Der studiert die Protestanten,
Einzig heilig war ihm Luther,
Der die Bibel brav verdeutschte.

Einzig gelten uns vier Sätze:
Einzig Christus, einzig Gnade,
Einzig Glaube, einzig Bibel.
Dies sind unsre Grundgesetze.

Christus ist allein der Retter,
Ist kein Retter außer Christus.
Und da braucht es keine Priester,
Keinen Papst im Ewgen Roma.

Und da braucht es keine Jungfrau,
Braucht es keine Muttergottes,
Denn die Katholiken haben
Sie gemacht zu ihrem Abgott.

Und da braucht es keine Heilgen,
Die fürbittend für uns beten.
Dies sind nur die alten Götter,
Doch es gibt nur Eine Gottheit.

Nein, wir beten nur zu Christus,
Christus ist allein der Retter.
Alles andre ist vom Bösen,
Ist ein Götzendienst der Heiden.

Einzig gilt bei uns die Gnade,
Unverdient sind die Geschenke
Gottes, der die Seelen rettet
Vor der ewigen Verdammnis.

Gott hat schon bei sich beschlossen,
Wer da soll gerettet werden.
Reitet aber auf dir Satan,
Reitest du hinab zur Hölle.

Denn vorherbestimmt sind welche
Zu der ewigen Verdammnis,
Andre rettet Gottes Gnade
Ohne das Verdienst von Werken.

Kaufen kann man nicht den Himmel,
Vor der ewigen Verdammnis
Rettet einzig Gottes Gnade,
Er errettet, wen er auswählt.

Einzig bei uns gilt der Glaube,
Das Vertrauen auf den Heiland.
Katholiken wollen Werke,
Um Verdienste sich zu sammeln.

Wenn du glaubst an Jesus Christus,
Bist du schon von Gott gerettet.
Keine Werke sind vonnöten,
Nur der Glaube an den Retter.

Wenn du glaubst an Jesus Christus,
Dann schaut Gott nur seinen Sohn an,
Übersieht dir deine Sünden,
Weiter braucht es keine Beichte.

Denn gerecht bist du geworden
Durch den Glauben an den Christus,
Die Gerechtigkeit des Sohnes
Hat dich schon gerecht gesprochen.

In dem Abendmahl des Heilands
Ist der Christus gegenwärtig
Nur beim Mahl, nur durch den Glauben,
Ist ein gläubiges Gedenken.

Einzig gilt bei uns die Bibel
Und da braucht es keinen Lehrstuhl,
Nicht Konzilien und Päpste,
Jeder soll die Bibel lesen.

Jeder soll die Bibel deuten,
Denn das Wort spricht aus sich selber,
Und die beste Schriftauslegung
Steht schon in der Bibel selber.

Was soll euer Katechismus,
Was denn sollen eure Dogmen?
Siehe, Päpste können irren,
Irrtumslos ist nur die Bibel.

Nehmt das Wort nicht allegorisch,
Nehmt die Bibel auch nicht mystisch,
Rein gedeutet fester Buchstab,
Dem folgt deutsche Schriftauslegung.

Bei dem Alten Testamente
Gelten keine Apokryphen,
Die Epistel des Jakobus
War verdächtig Doktor Luther.

Evangelien geschrieben
Gibt es vier, jedoch das fünfte,
Das verfasste Martin Luther.
Bitt für uns, Martinus Luther!


FÜNFZEHNTER GESANG


Unser frommer Pilgerbruder
Kam zum Ritter, der studierte,
Was die Katholiken lehren
In der Kirche Jesu Christi.

Erstens musst du ganz dich weihen
Der Madonna: Makellose,
O geheimnisvolle Rose,
Jungfrau, ich bin ganz dein eigen!

Makellose schöne Jungfrau,
Dir gewidmet meine Augen,
Dir gewidmet meine Ohren,
Dir gewidmet meine Zunge!

Makellose schöne Jungfrau,
Dir gewidmet meine Glieder,
Dir gewidmet meine Seele,
Dir gewidmet all mein Denken!

Makellose schöne Jungfrau,
Sei mein Ideal des Glaubens,
Sei mein Ideal der Hoffnung,
Sei mein Ideal der Liebe!

Makellose schöne Jungfrau,
Schenk mir Mäßigkeit und Starkmut,
Mir Gerechtigkeit und Klugheit
Und des Geistes sieben Gaben!

Makellose schöne Jungfrau,
Alles will ich mit dir wirken,
Alles will ich für dich wirken,
Alles will ich in dir wirken!

Makellose schöne Jungfrau,
Dir vermähl ich mich als Josef,
Nehme auf dich als Johannes,
O Gebieterin und Mutter!

Makellose schöne Jungfrau,
Tabernakel du des Höchsten,
Schenk mir Gnade, dass ich werde
Tabernakel auch des Höchsten!

Makellose schöne Jungfrau,
Dein bin ich auf dieser Erde,
Dein bin ich im Fegefeuer,
Dein bin ich im Paradiese!

Zweitens sollst du ganz dich weihen
Gottes menschgewordner Weisheit:
Ewge Weisheit, ganz dein eigen
Ich für alle Ewigkeiten!

Ewge Weisheit, Benedeite,
Du Idee der reinen Schönheit,
Höchste Königin des Himmels,
Meine mystische Verlobte!

Ewge Weisheit, Mensch geworden,
Ewge Weisheit, Fleisch geworden,
Gott-Natur in deiner Einheit,
Offenbart in drei Personen!

Ewge Weisheit, Kind geworden,
O du süßer Jesusknabe,
Die du hast das Kreuz umfangen,
Jesus Christus an dem Kreuze,

Ewge Weisheit, auferstanden,
Gottes Kraft und Gottes Weisheit,
Triumphator, Pantokrator,
Der du uns wirst auferwecken!

Ewge Weisheit, in den Himmeln
Herrschest du, o Jesus Christus,
Ewge Weisheit, auf der Erde
Lebst du in den Tabernakeln!

Ewge Weisheit, treu geblieben
Deinen Jüngern in der Kirche,
Gibst dich selbst als Mahl zur Speise,
Zu vergöttlichen die Jünger!

Eucharistische Vermählung
Mit der fleischgewordnen Weisheit
Soll in Kommunion den Christen
In den Gott und Herrn verwandeln!

Ewge Weisheit, Dank, Anbetung,
Lob und Preis und Ruhm und Ehre,
Herrlichkeit und tiefe Weisheit
Dir in deinem weißen Throne!

In den Himmeln dich zu schauen,
Dir vereinigt, dich genießen,
Ist das Ziel des Erdelebens,
O du allerhöchstes Wesen!


SECHZEHNTER GESANG


Ach, da lag der Mann Humanus
Sterbend in dem Krankenbette,
Grad Karfreitag wars, nach Mittag,
Alle Ritter standen um ihn.

Und zu seinen Füßen kniete
Fromm der Protestanten-Ritter
Und an seine Wange lehnte
Sich der Katholiken-Ritter.

Und es hielt der Juden-Ritter
Zärtlich seine Hand, die Rechte,
Und es lächelte Humanus
Wie entrückt von Bruder Morpheus.

Sprach der Katholiken-Ritter:
Eben komm ich von der Beichte,
Gab der Beichtiger ein Bild mir
Von Frau Sulamith, der Nackten!

Selig lächelte Humanus:
Sulamith? Mit schwarzen Haaren?
Schwarzem Haar wie die Madonna,
Die du liebst von ganzem Herzen?

Und es trat der Hindu-Ritter
Mit dem Taoisten-Ritter
Vor die Tür, da trat zu ihnen
Auch noch der Buddhisten-Ritter.

Und sie sprachen vor der Türe:
Dieser Mensch Humanus sicher
Ist ein Sohn des großen Gottes,
Den er zeugte mit der Göttin!

Doch der Katholiken-Ritter
Trat zur heiligen Kapelle,
Wo die blonde Ordens-Schwester
Teilte aus den Corpus Christi.

Und die blonde Ordensschwester
In dem langen weißen Kleide
Und dem langen weißen Schleier
Trat zum sterbenden Humanus.

Voller Demut sprach Humanus:
Ich will auch den Corpus Christi,
Denn ich möchte in den Himmel,
Mag auf Erden nicht mehr leben.

Und es gingen alle Ritter
In die heilige Kapelle
Und es blieb am Krankenbette
Nur der Katholiken-Ritter.

Und es lachte leis Humanus:
Ach ich mag jetzt nicht mehr leben
In dem Tränental der Erde,
Meine Stunde ist gekommen.

Aber meine lieben Ritter,
Wer soll dann sich um sie kümmern?
Ach die lieben frommen Ritter!
Muß ich sie alleine lassen!

Das zerreißt mein Herz im Busen!
Lieber Katholiken-Ritter,
Kümmre dich um meine Ritter,
Nimm sie an als deine Brüder!

Und Humanus fiel in Ohnmacht
Und der Katholiken-Ritter
Trat zu allen andern Rittern
In die heilige Kapelle.

Nur die blonde Ordensschwester
Blieb beim sterbenden Humanus,
Der am frühen Nachmittage
Traf im Bett den Todesengel.

Zu der Zeit am Nachmittage
Sprach der Katholiken-Ritter:
Was ich ihm noch sagen möchte
Ist, wie sehr ich ihn geliebt hab!

Wie ich ihm von Herzen danke
Für die Liebe, mir erwiesen,
Sprach der Katholiken-Ritter
Leis zum Taoisten-Ritter.

Da trat vor die Ordensschwester
In dem langen weißen Kleide:
Heimgegangen ist Humanus!
Nehmt von seinem Leichnam Abschied!

Nahm der Katholiken-Ritter
Das geweihte Wasser Gottes,
Zeichnete das Kreuzeszeichen
Auf die Stirne des Humanus.

Alle Ritter aber heulten,
Alle waren ganz untröstlich!
O Karfreitag, o Karfreitag!
Herr, erbarm dich des Humanus!


SIEBZEHNTER GESANG


Bruder Markus im Gebirge
Einsam ging am Ostersonntag.
Überall war lila Heide
Und da weideten die Lämmer.

Und die weißen Lämmer hatten
Um die Hälse kleine Glöckchen
Und sie läuteten am Sonntag
Und sie läuteten den Frieden.

Und es ging ein alter Hirte,
Welcher neunzig Jahre zählte,
Ruhig an dem Hirtenstabe,
Sprach von Sonne und von Regen.

Und es lief auch mit dem Hirten
Treu dem alten Mann sein Hündchen
Und sie weideten die Herde,
Dieser Hirte und sein Hündchen.

Und es flogen an dem Himmel
Kreisend hoch die Lämmergeier
Und es lagen in der Heide
Abgenagte Widderschädel.

Und es kam ein Silbernebel
An dem Nachmittag vom Gipfel
Und es füllten weiße Schwaden
Alle Täler des Gebirges.

Bruder Markus stand alleine
Oben auf dem höchsten Gipfel
Und er betete zur Gottheit,
Zu der einzig-einen Gottheit:

Jahwe, unser aller Vater!
Jahwe, unser aller Retter!
Jahwe, unser aller Tröster!
Jahwe, du allein bist Gottheit!

Und es kam ein stiller Friede
Bruder Markus in die Seele
Und die innerliche Freude
Still erfüllte seine Seele.

Und er ging von dem Gebirge
In das grüne Tal hernieder,
Kam zu einem Bauernhofe
An dem lichten Ostersonntag.

Auf dem stillen Bauernhofe
Standen schwarze Hengste, Stuten,
Weithin dehnte sich die Weide
Bis zum großen Apfelgarten.

In dem Stalle standen friedlich
Mutterschafe, junge Lämmer.
Ihre ruhig-braunen Augen
Schauten friedlich und barmherzig.

In der schwarzen Erde scharrten
Glucken und die kleinen Küken
Und der Hahn mit seinem Krähen
Rief die Hennen all zusammen.

In den alten Eichenwipfeln
Gurrten still die Turteltauben.
Und der Wind mit seinem Rauschen
Rauschte durch die Eichenwipfel.

Aus der Tür des Bauernhauses
Trat ein wunderschönes Mädchen,
Siebzehn Jahre junge Jugend,
Ein Modell von schlanker Schönheit.

O Maria, reine Schönheit!
Bruder Markus war verzaubert.
O Maria, Elfengleiche!
Bruder Markus war erschüttert.

O Maria, schlanke Anmut!
Bruder Markus war begeistert.
O Maria, Grazienreiche!
Bruder Markus war betrunken.

Ja, an diesem Ostersonntag
Ist erschienen Primavera,
Primavera, reine Jungfrau,
Ein Modell von schlanker Schönheit.

Ja, es kommt ein Menschheitsfrühling
Und ein Frühling in der Kirche,
Zivilisation der Liebe,
Du wirst kommen, du wirst herrschen!

Heilige Kultur der Liebe,
Komme bald mit deinem Frieden!
Ja, der Friede hat ein Antlitz,
Hat das Antlitz einer Jungfrau!

Reine Jungfrau, sei gesegnet,
Reine Jungfrau, sei gepriesen!
Bruder Markus liebt von Herzen
Dich, Maria, reine Jungfrau!