Ein dramatisches Gedicht
Von Josef Maria Mayer
Geschrieben als dankbare Erwiderung eines vom
Himmel gefallenen Bildes...
PROLOG
ODE AN MADDEL
O Maddel, schön wie du
auf dem Pferde sitzt,
Sankt Martin saß so
sicher auf seinem Pferd.
Wie lebensgrün ist
doch die Wiese,
Schlank und erhaben die
schwarzen Bäume.
Ich saß in tiefer
Nacht in der Einsamkeit
Und schaute an dies
Bild und ich dachte da:
Die Maddel ist wie Mutter Erde,
Die Maddel ist wie Mutter Erde,
Mutter Natur in der
Bodenhaftung.
Ich las einmal das Wort
eines Predigers:
Die Kirche ist ein Raumschiff, doch sie verliert
Die Kirche ist ein Raumschiff, doch sie verliert
Fast den Kontakt zur
Mutter Erde,
Sie verliert ihre
Bodenhaftung.
Da dachte ich: Wie
Maddel geerdet ist,
So möchte ich geerdet
auch sein, denn schön
Ist doch die grüne
Mutter Erde,
Mutter Natur ist so
schön und weiblich!
Karine hat mich immer
geerdet, ach,
Nach allen
theoretischen Grübelein
Karine gab mir kleine
Kinder,
Daß ich sie wickele in
die Windeln.
Karine aber ist jetzt
an Gottes Thron
Und schwebt anbetend,
singend um Gottes Thron,
Was tut mir jetzt
Karine? Heute
Hebt sie mein Herz in
den siebten Himmel!
Maria sagte einmal, als
sie erschien:
Denkt, Kinder, an die Dinge des Himmels, und
Denkt, Kinder, an die Dinge des Himmels, und
Denkt nicht an diese
Welt, der Himmel
Wird euch gehören,
geliebte Kinder!
Noch einmal schaue ich
auf das schöne Bild:
Wie lieb von dir, mir dieses zu schicken, das
Wie lieb von dir, mir dieses zu schicken, das
Hat dir geraten wohl
dein Engel?
(Engel beraten zu guten
Taten.)
Doch meine Seele ist
nicht auf Erden mehr,
Denn Liebe fand ich
hier auf der Erde nicht,
Doch Liebe find ich bei
den Toten,
Bei den Glückseligen
in den Himmeln.
So sing ich mit den
seligen Dichtern dies:
Hosanna, Christus, der du erstanden bist,
Hosanna, Christus, der du erstanden bist,
Du Auferstehung und du
Leben,
Dir weih ich Maddel und
Sankt Karine!
MADDEL’S LIED
ERSTER AKT
ERSTE SZENE
(Piet, 20 Jahre alt, und seine Mutter Paula, am
Grab seines Vaters.)
PIET
O Vater, Vater, ist
mein Elternhaus
Nicht so was wie ein
kaiserliches Lustschloss?
Die Zaren einst in
Zarskoje Selo
Besaßen solch ein
Lustschloss, solchen Park!
MUTTER PAULA
Mein Sohn, du schwebst
schon wieder in den Himmeln!
Dein Vater, ach, hat
alles Geld versoffen,
Verspielt, weil er doch
immer Karten spielte.
Gott sei der Seele
deines Vaters gnädig!
PIET
Nein, Mütterchen, ich
weiß, du irrst dich da,
Die Königin von
England und ihr Prinz
Nicht so ein schönes
Schloss wie wir besitzen.
Und Vaters Seele sitzt
gewiß im Himmel
Bei Kaiser Nero in dem
Goldnen Haus!
MUTTER PAULA
Du phantasierst mein
Junge! Armer Junge,
Ich fürchte, dass du
den Verstand verlierst!
PIET
Nein, Mütterchen, ich
weiß, du irrst dich da,
Denn die Vernunft ist
doch nur eine Hure,
Wie unser Doktor Martin
Luther sagt.
Die Phantasie ist eine
Königin,
Die darf auch nackend
auf der Straße tanzen!
MUTTER PAULA
Was Hure und was nackte
Königin?
Was soll der Herr
Pastor denn dazu sagen,
Der unsern Vater schön
beerdigt hat.
Wir haben grad das
Requiem gesungen,
Da sprichst du schon
von einer nackten Hure.
Nun aber klopft Frau
Armut an die Tür,
Frau Armut möchte
nämlich bei uns wohnen.
PIET
Frau Armut und Frau
Sorge und Frau Todin –
Die sollen alle ihre
Suppe haben.
Wir sind doch reich und
sind barmherzig, Mutter,
Wir geben allen armen
Kindern ab.
Der Vater sicher
schüttet von den Sternen
Uns goldne Taler in der
Schürze Tasche!
MUTTER PAULA
Ach, du bist närrisch,
Kind! Komm mit nach Hause,
Milchsuppe gibt’s und
eingeweichte Brötchen.
ZWEITE SZENE
(Mutter Paula und Piet beim Abendbrot. Schwarzbrot
und Käse und schwarzer Tee auf dem Küchentisch.)
MUTTER PAULA
Du Taugenichts, du
lieber Tunichtgut,
Der Müßiggang ist
aller Laster Anfang,
Der Müßiggang hat
Kriege angefangen,
Der Müßiggang hat
Städte ruiniert.
PIET
Nein, Mütterchen, ich
bin ein großer Held,
Ich hab ein Abenteuer
heut erlebt!
MUTTER PAULA
Mit Bären hast du
nicht gekämpft, mein Sohn,
So hast du wohl mit
Mücken Krieg geführt.
PIET
Nein, Mutter, sondern
ich war in Walhalla,
Bin dort dem Gotte Thor
begegnet, dem
Sein Hammer war
gestohlen worden, also
Hat er als Göttin
Freyja sich verkleidet,
Zurückzuholen seinen
Donnerhammer
Vom Riesen, der das
Ding gestohlen hatte.
Die beiden Böcke, die
den Wagen zogen
Des Gottes Thor, die
blieben ausgespannt,
Denn Thor nahm sich der
Freyja Katzenwagen.
Da nahm ich einen
dieser Böcke Thors
Und setzte mich auf den
behaarten Rücken
Und flog zum Nordkap,
das in Norweg liegt.
Die Sonne sah ich in
der Mitternacht
Wie eine rosa Pille
stehn am Himmel.
Ich ritt zurück auf
meinem Bock und kam
Nach Folkwang, wo die
himmlischen Walkyren
Als Schwanenjungfraun
Honigmet einschenken
Den Toten, die gefallen
auf dem Schlachtfeld.
Sie tranken alle
reichlich Honigmet!
Ich habe auch vom
Honigmet getrunken
Und habe mir das
Bärtchen abgewischt
Und also bin ich wieder
hier bei dir.
MUTTER PAULA
Du machst mir Sorge,
liebes Sorgenkind,
Ich glaube, ja, ich
weiß, du hast den Spleen!
PIET
Ich hab den Spleen?
Nein, ich bin ein Genie,
Ein Liebling und ein
Tischgenoss der Götter!
DRITTE SZENE
(Mutter Paula und Piet gehen durch den Garten, sie
bleiben an einem Wasserteich stehen.)
MUTTER PAULA
Ach liebes Kind, du
bleibst ja doch mein Kind,
Ich werde immer deine
Schutzfrau sein.
Du darfst dich stets an
meine Schürze klammern.
Ich habe dich gestillt
und will dich stillen
Mit meiner Mutterliebe
allezeit.
PIET
Die Liebe suche ich,
die schöne Liebe,
Und siehe, Mutter, ich
hab sie gefunden.
Siehst du denn nicht
die Zwerge auf der Erde?
Hörst du der Zwerge lautes Lustgeschrei?
Hörst du der Zwerge lautes Lustgeschrei?
Die Zwerge mit den
roten Zipfelmützen
Sind weise wie die
alten Patriarchen
Und lebenslustig wie
die kleinen Knaben.
Ich scherze immer mit
den kleinen Zwergen
Und fühle mich als
Vater vieler Knaben.
Die Zwerge haben mich
so köstlich lieb,
Da wird mein Herz ganz
groß und warm, o Mutter.
MUTTER PAULA
Mein Sohn, du bist
schon zwanzig Jahre alt,
Du solltest dir ein
schönes Mädchen suchen.
PIET
Gefunden, längst
gefunden ist das Mädchen!
MUTTER PAULA
Wer ist das liebe
Mädchen? Kenn ich sie?
PIET
Es ist die Nymphe in
dem Gartenteich!
Sie ist so jung und
lieblich, schön und schlank,
Sie hat so einen
lilienweißen Leib
Und hat so lange
feuerrote Locken!
MUTTER PAULA
Was sagst du da? Des
Gartenteiches Nixe?
Ja, hat die Nixe denn
auch einen Fischschwanz?
PIET
Sei nicht so
abergläubisch, liebe Mutter,
Glaub doch nicht an die
alten Ammenmärchen!
Nein, meine Nymphe hat
sehr schöne Beine,
Mit nackten Füßen
steht sie auf der Muschel.
MUTTER PAULA
Du also liebst die
kleine Meerjungfrau?
PIET
Ich liebe sie! Doch was
noch besser ist:
Die Nymphe hat mich ja zuerst geliebt!
Die Nymphe hat mich ja zuerst geliebt!
MUTTER PAULA
Ach, wirklich, lieber
Sohn, du hast den Spleen!
VIERTE SZENE
(Piet reitet in der Nacht auf einem Schimmel zum
Bauernhof in der Nachbarschaft. Er tritt stürmisch ein.)
PIET
Geliebte Eva, bist du
da, Geliebte?
EVA
Ach Piet, sei still,
mein Mann schläft nebenan.
PIET
Der alte Adam soll zur
Hölle fahren!
Komm, nämlich heute
Nacht wirst du entführt!
EVA
Ich will nicht! Lass
mich hier bei meinem Adam!
Willst du mich denn zur
Ehegattin haben?
Dazu bist du zu spät
gekommen leider.
PIET
Nein, nicht zur
Hochzeit mit des Priesters Segen,
Ich will dich nur für
Eine wilde Nacht,
Ganz ohne ewige
Vergangenheit,
Ganz ohne Zukunft, nur
im Hier und Jetzt,
Ganz ohne den Verstand
und die Besinnung,
Nur für den Rausch,
wie sich die Götter lieben!
EVA
Nur Eine Nacht? Und
dann verschwindest du?
PIET
Das ist das
Schlüsselwort zum Bett der Frauen:
Madame, ich bin nur heute Nacht noch da
Madame, ich bin nur heute Nacht noch da
Und morgen bin ich weg
und das für immer.
EVA
Bist du mit deinem
schönen Schimmel da?
PIET
Der starke Schimmel
kann uns beide tragen.
EVA
Mein Adam schnarcht ja
nebenan im Bett,
Da könnten wir ja
einen Ausflug machen.
PIET
Ja, komm, Geliebte, auf
mein Flügelpferd
Für einen heißen Ritt
zu tausend Sternen!
(Sie besteigen zusammen das Roß.)
EVA
Wie lange bin ich schon
nicht mehr geritten.
PIET
Jetzt presse ich die
Flanken mit den Schenkeln
Und hetze meinen
Schimmel in die Hölle,
Die Hölle heißer
Liebesleidenschaft!
(Sie fliegen durch die Nacht.)
FÜNFTE SZENE
(Morgenröte. Die junge Maddel kommt auf einem
Feuerroß geritten. Sie trägt ein weißes Kleid. Ihre langen
feuerroten Locken flattern im Winde. Auf dem Haupt trägt sie eine
Bischofsmütze. Sie lacht Piet an, der vor Staunen niederkniet.)
PIET
O Göttin, bist du gar
die Göttin Venus?
MADDEL
Ich bin die Frau der
schönen Morgenröte!
Der Böse stellt die
bösen Engel auf,
Ich stelle meine lieben
Engel auf.
Ich bin des Universums
Große Mutter,
Ich habe zwar den
Schmerz des Universums,
Doch hab ich auch des
Universums Liebe!
PIET
Ach, klagen will ich
dir, du schöne Göttin:
Ich hatte viele kleine Zwergenknaben
Ich hatte viele kleine Zwergenknaben
Und war ihr
frohgesinnter Zwergenvater.
Der böse Feind hat
alle mir genommen,
Die Zwergenkinder haben
mich verwaist gelassen.
Den Vater ließen sie
zurück als Waisen!
Einst war ich
kinderlos, dann Zwergenvater,
Nun, weh mir, bin ich
wieder kinderlos!
MADDEL
So lege mir dein Leiden
zu den Füßen.
PIET
Ich ehre dich, ich
glaub, du kannst mich retten!
Die Engel haben dich zu
mir gesandt.
MADDEL
Was weißt du Träumer
denn schon von den Engeln?
Hat jeder kleine Knabe
einen Engel?
Ja, denke dir: Ich
selber bin ein Engel!
PIET
Mein Engel bist du? Wer
beschützt die Engel?
MADDEL
Mich, deine Schwester
und Schutz-Engelin,
Erzengel Micha-El wird
mich beschützen!
PIET
Erzengel Micha-El, wer
schützt denn den?
MADDEL
Die Mächte und
Gewalten schützen ihn.
PIET
Wer aber schützt die
Mächte und Gewalten?
MADDEL
Das tun die Cherubim
und Seraphim.
PIET
Wer schützt die
Cherubim und Seraphim?
MADDEL
Das tun die Throne (die
man Götter nennt).
PIET
Ich hab dich lieb, o
nimm mich in die Arme!
MADDEL
Nein, denn ich liebe
nicht so schnell wie Männer.
SECHSTE SZENE
(Grüne Wiese im Sommer. Maddel im Kleid einer
indischen Tempeltänzerin. Sie tanzt danse de
ventre. Piet bewundert ihren Tanz.)
PIET
Ich sehe meinen guten
Engel tanzen.
MADDEL
Im Himmel tanzen alle
Engel-Chöre.
Die Engel und die
Seligen des Himmels
Im Paradiese lachen,
lachen, tanzen!
PIET
Ich aber in dem
irdischen Exil,
Ich bin kein Engel,
sondern bin ein Lehmkloß.
MADDEL
Leg an die Flügel
deines Seelengeistes!
(Sie küsst ihn schwesterlich auf die Stirn.)
PIET
Oh, meine Seele fliegt!
Es schwebt mein Geist
Am Mond vorüber, an
der sanften Luna,
Vorbei am lustigen
Planeten Venus,
Ich sehe zwischen Mars
und Jupiter
Die Zwergplaneten oder
Asteroiden,
Ich seh den
Zwergplaneten der Astarte,
Ich seh den
Zwergplaneten Amor-Typ,
Jetzt schweb ich zum
Carina-Sternen-Nebel
Und sehe die Geburt der
neuen Sonnen.
MADDEL
Klopf leise pochend an
die Himmelspforte
Und sage: Mama, ach,
ich kann nicht mehr!
PIET
Ich sehe viele arme
Seelen da
Vor dieser
perlenschönen Himmelspforte,
Die Seelen haben alle
guten Willen,
Jetzt seh ich Jesus
auch, er kommt zu mir,
Mit ausgestreckten
Armen kommt er an
Und sagt zu mir: Mein
Piet, du sollst noch leben,
Du musst zurück zur
schwarzen Mutter Erde!
MADDEL
Ich bleibe aber bei
dir, ich, dein Engel,
Ich, deine Schwester
und Schutz-Engelin,
Jetzt siehst du mich
nicht mehr, jetzt wirst du wandern,
Die Welt durchwandern
und den Schmerz durchleiden,
Und wenn du mich das
nächste Mal erblickst,
Dann reiten wir auf
meinem Feuerroß
Zur Sonne der
Glückseligkeit im Himmel!
(Maddel wird plötzlich unsichtbar.)
*
(Der Vorhang fällt. Eine orientalische Tanzmusik
von Flöten und Cymbeln ertönt. Dann geht der Vorhang wieder auf.)
*
ZWEITER AKT
(Dreißig Jahre später.)
ERSTE SZENE
(Piet, dick geworden, mit einem grauen Bart, in
Marokko. Bei ihm sein Geschäftspartner.)
PIET
Jetzt sind wir reich
geworden, o mein Bruder,
Im Hafen liegt das
Schiff, gefüllt mit Gold.
GESCHÄFTSMANN
Wir haben im Sudan ja
gut gehandelt,
Die schwarzen Christen
alle eingefangen
Und den Muslimen sie
verkauft als Sklaven.
Allah ist groß und
Mahom sein Prophet –
Doch größer als Allah
ist doch der Mammon!
PIET
Das Paradies zu Füßen
liegt der Mütter,
Wie Mahom einst in
seiner Weisheit sagte.
Das Glück der Erde
aber, wo liegt das?
Ja, liegt es auf dem
Rücken denn der Pferde?
Das Glück der Erde
liegt im Kasten Gold!
GESCHÄFTSMANN
Du hast erzählt, dass
du in deiner Jugend
Ein Träumer und
Phantast gewesen bist.
Jetzt bist du aber
Realist geworden?
PIET
Ein Philosoph, der ein
Marxist gewesen,
Der sagte, dass den
Flügeln seines Geistes
Man Blei der
Wirklichkeit anlegen müsse.
GESCHÄFTSMANN
Ich dachte erst, dass
du ein bisschen närrisch
Und ein Verrückter
seist, doch als ich sah,
Wie gut du dich ums
Geld zu kümmern weißt,
Da sah ich, du hast
menschlichen Verstand.
PIET
Ich dachte da an einen
alten Mythos
Der alten Griechen,
denn da war ein Held,
Der kämpfte schwebend
in den hohen Lüften,
Wenn er jedoch die
Kraft verlor, dann warf
Er Mutter Erde sich in
ihre Arme
Und Mutter Erde gab ihm
neue Kraft.
So ging ich in Marokko
zu dem Atlas-
Gebirge, warf mich auf
den harten Felsen,
Lag Mutter Erde an der
Felsenbrust
Und saugte neue Kraft
zum Lebenskampf.
GESCHÄFTSMANN
Wir haben alles Gold
uns selbst verschafft,
Denn wir sind sehr
geschickte Sklavenhändler,
Uns hat kein Gott vom
Himmelreich geholfen.
Ich glaube ja an keinen
Gott am Himmel,
Ich glaube an das Geld,
den Gott der Erde.
ZWEITE SZENE
(Piet im Hafen von Agadir, Marokko. Seine Augen
suchen sein Schiff. Ein armer Fischerjunge tritt zu ihm.)
PIET
Wo ist mein Schiff, die
goldne Meerjungfrau?
FISCHERKNABE
Die goldne Meerjungfrau
ist aufgelaufen.
PIET
Wer hat mir meine
Meerjungfrau genommen?
FISCHERKNABE
Mein Herr, ich sah dich
oft mit einem Mann
Im Hafen stehn, du
nanntest Bruder ihn,
Ein Mann sehr gut
gekleidet, sah nach Geld aus,
In seinen
Augenschlitzen kalte Augen,
Kalt blitzend wie ein
krummer Türkensäbel.
PIET
Wie, der Geschäftsmann,
mein geliebter Bruder?
FISCHERKNABE
Der ist mit deinem
Schiff davongefahren.
PIET
Der hat mir meine
Meerjungfrau genommen?
O Bruderliebe oder
Freundesliebe,
Wie schwach wirst du,
wenn du das Gold anbetest!
FISCHERKNABE
Ihr Europäer seid ein
dummes Volk,
Ihr glaubt an einen
Gottessohn im Himmel,
In Wahrheit aber dient
ihr nur dem Geld,
Das Geld in Wahrheit
aber ist der Satan!
Doch wir Muslime
glauben an Allah.
(Der Ruf eines Muezzin ertönt und ruft die
Muslime zum Gebet. Piet kniet nieder und betet laut.)
PIET
Allah, du Rächer aller
Unterdrückten,
In deinem Namen fluch
ich dem Geschäftsmann!
Mein Partner im
Geschäft des Sklavenhandels
Hat mir genommen meine
Meerjungfrau!
Allah, so strafe zornig
den Verbrecher,
Zerschmettere, versenke
du das Schiff!
Den Bruder und Geschäftsmann schleudere
Den Bruder und Geschäftsmann schleudere
Herunter in die
unterste der Höllen!
Allah, so schleudre
zornig deines Blitzes Waffe!
(Es donnert über dem Meer. Ein Sturm wühlt das
Meer auf.)
FISCHERKNABE
Herr, siehst du auf dem
Meer die Meerjungfrau?
Sie sinkt! Der Geldmann
fährt hinab zur Hölle!
DRITTE SZENE
(Piet und ein Franziskaner-Mönch in Marokko. Sie
essen eine Schale Cous-Cous-Brei und trinken heißen
Pfefferminz-Tee.)
PIET
O Bruder Franziskaner,
ich bin arm!
FRANZISKANER
Einst der seraphische
Franziskus hat
Frau Armut sich zu
seiner Braut erwählt.
PIET
Du bist ein Christ. Was
machst du in Marokko?
FRANZISKANER
Der heilige Franziskus
war dereinst
Zum interreligiösen
Dialog
Beim Sultan von
Marokko, sprach mit ihm.
PIET
Was sprach der Christ
mit dem Mohammedaner?
FRANZISKANER
Er sagte: Gott war
einst in dem Palast
Der sieben Seligkeiten,
als ein Pilger
Zu dem Palaste trat und
klopfte an,
Und Gottes Stimme
sprach von innen her:
Wer klopft da an an meine Himmelspforte?
Wer klopft da an an meine Himmelspforte?
Der Pilger sprach voll
Selbstbewusstsein: Ich!
Doch Gott ließ ihn
nicht ein in den Palast.
Da klopfte wieder an
der fromme Pilger
Und Gottes Stimme
sprach von innen her:
Wer klopft da an an meine Himmelspforte?
Wer klopft da an an meine Himmelspforte?
Der selbstbewusste
Pilger sagte: Ich!
Doch Gott ließ ihn
nicht ein in den Palast.
Da klopfte wieder an
der fromme Pilger
Und Gottes Stimme
sprach von innen her:
Wer klopft da an an meine Himmelstür?
Wer klopft da an an meine Himmelstür?
Und diesmal sprach der
Mann voll Demut: Du!
Da ließ ihn Gott in
den Palast der Freuden!
PIET
Ich denke drüber nach,
mein frommer Bruder.
FRANZISKANER
Sag mir, was ist denn
noch dein Eigentum?
PIET
Nur noch die Kleider,
die ich auf dem Leib trag.
FRANZISKANER
So winde um dein
Handgelenk hier dies,
Es ist der Rosenkranz
der Mutter Gottes,
Und steck in deine
Hosentasche dies,
Es ist das Evangelium
von Jesus.
PIET
Ich danke dir. Ich will
die Schätze hüten.
VIERTE SZENE
(Piet allein, wandernd durch die Wüste Sahara.)
PIET
Der Schreck sitzt mir
ja noch in allen Gliedern,
Wie plötzlich in
Marokko in den Straßen
Und öffentlichen
Märkten Affen waren,
Es war ein grausiges
Gewimmel von
Gewaltbereiten
Menschenaffen, von
Brutalen Orang-Utans
und Gorillas,
Von aufgehetzten
Pavianen und
Schimpansen und
Schimpansenweibchen, die
Laut schreiend lärmten
durch Marokko und
Mich drängten aus dem
schönen Agadir.
Auch Tarudant war
schön, doch sah ich, wie
Auch dort die
Affenherde eingefallen ist.
Die Menschenaffen
nahmen sich die Mädchen
Und vergewaltigten zu
Tode sie!
Da bin ich lieber
einsam in der Wüste
Als so in einem
Aufstand wilder Affen.
Hier zwar in der Sahara
leben Schlangen
Und giftige Skorpione,
aber die
Sind doch nicht eine
Plage wie die Affen,
Man sieht die Schlangen
und Skorpione doch
Und geht den Biestern
einfach aus dem Weg.
Wohin bin ich gekommen,
guter Gott?
Hierher hast du mich also jetzt gebracht,
Hierher hast du mich also jetzt gebracht,
Daß ich durch die
Sahara schreiten muß
Und nichts besitze als
kaputte Lumpen,
Den Rosenkranz, das
Neue Testament.
Ich schwitze unterm
lichten Strahl der Sonne,
Der Äther flirrt in
einem grellen Licht.
Was seh ich da?
Erscheint mir eine Fata
Morgana, eine
Spiegelung der Luft?
Ich sehe eine liebliche
Oase,
Ich sehe eine frische
Wasserquelle
Und Palmen,
hochgewachsne Dattelpalmen,
Und Zelte seh ich,
Beduinenzelte,
Kamele weiden dort in
der Oase.
Dahin, mein Vater,
dahin laß mich wandern!
(Er nähert sich der Oase. Ein Beduinenhäuptling
kommt ihm entgegen.)
BEDUINE
Der Friede sei mit dir,
o Wanderer!
PIET
Der Friede sei mit dir,
o Beduine!
BEDUINE
Komm, trinke eine
Schale Pfefferminz-Tee
Und speise eine
Schüssel Cous-Cous-Brei.
FÜNFTE SZENE
(In der Oase liegen zweiundsiebzig
Paradiesjungfraun, Huris genannt, auf Teppichen. Die Schönste von
ihnen ist Anahita, sie flirtet mit Piet.)
DIE HURIS
Wenn du mit uns die
Haschischpfeife rauchst,
Dann schau, wie wir die
Wasserpfeife saugen!
ANAHITA
Wenn du im
Haschisch-Rausche glücklich bist,
Bist du auf Erden schon
im Paradies.
PIET
Du, Anahita, bist ja
paradiesisch!
Es heißt, zur Rechten
von dem Throne Gottes
Befindet sich die Wonne
– das bist du!
O Wonneweib der
Paradieseswonne!
(Sie rauchen die Haschisch-Wasserpfeife.)
ANAHITA
Ist nun erweitert dein
Bewusstsein, Mensch?
PIET
Ich sehe meinen Körper
unten liegen,
Die Seele schwebt in
einer dunklen Nacht.
Ah, plötzlich seh ich
einen Abgrund offen,
Ich höre Schreie von
Verzweifelten
Und riech Gestank als
wie von faulen Eiern
Und von verwesten
Ratten. Welch ein Schrecken!
Ich sehe in der Nacht
monströse Ratten!
Ah Gottesmutter, hilf,
o Gottesmutter!
Sie reißt mich von dem
Schreckensabgrund fort,
Ich sehe jetzt mein
ganzes Leben vor mir,
Ich hab so viele Liebe
unterlassen,
Ich möchte mich
verstecken vor der Gottheit!
Ah, lass mich schlafen,
lass mich lange schlafen!
(Piet schläft ein. Anahita raubt ihn aus: Sie
zieht ihm seine Kleider aus, sie nimmt ihm den Rosenkranz und das
Neue Testament und lässt ihn nackt und allein zurück. Die Beduinen,
Anahita und die Huris reiten auf Kamelen fort. Dann erwacht Piet.)
PIET
Ich war schon tot, ich
war schon in dem Jenseits,
Mein nackter Körper
liegt noch in der Wüste
In der totalen
Menscheneinsamkeit
Und in der radikalen
Armutsblöße,
Doch meine Seele ist
bei Gott geblieben!
O Seele, meine Seele, o
wo bist du?
Ich glaube, das ist der
extreme Wahnsinn!
SECHSTE SZENE
(Kairo in Ägypten. Piet ist eingeliefert worden
ins Irrenhaus. Der Irrenarzt ist ein Deutscher mit dem Namen Doktor
Weinberg.)
PIET
Herr Doktor Weinberg,
meine arme Seele
Ist ausgeblutet durch
das Schwert der Schmerzen!
DOKTOR WEINBERG
Sie haben zuviel
Phantasie, mein Herr.
PIET
Ich bin hinabgefahren
in die Hölle
Und habe mit den Toten
dort gesprochen.
DOKTOR WEINBERG
Das sind ja religiöse
Wahngedanken,
Ist eine regelrechte
Paranoia!
PIET
Nur das Gebet kann
heute mich noch heilen.
Ich bete sieben Stunden
jeden Tag.
DOKTOR WEINBERG
Nein, was bei solchem
Wahnsinn einzig hilft,
Ist Arbeit, nichts als
Arbeit jeden Tag.
Sie stehen morgens früh
um Sieben auf
Und schrauben
Schräubchen dann den ganzen Tag
Und kehren abends dann
um Sieben heim
Und schauen sich dann
einen Film noch an
Und gehen schlafen dann
und schlafen tief
Und traumreich durch
die neue Medizin,
Die ich verschreiben
werde, eine Pille,
Die sie in einen langen
Schlaf versetzt.
PIET
Sie sind der Gegner
meines Seelenheils!
Ich will der
Gottesmutter täglich danken,
Daß sie mich vor der
Unterwelt bewahrt!
Ja, meines Lebens Sinn
ist das Gebet!
DOKTOR WEINBERG
Genie und Wahnsinn,
sagt man allgemein.
So manch ein Genius der
Poesie
Geendet ist in einem
tiefen Wahnsinn.
Nach ihrem Tode ehrte
man die Dichter.
Sie haben religiöse
Wahngedanken
Auf hoher
intellektueller Ebne.
Doch wenn sie beten
wollen, guter Mann,
So stehn Sie eine
Stunde früher auf
Und beten eine Stunde
vor dem Frühstück.
Doch sieben Stunden
beten, armer Narr,
Das ist nicht
christlich, sondern das ist Wahnsinn!
Und ich verpflichte Sie
zur Tagesarbeit!
PIET
Ich gehe, Gegner meines
Seelenheils!
Mein Leben sei fortan
ein Dankgebet
An meine Lebensretterin
Maria.
SIEBENTE SZENE
(Piet ist wieder in seiner Heimat an der Nordsee,
vor Gram gealtert. Er spricht mit dem sechsjährigen Knaben
Maximilian.)
MAXIMILIAN
Du lieber Onkel, weißt
du, diese Welt
Ist ganz wie eine
Zwiebel, aber bei
Der Zwiebel ist die
Außenhaut doch größer
Als es der Kern im
Innern ist. Die Welt
Ist da gerade
andersrum: Das Äußre
Ist klein, das Innere
ist wirklich groß.
PIET
In meiner Jugend hab
ich mich gefragt,
Ob meine Seele einer
Zwiebel gleicht,
Wo Silberschale liegt
an Silberschale,
Doch ist im Inneren
kein fester Kern.
MAXIMILIAN
Und weißt du auch, du
lieber Onkel, dass
Die Welt, in der wir
leben, nichts ist als
Der Schatten einer
wahren Anderswelt?
Und wenn wir sterben, so verlassen wir
Und wenn wir sterben, so verlassen wir
Die Schattenwelt und
kommen in die andre,
Wir kommen in die wahre
Welt und dort
Bewegen wir uns
schneller als der Blitz
Und wir verstehen dort
der Vögel Sprache.
PIET
Ich war schon einmal in
der Anderswelt.
MAXIMILIAN
Wie war es dort denn in
der Anderswelt?
PIET
Da sind drei Türen in
der Anderswelt.
Die erste Tür ist
links und ist sehr groß,
Dahinter ist Gestank
und Lärm und Streit,
Da schreien die
Verzweifelten und heulen.
Die Pforte in der Mitte
ist schon schmaler,
Dahinter ist November,
trist und trüb,
Wie Abenddämmerung und
blasser Nebel,
Da trauern Menschen
über ihre Fehler.
Die rechte Tür ist
etwas weiter weg,
Dahinter ist ein Licht,
das ist so hell,
Das man geblendet wird.
Und wer hindurch geht
Durch diese rechte Tür,
der schaut die Liebe.
MAXIMILIAN
Das ist gewiß das
Paradies im Himmel!
PIET
Und fragst du mich, ob
alles weißes Licht ist,
So sag ich ja, und doch
ist alles bunt.
Und fragst du mich, ob
dort ist alles still,
So sag ich ja, und doch
ertönt Musik.
Dort badet man im Ozean
der Liebe.
ACHTE SZENE
(Pfingstsonntag. Piet steht an der Nordsee auf dem
Deich. Maddel kommt auf ihrem Feuerroß stürmisch angeritten, ihre
langen feuerroten Locken flattern im Winde.)
MADDEL
Hü, Cherubim, Hü, du
mein Seraphim!
PIET
O schöne Maddel,
schöne Schwester Todin,
Kommst du mich holen in
den dritten Himmel?
MADDEL
Steig auf mein Roß,
wir reiten übers Meer!
(Piet steigt auf Maddels Feuerroß, sie reiten
über das Meer, dem Horizont entgegen, wo das Meer sich mit dem
Himmel vereinigt.)
MADEL
(singt in immer weiterer Ferne)
Schwester Sonne,
Schwester Sonne,
Preise du das Feuer
Gottes!
Schwester Mondin,
Schwester Mondin,
Preise du den
Lichtglanz Gottes!
Mutter Erde, Mutter
Erde,
Preise du die Speise
Gottes!
Keusches Wasser,
keusches Wasser,
Preise
du die Quelle Gottes!Bruder Esel, Bruder Esel,
Bruder Körper, Bruder
Körper,
Preise du die
Menschheit Gottes!
Schwester Todin, Schwester Todin,
Schwester Todin, Schwester Todin,
Preise du den Himmel
Gottes!
(Vom Himmel erscheint Sankt Micha-El, ein starker
schöner Gottesmann.)
SANKT MICHA-EL
Auf, reite in das
Paradies, o Maddel!
MADDEL
Sankt Micha-El, ich
liebe dich von Herzen!
SANKT MICHA-EL
O Maddel, führe Piet
ins Paradies!
MADDEL
So hilf ihm auch, du
starker Micha-El!
SANKT MICHA-EL
Gott wartet, breitet
seine Arme aus!
MADDEL
Rasch, aufwärts an den
vollen Busen Gottes!
SANKT MICHA-EL
Auf, o Madonna, öffne
deine Pforte!
PIET
Ich komme, Ewige
Geliebte!