Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

MAMA



Zwei lyrische Zyklen

Von Josef Maria Mayer


GEBET FÜR MEINE MUTTER

(Sonette)


1

Maria, meine Mutter ist sehr krank,
Es frisst der Krebs in ihrer Brust bedrohlich.
Laß ihr zu Ehren singen mich, zu Dank,
Die immer heiter war und immer frohlich.

Nun hab ich Angst, dass sie doch sterben müsste,
Die eine Mutterbrust jetzt opfern muß.
Zwar droben wartet schon der Wonnen Küste,
Der Jordan strömt hinan, der Scheidefluß,

Doch bitt ich dich um meiner Mutter Leben
Und dass ihr Leben lang noch währt auf Erden!
Sie hat mein Leben selber mir gegeben,
Was soll ich ohne meine Mutter werden?

Du Heil der Kranken, deinem Mutterherzen,
Ich weihe meine Mutter dir in Schmerzen.


2

Nun ist mein Vater auch an Krebs gestorben,
Da war in mir so eine wilde Wut,
Des Vaters Leib ist auch zu Staub verdorben,
Die Seele ging hinan zu Gottes Glut.

Und auch Karine ist an Krebs verschieden
Und ist mein Engel nun in Gottes Licht.
Karine, mit dir sei Marias Frieden!
Ich seh noch heut vor mir dein Angesicht.

Nun meine Mutter ist an Krebs erkrankt,
Schon eine Brust hat sie geopfert einst.
Mein Lied dem Gotte meines Lebens dankt,
O Seele, ob du auch vor Bangnis weinst,

Daß jetzt auch deine Mutter sterben müsse?
Maria, gib ihr viele Mutterküsse!


3

Nun habe ich gehört von Martin Luther,
Wie einst die Mutter singen mich gelehrt,
Nun denk ich an die Kindheit und die Mutter
Und was die schöne Weihnacht mir beschert,

Da waren wir im Gottesdienste nachts
Zu Evangelium und zu Choral.
Zwar war das nicht katholisch, doch was machts?
Wir waren doch in Gottes lichtem Saal.

Ja, das war der Apostel meiner Mutter,
Die Freudenbotschaft unter Gottes Dach,
Wir waren lutherisch nach Doktor Luther
Und sangen den Choral nach Meister Bach.

O große Gottesmutter, bitte rette,
Mein Mütterchen an Christi Herzen bette!


4

Nun hat der Krebs geplagt schon meinen Vater
Und fraß des Blutes kleine Körper auf,
Nun in dem tragikomischen Theater
Der Welt muß nehmen ich den Lebenslauf,

Nun tat der Krebs die Freundin auch ermorden,
Sie ward ermordet von den Metastasen,
Nun muß auch ich, in Sankt Marien Orden,
Einst meinen Lebensgeist zu Gott ausblasen,

Auch meine Mutter schon verlor die Brüste
Durch die Gefräßigkeit des Cancers schon,
Und ich auch schwinde einst an Gottes Küste
Und setze mich als Sohn auf Gottes Thron,

Und bin bereit – Gott preise meine Zunge –
Ob ich auch sterbe an dem Krebs der Lunge.


5

Ich lese Worte über Menschen-Trauer
Vom Dichter, der von Narnia geschrieben,
Da überkommt mich heißer Tränen Schauer,
Weil ich die Frau verloren, die zu lieben

Als Mutter ihrer Kinder ich bestimmt.
Nun floh sie mir in die Erinnerung.
Und noch die Lust der Liebe in mir glimmt
Und noch bin ich mit der Geliebten jung.

Am vierundzwanzigsten September war
Die vielgeliebte Freundin mir geboren.
Am vierundzwanzigsten September war
Die krebserkrankte Mutter mir geboren.

Ich bange, wie die Frau ich schon verlor,
Trät auch die Mutter schon in Gottes Tor?


6

Großmutter lebte dreiundneunzig Jahre
Und liebte Gott den Herrn ihr Leben lang,
Glanz Gottes lag auf ihren Silberhaaren,
Zuletzt verschied sie, Gott zu Lob und Dank.

O Gott in deiner mütterlichen Liebe,
Gewähre meiner Mutter bitte auch
Ein hohes Alter ihrer Lebenstriebe
Und neunzig Jahre ihrem Lebenshauch!

Seit dass mein Vater von der Welt geschieden,
Hat meine Mutter lieber mich als einst.
Maria spricht: Mein Kind, verbleib im Frieden,
Ich bin ja dein, ob du auch bitter weinst,

Ich bleibe deine Mutter immerdar!
Von Gott gezählt ist deiner Mutter Haar.


7

Auch Evis Vater ist an Krebs gestorben,
Und Evi trug ein schönes schwarzes Kleid,
Als durch den Tod ihr Vater war verdorben,
Da hat sie sich der dunklen Nacht geweiht.

Karines Vater ist an Krebs erkrankt,
Die Rippen brechen von den Metastasen.
Die Tochter starb ihm schon, die Gott gedankt,
Die Gott geliebt in ihren letzten Phasen.

Nun meine Mutter ist von Krebs zerfressen
Und opfern muß sie schon die zweite Brust.
Ihr Mann starb auch, den sie noch nicht vergessen,
Am Krebs inmitten seiner Lebenslust.

Und soll ich hoffen, Herr, ich überlebs
Und sterbe nicht auch bald an Lungenkrebs?


8

So viele Feinde hab ich in der Welt,
Doch meine Mutter war mir immer treu.
Ob ihr mein Leben auch nicht stets gefällt
Und ob mein Sosein sie nicht stets erfreu,

So blieb sie immer meine Mutter doch,
Die mich aus ihrem Schoß geboren hatte.
Ich trug mein Leben wie ein schweres Joch
Und stets bedrückte mich der Schwermut Schatte,

Und ob ich von der Schwermut war umnachtet
Und ob mein Vater Vorwurf nicht gespart
Und ob mein Bruder mich zuletzt verachtet,
Der Mutter Liebe blieb mir doch bewahrt,

Ob sonst für mich die Welt nur hatte Spott.
Bald hab ich keinen mehr als dich, mein Gott!


9

Maria, Mama hat Klavier gespielt
Und Mama hat gespielt auch die Gitarre.
Ich habe immer die Musik gefühlt,
Ob ich auch blieb in der Musik ein Narre.

Die Mama liebte Mozart, liebte Bach,
Ich aber weinte traurig meinen Blues.
Soll nun das Singen meiner Mutter, ach,
Ins Jenseits schweben auf, dem Herrn zum Gruß?

Soll singen Halleluja in den Chören
Das Mütterchen mit Gottes Cherubim?
Will Gott der Mama schöne Stimme hören
Im Hosianna schönster Seraphim?

Ich will auf dem Harmonium Choräle
Anbetend spielen, für der Mutter Seele.


10

Ah weh, ah weh, ah weh Maria! Töne
Fürs Mütterchen poetisch mein Gebet.
Ich seh noch vor mir diese junge Schöne,
Wie sie bei ihrem kleinen Knaben steht,

Der Knabe geht soeben in die Schule,
Die Mutter steht dabei im kurzen Rock,
Ihr Gatte, ihr so heißgeliebter Buhle,
Steht auch dabei mit dem erhobnen Stock.

Ich legte hin mein Haupt auf Mamas Schoß
Und schaute Bilder an in der Vision,
Und meine Liebe war zur Mutter groß
Und ich war meiner großen Mutter Sohn.

Jetzt stehe ich auf Petri Fischerkutter
Und sage trotzig: Gott ist meine Mutter!


11

Hab keine Angst, o Mutter! Vater starb,
Sankt Josef ist mein Väterchen geworden,
Und ob der Vater tödlich auch verdarb,
Ich bleibe Sohn in meines Vaters Orden.

Hab keine Angst, o Mutter! Ob der Bruder
Mich wegen meiner Krankheit auch verschmäht,
Doch Jesus steht an meines Lebens Ruder,
Mein Bruder Jesus stets hört mein Gebet.

Hab keine Angst, o Mutter! Ob du krank
Und musst vielleicht die Erde bald verlassen,
Dem Mütterchen Maria gilt mein Dank,
Sie liebt mich, ob die Leute auch mich hassen.

Hab keine Angst, o Mutter! Trotz dem Spott
Der Leute dieser Welt, bei mir ist Gott!


12

Und ob die Welt voll tausend Teufel wär,
So sang dereinst der Doktor Martin Luther,
Mit mir ist doch mein Gott, Allmächtiger,
Der mehr mich liebt als meine eigne Mutter!

Nun will ich für die eigne Mutter beten
Und beten nicht allein fürs Seelenheil
Und ihren Eingang in den Garten Eden,
Auch für die leibliche Gesundung, weil

Das Leben ist doch schön auf dieser Erde
Im Licht der Harmonie von Gottes Schall.
Die Töne Gottes sangen einst: Es werde –
Und schön wie Symphonieen ward das All.

Ja, Herrlichkeit ist nicht allein im Himmel,
Nein, Gott ist auch in diesem Weltgewimmel.


13

Gott macht noch immer einen Unterschied,
Ob einer gottvergessen Mammon ehrt,
Ob einer singt dem Heiligen sein Lied
Und nur von Gott die Lebenslust begehrt.

So werden Gottvergessne mich nicht achten,
Wenn ich mein Leben widme dem Gebet,
Sie werden mich verspotten und verachten,
Wiewohl mein Lohn bei Gott dem Höchsten steht.

Doch meine Mutter bat, für sie zu beten,
Ich habe ihre Hoffnung nicht vergessen.
So meine Seufzer zu dem Himmel wehten
Und Opfer bracht ich dar in Heilgen Messen.

Wer bittet ums Gebet, sei’s mir erlaubt
Zu sagen, dass der Mensch an Gott schon glaubt.


14

Was kostet meiner Mutter Leben, Gott?
Wer kann bezahlen solchen Lösepreis?
Das liebe Geld wird hier so ganz zu Spott,
Zu teuer Mamas Leben ist, ich weiß.

Wer wär so reich, vom Tod sie freizukaufen,
Sie freizukaufen aus dem Totenreich?
Warum ließ Oma meine Mama taufen,
Als weil allein der Vater ist so reich!

Der Vater ist so reich im Himmelreich,
Herr Jesus kauft sie frei mit seinem Blut,
Herr Jesus ist allein so gnadenreich,
Sein teures Blut ist doch das Höchste Gut.

Ein’ Tropfen deines Blutes, Jesu Christe,
Auf meiner Mutter krebszerfressne Brüste!


15

Maria, diese Blume will nicht sterben,
Sie liebt das Blühen auf der Erde noch.
Maria, laß die Blume nicht verderben
Und wirf sie nicht ins schwarze Grabesloch!

Noch möchte sie ihr Halleluja singen
Auf Erden in der Kirche mit den Chören,
Noch möchte sie ihr Lobpreisopfer bringen:
O großer Gott, wir loben dich in Ehren!

Noch möchte sie mit ihrem Jugendfreunde
Die herrliche Natur des Herrn bewundern
Und wie dereinst als Mädchen der Gemeinde
Das Liedlein singen von den flotten Flundern

Und von dem jungen und dem schlanken Hering,
An ihrer Hand noch immer sitzt der Eh’ring.


16

Ich weihe dir, o Mater Creatoris,
Des Schöpfers Mutter, deinem Mutterherzen,
Das junggebliebne Mädchen namens Doris,
Ihr Gatte rief „mein Mädchen“ sie in Scherzen.

Ich weihe deinem Unbefleckten Herzen
Die Mutter meines Leibes, Mama Doris,
O Mutter, steh ihr bei in ihren Schmerzen,
Du meine Mutter, Mater Creatoris.

Ich berge sie in deinem wunden Herzen,
Vom Schwert durchbohrt, o Mater Creatoris,
Dir, Mutter, zünd ich der Gebete Kerzen,
O Mutter, rette meine Mama Doris!

Maria, auch in deinen Brüsten steckt
Das Kreuz, das meine Mama auferweckt!


17

In lauter Blitz und Donner und Gewitter
Mein Vater tat die Erdenwelt verlassen.
Jetzt bitte ich, der Gottesmutter Ritter,
Dich, Gott, du mögest Mama nicht verlassen,

Und wenn es donnert auch in den Gewittern
Und nieder stürzen schwere Regenmassen,
O Jesus, muß mein Mütterchen auch zittern,
Du zeige ihr, dass du sie nicht verlassen!

Karine auch zerfraß der Krebs die Brüste,
Die schönen Frauenbrüste voller Reiz!
Da sagte sie im Krankenbett: Wie Christe,
Ich fühle mich wie Christe an dem Kreuz!

O Christus, wird die Mutter operiert,
Gib, dass sie ihre Seele nicht verliert!


18

Mama:
O lieber Gott, mein Leben bitte rette,
Muß ich auch opfern meine zweite Brust.
Ich liege ängstlich hier im Krankenbette
Und habe doch so große Lebenslust!

Jesus:
Ich habe deine Krankheit auch getragen,
Als alle Krankheit ich einst trug aufs Kreuz!
Ich bin ja bei dir hier in deinen Klagen!
Die Schöpfung Gottes, ja, ist voller Reiz!

Mama:
Doch eines Tages muß wohl ich auch sterben
Und komm ich dann auch in das Himmelreich?
Laß mich nicht in der Unterwelt verderben
Durch eines bösen Todes schlimmen Streich!

Jesus:
Wenn du dein Leben Gott dem Herrn geweiht,
Erwartet dich der Liebe Ewigkeit!


19

Mutter Teresa:
Als ich einst auf dem Krankenbette lag
Und schon um mich der nahe Tod geschwebt,
Da sprachen meine Töchter sanft und zag:
O bleibe bei uns, die für uns gelebt!

Da sagte ich zu meinen Töchtern dies:
Wenn Mutter erst bei Gott im Himmel wäre,
Ich könnte mehr noch tun im Paradies
Und euch beschützen in der Erdensphäre!

Der Dichter:
O heilige Teresa von Kalkutta,
In Kranken hast du Christus selbst geliebt!
So liebe heut auch meine kranke Mutter!
Ich weiß, wie deine Seele Liebe gibt,

Du lebtest selber in der dunklen Nacht,
Steh meiner Mutter bei mit deiner Mutter-Macht!


20

O Jesus, schenke meiner Mutter Reue,
Denn jeder Mensch hat Sünden in der Welt,
Gib, dass die feuchte Reue sie erneue,
Sie in der Brust ein reines Herz erhält.

O Jesus, schenke Mama die Versöhnung
Mit allen, die sie je beleidigt haben.
Des Herzens Frieden schenk ihr, die Verschönung
Der Seele durch des Friedefürsten Gaben.

O Jesus, schenk ihr Glauben an den Herrn,
Laß sie den Ewigvater immer loben,
Dich loben, Jesus, unsern Morgenstern,
Und loben Gottes Geist, der kommt von oben.

O Jesus, schenke Mama das Gebet,
Daß sie vom Krankenbette heil ersteht!


21

O Jesus Christus, deine Seitenwunde
Ist offen allen Wunden in der Welt.
O Jesus, jetzt, in dieser Gnadenstunde,
Dein wundes Herz die kranke Mutter hält.

In deine Seitenwunde leg ich sie,
Der alle Krankheit du getragen, Christe,
In deiner Liebe schöne Harmonie
Empfehle ich der Mutter kranke Brüste.

Durch deine Herzenswunde in der Brust
Du meine vielgeliebte Mama heile!
O Gott, du hast an meiner Mutter Lust,
Zu ihrer Rettung, ihrer Heilung eile!

O Herr, ich lege allen ihren Schmerz
Vertrauensvoll in dein durchbohrtes Herz!


22

O Vater, der du bist im Himmelreich,
Wir wollen allzeit preisen deinen Namen,
In unsern Herzen ist dein Königreich,
Dein Wille ist die schöne Liebe. Amen.

Gib täglich unserm Geist das Engels-Futter
Und schenk uns allen Frieden und Versöhnung.
Der Sohn verzeiht von Herzen seiner Mutter,
Und sie verzeiht dem Sohne die Verhöhnung.

Herr, führe uns durch diese dunkle Nacht,
So dass wir fallen nicht vom Glauben ab.
Bewahr uns vor des bösen Feindes Macht
Und laß uns auferstehen aus dem Grab

Und gehen ein in deine Herrlichkeit,
Dein Reich der Liebe in der Ewigkeit!


KINDERLIEDER


Nach Rabindranath Tagore



VERSTECKSPIEL

O Mama, weil ich ungezogen bin
Und in dem Baum als rosa Blüte blüh,
Mich morgens, Mama, in den Zweigen hin
Und her mich schwing im Laube frisch und früh,
So hast du schon verloren gegen mich!
Wirst du mich denn erkennen, Mama, mich?
Du rufst: Mein Kindchen, Schatz, wo bist denn du?
Ich aber lächle heimlich still dazu.

Ich schaute deiner Tagesarbeit Drang,
Ich schaue alles an mit freiem Blick,
Wie du vom Bade an dem Baum entlang
Mit nassen Haaren kommst ins Haus zurück.
Wirst du dann in die Hauskapelle gehn,
Der Duft der Blumen wird dich schön umwehn.
Dann ahnst du nicht, du liebes frommes Weib,
Daß du gerochen deines Kindchens Leib.

Du gibst uns Essen zu der Mittagszeit,
Dann liest du in der Schrift mit Augen groß,
Durchs Fenster fällt des Baumes Schatten breit
Auf deinen Rücken und auf deinen Schoß.
Den klitzekleinen Schatten lasse ich
Auf deinem Buche tanzen fröhliglich.
Dann ahnst du nicht, du liebe Mutter schön,
Daß deines Kindchens Schatten du gesehn.

Am Abend zu den Tieren in dem Stall
Gehst du mit der Laterne kleinem Licht,
Der Blüten Spiele spiel ich dann und fall
Vor meiner Mama auf die Erde dicht.
Dein Kind wird wieder dann dein Liebling sein,
Ich schließe mich in deine Arme ein,
Du sagst: Wo warst du denn, du Lümmel du?
Ich sage lächelnd: Rat doch einmal – buh!


ZEIT

Mama, sag dem Lehrer, ich will gehen,
Heute hab ich schon gelernt so viel.
Jetzt will ich nur bei dir sein, o Mama,
Lehrer spielen in dem Schule-Spiel.
Doch du sagst: Noch ist nicht Mittagsstunde.
Das ist wahr, doch sie ist ja schon nah.
Kannst du nicht am Mittag einfach sagen:
Schluß mit Lernen! Abendzeit ist da!
Meine Phantasie kanns sich erträumen,
Wie das Licht am Horizont verschwand,
Wie die alte Frau sich füllt das Körbchen
Mit dem Grünzeug von des Teiches Rand.
Unterm Baume dunkel ward der Schatten,
Schwarz das Wasser wurde in dem Teich,
Alle kehren heim vom Markt, die Bauern
Kommen auch schon von den Feldern gleich.
Schau, der Abendstern ist aufgegangen,
Denke dir: Die Dämmrung bricht herein.
Schlägt um Mitternacht die Uhr dann zwölfmal,
Kann dann mittags nicht auch mittnachts sein?


DER KLEINE BRUDER

Schau, Mama, nichts weiß dein Geliebter, nichts,
Ein rechter Dummkopf ist das kleine Kind.
Er meinte, goldne Sterne steigen auf,
Als wir Laternen trugen durch den Wind.
Wenn ich im Sande Kuchenbacken spiel
Und auf den Teller lege einen Stein,
Dann glaubt er wirklich, dass mans essen kann,
Und schiebt den Stein in seinen Mund hinein.
Und schlage ich die Lesefibel auf
Und sage: Bruder, fang zu lesen an!
Reißt er mit seiner Hand entzwei das Buch,
So also lesen lernt der kleine Mann!
Wenn ich, ein Laken über meinem Kopf
Auf Zehenspitzen schleiche mich heran,
So heult dein kleiner Liebling weinend laut
Und denkt, Gespenster greifen ihn jetzt an.
Und wenn ich manchmal zornig werde und
Ihn schimpfend an den kleinen Ohren zieh,
So lacht dein kleiner Liebling, dass es schallt,
Er denkt sich wohl, ich mache Spaß nur, wie?
Das weiß doch jeder, Papa ist zur Arbeit,
Doch sag ich: Schau, ich seh schon Papas Kopf,
So blickt er sich nach allen Seiten um,
Denn Mamas Liebling ist ein dummer Tropf.
Und wenn die Nachbarskinder kommen all,
Ich halte dann den Eseln Unterricht
Und sage: Ich bin Lehrer, Lehrer ich!
Doch er, er nennt mich großen Bruder schlicht.
Dein Liebling will wohl greifen nach dem Mond?
Und wenn von Gott zu sprechen er beginnt,
Wird „Gott“ zu „gut“ und „Herr“ wird dann zu „Herz“ –
Ein rechtes Närrchen ist doch Mamas Kind!


ABSCHIED

Ich laß dich ganz allein, dich ganz allein!
Wenn du am Morgen dann mit leerem Schoß
Mich rufst: Mein Liebling, ach, wo bist du bloß?
Dann sag ich: Nein, da ist kein Liebling klein!
Ach Mama, ach, ich lass dich ganz allein!

Im Winde wehe ich als Wind voll Lust
Und so berühr ich, Mama, deine Brust,
Mit deiner Hand kannst du nicht fangen mich.
Im Wasser werde ich die Welle sein
Und keiner dann erkennt dein Kindlein klein,
Ich spiel mit dir, wenn du dort badest dich.

Und wenn der Regen von dem Himmel rinnt,
Dann wachst du nachts und träumst von deinem Kind.
Im Walde ich dann meine Lieder sing
Und von der Wetterwolke werde ich
In eines Blitzes Licht besuchen dich,
Daß dir in deinem Geist mein Lied erkling.

Ach Mama, wenn du wach gelegen, ach,
Nachts wegen deinem Liebling lagest wach,
Dann wurde ich ein Stern und sang: Schlaf ein!
Und bist du endlich eingeschlafen dann,
Kam ich als Mondschein an dein Bett heran,
Dann küsste dich mein Mund aus Mondenschein.

Durch deine schmalen Augen werde ich
Als schöner Traum besuchen, Mama, dich,
Der ich dann tief in deinem Schlafe bin.
Erwachend wirst du, Mama, mit der Hand
Nach mir dann tasten an des Bettes Rand,
Verschwunden bin ich dann, Gott weiß wohin!

Wenn zum Geburtstag dann vor unserm Haus
Die Kinder spielend gehen ein und aus,
Dann wirst du seufzen: Liebling ist nicht da!
Dann werde ich in Flötenmelodien
Leis blasend durch die Liebeshimmel ziehn
Und bei dir sein, o Mama, fern und nah.

In seinen Händen ein Geschenk für mich
Kommt dann der Onkel und dann fragt er dich:
Wo ist der Liebling dein, das Kind der Lust?
Dann sprich: Er kann doch nicht verloren sein,
Er wohnt jetzt in den Augensternen mein
Und steckt mir wie ein Pfeil in meiner Brust!


DIE MUTTER BETRACHTET IHREN LIEBLING

Leg buntes Spielzeug ich in deine weiße Hand,
Versteh ich, liebes Kind, warum am Himmelsrand
Des morgens rot die Wolken glühen,
Im Wasser Farben schillernd sprühen,
Warum auf jedem Blatt ich so viel Farben fand,
Seh buntes Spielzeug ich in deiner weißen Hand.

Und wenn du tanzend lauschst auf meine Liebeslieder,
Dann weiß ich, liebes Kind, im eignen Herzen wieder,
Warum die Blätter in dem Wind
Leis rauschen, leise rascheln lind,
Warum die Welle wogt im Meere auf und nieder,
Das weiß ich, wenn du lauschst auf meine Liebeslieder.

Und seh nach Zucker ich dein kleines Händchen gieren,
Mit Schokoladen-Creme den Mund dir voll zu schmieren,
Dann habe ich den Grund entdeckt,
Warum die Milch so lecker schmeckt,
Warum die Früchte schwer die Honigsüße spüren,
Seh deine Händchen klein ich nach dem Zucker gieren.

Und küss ich dein Gesicht wie eines Windhauchs Fächeln,
Dann weiß ich, warum mich erreicht des Lichtes Lächeln,
Wie voller Lust der Mond sein Licht
Lässt scheinen auf mein Angesicht,
Wie anhaucht mich der Wind mit liebevollem Fächeln,
Das weiß ich, schenkst du mir dein liebesvolles Lächeln.


DIE GEBURT DES LIEBLINGS

Mama, fragt das Kind, das fromme,
Weißt du auch, woher ich komme,
Wo hast du mich aufgelesen?
Mama sagte, freudig weinend,
Sich mit ihrem Kind vereinend:
Bist in meiner Lust gewesen!

Als wir mit den Puppen spielten
Und den Gottesdienst abhielten,
Hab ich dich aus Lehm geknetet,
Gott und du, ihr habt gesessen
Mit mir in den Heilgen Messen,
Da warst du, als ich gebetet.

In der Hoffnung umgetrieben
Warest du in meinem Lieben,
Lebend schon in Omas Wesen,
Hier im Hause unsrer Alten,
Von Marias Arm gehalten,
Bist du lang schon da gewesen!

Als in meiner frohen Jugend
Ich gekämpft hab mit der Tugend,
Warst du da wie reine Jade,
Alle meine schönen Glieder
Werden immer, immer wieder
Eingewoben in die Gnade.

Gottes Liebling bist du, Kleiner,
Schatz des Ewigen und meiner,
Bist geschaffen mit den Affen,
Erstem Chaos bist entstiegen,
Wo sich Morgensterne wiegen,
Bist von mir dann neu erschaffen.

Dich betracht ich immer, immer,
Dein Geheimnis weiß ich nimmer,
Warst bei Gott, als Gott dich machte!
Rührst mich an mit deinem Leibe,
Kamest so zu einem Weibe,
Zeigst dich jetzt – und alles lachte!

Bleib doch, rufe ich mit Bangen,
Halte dich im Arm gefangen,
Bleibe bei mir, Gott erbarme,
Welchen Spruch soll ich erfinden,
Magisch dich an mich zu binden,
Daß dich fesseln meine Arme?


WENN MAMA NICHT MEINE MAMMA WÄRE

Nicht meine Mama du – ich sage das bloß so –
Und doch erkenn ich dich, komm ich zu Mama froh.
Doch größer wäre meine Freude,
Wohnst du in anderem Gebäude,
Du wohntest fern von mir, ich blieb alleine hier,
Ich würde hier den ganzen Tag
Das spielen, was ich gerne mag,
Am Abend käme ich in meinem Boot zu dir,
Von hinten schlich ich zu dir hin
Und riefe: Sag mir, wer ich bin!
Dann dächtest du: Den kenn ich doch! Wer ist das bloß?
Dann würd ich fröhlich lachend springen
In deinen Arm, den Hals umschlingen:
Ich bins! Dein Milan, ich! Und spräng auf deinen Schoß.

Wenn Mama Wasser holen geht,
Was glaubst du, wer dann dort am andern Ufer steht?
Und wer da treiben lässt von hier
Ein Schiffchen aus Papier zu dir?
Wer schickte es zu dir, wenn’s übers Wasser weht?
Ich wollte selber gerne kommen,
Wär übers Meer zu dir geschwommen
Von meinem Ufer früh bis an dein Ufer spät.
Ach, ach, dein Ufer wär von meinem ja so weit
Entfernt, o Mama, dass nicht mal im frohen Streit
Wir fangen könnten uns, wir blieben, ach, getrennt!
Tags laufen alle hin und her,
Wir blinzeln nur und sonst nichts mehr.
Am Abend Milan doch zu seiner Mama rennt!

Und wenn der Bootsmann nett, der alte graue Mann,
Zu Mama fahren will ans andre Ufer, dann
Stellst du die Lampe auf das Dach
Und wartest auf dem Bette wach
Und wartetest auf mich, bei dir die Nachbarin.
Die Sterne schon das All erhellten!
Im Walde schon die Füchse bellten!
Es fliegt die Fledermaus leis durch das Dunkel hin.
Und wenn es spät und später wird,
Du denkst, ich hätte mich verirrt.
Dann müsstest, Mama, du zu deinem Milan hasten!
Mit deiner Freiheit wärs dann aus,
Kämst ohne mich du dann nach Haus!
Nein, Milans Arme dann die Mama fest umfassten!


ERINNERUNG AN MAMA

Ich finde meine tote Mama nicht!

Doch wenn in meinem Spielen plötzlich dicht
Bei mir ein wunderschönes Lied erklingt,
Ists mir, als ob da Mama vor mir schwingt.
Sie sang, die Wiege schaukelnd hin und her,
Es blieb das Lied, doch Mama ist nicht mehr!

Ich finde meine tote Mama nicht!

Doch wenn im Herbste abends Blätter dicht
Zur Erde fallen, wehn im Winde hin,
Geht Mama mir nicht mehr aus meinem Sinn.
Hat Mama nicht die Blumen gern gesehn?
Sie scheint mir jetzt im Rosenduft zu wehn!

Ich finde meine tote Mama nicht!

Doch sitze ich auf meinem Bettchen, dicht
Am Fenster, Blicke auf zum Himmel sehn,
Sehe Mama licht ich auf dem Monde stehn!
So liebend sah sie einst mich an zu Haus,
Nun füllt ihr Blick den ganzen Himmel aus!