Von Josef Maria Mayer
ERSTE PLAGE:
HAGEL
Neunzehnhundertvierundneunzig
Lebte ich im tiefen Wahnsinn,
Eine blühende Psychose
Überfiel den Schizophrenen.
Marion war meine Liebe,
Meine himmlische Madonna,
Meine makellose Jungfrau,
Meine Königin des Himmels.
Zwar ich lebte an der Nordsee,
Sie im Teuteburger Walde,
Aber meine Seele sah sie
Stets im Innern meiner Seele.
Und ich wollte sie besuchen,
Wollte Ostern sie besuchen
In dem Teuteburger Walde
Nahe bei dem Hermann-Denkmal.
Hermann liebte ich besonders
Und besonders auch Thusnelda,
Und die schwarze Trauerschwanin
Nannte darum ich Thusnelda.
Aber heftig war der Regen
Im April des selben Jahres.
Damals las ich in der Bibel,
Wie einst Josua gebetet
Und geboten hat der Sonne:
Über Avalon, dem Tale,
Über Avalon, dem Tale,
Stehe still, du liebe Sonne,
Mache du die Nacht zum Tage.
Und ich betete zur Gottheit:
Wenn ich bin beim Hermann-Denkmal,
Wenn ich bin beim Hermann-Denkmal,
Herr, so laß die Sonne scheinen,
Wenn ich Marion besuche.
Also reiste ich zu Hermann
In dem Teuteburger Walde
Und ich ging die lange Straße
In Gewitter und in Blitzen!
Als ich nun in Heiligenkirchen
Ankam, welches nah bei Detmold,
Nah auch bei den Externsteinen,
Ging ich unter Blitz und Donner!
Und ich weinte vorm Messias,
Da begann es auch zu hageln!
Nacht im Teuteburger Walde,
Blitz und Donner, Regen, Hagel!
Schlafen konnt ich nicht im Freien,
Eines Telefones Zelle
Schützte vor den Hagelschlägen,
Oratorium dem Beter.
Schlafen konnt ich nicht beim Hagel,
In des Telefones Zelle
Saß ich all die Nacht lang betend,
Draußen prasselte der Hagel.
Morgens, völlig übermüdet,
Traf ich Marion vorm Hause
Und sie rief wie eine Furie:
Ich will dich nie wiedersehen!
Ich will dich nie wiedersehen!
Ich hab keinen Bock auf solchen
Liebeswahnsinn eines Dichters!
Und sie fuhr mit ihrem Freunde
Weg in einem großen Wagen,
Doch der große Wagen presste
Dicht mich an des Hauses Mauer.
Nie hab ich sie mehr gesehen.
Und ich reiste in die Heimat,
Auf dem Rückweg schien die Sonne,
Aller Hagel war geschmolzen,
Frühling lag in allen Lüften,
Doch ich war betrübt zu Tode.
Das war meine Hagel-Plage,
Marionna war ihr Name,
Mit dem Herzen hart wie Hagel
Und so frostig wie der Hagel.
Marion, die Hagel-Plage,
Eben war vorbeigegangen,
Als der liebe Gott ließ scheinen
In dem Lenz die Ostersonne.
ZWEITE PLAGE:
RATTEN
Als mich Marion verschmähte,
Fiel ich in den tiefsten Wahnsinn.
Ärzte nennen meinen Wahnsinn
Kunstrecht eine Paranoia.
Denn ich ward ein Geisterseher
Und ich las die Schrift der Wolken.
Indien sah ich, eine Wolke,
Neben meiner Heimat China.
Und in Hindostan verehrten
Sie Ganesha, diesen Götzen,
Stellten ihm die Opferspeisen
Auf die Gassen. Ratten kamen,
Fraßen diese Opferspeisen.
Also sah ich eine Ratte
Droben in den Wolken schleichen,
Lief von Hindostan nach China.
Und ich hörte eine Nachricht,
Daß in Indien ausgebrochen
Sei die Pest in diesen Tagen.
Fluch dir, Ratte! Fluch dir, Pestfloh!
Plötzlich sah auf allen Wegen
Ich wie braunen Schatten huschen
Ratten, höllische Dämonen,
Hörte ihre Stimmen piepsen,
Roch Gerüche aus der Hölle,
Stinkend wie verweste Ratten,
Übel ward mir vom Gestanke,
Von dem Pestgeruch, dem Schwefel.
Unter allen grünen Büschen
Sah ich Rattenscharen wimmeln,
Immer huschten diese Schatten
Und erzeugten in mir Panik.
Auch in meinem Spiegel sah ich
Zu Musik und Frauentänzen
Ratten über allen Bergen,
Ratten über allen Hügeln.
Also floh ich in die Kirche,
Zu der Königin Kapelle,
Betete zu Sankt Maria:
O Madonna, sei mir Zuflucht!
O Madonna, sei mir Zuflucht!
Aber auf dem Dach der Kirche
Hörte ich die Ratten trippeln,
Hörte ihre Scharen hoppeln,
Leise klappern auf den Brettern.
Petrus, laß doch deinen Schatten
Fallen jetzt auf den Besessnen!
Heilsam ist dein Schatten, Petrus,
Heilsam ist dein Schatten, Petrus,
Rette mich vor den Dämonen!
Und ich sah zum Kreuze Christi,
Christus nackend hing am Kreuze,
Um den Lendenschurz sah aber
Ich dämonisch dunkle Ratten.
Und ich träumte in dem Wahnsinn,
Daß vom Himmel eine Hand kommt,
Eine Hostia mir reichend,
Dann die lange Geißel schwingend
Und vertreibend alle Ratten,
Alle Ratten, alle Flöhe,
Die den schwarzen Tod erzeugten
Heute in dem Fernen Osten.
Also kam ich in das Tollhaus
Und die Irrenärzte sagten:
Ihre Phantasie ist allzu
Ihre Phantasie ist allzu
Üppig ausgebildet, Dichter!
Und sie gaben mir die Pillen
Gegen diese Übermenge
Phantasie und so erlösten
Sie mich von der Paranoia.
Lieber Gott, ich war tatsächlich
Einen Sommer in der Hölle!
In der Hölle herrscht nur Panik,
Herrscht die schlimmste Paranoia!
Warum, o du Gott der Liebe,
Schicktest du den frisch Bekehrten
In die Hölle zu den Ratten,
Zu dem Satan, Herrn der Ratten?
Aber das war nicht vergeblich,
Sagt mir unsre liebe Fraue.
Liebe, die ich nicht verstehe,
Hat geordnet alle Schrecken.
DRITTE PLAGE:
BLUT
Tot die Mutter meiner Mutter,
Die allein mich herzlich liebte!
Oma mir vermachte sterbend
Noch die Bibel und den Glauben.
Und vergessen und verraten
Von der Liebe meiner Jugend
Und umnachtet von dem Wahnsinn
Und von den Dämonenratten,
Eingetreten in die Hölle,
Mit dem Haupt im Paradiese,
Ich beschloß, ich wolle sterben,
Sterbend in den Himmel kommen.
Aber wenn ich mir die Adern
Schneide auf an meinem Pulse,
Was, wenn ich gefunden werde,
Was, wenn ich verbunden werde?
Und dann las ich in der Bibel:
Schwert, erschlage meinen Hirten,
Schwert, erschlage meinen Hirten,
Daß er nicht gefunden werde,
Daß er nicht verbunden werde!
Satan ist ein Bibelkenner.
Als er unsern Herrn versuchte,
Da zitierte er die Bibel
Wie ein Evangelikaler.
Also war es doch beschlossen,
Daß ich selber mich ermorde,
Auch kann ich die Tat ja büßen
Droben in dem Fegefeuer.
Also fuhr ich in den Flecken,
Wo das Haus stand meiner Kindheit,
Trug bei mir ein scharfes Messer,
Um die Adern aufzuschneiden.
Und ich ging in jenen Garten,
Wo ich als ein Knabe spielte,
Die katholische Kapelle
Stand gleich neben jenem Garten.
Unter einer Buche setzte
Ich mich auf die feuchte Wiese,
Sah noch einmal in den Mantel,
Fand dort ein Gedicht der Liebe:
Marion, o Marionna,
Marion, o Marionna,
Marion, du bist wie Myrrhe,
Bitter bist du, wirklich bitter,
Reibt man dich, wie süß du duftest!
Alle tausend Liebesschmerzen
Plagten wieder meine Seele.
Meine Liebe, Sinn und Leben,
Hatte grausam mich verlassen!
Also schnitt ich mit dem Messer
Auf die Adern meines Pulses,
Leise pfiff es, leise zischte
Mir das Blut aus meinen Adern.
Lange lag ich da verblutend,
Hingesunken voller Schwäche,
War schon nahe einer Ohnmacht,
Aber konnte doch nicht sterben.
Schönste Halluzinationen
Schwebten mir vor meinem Geiste.
Ja, ich schaute Jesus Christus
An dem Tisch des Abendmahles,
Ausgebreitet seine Arme,
Wie auf dem Turiner Grabtuch
Sah den Christus ich im Tode,
Der gebot mir: Du sollst leben!
Und dann sah ich die Madonna,
Die Sixtinische Madonna
Raffaels ist ganz die selbe,
Mit dem Jesuskind im Arme,
Und Madonna sagte leise:
Der du liegst in deinem Blute,
Der du liegst in deinem Blute,
Du sollst leben, du sollst blühen
Wie die Lilie auf dem Felde!
Ich erhob mich von der Stätte,
Schleppte mich zum Elternhause.
Sohn! Mein Sohn! schrie meine Mutter.
Und so kam ich in das Tollhaus.
VIERTE PLAGE:
SCHLANGEN UND SKORPIONE
Oldenburg im Oldenburger
Land! Im schönen weißen Städtchen
Oldenburg geneste meine
Liebeskranke irre Seele.
Sie geneste, singend, betend,
Bei den jungen Protestanten:
Halleluja, Halleluja,
Halleluja, Halleluja,
Jesus lebt, so lasst uns tanzen!
Meine Seele so geneste
Nur, um wieder zu erkranken.
Ich hab eine Feé gesehen!
Und wie ist der Elfe Name?
Evi war der Elfe Name!
Aber, meine lieben Leser,
Dankt dem Herrn von ganzem Herzen,
Wenn ihr sie nicht kennen lerntet!
Denn ein Dutzend lange Jahre
Lebte ich im Todesschatten.
Evi nämlich war kein Mädchen,
Sondern sie war eine Schlange!
Im Terrarium zuhause
Hielt sie eine Strumpfbandnatter.
Strumpfbandnattern sah ich flattern
Auch an ihrem schwarzen Strumpfband!
Giftgeschwollne Feuerschlangen
In den hennaroten Locken
Sah ich rollen sich und züngeln
Und mir beißen in die Seele.
Schlangen, liederlich wollüstig,
Auch okkult und esoterisch,
Ringelten um ihren Leib sich,
Diesen trug sie nahzu nackend!
Ihren nahzu nackten Körper
Hüllte sie in Hauchgewänder,
Die so schillernd wie die Schlangen,
Lüstern liederlichen Schlangen.
Einmal war sie in Südfrankreich,
Ohne mich, sie wollte nämlich
Von mir ungehindert flirten
In dem heißen Süden Frankreichs.
Und sie lag in ihrem Schlafsack
In dem Zelte in dem Sommer
Und ihr nackter Leib gebissen
Wurde da von Skorpionen.
Esoterisch die okkulte
Theosophin immer lächelnd
Sprach: Mein Astrologe sagte,
Ich sei ein Skorpionenweibchen.
Nämlich ein Skorpionenweibchen
Ganz besitzt zwei Qualitäten:
Die Besessenheit des Sexus
Die Besessenheit des Sexus
Und die Übermacht des Todes!
Tödlich des Skorpionenweibchens
Sexus! Also sang der Dichter:
O du Skorpionenweibchen
O du Skorpionenweibchen
In dem kurzen Minrocke!
Esoterisch die okkulte
Theosophin sagte böse:
Ich bin Lilith, bin ein Dämon,
Ich bin Lilith, bin ein Dämon,
In mir sieben böse Geister!
In mir Illy, Lili, Lilith,
Lulu, Lilim, Lola, schließlich
Luzifers Gemahlin, alle
Bösen Geister leben in mir!
Lilith, giftgeschwollne Schlange!
Lilith, Skorpionenweibchen!
Also sagte mir die Bibel,
Daß du ein Dämonenweibchen.
Also sagte mir der Herrgott:
Vierzig Jahre gingst du barfuß
Vierzig Jahre gingst du barfuß
Durch den heißen Sand der Wüste,
Wo Skorpione dich gebissen,
Wo das Nachtgespenst, der Kobold,
Doch geplagt! Doch Gott ist mit dir!
Jesus wird dich nie verlassen!
FÜNFTE PLAGE:
FINSTERNIS
In dem Jahr Zweitausend aber,
Da begann die Nacht der Seele.
Nachtgespenst der Nachtgespenster,
Lilith hat mich so verfinstert!
Schwer trug ich an meinem Kreuze,
Doch die jungen Protestanten
Sangen Jubel über Jubel,
Also wurde ich katholisch.
Dichter-Bruder Reinhold Schneider,
Der du heute lebst im Himmel,
Du zuerst hast unterwiesen
Mich in tiefer Karmel-Weisheit!
Und Johannes von dem Kreuze
Las ich, seine Liebeslieder,
Seine dunkle Nacht der Seele,
Seine heiße Liebesflamme.
Und Therese von dem Kinde
Jesu und vom Antlitz Christi
Las ich, die ihr Leid geopfert
Als ein Opfer an die Liebe.
Und Teresia von Jesus
Las ich, von der Burg der Seele,
Und aus ihrem Leben lernt ich
Mystisch beten, kontemplieren.
Und von Schwester Benedicta
Lernt ich, von der Philosophin.
Benedicta ward mir Freundin
In der dunklen Nacht der Seele.
Allen habe ich gepredigt
Dieser Karmeliter-Weisheit,
Daß, wer leidet, der hat Anteil
An den Kreuzesleiden Christi.
Gottverlassen war der Christus,
Gottverlassen meine Seele!
Christus hing an seinem Kreuze
Und ich hing an meinem Kreuze!
Wisst ihr, Mutter Sankt Teresa
Von Kalkutta, dreißig Jahre
War sie in der Nacht der Seele,
Liebte über alle Maßen!
Aber alle die Gebete,
Die sie zu dem Herrn gebetet,
Alle sind zurückgekommen
Stechend scharf wie spitze Pfeile!
Weh mir, meine Seelenleiden
Wurden immer, immer schlimmer,
Dichter stets die Finsternisse
Und die Trauer meiner Seele!
Jeremias lamentierte:
Meine Augen überströmen!
Meine Augen überströmen!
Schaut doch, gibt es solche Schmerzen
Wie die Schmerzen meiner Seele?
Hiob klagte seinen Freundin,
Doch die Freunde sagten: Hiob,
Das ist Wahnsinn, wie du spottest!
Hiob klagte seinem Schöpfer.
Jeremia wie auch Hiob
Sagten: Weh mir, meine Mutter,
Warum hast du mich geboren?
Wäre ich doch tot geboren!
Wäre ich doch tot geboren!
Salomo in seinem Alter
Sagte: Besser geht’s den Toten
Als den Lebenden auf Erden,
Denn die Toten haben Ruhe,
Besser als den Toten aber
Geht es denen, welche niemals
Sind empfangen worden, welche
Ungeboren sind geblieben!
Und ich wollte wie Buddhisten
Nur verlöschen in der Leere!
Seligkeit der Seligkeiten
War das Nichts des Ungewordnen!
Also wollte ich verlöschen
In dem Ozean der Liebe,
Völlig mich mit Gott verschmelzen,
Daß nur Gott noch existiere!
SECHSTE PLAGE:
FLIEGEN
Als ich war im tiefsten Dunkel
Meiner gramerfüllten Seele,
Trug ich nur zerlumpte Kleider
Und ließ meinen Bart verwildern.
Katholikinnen verschmähten
Diesen armen Vagabunden:
Laß dir deinen Bart frisieren,
Laß dir deinen Bart frisieren,
Mache deine Kleider duftend!
Aber wer von Gram zerfressen,
Der trägt keine weißen Kleider,
Wer von Traurigkeit gelähmt ist,
Kann nicht putzen seine Wohnung.
Immer sagte meine Mutter:
Wasche sauber deine Gläser
Wasche sauber deine Gläser
Und du findest eine Dame.
Meine Gläser blieben fleckig.
Meine alten Essensteller
Wurden nicht mehr abgewaschen
Und die vollen Abfalleimer
Wurden nicht mehr ausgeschüttet.
Und die Essensreste wurden
Überzogen ganz von Schimmel
Und im Schimmel sich erzeugten
Maden und sehr kleine Fliegen.
Saß ich nachts bei meiner Lampe,
Heulend voller Liebeskummer,
Schwirrten um mich kleine Fliegen,
Stank der Essensreste Schimmel.
In den heißen Lampenschirmen
Diese Fliegen zwar verglühten,
Doch der Essensreste Schimmel
Zeugte immer neue Fliegen.
War mein Antlitz naß von Tränen,
Weil die Augen Tränen spritzten,
Plagten mich die kleinen Fliegen,
Schwirrten mir um meine Lippen.
In dem Sommer meiner Trauer
Mich besuchten in der Wohnung
Große Fliegen, welche surrten,
Kitzelten die nackte Haut mir.
Wenn ich abends in dem Bette
Trost von meinem Kummer suchte,
Wenn der Schlaf mich trösten sollte
Mit lethäischem Vergessen,
Ließen diese großen Fliegen
Mich nicht in den Schlaf versinken
Und am Morgen früh schon plagten
Mit Gesumm mich diese Fliegen.
War ich dann nicht ausgeschlafen,
Hatte ich dann schlechte Laune,
Wollte Gott mein Leiden klagen
In dem klagenden Gebete,
Ließen mich die großen Fliegen
Nicht in aller Ruhe beten.
Ob ich sie auch fangen wollte,
Waren sie doch immer schneller.
Satan ist der Herr der Fliegen,
Beelzebub der Gott der Fliegen.
Daß mich Gott der Herr erlöse
Von der Plage dieser Fliegen,
Bat ich Unsre Liebe Fraue:
Mutter Gottes, Makellose,
Mutter Gottes, Makellose,
Du befrei mich von den Fliegen
Und von Beelzebub und Satan!
Und Maria schickte eine
Putzfrau mir in meine Wohnung
Und die Putzfrau machte sauber
Alle Teller, alle Gläser,
Putzte mir die Toilette,
Putzte mir die Badewanne,
Wusch den Herd und wusch die Pfanne,
Machte meine Schränke sauber,
Wischte Staub von den Regalen,
Wischte Staub von allen Büchern,
Wischte Staub von der Ikone
Unsrer Lieben Frau Maria.
SIEBENTE PLAGE:
BEULEN
Während meine irre Seele
Krank war, allzu melancholisch,
Allzu sehr litt an der Schwermut
Und der tödlich schwarzen Trauer,
Da begann mein armer Körper
Auch zu rebellieren, nämlich
Immer öfter an dem Körper
Tauchten auf Geschwüre eiternd.
Wissenschaftler sagen nämlich,
Wenn die Seele ist zerrissen,
Ist zerfetzt und ist gespalten
Zwischen Gottesdienst und Minne,
Wenn die Seele will jungfräulich
Ihren Gott alleine lieben
Und doch ebenfalls begierlich
Liebt ein hartes Frauenzimmer,
Dann von der gespaltnen Seele
Gehen aus Geschwüre eiternd.
Die gutmütigen Tumore
Kommen Ärzte, aufzuschneiden.
Die Abzesse, die Furunkel
An den Armen, an den Beinen,
An der rechten, linken Schläfe,
Schließlich sogar an dem Hintern,
Müssen aufgeschnitten werden.
Und des Doktors Messer bohrt sich
In die Wunde, die entzündet,
Und der Körper leidet Schmerzen.
Stundenlang der Mensch muß warten
Mit der Depression der Seele
In dem Wartesaal des Arztes,
Bis der kommt mit seinem Messer.
Morgens früh muß sich erheben
Der verzweifelt Depressive,
Muß mit banger Seele fahren
Zu dem Arzt mit seinem Messer.
Anfangs nur im Frost des Winters
Kamen die Geschwüre eiternd,
Später auch in Ostertagen,
Später auch in Sommerhitze.
Und der Arzt verordnet Sonne:
Solche depressiven Seelen
Solche depressiven Seelen
Mit den eiternden Geschwüren
Brauchen Sonnenlicht im Sünden!
Ja, mein lieber Arzt und Doktor,
Schicke mich an einen Kurort
In dem heißen Süden Frankreichs,
Einstmals war ich dorten glücklich.
Aber Deutschlands scharfer Winter
Und der Frühling, der verregnet,
Und der Sommer mit Gewittern,
Schließlich dann Novembernebel,
Machen krank die irre Seele
Und die arme irre Seele
Macht dann krank den armen Körper,
Und so häufen sich die Leiden.
Doch die junge Ärztin sagte:
Ihnen fehlen kleine Kinder!
Ihnen fehlen kleine Kinder!
Suchen Sie sich eine Gattin,
Zeugen mit der Gattin Kinder!
Doch die junge Ärztin sagte:
Trinken Sie nicht mehr den Rotwein!
Eine Flasche an dem Abend,
Trinken Sie nicht mehr den Rotwein!
Eine Flasche an dem Abend,
Das macht krank den schwachen Körper.
Und ich ging zu trocknen Säufern,
Säufern antialkoholisch,
Aber wollte doch nicht leben
Ohne Wein, des Herzens Freude.
Denn es sprach ein Greis doch weise:
Dichter, trinkst du keinen Rotwein,
Dichter, trinkst du keinen Rotwein,
Werden schlecht sein deine Verse,
Dichter müssen Rotwein trinken.
Und es sprach der Lutheraner:
Wein ist Qualität des Lebens!
Wein ist Qualität des Lebens!
Später möchte ich mit Jesus
Wein im Paradiese trinken!
ACHTE PLAGE:
DONNER
Anna, meine treue Freundin,
Treue aufblickt von der Erde
Und Gerechtigkeit vom Himmel
Und es küssen sich die beiden.
Als dich hat der Krebs befallen,
Der zum Tode führen sollte
Deinen wunderschönen Körper,
In den Himmel rief die Seele,
Da vertrautest du dem Freunde
Deine Kinder an, die beiden,
Juri, deinen Erstgebornen,
Milan, unser beider Liebling.
Und so waren wir auf Rügen
Bei den weißen Kreidefelsen
An der aufgewühlten Ostsee
Bei den goldnen Weizenfeldern.
Auch dein Vater, deine Mutter
Waren bei uns an der Ostsee.
Juri ging an meinen Händen,
Ihm erzählt ich von Maria.
Schau, Maria ist so golden
Wie das goldne Feld von Weizen
Und so bläulich und so purpurn
Wie der Mohn und die Cyane.
Und am Kap Arkona sagtest
Du: Mein schöner Vielgeliebter,
Wollen wir hier Hochzeit feiern
Auf dem Leuchtturm an der Ostsee?
Und ich sagte: Liebste Anna,
Leb ich doch im Zölibate
Als Verlobter Sankt Marias,
Kann dir meine Hand nicht geben.
Aber Vater wär ich gerne
Deinen beiden schönen Söhnen,
Juri liebe ich, den Knaben,
Milan liebe ich, das Kindchen.
Und im Caravan alleine
Schlief ich in dem breiten Bette.
Ach, in unsrer Jugend lagen
Wir in Einem Bette, Anna!
Eines Nachts der Knabe Juri
In dem Caravan, im Bette
Wollte bei dem Onkel schlafen
Und so lagen wir und schliefen,
Bis um Mitternacht der Regen
Prasselt trommelnd auf dem Dache
Und wir von des Regens Trommel
In dem Caravan erwachten.
Und wir schauten aus dem Fenster,
In der Mitternacht der Regen
Stürzte rauschend von dem Himmel,
Rauschend wie das Meer der Ostsee.
Und am Himmel scholl der Donner
Und vom Himmel zückten Blitze.
Das ist Gottes Zorn, mein Knabe,
Weil die Menschen allzu gottlos!
Gottes strafende Gerichte
Über all die Gottvergessnen,
Über all die neuen Heiden,
Donnerten vom Himmel nieder.
Gottes Stimme ist der Donner
Und er wirbelt auf das Weltmeer
Und er lässt die Eichen stürzen
Und er macht die Hirschkuh kreißen.
Aber dieser Blitz vom Himmel
Ist die Waffe seines Zornes,
Ist ein Arsenal von Blitzen
In der Waffenkammer Gottes.
Siehst du, Juri, wie die Blitze
Reißen auf die Himmelsdecke?
Siehst du offen auch den Himmel,
Siehst du Gottes weißen Thronstuhl?
Siehst vor Gottes weißem Thronstuhl
Du die sieben Donnerwetter
Rauschen wie das große Weltmeer,
Das kristallne Weltmeer Gottes?
Siehst du Gottes weißen Thronstuhl
Und zur Rechten seines Thrones
Bei dem Vater in dem Himmel
Auch die Herrlichkeit des Sohnes?
NEUNTE PLAGE:
KREBS
Anna hatte Krebs bekommen,
Krebs zerfraß den schönen Busen.
Sieben Jahre litt die schöne
Anna an dem bösen Cancer.
Ihre Brüste, ihre Mammes,
Ganz zerfressen vom Geschwüre,
Ließen großen Schmerzen leiden
Sie, die so das Leben liebte.
Ich dagegen voller Schwermut,
Voller tödlich-schwarzer Trauer,
Sehnte mich nach meinem Tode,
Wollt nicht mehr auf Erden leben.
Der den Herrn allein gebeten,
Daß er endlich sterben dürfe,
Musste leben auf der Erde,
Weiter leben, weiter leiden.
Die das Leben so sehr liebte,
Die auch noch nicht sterben wollte,
Musste sterben, musste heimgehn,
Ihre Kinderlein verlassen.
Sieben Jahre sah ich täglich,
Wie der Krebs zerfraß den Körper,
Wie der Cancer von den Brüsten
Wanderte zum breiten Becken,
Wie er wanderte vom Becken
Durch das Rückgrat in den Schädel,
Wie sie Schmerzen in dem Kopfe
Litt, wie sie verlor die Haare.
Dieses war der schöne Körper,
Den ich in der frohen Jugend
So begehrt und so genossen,
Dieser war nun krank zum Tode.
O, die Schönheit einer Jugend
Kann ich nicht mehr einfach sehen,
Sondern in der Jugendschönheit
Sehe ich schon ihren Leichnam.
Meine beste Busenfreundin,
Die mir ihre Kinder schenkte,
Lag als aufgebahrter Leichnam
Wächsern gelb im Hospitale.
Auch mein Vater war gestorben
An dem bitterbösen Blutkrebs.
Als er lag im Krankenhause,
Nahm er Abschied von den Söhnen:
Erstgeborner Sohn, mein Liebling,
Erstgeborner Sohn, mein Liebling,
Sorge dich um deinen Knaben!
Aber du, mein schwarzes Schäfchen,
Rede du doch mit Kaninchen!
Und ich saß in meinem Zimmer,
Betete zu Sankt Maria:
O du Königin der Hölle,
O du Königin der Hölle,
Rette meines Vaters Seele!
Und um Mitternacht der Regen
Stürzte nieder und der Donner
Donnerte voll Ernst vom Himmel
Und die lichten Blitze zückten.
Und die Seele meines Vaters
Fuhr aus seinem toten Körper
Und erschien in meinem Zimmer,
Wo ich flehte zu Maria.
Meine Mutter aber gleichfalls
Ward befallen von dem Cancer,
Und die Ärzte nahmen Mama
Ihren Uterus des Schoßes
Und entfernten von dem Busen
Eine Brust und dann die andre.
Also meiner Mutter Körper
Ohne Uterus und Brüste
Ward gelassen von dem Cancer.
Aber sie blieb noch am Leben,
Und ich flehte zu Maria,
Daß die Mutter überlebe.
Gott erhörte meine Bitte
Und die Mutter blieb am Leben.
Anna aber, meine Tote,
Ward der Engel meiner Seele.
In dem Himmelreiche warten
Nun auf meine arme Seele
Anna, meine Busenfreundin,
Und die vielgeliebte Oma.
ZEHNTE PLAGE:
VERLUST DES LIEBLINGS
Als gestorben meine Anna,
Nahm ich meinen Liebling Milan,
Führte ihn zu der Kapelle
Zu der lieben Mutter Gottes,
Die die Mutter aller Menschen,
Die die Mutter aller Kinder,
Daß sie seine Mutter werde,
Seine Mutter in dem Himmel.
Und ich weihte meinen Milan
Ihrem Unbefleckten Herzen
Und dann ging ich mit dem Liebling
Zu der wunderschönen Evi.
Evi, Spiegelbild der Schönheit,
Offenbarend Gottes Schönheit!
Milan, Spiegelbild der Liebe,
Offenbarend Gottes Liebe!
Milan zeigte ich ein Bildchen
Von dem kleinen Knaben Amor,
Sieben Jahre alt der Knabe,
Nackt, mit Flügeln an den Schultern,
Hielt der Knabe Pfeil und Bogen,
Und so schoss er nach den Herzen.
War der Pfeil getaucht in Honig,
Fand der Freier Gegenliebe,
War der Pfeil getaucht in Schierling,
Fand der Freier keine Liebe.
Milan, sagte ich, mein Liebling,
Nimm nun deinen Pfeil und Bogen,
Schieße mir in meine Seele
Deine sieben Honigpfeile!
Milan schoss und traf die Mitte
Meines gleich verzückten Herzens.
Oh, ich liebe dich, ich liebe
Dich von ganzem Herzen, Liebling,
Rief ich, von dem Pfeil getroffen,
Von dem Honigpfeile Amors.
Aber Winkeladvokaten
Nahmen weg mir meinen Liebling.
Diese Winkeladvokaten
Wollten Milan für sich selber.
Ach, ich durft ihn nicht mehr sehen,
Den ich großgezogen habe,
Dem die Windeln ich gewechselt,
Dem ich beistand in dem Fieber,
Dem ich alle meine Märchen
Und Legenden alle sagte,
Sprach von Adam und von Eva
Und von Jesus und Maria
Und von Josef und den Brüdern
Und von Moses in Ägypten
Und von Goliath und David
Und von Salomo und Balkis,
Dem ich sprach vom Drachentöter
Siegfried und von Hagen Tronje,
Und von Herkules und Hera
Und Odysseus und Athene,
Ihm erzählte von Schneewittchen
Und Dornröschen, Aschenputtel,
Von der Meerjungfrau, den Elfen,
Und von Reinecke, dem Fuchse.
Aber er ward mir genommen,
Der allein von ganzem Herzen
Mich geliebt mit Kinderliebe
Wie ein zweiter Jesusknabe.
Viele, viele Monde weint ich
Um den lieben Knaben Milan.
Abraham so musste opfern
Seinen Isaak, den Knaben.
Alle diese meine Plagen
Wie ein sündiger Ägypter
Litt ich als ein frommer Jude,
Der allein verehrt Jehowah.
Gott ist Liebe! Gott ist Liebe!
Liebe selbst ist eine Gottheit!
Aber wundersam die Wege –
Unverständlich ist die Liebe.