Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

Confessiones I – Die kommunistische Jugend



Von Josef Maria Mayer


1

Ich schrieb eine Geschichte
Der Rebellion,
Aufstand gegen das Elternhaus,
Gegen Autorität und Hierarchie,
Einen Schrei nach Freiheit,
Nach eigenen Menschenrechten,
Nach Selbstbestimmung
Und Selbstverwirklichung.

Es war ein naiver Anarchismus,
Ich verteidigte die Rechte
Der Ameisen und der Gänseblümchen.

Ich war gegen jede Herrschaft,
Aber eigentlich protestierte ich
Gegen meinen Vater,
Den Bankangestellten,
Den strengen Mann,
Den kaltherzigen, hartherzigen,
Autoritären Mann.

Im Namen meiner Großmutter
Protestierte ich
Gegen meinen toten Großvater,
Den Familientyrannen,
Den Nationalsozialisten.

Mein Vater war Sozialdemokrat,
Aber kein revolutionärer Geist,
Er war ein Pfennigfuchser,
Ein kleingeistiger Geldanbeter,
Ein diesseitiger Genussmensch.

Ich wollte alle Fesseln sprengen,
Die Fesseln der Familie,
Des Staates, des Patriarchats.

Und als meine Verbündeten
In dem persönlichen Krieg
Gegen alle Herrschaft und Vaterschaft
Wählte ich Marx und Engels,
Ohne sie zu kennen,

Ich wusste nur eins: Ihre Ideen
Waren Revolution,
Rebellion, Aufstand,
Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit.

Aber alles in mir war anarchistisch,
Ablehnung jeglicher Herrschaft,
Auch Ablehnung der Herrschaft
Des Menschen
Über die Gänseblümchen und Ameisen.


2

Ich hörte im Radio
Die Nachricht, dass in Polen
Die Gewerkschaft Solidarnosc
Unterdrückte wurde
Durch ein Militärregime.

Da empörte sich mein Sinn
Für Freiheit und Gerechtigkeit
Und ich war gegen das Militär,
Gegen General Jaruselzki
Mit der ewigen Sonnenbrille.

Im Gymnasium
Schrieb ich in Gemeinschaftskunde
Einen Aufsatz und unterzeichnete
Mit dem Zeichen der Anarchisten.
Der Lehrer sprach mich an,
Ob ich wüsste, was Anarchie sei.
Er empfahl mir das Buch:
Der kurze Sommer der Anarchie
Von Hans Magnus Enzensberger.

Der Lehrer war also ein Rebell,
Ein Anarchist, ein Linker.
Mit meiner Freundin Hedda
Besuchte ich den Lehrer
In seinem alten Bauernhaus.

Ich hatte einen Text geschrieben
Über die Gewissensprüfung
Eines Kriegsdienstanwärters,
Einen satirischen Dialog.
Den zeigte ich dem Lehrer
Und er wies mich an eine Zeitung
Der Friedensbewegung,
Von linken Lehrern geleitet.

Ein andrer Lehrer war neu
Am Gymnasium
Und ihm drohte Berufsverbot,
Weil nicht sicher war,
Daß er das Grundgesetz schätzte,
Denn er war in seiner Jugend
Maoist in Westberlin gewesen.

Es gab Proteste gegen das Berufsverbot
Und der Lehrer wurde angestellt
Und wurde mein Lehrer
In Gemeinschaftskunde und Politik.


3

Bei meiner Freundin Hedda
Fand ich Maxim Gorkis Roman
Die Mutter.

Ich bekam eine romantische Vorstellung
Von der russischen Revolution.
Die Kommunisten waren Kämpfer
Für die Freiheit des Volkes.
Hier war Solidarität,
Tapferkeit und Mut,
Heißes Verlangen nach Freiheit
Und Gerechtigkeit auf Erden.

Vor der Mutter Heddas
Nahm ich den Namen Lenin
Preisend in den Mund.
Sie sagte zu meinem Erstaunen:
Was war denn so schlecht am Zaren?
Das schien mir eine absurde Frage.
Der Zar, die Monarchie,
Das war für mich Despotismus,
Tyrannei und Sklaverei.

Es fand ein Treffen statt
Der Friedensbewegung
Gegen die amerikanischen Raketen,
Die in der Bundesrepublik Deutschland
Stationiert werden sollten.

Ich fuhr mit Hedda zu dem Treffen.
So kam ich zur Friedensbewegung.
Dort trafen sich Sozialisten,
Kommunisten,
Naturschützer, Pazifisten,
Liberale Christen,
Sie protestierten gegen die Rüstung,
Gegen die Drohung
Eines dritten Weltkriegs,
Eines atomaren Weltkriegs.

In der Schule
Sahen wir einen Film
Über die Folgen eines Atombombenabwurfs
Und es entsetzte mich
Und ich wollte meine Jugend investieren,
Zu kämpfen gegen die Atombombe.

Amerika und die Sowjetunion
Wetteiferten in der atomaren Rüstung
Und ich war gegen alle Waffen
Und war ein Pazifist.


4

In der Friedensbewegung
Lernte ich Martin kennen,
Einen trotzkistischen Marxisten,
Er lud mich zu sich ein.

Seine Schwester Ursel war sehr schön,
Mit langen glatten schwarzen Haaren
Und schwarzen Augen und weißen Zähnen,
Ich verließ Hedda,
Um Ursel zu lieben.

Ursels Mutter war Christin,
Sie sagte: Jesus gebot:
Wenn dich einer auf die eine Backe schlägt,
So halt ihm auch die andere Backe hin.
Darum ist das atomare Wettrüsten
Amerikas und Russlands gottlos.

Aber Martin erklärte mir,
Amerika sei aggressiv
Und Sowjetrußland
Verteidige sich nur.

Amerikanische Atomraketen
Seien gegen den Frieden,
Sowjetische Atomraketen
Erhielten den Frieden.

Und Martin gab mir zu lesen
Das Kommunistische Manifest
Und des bulgarischen Stalinisten
Dimitroff Reden
Gegen den Faschismus
Und Lenins Analyse
Der Ökonomie des Imperialismus.

Und ich las Lenin
In Ursels Zimmer
Und verstand kein Wort
Von der marxistischen Ökonomie
Und schaute nur Ursels Augen
In Verliebtheit an.

Dann sagte mir Martin,
Es werde jetzt gegründet
Eine sozialistische Jugendgruppe
Und er lud mich ein
Zum ersten Treffen
Der sozialistischen deutschen Arbeiterjugend.


5

Da saßen wir im Jugendzentrum
Und gründeten den Ortsverein
Der sozialistischen deutschen
Arbeiterjugend,
Lauter Gymnasiasten.

Thomas liebte das Militär,
Die Rote Armee
Im Großen Vaterländischen Krieg.

Werner war der Sohn
Eines Fabrikarbeiters.

Volker war der Sohn
Einer Katholikin,
Die zu Pax Christi gehörte,
Und er stritt sich oft
Mit seiner christlichen Mutter.

Ein Landesvorsitzender
Kam aus Bremen
Und erklärte uns das Bekenntnis
Der sozialistischen Jugend.

Die Mutterpartei
War die deutsche kommunistische Partei.

Deren Ortsvorsitzende
War die Rote Regina.
Sie schimpfte auf die Polacken,
Die katholischen Polen,
Die Väterchen Stalin
In ihre Grenzen verwiesen.

Aber die sozialistische Jugend
Trat ein für die Rechte der Jugend,
Für gerechten Lohn,
Für die internationale Solidarität
Mit den Befreiungsbewegungen
In der dritten Welt,
Für Frieden und Abrüstung,
Für die Rechte der Frau.

Wir gründeten unsern Ortsverein
Und wählten einen von uns
Zum großen Vorsitzenden,
Einen zum Kassierer,
Einen zum Protokollanten.


6

Wir waren immer nur drei,
Drei oder vier Leute.

Thomas kochte schwarzen Tee
Und bot uns Kekse an.
Bevor er Kommunist geworden,
Ritzte er in die Schulbank
Hakenkreuze der Nationalsozialisten.
Er liebte die nationale Volksarmee
Der deutschen demokratischen Republik.
Er sagte, er habe einmal
Den Jungfraunberg in den Alpen
Bestiegen, die Jungfrau bestiegen.
Er war von keinem großen Intellekt.

Werner war ein echtes Arbeiterkind,
Er war der Kassierer der Gruppe.
Die Mitgliedsbeiträge
Bezahlte keiner gerne.
Wir mussten aber Marken
Ins Parteibuch kleben.
Werner lernte Ute kennen,
Die war aus katholischer Familie,
Kam nicht zur sozialistischen Jugend.
Werner ist später Lehrer geworden
An einer praktischen Berufsschule.
Ute aber führte mich
Zu den Leiden des jungen Werther,
Die ich in Oldenburg las.

Volker war der Vorsitzende,
Ein intellektueller Mensch,
Rational und logisch denkend.
Wir liebten ideologische Diskussionen
Über die wissenschaftliche Weltanschauung,
Hegels Dialektik,
Vom Kopf auf die Füße gestellt
Durch Lenins Materialismus.
Volker brachte Sonja herbei,
Das wilde revolutionäre Flintenweib,
Mit großen Brüsten und kleinem Mund.
Volker ging später nach Bremen
Und wurde Doktor der Physik,
Gab sich mit Rechenmaschinen ab
Und spottete über die Christen,
Die immer aussehen wie das Leiden Christi
Und immer Halleluja singen...

Ich schrieb vor allem die Flugblätter,
Pamphlete der Propaganda
Und pseudowissenschaftliche Abhandlungen
Der leninistischen Ideologie.


7

Ich traf Sonja
In der Diskothek.
Wir waren beide betrunken
Und tauschten Tabak aus,
Gingen hinaus in die Nacht,
Standen auf dem Deich
Am Strande der Nordsee
Und küssten uns.

Wir wurden ein Paar,
Einen Winter lang.
Ich beschaute die großen Glocken
Und küsste den kleinen Mund
Und sie bekam dafür
Von mir geschrieben
Einen Aufsatz in deutscher Literatur.

In diesem Winter las ich
Russische Tiergeschichten.
Wir gingen spazieren
Im schneidenden Frost
Auf knirschendem Schnee.

Sie war die Tochter
Eines Gastwirts
Und war dem Wodka hold,
Wie ich dem Wodka hold.

Sonja, russische Seele,
Revolutionäres Flintenweib!

Eines Tages
Besuchte ich Genosse Volker,
Fand ihn nackt auf seinem Bette
In den Armen der nackten Sonja.

Russische Tiergeschichte
Im russischen Winter:
Ich war ein Steppenwolf
Und heulte den Mond von Asien an
Und ersäufte meine Seele
In der russischen Seele aus Wodka.

Alle Weiber sind Gemeingut
Wie in Platons Staat
So auch im Kommunismus.

Volker blieb mein Freund
Und Sonja meine Genossin,
Aber es gelang mir nicht mehr,
Sie niederzuziehen auf mein Bett.


8

Ich las die Biographie Lenins.
Wladimir Iljitsch Uljanow
Hatte einen älteren Bruder,
Der war ein Terrorist
Und schoß den Zaren Alexander an
Und wurde deswegen zu Tode verurteilt
Und hingerichtet.

Wladimir Iljitsch Uljanow
Dachte, der Terrorismus
Sei nicht der richtige Weg
Zur Beseitigung der Zarenherrschaft.
Es muß eine Partei geben
Und eine politische Führung
Der gesamten Arbeiterklasse.

Lenin war in der Schweiz
Und sammelte Pilze.

Lenin traf Inès Amand,
Eine französische Kommunistin,
Die von der freien Liebe sprach,
Doch Lenin meinte,
Die freie Liebe sei bürgerlich.
Das revolutionäre Russland
Aber liebt sich in der Ehe.

Ein Baum ward gefällt,
Doch Lenin sprach:
Man soll die Bäume nicht fällen.

Lenin kam pünktlich
Zur Versammlung
Und Stalin staunte darüber,
Denn Stalin dachte sich:
Große Männer
Müssen zu spät kommen.

Lenin warnte die Partei
Noch auf dem Sterbebett
Vor dem grausamen Stalin.

Stalin war der Böse,
Lenin aber war ein Befreier,
Ein Messias aller Völker,
Ein revolutionärer Anti-Messias!


9

Die deutsche kommunistische Partei,
Eine unbedeutende Sekte,
Wurde geführt
Von der roten Regina von Norderney.

Sie war eine kleine alte Frau,
Krumm und bucklig,
Mit grauen Glubschaugen,
Einer Warze auf der Nase
Und einer schrillen Elster-Stimme,
Ganz wie die Hexe
In den Träumen meiner Kindheit.

Sie hielt nichts von den jungen
Und wilden Revolutionären,
Die doch nur liebten Wein, Weib und Gesang
Und kannten keine Disziplin.

Sie erzählte von der guten alten Zeit
Der kommunistischen Partei Deutschlands,
Als der Terror der Nationalsozialisten begann,
Versteckten die Kommunisten
Stalins gesammelte Werke
Unter den Dielen eines Tanzschuppens.

Nach der Befreiung vom Faschismus
Durch die heldenhafte Rote Armee
Im Großen Vaterländischen Krieg
Unter Führung des Generalissimus Stalin

Wurden die gesammelten Werke
Stalins wieder hervorgeholt.
Die besaß die rote Regina,
Alte braune Lederschinken
Mit der gesammelten Dummheit Josefs.

Stalin war als Mönch erzogen
In Georgien, lief davon
Und wurde Terrorist
Und besorgte den Bolschewisten
Geld durch Banküberfälle.

Er ließ sich anbeten
Als einen Vatergott
Und machte den Kommunismus
Zu einer Gegen-Religion,
Einen Glauben ohne Gott,
Mit einem Menschen als Gottherrn,
Ein wahres antichristliches
Gegengöttliches Heilssystem

Mit infernalischem Haß
Auf den russischen Christus.


10

Ich erinnere mich,
Wir saßen in einer Gaststätte,
Arbeiter saßen beim Bier,
Wir schwatzten
Jugendlich töricht
Pseudophilosophischen Tiefsinn.

Einer sagte: Der Urkommunismus
Hat viele Propheten,
Platons Staat
Ist eine Utopie,
Utopia von Thomas Morus,
Das Neue Atlantis
Und der Sonnenstaat.

Es gab sozialistische Utopisten,
Saint-Simonisten,
Französische Revolutionäre
Und die Pariser Kommune
Mit Arthur Rimbaud.

Ich sagte: Alles Unsinn!
Vor Karl Marx
Gab es keinen Kommunisten.
Alle diese Propheten
Sind bloße Utopisten,
Bürgerliche Träumer.
Erst Karl Marx entdeckte
Die historische Gesetzmäßigkeit
Und die revolutionäre
Macht der Arbeiterklasse.

Hegel und seine Dialektik,
Von Lenin auf die Füße gestellt!
Bachofen und sein Matriarchat
Und das Matriarchat der Huronen
Von Engels gedeutet
Auf den Urkommunismus!
Feuerbach und seine Religionskritik
Von Marx vollendet
Im wissenschaftlichen Atheismus!

Platon und sein Staat?
Thomas Morus und sein Utopia?

Das alles ist der alte Bund
Der unvollkommenen Propheten.
Mit Karl Marx und Friedrich Engels
Und dem Kommunistischen Manifest
Beginnt die Zeit des Heils,
Da die Arbeiterklasse
Unter Führung der Partei
Das Paradies auf Erden stiftet.


11

Wir saßen in einer Wohnstube,
Die rote Regina
Und die jungen wilden Revolutionäre.

In der Bundesrepublik Deutschland
Waren die Christ-Demokraten
An die Macht gekommen,
Geführt vom rheinischen Katholiken
Kohl, der wegen seiner Form
Von uns ward spöttisch Birne genannt.

Nein, die Bäume
Der Christ-Demokraten
Wachsen nicht in den Himmel.

Die Christ-Demokraten
Wollten amerikanische Raketen
Auf deutschem Boden.
Kriegstreiber! Aggressoren!
Knechte des Finanzkapitals!

Wir jungen Wilden
Traten ein in die Partei
Der westdeutschen Kommunisten.

Mein Vater fand
Mein rotes Parteibuch,
Das müsse ich selbst bezahlen,
Rief er, das finanziere er nicht.

Fortan am Mittagstisch
Der atheistischen Familie
Stritten Vater Sozialdemokrat
Und Söhnchen Kommunist.

Meine Mutter aber sagte:
Die schreckliche rote Regina,
Dieses schreckliche Weib
Mit der schrillen kalten Stimme
Will dich wieder sprechen!

Meine liebe Großmutter sagte:
Bist du einer von Jesus?
Ich leugnete Jesus: Nein,
Ich bin ein Kommunist.
Und meine liebe Großmutter sagte:
Pfui, ein Kommunist,
Mein Junge, lies den Psalm
Vom Guten Hirten!


12

Lenin und seine Bolschewiki
Hatten eine Zeitung
Namens Iskra, der Funke.

Wir hatten auch eine Zeitung
Und nannten sie: Funke
Und wählten als Motto
Ein Zitat von Lenin:
Von diesem Funken
Wird ein Feuer ausgehen,
Das die ganze Welt verändert.

Archimedes sagte:
Gebt mir einen Punkt,
Daß ich die ganze Welt bewege.

Dieser kleine Punkt
Und dieser winzige Funke
Waren die drei Gymnasiasten
In Ostfriesland
An der Nordseeküste.

Von Norden an der Nordsee
Soll die Weltrevolution ausgehen.

Die hatte immerhin schon stattgefunden.
Lenin, unser Idol,
Und seine bolschewistische Bande
Hatte die russische Irrlehre
Ausgebreitet über die Hälfte der Welt,
Von Russland bis Angola,
Von China bis nach Kuba
Herrschte die kommunistische Partei.

Im Kunstunterricht der Schule
Sollten wir einen Holzschnitt machen
Von einem Familienmitglied.
Ich machte eine weltliche Ikone
Vom Antlitz Lenins
Und nannte ihn: Großvater Jan.
Der Lehrer sagte:
Das ist doch nicht dein Großvater Jan,
Das ist doch Lenin.

Ein plattdeutscher Heimatdichter
Nannte mich verächtlich
Einen Möchte-gern-Lenin.

Lenin war ein Idol,
Ein atheistischer Halbgott,
Ein Gegen-Messias.


13

Ostern ist gekommen!
Was macht ein Kommunist
Am heiligen Ostersonntag?
Er marschiert
Auf dem Ostermarsch
Der Friedensbewegung
Für die atomare Abrüstung.

Da marschierten Ostern
Tausende, Zehntausende,
Linke Sozialdemokraten,
Gewerkschafsfunktionäre,
Kommunisten, Sozialisten,
Marxisten, Leninisten,
Trotzkisten, Maoisten,
Umweltschützer, Pazifisten,
Linkskatholiken,
Evangelische Friedensbewegte.

Alle waren vereint in dem Wunsch,
Keine amerikanischen Atomraketen
Auf deutschen Boden
In der Bundesrepublik Deutschland.
Uneins waren sie in der Frage,
Ob russische Atomraketen
Auf deutschem Boden
In der Deutschen Demokratischen Republik
Gerechtfertigt seien.

Auch im sozialistischen Deutschland
Gab es eine Friedensbewegung.
Ihr Motto stammte
Vom Propheten Jesaja:
Schwerter zu Pflugscharen!

Aber ich erinnere mich
An ein Treffen
Der westdeutschen Kommunisten
In Bremen, da ich hörte,
Die westliche Friedensbewegung
Sei von Kommunisten zu stärken,
Die ostdeutsche Friedensbewegung
Sei konterrevolutionär
Und antikommunistische Propaganda.

Die größte Friedensbewegung
Der ganzen Menschheit
Der internationalen Arbeiterklasse
Sei schließlich die Rote Armee
Der ruhmreichen Sowjetunion.


14

Hoch die internationale Solidarität!

In Südafrika
Am Kap der guten Hoffnung
Herrschten die Weißen
Und versklavten die Schwarzen.
Apartheid nannten die Weißen das,
Die menschenfeindliche Rassentrennung.

Gegen die Apartheid kämpfte
Der Afrikanische National-Congreß,
Geführt vom Rechtsanwalt
Nelson Mandela,
Der zwanzig Jahre im Gefängnis saß
Auf einer Gefängnisinsel.

Gegen die Apartheid
Erhob die Stimme
Der schwarze anglikanische Bischof
Desmond Tutu.

Auch in Deutschland
Gab es eine Bewegung
Der Solidarität
Mit den Schwarzen Südafrikas.

Keiner soll die Orangen kaufen
Der Weißen Südafrikas!
Boykottiert die Rassisten!

Schwarze Chöre kamen
Und sangen in Deutschland
Die harmonischen und melodischen
Chorgesänge der Schwarzen.

Ich schrieb ein Theaterstück,
Und mit einer Gruppe
Junger weißer Frauen –
Tanja war sehr schön –
Führten wir das Stück auf,
Den Tanz der Orange.

Ich schrieb ein Gedicht
Für Nelson Mandela,
Eine Hymne an die Freiheit,
Und klebte es auf Plakaten
An die deutschen Sparkassenhäuser.


15

Hoch die internationale Solidarität!

In Nicaragua herrschte
Der Diktator Somoza.
Dagegen kämpften die revolutionären
Sandinisten,
Die Söhne und Töchter Sandinos,
Mit revolutionären Waffen
Im Guerilla-Krieg.

Der Priester Ernesto Cardenal
Und seine Genossen Befreiungstheologen
Segneten die revolutionären Waffen.
Denn das war ihnen eins:
Kommunion und Kommunismus.

Das revolutionäre Flintenweib
Gioconda Belli
Schrieb die erotische Lyrik
Der revolutionären freien Liebe.

Ich und meine Genossen,
Von Moskau ferngesteuert,
Machten eine Aktion
Auf dem Marktplatz,
Geld zu sammeln,
Almosen der reichen Spießbürger,
Um Waffen zu kaufen,
Waffen für die Sandinisten,
Waffen für Nikaragua.

Ernesto Cardenal
War ein Christ,
Den die Kommunisten schätzen,
Wegen seines Kommunismus,
Nicht wegen seines Christentums.
Kuba war ihm das Paradies,
Die himmlische Zuckerinsel.

Sandino und Jesus
Waren seine Revolutionäre.
Die alten Götter der Indianer
Waren subversive
Guerilla-Krieger für die Freiheit.

Pablo Neruda schrieb
Den Canto Generale
Der südamerikanischen
Revolution.

Und Mikis Theodorakis,
Griechischer Kommunist,
Komponierte den Canto Generale
Zu einer revolutionären Volksoper.


16

Die Revolution, die Revolution
War so romantisch!
Wir spielten Revolution,
Robin Hood, Klaus Störtebecker,
Schinderhannes, Robespierre!

Der Zar aller Russen,
Ein grausamer Despot!
Sankt Nikolaus der Zweite,
Ein brutaler Sklavenhalter!

Kerensky hat ihn gestürzt,
Darum hat die Kirche
Kerensky das Begräbnis verweigert.

Die Sozialisten, Sozialrevolutionäre,
Menschewiki, Sozialdemokraten,
Bürgerliche und Anarchisten,
Alle fegte Lenin weg!

Die revolutionäre Arbeiterklasse
Ist Person geworden in Lenin.

Am siebenten November
Machte Lenin seinen Putsch.

Der Zar ward erschossen.

Lenin rief die Sowjetrepublik aus.
Trotzki war Kriegskommissar.

Trotzki bekämpfte
Die Matrosen von Kronstadt.

Der Rote Terror ward ausgerufen!
Das gefiel Josef Stalin.
Die Weißgardisten
Und ausländischen Mächte
Wurden besiegt.

Der Thron war gestürzt,
Jetzt ward der Altar gestürzt,
Lenin nahm das Gold
Der Ikonen, Kelche und Priestergewänder
Und gab das Kirchengold
Der Kasse des Kriegskommunismus.

Es waren die Wehen einer neuen Zeit.
Majakowski verkündete
Das Paradies auf Erden
Für die Proletarier aller Völker.


17

Ich las die Gedichte
Von Mao Tse Tung.
Chinesische Lyrik!

Die Ideen
Mao Tse Tung’s
Sind eine geistige Atombombe!

Mein Lehrer in Politik
Lud mich ein,
In seiner Bibliothek zu stöbern.
Da fand ich Mao,
Seine philosophischen Aufsätze
Über die marxistische Dialektik.

Philosophie!

In China tragen alle Chinesen
Blaue Arbeiterkittel.
Auch ich trug einen blauen
Arbeiterkittel
Mit rotem
Stern am Revers.

Mao Tse Tung
Schwamm durch den Yang-tse,
Den Blauen Strom.

Mao Tse Tung
Besiegte die Hungersnot,
Durch klappernden Lärm
Scheuchte man die Spatzen auf,
Sie ließen sich aus Angst
Nicht nieder auf den Zweigen
Und fielen vor Schwäche
Vom Himmel in die Pfannen.

Mao Tse Tung,
Ein Lyriker, ein Philosoph,
Ein Massenmörder!

Während der Kulturrevolution
Fraßen die Bauern Ratten
Und Mütter ihre toten Babys!

Kulturrevolution in China,
Roter Terror der Roten Garden!
Kulturrevolution in Berlin,
In Deutschland riefen die Studenten:
Mao, Mao, Mao Tse Tung!

Die Mao-Bibel
Schenkte Blinden das Augenlicht
Und ließ Lahme hüpfen,
Hüpfen wie Hirsche über die Höhen.


18

Auch ich war auf dem Festival der Jugend!
Moskau, das dritte Rom,
Moskau finanzierte
Das internationale Jugendfest.

Revolutionäre Jugendliche
Aller Herren Länder
Waren in Dortmund versammelt.

Sängerinnen sangen:
Neue Männer braucht das Land!

Kurden kochten leckere gegrillte Speise.

Russische Folkloregruppen
Tanzten zur Balalaika.

Sandinos Jugend war da
Mit ihren gesegneten Waffen.

Aus der Ukraine kam die Nachricht,
Ein sowjetisches Atomkraftwerk
Habe radioaktive Strahlen
Über Europa ausgestrahlt.

Volker, Werner und ich,
Wir tranken Bier
In revolutionären Bacchanalien.

Ich sog an Karins Brüsten.

Überall Lehrveranstaltungen
In Fragen der politischen Ökonomie,
Der Agitation und Propaganda,
Der materialistischen Philosophie,
Der historischen Dialektik.

Vietnamesen
Boten Kichererbsen an.

Die marxistisch-leninistische
Jugend Angolas war da
Und der Afrikanische National-Congreß
Vom Kap der guten Hoffnung
Mit seinen Chören.

Karl Marx prophezeite:
Wenn bei allen Völkern
Das Prinzip der Arbeit herrscht,
Wird Friede auf Erden sein.

Dann wird die Menschheitsfamilie
Eine kommunistische Union sein.


19

Ich habe von Erich geträumt,
Von Erich mit dem roten Bart,
Dem Kaiser Barbarossa.

Wir flohen vor der Schule,
Um frei zu sein.
Er dichtete plattdeutschen Blues
Und ich las Lenins Schriften.

Erich war ein Anarchist,
Bakunin und Erich Mühsam,
Ché Guevarra sein Idol.

Wie Ché mit seiner Zigarre,
Seiner dicken Havanna,
So Erich mit seiner Pfeife,
Seiner langen Haschisch-Pfeife.

Erich sagte: Ich bin zwei,
Bin Er und Ich.

Er las das Tagebuch
Von Ché Guevarra,
Das Fidel Castro
Zensiert und stilisiert.

Originalton Ché Guevarra:
Wir müssen der Jugend,
Der revolutionären Jugend,
Einen abgrundtiefen
Klassenhass schenken,
Haß auf den Klassenfeind!
So werden die Jugendlichen
Kalte Tötungsmaschinen!

Da sagte Rudi Dutschke,
Der Führer der Studenten:
Das kann man so nicht stehen lassen,
Das müssen wir kommentieren.

Erichs Vater
War ein Versicherungskaufmann
Und der Vater stellte den Sohn an
Als Versicherungsvertreter.

Ich träumte, Erich wäre gestorben.
Erich, der so gerne Blues gespielt,
Mit dem ich oft gespielt
Den Blues.


20

Ich war in Leverkusen
In einer Schule der Partei
Und studierte dort
Die politische Ökonomie
Des Marxismus.

Entfremdete Arbeit
Schafft Mehrwert,
Der abgeschöpft wird als Profit.

Ein Genosse sagte zu mir:
Genosse, du bist so strong,
Genosse, du bist so soft.

Dann war ich auch in einer Schule
Der Freien Deutschen Jugend
In der Deutschen Demokratischen Republik
Und studierte dort
Den dialektischen Materialismus.

Die Urgesellschaft
War primitiver Kommunismus.
Dann kam die Sklavengesellschaft,
Daraufhin der Feudalismus.
Mit der französischen Revolution
Begann die Bürgergesellschaft,
Da das Kapital herrscht
Über das Proletariat.
Der historischen Notwendigkeit nach
Wird die Bürgergesellschaft
Abgelöst vom Sozialismus
Der revolutionären Arbeiterklasse,
Abgelöst von der Diktatur
Des Proletariats,
Die übergeht in den Kommunismus,
Das menschengemachte
Paradies auf Erden.

Sonja war auch in der Schule.
Nachts in einem See
Ging ich mit Sonja baden.

Ich sang die ganze Zeit
Dies schlichte Lied:
What have they done to my song, Ma?


21

Als alter Partei-Veteran
Und Haudegen aus dem kalten Krieg
Durfte ich Urlaub machen
In Grünheide bei Berlin.

Da war ich jung allein
Im Kreis von Veteranen,
Die hatten noch erlebt
Die Illegalität
Der Kommunistischen Partei Deutschlands
Unter Adenauers Regierung.

Ich spielte Schach
Mit den alten Veteranen.

Wir gingen im Wald spazieren,
Da roch es nach Pilzen.

Im Kindergarten
Jenny Marx
Sah ich keine Kinder.

Ich ging in die Bibliothek
Und fand dort Hölderlin
Und das Hohelied Salomos.

Hölderlin schwor
Unwandelbare Liebe
Dem Genius der Wahrheit!
Modert, Knechte,
Über euern Gräbern
Steigt lächelnd der Friede auf!
Sei mir gegrüßt,
O Göttin der Muße!

Das Hohelied Salomos
Las ich zum ersten Mal,
Es war ein schönes Buch,
Eine Liebhaber-Ausgabe,
In schöner, farbiger Handschrift.

Was für ein Liebeslied!
Was für eine Ekloge
Von verliebten Schäferinnen!

Im Restaurant bediente
Eine schöne Kellnerin,
Schlank wie eine Palme,
Jung und reizend und charmant.


22

Auch ich war in Arkadien!
Ich habe Prag gesehen!

Libussa, meine Liebe,
Libussa, tanze!
Tanze, Laurentia,
Liebe Laurentia, tanze!

Der heilige König Wenzel
Und seine heilige Großmutter
Mögen mich segnen!

Sankt Nepomucken
Auf der Brucken
Vertraue ich
Die wilden Sünden
Meiner törichten Jugend!

Die Theyn-Kirche sah ich
Und stand vorm Altar
Und sah Maria-im-Schnee!

Im Goldenen Gässchen
Ging ich mit Kafkas Schatten,
Tycho von Brahe
Machte Gold für den Kaiser.

Den Hradschin sah ich,
Doch keinen Habsburger Kaiser.

Mit Prager Poeten
Trank ich weißen Wein
Im Straßen-Café.

Und ich schaute den Mädchen nach,
Den rosigen Mädchen,
Den flatternden Schmetterlingen,
Denn ich war eine Blume,
Die von Falter zu Falter flatterte.

Ich erhebe mein Kelchglas
Mit dem weißen Wein
Der Marke Poesie
Auf Marie im Schnee!

Maria im Schnee,
Segne alle blühenden Mädchen,
Alle Mädchen im Blütenschnee!

Und nun beuge ich mein Knie vor dir,
O Prager Jesulein,
Du heimlicher Kaiser der Geschichte!