Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

DER JUNGE LUTHER

 
Drama


Von Josef Maria Mayer


ERSTER AKT


(Mansfeld in Sachsen-Anhalt. Vater Hans Luther, Mutter Margarethe, und der kleine Martin.)

VATER LUTHER
Wo ist die goldne Nuß, die ich bewahrte
In der Schatulle hier in diesem Schrank?
MUTTER LUTHER
Gesteh es, Martin, du hast sie gestohlen!
VATER LUTHER
Die Blage! Dafür mühe ich mich ab?
Ein Bauer war ich, hab mich abgemüht,
Ein Bergmann war ich dann geworden, stieg
Tief in den Schoß der schwarzen Mutter Erde.
Sankt Anna wachte über unsern Bergbau.
Und nun besitz ich gar die Bergwerks-Mine.
Nun hab ich es zu etwas Geld gebracht.
Nun möchte ich mein Eigentum genießen
Und sehe, dass mein Sohn ein Räuber ist!
Den Vater sollst du ehren und die Mutter,
So hat es Gott am Sinai geboten!
MARTIN LUTHER
Ich wollte doch nur diese goldne Nuß,
Ich meine... Vater, ach, verzeihe mir!
VATER LUTHER
Geh, Margarethe, hole mir die Rute!
MUTTER LUTHER
Schau, Martin, das hast du verdient, dass du
Jetzt Schläge auf den bloßen Hintern kriegst.
VATER LUTHER
Nur weiter nichts geredet, Margarethe.
Ein Vater, der den Sohn von Herzen lieb hat,
Der züchtigt seinen Sohn auch mit der Rute.
Auch Gott ist ja ein strenger Vater, der
Die Kinder Gottes mit der Rute züchtigt.
Und wer vom Herrgott nicht gezüchtigt wird,
Der darf sich auch nicht Sohn des Vaters nennen.

(Margarethe hat die Rute geholt und reicht sie ihrem Gatten.)

MUTTER LUTHER
Jetzt, Martin, sei ein braver Sohn, bereue,
Dann wird der Vater nicht so kräftig schlagen.
MARTIN LUTHER
(heult)
Ach Vater, Vater, schlag nur kräftig zu!
VATER LUTHER
So ist es recht, du Räuber und du Dieb,
Zeig du nur Reue, weine Reuetränen!
MUTTER LUTHER
Ach lieber Hans, mein guter Eheherr,
Laß mich den kleinen Martin züchtigen.
VATER LUTHER
Ja, Martin, Gnade soll vor Recht ergehen,
Die Mutter wird dich mit der Rute schlagen.
MUTTER LUTHER
So, Martin, leg dich über diesen Stuhl,
Und jetzt hinunter mit dem Hosenboden.
Ich denke, vierzig Schläge sind genug.

(Die Mutter züchtigt Martin. Der beißt die Zähne zusammen und leidet still.)

VATER LUTHER
Das waren vierzig Schläge, Margarethe.
Jetzt komm, wir müssen aus dem Hause gehen.
Du, Martin, bete du zu Gott dem Vater!

(Die Eltern verlassen die Stube.)

MARTIN LUTHER
(betet weinend)
Sankt Anna, weißt du auch, wie weh das tut?
Der Vater ist so streng und meine Mutter
Steht immer auf der Seite meines Vaters
Und ich bin ganz allein in dieser Welt.
Sankt Anna, du beschützt den Bergbau doch,
Und meine Mutter hat mir einst erzählt,
Daß du als Mutter Unsrer Lieben Frau
Einst Jesus mit der Rute hast geschlagen,
Drei Schläge nur auf Jesu sanften Po.
Sankt Anna, nur drei Schläge! Aber ich
Hab vierzig auf mein Hinterteil gekriegt!
Doch hab ich’s ja verdient, Großmutter Gottes,
Weil ich gestohlen und gelogen habe
Und hab verdient den Zorn des Vatergottes
Und hab verdient die ewige Verdammnis,
Wo mich die Teufel mit den Ruten schlagen
Für eine ganze lange Ewigkeit!
Ich will nicht in die Hölle kommen, Anna!
Sag doch dem Vater, deinem Enkel Jesus,
Ich will noch gerne viele Schläge leiden,
Wenn ich dafür nicht in die Hölle komm!
Sankt Georg, mach du mich zu einem Ritter,
Sankt Georg, mach du mich zum Drachentöter!
In Patri, Filius et Spritus
In saeculum et saeculorum Amen.


ZWEITE SZENE


(Eisenach. Der fünfzehnjährige Luther und sein Lehrer, ein Franziskanermönch.)

LUTHER
Ich heiße Martin, Luther oder Luder,
Denn meine Väter hießen Luder, aber
Das deutsche Luder stammt vom Griechischen
Und es bedeutet: Eleutherios,
Und Eleutherios, das heißt: Der Freie!
FRANZSIKANER
Mein Eleutherios, was lehrten dich
Die Brüder vom gemeinschaftlichen Leben
In Magdeburg, der Schule an dem Dom?
LUTHER
Sie lehrten mich die deutsche Muttersprache.
O Magdeburg, du wunderschöne Braut,
Frau Weisheit, du liebst einen Kriegsmann nur,
Der dich im Sturme nimmt und feurig liebt!
Doch, Pater, sprich vom heiligen Franziskus!
FRANZISKANER
Als Franz verlassen seinen Vater hatte,
Den Kaufmann, der den Mammon angebetet,
Als Franz sich mit Frau Armut keusch vermählt,
Da sprach der Herr zu ihm in einem Traum:
Mein Armer, renoviere meine Kirche!
Franz dachte, dass er soll ein Kirchlein bauen,
Bis er erkannte die Berufung, dass
Er soll die Kirche renovieren, die
Gehurt hat mit den Mächtigen der Welt
Und lebte in dem Luxus, dieser Sünde,
Da sollte Franz die reiche Luxus-Kirche
Durch seine reine Armut renovieren.
Die Kirche braucht ja immer die Reform,
Die Kirche reformiert sich immer wieder
Durch ihre heiligen Reformer, die
Durch Heiligkeit die Kirche reformieren.
LUTHER
Die Heiligen, das waren reine Herzen,
Ich aber bin ein abgrundtiefer Sünder.
FRANZISKANER
Doch du hast eine schöne Stimme, Martin,
Du kannst sehr schön die Psalmen psalmodieren.
Laß hören! Sing mir einmal einen Psalm!
LUTHER
(singt)
Gott ist uns eine feste Seelenburg,
Ist unser Schild, sein Wort ist unsre Waffe!
FRANZISKANER
Wir haben nicht umsonst gelehrt Musik
Und Poesie. Wer ist dein Lieblingsdichter?
LUTHER
Vor allen Römern lieb ich den Vergil
Am meisten, er ist doch der Vater Pius.
FRANZISKANER
Vergil ist der Advent-Poet der Kirche!
Er pries den Gottessohn, den Weltenheiland,
Das Friedensreich der ganzen Ökumene
Und auch die Ewigkeit der Mutter Roma.
LUTHER
Ich habe auch verstanden, dass die vierte
Ekloge Prophezeiung ist auf den
Messias, auf den Gott, als Kind geboren,
Der Frieden bringt der ganzen Ökumene.
Doch um die Hirtenlieder von Vergil
Auch richtig zu verstehen, müsste man
Ein ganzes Leben lang mit Hirten leben.
FRANZISKANER
Und die Georgica, das Buch vom Landbau?
LUTHER
Um die Georgica verstehn zu können,
Muß man sein Leben lang ein Bauer sein.
Dort liebe ich zumeist die Bienenzucht.
Vergil vergleicht den Gottesstaat der Bienen
Ja mit dem Reich von Roma, da der Kaiser
Die Bienenkönigin im Stocke ist
Und ihre Drohnen, das sind Roms Soldaten.
FRANZISKANER
Die Bienenkönigin, das ist der Papst,
Die Arbeitsbienen aber sind die Priester.
Und die Änaeis, was sagst du dazu?
LUTHER
Wie Moses Israel geführt hat aus
Ägyptenland, sie durch die Wüste führte,
Sie führte ins Gelobte Land und wie
Dort Israel viel Kämpfe kämpfen musste
Mit den Hevitern und den Amoritern
Und wie zuletzt in Israel geboren
Der Heiland ward, der König aller Völker –
So floh Äneas auch mit seinem Vater
Und seinem Sohn aus Trojas Brandruinen
Und mussten irren übers Mittelmeer
Und kamen von Karthago nach Italien
Und mussten kämpfen dort mit den Latinern
Und gründeten das Neue Troja dort
Und so Äneas ward der Vater Roms,
Bis dann Augustus Cäsar ward geboren
Als Retter und als Friedefürst der Völker.
FRANZISKANER
So haben nicht die Juden nur Propheten,
So haben auch die Heiden die Sibyllen,
Und alle prophezeien Jesus Christus.


DRITTE SZENE


(Universität Erfurt. Martin Luther als Magister der sieben freien Künste, und der Universitätsprofessor.)

PROFESSOR
So sprechen Sie von Aristoteles!
LUTHER
Wenn Platon visionär Ideen schaute
Als ideale Wesenheiten geistig,
So lehnte Aristoteles das ab.
Was Aristoteles in der Natur sah,
Das war der Stoff und war die Form des Stoffes.
Der Stoff war die chaotische Materie,
Die Form das geistige Prinzip, gestaltend
Den Stoff zu einem Ding. Die Form ist Geist,
Doch existiert sie nicht wie die Idee
Selbständig als ein Wesen rein im Geist,
Die Form ist immer an und in den Dingen.
PROFESSOR
So sprechen Sie von Akt und von Potenz!
LUTHER
Die Potentialität ist Möglichkeit,
Ist bloße Möglichkeit, die übergeht
In die reale Wirklichkeit durch Akte.
Die Akte als die Macht und Wirksamkeit
Erst setzen die Potenz ins reine Dasein.
Wenn ich nun spreche, schreibe oder gehe,
So übe ich den Akt des Gehens, Sprechens
Und Schreibens. Das Subjekt ist dann schon da.
Der Akt des Daseins schafft erst das Subjekt.
PROFESSOR
Wenn nun der Akt des Daseins das Subjekt
Mit Namen Martin Luther erst ins Daseins setzt,
War Martin Luthers Wesen dann schon möglich
In Potentialität? Und kommt nun durch
Den Akt des Daseins Wichtiges hinzu?
LUTHER
Mein Wesen in der bloßen Möglichkeit,
So sagen welche, ist genauso wertvoll,
Wie das durch einen Akt verwirklichte.
Die bloße Möglichkeit von tausend Talern
Ist wertvoll wie die Wirklichkeit derselben.
Doch andre sagen, dass alleine wertvoll
Die pure Existenz, und dass kein Wesen
Bedeutsam ist, allein die Existenz,
Und dass die Gottheit sei die Existenz
In Reinform, doch besitze Gott kein Wesen.
PROFESSOR
Was dazu ist Ihr Kommentar, mein Luther?
LUTHER
Wenn nun die Existenz allein ist wichtig
Und unbedeutsam ist das Wesen, wie
Begreifen wir, dass Menschen nicht allein
Nur existieren wollen, sondern gut
Und selig leben? Nämlich Jesus sagte
Von Judas, der so ganz verzweifelt war:
Es wäre besser, er wär nie geboren!
Denn ist die Existenz verzweiflungsvoll,
So wünscht der Mensch, er wäre nie geworden!
Das Wie der Existenz ist eben wichtig.
PROFESSOR
So sprechen Sie vom Universalienstreit!
LUTHER
Ob die platonische Idee ein Geist
Mit eignem Dasein sei und existiere
Rein in sich selbst als Wesenheit im Geist,
Wie manche sagen, oder ob sie nur
Gedanklicher Begriff von Menschen sei,
Verallgemeinerung realer Dinge,
Wie andre sagen, das ist nun der Streit.
Die an die Realitäten der Ideen
Als Wesenheiten glauben, nennen sich
Als Idealisten also Realisten.
Und die behaupten, dass all die Ideen
Nur menschliche Begriffe sind und nichts
Ganz wirklich existiert als nur die Dinge,
Die nennen wir mit Namen Nominalisten.
PROFESSOR
Und Ihre Position, Magister Luther?
LUTHER
Ich denke, Wahrheit sagen Nominalisten.
PROFESSOR
Und abgesehn von aller Theorie,
Was hat das zu bedeuten für die Praxis?
LUTHER
Wenn unabhängig vom Begriff des Menschen
Als Geister Wesenheiten existieren,
Dann ist das für die Theologie bedeutsam,
Denn dann ist die Idee des Einen Gottes
Bei den Muslimen und des Einen Gottes
In drei Personen in der Christenheit
Ein reines Dogma, das verkündet wird
Von dem Koran bei den Muslimen oder
Vom Papst und den Konzilien in der Kirche
Als Offenbarung, die von oben kommt,
Von Gott geoffenbart und überliefert
Von einer Hierarchie der Heiligkeit.
Wenn aber alles ist Begriff des Menschen,
Dann disputieren wir human und ringen
Um die Erkenntnis, und des Menschen Denken
Betrachtet dann die Realität der Dinge.
Und so die Wissenschaft von der Natur
Kommt auf und so der säkulare Staat,
Nicht mehr der Kaiser als von Gottes Gnaden,
Vielmehr die Fürsten als die Landesväter
Sind die Vertreter des gemeinen Volkes.
PROFESSOR
Magister artium, Magister Luther,
Sie haben ja rebellische Ideen!
LUTHER
Ach, wissen Sie, die menschliche Vernunft,
Die Philosophie ist eine Hure nur!
Der Mensch bleibt ein verdammter Sünder doch!


VIERTE SZENE


(2.Juli 1505. Stotternheim zwischen Mansfeld und Erfurt. Luther als Wanderer allein.)

LUTHER
(singt)
Ach Annchen Tharau, meines Herzens Blut!
Ach Annchen Tharau, du mein liebstes Gut!

(Er pfeift. Nach einer Weile nachdenklich)

O meine Seele, sei jetzt nicht mehr traurig!
Jetzt, wo ich die Juristerey studiere,
Ist doch mein Vater wieder ganz zufrieden.
Er hat ja investiert ins Studium
Des Sohnes, in die ganze Schulausbildung,
Und will sich freuen jetzt an seinem Sohn,
Daß der was werde in der eitlen Welt.
Frau Welt, du eitle buhlerische Dirne,
In deinem Luxus-Laster, geile Hure,
Ja, so ein Advokat gefällt dir gut!
Als Advokat, da kann man vor Gericht
Der armen Witwe ihre Söhne nehmen.
Justitia, du buhlerische Hure,
Der Advokat steckt Geld dir in den Schoß
Und schon begehst du Ungerechtigkeit
An Stätten der Gerechtigkeit, du Hure,
Du blinde Göttin, die du nicht nur Geld nimmst,
Du machst auch deine Advokaten reich.
Und Geld ist alles, was der Welt gefällt,
Geld bringt dem Advokaten Ehre ein,
Geld macht den Sohn beliebt bei seinem Vater!

(Er schweigt)

O Gott, ist deine Stimme doch der Donner
Und machst du Wolken dir zu deinem Zelt?
Wie drohend ballen schwarze Wolken sich
Zusammen an dem zornerfüllten Himmel!
Gott Vater, du in deinem Zorn und Grimm,
Ich bin ein Sünder, durch und durch ein Sünder,
O strafe mich mit deinen Blitzen nicht
Und mit dem Donner deines Weltgerichtes!
Verdorben bin ich, ganz und gar verdorben,
Der Satan reitet mir auf meinem Rücken
Und peitscht mich in die ewige Verdammnis!
Wie groß muß doch dein Zorn sein, Vatergott,
O schlage ruhig nur gewaltig drein!
Die Hure Welt ist eine Lasterhöhle
Voll Luxus, Lästerung und geiler Geldgier!
Die Kirche ward zur Hure Babylon,
Die Priester wurden geile Knabenschänder,
Der Becher deines Zornes ist gefüllt!

(Es beginnt zu donnern.)

Ich fürchte mich vor Gottes Vaterrute!
Und wenn der Zorn des Herrn die Erde richtet
Und alle Sünder in die Hölle schickt
Und nicht auf Erden mehr Gerechte findet
Und nur noch Sünder findet, die geschaffen
Zur ewigen Verdammnis sind, bestimmt,
Vorherbestimmt zur ewigen Verdammnis,
Dann kann ich Gottes Rute nicht entgehen,
Dann muß der Heilige auch mich verwerfen,
Weil ich Kloake voller Unrat bin
Und bin vorm Heiligen ein Kübel Kot!

(Es donnert und blitzt.)

O Gott, in dieser tiefen Todesangst
Erinnr’ ich mich an meinen Kinderglauben.
Ja, wenn ihr werdet nicht wie kleine Kinder!
Ich habe doch als kleiner Knabe stets
Sankt Anna angebetet, diese Mutter
Der Muttergottes, diese große Mutter
Hat all mein Heulen allezeit getröstet.

(Ein Blitz schlägt neben Luther ein. Luther in panischer Todesangst betet weinend und wimmernd.)

Sankt Anna, Mutter du der Muttergottes,
Sankt Anna, du Großmutter unsres Herrn,
Sankt Anna, keusche Gattin des Joachim,
Sankt Anna, Mutter du der Unbefleckten,
Sankt Anna, Schutzpatronin du des Bergbaus,
Sankt Anna, Zuflucht aller kleinen Kinder,
Sankt Anna, Zuflucht aller armen Sünder,
Erbarmen, in dem Namen Gottes, Anna!

(Er kniet sich neben einer Eiche in den Schlamm, hebt die Arme gen Himmel und betet und schwört.)

O Mutter Anna, wenn du jetzt mich rettest
Vorm jähen Tod und vorm Gerichte Gottes,
Dann schwör ich dir, o große Mutter Anna,
Ich werde Mönch und lebe ehelos
In Armut und gehorsam ganz der Regel
Und leiste Buße ab für alle Sünder
Und sühne alle meine Sündigkeit
Und sühne auch die Sünden aller Christen
Und sühne auch die Sünden aller Ketzer
Und sühne auch die Sünden aller Juden
Und sühne auch die Sünden der Muslime
Und sühne auch die Sünden aller Heiden,
Ich werde Mönch, wenn du mich rettest, Anna!

(Der Himmel klart auf.)


FÜNFTE SZENE


(Erfurt. Kloster der Augustiner-Eremiten. Luther und drei Mönche.)

LUTHER
Als meinem Vater ich gesagt, dass ich
Ins Kloster gehe, Mönch im Orden werde,
Da sagte er im väterlichen Zorn:
Ich habe investiert in deine Schule
Und in dein Studium, du solltest als
Jurist, als Advokat viel Geld verdienen,
Und jetzt gehst du zu deinen Bettelbrüdern,
Zu diesen Eremiten, Müßiggängern,
Die betteln immer nur und beten nur
Und machen alle ihren Vätern Schande.
ERSTER MÖNCH
Auch Abraham, wir lesens im Koran,
Er musste sich von seinem Vater trennen,
Der Vater betete zu goldnen Götzen,
Doch Abraham zum einen Herrn der Sterne.
Da sagte Gott zum frommen Abraham:
Geh, Abraham, verlaß dein Vaterhaus,
Verlaß die ganze Sippe der Verwandtschaft!
ZWEITER MÖNCH
Wir lesen in den Blümlein des Franziskus,
Daß er von seinem Vater sich getrennt,
Sein Vater liebte nämlich sehr das Geld,
Franz aber liebte inniglich Frau Armut.
LUTHER
Ich bin doch nicht wie Vater Abraham,
Ich bin auch nicht so heilig wie Franziskus.
Ich fühle mich so durch und durch als Sünder,
Nicht nur, dass ab und an ich Sünden tu,
Nein, meine ganze menschliche Natur
Ist ganz und gar durchdrungen von der Sünde.
ERSTER MÖNCH
Und darum tust du auch so fleißig Buße,
Du wischst den Boden in dem Klostergang
So blitzblank sauber wie kein andrer Mönch.
Weil du ein Vorbild in der Pflichterfüllung
Und in Beachtung unsrer Ordensregel,
Drum wurdest du zum Diakon geweiht.
ZWEITER MÖNCH
Ich hörte, in dem Anbeginn der Kirche
Auch gabs die Weihe zu dem Diakon
Für Frauen als geweihte Diakone.
Doch unterm Einfluß der Justiz von Rom
Dann wurde abgeschafft die Frauenweihe.
LUTHER
Jetzt bin ich also ein geweihter Priester.
DRITTER MÖNCH
Die erste Messe, die du zelebriertest,
Die gibt dir heute die Gelegenheit,
Uns, deine Brüder, überreich zu segnen.
LUTHER
Ich sag euch, Brüder, sags aus ganzem Herzen:
Als ich zum ersten Mal an dem Altar stand
Und in Persona Christi sprach die Worte:
Dies ist mein Leib, für euch dahingegeben,
Dies ist mein Blut des Neuen Testamentes,
Und als auf dieses Wort hin Brot und Wein
In Blut und Körper Christi ward gewandelt
Und als in meiner Hand, des Sünders Hand,
Lag Christi Fleisch und Blut und Seele, Gottheit,
Traf wie ein Blitz die Ehrfurcht mich vor Gott!
Wie kann der Heiligste der Heiligen
Sich liefern aus den Händen eines Sünders?
Ich zitterte vor Ehrfurcht vor dem Herrn
Und da die Hand mir zitterte vor Ehrfurcht
Und ich in meiner Hand den Kelch des Heils
Mit Blut und Gottheit Christi hielt, da hatte
Ich plötzlich eine abgrundtiefe Angst,
Daß einen Tropfen ich verschütten könnte
Und so entheiligen des Blut des Herrn!
Am liebsten wär ich weggerannt, am liebsten
Hätt ich versteckt mich und gerufen: Berge,
Fallt über mich! O Herr, geh weg von mir,
Ich bin von einer sündigen Natur
Und bin nur Staub vor dem Allmächtigen
Und bin nur Kot vorm Allerheiligsten!
DRITTER MÖNCH
Die Menschen draußen in den Städten denken:
Ein wenig Sünde, gern verzeiht das Gott.
Wer dem lebendigen und wahren Gott
Begegnet ist, dem dreimal Heiligen,
Der weiß, wie durch und durch von Sünde er
Durchdrungen ist, und dass er es nicht wert ist,
Daß Jesus Christus eintritt in den Sünder.
LUTHER
Ich weiß nicht, ob ich noch einmal die Messe
Der allerheiligsten Eucharistie
Am christlichen Altare feiern kann.
Ich bin von tiefer Gottesfurcht erschüttert.
Der Zorn des Vaters liegt auf aller Sünde
Und Gottes heilige Gerechtigkeit
Muß doch für alle Ewigkeit verdammen
Die Sünde, die uns alle ganz verdorben!
DRITTER MÖNCH
Doch sprichst du nie von der Barmherzigkeit.
LUTHER
Barmherzigkeit? Soll Gott denn alles dulden?
Soll Gott – wie eine Mutter ihre Kinder –
Sie alle lieben, wenn sie noch so schlecht sind?
Die Advokaten, den verdorbnen Klerus,
Die kaiserlichen Welttyrannen und
Die Ehebrecher und die Huren alle
Nicht strafen mit dem Feuer der Verdammnis?
DRITTER MÖNCH
Doch Jesus Christus starb für uns am Kreuz!


SECHSTE SZENE


(Im Kloster. Johann von Stempitz, Luthers Beichtvater, und Luther.)

LUTHER
Ich plage mich mit abgrundtiefer Selbstqual,
Weil ich so ganz und gar befleckt von Sünde,
Ich bin nicht nur der Täter meiner Sünden,
Ich bin von einer sündigen Natur!
BEICHTVATER
Mein Martin, in der Taufe Sakrament
Ist dir die Erbschuld Adams abgewaschen.
Der alte Adam ist im Bad gestorben
Und du hast Jesus Christus angezogen.
LUTHER
Der alte Adam kann doch sehr gut schwimmen.
BEICHTVATER
Was die Natur des Menschen nun betrifft,
So ist sie gut, von Gott als gut erschaffen,
Wenn auch verwundet durch die Erbschuld Adams,
Von daher neigt sie auch sehr leicht zur Sünde.
Doch dafür ist das Sakrament der Buße,
Hier will der Herr dich lösen von den Sünden.
LUTHER
Doch um Vergebung zu erlangen, muß
Die Reue wahrhaft sein und diese Reue
Muß Reue sein aus Liebe zu dem Herrn.
Ich aber fühle diese Reue nicht!
Das heißt: Ich fühle diese Liebe nicht!
Ich kann bereuen nur aus großer Angst,
Aus Angst bereuen, aber nicht aus Liebe!
Und diese Reue aus der Angst heraus
Und nicht aus Liebe, ist doch ohne Wert,
Und also kann mir Christus nicht verzeihen!
BEICHTVATER
Die wahre Reue ist auch eine Gnade.
So bitte du den Herrn um wahre Reue.
LUTHER
Ich leiste alle die Gebete ab,
Die vorgeschrieben sind, das Paternoster,
Das Ave gratia plena, das Brevier
Mit allen Horen, doch ich bin zerrissen!
Ich habe keinen Frieden in der Seele!
Ich fühle, dass der Herrgott zornig ist
Mit mir, ja, auf mir lastet Gottes Zorn!
BEICHTVATER
Mein lieber Martin Luther! Unser Vater
Ist zornig nicht mit dir, vielmehr bist du
Erzürnt auf Gott! Aus welchem Grunde denn?
LUTHER
Ich kann nicht glauben, dass ich in den Himmel
Zu Jesus und Maria komme, denn
Ich bin nicht rein! Bin ich im Stand der Gnade?
Die Theologen sagen, dass man das
Nicht wissen kann, ob man im Stand der Gnade
Und ob man einst verstirbt im Stand der Gnade.
Ich glaube nicht, dass ich im Stand der Gnade,
Ich glaube nicht, dass mir das Heil gewiß!
BEICHTVATER
Lebst du nach Jesu Weisungen und betest,
Empfängst die Kommunion mit Jesus Christus,
Bekennst die Sünden alle in der Beichte
Und übst du Nächstenliebe an den Armen,
Darfst du gewiß doch guter Hoffnung sein.
LUTHER
Ich fühle, dass der große Vatergott
Zwar alle meine Mühen und Verdienste
Sich anschaut, aber nie ist es genug!
Solch ein unendlich hocherhabnes Wesen
Wie Gott der Vater, heilig, heilig, heilig,
Verdient ja auch unendliche Verdienste!
Was ist denn schon mein selbstgequältes Streben?
Das Zucken eines Wurmes in dem Kot!
BEICHTVATER
Wir werden alle nicht durch unsre Mühen,
Durch unser Streben in den Himmel kommen.
Der Glaube ist ja eine Gnade Gottes,
Die wir als Bettler nur empfangen können.
LUTHER
Da! Manche glauben, manche leben gottlos!
Wenn Menschen gottlos leben, hat dann ihnen
Gottvater seine Gnade nicht geschenkt?
Und weiß ich, ob ich in der Gnade lebe?
Ist Gott der Vater nicht ein Willkürherrscher,
Der einem Gnade schenkt, dem andern nicht?
Wenn Gott dem einen Menschen Gnade schenkt,
So holt er diesen Bettler in den Himmel.
Dem Menschen aber, welcher gottlos lebt,
Hat Gott verweigert seine Vatergnade,
Als Sohn des Zornes lebt er unbegnadet,
Der Satan reitet ihm auf seinem Rücken,
Er ist vorherbestimmt für die Verdammnis,
Geschaffen für die ewige Verdammnis!
Ich fürchte auch, dass ich vorherbestimmt,
Geschaffen bin zur ewigen Verdammnis!
BEICHTVATER
Die Theologen solltest du studieren,
Der Kirche Gottesbild dir anzueignen.
Geh du nach Wittenberg, studiere du
Die Bibel und der Theologen Lehre.


SIEBENTE SZENE


(Universität von Wittenberg. Luther als Student der Theologie und ein Mitstudent.)

LUTHER
Ich, als ein Augustiner-Eremit,
Was hab ich Augustinus nicht zu danken!
Ich habe siebzig Werke dieses Meisters
Gelesen und ich kann dir gar nicht sagen,
Wie inspirierend dieser Denker ist.
STUDENT
Pelagius behauptete, dass Adam
Und Eva nur für sich allein gesündigt
Und keine Erbschuld draus entstanden sei.
Und Jesus sei allein ein edler Meister,
Ein ganz vollkommner Mensch und unser Vorbild.
Die Menschen könnten doch aus eigner Kraft
Sich selber überwinden, heilig werden.
Wie Adam nicht für alle Welt gesündigt,
Sei Jesus nicht für alle Welt gestorben.
Doch Augustinus setzte ihm entgegen,
Was Paulus lehrte von der Sünde Adams,
Durch die der Tod zur ganzen Menschheit kam.
Und Jesus als der zweite, neue Adam
Gestorben sei am Kreuz für alle Menschen.
Ja, ohne den gekreuzigten Messias
Und ohne sein Verdienst wär für die Menschen
Kein Weg zum Heil, zu Gott im Paradies.
Die sündige Natur des Menschen nämlich
Bedarf der Gnade von dem Herrn, damit
Der Mensch erneuert wird und heilig wird.
LUTHER
Wie aber kommt der Mensch in den Genuß
Der Gnade, und was ist denn eigentlich
Die Gnade anderes als Gottes Freispruch?
STUDENT
Die Gnade ist die Selbstmitteilung Gottes
An seine Kreatur, das Leben Gottes
Wird seinen Kreaturen mitgeteilt
Und zwar durch alle sieben Sakramente.
So in dem Sakrament der Taufe wirkt
Die Gnade, dass die Erbschuld abgewaschen
Vom Menschen wird und dass das Leben Gottes
Im Inneren der Seele jetzt beginnt
Zu leben und zu heiligen den Menschen.
Im Sakrament des heiligen Altares
Wird mit der Gnade als dem Leben Gottes
Der Mensch im Inneren ernährt und wird
Von Mahl zu Mahl verwandelt in den Herrn.
LUTHER
Doch ohne die Bekehrung und den Glauben,
Da nützen nichts die sieben Sakramente.
Aus Gnade – durch den Glauben – wird uns Heil.
STUDENT
Ich hörte aber auch, dass du den Wilhelm
Von Ockham fleißig durchstudiertest, Martin.
So weit ich weiß, sind viele seiner Thesen
Als Häresie vom Lehrstuhl doch verurteilt.
LUTHER
Weil er es wagt, an Aristoteles
Und Thomas gar zu zweifeln, die doch alle
Betrogen mit der Hure der Vernunft.
Nun, Ockham sagt, die Wahrheit über Christus
Ist nicht dem Lehrstuhl des Apostels Petrus
Und auch nicht den Konzilien anvertraut.
So Papst Johann der Zweiundzwanzigste
War Ockhams Meinung nach ein schlimmer Ketzer.
Doch alle die Konzilien haben auch
Sich mannigfach geirrt. Wenn Christus sagt:
Der Hölle Pforten überwältigen
Die Kirche nicht – so heißt das nicht, dass Papst
Und dass Konzilien sich nicht irren können,
Es könnte sogar heißen, dass die ganze
Vereinte Christenheit der Kirche Roms
Vom Glauben abfällt, und allein ein Kindlein,
Ein einziges, ein kleiner Knabe nur
Die Wahrheit über Christus noch bewahrt.
STUDENT
Die Kirche Roms bewahrt den Glauben nicht,
Den Christus den Aposteln anvertraute?
Ein kleiner Knabe nur bewahrt den Glauben?
Ein kleiner Knabe nur von sieben Jahren?
Und meinst du wohl, dass du der Knabe bist?
LUTHER
Ja, wenn ihr nicht wie kleine Kinder werdet!
Nicht von der römischen Ecclesia
Spricht Ockham, sondern von der universalen,
Der wahren Christenheit, der Kirche Gottes.
In dieser universalem Kirche Gottes
Regiert der Papst nicht wie ein Sklavenhalter
Und Herrscher über die Millionen Sklaven
Von Christen Roms, nein, jeder Einzelne,
Ein jeder Christ in Christi Gottesstaat
Beurteilt selbst im eigenen Gewissen
Die Glaubenswahrheit über Gott und Christus.
Denn wenn der Papst ein schlimmer Ketzer ist
Und wenn Konzilien sich schon oft geirrt,
Dann muß der Christ als Individuum
Den Glauben unverfälscht bewahren. Und,
Ja, wenn du willst, ich will der Knabe sein,
Der unverfälscht bewahrt den wahren Glauben.
STUDENT
Der Hochmut kommt doch vor dem Fall, mein Luther.


ACHTE SZENE


(1511. Rom. Luther in der Volksmenge, allein, später tritt eine römische Hure zu ihm.)

LUTHER
O Gott, ich habe meine Lebensbeichte
Vor dir gebeichtet und Vergebung auch
Erlangt von dir. Nun muß ich Buße tun.
Die Treppe zu dem Lateran bin ich
Auf Knieen betend hochgekrochen und
Ich habe für die armen Seelen meiner
Verwandten droben in dem Fegefeuer
Als Stellvertreter Sühne dir geleistet
Und habe für die armen Seelen auch
Die heiligen Reliquien berührt
Und habe einen Ablaß auch erworben.
Ich sehe hier die Massen frommen Volkes
Vielmehr in frommem Aberglauben leben.
Sie rufen Gott nicht an, die Heiligen
Verehren sie wie Göttinnen und Götter,
Vertrauen auf Medaillen, wundertätig,
Die hängen sie als Talismane um,
Und überall die kleinen Götzenbilder,
Die Statuen der Heiligen und Bilder
Der Jungfrau, die sie hier als Göttin ehren,
Sie haben diese Magd des Herrn verwandelt
In eine Artemis von Ephesos.
So ist das Volk. Wie Christus in dem Tempel
Wollt ich die Händler aus der Kirche peitschen!
O Gott, der Klerus ist doch auch nicht besser,
Die Kirchenfürsten leben wie die Reichen
Und feiern Orgien lasziven Luxus’.
Der sechste Alexander, Papst, sogar
Verließ die fünfzigjährige Mätresse
Für seine siebzehnjährige Mätresse!
Ein Petrus, der ein Erotomane ist!
Und Julius der Zweite ist ein Krieger
Und reitet hoch zu Roß als wie ein Feldherr.
Die Priester und die Mönche aber gehen
Zu Huren ins Bordell. Das Rom des Papstes,
Es ist das größte Freudenhaus der Welt!
Aus aller Herren Länder kommen Huren,
Um hier in Rom dem Klerus sich zu schenken.
Und finden sich hier Priester oder Mönche,
Die nicht aus Fleischeslust zu Huren gehen,
Sinds homosexuelle Knabenschänder!
Wo wird das Evangelium verkündet,
Wo leben Christi Jünger keusch und arm?
Ich sehe diesen Sündenpfuhl als wie
Einst Sodom und Gomorrha in der Bibel!
HURE
Na, junger Mönch, wie wär es mit uns beiden?
LUTHER
Jetzt sehe ich im Himmelreich den Wagen
Der Kirche – aber auf dem Wagen steht
Die Hure Babylon, die große Babel!
Die heilige Ecclesia war doch
Als die jungfräuliche Jerusalem
Geplant, die Nymphe-Braut des Lammes Gottes!
Jetzt aber wurde sie zur Hure Babel!
Die wilde Hure, nackt im Scharlachrock,
Hält in der Hand den goldnen Kelch des Blutes
Der Marterzeugen, die sie hingeschlachtet!
Und um sie lodern heiße Scheiterhaufen,
Da brennen Ketzer und da brennen Hexen!
Ich sehe diese Hure Babylon
Paktieren mit den Königen und Kaisern
Und Handel treiben mit den reichen Händlern!
Die Hure Babel auf den sieben Hügeln
Hurt mit den Mächtigen der Erde und
Es finden sich in ihrer reichen Stadt
Viel Huren, Magier und Knabenschänder
Und Lügner und irrgläubige Propheten!
Ich sehe auch das Tier, die Wölfin Rom,
Die Luxus-Hure aller Unzuchts-Laster!
Ein Adler mit dem Evangelium
Fliegt da posaunenblasend durch den Himmel
Und kündet an dem Himmel und der Erde:
Die Hure Babylon, sie ist gefallen!
Gekommen ist das Reich des Christus Jesus
Und aller wahren Christen, die gerecht
Aus Gnade sind – allein – durch ihren Glauben!
HURE
Was schreist du von der Hure Babylon?
Hat Jesus doch die Huren lieb gehabt,
Viel lieber als die Herren Schriftgelehrten!
Die Priester gehn doch gerne zu den Huren,
Weil alle Heiligen die Sünder lieben
Und allermeist die schönen Sünderinnen!
LUTHER
Erbarmen, Gott, mit deiner geilen Kirche!
Die Kirche, dieses Lazarett von Sündern,
Die Kirche reformiere du durch Christus,
Die Kirche reformiere du durch Gnade,
Die Kirche reformiere du durch Glauben!
HURE
Du bist ein wunderlicher Mönch, voll Wahnsinn,
Ich glaube, du bist ein betrunkner Mönch!


NEUNTE SZENE


(Universität. Luther als Doktor der Theologie und einige Studenten.)

STUDENTEN
O Doktor Luther! Etwas von den Psalmen!
LUTHER
Psalm zweiundzwanzig ist die Klage eines
Verzweifelten in tiefer Mitternacht
Der Seele. Scheinbar hat ihn Gott verlassen.
Sein Mark ist ausgeschüttet, seine Zunge
Klebt ihm am Gaumen, Hunde sind um ihn
Und Büffel sind um ihn, er aber ist
Kein Mensch mehr, sondern ist ein Wurm im Kot.
Doch Gott in der Geschichte Israels
Hat immer seinem Volk geholfen und
Auch diesen Mann hat Gott gezogen aus
Der Mutter Schoß. Vom Mutterschoße an
Ist Gott der Gott des elenden Psalmisten.
Was denn betrübst du dich, o meine Seele?
Geduldig warte du auf Gottes Hilfe!
Du wirst dem Herrn noch danken deine Rettung!
STUDENTEN
O Doktor Luther! Etwas über Paulus!
LUTHER
Wie krieg ich einen gnadenvollen Gott?
Sind Sünder wir doch alle, aber Christus
War ganz Gerechtigkeit, und durch den Glauben
An Christus wird den Sündern zugesprochen
Die göttliche Gerechtigkeit des Christus,
Und Gott der Vater schaut die Sünder an,
Und wenn sie sich vereinigen mit Christus,
Schaut Gott der Vater Christus in den Sündern,
So stehen wir gerecht vor Gott dem Vater.
STUDENTEN
O Doktor Luther! Etwas über Adam!
LUTHER
Die ganze Menschheit starb im ersten Adam,
Als Eva hört auf das Wort der Schlange.
Doch Christus ist der letzte Adam, ist
Der neue Adam, stellvertretend für
Die ganze Menschheit starb er an dem Kreuz.
Der erste Adam stammt von Mutter Erde
Und brachte Tod und Sünde in die Welt,
Der letzte Adam stammt von Gott im Himmel
Und ist der Geist, der allen Leben spendet.
STUDENTEN
Maria aber ist die neue Eva?
LUTHER
Das hab ich in der Bibel nicht gelesen.
STUDENTEN
O Doktor Luther! Etwas über Mystik!
LUTHER
Wenn Gottes Geist dich grüßt und Gottes Wort
Sollst du empfangen in dem Ohr und Herzen,
Dann trage du in dir das Gotteswort
Und denke über alles nach im Herzen,
Frucht bringen laß das Gotteswort in dir
Und trage dann, begnadet mit dem Christus,
Den Christus aus und bring ihn in die Welt.
So bist du benedeite Magd des Herrn.
STUDENTEN
O Doktor Luther! Etwas über Weisheit!
LUTHER
Wenn deine Seele ist erfasst von Liebe,
Von Liebe als dem Mittler zu der Gottheit,
So liebst du Wahres, Gutes, Schönes nur.
Du liebst die Schönheit der Natur, der Körper,
Mehr als die Körperschönheit noch die Schönheit
Der Seele, ihre Güte in der Tugend,
Und mehr noch als die schöne Seelengüte
Liebst du die Güte an und für sich, liebst
Das Höchste Gut, die allerhöchste Schönheit!
STUDENTEN
O Doktor Luther! Etwas über Schönheit!
LUTHER
Ein Weib ist schön in ganz bestimmter Hinsicht,
In andrer Hinsicht ist das Weib nicht schön.
Heut zwar erscheint dir schön das junge Mädchen,
Doch morgen nicht mehr schön das alte Weib.
Zwar schön erscheinen dir des Weibes Augen,
Doch nicht so schön des Weibes kleine Brüstchen.
Und dennoch scheint dir schön das schöne Weib,
Doch deinen Freunden scheint das Weib zu dunkel.
Die Gottesschönheit ist doch immer schön,
In allen Teilen schön die Gottesschönheit.
Heut ist sie schön, die Gottesschönheit, und
Auch morgen, immer ist die Schönheit schön.
Und wer sie schaut, der findet schön die Schönheit,
Und unschön findet keiner Gottes Schönheit.
STUDENTEN
O Doktor Luther! Etwas von dem Himmel!
LUTHER
Sankt Thomas sagt, wir werden s c h a u e n Gott,
Anschauen ewiglich die Schönheit Gottes.
Doch Augustinus spricht da vom G e n i e ß e n :
Genießen werden wir die Schönheit Gottes!
Wir werden ewig schmachten nach der Schönheit
Und dennoch stets befriedigt uns die Schönheit!
Obwohl die Schönheit dort uns stets befriedigt,
Wir werden niemals ihrer überdrüssig,
Stets schmachtend – stets befriedigt – sie genießen!