Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

DIE IMMERWÄHRENDE JUNGFRAU



Vom heiligen Hieronymus
 

Herausgegeben von Josef Maria Mayer
 

I

Kürzlich wurde ich von den Brüdern gebeten, auf die Schrift eines gewissen Helvidius zu antworten. Aber habe ich das hinausgeschoben, und zwar nicht weil es zu schwer wäre, einem ungebildeten und kaum mit dem Anfang der Wissenschaft vertrauten Menschen zu erwidern, wenn es gilt, die Wahrheit zu definieren. Mehr noch, ich halte ihn überhaupt nicht für würdig, durch eine Apologie widerlegt zu werden. Dazu kam noch, dass dieser Wirrkopf, der in der ganzen Welt sich allein ein wahrer Laie und Priester zu sein dünkt, nach einem bekannten Wort Geschwätzigkeit für Beredsamkeit ansieht und Beleidigungen aller anderen für das Zeichen eines guten Gewissens. Außerdem sorgte ich, er könnte, wenn ihm Anlass zum Streit gegeben würde, in seinen Gotteslästerungen fortfahren und von einem erhabenen Ort aus seine Irrlehre in der ganzen Welt verbreiten. Auch könnte er über mich, weil ihm ja der Wahrheitsbeweis nicht gelingen wird, mit Schimpfreden herfallen. Doch alle diese treffenden Gründe für mein Stillschweigen mussten vor einem Grund von noch größerem Recht zurückweichen, nämlich vor dem Zweifel der Brüder, die wegen der wahnsinnigen Behauptungen des Helvidius in Unruhe geraten waren. Darum musste die Axt des Evangeliums an die Wurzeln dieses unfruchtbaren Baumes gelegt werden und sein wertloses Laub den Flammen übergeben, damit er, der niemals gelernt hat, richtig zu reden, endlich einmal zu schweigen lerne.

II

Zuerst will ich den Heiligen Geist anrufen, damit er die Jungfräulichkeit der seligen Maria in seinem Sinn durch meinen Mund verteidigt. Den Herrn Jesus will ich anrufen, damit er Mariens heiligen Schoß, den er zehn Monate lang bewohnt hat, vor jedem Verdacht eines ehelichen Geschlechtsverkehrs schützt. Auch den himmlischen Vater will ich anrufen, er möge darlegen, dass die Mutter seines Sohnes Jungfrau gewesen ist auch nach der Geburt, wie sie auch Mutter war schon vor ihrer Heirat. Ich will nicht den Kampfplatz rhetorischer Beredsamkeit betreten, ich will mich nicht abgeben mit den Fallstricken der Dialektiker und mit dem Dorngestrüpp aristotelischer Beweisführung. Nur die Worte der Heiligen Schrift sollen zugrunde liegen. Mit den gleichen Stellen, die Helvidius gegen uns angeführt hat, soll er widerlegt werden, damit er einsieht, dass er zwar lesen konnte, was geschrieben steht, aber dass er es nicht zu verstehen konnte, was durch die Tradition der Kirche festgeschrieben wurde.

III

Des Helvidius erste Behauptung lautet so: "Matthäus sagt: Dies ist die Geschichte der Geburt Christi. Als Maria, seine Mutter, mit Josef verlobt war, hatte sie, bevor sie zusammenkamen, empfangen vom Heiligen Geist. Josef aber, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, wollte sie heimlich zu entlassen. Als er diesem Gedanken in sich bewegte, erschien ihm ein Engel des Herrn im Schlaf und sprach: Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als diene Frau zu dir zu nehmen, denn was in ihr erzeugt ist, ist vom Heiligen Geist". Und so spricht Helvidius: "Siehe, es handelt sich um eine Verlobte, nicht um eine Schutzbefohlene, und sicherlich ist sie zu keinem anderen Zweck verlobt, als um dann zu heiraten. Denn der Evangelist hätte von solchen, die nicht zusammenkommen wollten, nicht gesagt: Ehe sie zusammenkamen, wie auch niemand von einem, der nicht frühstücken will, sagt, ehe er frühstückte. Dann wird sie auch vom Engel Frau und Verbundene genannt." Hören wir aber jetzt, wie sich die Bibel ausdrückt: "Josef stand vom Schlaf auf und tat, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und er nahm seine Frau zu sich und erkannte sie nicht, bis sie ihren Sohn geboren hatte".

IV

Ich will nun die Einzelheiten durchgehen und die Gottlosigkeit mit der gleichen Waffe bekämpfen, mit der sie eingeführt wurde, indem ich zeige, dass des Helvidius Behauptungen untereinander im Widerspruch stehen. Helvidius nennt Maria eine Verlobte, aber sofort will er sie, die er eine Verlobte genannt hat, zur Ehefrau machen. Dann wiederum, nachdem er sie Ehefrau genannt hat, weil sie sich nach seinen Worten nur zu dem Zweck verlobt hatten, um dann zu heiraten. Damit wir nicht zu schnell darüber hinweggehen, sagt er: "Sie war eine Verlobte, nicht eine Schutzbefohlene", das heißt sie war noch nicht Ehefrau, noch nicht durch das eheliche Band verbunden. Was nun seine Behauptung angeht: "Von solchen, die nicht zusammenkommen wollten, hätte der Evangelist nicht gesagt: Bevor sie zusammenkamen, weil niemand von einem, der nicht frühstücken will, sagt, bevor er frühstückte", so weiß ich nicht, ob ich ihn bedauern oder auslachen soll, der Dummheit oder der Frechheit beschuldigen soll. Als ob der Satz: "Bevor ich im Hafen frühstückte, segelte ich nach Afrika" nur unter der Voraussetzung einen Sinn hätte, dass man einmal im Hafen frühstücken muss. Oder wenn man sagen will: "Bevor der Apostel Paulus nach Spanien reiste, wurde er zu Rom ins Gefängnis geworfen". Oder wenn man sagen will: "Bevor Helvidius Buße tat, überraschte ihn der Tod". Da musste wohl Paulus nach seiner Gefangenschaft sofort nach Spanien reisen, oder Helvidius muss wohl nach seinem Tod sofort Buße tun, während doch die Schrift sagt: "Wer wird vor dir in der Hölle ein Bekenntnis ablegen?" Muss man es nicht ganz anders so verstehen, dass die Präposition "bevor", wenn sie auch oft das, was tatsächlich folgt, anzeigt, doch manchmal nur das, was man vorher beabsichtigte, andeutet? Daher ist auch nicht notwendig, dass das, was beabsichtigt worden ist, ausgeführt wird, wenn etwas dazwischen kommt, sodass die Absicht nicht verwirklicht werden konnte. Wenn also der Evangelist sagt: "Bevor sie zusammenkamen", dann zeigt er, dass der Termin der Heirat nahe bevorstand, und dass die Situation schon so war, dass die, die eben noch Braut gewesen war, anfing, Ehefrau zu sein, ebenso als wenn er gesagt hätte: "Ehe sie sich küssten und umarmten und die Ehe vollzogen, hatte sie empfangen". Diese Entdeckung machte jedoch kein anderer als der heilige Josef, der die sichtbare Schwangerschaft bei seinem Recht, das dem eines Ehemannes fast schon gleichkam, mit Bestürzung wahrnahm. Daraus folgt aber nicht, dass er mit Maria nach der Geburt zusammengekommen wäre, da das Verlangen nach einer solchen Vereinigung durch die Empfängnis vom Geist ausgeräumt war. Wenn aber zu Josef im Schlaf gesagt wird: "Fürchte dich nicht, Maria als diene Frau zu dir zu nehmen", oder wenn es heißt: "Josef stand vom Schlaf auf, tat wie ihm der Engel des Herrn geboten hatte und nahm seine Frau zu sich", so darf dies doch keinen glauben lassen, sie habe, weil sie Ehefrau genannt wird, aufgehört Braut zu sein. Denn uns ist die Gewohnheit der Bibel, die Braut Ehefrau zu nennen, bekannt. Dies ergibt sich aus folgenden Stellen des fünften Buches Moses: "Wenn jemand einer einem Mann verlobten Jungfrau auf dem Feld begegnet und unter Anwendung von Gewalt ihr beiwohnt, dann soll er mit dem Tod bestraft werden, weil er die Frau seines Nächsten geschändet hat". Oder an dieser Stelle: "Wenn ein Mädchen einem Mann verlobt war und es trifft sie ein Mann in der Stadt und wohnt ihr bei, dann führt beide vor die Tore der Stadt, und sie sollen gesteinigt werden und sterben. Das Mädchen, weil es nicht geschrieen hat, obwohl es in der Stadt war, der Mann aber, weil er die Frau seines Nächsten geschändet hat; und ihr sollt das Böse aus eurer Mitte ausrotten" . Oder an dieser Stelle: "Wer ist jener Mann, der die Frau, mit der er verlobt ist, nicht aufnimmt? Er gehe und kehre zurück in sein Haus, damit er nicht im Krieg sterbe und ein anderer Mann sie sich nehme". Wenn aber jemandem darüber grübelt, warum Maria als Verlobte und nicht bloß als Jungfrau zu einer Zeit, wo sie ohne Bräutigam war, oder wie die Bibel sagt, ohne Mann war, empfing, so soll er sich drei Argumente merken. Erstens sollte durch das Geschlechtsregister Josefs, mit dem Maria verwandt war, auch Marias Abstammung offenbart werden. Zweitens geschah es, damit sie nicht, wie das mosaische Gesetz es vorschrieb, als Ehebrecherin vom Volk gesteinigt würde. Drittens, damit sie auf der Flucht nach Ägypten den Trost hätte, wenn nicht einen Gatten, doch einen Beschützer zu haben. Wer hätte es ihr denn zu jener Zeit geglaubt, dass die Jungfrau vom Heiligen Geist empfangen hat, dass der Engel Gabriel gekommen war und ihr Gottes Auftrag überbracht hat? Hätte man sie nicht vielmehr, wie man an dem Beispiele Susannas (im Buch Daniel) erkennen kann, unter Zustimmung aller zum Tode verurteilt? Denn heute, wo bereits die ganze Welt gläubig ist, vertreten die Juden noch die Ansicht, dass dort, wo Jesaja sagt: "Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären", es im Hebräischen "junge Frau" heiße, aber nicht "Jungfrau", Alma, nicht Bethula. Übrigens, abgesehen von Josef, Elisabeth, natürlich Maria und einigen wenigen, die es von diesen gehört haben konnten, hielten alle Jesus für Josefs Sohn, so dass selbst die Evangelisten als treue Historiker in Anlehnung an die Ausdrucksweise des Volkes Josef Vater des Erlösers nennen, zum Beispiel: "Er kam auf Antrieb des Heiligen Geistes in den Tempel, und als seine Eltern den Knaben Jesus brachten, um seinetwegen zu tun, was nach dem Gesetz Gebrauch war", oder: "Sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde" , oder: "Es gingen seine Eltern alljährlich nach Jerusalem zum Passa-Fest", oder: "Als die Tage vorüber waren und sie zurückkehrten, blieb der Knabe Jesus in Jerusalem, und seine Eltern wussten es nicht". Man bedenke auch, dass Maria, die Gabriel zur Antwort gegeben hatte: "Wie soll dies geschehen, da ich keinen Mann erkenne?", von Josef spricht: "Mein Kind, warum hast du uns dies getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht". Hier handelt es sich nicht um die Aussage von Juden, wie viele behaupten, oder von Spöttern. Die Evangelisten vielmehr nennen Josef Vater, und auch Maria bezeichnet ihn als Vater. Dies geschah nicht etwa darum, weil Josef in Wirklichkeit der Vater des Erlösers gewesen wäre, sondern weil er, um Marias guten Ruf zu wahren, von allen für den Vater gehalten wurde, er, der, bevor ihn der Engel ermahnt hatte: "Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als diene Frau zu dir zu nehmen; denn was in ihr erzeugt ist, ist vom Heiligen Geist" , mit dem Gedanken umging, Maria heimlich zu entlassen. Das wusste er, dass der, der empfangen worden war, nicht sein Sohn war. Ich habe aber mehr um zu belehren, als um eine falsche Behauptung zu widerlegen, erörtert, warum Josef Vater des Herrn und warum Maria Frau genannt worden ist. So ist auch zu verstehen, warum gewisse Personen seine Brüder genannt werden.

V

Doch die Frage nach den "Brüdern" will ich später behandeln, um jetzt im Zusammenhang fortzufahren. Jetzt gilt es zu erörtern, mit welchem Recht die Bibel sagt: "Josef aber stand vom Schlaf auf, tat, wie ihm der Engel des Herrn geboten hatte und nahm seine Frau zu sich, ohne sie zu erkennen, bis sie ihren Sohn geboren hatte, und er nannte seinen Namen Jesus". Zuerst müht sich der Gegner in überflüssiger Arbeit ab, zu zeigen, das "erkennen" vom Geschlechtsakt, nicht von der geistigen Tätigkeit des Erkennens zu verstehen sei. Als ob dies jemand leugnen würde oder als ob irgendein verständiger Mensch auf die Dummheiten, gegen die Helvidius kämpft, kommen könnte! Dann will er uns belehren, dass die Adverbien "donec" oder "usque" einen bestimmten Zeitpunkt anzeigen, nach dessen Verlauf das geschieht, was bis zu dem angegebenen Zeitpunkt nicht eingetreten ist, wie zum Beispiel im vorliegenden Fall: "Und er erkannte sie nicht, bis sie ihren Sohn gebar". Daraus ginge hervor, wie Helvidius sagt, dass Maria nach der Geburt erkannt wurde, weil dieser Akt durch die Geburt des Sohnes nur verschoben worden war. Zum Beweis führt er eine Menge von Beispielen aus der Bibel an und schwingt sein Schwert in der Finsternis, um schließlich mit seinem Wortgeplänkel nur sich selbst zu verwunden.

VI

Ihm habe ich nur kurz zu erwidern, dass die Worte "cognoscere"(erkennen) und "usque"(bis) in der Bibel in doppelter Bedeutung vorkommen. Wenn geschrieben steht "erkannte", so hat Helvidius selbst richtig gesagt, dass dies vom ehelichen Geschlechtsakte gesagt ist, und niemand bezweifelt, dass auch oft die geistige Tätigkeit des Erkennens damit gemeint sein kann, zum Beispiel: "Der Knabe Jesus blieb in Jerusalem zurück, ohne dass seine Eltern es erkannten". Nun will ich beweisen, dass Helvidius, wie er in dem einen Fall dem Geist der Bibel gefolgt ist, im anderen Fall, wo es sich um "donec" handelt, durch denselben Geist der Bibel widerlegt wird. Bei der Verwendung von "donec" handelt es sich nach des Helvidius eigenen Aussage um einen bestimmten Zeitpunkt, oft aber auch um einen unbestimmten. Dies ist der Fall zum Beispiel dort, wo Gott nach dem Propheten spricht: "Ich bin, ich bin, und bis ihr alt werdet, bin ich". Hat vielleicht Gott, nachdem die Hörer alt geworden waren, aufgehört zu existieren? Und der Erlöser spricht im Evangelium zu den Aposteln: "Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt". Der Herr wird also nach dem Ende der Welt von seinen Jüngern scheiden? Und wann werden sie dann auf den zwölf Thronen die zwölf Stämme Israels richten? Werden sie um die Gesellschaft des Herrn betrogen werden? Auch der Apostel Paulus schreibt an die Korinther: "Der Erstling ist Christus; dann kommen jene, die Christi Anhänger sind und an seine Ankunft geglaubt haben. Dann ist das Ende, wenn er das Reich Gott und dem Vater übergeben und jede Herrschaft, jede Gewalt und jede Kraft zerstören wird. Denn jener muss herrschen, bis er alle seine Feinde unter seine Füße legt. Alles hat er nämlich seinen Füßen unterworfen". Ich leugne nicht, dass es sich auf den bezieht, der am Kreuz gelitten hat und dem später zur Rechten Gottes sein Platz angewiesen wurde. Was heißt nun dies: "Denn jener muss herrschen, bis er alle seine Feinde unter seine Füße legt"? Soll der Herr so lange herrschen, bis seine Feinde anfangen, unter seinen Füßen zu liegen, und wenn sie unter seinen Füßen liegen, soll er dann aufhören zu herrschen, während doch gerade dann seine Herrschaft so recht erst beginnt, wenn die Feinde angefangen haben, unter seinen Füßen zu liegen? Auch David kann angeführt werden, der im vierten Stufenpsalm sagt: "Wie die Augen der Magd auf die Hände ihrer Herrin, so richten sich unsere Augen auf den Herrn, unsern Gott, bis er sich unser erbarmt". Also wird der Prophet so lange die Augen auf den Herrn richten, bis er Barmherzigkeit erlangt hat, und wenn er Barmherzigkeit erlangt hat, wird er dann die Augen zur Welt wenden? Außer den angeführten Stellen könnte ich noch unzählige Beispiele vorbringen und die Frechheit eines jeden, der noch weiter zum Widerspruch herausfordert, in eine Wolke von Zeugnissen einhüllen. Doch will ich mich mit einigen wenigen begnügen, damit der Leser sich selbst ähnliche Bibelstellen aufsuche.

VII

Im ersten Buch Moses spricht das göttliche Wort: "Und dem Jakob gaben sie die fremden Götter, die in ihrem Besitz waren, und die Ohrringe an ihren Ohren. Und Jakob verbarg sie unter der Terebinthe, die in Sichem war, und sie sind verschwunden bis auf den heutigen Tag". Ebenso heißt es am Schlusse des fünften Buches Moses: "Und es starb Mose, der Knecht des Herrn, in Moab gemäß dem Worte Gottes, und man begrub ihn in Geth, nahe beim Hause Phegors, und niemand kennt sein Grab bis auf den heutigen Tag". Unter dem heutigen Tag ist sicher jene Zeit zu verstehen, zu welcher diese Geschichte aufgeschrieben worden ist, wobei es gleichgültig ist, ob man Mose für den Verfasser der fünf Bücher Moses oder Esra für den Wiederhersteller des Werkes hält. Jetzt handelt es sich nur um die Frage, ob sich der Ausdruck "bis auf den heutigen Tag" auf jenen Tag bezieht, an dem die Bücher herausgegeben oder geschrieben worden sind. Helvidius möge uns beweisen, dass man seit jenem Tag, nachdem bis auf unsere Zeit so viele Jahre vergangen sind, die unter der Terebinthe vergrabenen Götzenbilder wieder aufgefunden hat, oder dass man Moses Grab entdeckt hat, da Helvidius so starrsinnig behauptet, nach dem durch "donec" und "usque" bezeichneten Zeitpunkte beginne das, was solange hinausgeschoben worden war, bis der mit "usque" und "donec" angedeutete Moment eintrat. Er täte gut daran, mehr auf die Ausdrucksweise Bibel zu achten und mit mir in bezug auf den strittigen Punkt der Meinung zu sein, dass das, worüber man zweifeln könnte, wenn es eben nicht geschrieben stünde, ganz klar ausgedrückt ist, dass aber das übrige unsrer Deutung überlassen wird. Denn wenn zu einer Zeit, wo die Erinnerung noch lebendig war und Moses Zeitgenossen noch lebten, die Kenntnis seines Grabes verloren gehen konnte, dann muss dies erst recht der Fall sein, nachdem so viele Jahrhunderte vergangen waren. Entsprechend ist auch die von Josef handelnde Stelle zu verstehen. Der Evangelist hat auf den Umstand hingewiesen, der zum Anstoß hätte werden können und hat deshalb geschrieben, Maria sei von ihrem Mann bis zur Geburt nicht erkannt worden. Daraus sollten wir erst recht auch erkennen, dass sie auch nach der Geburt nicht erkannt worden ist, nachdem Josef Enthaltsamkeit geübt hatte zu einer Zeit, in der in seiner Seele Zweifel über die ihm zuteil gewordene Vision hätten aufsteigen können.

VIII

Zum Schluss untersuche ich die Frage, warum Josef sich bis zum Tage der Geburt enthalten hat. Natürlich wird Helvidius antworten: "Weil er das Wort des Engels gehört hat: Was aus ihr geboren wird, ist vom Heiligen Geist" . Dagegen wende ich ein: Er hat sicherlich auch das Wort vernommen: "Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als diene Frau zu dir zu nehmen". Es war ihm geboten worden, sie nicht zu entlassen und wie eine ehebrecherische Frau zu behandeln. Oder ist er etwa auch zu der Zeit gehindert worden, mit der Frau zusammen zu kommen, als er das Gebot erhielt, sich nicht von ihr zu trennen? Hätte wohl, höre ich Helvidius antworten, ein gerechter Mann an ehelichen Geschlechtsverkehr denken können, nachdem er erfahren halte, dass sie den Sohn Gottes in ihrem Schoß trug? Gut! Wer also einer Traumvision soviel Glauben schenkt, dass er es nicht wagt, seine Frauu zu berühren, sollte der es wagen, dem Tempel Gottes, der Wohnung des Heiligen Geistes, der Mutter des Herrn sich so zu nahen, nachdem er aus dem Mund der Hirten gehört hatte, der Engel des Herrn sei vom Himmel gekommen und habe zu ihnen gesprochen: "Fürchtet euch nicht! Seht, ich verkündige euch eine große Freude, die allem Volk zuteil werden soll, denn heute ist euch in der Stadt Davids der Erlöser geboren, das ist Christus, der Herr", nachdem Josef erfahren hatte, dass vereint mit diesem Engel die himmlischen Heerscharen den Lobpreis anstimmten: "Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Friede den Menschen guten Willens"? Das hätte Josef tun sollen, vor dessen Augen der gerechte Simeon das Kind auf den Armen hielt und feierlich sprach: "Nun entlässt du deinen Knecht, o Herr, nach deinem Worte in Frieden, denn meine Augen haben dein Heil gesehen", Josef, der die Prophetin Hanna, die Magier, den Stern, Herodes und die Engel geschaut hatte, Josef, der Zeuge gewesen war so vieler wunderbarer Vorgänge? Und sicherlich bewahrte Maria alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Es wäre eine Frechheit zu behaupten, Josef habe von diesen Begebenheiten nichts gewusst, da doch Lukas sagt: "Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über die Dinge, die über ihn gesagt wurden." Natürlich wirst du bei deiner einzigartigen Frechheit einwenden, hier liege in den griechischen Handschriften eine Fälschung vor, die nicht nur alle griechischen Autoren in ihren Büchern stehen gelassen haben, sondern auch einige Lateiner aus dem Griechischen übernommen haben. Doch hat es keinen Zweck, über die Verschiedenheit der Textausgaben zu streiten, da inzwischen das ganze Alte und Neue Testament ins Lateinische übertragen worden ist, und man muss annehmen, dass das Wasser der Quelle reiner fließt als das des Flusses.

IX

Doch du behauptest: "Das sind für mich Phrasen und nichtssagende Beweise, das sind mehr interessante als wahrheitsgemäße Überlegungen. Könnte die Bibel nicht sagen: "Und er nahm seine Frau, ohne dass er sie in Zukunft zu berühren wagte", wie es von Thamar und Juda heißt? Fehlten etwa Matthäus die Worte, um das zum Ausdruck zu bringen, was er verstanden wissen wollte? Wir lesen: "Er erkannte sie nicht, bis sie ihren Sohn gebar" . Also erkannte er sie nach der Geburt, nachdem er die eheliche Beiwohnung bis zur Geburt aufgeschoben hatte. - So sagst du.

X

Wenn du, Helvidius, so zänkisch bist, will ich dich mit deiner eigenen Meinung schlagen. Du darfst dann nämlich überhaupt keinen Zwischenraum einfügen zwischen Geburt und Geschlechtsakt. Du darfst mir auch nicht kommen mit der Vorschrift: "Wenn eine Frau empfangen und einen Sohn geboren hat, soll sie unrein sein sieben Tage lang, wie zur Zeit ihrer Monatsblutung. Und am achten Tage soll sie das Fleisch seiner Vorhaut beschneiden. Dreiunddreißig Tage soll sie daheim bleiben im Blute ihrer Reinigung und nichts Heiliges anrühren". Sofort sollte Josef also zudringlich werben, sofort sollte von ihm das Prophetenwort gelten: "Gegen die Frauen sind sie geworden wie geile Hengste, ein jeder wieherte nach der Gattin seines Nächsten". Wie könnte man sonst die Worte rechtfertigen: "Er erkannte sie nicht, bis sie ihren Sohn gebar", wenn Josef nachher die Zeit der Reinigung noch abwartet, wenn die so lange zurückgehaltene Begierde von neuem um vierzig Tage verschoben werden muss? Die Mutter liegt noch im Blut da, die Amme nimmt den weinenden Knaben in Empfang, der Gatte aber umarmt schon die erschöpfte Gattin. Unter solchen Umständen muss dann der eheliche Geschlechtsverkehr beginnen, nur damit der Evangelist nicht gelogen habe. Wie kann man so etwas von der Mutter des Erlösers und von einem Gerechten annehmen? Da gab es keine Hebamme oder anderer Frauen Geschäftigkeit. Maria selbst wickelte das Kind in Windeln, sie selbst war Mutter und Geburtshelferin. "Und sie legte es in die Krippe, weil in der Herberge kein Platz war". Diese Stelle entkräftet auch die Spinnereien der Apokryphen, da Maria in Wahrheit selbst das Kind in Windeln wickelte, auch erlaubte sie nicht, dass der eheliche Geschlechtsverkehr, wie Helvidius es will, vollzogen wurde, da hierzu in der Unterkunft kein Platz war.

XI

Auf des Helvidius Bemerkung zu "bevor sie zusammenkamen" und "er erkannte sie nicht, bis sie ihren Sohn gebar" habe ich genug, ja zum Überdruss Antwort gegeben. Es bleibt jetzt noch die dritte Frage, denn entsprechend der Ordnung der Schrift des Helvidius soll auch meine Antwort ordnungsgemäß vorangehen. Er nimmt an, daß Maria noch andere Söhne geboren hätte, weil geschrieben steht: "Es ging aber Josef hinauf nach der Stadt Davids, um sich mit Maria, seiner Frauu, welche vor ihrer Niederkunft stand, einzutragen. Als sie dort waren, geschah es, dass die Zeit herannahte, da Maria gebären würde, und sie gebar ihren erstgeborenen Sohn". Hierauf stützt Helvidius sich, um zu beweisen, dass als Erstgeborener nur jemand bezeichnet werden könnte, der noch Brüder habe, während einer, wenn er der einzige Sohn seiner Eltern sei, der Eingeborene genannt wird.

XII

Ich aber erkläre dies: Jeder eingeborene Sohn ist auch der erstgeborene, doch nicht jeder Erstgeborene ist der Eingeborene. Erstgeborener ist nämlich nicht nur der, auf den keiner mehr folgt, sondern auch der, welchem niemand vorangeht. Der Herr spricht zu Aaron: "Alles, was den Mutterschoß öffnet von allem Fleisch, das dem Herrn geopfert wird, vom Menschen bis zum Vieh, soll dein sein. Doch die menschliche Erstgeburt soll man mit Gold loskaufen, ebenso die Erstgeburt der unreinen Tiere". Das Wort Gottes selbst hat erklärt, was unter Erstgeburt zu verstehen ist: "Alles, was den Mutterschoß öffnet". Wenn aber nur derjenige Erstgeborener genannt wird, auf den noch Brüder folgen, dann schuldet man auch den Priestern die Erstgeburt erst, wenn eine weitere Geburt folgt. Es könnte ja sonst, wenn keine weitere Geburt erfolgt, ein Sohn der eingeborene, aber nicht der erstgeborene sein. Es heißt weiter: "Der Loskauf soll innerhalb eines Monats erfolgen um den Preis von fünf Schekel. Der Schekel, nach dem Schekel des Heiligtums berechnet, beträgt zwanzig Obolen. Nur die Erstgeburt der Kälber und der Lämmer und der Ziegen sollst du nicht loskaufen, weil sie heilig sind". Das Wort Gottes zwingt mich, alles, was den Mutterschoß öffnet, Gott zu geloben, wenn es reine Tiere sind, oder es loszukaufen, wenn es unreine Tiere sind, indem ich dem Priester eine Steuer zahle. Ich könnte nun erwidern und sagen: "Warum legst du mir denn die Pflicht innerhalb einer Monatsfrist auf? Warum nennst du den einen Erstgeborenen, von dem ich nicht weiß, ob ihm noch Brüder folgen? Warte doch, bis der zweite geboren ist! Erst dann habe ich eine Schuld an den Priester, wenn auch der ins Leben getreten ist, durch dessen Geburt der früher zur Welt Gekommene erst zum Erstgeborenen wird". Werden aber nicht die Buchstaben reden und mich der Dummheit anklagen, weil ich den, der den Mutterschoß öffnete, Erstgeborenen genannt habe, nicht bloß den, der noch Brüder besitzt? Dann frage ich, ob Johannes, von dem feststeht, dass er der eingeborene Sohn war, auch der erstgeborene Sohn gewesen ist. War er nicht nach dem Gesetze ganz und gar diesem Gesetz unterworfen? Ohne Zweifel, ja. Vom Erlöser sagt die Bibel: "Als die Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetz Moses zu Ende waren, brachten sie ihn nach Jerusalem, um ihn Gott aufzuopfern, wie geschrieben steht im Gesetz des Herrn: Alles Männliche, das den Mutterschoß öffnet, soll dem Herrn geheiligt werden, und um dem Gesetze des Herrn gemäß Opfer darzubringen, ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben". Wenn dieses Gesetz nur für die Erstgeborenen gilt, der Name "Erstgeborener" aber bedingt ist durch die Geburt weiterer Söhne, dann durfte auch das auf den Erstgeborenen Bezug nehmende Gesetz bei dem nicht in Anwendung kommen, von dem man nicht wissen konnte, ob ihm noch Brüder folgen würden. Weil aber das Gesetz über die Erstgeborenen auch den einbezieht, auf den keine weiteren Brüder folgen, so ergibt sich, dass der Name Erstgeborener jedem zukommt, der den Mutterschoß öffnet, und vor dem kein anderer geboren ist, nicht bloß dem, auf den ein später geborener Bruder folgt. Mose schreibt im zweiten Buch Moses: "Um Mitternacht tötete der Herr alle Erstgeburt in Ägypten, vom Erstgeborenen Pharaos, der auf dem Thron saß, bis zum Erstgeborenen der Gefangenen im Kerker, und alle Erstgeburt des Viehs". Nun sage mir: Waren die, die vom Würge-Engel getötet wurden, nur Erstgeborene oder auch Eingeborene? Wenn nur solche Erstgeborene genannt werden, die Brüder haben, dann sind die Eingeborenen vom Untergange frei geblieben. Wenn aber auch die Eingeborenen umkamen, so starben entgegen dem Urteil neben den Erstgeborenen auch die Eingeborenen. Entweder musst du die Eingeborenen von der Strafe ausnehmen, dann machst du dich lächerlich, oder du gibst zu, dass sie dem Tod zum Opfer fielen, und dann behaupten wir dir zum Trotz, dass auch die Eingeborenen Erstgeborene heißen.

XIII

Die letzte Aussage, die Helvidius schon an der Stelle über den Erstgeborenen beweisen wollte, ging dahin, dass in den Evangelien Brüder des Herrn erwähnt werden. So heißt es: "Seine Mutter und seine Brüder standen draußen und wollten mit ihm sprechen". Und andernorts: "Darauf ging er hinab nach Kapharnaum, er mit seiner Mutter und seinen Brüdern". Oder hier: "Es sprachen seine Brüder zu ihm: Gehe fort von hier und begib dich nach Judäa, damit auch deine Jünger die Werke sehen, die du tust. Denn niemand handelt im Verborgenen, sondern man strebt danach, an die Öffentlichkeit zu treten. Wenn du solche Dinge tust, so offenbare dich der Welt". Johannes fügt hinzu: "Denn auch seine Brüder glaubten nicht an ihn". Ähnlich schreiben Markus und Matthäus: "Und er lehrte sie in ihrer Synagoge in seiner Vaterstadt, so dass sie staunten und sagten: Woher hat er diese Weisheit und diese Kräfte? Ist er nicht des Zimmermanns Sohn? Heißt nicht seine Mutter Maria, und leben nicht seine Brüder Jakob und Josef und Simon und Judas und alle seine Schwestern bei uns?" Auch Lukas berichtet in der Apostelgeschichte: "Diese alle verharrten einmütig im Gebet mit den Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern". Auch der Apostel Paulus tritt in gleichen Worten für die Zuverlässigkeit dieser Tatsache ein: "Gemäß einer Offenbarung zog ich hinauf nach Jerusalem und sah niemanden außer Petrus und Jakobus, den Bruder des Herrn". Und wiederum heißt an einer anderen Stelle: "Haben wir nicht das Recht zu essen und zu trinken? Haben wir nicht das Recht, Frauen mit uns zu führen wie die übrigen Apostel und die Brüder des Herrn und Kefa?"  Damit nun nicht jemand das Zeugnis der Juden, die sogar seine Brüder mit Namen nennen, ablehne und sage, die Juden hätten sich in Bezug auf Brüder in einem ähnlichen Irrtum befunden wie in Hindsicht auf den Vater, hat Helvidius klug vorgebeugt, wenn er sagt : "Dieselben Namen werden auch bei anderen Gelegenheiten von dem Evangelisten genannt. Die Brüder des Herrn sind identisch mit den Söhnen Marias". Matthäus sagt: "Es befanden sich aber dort unter dem Kreuz auch viele Frauen, die von ferne zusahen. Sie waren Jesus aus Galiläa gefolgt, um ihm zu dienen. Zu ihnen gehörten Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus und des Josef, sowie die Mutter der Söhne des Zebedäus". Ebenso schreibt Markus: "Es waren aber auch Frauen zugegen, die aus der Ferne zuschauten. Unter ihnen befand sich Maria Magdalena, Maria, die Mutter Jakobus des Jüngeren und Josefs, und Salome". Auch Lukas berichtet: "Es waren aber Maria Magdalena und Johanna, sowie Maria, des Jakobus Mutter, und die übrigen mit ihnen".

XIV

Diese Einwände habe ich deshalb wiederholt, damit Helvidius nicht lügnerisch ausposaunt, ich hätte, was für ihn zu sprechen scheint, unterschlagen und seine Ansicht nicht durch Bibelzeugnisse, sondern durch Geschwätz zu erschüttern versucht. "Siehe", sagt Helvidius, "Jakobus und Josef, die Söhne Marias, dieselben, welche die Juden Brüder genannt haben! Siehe Maria, des jüngeren Jakobus und des Joses Mutter; des jüngeren Jakobus zum Unterschied vom älteren, der ein Sohn des Zebedäus war, wie an anderer Stelle Markus sagt, wo er schreibt: Maria Magdalena aber und Maria, des Jakobus und des Joses Mutter, sahen, wohin man ihn legte, kauften, als der Sabbat vorüber war, Salböl und kamen zum Grab". Und weiter bemerkt Helvidius: "Wie kläglich und gefühllos wäre es, von Maria anzunehmen, die Mutter Jesu sei, während andere Frauen für Jesu Begräbnis Sorge trugen, abwesend gewesen, oder zu erdichten, es habe noch irgendeine andere Maria gegeben. Dabei ist zu bedenken, dass das Johannesevangelium ihre Gegenwart bezeugt, als der Herr sie, die bereits Witwe war, dem Johannes als Mutter anvertraute. Oder sind die Evangelisten die Getäuschten, täuschten sie am Ende selbst andere, wenn sie Maria jener Männer Mutter nennen, welche die Juden als Brüder Jesu bezeichnet haben?"


XV

Aus diesen Worten spricht blinde Wut auf Maria und gottlose Torheit, die zum eigenen Verderben der Seele führt! Du sagst, die Mutter des Herrn sei beim Kreuz anwesend gewesen, sie sei dem Jünger Johannes in ihrer einsamen Witwenschaft als Mutter von Jesus anvertraut worden, und doch hatte sie nach deiner Ansicht vier Söhne und eine Menge von Töchtern, mit denen sie hätte zusammen leben können. Du nennst sie auch Witwe, obwohl die Bibel diesen Ausdruck nicht gebraucht. Während du alle Beispiele aus den Evangelisten anführst, passen dir allein des Johannes Worte nicht. Du sagst so oberflächlich, sie sei beim Kreuz des Herrn anwesend gewesen, um den Schein zu vermeiden, mit Absicht hierüber hinweggegangen zu sein. Aber du verschweigst, welche Frauen zugleich mit ihr anwesend waren. Wenn du es nicht wüsstest, dann könnte ich es dir verzeihen, aber ich sehe, dass du mit Absicht darüber hinweggegangen bist. Darum höre, was Johannes sagt: "Es standen aber neben dem Kreuz Jesu Maria, seine Mutter, und die Schwester seiner Mutter, Maria Kleophae, sowie Maria Magdalena". Ohne Zweifel gab es zwei Apostel, die den Namen Jakobus führten, Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und Jakobus, den Sohn des Alphäus. Ist nun nach deiner Meinung Jakobus der Jüngere, den die Schrift als Sohn Maria, aber niemals als Sohn der Mutter des Herrn anführt, ein Apostel oder nicht? Wenn er ein Apostel ist, dann muß es der Sohn des Alphäus sein, der an Jesus glaubte und nicht zu den sogenannten Brüdern gehörte, von denen geschrieben steht: "Damals glaubten auch seine Brüder nicht an ihn". Wenn er aber kein Apostel ist, sondern irgendein dritter Jakobus, wie kann er dann für einen Bruder des Herrn gehalten werden? Wie kann dann ein dritter zum Unterschied von einem Älteren der Jüngere genannt werden, da die Begriffe älter und jünger nur eine Gegenüberstellung von zwei, aber nicht von drei Personen zulassen? Außerdem bestätigt Paulus, dass der Bruder des Herrn ein Apostel sei, wenn er schreibt: "Drei Jahre später kam ich nach Jerusalem, um den Petrus zu sehen, und blieb fünfzehn Tage bei ihm. Sonst sah ich keinen Apostel, ausgenommen Jakobus, den Bruder des Herrn". Und in dem gleichen Brief lesen wir: "Und nachdem sie die Gnade erkannt hatten, die mir gegeben worden war, gaben Petrus und Jakobus und Johannes, die für Säulen gehalten wurden, mir die Hand". Damit du diesen Jakobus nicht für des Zebedäus Sohn ansiehst, schlage die Apostelgeschichte nach. Dieser war nämlich von Herodes bereits hingerichtet worden. Es ergibt sich als Schlussfolgerung, dass jene Maria, die die Bibel als des jüngeren Jakobus Mutter erwähnt, des Alphäus Gattin gewesen sein muss und die Schwester Marias, der Mutter des Herrn. Der Evangelist Johannes nennt sie Maria Kleophae entweder nach ihrem Vater, oder nach dem Stammesnamen ihrer Familie oder aus irgendeinem anderen Grunde. Wenn du aber an zwei verschiedene Personen denkst, weil es einmal heißt Maria, die Mutter des jüngeren Jakobus, und ein anderes Mal Maria Kleophae, dann wisse, es ist in der Schrift gebräuchlich, denselben Menschen unter verschiedenen Namen anzuführen. Reguel, Moses Schwiegervater, heißt auch Jethro. Gideon wird auf einmal Jerubbaal genannt, ohne dass vorher eine Begründung für die Namensänderung angegeben wäre. Der Berg Tabor heißt auch Itabyrium. Ferner trägt der Hermon bei den Amoritern den Namen Senir. Petrus heißt noch Simon und Kefa . Judas Zelotes der Eiferer wird in einem anderen Evangelium Thaddäus genannt . Noch vieles andere, was als Beleg für meine Behauptung anzuführen wäre, wird der Leser selbst sich aus den einzelnen Büchern der Bibel zusammensuchen können.

XVI

Ich will jetzt noch beweisen, wie die Söhne Marias, der Tante Jesu, die anfangs nicht glaubten, später aber geglaubt haben, Brüder des Herrn genannt werden können. Es kann auch sein, dass einer sofort glaubte und die übrigen lange ungläubig waren. Weiter will ich noch darlegen, wie dieselbe Person, nämlich Maria Kleophae, des Alphäus Gattin, Mutter des Jakobus und Joses, und Maria, die Mutter des jüngeren Jakobus heißen kannn. Wenn sie die Mutter des Herrn wäre, dann würde der Evangelist, wie er es immer tut, sie in erster Linie auch als Mutter Jesu bezeichnet haben. Er würde sie nicht als Mutter dieser beiden genannt, aber als Mutter eines anderen, nämlich als Mutter Jesu verstanden haben. Doch darüber will ich nicht weiter streiten, ob Maria Kleophae und Maria, des Jakobus und Joses Mutter, verschiedene Personen waren. Es genügt, wenn feststeht, daß Maria, des Jakobus und Joses Mutter, nicht identisch ist mit der Mutter des Herrn. "Und mit welchem Recht", fragst du, "hat man solche, die keine Brüder waren, Brüder des Herrn genannt?" Jetzt sollst du hören, dass dem Wort "Bruder" in der göttlichen Bibel vier Bedeutungen zukommen. Es bezeichnet den natürlichen Bruder, die Zugehörigkeit zu demselben Volk, die Verwandtschaft und ein auf Zuneigung gründendes Verhältnis. Natürliche Brüder sind Jakob und Esau, die zwölf Patriarchen, Andreas und Petrus, Jakobus und Johannes. Die Zugehörigkeit zu einem Volk kommt zum Ausdruck, wenn alle Juden untereinander Brüder genannt werden. So heißt es im fünften Buch Moses: "Wenn du aber deinen Bruder, das heißt einen Hebräer oder eine Hebräerin, gekauft hast, dann soll er dir sechs Jahre dienen und im siebenten Jahr sollst du ihn freilassen". In demselben Buche finden wir die Stelle: "Du sollst über dich einen Fürsten setzen, den der Herr, dein Gott, erwählt hat, und er soll aus deinen Brüdern genommen sein. Denn nicht kannst du einen Fremdling über dich setzen, weil er nicht dein Bruder ist". Und andernorts: "Siehst du, dass das Kalb deines Bruders oder sein Schaf sich auf dem Weg verirrt hat, so gehe nicht achtlos daran vorüber. Deinem Bruder sollst du es zurückführen. Wenn dein Bruder aber nicht in deiner Nähe wohnt und dir unbekannt ist, dann nimm es in dein Haus, und es soll bei dir bleiben, bis es dein Bruder zurückfordert. Dann gib es ihm zurück". Der Apostel Paulus sagt: "Ich wünschte selbst im Bann zu sein, fernab von Christus, für meine Brüder, die mir verwandt sind dem Fleisch nach, für die Israeliten". Brüder heißen auch die Verwandten, die aus einer Familie oder aus einem Geschlecht stammen. Für dieses Verhältnis haben die Lateiner die Bezeichnung "paternitas", da aus einer Wurzel eine weitverzweigte Familie hervorgeht. In diesem Sinn lesen wir im ersten Buch Moses: "Es sprach aber Abraham zu Lot: Fern sei da ein zwischen mir und dir, zwischen meinen und deinen Hirten, weil wir Brüder sind". Da heißt es auch: "Und es erwählte sich Lot die Gegend am Jordan, und Lot brach Richtung Osten auf, und es schied ein jeglicher von seinem Bruder". In Wirklichkeit ist aber Lot nicht Abrahams Bruder, sondern der Sohn von dessen Bruder Aram, denn Thare hatte Abraham, Nachor und Aram gezeugt, Aram aber den Lot. Eine andere Schriftstelle lautet: "Abraham war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran auswanderte. Und Abraham nahm seine Frauu Sara und Lot, den Sohn seines Bruders, mit sich". Solltest du noch zweifeln, dass Bruder gleich Bruderssohn genommen sein kann, dann vernimm folgenden Beweis: "Als jedoch Abraham gehört hatte, daß sein Bruder Lot gefangen fortgeschleppt worden war, zählte er seine Hausleute, dreihundertundachtzehn". Nach der Schilderung des nächtlichen Blutbades geht es weiter: "Und er führte die gesamte Habe der Sodomiter zurück und nahm seinen Bruder Lot mit sich". Diese Stellen möchten zum Beweis meiner Behauptung genügen. Damit du aber keine Ausreden machst und wie eine schlüpfrige Schlange entwischst, musst du gleichsam mit einer ganzen Kette von Beweisen erdrückt werden. Dann kannst du nicht klagen und hinterhältig bemerken, nicht durch das Gewicht der Bibelzeugnisse, sondern durch eine gewundene Argumentation seiest du widerlegt worden. Jakob, der Sohn Isaaks und Rebekkas, fürchtete die Nachstellungen seines Bruders und machte sich auf nach Mesopotamien. Er kam an, wälzte den Stein von der Öffnung des Brunnens und tränkte die Schafe Labans, des Bruders seiner Mutter. Und es küsste Jakob die Rahel, er weinte laut auf und teilte der Rahel mit, dass er der Bruder ihres Vaters und Rebekkas Sohn sei. Wie du siehst, wird auch hier nach der bereits erwähnten Sitte der Schwestersohn als Bruder bezeichnet. Und weiter lesen wir: "Es sprach aber Laban zu Jakob: Weil du mein Bruder bist, so sollst du mir nicht umsonst dienen. Bestimme deinen Lohn". Und als er nach zwanzig Jahren ohne Vorwissen seines Schwiegervaters in Begleitung seiner Frauuen und Kinder in sein Vaterland zurückkehrte, da holte ihn Laban am Gebirge Gilead ein. Als dieser unter den Gepäckstücken die Götzen, die Rahel versteckt hielt, suchte, ohne sie zu finden, da antwortete Jakob und sprach zu Laban: "Worin besteht meine Schuld, und was ist mein Vergehen, um dessentwillen du mich verfolgt hast? Warum hast du alle meine Gerätschaften durchsucht? Was hast du von deinem gesamten Eigentum gefunden? Lege es vor deine und meine Brüder, und sie mögen zwischen uns beiden richten" . Antworte mir: Wer sind denn diese Brüder Jakobs und Labans, die damals zugegen waren? Esau, Jakobs natürlicher Bruder, war abwesend, und Laban, Bethuels Sohn, besaß außer Rebekka keine Geschwister.

XVII

An vielen Bibelstellen sind solche Bezeichnungen in die göttliche Bibel gestreut. Doch will ich nicht langatmig werden, sondern zum letzten Kapitel zurückkehren, wo ich sagte, dass auch ein auf Zuneigung beruhendes Verhältnis als Bruderschaft bezeichnet wird. Dies ist zu teilen in eine geistige und eine allgemeine Zun4eigung. In eine geistige Zuneigung, weil wir Christen alle Brüder genannt werden, zum Beispiel: "Siehe, wie schön und wie lieblich ist es, wenn Brüder friedlich zusammen wohnen", oder: "Geh und sag zu meinen Brüdern..." Die allgemeine Bedeutung gründet sich darauf, dass wir alle von Einem Vater abstammen, dass uns gleiche Verwandtschaft verbindet. "Sagt", so heißt es, "zu denen, die euch hassen: Unsre Brüder seid ihr". Und der Apostel Paulus schreibt an die Korinther: "Wenn irgendein Bruder Wollüstling oder Geizhals oder Götzendiener oder Verleumder oder Trunkenbold oder Räuber genannt wird, so sollt ihr mit einem solchen nicht essen". Ich frage dich jetzt: In welchem Sinn ist nach deiner Meinung im Evangelium von Brüdern des Herrn die Rede? Ist gedacht an das eigentliche, auf Blutsverwandtschaft beruhende Bruderverhältnis? Davon sagt die Bibel nichts, denn sie nennt die Brüder weder Söhne Marias noch Söhne Josefs. Ist etwa gedacht an die Stammesgemeinschaft? Dann wäre es töricht, eine kleine Anzahl der Juden Brüder zu nennen, da alle dort anwesenden Juden mit gleichem Recht Brüder genannt hätten werden können. Ist gedacht an eine allgemeine menschliche oder geistige Zuneigung? Wenn dies der Fall wäre, wer hätte dann mehr Anrecht auf den Titel Brüder als die Apostel, die Jesus innerlich belehrte, die er selbst Mutter und Brüder nannte? Wenn übrigens alle, weil sie Menschen sind, auch Brüder sind, so wäre es dumm gewesen, dass man als etwas Besonderes die Botschaft brachte: "Siehe, deine Brüder suchen dich", da allgemein alle Menschen in diesem Sinn Brüder sind. Es bleibt also nach dieser Auseinandersetzung nur übrig, für sie das Wort Bruder als Bezeichnung der Verwandtschaft, nicht aber der Zuneigung oder der Zugehörigkeit zu einem Volk oder der gemeinsamen Abstammung aufzufassen. Sie sind Brüder in dem Sinn, in welchem Lot Abrahams und Jakob Labans Bruder genannt worden sind, in dem Sinn, in dem Abraham seine Schwester zur Frauu hatte. Er sprach nämlich: "In Wahrheit ist sie meine Schwester väterlicherseits, aber nicht mütterlicherseits", das heißt die Tochter eines "Bruders", aber nicht einer "Schwester". Wie wäre es sonst möglich gewesen, dass Abraham als gerechter Mann die Tochter seines Vaters zur Frauu hätte nehmen können, während selbst bei den ersten Menschen aus zarter Rücksicht auf die Zuhörer die Bibel davon schweigt, da sie nur will, dass es verstanden wird, aber nicht, dass es ausgesprochen wird. Wie wär dies denkbar, da Gott selbst durch ein Gesetz unter Strafandrohung bestimmt: "Wer seine Schwester väterlicherseits oder mütterlicherseits zu sich nimmt und sieht ihre, sie aber seine Scham, wird zur Schande. Sie sollen ausgetilgt werden vor den Angehörigen ihres Stammes. Er hat die Scham seiner Schwester aufgedeckt und wird seine Strafe empfangen"?

XVIII

O du Dümmster aller Menschen, das hattest du nicht gelesen und dann unter Außerachtlassung der gesamten Bibel deine ganze Wut konzentriert auf die Schmähung der Jungfrau! Du hast jenen sonst unbekannten Mann nachgeahmt, von dem die Sage berichtet, er habe den Tempel der Jungfrau Diana in Brand gesteckt, da er sich nichts Gutes ausdenken konnte, was ihm zum Ruhm verholfen hätte. Weil niemand sein Verbrechen verriet, ist er selbst öffentlich aufgetreten, um sich laut der Brandstiftung anzuklagen. Auf die Frage der Behörden in Ephesus, warum er das getan habe, soll er zur Antwort gegeben haben: "Um wenigstens durch ein Verbrechen berühmt zu werden, nachdem ich es auf gutem Wege nicht vermochte". So berichtet die griechische Geschichte. Du aber hast den Tempel des Leibes des Herrn in Brand gesteckt, du hast das Heiligtum des Heiligen Geistes befleckt, aus dem nach deiner Annahme ein Doppelpaar von Brüdern und eine Reihe von Schwestern hervorgegangen sein soll. Ja, du stimmst ein in den Ausruf der Juden: "Ist dieser nicht des Zimmermanns Sohn? Heißt nicht seine Mutter Maria? Und sind seine Brüder Jakobus, Joses, Simon und Judas sowie alle seine Schwestern nicht bei uns?" Wer hat dich denn vor dieser Gotteslästerung gekannt? Du hast erreicht, was du erstrebt hast, durch einen Frevel hast du Ruhm erlangt. Ich selbst, der ich gegen dich schreibe und in derselben Stadt mit dir wohne, weiß nicht, ob du weiß oder schwarz bist, wie man zu sagen pflegt. Die Sprachfehler, von denen deine ganze Schrift wimmelt, will ich übergehen. Ich will kein Wort verlieren über den lächerlichen Anfang: "O Zeiten, o Sitten!" Ich frage nichts nach Beredsamkeit, die du, obwohl sie dir selbst fehlt, beim Bruder Craterius vermisst hast. Ich fordere keine glänzende Sprache, aber Reinheit der Seele! Bei den Christen gilt es für einen groben Verstoß gegen die gute Lebensart und für ein Laster, etwas Schmutziges zu erzählen oder zu tun. Ich komme zum Schluss und schließe dich in ein Dilemma ein. Hierbei werde ich so mit dir verfahren, als ob ich im vorhergehenden nichts gesagt hätte. In demselben Sinn ist die Rede von den Brüdern des Herrn, in welchem Josef Vater genannt worden ist. "Ich", sagt Maria, "und dein Vater haben dich mit Schmerzen gesucht". Die Mutter Jesu spricht so, nicht etwa die Juden. Auch der Evangelist selbst berichtet: "Und es wunderten sich sein Vater und seine Mutter über die Dinge, die über ihn gesagt wurden". Ähnliche Stellen, in denen die Eltern erwähnt werden, gibt es noch mehr, und ich habe sie bereits genannt. Damit du dich aber nicht auf die Verschiedenheit der Bibelausgaben berufst, nachdem du dir dummerweise eingeredet hast, die griechischen Bibelausgaben seien gefälscht, weise ich auf das Johannesevangelium hin, worin es ganz deutlich heißt: "Es fand Philippus den Nathanael und sprach zu ihm: Wir haben Jesus, den Sohn Josefs, aus Nazareth gefunden, über den Mose im Gesetze und die Propheten geschrieben haben". Diese Worte finden sich sicher in deiner Bibelausgabe. Antworte mir, wie Jesus, von dem doch klar ist, dass er vom Heiligen Geist gezeugt worden ist, Josefs Sohn sein kann. Ist Josef wirklich der Vater gewesen? Und wenn du auch noch so beschränkt bist, wirst du dies nicht zu behaupten wagen. Oder wurde er bloß dafür gehalten? In derselben Weise, in der der Titel Vater aufgefasst worden ist, soll man auch die Bezeichnung Brüder bewerten.

XIX

Doch nachdem die Darstellung die gefährlichen und schwierigen Stellen hinter sich hat, müssen jetzt die Segel gesetzt werden. Ich habe mich noch abzugeben mit den Schlussbemerkungen des Helvidius, in denen er sich einen wissenschaftlichen Anstrich gibt, indem er Tertullian als Zeugen anführt und sich auf Aussprüche des Viktorinus, des Bischofs von Pettau, stützt. Betreffen Tertullian sag ich nur, dass er nicht zur Kirche gehört. Bezüglich Viktorins gilt, was auch von den Evangelisten gilt, dass er nur von Brüdern des Herrn, nicht aber von Söhnen Marias gesprochen hat. Brüder aber nennt er sie in dem schon dargelegten Sinn von Verwandten, nicht in der engeren Bedeutung des Wortes. Doch wir geben uns hier mit Kleinigkeiten ab und folgen dem Bach von Meinungen, während wir die Quelle der Wahrheit verlassen haben. Kann ich gegen dich nicht die ganze Reihe der alten Autoren anführen? Ignatius, Polykarpus, Irenäus, Justinus den Märtyrer und viele andere apostolische Väter, die gegen Ebion Theodotus von Byzanz und Valentinus in voller Übereinstimmung Schriften voller Weisheit verfasst haben? Wenn du die Väter gelesen hättest, dann würdest du klüger sein! Doch ich zieh es vor, kurz auf die Einzelheiten einzugehen, anstatt infolge allzu großer Umschweife meine Schrift allzu sehr in die Länge zu ziehen.

XX

Meine Abwehr richtet sich gegen jene Ausführungen, in denen du deine Beredsamkeit glänzen lassen wolltest, als du Jungfräulichkeit und Ehestand miteinander verglichst. Ich musste lachen und dabei an das Sprichwort denken: Wir haben ein Kamel tanzen sehen! Du sagst: "Sind die Jungfrauen besser als Abraham, Isaak und Jakob, die verheiratet waren? Werden etwa tagtäglich durch Gottes Hand die Kinder im Mutterschoß geformt, damit wir mit Grund erröten müssten bei der Behauptung, Maria habe nach der Geburt ehelichen Geschlechtsverkehr gehabt? Wem dies unpassend vorkommt, dem bleibt nur übrig, nicht daran zu glauben, dass auch Gott aus dem Schoß der Jungfrau geboren wurde. Denn nach der Auffassung solcher Leute scheint es noch unpassender, dass Gott aus dem Schoß der Jungfrau hervorgegangen ist, als dass die Jungfrau nach der Geburt ihren Mann genommen habe". Du könntest auch noch andere von der Natur geforderte Demütigungen nennen, die innerhalb neun Monaten sich immer mehr bemerkbar machen: die Schwangerschaft, die lästigen Beschwerden, die Geburt, das Blut und die Windeln. Du magst an das Kind selbst denken, das umhüllt ist von der schützenden Haut, du könntest auch noch hinweisen auf die harte Krippe, das Geschrei des Kleinen, die Beschneidung am achten Tag, auf die Zeit der Reinigung, um seine Unreinheit aufzuopfern. Aber wir erröten nicht über diese Dinge und verschweigen sie nicht. Je mehr er gedemütigt wird durch das, was er für uns gelitten hat, desto mehr schulde ich ihm. Und wenn du alles bedenkst, dann wird dir nichts einfallen, was schmachvoller wäre als das Kreuz, das wir doch verherrlichen, an das wir glauben, und in dem wir über unsere Feinde triumphieren.

XXI

Aber wie wir nicht leugnen, was geschrieben steht, so weisen wir zurück, was nicht geschrieben steht. Dass Gott aus der Jungfrau geboren ist, glauben wir, weil wir es lesen. Dass Maria nach der Geburt ehelichen Geschlechtsverkehr gehabt habe, glauben wir nicht, weil wir es nicht lesen. Dies sage ich nicht darum, weil ich etwa die Ehe verachte, denn die Jungfräulichkeit ist ja selbst eine Frucht der Ehe, sondern weil es uns nicht zusteht, über gerechte Männer falsch zu urteilen. Wenn man aber bloße Möglichkeiten berücksichtigt, dann könnte man auch behaupten, Josef habe mehrere Ehefrauen gehabt, weil Abraham mehrere hatte, so auch Jakob. Von diesen stammten dann die Brüder des Herrn, eine Behauptung, die von vielen mit mehr Kühnheit als Ehrfurcht vertreten wird. Du behauptest, Maria sei nicht Jungfrau geblieben. Ich gehe aber noch weiter und behaupte, auch Josef hat jungfräulich gelebt mit Maria, damit der jungfräuliche Sohn aus einer jungfräulichen Ehe geboren wird. Wenn nämlich auf einen gerechten Mann der Verdacht außerehelichen Geschlechtsverkehrs nicht fallen kann, wenn auch nicht geschrieben steht, dass er noch eine andere Frau hatte, wenn er schließlich für Maria, die in der Meinung der Leute als seine Frau galt, mehr ein Beschützer als ein Ehemann gewesen ist, dann bleibt nur übrig, dass er, der gewürdigt wurde, Vater des Herrn genannt zu werden, jungfräulich mit Maria gelebt hat.

XXII

Und wenn ich jetzt einen kurzen Vergleich anstelle zwischen dem jungfräulichen und dem ehelichen Stand, so bitte ich meinen Leser, nicht zu glauben, dass ich das Eheleben im Interesse der Jungfräulichkeit herabsetze und einen Unterschied aufstelle zwischen den Heiligen des Alten und denen des Neuen Bundes, mit anderen Worten, zwischen jenen, die verheiratet waren, und jenen, die sich des ehelichen Umgangs enthalten haben. Ich will nur sagen, dass jene Heiligen des Alten Bundes den Zeitverhältnissen entsprechend einer anderen Bestimmung lebten als wir, über die das Ende der Zeiten hereingebrochen ist. Solange das Gesetz bestand: "Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllt die Erde", "verflucht sei die Unfruchtbare, die keinen Samen gebar in Israel", heirateten alle und wurden verheiratet, um die Eltern zu verlassen und Ein Fleisch zu werden. Dann aber erging das Wort: "Die Zeit ist verkürzt worden, es bleibt nur noch übrig, dass die, die Ehefrauen haben, so leben, als hätten sie keine". "Wenn wir dem Herrn anhängen, werden wir Ein Geist mit ihm". Und warum? Weil der, der ohne Ehefrau ist, an das denkt, was Gottes ist und wie er Gott gefalle. Wer aber eine Ehefrau hat, der ist besorgt um das, was von dieser Welt ist, und ist darauf aus, wie er seiner Frau gefalle. Die Ehefrau ist geteilt. Aber die Jungfrau, die nicht verheiratet ist, ist auf das bedacht, was Gottes ist, auf dass sie heilig sei am Körper und im Geist. Denn die Verheiratete sorgt sich um das, was von der Welt ist, wie sie dem Gatten gefalle. Was bellst du dagegen, du Hund, was widersprichst du der Wahrheit? Es ist das Gefäß der Erwählung, Paulus, der spricht: "Verschieden ist die Ehefrau von der Jungfrau". "Die nicht verheiratet ist, denkt an das, was Gottes ist, damit sie heilig sei am Körper und im Geist". Der Jungfrau Bestimmung besteht darin, heilig zu sein am Körper und im Geist, weil es einer Jungfrau nichts nützt, Fleisch zu tragen, wenn sie sich im Geist vermählt. "Die aber verheiratet ist, ist auf das Weltliche bedacht, wie sie ihrem Mann gefalle" . Kommt es etwa für dich auf das gleiche heraus, Tag und Nacht dem Gebet zu weihen und zu fasten, oder bei Ankunft des Gatten ein freundliches Gesicht zu machen, ihm entgegenzueilen, Schmeichelreden zu heucheln? Jene sinnt darauf, noch ärmer auszusehen und die natürlichen Vorzüge zu entstellen. Diese aber schminkt sich im Spiegel, und ihrem Schöpfer zum Trotz sucht sie schöner zu sein, als die Natur es ihr gegeben hat. Dann schwatzen die Kleinen, die Dienerschaft lärmt, da hängen an ihren Küssen und an ihrem Mund die Kinder, man rechnet die Ausgaben zusammen, man richtet sich auf die nötigen Ausgaben ein. Hier zerhackt die geschäftige Schar der Köche das Fleisch, und eine Reihe von Weberinnen flüstert zusammen. Unterdessen trifft die Meldung ein, dass der Herr mit seinen Gästen angekommen ist. Die Herrin durchmustert nach Art der Amsel alle Räume, ob das Kissen ausgeschüttelt und der Fußboden gewischt ist, ob die Kelche sauber sind, ob das Mahl fertig ist. Ich bitte dich, mir Auskunft darüber zu geben, wo bei all diesen Beschäftigungen ein Gedanke an Gott Platz hat? Und dies sollen glückliche Häuser sein? Übrigens, wo die Trommeln dröhnen, wo die Flöte geblasen und die Leier gezupft wird, wo die Zimbel klingt, was für eine Gottesfurcht wohnt da? Der Schmarotzer gefällt sich in Schmähungen, es treten ein der bösen Begierde ergebene Opfer, die bei ihren hauchfeinen Kleidchen sozusagen nackt den schamlosen Blicken sich aussetzen! An diesen Dingen erfreut sich nun die unglückliche Ehefrau und geht zugrunde, oder sie nimmt Anstoß daran und gerät mit ihrem Ehemann in Streit. Daher kommt der Zank, die Brutstätte der Ehescheidung. Wenn es aber ein Haus gibt, dem solche Dinge fremd sind, was für ein seltener Vogel ist dann das! Doch wen würden die Verwaltung des Hauswesens, die Erziehung der Kinder, die Bedürfnisse des Mannes, die Zurechtweisung der Diener nicht vom Gedanken an Gott ablenken? Die Bibel sagt: "Es ging Sara nicht mehr nach Art der Weiber". Darauf wird zu Abraham gesagt: "In allem, was Sara dir sagt, höre auf ihre Stimme". Sie, die nichts mehr zu tun hat mit den Beschwerden und den Schmerzen der Geburt, die nach Ausbleiben der Menstruation aufgehört hat, eine Frau zu sein, wird frei vom göttlichen Fluch. Sie schmachtet nicht mehr nach dem Mann, sondern im Gegenteil, der Mann wird ihr unterstellt, und ihn trifft das Gebot des Herrn: "In allem, was Sara zu dir spricht, höre auf ihre Stimme". Und so beginnen sie, das Gebet zu pflegen, denn solange die eheliche Pflicht geleistet wird, leidet die Beharrlichkeit im Gebet.

XXIII

Ich leugne nicht, dass unter den Witwen und unter den Ehefrauen auch heilige Frauen sich finden, aber nur wenn sie aufgehört haben, Gattinnen zu sein, wenn sie selbst in der Zwangslage, die die Ehe mit sich bringt, die jungfräuliche Keuschheit nachahmen. Dies hat auch der Apostel, durch den Christus sprach, in den Worten bezeugt: "Die Unverheiratete denkt an das, was Gottes ist, wie sie Gott gefalle; die Verheiratete aber ist auf das Weltliche bedacht und darauf, wie sie ihrem Mann gefalle", unserer Lebensweise in dieser Sache freien Spielraum überlassend. Er legt keinem eine Verpflichtung auf, auch legt er keinem eine Schlinge, sondern was ehrbar ist, dazu rät er, da er will, dass alle so seien, wie er selbst. Zwar hat er über die Jungfräulichkeit kein Gebot von Gott erhalten, weil sie über die Kraft des Menschen geht, auch wäre es in gewissem Sinn anmaßend, gegen die Natur einen Zwang aufzuerlegen, mit anderen Worten, zu sagen: "Ich will, dass ihr seid, was die Engel sind". Die Jungfrau allerdings erhält einen höheren Lohn, weil sie auf das verzichtet, was sie ohne Sünde tun könnte. Trotzdem fährt Paulus in dem Zusammenhang fort: "Einen Rat aber gebe ich euch, denen der Herr die Gnade verliehen hat, treu zu sein. Ich bin der Meinung, dies sei gut um der bevorstehenden Not willen, denn es ist den Menschen gut, so zu sein". Was ist dies aber für eine Not? "Wehe aber den Schwangeren und Stillenden an jenem Tage" . Der Wald wächst heran, um nachher niedergehauen zu werden. Das Feld wird besät, um die Ernte einzusammeln. Schon ist die Welt voll, die Erde fasst uns bald nicht mehr. Täglich mähen uns Kriege hinweg, Krankheiten raffen uns dahin, Schiffbrüche fordern ihre Opfer, und da streiten wir uns noch herum über die Enthaltsamkeit? Zu dieser Zahl gehören die, die dem Lamm folgen, die ihr Gewand nicht befleckt haben, denn sie sind jungfräulich geblieben. Gib acht auf die Bedeutung der Worte: "Sie haben befleckt". Ich wage nicht, sie zu erklären, um Helvidius keine Veranlassung zu Schmähungen zu geben. Was aber deinen Einwand, es gebe auch Wirtshausjungfern, anbelangt, so kann ich dir noch mehr sagen. Unter diesen sind auch Ehebrecherinnen, und (vielleicht erregt dies in noch höherem Grad deinen Ärger) Kleriker und schamlose Mönche sind die Wirte. Aber wer sieht nicht sofort ein, dass eine Kellnerin keine Jungfrau, ein Ehebrecher kein Mönch und ein Schankwirt kein Kleriker sein kann? Ist es denn Schuld des jungfräulichen Standes, wenn einer, der Jungfräulichkeit heuchelt, im Laster lebt? Doch ich will, um von anderen Personen ganz zu schweigen, auf die Jungfrau zurückkommen, welche in der Schenke tätig ist. Ich weiß nicht, ob sie dem Fleisch nach Jungfrau bleibt, ich weiß aber, dass sie es dem Geist nach nicht bleibt.

XXIV

Jetzt habe ich auf rhetorische Art gesprochen und den Redekünstler gespielt. Du, Helvidius, hast mich dazu gezwungen, da du trotz des Lichtes des Evangeliums Jungfrauen und Ehefrauen auf die gleiche Stufe stellen willst. Weil ich nun glaube, dass du, nachdem die Wahrheit über dich gesiegt hat, zu Beleidigungen meiner Person greifen wirst (eine Gewohnheit der Weiber, welche ihren Ehe-Herren, die Sieger geblieben sind, im Schmollwinkel Böses wünschen), so will ich dir zuvorkommen mit der Bemerkung, dass deine Beleidigungen mir nur zur Ehre gereichen werden. Du mögest mich mit demselben Munde zerfleischen, mit dem du Maria gelästert hast! Dann wird der Diener des Herrn in gleicher Weise wie die Mutter des Herrn deine zynische Geschwätzigkeit zu kosten bekommen.