Von Josef Maria Mayer
ERSTER TEIL
MEISTER MILAN UND SEINE NOVIZEN
Nach Weisung seines eigenen Meisters, siedelte Meister Milan in einen Wald über und wohnte dort in einer Tigerhöhle. Die Ortsgöttin war dem Meister Milan gnädig gesonnen und ließ sich oft in der schönsten Erscheinung vor ihm sehen. Sie erteilte ihm viele Gnaden, so dass er in der Meditation gute Fortschritte machte. Damals kamen fünf Novizen zu dem Einsiedler, um von ihm in die Weisheit eingeweiht zu werden. Die Novizen sprachen: Die Einsamkeit dieses Ortes und alle Schrecken dieses Ortes sind sicher sehr behilflich, um in der Meditation voranzukommen? Da sang Meister Milan folgendes Lied, in dem er seine Einsiedelei beschreibt und davon spricht, was der Meditation förderlich ist:
Ich verneige mich vor meinem
Meister, neige mich zur Erde,
Meine eigenen Verdienste
Machten, dass ich ihm begegnet.
Diesen Ort hat mir gewiesen
Zur Beschaulichkeit mein Meister.
Hier sind Felder, hier sind Hügel
In dem wunderschönen Lande.
Grünes Gras wächst auf den Hängen,
In dem Grase blühen Blumen,
In dem Wald ist eine Lichtung,
Wo die schlanken Bäume tanzen.
Affen treiben ihre Spiele,
Viele Vögel singen Lieder,
Bienen schweben hin im Fluge.
Täglich scheint ein Regenbogen
Und im Sommer und im Winter
Regen macht die Erde fruchtbar.
Dieses ist der Ort, da Milan
Freudig ist im klaren Lichte
Der Erkenntnis reiner Leere,
Freudig über alle Maßen,
Daß ihm oft erscheint die Klugheit,
Freudig, da so mannigfaltig
Die Erkenntnis ihm gekommen,
Freudig auch in der Verwirrung,
In der Vielfalt ihres Ausdrucks,
Freudig über seinen Körper
Und sein gnadenreiches Karma,
Freudig mitten in den Schrecken
Der Erscheinungen des Dunkels,
Freudig in der Geistesfreiheit,
Frei von törichter Zerstreuung,
Freudig über alle Maßen,
Ob das Leben noch so schwer ist,
Freudig in der körperlichen
Freiheit von des Körpers Krankheit,
Freudig, weil sich meine Leiden
Haben sich in Glück verwandelt,
Freudig über alle Maßen
Wegen meiner Kraft des Geistes,
Freudig bei dem Tanz des Opfers,
Bei dem Tanz vorm goldnen Schreine,
Freudig wegen dieses Schatzes
Meines jetzt gesungnen Liedes,
Freudig über alle Maßen
Über Töne, Worte, Silben,
Freudig, weil sich Worte wandeln
Zu Versammlungen von Worten,
Freudig in der reinen Sphäre
Des vertrauensvollen Denkens,
Freudig über alle Maßen,
Wenn von selbst das Denken aufsteigt,
Freudig, wenn sich dies mein Denken
Offenbart in schöner Vielfalt.
Dann weihte Meister Milan seine Novizen in die richtige Art der Wahrnehmung ein. Und als er bemerkte, dass die richtige Art der Wahrnehmung in ihnen aufstieg, da sang er folgendes Lied, das voller guter Ratschläge ist:
Buddha, Körper des Gesetzes,
Lehrer du des Wegs zum Jenseits,
Der mit mitleidvollen Werken
Freude ist der Lebewesen,
Sei du nie von mir geschieden,
Das Juwel sei meiner Krone!
Nun, Novizen meiner Lehre,
Die ihr da sitzt, um zu lernen,
Viele Arten mag es geben,
Die Gesetze auszuüben,
Aber diese meine Übung
Tiefen Weges ist die beste.
Wenn ihr danach strebt, ein Buddha
Schon in dieser Welt zu werden,
Achtet nicht auf eure Liebe,
Nicht auf euren Haß im Leben.
Achtet ihr auf eure Liebe
Und auf euren Haß im Leben,
Tut ihr Gutes, tut ihr Böses
Und verfallt in schlimmen Zustand.
Leistet eurem Meister Dienste,
Aber rühmt euch nicht der Dienste.
Rühmt ihr euch der eignen Dienste,
Wird die Zwietracht euch entzweien,
Euch, die Schüler, mit dem Meister.
Und wenn erst die Zwietracht einschlich,
Kommt ihr nicht ans Ziel des Strebens.
Haltet stets ein die Gelübde,
Darum schlaft nicht bei den Bauern.
Schlaft ihr nämlich bei den Bauern,
So entfaltet ihr den Irrtum.
Ist der Irrtum erst entstanden,
Gehn verloren die Gelübde.
Wenn ihr in der Schrift studieret,
Seid nicht aufgebläht von Hochmut.
Denn wenn existiert der Hochmut,
Dann entstehen Gift und Asche.
Wenn entstehen Gift und Asche,
Dann beschädigt man die Tugend.
Betet ihr bei einem Freunde,
Tut nicht viele Weltgeschäfte,
Denn die vielen Weltgeschäfte
Lenken ab das fromme Streben.
Wird erst abgelenkt das Streben,
Endet des Gesetzes Segen.
Wenn ihr übt die Rituale,
So beschwört nicht die Dämonen.
Streitet ihr mit den Dämonen,
Werdet selber ihr Dämonen.
Und wenn ihr Dämonen werdet,
Seid so schlecht ihr wie die Bürger.
Ist in euch entstanden Weisheit,
Sprecht nicht von besondren Kräften.
Spricht man von besondren Kräften,
Dann entschlüpfen euch die Zeichen.
Geht die Kraft euch erst verloren,
Werden eure Zeichen wertlos.
Wendet stets euch ab vom Bösen,
Von den Sünden und den Lügen.
Laßt euch bei Begräbnisfeiern
Von den Reichen nicht bestechen.
Und wenn ihr den Menschen ratet,
Sollt ihr nicht den Menschen schmeicheln.
Lässigkeit und Faulheit meidet,
Strengt euch fleißig an, Novizen!
Da fragten die Novizen den Meister Milan, auf welche Weise sie sich anstrengen sollten. Daraufhin unterwies sie Meister Milan in diesem Lied über die rechte Form der Anstrengung:
Meinen Herrn der Gnade bitt ich,
Daß er Freude uns verleihe
An der Weisheit Unterweisung.
Nun, ihr jugendlichen Schüler,
Sollt vergeuden eure Erbschaft
Nicht bei Bürgern in den Städten,
Das sind allesamt Betrüger,
Manchmal gut, doch meistens böse.
Wendet eure ganze Achtung
Zu dem heiligen Gesetze
Und verliert den Weg des Lichts nicht,
Sondern bleibt beim Meister Milan.
Mehr Verdienst als Lohn sei eure
Frömmigkeit und eure Übung.
Steigt die Weisheit auf im Innern,
Seht ihr auch der Gnade Schleier.
Doch ist das noch nicht genügend,
Sondern strengt euch an, Novizen!
Wenn aus Liebe unterwiesen
Werdet ihr in Selbstbeherrschung,
Hört genau dann zu, Novizen.
Wenn ihr lebet in der Ferne
Einsam auf dem hohen Gipfel,
Denkt nicht an die Unterhaltung,
Die Vergnügungen der Bürger.
Denn denkt ihr an das Vergnügen
Und der Bürger Unterhaltung,
Wird euch abgelenkt das Denken
Eures Geistes durch den Bösen.
Darum sammelt euer Denken
Allezeit in euerm Innern.
Doch ist das noch nicht genügend,
Sondern strengt euch an, Novizen!
Lasst ihr nach in eurer Übung,
Denkt doch täglich an das Sterben,
Betet für die Todesstunde
Und seid eingedenk der Übel
Der Geburt im Jammertale.
Seid bereit, euch abzuhärten,
Und denkt nicht an die Vergnügung.
Doch ist das noch nicht genügend,
Sondern strengt euch an, Novizen!
Sucht ihr kluge Unterweisung
In der tiefgeheimen Übung,
Sollt ihr wenig Durst nur haben
Nach dem Wissen der Gelehrten.
Habt ihr viel vom Bücherwissen,
Werdet gleichen ihr den Laien,
Und wenn diese Laien herrschen,
Wird verschwendet sein das Leben.
Fern sei Lässigkeit und Faulheit!
Doch ist das noch nicht genügend,
Sondern strengt euch an, Novizen!
Offenbart sich euch die Weisheit,
Seid bereit nicht zum Geschwätze,
Wenn ihr schwatzt und wenn ihr plaudert,
Stört ihr nur die große Göttin.
Abgelenktheit sollt ihr meiden.
Doch ist das noch nicht genügend,
Sondern strengt euch an, Novizen!
Wenn ihr seid in der Gesellschaft
Eures Meisters, eures Vaters,
Schaut nicht nach des Vaters Fehlern,
Denn sonst seht ihr nichts als Fehler.
Übt nur stets die Geistesklarheit!
Doch ist das noch nicht genügend,
Sondern strengt euch an, Novizen!
Und seid ihr und eure Brüder
In Versammlungen der Weihe,
Achtet nicht auf Amt und Würden,
Denn sonst stört ihr die Gelübde
Durch die Leidenschaft des Neides.
Darum bleibet einig, Brüder!
Doch ist das noch nicht genügend,
Sondern strengt euch an, Novizen!
Wenn ihr bettelt vor den Bürgern,
So betrügt nicht diese Leute
Mit der Schmeichelei der Rede.
Denn wird dieses Volk betrogen,
Dann verfallt ihr selbst in Sünde.
Bleibt nur ehrlich, sagt die Wahrheit!
Doch ist das noch nicht genügend,
Doch ist das noch nicht genügend,
Sondern strengt euch an, Novizen!
Niemals lasst, an keinem Orte,
Euch von eurem Stolze leiten
Und von törichter Verliebtheit.
Wenn euch erst beherrscht die Liebe,
Geht die Liebe euch verloren
Zu dem heiligen Gesetze.
Gebt nur auf die Leidenschaften,
Die Betrügerei der Lüste.
Doch ist das noch nicht genügend,
Sondern strengt euch an, Novizen!
Die bereit, sich anzustrengen,
Diesen geb ich diese Vorschrift,
Die in sich so durchaus gut ist,
Sie wird euch zum Heil gereichen:
Seid nur stets bereit zu geben!
Seid nur stets bereit zu geben!
Nachdem Meister Milan dies gesungen, übten sich die Novizen in der Versenkung und darin, den Dingen des weltlichen Lebens gegenüber gleichgültig zu sein. Da baten die Novizen ihren Meister Milan, sie in der rechten Art der Versenkung zu unterweisen. Der Meister Milan sagte, sie sollten das Geld nur für Lebensnotwendiges wie Speise und Kleidung verwenden. Und dann sang er dieses Lied über die Versenkung:
Möge unser Herr und Meister
Uns durch seine Macht es geben,
Daß der Weg des wahren Glaubens
Und die Übung der Versenkung
Werde definiert vollkommen.
Für die rechte Lebensansicht,
Die Verwirklichung der Übung
Und die Früchte eures Glaubens
Sind drei Punkte wirklich wichtig.
Die drei Punkte wahrer Einsicht,
Das ist die Vereinung aller
Der Erscheinung im Gedanken,
Ist die Klarheit des Gedankens
Und das Fehlen aller Selbstsucht.
Die drei Punkte anzuführen,
Zur Verwirklichung bedeutsam:
Einer ist die Übertragung
Einer ist die Übertragung
Aller weltlichen Gedanken
Auf das eine Absolute,
Einer ist der schöne Zustand
Reiner Seligkeit der Weisheit,
Einer ist: Sei stets besonnen.
Die drei Punkte nun der Übung
Sind die Übung in der Tugend,
Die Geduld bei allem Übel
Und des Geistes reine Leere.
Was die Frucht betrifft des Glaubens:
Du erlangst nicht das Nirwana
Du erlangst nicht das Nirwana
Als Verschiednes von dir selber,
Meidest nicht das Rad des Daseins
Als Getrenntes von dir selber,
Und dein eigener Gedanke
Wird zu einem Buddha-Zustand.
Einen Punkt nenn ich besonders,
Nämlich den der reinen Leere,
Reiner, absoluter Leere.
Davon redet jeder Meister,
Der verstanden hat die Lehre.
Wenn ihr aber drüber grübelt,
Werdet ihr es nicht verstehen.
Doch versteht ihr es auf einmal,
Dann ist dieser Punkt gewonnen.
Dieses Kronjuwel all jener,
Die da üben die Gesetze,
Hat der Schüler dann gewonnen,
Wenns in seinem Geiste leuchtet.
Darum lasst, o meine Schüler,
Eure Herzen stets frohlocken!
Als Meister Milan dieses Lied beendet hatte, fragten seine Novizen: O Meister Milan, ist es ausreichend, einen Meister zu haben und ihm in allem zu folgen? Diese Frage gefiel dem Meister, und darum sang er folgendes Lied mit dem Inhalt, wie man über den Meister denken soll.
Meister, Schüler, Unterweisung,
Diese drei sind eines, Kinder.
Fleiß und Tapferkeit und Glaube,
Diese drei sind eines, Kinder.
Weisheit, Mitleid, Absolutheit,
Diese drei sind eines, Kinder,
Diese kennen stets die Richtung.
Ein vollkommner weiser Meister
Ist ein Meister, der den Weg kennt,
Der erhellt das tiefe Dunkel.
Unermüdlich ist der Glaube,
Der den wahren engen Weg kennt,
Der euch führt zum Glück des Lebens.
Die Verwirklichung der Kräfte
Kennt den schmalen Pfad zum Himmel,
Die Verwirklichung befreit euch
Von Verliebtheit und von Trennung.
Und des Meisters Unterweisung
Nach den Überlieferungen
Ist der wahre Weg zum Lichte,
Offenbarend Buddhas Körper.
Die drei Kostbarkeiten sind es,
Die uns schützen auf dem Wege,
Da ist unfehlbare Wahrheit.
Führen euch des Weges Kenner,
So erreicht der Schüler schließlich
Das Gefilde großer Wonne!
Er verweilt in einem Zustand,
Frei von Grübelei und Störung,
In dem freudenvollen Reiche
Innerlicher Selbsterkenntnis
Und Befreiung von der Sünde
Auf dem festen Fundamente
Sicherer und wahrer Weisheit.
In der Einsamkeit des Tales,
Dort, wo keine Menschen wohnen,
Hallen freudenvolle Lieder
Der Gebildeten wie Donner,
Regen tropft von allen Blättern
Und es blüht des Mitleids Blume
Und die Frucht des reinen Denkens
Ist im Geiste reif geworden
Und die Werke der Erleuchtung
Nun durchdringen alle Dinge.
Als Meister Milan dies gesungen hatte, wollten die Novizen ihn in ihre Heimat einladen: Heiliger Milan, da die Ruhe deines Geistes unzerstörbar ist, so komm du bitte in unser Dorf und nimm die Opfergabe der Laien an und verkünde allen Kreaturen die heilige Lehre. – Meister Milan aber sagte: Es ist meine Meditation in der Einsamkeit, die allen Menschen Gutes tut, und die Kraft eines Einsiedlers beruht auf seinem Verbleiben in der Einsiedelei. Und so sang Meister Milan seinen Novizen dieses Lied:
Wir, erwidernd unsres Meisters
Gnade, haben uns versammelt.
Möge uns der Meister segnen
Mit der Reifung unsrer Herzen
Und vollkommener Befreiung.
Nun, ihr würdevollen Schüler
Meiner Weisungen, hier sitzend,
Sing ich euch ein Lied der Lehre
Voll von heiliger Bedeutung:
Wer da Ohren hat, der höre!
Wer da Ohren hat, der höre!
Schaut den weißen Leoparden
Auf den schneebedeckten Gipfeln,
Herrscher in der weißen Öde,
Er hat nichts zu fürchten weiter.
Herrschend in dem Schneegefilde,
Das ist seine Kraft und Stärke.
Und der königliche Adler
Auf dem purpurfarbnen Felsen,
Flügel in den Himmel streckend,
Bangt er nicht vorm tiefen Falle,
Sondern strebt zur Himmelshöhe,
Das ist seine Kraft und Stärke.
Unten in den Meereswassern
Schnell bewegt sich dort das Fischlein,
Fürchtet sich nicht vorm Ertrinken,
Das ist seine Kraft und Stärke.
In den Ästen des Gebirgsbaums
Flink bewegen sich die Affen,
Große Affen, kleine Affen,
Fürchten sich nicht vor dem Sturze,
Übermütig ist die Gattung,
Das ist ihre Kraft und Stärke.
In dem Laub der Waldeslichtung
Schleicht sich der gestreifte Tiger,
Fürchtet sich vor keinem Wesen.
Stolz ist er und ist geschmeidig,
Das ist seine Kraft und Stärke.
Hier in dieser Tigerhöhle
Meister Milan übt die Lehre.
Daß das Beten ihm entgleitet,
Fürchtet nicht der Meister Milan.
Er ist ja schon lange einsam,
Das ist seine Kraft und Stärke.
Wie das Mandala zu werden,
Das da reguliert die Sphären
Und die Elemente läutert,
Ohne Angst vor Trug und Irrtum,
Treue zu dem innern Kerne,
Das ist seine Kraft und Stärke.
Wer sich angewöhnt die Übung
Mit den Adern und dem Atem,
Dem bedeutet jede Hemmung,
Jedes Zögern nicht ein Fehler,
Nicht ein Irrtum in der Lehre,
Sie sind nur das Protestieren
Seiner schweifenden Gedanken.
Wenn man erst die Macht der Übung
Eines Würdigen erfahren,
Eines Eingebornen Übung,
Sind verschieden die Gedanken
Nicht aus Weltlichkeit des Geistes,
Sondern Irrtum der Begriffe.
Wenn man bei den Möglichkeiten
Sieht das Gute, sieht das Böse,
Irrt man sich nicht in der Übung,
Sondern unterscheidet weise.
Eremiten, die verstehen,
In der Übung treu zu bleiben,
Sind die winzigen Gelüste
Nach den Dingen dieser Erde
Nichts, dass Neues sie begehren,
Sondern alter Wünsche Rückkehr.
Daß ich auf dem Weg der Lehre
Lieber bleibe ganz alleine,
Ist nicht Heuchelei und Torheit,
Sondern Sehnsucht nach der Einfalt.
Diese Lieder Meister Milans
Sind nicht Torheit eines Toren,
Um die Leute zu zerstreuen,
Sind tiefsinnige Ermahnung
Zu dem Wohle der Novizen.
Als Meister Milan dies Lied gesungen hatte, sagten die Novizen zu ihm: Das ist alles sehr schön, o Meister Milan, aber wenn du auch in dieser Einsiedelei wohnst, musst du dir doch gegen die Bedrohungen eine feste Burg aus Versenkung gebaut haben. – Und Meister Milan sprach: Von der Burg der Versenkung singe ich euch folgendes Lied:
Ich verneige mich vorm Vater,
Vor dem reinen Edelsteine,
Möge er euch segnen, Kinder,
Mit dem Reichtum seiner Hilfe.
Also bitte ich den Vater,
Daß er euch die Weisheit schenke
In der Festung eures Körpers.
Als ich war gequält von Ängsten,
Baut ich eine Burg im Innern.
Diese Burg des absoluten
Seins nahm von mir alle Ängste.
Fror ich, machte ich mir Kleidung,
Innre Wärme war die Kleidung,
Ich verlor die Angst vorm Froste.
Hatte Angst ich vor der Armut,
Suchte ich nach großem Reichtum.
Reichtum waren die Juwelen
Seiner Diamanten-Lehre,
Ich verlor die Angst vor Armut.
Hatte Angst ich vor dem Hunger,
Suchte ich nach guter Speise.
Und mein Angenommenwerden
Von dem reinen Absoluten,
Das war meiner Seele Speise.
Ich verlor die Angst vorm Hunger.
Einsamkeit war meine Schwermut
Und ich suchte eine Freundin.
Und die absolute Leere
Wurde mir intime Freundin
Und es floh von mir die Schwermut.
Aus der Furcht vor der Verirrung
Suchte ich den Weg der Wahrheit.
Das All-Eine, meine Wahrheit,
Nahm die Angst vor der Verirrung.
Und so bin ich reich versehen,
Was man wünschen kann, das hab ich,
Und bin glücklich, wo ich lebe.
Hier in dieser Tigerhöhle
Zittert man vorm lauten Brüllen
Einer Tigerin, so bleibt man
Lieber einsam in der Höhle.
Doch das Spielen ihrer Jungen
Heitert auf den Geist des Mönches,
Schenkt Gedanken der Erleuchtung.
Hört man Affenmütter schreien,
Das bleibt einem im Gedächtnis
Und man fühlt allein die Trauer.
Doch das Schwatzen ihrer Jungen
Lässt den Eremiten lachen
Und man wird beschwingt, beflügelt.
Traurig ist das Lied des Kuckucks
Und man wird gebracht zur Stille.
Doch der Spatzen Lärm erheitert
Ihren Freund, den Eremiten.
Glücklich ist ein Mensch des Glaubens,
Der da lebt allein und einsam
Ohne einzigen Gefährten,
Dennoch kann er leben glücklich.
Mögen Meister Milans Lieder,
Das Frohlocken seiner Lieder,
Lindern alle Menschenleiden!
Nun beschlossen die Novizen, die Welt zu verlassen und weltabgeschieden einsam und allein der Frömmigkeit zu leben. Und sie erreichten die Grenze der Vollkommenheit. Meister Milans persönliche Schutzgöttin aber gebot ihm, seinen Blick nach Kalkutta in Indien zu richten und dort seine Lehre weiter zu entfalten.
ZWEITER TEIL
MEISTER MILANS SCHATZ DES LIEDES
Die Brahmanen, die die Wahrheit
Gar nicht kennen, reden sinnlos
Von der Veden Offenbarung.
Sie bereiten sich mit Erde
Und mit Wasser und mit Gräsern
Vor zur eitlen Opferhandlung,
Die sie sinnlos dann vollziehen.
Sie verbrennen sich die Augen
Mit dem Rauch des Opferfeuers.
Herrschaftlich gekleidet, halten
Sie für weise sich mit ihrer
Lehre der Brahmanen. Sinnlos
Sie mit ihren Eitelkeiten
Wollen diese Welt versklaven.
Doch sie wissen nicht, dass Glaube
Ist das selbe wie Unglaube.
Sie beschmieren sich mit Asche
Ihre Körper. Ihre Haare
Tragen sie verfilzt und schmutzig
Auf den Köpfen. In dem Hause
Zünden sie die Lampen. Sitzend
In den Winkeln ihres Hauses
Klingeln sinnlos sie mit Glocken.
Vorgeschriebner Körperhaltung
Richten sie die Augen starrend
Auf ein Etwas, flüstern Leuten
In die Ohren und betrügen,
Witwen lehren sie und Nonnen,
Nonnen mit geschornen Köpfen,
Weihen ein die kahlen Nonnen,
Nehmen von den Witwen Gelder.
Doch der Weg wird nur verspottet
Durch der Mönche schlechtes Aussehn,
Lange ungeschnittne Nägel.
Schmutzig ist die alte Kleidung
Oder nackend gehn die Mönche,
Ungepflegt sind Bart und Haupthaar.
So versklaven sich die Mönche
Mit der Lehre der Befreiung.
Wird befreit man durch die Nacktheit,
Müssen ja die Hunde frei sein
Und die nackenden Schakale.
Macht die Glatze dich vollkommen,
Müssen glatte Mädchenhüften
Sein der Gipfel des Vollkommnen!
Einen langen Schwanz zu haben,
Ist ein Zeichen der Befreiung?
Dann sind auch befreit die Pfauen
Und die Rinder auf den Wiesen.
Ists der Höhepunkt der Weisheit,
Das zu essen, was man findet,
Dann sind Elefanten weise.
Nein, für diese faulen Mönche
Gibt es keine wahre Freiheit.
Also lehrt euch Meister Milan.
Die sich selbst beraubt der Wahrheit
Übers wahre Glück des Lebens,
Quälen nur die eignen Körper.
Und dann gibt es die Novizen
In der alten Schule. Diese
Wollen ganz der Welt entsagen,
Mönche in der Welt zu werden.
Manche sieht man sitzen, lesen
In den Schriften, manche welken,
Konzentriert auf den Gedanken.
Andre nehmen ihre Zuflucht
Zu dem Großen Wagen. Dieses
Ist die Lehre, sagen jene,
Die die Schriften richtig deutet.
Andre Mönche meditieren
Über Mandalas und Kreise.
Andre mühen sich, die vierte
Stufe der Glückseligkeiten
Ganz exakt zu definieren.
Doch mit solcher Untersuchung
Fallen ab sie von dem Wege.
Manche möchten ihn als Kosmos
Sehen, als ein Universum.
Andre sprechen von dem Wege
Als von der Natur der Leere.
Alle sind sich aber uneins.
Doch wer ohne eingebornen
Genius sucht das Nirwana,
Der kann keinesfalls erlangen
Reine absolute Wahrheit.
Wer mit anderm sich beschäftigt,
Kann Befreiung nicht erlangen.
Bleibt man allzeit meditierend,
Kann man Freiheit dann erlangen?
Wozu sind denn gut die Lampen?
Wozu gut die Opfergaben?
Was kann man durch das Vertrauen
Auf die Mantras denn bewirken?
Wozu gut ist strenge Selbstqual?
Wozu gut sind Pilgerfahrten?
Kann erreichen man Befreiung
Durch das Baden in dem Wasser?
Solcherlei Gebundenheiten
Gib du auf, entsag der Täuschung!
Es gibt andres nichts als Wissen,
Wissen vom geheimen Jenem,
Etwas anderes als Jenes
Kann die Wissenschaft nicht wissen.
Jenes ists, das wird gelesen,
Jenes soll man meditieren.
Jenes wird allein besprochen
In Abhandlung und Legende.
Es gibt keinen Philosophen,
Der nicht Jenes nur zum Ziel hat.
Jenes kann man nur erblicken
Zu den Füßen seines Meisters.
Denn sobald das Wort des Meisters
Eindringt in das Herz des Schülers,
Scheints dem Schüler so, als halte
Schätze er in seinen Händen.
Doch versklavt wird diese Erde
Durch den Trug, sagt Meister Milan.
Und der Tor erkennt nicht wahre
Göttliche Natur der Wahrheit.
Ohne stilles Meditieren,
Ohne strenge Weltentsagung,
Kann man in dem Hause bleiben
Mit der Ehefrau zusammen.
Ist denn das vollkommnes Wissen,
Wenn man nicht erlangt die Freiheit,
Während man genießt die Wollust?
Also lehrt euch Meister Milan.
Ist schon offenbar die Wahrheit,
Warum immer meditieren?
Wenn die Wahrheit ist verborgen,
Zählt man nur die Finsternisse.
Meister Milan ruft: In Wahrheit
Die Natur des Eingebornen
Existiert, nicht existierend.
Vielmehr durch das selbe Wesen,
Das uns ließ geboren werden,
Das erhält uns auch am Leben
Und das lässt uns einmal sterben.
Durch das selbe nur erlangen
Wir die Seligkeit der Seele.
Doch obwohl der Meister Milan
Diese weisen Worte redet,
Kann die Welt ihn nicht verstehen,
Diese eitle Welt der Dummen.
Existiert das eine Wesen
Außer eurem Meditieren,
Was soll dann das Meditieren?
Ist das Wesen unaussprechlich,
Wozu dann all die Dispute?
Ach, versklavt wird diese Erde
Durch den eitlen Schein der Dinge
Und kein Mensch kann je begreifen
Die Natur des Absoluten.
Alle Mantras, alle Tantras,
Alles lange Meditieren,
Konzentrieren auf Gedanken,
Ist nur Selbstbetrug von Toren.
Mach durch all dein Kontemplieren
Doch nicht unrein den Gedanken,
Den Gedanken, der ganz rein ist.
Sondern du verweile innen
In der Seligkeit der Seele
Und heb auf die Qual und Selbstqual.
Iß und trink, ergötz dich sinnlich,
Füll das Mandala mit Opfern,
So gewinnst du einst das Jenseits.
Tritt du auf den Kopf der Toren,
Tritt dem Weltkind auf den Nacken,
Rücke vor zum Ziel des Glaubens!
Wo nicht wandert mehr der Atem,
Wo der Geist nicht mehr umherschweift,
Wo nicht Mond und Sonne scheinen,
Dort, o Mensch, leg du dein Denken,
Leg dein Denken dort zur Ruhe.
Dieses lehrt dich Meister Milan.
Unterscheide nicht die Dinge,
Sondern sieh sie an als Eines.
Mache keine Unterscheidung
Zwischen allen den Familien.
Laß das ganze Universum
Eins sein in dem schönen Zustand
Großer Leidenschaft der Liebe!
Hier ist Anfang nicht, noch Mitte,
Hier ist Ende nicht, noch Anfang,
Nicht Samsara, nicht Nirwana,
In dem Zustand höchsten Glückes
Gibt es weder Ich noch Nicht-Ich.
Was auch immer du betrachtest,
Das ist Es, von vorn, von hinten
Und in allen Dimensionen.
Heute noch laß deinen Meister
Von dir fort die Täuschung nehmen!
Frage keinen andern Meister!
Alle Tätigkeit der Sinne
Endet in der wahren Einsicht,
Selbstvorstellung wird vernichtet,
Freund, so ist des Eingebornen
Körper, Eingebornen Körper,
Den begehr von deinem Meister.
Dort wo der Gedanke halt macht,
Wo die Atemstöße stocken,
Dort ist Seligkeit der Seele.
Andres sollst du gar nicht suchen.
Jetzt ist es so eine Sache
Mit der eigenen Erfahrung.
Aber irre nicht und trotze
Nicht auf deine eigne Meinung.
Nenne Es nicht reines Dasein,
Nenne Es nicht reines Nichtsein,
Auch nicht Seligkeit der Seele,
Um das Es nicht einzuschränken.
Deine eigenen Gedanken
Kenne ganz genau, o Schüler,
Kenne sie wie Wasser, welches
Da begegnet einem Wasser.
Wie denn könnten je die Toren
Durch Versenkung die Befreiung
Je gewinnen? Warum sollte
Man an solche Falschheit glauben?
Traue auf das Wort des Meisters,
Diesen Rat gibt Meister Milan.
Die Beschaffenheit des Himmels
Ist ursprünglich große Klarheit.
Diesen dauernd anzustaunen,
Macht den klaren Himmel trübe.
Also weiß der arme Tor nicht,
Daß in ihm der Fehler gründet.
Schuldig ist der Stolz des Toren,
Der nicht sieht die reine Wahrheit.
Und darum verlästert er auch
Wie ein Dämon alle Weisen.
Wie verwirrt die ganze Welt ist
Von den Meinungen der Lehrer
Und den Philosophen-Schulen!
Keiner wird gewahr der eignen
Heiligen Natur der Seele.
Sie sehn nicht die Fundamente,
Nicht das Fundament des Geistes,
Weil sie selbst bedecken jenes
Eingeborene mit Irrtum.
Doch wo der Gedanke aufsteigt,
Wo sich auflöst der Gedanke,
Dort sollst du verweilen, Lieber.
Der da über Wahrheit nachdenkt
Ohne Fundament der Wahrheit,
Jenem würde eines Meisters
Unterweisung weiterhelfen.
Meister Milan sagt: Du Dummkopf,
Die Verschiedenheit des Daseins
Ist ein Ausdruck von Gedanken.
Keiner kann dir deine eigne
Heilige Natur erklären,
Eines Meisters Unterweisung
Kann allein sie offenbaren.
Nirgends ein Atom vom Bösen
Existiert in deiner Seele.
Der Unglaube und der Glaube
Werden noch geläutert werden
Und zuletzt aufhören gänzlich.
Wer geläutert hat sein Denken,
Kann die Eigenschaft des Meisters
Erst empfangen in dem Herzen.
Weil er dieses weiß, drum Meister
Milan kann dies Liedlein singen,
Sorgt sich nicht um alle Mantras,
Sorgt sich nicht um alle Tantras.
Denn die Menschen sind gebunden
Durch ihr eignes Karma, aber
Durch die Freiheit von dem Karma
Wird befreit der Geist des Menschen.
Die Befreiung seines Geistes
Trägt ihn sicher ins Nirwana.
Geist ist Samenkorn von allem.
Und Samsara und Nirwana
Kommen beide von dem Geiste.
Schenke diesem deine Ehrfurcht,
Welcher wie ein Edelstein ist,
Der erfüllt dir alle Wünsche
Und verleiht dir alle Dinge,
Die nur dein Begehren möchte.
Doch gebunden der Gedanke,
Bringt den Menschen nur die Knechtschaft.
Doch befreit, bringt er die Freiheit.
Daran kann man gar nicht zweifeln.
Was die eitlen Toren bindet,
Das befreit sehr schnell die Weisen.
Doch gebunden stürzen Menschen
Taumelnd hin in jede Richtung.
Doch befreit, der Geist des Menschen
Ruht dann selig in sich selber.
Denk an das Kamel, mein Schüler,
Beim Kamel ist es so ähnlich.
Konzentrier dich auf dich selber,
Halte an die Atemstöße,
Schiele nicht nach deiner Nase,
Halte dich ans Eingeborne,
Fahren lass des Daseins Fesseln.
Bring die ruhelosen Wogen
Deines Atems in Gedanken
Still zusammen und erkenne
Die Natur des Eingebornen,
Dann wirst du von selber stille.
Wenn der Geist erst geht zur Ruhe
Und zerstört die Bahn des Lebens,
Dann wird der Geschmack erst strömen
Eures eingebornen Wesens
Und es gibt nicht ausgestoßne
Kasten mehr und nicht Brahmanen.
Hier ist Ganga, Mutter Ganga,
Hier das heilige Benares,
Hier Kalkutta, unsre Mutter,
Hier das feurige Bengalen,
Hier ist Mond und hier ist Sonne.
Hab gesehen viel Altäre
Und gesehen Wallfahrtsorte
Auf der Wanderung des Lebens,
Doch nie sah ich solchen frommen
Heiligen Altar wie meinen
Eignen Leib zur Opfergabe.
Lotosblumen büschelweise,
Lotosblätter, Lotosblüten,
Blütenblätter, Duft und Ranken,
Laß die Unterscheidung fahren,
Dummkopf, quäl dich nicht mit Torheit!
Wunschobjekte sind die Mantras,
Wunschobjekte die Dispute,
Und als Wunschobjekte fallen
Sie anheim einst der Zerstörung.
Brahma, Vischnu, Schiwa, alle
Kehren heim zu ihrer Quelle.
Kenne du die Eigenarten
Des Geschmacks des Eingebornen.
Den Geschmack des Eingebornen
Leit nicht ab von seinen Teilen.
Der Geschmack des Eingebornen
Ist das Fehlen der Erkenntnis.
Sie, die Kommentare schreiben,
Wissen gar nicht, wie man reinigt
Diese Welt von ihrem Schmutze.
Hör mir zu, mein lieber Schüler,
Der Geschmack ist frei von Irrtum,
Ist ein Zustand höchsten Glückes,
Ist von allem Sein der Ursprung.
Der Geschmack zuletzt ist schließlich,
Was noch überbleibt vom Irrtum,
Von den Schöpfungen der Täuschung,
Wo zerstört der Intellekt wird
Und wo untergeht das Denken
Und wo stirbt der Egoismus.
Warum willst du dort dich also
Mit Versenkung noch beschweren?
Denn ein Ding erscheint auf Erden,
Fällt anheim dann der Zerstörung.
Wenn es hat kein wahres Dasein,
Kanns nicht noch einmal erscheinen.
Frei von Manifestationen,
Frei von der Zerstörung, was denn
Ist es, was ist da entstanden?
Meister Milan hat gesprochen!
Schau und höre, fühle, speise,
Rieche, wandre, sitz und stehe,
Eitelkeit der Eitelkeiten
Gib du auf und die Dispute.
Laß auch ab von den Gedanken
Und lass dich nicht wegbewegen
Von der Einzigkeit des Einen.
Die zu trinken nicht bereit sind
Das Ambrosia des Meisters,
Werden in der Wüste sterben
Und verdursten an Disputen.
Laß du fahren die Gedanken
Und das rationale Denken,
Sei ein Kind von sieben Jahren!
Sei ergeben deinem Meister
Und des Meisters Unterweisung
Und du schaust das Eingeborne.
Dies hat keine Namen, keine
Eigenschaften. Also sag ich,
Daß es nicht erkannt kann werden
Durch Erörterung von Worten.
Wie kann denn die höchste Gottheit
Wörtlich je beschrieben werden?
Wir sind wie die jungen Mädchen,
Sprachlos im Erleben unsrer
Süßen Seligkeit der Seele!
Leer von allen den Begriffen
Eines Daseins oder Nichtseins,
Ist die Welt dort aufgesogen.
Wenn bewegungslos der Geist bleibt,
Bist befreit du von der Selbstqual
Und den Qualen dieses Daseins.
Doch solang das Höchste Eine
Du erkennst nicht in dir selber,
Wie denn könntest du erlangen
Diese unvergleichlich schöne
Form der Formen als das Höchste?
Wo der Irrtum aufhört, sag ich,
Siehst du dich in deiner Wahrheit.
Denke nicht an die Atome,
Denk nicht an die Moleküle.
Unaufhörlich strömt das reine
Sein hervor die höchste Freude.
Solcher Irrtum ist ein Wahnsinn,
Sagt dem Freund der Meister Milan.
Lerne kennen du den reinen
Und vollkommnen Freudenzustand!
Er ist da in seinem Hause,
Sie jedoch geht aus dem Hause,
Sucht ihn außer seinem Hause.
Sie sieht ihren Ehegatten,
Fragt doch noch die Nachbarinnen.
Meister Milan sagt: O Törin,
Kenn dich selbst in wahrer Demut!
Das hat nichts zu tun mit Andacht
Und Versenkung, Konzentrieren
Und der Perlenschnur der Mantras.
Wenn der Meister sprechen würde,
Würde man dann alles wissen?
Ohne alles je zu wissen,
Würde Freiheit man erlangen?
Also reden diese Toren,
Wandern blind umher auf Erden,
Sammeln gierig die Erfahrung.
Doch das eigne Eingeborne
Kennen nicht die blinden Toren,
Sondern sammeln nichts als Böses.
Man genießt die Welt der Sinne
Ohne sündige Befleckung.
Man pflückt weiße Lotosblüten,
Ohne Wasser zu berühren.
So auch wird der fromme Meister,
Der gedrungen ist zur Wurzel,
Nicht versklavt von seinen Sinnen,
Doch genießt er Sinnenfreuden.
Ja, die Gottheit kann man ehren
Und in Trance kann man erblicken
Eine menschgewordne Gottheit!
Doch dem Tode unterworfen –
Was erlöst uns von dem Tode?
Alles das kann nicht vernichten
Dieses Werden und Vergehen.
Ohne gläubiges Vertrauen
Kann man nicht dem Tod entrinnen.
Richtet eure Blicke grade
Nach der Spitze eurer Nase,
Reguliert die Atemstöße,
Macht euch leer von den Gedanken!
Also lehren uns die Lehrer.
Wenn der Schüler nicht mehr atmet
Und gestorben ist der Schüler,
Was ist dann, ihr lieben Leute?
Ist man in der Sinnen-Sphäre,
Dann ergießt sich das Begehren.
Was kann das Problem behandeln?
Wenn man etwas ist in Wahrheit,
Kann man es doch nicht behandeln
Wie ein Arzt den Leib von außen.
Alle die Gelehrten schreiben
In Traktaten und Disputen.
Doch den innerlichen Buddha,
Den erkennen nicht die Leute.
Werden und Vergehen aber
Kann man so doch nicht vernichten.
Aber schamlos sagen jene:
Wir sind die gelehrten Leute!
Wir sind die gelehrten Leute!
Der, der unter Lebewesen
Niemals alt geworden wäre,
Wäre frei von Tod und Alter.
Aber das ist doch unmöglich.
Aber auf das Wort des Meisters
Hin wird dir der Geist erleuchtet.
Gibt es denn auf Erden einen
Andern Schatz als die Erleuchtung?
Der, der nicht benutzt die Sinne
Und verbleibt in reiner Leere,
Ist ein Vogel, welcher auffliegt
Von dem Schiffe, das vorbeifährt,
Und dann umkehrt und sich wieder
Niederlässt auf diesem Schiffe.
Laß dich aber nicht mehr fangen
Von der Bindung an die Sinne,
Dieses sagt dir Meister Milan.
Denke an den Fisch, den Falter,
Elefanten, Bienen, Panther!
Was auch aus dem Geiste ausströmt,
Das hat die Natur von jenem
Wesen, welchem es entsprudelt.
Wogen sind doch gleich dem Wasser?
Die Natur der Wasserwogen
Ist dieselbe wie des Raumes
Strömende Natur des Wassers.
Wer spricht hier? Und wer hat Ohren?
Was will ich dir anvertrauen?
Wie der Staub in einem Tunnel
Unten in verstaubter Erde,
So geht das, was in dem Herzen
Dir entsteht, in deinem Herzen
Innen wieder auch zur Ruhe.
Dringt das Wasser in das Wasser,
Schmeckt das Wasser auch wie Wasser.
Also Sünde oder Tugend
Werden angesehn als Eines,
Da ist keine Unterscheidung.
Häng dich nicht an die Begriffe
Reiner absoluter Leere,
Sondern jedes Ding betrachte
Eins wie alle andern Dinge.
Selbst die Schale eines kleinen
Sesamkorns kann dich verletzen
Wie die schargespitzten Pfeile.
Ist ein Ding auf eine Weise,
Ist ein andres Ding ein andres.
Deine Taten sind wie Steine,
Die dir jeden Wunsch erfüllen.
Seltsam doch, wie die Gelehrten
Durch den eignen Irrtum leiden
Schweren Kummer in der Seele!
Nur im wahren Selbst-Erlebnis
Nur im wahren Selbst-Erlebnis
Ruht die Seligkeit der Seele.
In der Seligkeit sind alle
Formen mit des Raumes Gleichheit
Ausgestattet und natürlich
Die Natur der gleichen Gleichheit
Macht die Geister unbeweglich.
Ist der Geist nicht mehr vom Geiste,
Scheint hervor das Eingeborne.
Hier und dort wird in den Häusern
Laut erörtert diese Sache,
Doch das Fundament der Freude
Bleibt dort unbekannt den Leuten.
Diese Welt ist von Gedanken
Ganz versklavt, sagt Meister Milan.
Niemand hat erkannt den reinen
Nicht-Gedanken, Kindes Torheit.
Zwar in vielen frommen Schriften
Offenbart wird ein Gebieter,
Dieser Herr und Meister zeigt sich
Dir entsprechend deinem Wunsche.
Dieser Herr, das bist du selber,
Andre Menschen sind die Feinde,
Also denken diese Leute
Disputierend in den Häusern.
Wenn der Mensch nur speist das eine,
So verzehrt er alles andre.
Sie geht aber aus dem Hause
Und sucht draußen ihren Meister.
Aber man sieht ihn nicht kommen,
Weiß nicht, wo er ist und wandelt,
Zeichenlos und ohne Wandel
Man erkennt den Herrn, den Höchsten.
Wenn du nicht das Kommen aufgibst,
Wenn du nicht das Gehen aufgibst,
Wie kannst du dann dieses Seltne,
Diese Herrlichkeit erlangen?
Der Gedanke ist ein reiner,
Wenn er ganz entspricht der Stirne.
Denk an keine Unterschiede
In dir selbst, in deinem Herzen.
Gibt es keine Unterscheidung
Zwischen Sprache, Geist und Körper,
Dann scheint auf das Eingeborne.
Wie kann andres dort entstehen,
Wo die Hausfrau und die Gattin
Ganz verschlingt den Ehegatten?
Unvergleichlich sind die Werke
Dieser Schülerin der Weisheit.
Sie verschlingt den Ehegatten,
Es erscheint das Eingeborne.
Da sind keine Leidenschaften
Noch auch fehlen Leidenschaften.
Still bei ihrem Eignen sitzend,
Ganz vernichtet all ihr Denken,
So sah ich die Frau, die weise.
Und man isst und trinkt und denkt auch,
Was nur irgendeinem einfällt.
Es ist jenseits doch des Geistes,
Unvorstellbar, dieses Wunder
Einer Schülerin der Weisheit.
Hier verlieren Mond und Sonne
Die Verschiedenheit am Himmel.
Himmel, Unterwelt und Erde
Werden in dem Weib gebildet.
Kenne diese Frau, die weise,
Die vollendet den Gedanken,
Mutter sie des Eingebornen.
Ach, die ganze Welt muß dulden
Große Qualen von den Worten!
Keiner kommt doch ohne Wort aus.
Ist man aber frei von Worten,
Dann versteht man erst das Wort recht.
So wie außen so auch innen,
Sicher auf der höchsten Stufe,
Sind die körperlosen Formen
In der Körperform verborgen,
Der dies weiß, der findet Freiheit.
Einst ich pflegte herzusagen
Aus dem Lehrbuch diese Worte:
Auf nun zum Erfolg, o Meister!
Auf nun zum Erfolg, o Meister!
Doch ich trank vom Elixiere
Und vergaß das Wort des Buches.
Es gibt ja ein Wort allein nur,
Daß ich jetzt noch geistig kenne
Und ich kenn nicht seinen Namen.
Kann denn der gewinnen Freude
In den Armen der Umarmung,
Der nicht weiß, dass alle Wesen
Mit ihm sind das gleiche Wesen?
Er gleicht einem Hirsch voll Durste,
Der da eilt zur Wasserquelle
Und sieht nichts als Spiegelbilder,
Jener wird vor Durst versterben.
Wie kann er die Quelle Gottes
In der Wahrheit je erreichen?
Stoffe, Elemente, Sinne,
Die Organe unsrer Sinne
Sind das Wasser dieses Lebens.
In dem Lied des Meisters Milan
Keine Wahrheit wird verschwiegen.
Also, ihr Gelehrten, bitte
Seid geduldig doch mit Milan.
Nämlich hier gibt es kein Zögern.
Was ich aus dem Munde meines
Eignen Meisters einst vernommen,
Warum sollt ich davon sprechen
Auf geheimnisvolle Weise?
Jene segensreiche Wonne
Zwischen dem Juwel des Gottes
Und der Seele Lotosblume –
Wer frohlockt da nicht vor Freude?
Wessen Hoffnungen auf Erden
Nicht erfüllte diese Freude?
Dieser Augenblick kann Freude
Sein des Mittels, oder beides,
Glück des Mittels und der Weisheit,
Und durch Gnade ihres Meisters
Und die eigenen Verdienste
Tat sie mancher schon erkennen.
Sie ist tief und weit, die Freude,
Sie ist nicht das Selbst des Menschen
Noch ist sie die andern Dinge.
Kenne dieses Selbst-Erlebnis
Dieses Eingebornen innen
In dem höchsten Augenblicke!
Wie der Mond erhellt das Dunkel,
So entfernt die höchste Freude
Augenblicklich die Befleckung.
Ist die Sonne deiner Leiden
An dem Horizont versunken,
Dann steigt auf die höchste Freude,
Herr der Myriaden Sterne.
Sie erschafft mit Schöpferkräften
Und durch sie entsteht der Weltkreis,
Dieses Mandala des Kosmos.
Sieh Gedanken als Gedanken,
Tor, und laß du ab vom Irrtum.
Du erlange die Purgierung
In der Seligkeit der Seele,
Hier liegt das vollkommne Wesen.
Nicht zu zweifeln, nicht zu zögern,
Du befrei den Elefanten,
Jenen, der dein eigner Geist ist.
Möge er des Flusses Wasser
Trinken und am Ufer bleiben,
Wie es ihm gefällt, mein Schüler.
Festgehalten in dem Rüssel,
In dem Elefantenrüssel,
Der jetzt darstellt unsre Sinne,
Wir erscheinen völlig leblos.
Doch der Meister wird entschlüpfen,
Wie ein Reiter weiterreiten.
Wie im Himmel das Nirwana
So auf Erden das Samsara.
Da ist keine Unterscheidung,
Ich erkenne sie als Reinheit.
Sitze nicht allein zu Hause,
Geh spazieren nicht im Walde,
Sondern deinen Geist erkenne,
Wo du immer bist, mein Schüler.
Weilt man ganz in der Erleuchtung,
Was ist weiter dann Samsara,
Was ist weiter dann Nirwana?
Lieber, lerne diese Wahrheit,
Daß Erleuchtung nicht im Hause
Wohnt und nicht im dunklen Walde.
Mache keine Ausflucht, sondern
Werde frei im Eigenwesen
Eines unbefleckten Denkens!
Das bin ich und das ein andrer,
Also sagen eitle Toren.
Mach dich frei von dieser Fessel,
Die dich rings umgibt mit Ketten,
Und dein Selbst wird Freiheit finden.
Du begehe keinen Irrtum,
Was das Selbst betrifft, die Andern.
Alles ist der eine Buddha.
Hier ist jene unbefleckte
Letzte Stufe der Erleuchtung,
Wo das Denken ist gereinigt.
O, der schöne Baum des Denkens,
Unbekannt ist ihm die Zweiheit,
Breitend alle seine Äste
Durch das ganze Universum,
Trägt er Blüten, Frucht des Mitleids,
Und sein Name ist: Der Diener
Aus Erbarmen an den andern.
Dieser schöne Baum der Leere
Ist beladen reich mit Blüten,
Mitleids-Taten aller Arten
Und mit Früchten auch für andre,
Früchten, die von selbst erscheinen,
Denn die Seligkeit der Seele
Eigentlich denkt nicht an andre.
Und so fehlt dem schönen Baume
Reiner Leere auch das Mitleid,
Ohne Blüten, ohne Blätter,
Und wer immer glaubt, da seien
Blüten, Laub, der fällt herunter,
Denn es gibt dort keine Äste.
Beide Bäume Einem Samen
Sind entsprungen, deshalb gibt es
Eine Frucht nur. Wer da weise
Als ununterscheidbar ansieht
Diese Bäume, findet Freiheit,
Wird befreit von dem Samsara,
Wird befreit auch vom Nirwana.
Wenn ein Mann in Not sich nähert
Und enttäuscht dann wieder weggeht,
Ist es besser, dass er dieses
Haus links liegen lässt als dass er
Jene Speiseschale annimmt,
Die ihm nachgeworfen wurde.
Andern Menschen nicht zu helfen
Und den Armen nichts zu geben,
Sind die Früchte von Samsara.
Besser ist es aufzugeben
Die Idee vom Ich des Menschen.
Wer sich hält an reine Leere,
Der sich nicht um Mitleid kümmert,
Der erreicht nicht das Vollkommne.
Der, der aber übt Erbarmen,
Doch sich hält nicht an die Leere,
Der erlangt nicht die Befreiung
Von den Qualen dieses Daseins.
Nur wer beides übt, die Leere
Und das herzliche Erbarmen,
Der bleibt nicht mehr in Samsara,
Der steigt über das Nirwana.