Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

JOSEF UND SULEIKA




Von Dschami
Frei nachgedichtet
Von Josef Maria Mayer


ERSTER GESANG


In Schweigen und Öde, ohne Dasein,
War die Welt noch verborgen im Nichts,
Noch paarten sich die Körper nicht,
Noch klang kein fröhliches Du und Wir,
Die Schönheit wurde noch nicht angeschaut
In dem Licht, das nur die Schönheit bestrahlte,
Sie war eine schöne Geliebte, verborgen,
Von jedem Makel frei,
Kein Spiegel spiegelte ihr Antlitz,
Kein Kamm fuhr durch ihre schönen Haare,
Kein Ostwind wühlte in ihren Locken,
Kein Staubkorn flog in ihr Auge,
Ihre Rose lockte noch keine Nachtigall,
Kein Wind hob der Rose grünes Kleid,
Auf ihren Wangen war kein Muttermal
Und selbst im Geist beschaute sie kein Auge.
Sie war mit sich allein, liebkosend die Liebe,
Sie wob sich selbst das Band der Einheit.
Doch wo die mächtige Schönheit gebietet,
Da zürnt sie, wenn sie ein Schleier verhüllt,
Die Schönheit erträgt die Verhüllung nicht.
Schließt du die Tür, so flüchtet sie aus dem Fenster.
Schau die Tulpe an, die auf dem Hügel blüht,
Kaum lachte der Frühling wieder,
So drang sie aus dem Boden hervor
Und zeigte sich in ihrer Schönheit.
Wenn dir Vernünftiges in die Seele dringt,
Dann sperrst du dich gegen das Vernünftige nicht,
Du hörst ihm zu und sprichst davon.
Das ist das Gesetz der Schönheit,
Denn die ewige Schönheit selbst gehorcht,
Sie kam vom Heiligen Land und ging ins Zelt
Und zeigte sich den Engeln und der Schöpfung.
Aus jedem Spiegel schaute ihr Bild
Und überall ertönt ihre liebliche Stimme,
Ein Schimmer von ihr fiel auf die Engel
Und sie drehen sich tanzend wie die Sphären,
Die Heiligen, die nur Heiliges lieben,
Rufen laut ihr Halleluja!
Auch auf die Rose fiel ein Strahl der Schönheit
Und Glut von ihr in den Busen der Nachtigall.
Am Strahl der Schönheit entzündete sich das Licht
Und verbrannte hundert Schmetterlinge,
Ein Funke fiel auf die Sonne
Und aus dem Wasser tauchte die Lotosblume.
Das Antlitz der Schönheit glich Laylas Wangen,
Darum sehnte sich Medschnun nach Laylas Haaren.
Die Schönheit öffnete Schirins Zuckerlippen
Und sie raubte Ferhads Herz.
Josef, Kanaans Mond, hob sein Haupt
Und raubte Suleikas Sinne.
Überall zeigte sich der Schimmer der Schönheit,
Wenn sie sich irdischen Menschen auch verbirgt,
Sie trägt den Schleier, der Verborgnes enthüllt,
Sie lenkt das Schicksal der liebenden Herzen.
Das Herz lebt nur durch die Liebe
Und allein die Schönheit tröstet die Seele.
Das Herz, allein der Schönheit zugewandt,
Ist, sich selber unbewusst, nur in die Schönheit verliebt.
Gib keiner Irrlehre Raum,
Wir lieben die Schönheit, sie schenkt ihre Reize.
Wer schön ist, der ist liebenswert,
Du stammst von der Schönheit, sie gab dich der Welt.
Du bist der Spiegel, die Schönheit das Bild,
Du bist der Schleier, sie die Offenbare.
Ja, die Schönheit gleicht selbst einem Spiegel,
Ist der Schatz, der im Geheimen ruht.
Wir Wesen der Muße,
Auf Erden herrscht nur der Wahn!
Still, sonst nimmt kein Ende das Märchen,
Gottes Zunge braucht keinen Dolmetsch.
Wer liebt, der hat das Beste getan,
Denn ohne Liebe ist das Dasein nur Wahnsinn!



ZWEITER GESANG


Ein Herz ohne Liebe ist kein Herz,
Ein Körper ohne Liebeskummer ist nichts als Staub.
Wende dich den Schmerzen der Liebe zu,
Die Welt der Liebe ist eine Welt der Schönheit!
Jedem Herzen werde Liebesleid zuteil,
Kein Herz auf Erden soll ohne Liebe sein!
Die Himmel drehen sich im Taumel der Liebe
Und Streit von Liebenden erfüllt die Erde.
Wenn dich die Freiheit lockt, sei Sklave der Liebe,
Wenn dich die Wollust reizt, gedenke der Liebesleiden!
Berauschend entflammt dich der Wein der Liebe,
Sie leiht dir Bewusstsein und Mut.
Das Wort der Liebe verjüngt den Verliebten
Und bringt ihm unsterblichen Nachruhm!
Diesen Becher voll Wein hat einst Medschnun geleert,
Er ist nun berühmt auf Erden und im Himmel.
Tausende kluge Männer
Gingen zugrunde, weil sie die Liebe nicht hatten!
Ihr Name schwand wie ihre Fußspur im Sand,
Ihre Märchen sind gelöscht aus dem Buch der Zeiten,
Viel schönes Gevögel flattert noch heute,
Von denen das Volk nichts weiß.
Wenn ein fühlendes Herz von Liebe spricht,
Sprichts von Schmetterlingen und Nachtigallen.
Kennst du auch hundert Künste,
Allein die Liebe macht dich von dir selber frei!
Erfahre die Liebe, ja, selbst die sinnliche Liebe,
Die sinnliche Liebe bahnt den Weg zur wahren Liebe!
Wenn du nicht erst das A und B lernst,
Wie willst du dann die Heilige Schrift verstehen?
Es bat ein Jünger einst den Meister,
Daß er ihn führe die Wege der Weisheit.
Der Meister sprach: Du liebst nicht!
Geh, lerne erst zu lieben, und dann komm wieder!
Wenn du nie den Becher des Ideals geleert,
Schmeckst du auch nicht die Hefe der Sinne,
Doch bleibe nicht beim Ideal alleine stehen,
Sondern eile über die Brücke,
Bleibe nicht am Anfang der Brücke stehen,
Willst du das Ziel der Reise erreichen.
Gott sei Dank! Seit mich die Erde trägt,
Wandle ich immer auf dem Pfad der Liebe!
Kaum sah die Amme meine Nabelschnur,
Durchtrennte sie die Nabelschnur mit dem Schwert der Liebe!
Kaum gab die Amme mir die Milch,
Schon trank ich blutigen Trank der Liebe!
Sind die Haare meines Bartes schon weiß wie Milch,
Doch wohnt die Lust der Liebe in meiner Seele!
Dichter, du bist grau geworden im Dienst der Liebe,
Ermanne dich und stirb aus Liebe!
Singe ein Märchen von der schönen Liebe,
So wird die Nachwelt deinen Namen preisen.
Dein geschickter Pinsel male ein Bild,
Das bleibt, wenn du schon nicht mehr da bist.
Als ich diesen Ruf der Liebe hörte,
Bot mein Geist der Liebe Willkommen,
Meine Seele folgte dem Befehl
Und brachte ein neues Zauberwerk hervor.
Wenn mir der Himmel seinen Segen gibt,
Trägt meine Palme einst die Feige der Weisheit!
Mit glühendem Herzen schaff ich zärtliche Worte,
Denn der Geist entflammt das Zärtliche nur.
Mit Weihrauch erfüll ich den Himmel,
Daß Tränenregen von den Sternenaugen strömt.
Die Worte setze ich so,
Daß mir der Himmel Beifall klatscht!


DRITTER GESANG


Das Vorwort dieses Diwans der Liebe
Und der Erstling im Garten der Liebe ist das Wort!
Die Weisheit aller Weisheiten ist das Wort,
Ewiger als die Erde ist das Wort.
Was Altes und Neues in der Schöpfung ist,
Ist alles geschaffen vom Wort.
Dem Schreibrohr rief das Wort: Es werde!
Da floss eine Quelle aus seinem Auge.
Was Hohes und Niedriges ist in der Welt,
Berauscht sich an dieser plaudernden Quelle.
Spricht der Mund dies Quellenplaudern aus,
Wird das Wort zur Rose im Garten der Sinne.
Flattert der Hauch des Geistes um seines Rockes Saum,
Führt es aus dem Garten der Rosen,
Leitet es zur Pforte unseres Ohres,
Über seine Ankunft staunt die Weisheit selbst!
Die Seele beeilt sich, das Wort zu empfangen,
Und bringt das Herz dem Worte dar.
Die selige Lippe lacht dem Worte zu,
Bald tropfen Schmerzensregenströme aus den Augen.
Der Mund des Traurigen lächelt,
Der Lachenden Lippen weinen.
Ich sehe göttliche Kraft im Wort,
Möge Gott das Wort mir nie entziehen.
Ich bin grau geworden beim Trinken seines Weines
Und schüttle die Bürde des Alters ab.
Ein Geheimnis steigt aus meinem Herzen
Und lächeln und weinen soll die Welt.
Veraltet ist Chosru,
Aber süß ersteht mir ein neuer Chosru.
Medschnuns Schicksal steht geschrieben,
Ein andres Schicksal will ich besingen.
Wie ein Papagei will ich Kandis kauen
Von Josefs Schönheit und Suleikas Verlangen.
Gott nennt die Geschichte von Josef die schönste
Und ich besinge sie in diesem Werk.
Der Geliebte der Offenbarung kam herab
Und Lüge findet keinen Eingang mehr.
Die Lüge berührt die Seele nicht,
Selbst wenn du sie als Wahrheit schminkst.
Die Wahrheit ist die Schönheit des Wortes,
Der Reiz der Luna liegt in ihren Rundungen.
Ein Morgen ohne Glanz
Lügt nur den Aufgang des Lichts,
Aber die echte Morgenröte verkündet die Wahrheit
Und schwingt die Fahne der Sonne.
Wenn du die Lüge auch schmückst mit Kunst,
Das Licht der Lüge ist ewig finster.
Schmück ein hässliches Weib mit goldenen Kleidern,
Das Goldkleid wird durch die Hässliche hässlich.
Der glühenden Lippe gebührt die Scharlachschminke,
Weil Röteschminke die Röte der Rose benetzt.
Doch malst du Rot auf blasse Lippen,
So wird dein Auge nur Kummer erblicken.
Kein Geliebter war jemals Josef gleich,
Der der Schönste aller Schönen war.
Und keine liebende Seele liebte wie Suleika,
Die liebender war als alle andern.
Von der Kindheit an bis ins Alter liebte sie,
Als Sklavin und als Fürstin liebte sie.
Nachdem der alten Frau
Die Jugend sich erneuert,
Betrat sie wieder den Weg der Liebe,
In Liebe geboren, in Liebe lebend und sterbend!
Von Josef und Suleika handelt mein Buch,
Von Josef und Suleika die Perlen meiner Verse.
Zu jedem Geld, das ich finde,
Lege ich einen neuen Goldschatz der Weisheit.
Ich wünsche nur, wenn ein gutes Herz
In meinem Buch der Liebe liest,
Möge das gute Herz mir verzeihen
Alle Fehler, die in diesem Buch zu finden sind,
Und möge der gute Geist verbessern das Mangelhafte!


VIERTER GESANG


Die die Perlen wiegen im Meer der Vernunft,
Die kundig sind der Offenbarung Gottes,
Die der Heilsgeschichte Lauf verfolgen,
Die erzählen von Adam:
Als sich seine Augen öffneten,
Sah er im Geist das Bild all seiner Kinder:
Da standen die Propheten,
Jeder an seinem Platz,
Da waren die Heiligen,
Da waren die Könige
Im prächtigen Glanz der Kronen,
Dann die andern Sterblichen
In schöner Ordnung.
Als Adam all diese überschaute,
Besuchte er alle,
Da fiel sein Blick auch auf Josef, den Mond,
Nein, nicht Mond, diese Sonne,
Dieses Licht aller Heiligen, den Auserwählten,
Sein Haupt ragte empor wie eine Fackel.
Die Schönheit der schönsten Heiligen
Verblasste vor Josefs Schönheit
Wie die Sterne verlöschen vor der Sonne.
Um seine Schultern floß Anmut wie ein Mantel,
Zu seinen Füßen starben tausend Feinde.
Seine Reize sind unvorstellbar,
Die höchste Vernunft kann sich nichts vorstellen,
Die Gnade Gottes umfloß ihn wie ein Kleid,
Das Diadem eines Königs auf seinem Haupt.
Der Osten des Glücks ist der Glanz seiner Stirn,
Sein Antlitz erleuchtet die Nacht,
Um ihn standen alle Propheten
Als ätherische geistige Bilder.
Die Geister der Frommen
Schwenkten ihre Fahnen
Und vorm Altar
Lagen sie versunken ins Gotteslob.
Erstaunt sah Adam die Schönheit Josefs
Und sprach dann leise, voll Verwunderung:
O Gott, der Baum dort ist aus welchem Garten?
Wessen Blick konzentriert sich auf ihn?
Ein zarter Zweig aus Jakobs Garten,
Ein scheues Reh aus Abrahams Wäldern,
Über die Sterne hat er Macht,
Ägypten wird sein Thronsitz sein.
Der Reiz auf seinen Wangen
Entflammt die Schönste zur Eifersucht,
Den Spiegel hält er dir vor, o Adam,
Leihe du ihm deiner Schönheit Schatz!
Und Adam sprach: Geöffnet ist die Tür der Gnade,
Von sechs Schönheiten schenk ich ihm vier.
Und der Liebreiz der allerschönsten Frau
Sei ihr nur einmal gegeben, ihm aber doppelt.
Und schlösse man die Schatztruhe aller Schönen auf,
Seien alle Reize aller Schönen
Nur ein Drittel des Liebreizes Josefs.
Dann drückte Adam den Josef an sein Herz,
Adams Herz gewährte viele Wonnen,
Und Adam offenbarte Josef die weiße Glut seiner Liebe
Und küsste ihn segnend auf die Stirn.
Froh über Josef, blühte Adam wie eine Rose,
Adam sang wie eine Nachtigall
Von der Herrlichkeit der roten Rose Josef!


FÜNFTER GESANG


An diesem wechselhaften Ort der Sinnlichkeit
Trifft die Reihe der Erscheinungen jeden,
Jeder Tag gebiert neue Erscheinungen,
Deren Namen oft die Welt erleuchten.
Die Welt bleibt immer in der selben Form.
Wie viel Geheimnisse schlummern noch?
Wenn nie die Sonne unterginge,
Wie könnten dann die Sterne strahlen?
Weil der Winter die Bäume entlaubt,
Darum grüßt die Rose jeden Frühling.
Als Adam diesen Ort der Pilger verließ,
Nahm Seth seinen Platz ein als Prophet,
Nach Seth kam Henoch
Und begann in der Trugwelt zu lehren,
Als er dann Lehrer des Himmels ward,
Ward Noah der Glaubenswächter,
Nach Noah ward es Abraham,
Nach Abraham ward es Isaak.
An Abrahams Tisch aß die Welt,
Doch auch Isaak starb,
Und Jakobs Stimme erklang vom Berg des Glaubens,
Als Jakob sein Prophetenamt begann,
Wehte seine Fahne von Damaskus bis Kanaan.
In Kanaan schlug Jakob sein Zelt auf
Und ward an Herden und Söhnen reich,
Die Herden der Schafe und Ziegen
Waren so zahllos wie Ameisenvölker.
Außer Josef waren da noch elf Söhne,
Doch Josef war Jakobs Liebling.
Als seine Mutter Rahel ihn gebar,
Bekam der Mond einen Zwillingsbruder!
Dem Herzensgarten entsproß eine zärtliche Pflanze,
Am Seelenhimmel erschien ein Neumond.
Dem Garten Abrahams enstproß eine Rose,
Josef stand das Kleid der leiblichen Anmut gut.
An Isaaks Sternenzelt erschien ein Stern,
Sein Antlitz erleuchtete das Auge der Welten.
In Jakobs Garten hob ihr Haupt die Tulpe,
Der Trost seines Vaters – der Schmerz seiner Mutter!
Ein Reh in Kanaan war Josef,
Kanaan ward seinetwegen beneidet.
So lange Rahel sich des Lebens freute,
Wusch sie mit ihrer Brüste Milch seine Zuckerlippen!
Zwei Jahre hielt Rahel den Josef in den Armen,
Als Gift auf Rahels Speise tropfte.
Die kostbare Perle aus dem Meer der Gnade
Blieb mutterlos allein
Und weinte die Tränen des Waisenkindes!
Jakob sah den Schmerz seiner Perle
Und wählte den Arm der Schwester zu seiner Muschel.
Die Tante zog den Herzensvogel auf,
Der bald den Flug im Garten der Speise wagte.
Sein zarter Körper schwankte wie eine Pappel,
Seine Zunge stammelte Zuckerworte.
Die Liebe fesselte seiner Tante Herz,
Sie wollte sich niemals von ihm trennen.
Er schlief des Nachts in ihrem Bett
Und war am Tag die Sonne ihrer Augen.
Doch auch Jakob liebte ihn sehr,
Alle Wünsche seines Herzens galten Josef.
Jakob fand in seinem Herzen nur Josef,
Ihn nur manchmal zu sehn, war ihm zu traurig,
Es sollte dieser Mond seines Herzens
Tag und Nacht vor ihm wandeln.
Zu seiner Schwester sprach Jakob:
Die du Josef liebst und für mein Wohl sorgst,
Ich ertrage nicht länger die Trennung,
Befrei mich von der Qual, von Josef getrennt zu sein!
Schick Josef in die Zelle meiner Einsamkeit,
Zum Altare meines Flehens!
Als Josefs Tante diese Worte vernimmt,
Gehorcht sie den Wünschen Jakobs,
Zugleich sinnt sie auf eine List,
Wie sie Josef von Jakob zurück erhält.
Ein Gürtel Israels war in ihren Händen,
Abgenützt durch fromme Gottesdienste.
Jeder, der den Gürtel anlegte,
Ward befreit von allen Schleudersteinen des Übels!
Als die Tante den Knaben zu Jakob schickt,
Umgürtete sie Josefs Lenden mit dem Gürtel,
Doch sie verhielt sich dabei so schlau,
Daß Josef nichts von ihrer List bemerkte.
So schickte sie den Liebling zu Jakob
Und begann dann laut zu schreien:
Der Gürtel ist verschwunden!
Jeden hält sie für verdächtig,
Sie untersucht alle Kleider
Bei allen Leuten der Reihe nach,
Und als die Reihe an Josef kam,
Fand sie den Gürtel und machte ihn los.
Zu jener Zeit galt bei den Gläubigen
Dieser Richterspruch:
Der überführte Dieb wird Sklave
Dessen, den er bestahl.
Durch ihre Hinterlist
Holte die Tante Josef wieder zu sich.
Mit freudestrahlenden Augen kam sie,
Doch bald schloß der Tod ihr die Augen!
Da jubelte Jakobs Seele,
Und vor Glück, den Liebling wiederzusehen,
Konnte Jakob nicht mehr schlafen.
Er fand an Josef seine ganze Freude
Und schaute Josefs Brüder nicht mehr an.
Jakob war nur noch mit Josef beschäftigt,
Josef war seines Herzens Inhalt.
Jakobs Geist fand nur bei Josef Ruhe,
Nur Josef ließ Jakobs Augen strahlen.
Wenn der Mond der Liebe leuchtet,
Wird selbst die lichte Sonne matt.
Wie preis ich diese Schönheit, diesen Reiz,
Der über alle Engel schön ist?
Am Firmament der Anmut ist Josef der Mond,
Der alle Welten erleuchtet,
Ein Mond, der lichter als die Sonne ist!
War Josef denn der Sonne gleich?
Nur Dunst ist das Feuer der Sonne vor Josef!
Sein Lichtglanz ist so überwältigend,
Man fragt nicht nach der Quelle.
In Josef wohnt der makellose Gott,
Der sich in Josef verborgen hat.
Kein Wunder, dass Jakob ihn liebt
Und seinem Josef das Herz und die Seele weiht!
Suleika selbst, der Engel und der Elfen Neid,
Der Keuschheit Bild im Abendland,
Noch strahlte sie Josef nicht an,
Als sie sein Bild schon im Traum umfing!
Wenn Liebesschmerzen Getrennte überfallen,
Wie viel mehr noch quält die Liebe
Jene, die ganz nah an dem Geliebten ist!


SECHSTER GESANG


Dies sind die Worte des Künstlers,
Der einen Schatz der Beredsamkeit besitzt:
Ein König war im Westen, Tammus,
Der schlug die Trommel der Herrschaft.
Er besaß, was Königen zusteht,
Sein Herz war wunschlos glücklich.
Auf seinem Scheitel war die Königskrone,
Der Schemel erhöhte seine Füße.
In seinem Heer diente selbst der Orion,
Er siegte allezeit mit seinem Schwert.
Seine Tochter Suleika war schön,
Sie war der Stolz und die Freude seines Herzens.
Sie war ein Stern am Sternenzelt des Königs,
Des königlichen Schmuckes schönster Edelstein.
Ich kann das Bild ihrer Reize nicht malen,
Aber versuchen will ich es dennoch.
Vom Scheitel zur Hüfte gleite ich wie ihr Haar,
Der Schimmer ihrer Wangen leuchtet,
Es helfe mir ihr zuckersüßer Mund,
Daß ich besinge, was ich geschaut.
Den Wuchs schuf Gott wie eine Palme,
Sie hebt ihr Haupt im Garten der Anmut,
Genährt am königlichen Strom,
Sie steht aufrecht wie die Cypresse.
In ihren Locken liegt der Weise gefangen,
Das Haar duftet nach Moschus,
Oft kämmte sie ihre langen Haare
Und zog den Mittelscheitel.
Vor Neid zerplatzt die Moschusblase!
Die Haare flattern wie Jasmin
Und beschatten die Rose.
Auf ihrer Brust ist ein Muttermal
Wie ein Afrikaner auf der Lilienwiese.
Verirrt sich ein Weiser zu ihren Grübchen,
Trägt er seine Seelenruhe dort zu Grabe!
Ihr Hals ist ein Elfenbeinturm,
Das Einhorn muß ihr Steuern zahlen,
Die weißen Schultern verhöhnen die Lilien
Und die weiße Rose verbirgt sich vor Scham.
Zwei Brüste – glänzende Wölbungen –
Zwei Blasen aus dem Strom von Eden,
Ein Apfelpaar an einem Zweig,
Woran sich nie meine Hand gewagt.
Von Silber schien ihr Arm,
Sie, rein wie eine Perle, trug ein Medaillon,
Darin war das Herz des frommen Beters.
Die Feengesichter loben sie neidlos
Und weihen der Herrin ihr Herz.
Den Waisenkindern und Krüppeln reicht sie die Hand
Und tropft Balsam auf zerrissene Herzen.
Ihre Finger waren wie Schwanenfedern,
Mit denen sie Liebeslieder auf Herzen schrieb.
Bei ihren Fingernägeln
Dachte man an den Sichelmond.
Ihre Lenden glichen der gespaltenen Haarspitze,
Waren feiner noch als Haar, und waren unbehaart.
Vom Nabel bis zum Oberschenkel
Enthalte ich mich lieber des Lobes!
Ihre Keuschheit nämlich verwehrte mir
Den Eintritt ins Allerheiligste!
Aber ach, ihre beiden Schenkel
Sind silberne Säulen des Tempels Gottes!
Sie war wie ein Blumenstrauß von Rosen,
Doch nur erleuchtete Augen sehen das.
Im Spiegel glänzt ihr reines Antlitz,
Da fiel ich vor Ehrfurcht aufs Knie.
Warum ich vor ihr kniee?
Weil ihr Antlitz von Lichtglanz übergossen!
Wer Bein an Bein bei dieser Schönen sitzt,
Dem glühen ihre Wangen Glück zurück.
Zart wie ihr Schenkel ist ihr Fuß,
Keine sonst besaß so schön geformte Füße.
Wenn sie ging, war sie wie ein Pfeil,
Ihr Fuß so schlank von der Ferse zu den Zehen.
Wenn sie den Liebenden niedertrat,
War ihre Fußsohle feucht von seinen Tränen.
Mit welchem Schmuck soll ich sie schmücken?
Schmuck ist so mangelhaft,
Aber ich will sie schmücken mit Schmuck,
Weil ihre Schönheit den Schmuck verschönert.
Ein Mondstein an ihrem Muschelohr
Raubt der Seele den Verstand.
Reißt sich eine Perle los von der Perlenschnur des Halses,
Fällt die Perle in die Schatzschatulle des Schoßes.
Eine goldne Haarspange hält ihren Haarknoten
Und wenn sie sich das Muschelarmband umtat,
Ach was sollte ich dann noch tun?
Zuweilen schwankte sie im Hof,
Gehüllt in Chinas Seide von Silber.
Jeden Tag, der sie anlachte
Zog sie ein neues Reizkleid an.
Selbst die Fürsten durften ihr nicht die Füße küssen,
Das durften nur die goldnen Sandalen,
Und nur ihr weißes Hemdchen war so selig,
In ihren Armen zu ruhen.
Die palmenschlanken Mädchen hörten auf sie,
Die mit den Feengesichtern staunten sie an.
Ihr Herz war nicht gepresst von Kummer,
Kein Dorn stach ihre nackten Füße.
Keinen bisher hat sie geliebt, sie liebte keinen bisher,
Sie hat sich noch keinem Mann ergeben.
Nachts ruhte sie wie die Narzisse
Und blühte morgens wie rosa Rosen.
Bei zärtlicher Kinder spielender Lust
Lebte sie mit den Hirschen des Königshofes,
Unbekümmert ums Schicksal,
War all ihr Tun nur Lust und Scherz.
Sie war glücklich, immer heiter,
Ihre Seele war frei von Qual.
Was wird die Tageszeit der Seele
Noch für ein Schicksal verhängen?
Und was wird die schwangere Mutter Nacht
Ihr für ein Schicksal noch gebären?


SIEBENTER GESANG


In einer Nacht, schön wie das Licht des Lebens,
Wonnevoll wie die Jugend,
Da Fisch und Gevögel schon schlief
Und die Zeitung des Tages zerknittert lag,
Im sehenswerten Gartenhaus der Sterne
Flimmerndes Auge wacht,
Der Dieb des Nachts den Verstand des Wächters raubte,
Der Glöckner die Zunge der Glocke hielt,
Der Schwanz des Hundes zum Halsband ward,
Das heulende Bellen sich verlor,
Ihr Federnschwert die Eule zog,
Von der Kuppel der königlichen Burg
Des Wächters Auge glänzte wie Mohnmilch,
Zum Wachen hatte der Wächter keine Kraft mehr,
Weil ihn der Mond betäubte,
Wo die Trommel schwieg,
Der Schlaf des Trommlers Hände band,
Der Ruf der Beter zur Matutin
Die Menschen noch nicht aufstehen hieß,
Da lag mit süßen Lippen Suleika,
Den Zuckerschlaf auf den Rosenlippen,
Auf ihrem Kissen dufteten ihre Haare,
Ihr Leib lag im Bett wie eine Lilie.
Zwar ihre Augen schliefen noch,
Das innere Auge aber war wach.
Da wars, ein Jüngling trat bei ihr ein.
Ein Jüngling? Nein, ein Engel!
Sein königliches Antlitz war Glut des Feuers
Und raubte der Jungfrau des Himmels das Herz.
Er hatte die Reize aller Jungfraun
Und die Anmut aller Himmlischen.
Sein Wuchs war wie der Buchsbaum,
Die Locke wie Fesseln,
Den Verstand zu fesseln,
Seine Stirne strahlend
Neigte sich voller Demut
Vor dem Antlitz der Sonne.
Seine Augenbrauen wie ein Altar,
Ein Weihrauchzelt den Entschlafenen.
Sein Antlitz die Luna des Paradieses!
Anmut schmückte seine Narzissen,
Seine Wimpern durchbohrten wie Pfeile ihr Herz.
Sein Mund verstreute lächelnd Zucker
Und seine Worte sind nichts als Süßigkeiten.
Die weißen Perlen im Korallenmund
Sind wie ein Blitz im rosenfarbnen Morgenrot.
Wenn er lacht, leuchtet er wie Plejaden,
Seine Zähne streuen das Salz der Weisheit aus.
Wie Moschusbeete seine Wangen,
Ein Rabennest im Rosengarten.
Wie Silber seine Arme und seine Schenkel
Und die Lende gleicht dem Haar,
Als Suleikas Auge ihn erblickte,
Geschah in einem Augenblick, was geschehen sollte,
Da sie die übermenschlichen Reize sah,
Wie nie Elfen und Feen geschmückt,
Die Röte der Wangen, die Anmut des Körpers
Knüpfte sie mit tausend Fäden an sein Herz,
Sein Antlitz entflammte ihr Herz
Und Geduld und Religion verglühten.
An jedes seiner duftenden Haare
Hing sie den Faden ihrer Seele,
Seine Augenbrauen rührten sie zu Tränen,
Zu Zuckerkörnern macht sein Mund ihr Herz,
Seine silbernen Schenkel raubten ihr den Verstand
Und sie gürtete sich, um ihm zu dienen.
Wahrlich, sie sah ein reizendes Bild,
Das zwar verging, doch im Geiste währte.
Suleika verschmähte ihr eigenes Ich,
Das Bild allein gefiel ihr!
Sie fühlte den Trieb der Seele,
Gen Himmel zu fahren!
Ein sinnlich-reizendes Bild entzückte sie,
Sie kannte nicht die platonische Liebe,
Ach, uns fesselt ein flüchtiger Wahn!
Ewig kleben wir an der Sinnlichkeit!
Doch das irdische Bild
Enthält einen himmlischen Sinn!
Darum huldigt das Herz
Dem Bildner auch des schönen Bildes!
Der Durstige weiß von seinem Durst
Und begehrt den Becher voll Wein,
Doch taucht er in das Rote Meer des Blutes,
Wird er da den Weinbecher nicht vergessen?


ACHTER GESANG


Morgens, als die schwarze Mutter Nacht geschieden,
Erscholl des Ruf des Hahnes.
Die Nachtigall mit schluchzender Stimme
Hob den Schleier von der Rose.
Das Veilchen wusch seine Veilchenlocken
Und Jasmin nahm ein Bad im Tau.
Suleika lag noch im Bette schlafend,
Die Seele noch voll von der Vision der Nacht.
Nein, sie schlief nicht, sie war des Verstandes beraubt,
Sie staunte noch vor dem Traum der Nacht.
Es nahten ihr die schönen Mädchen
Und küssten ihr voll Reverenz die Hand.
Den Schleier hob sie von den Tulpenaugen
Und sanft erwachten ihre trunkenen Augen.
Dem Ostwind gleich zog sie ein Kleidchen an,
Sie hob ihr Haupt und schaute sich um.
Ach, keine Spur von dem Jüngling mit den Rosenwangen!
Da verschloß sie sich wie eine Knospe.
Im Gram, weil die Cypresse fehlte,
Zerriss sie ihr Rosenkleid.
Doch aus Scham vor den Menschen
Zerriss sie ihr Rosenkleid nicht,
Sondern blieb in tiefer Ergebung.
Sanft sprach ihr Mund zu den Mädchen,
Ihr Herz war gleich dem Knoten im Schilfrohr,
Und während sie sprach mit den Mädchen,
Sprühten tausend Funken der Liebe
Von dem Muttermal ihrer linken Brust!
Sie warf ihre Augen auf andre Männer,
Doch an den Freund blieb ihr Herz gefesselt.
Was soll sie zügeln ihr Herz mit der Hand,
Da der Herzensdieb ihr doch stand vor den Augen?
Ein Herz, das die Liebe den Krokodilen vorwirft,
Wird lahm, bevor es sein Verlangen gestillt.
Dies Herz kennt keinen andern als den Liebling
Und keine Seelenruhe als beim Liebling!
Spricht die Seele, spricht sie vom Liebling,
Und wünscht sie etwas, wünscht sie den Liebling herbei!
Tausendmal umschwebte sein Geist sie,
Bis ihrer Leiden finsterer Tag erwachte.
O dunkle Nacht! Freundin der Liebenden!
Du hütest die Geheimnisse der Verliebten!
Suleika war gelehnt an die Mauer des Kummers,
Sie glich der gebogenen Harfe,
Die sie bezog mit Saiten aus Tränenströmen
Und stimmte nach der Trauer ihres Herzens.
Der Laut der Harfe durchdrang die Herzen,
Sie wandelte stöhnend auf der Tonleiter auf und ab,
Stets umschwebte sie des Lieblings Bild
Und Perlen quollen aus ihren Augen.
In welchem Schacht ist mein Edelstein?
Dir verdank ich den Strom der Perlen!
Du raubtest mein Herz,
Du sprachst kein Wort, als du bei mir warst.
Wer kennt deinen Namen?
Wer weiß, wo du lebst und wohnst?
Du bist ein König, wie sprech ich dich an?
Du bist ein Mond, wo ist der Thron deiner Anmut?
Ach, meinen Feinden wünsche ich nicht die Leiden,
Die ich um den Liebling litt und leide!
Mein Herzensliebling ward mir geraubt!
Sein Bild nahm mir den Schlaf,
Sein Bild presste aus meinem Herzen das Blut
Und aus den Augen blutige Tränen!
Schlaflos lieg ich, mein Herz wacht
Im Liebesfeuer deiner wütenden Flammen!
Was, wenn du nicht selber heiß wie Feuer wärest?
Eine Rose war ich im Garten der Jugend
Und frisch wie eine Lebensquelle.
Nie bliesen mich raue Stürme an,
Kein Dorn bohrte sich in meine nackten Füße.
Aber du gibst mich den Stürmen preis,
Du legtest tausend Dornen in mein Bett.
Mein Leib ist weicher als die Rosenblüte,
Wie soll ich liegen im Bett aus Dornen?
So seufzte sie zur Morgenröte
Und weinte vor dem Phantasiebild des Lieblings.
Die Mutter Nacht ist von hinnen geschieden.
Um jeden Verdacht zu vermeiden,
Hemmte Suleika ihre blutigen Tränen,
War ihr Mund noch feucht vom blutigen Trank der Nacht,
So schwieg sie doch mystisch.
Das Kissen blieb mit dem Duft der Rose zurück,
Das Lager war leer, es fehlte der Zypresse Schimmer.
In solcherlei Klagen wandelten Tag und Nacht vorbei
Und Suleika wich um keine Haaresbreite
Von Liebesklagen um den fernen Liebling!


NEUNTER GESANG


Eitler Wahn, mit dem Schild abwehren zu wollen
Den Liebespfeil, der vom Bogen fliegt!
Und steckt der Liebespfeil erst einmal im Herzen,
Verraten das tausend äußere Zeichen.
Nehmt den Weihrauchkessel zum Gleichnis,
Wie Weihrauch kann sich auch die Liebe nicht verbergen,
Und ob man ihn mit tausend Schleiern hüllt,
Verrät der Weihrauch immer seinen Wohlgeruch.
Suleika verbarg die Qual ihrer Liebe
Und barg den Samen ihrer Schwermut in ihrer Brust,
Doch immer sichtbar war der Sprössling,
Der aus ihrer Seele keimte.
Bald quollen Tränenströme aus ihren Augen,
Ströme von blutigen Tränen,
Mit jeder Tränenperle ihres Auges
Fiel ihr ein Geheimnis auf die Wange.
Bald seufzte sie aus innerlich glühendem Herzen,
Zum Himmel rauchten ihre Seufzer,
Und durch das Ach, das sie seufzte,
Roch man den Braten ihres brennenden Busens.
Sie aß nicht mehr, sie schlief nicht mehr,
Die rote Rose ward zur weißen Lilie.
Als dies ihre Mädchen sahen,
Dachten sie, das sei Liebe,
Doch sie wussten nicht,
Wer die Ursache dieses Kummers war.
Ein Mädchen sprach: Gewiss
Hat jemand Suleika verlästert!
Ein andres Mädchen sprach:
Suleika wird wohl geplagt von einem Dämon!
Ein drittes Mädchen meinte:
Ein Magier hat sie verzaubert!
Ein viertes Mädchen sprach:
Ihr Herz ist der Liebe erlegen!
Doch das Geheimnis blieb unentschleiert,
Die Mädchen konnten nur raten.
Suleika hatte aber eine Amme,
Die eine geschickte Zauberin war.
Sie kannte die Wege der Liebe,
Sie hatte in ihrer Jugend selbst geliebt.
Nun brachte sie Verliebte zusammen
Und lockte die Schüchternen an.
Eines Nachts kam die Amme zu Suleika
Und erinnerte sie an ihre Dienste,
Sie sprach: Des königlichen Gartens Rose bist du,
Ein Dorn von dir beglückt die schönsten Männer,
Darum freue dich und lächle immer.
Du bist der Baum im Garten der Schönheit,
Umflattert von meinem Papagei.
Ich bin der breite Strom der Treue,
An meinem Ufer bist du aufgewachsen.
Ich sah als Erste dein rosiges Antlitz blühen,
Trennte deinen Nabel mit dem Messer der Liebe ab,
Salbte dich mit Moschusölen
Und badete dich in Rosenwasser.
Mein Herz war dein Wiegenschleier,
Gewoben aus den Lebensfäden meiner Seele.
Milch gab ich deinem Zuckermündchen,
Ich zog dich groß.
In der Nacht lag ich wach voll Sorge
Und morgens wusch ich dein Gesicht.
Wenn ich ging, trug ich dich auf den Armen,
Wenn du einschliefst, hielt ich deine Hand.
Wo du wie eine Cypresse standest,
Da war ich dein Schatten.
Du lagest auf den Polstern, ich diente dir stehend,
Du schliefst, ich lag neben deinem Bett.
Noch heute will ich dir sein, was ich einst dir war,
Ich diene deiner Seele noch heute.
Warum hast du Geheimnisse vor mir?
Ich bin doch keine Fremde!
Warum stößt du mich zurück?
Sag, wer brachte solchen Jammer über dich,
Wer legte dir ein solches Kreuz auf?
Warum nagt die Schwermut der Liebe an dir?
Warum ist der düstere Gram allein dein Freund?
Warum wird deine rote Rose gelb
Und warum erstarrt dein hitziges Blut?
Du Sonne, warum nimmst du ab wie der Mond,
Am Morgen wünschst du dir die Nacht schon herbei?
Ein Mond berührte deine Umlaufbahn,
Doch sag mir: Wer ist der Mond?
Ist es ein Engel vom Himmel,
Aus Feuer der Liebe geschaffen?
So will ich so lange beten,
Bis der Engel vom Himmel dir wieder erscheint!
Ist es ein Dämon der Wüste,
Ich bin in der Magie bewandert,
Ich beschwöre den Dämon
Und banne ihn in eine Flasche!
Aber ist es ein Menschensohn,
Soll deine Seele sich wieder freuen!
Wer verschmähte wohl deine Fesseln?
Sklaven und Kaiser ehren deine Fesseln!
Suleika sah das Mitleid
Und das Wort der Zauberin hörte sie,
Doch sie sah keine Rettung,
Ihr Mond schwamm in einem Meer der Nacht!
Unsichtbar ist mein Seelenbräutigam,
Rief sie, der Schlüssel der Pforte versteckt!
Wie beschreibe ich dir den Vogel,
Der sein Nest mit den Phönix geteilt?
Der Name des Phönix ist mein einziger Trost!
Süß ist das Leiden der Liebenden,
Die den Namen ihres Geliebten kennen,
Ich kenne den Namen des Lieblings nicht.
Wenn Trennung bitter macht den Mund,
Süß ist im Mund der Name des Lieblings!
Jetzt offenbarte sie alles der Amme
Und weihte sie ins Geheimnis ein.
Die Amme ist jetzt wachsam,
Sie sorgt sich um den Wahnsinn des Schützlings.
Sie liest ein Wort im Buch des Herzens
Und zweifelt an der Heilung der Kranken.
Zu unbestimmt scheint ihr das Bild,
Man sucht nicht, was man kaum kennt.
Kennst du nicht deines Herzens Ideal,
Wie willst du dein Ideal dann finden?
Zu schwach, Suleika aus den Fesseln zu befreien,
Spricht die Amme dies:
Gewiss, mit dir spielen Dämonen!
All der Dämonen Werk ist Trug!
Sie lassen uns ein reizendes Bild sehn,
Um die Begierden anzustacheln!
Suleika sprach: Kann wohl ein Dämon
So ein herzerhebendes Bild erzeugen?
Ein Weib aus Sünden und Makel
Gebar noch nie solch einen reinen Engel!
Die Amme sprach: Willst du
An solch ein Traumbild deine Seele verkaufen?
Suleika sprach: Wär es ein böser Traum,
Hätte er mich fromme Jungfrau nicht entzückt!
Krummes paart sich mit Krummem,
Grades paart sich mit Gradem.
Der Weise stimmt mir zu.
Die Amme sprach: Du kluges Kind,
Verbanne aus deiner Seele diesen Wahnsinn!
Suleika sprach: Es steht nicht in meiner Macht,
Denn wenn es in meiner Macht stünde,
Diese Traumgestalt zu bannen,
Ich legte mir nicht solch ein Kreuz auf!
Doch mir fehlt nun jede Kraft,
Ich bin willenlos,
In mein trauriges Herz grub sich ein Bild,
Als ob ein Griffel aus Diamant
Worte schrieb auf Tafeln von Erz.
Der Wind weht das Bild nicht fort.
Die Amme sieht die Kraft der Liebe
Und schweigt mit weiterer Ermahnung
Und begibt sich heimlich zum Vater.
Der Vater wundert sich und staunt,
Doch da ihm sein Verstand zu schwach erschien,
Legte er alles in die Hände Gottes des Herrn!


ZEHNTER GESANG


Selig ist das Herz, in dem die Liebe wohnt,
Das liebt und sich nicht sorgt um das Weltgeschehen,
In diesem Herzen entzündet sich ein Blitz,
Der die Geduld und den Verstand verbrennt.
Sorge regt sich nicht im liebenden Herzen,
Der Berg von Vorwürfen scheint ihm nur Stroh,
Es gewöhnt sich an den Tadel,
Durch Schmähung vermehrt sich nur die Liebe.
Suleika nahm ab wie der Mond,
Ein Jahr verging, ihr Vollmond ward zum Neumond,
Sie war gebogen wie die blasse Sichel,
So saß sie mit blutenden Augen in der Morgenröte
Und sprach: Du spielst mit mir, mein Himmel!
Schau, meine Sonne wird schon matt,
Du krümmst mich, dass ich dem Bogen gleiche,
Und machst mich zum Ziel von Pfeilen des Vorwurfs.
Funken der Liebe warf er in mein Herz
Und zeigt sich mir selten nur im Traum.
Genug, dass ich ihn im Wachen schon vermissen muß,
Soll ich ihn im Schlaf denn auch nicht schauen?
Das Zeichen des Glücks ist jener Traum,
Da mir mein lichter Mond erscheint.
Meine Augen ruhen auch im Schlummer nicht mehr.
Ach, liehe er mir doch seinen Schlaf!
Dann erwachte sicher auch mir noch das Glück
Und lieblich erschiene der Liebling mir im Traum.
So stöhnt sie die Nacht hindurch,
Bis ihr Geist ermattet auf ihren Lippen,
Ein Schlaf sie jäh überwältigt,
Und betäubt sinkt sie auf ihr Bett.
Kaum nahm ihr Bett den zarten Körper auf,
Als schon der Wunsch ihrer Seele zur Tür hereinkam.
Das selbe Bild, das sie kürzlich gepeinigt,
Tritt ein mit Wangen lichter als der Mond.
Auf diese schönen Wangen fällt ihr Blick,
Sie springt auf und wirft sich ihm zu Füßen
Und küsst den Boden und spricht: O mein Rosenstrauch!
Du hast mir Geduld und Seelenruhe geraubt!
Bei Gott, der dich als Licht vom Licht erschaffen,
Der dich frei von allen Makeln bewahrte,
Der dir das Zepter der Schönheit gab,
Dich rein erschuf wie die Quelle des Lebens,
Deine Gestalt zur Rose des Gartens der Seele
Und deinen Mund zum Brot der Engel machte,
Der dein Gesicht erstrahlen lässt wie die Fackel der Liebe,
Darin das Herz des Schmetterlings verbrennt,
Der die gesalbten Locken zu Fesseln schuf,
Daß sich mein Herz in deinen Haaren verfing,
Siehe, mein Leib gleicht deiner Lende,
Mein Herz gleicht deines Mundes Ah und Oh!
Erbarme dich meiner armen Seele, Herr!
Schließ deine rubinroten Lippen auf
Und streue Zucker über mich
Und sag mit der dir eigenen Freundlichkeit,
Wer du bist und von welchem Stamm?
Du bist eine glänzende Perle: Aus welchem Meer?
Du bist ein Monarch: Wo ist dein Palast?
Und Josef sprach: Ich bin ein Menschensohn,
Geformt vom Lehm der Mutter Erde.
Du gestehst mir deine Liebe,
Wenn deine Worte die Wahrheit sprechen,
So bewahre mir Treue,
Und bleibe, Jungfrau, unvermählt!
Kein Zahn berühre deine Zuckerlippen,
Kein Diamant durchstoße deine Perle!
Der Liebe Feuer lodert in meinem Herzen,
Der Trieb der Liebe durchlodert auch meine Seele,
Mein Herz liegt gefangen in deinen Fesseln,
Auch ich bin gezeichnet mit dem Zeichen der Liebe!
Kaum sah Suleika sein Mitleid,
Kaum vernahm sie das süße Wort aus seinem Munde,
Da verzauberte sie ein neuer Dämon
Und der Schmetterling ihres Herzens fing Feuer.
Vom Traum ganz trunken stand sie auf,
Die Brust in Flammen, das Herz voll Glut.
Immer größer wurde der Gram ihrer Seele,
Zum Himmel rauchten ihre Seufzer,
Die Folter der Liebe ward unerträglich,
Ihr Jammer war grenzenlos!
Die Zügel des Verstandes entfliehen ihr,
Sie ward frei von der Fessel der Vernunft.
Sie zerriss das Kleid ihrer Seele
Und vergoß Blutstropfen rot wie Rosen,
Sie zerkratzte in der Wut der Liebe ihr Antlitz
Und raufte sich die Haare.
Um sie saßen ihre Mädchen
Wie der Hof des Lichts um den Mond.
Die Mädchen hielten den Saum ihres Kleides fest,
Sonst wäre die Zypressengestalt entblößt.
Man hielt die Knospe fest,
Sonst wäre sie wie eine Rose zum Markt gegangen.
Als dies Suleikas Vater hörte,
Beriet er sich mit seinen Weisen.
Man überdachte alles und hielt es fürs Beste,
Sie in Ketten zu legen wie eine Wahnsinnige!
Man brachte eine kupferne Schlange,
Mit Perlen und Rubin besetzt,
Die eherne Schlange glich
Der Schlange, die den Schatz bewacht.
Kaum schlief die kupferne Schlange,
Da weinte Suleika schon Tränenperlen:
In Fesseln der Liebe bin ich gefesselt,
Die Fesseln der Liebe sind mir teurer als die Welt.
Der Himmel, der so schnell ein Leben beenden kann,
Warum lässt er mich in diesen Fesseln?
So lange fehlt mir alle Lebenskraft,
Kaum kann ich den Körper noch bewegen.
Warum diese schweren Ketten?
Warum dieses Schwert der Leiden,
Das mein Herz im Busen zerfleischt?
Wenn die Zypresse Wurzeln geschlagen hat
Und sich nicht wegbegeben kann,
Was soll da noch die Klugheit des Gärtners,
Wassergräben um sie her zu ziehen?
Nein, der Herzensdieb muß gefesselt werden,
Der mir Seele und Sinne geraubt!
Vergebens sucht mein Auge sich satt zu sehen
An seinen Rosenwangen,
Wie ein Blitz schoß er vorbei
Und mein brennendes Herz raucht.
Wenn das Glück mir lächeln würde,
Diese Ketten fesselten meinen Herzensdieb,
Dann schau ich so lang ihn an, wie ich will,
Und die dunkle Nacht wird hell wie der Tag.
Was red ich? Den Zärtlichen fesseln?
Ihn, dem der Staub wie ein Berg erscheint,
Seine Seele zu beschweren und niederzudrücken?
Ah, das wäre unerträgliches Leiden für mich!
Warum wünsch ich seiner Seele die Lasten,
Seinem silbernen Körper die Ketten?
Nein, sieben Schwerter durchbohren mein Herz,
Eh nur ein Dorn den Saum seines Kleides zerfetzt!
Da sank Suleika auf die zerfleischte Brust
Wie ein Vogel, der zur Erde fällt.
Im Wahnsinn lallte sie einige Zeit,
Dann kehrte die Vernunft zu ihr zurück.
Doch bald erneut von der Liebe gequält,
Stimmte sie neue Klagelieder an.
Bald vergießt sie Tränenströme,
Bald lacht sie laut wie eine Närrin.
Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt
Blieb ihre Seele ein Jahr allein.


ELFTER GESANG


O Liebe, komm, die du schlau und listig
Frieden spielst und Kriege spielst!
Den Weisen machtest du zum Toren
Und den Narren schaffst du zum Weisen!
Wenn du die Haare der himmlisch Schönen bindest,
Umstrickt Frau Torheit den Weisen.
Doch löst du den Knoten der Haare,
Strahlt der Verstand.
Suleika war ohne Geduld und ohne Vernunft,
Zwilling des Kummers,
Vom Gram umarmt,
Sie trank den Becher der Leiden leer
Und verbrachte die Nacht im Feuer der Liebe.
Sie riß sich die Schleier vom gesalbten Haupt
Und streute Asche auf ihr Haupt
Und bog den Cypressenleib nieder zur Anbetung.
Aus ihren Augen-Lotosblumen quoll ein Nil
Und mit der liliengleich keuschen Zunge
Beklagte sie den Gram ihrer Seele
Und sprach zu ihrem Liebling:
O Dieb meiner Seelenruhe,
Zerstörer meiner Zufriedenheit,
Du schufest Leiden, ohne sie mit mir zu teilen,
Du raubtest mein Herz und gabst mir dein Herz nicht!
Wüsste ich deinen Namen, sagt ich ihn,
Wüsst ich wo du bist, ich eilte zu dir.
Einst war mir süß zumute,
Nun bin ich verkorkst wie ein Korkbaum.
Ich trank schon große Mengen Blut
Und schamrot bin ich nun wie die Rose.
Ich bettle nicht um deine Liebe,
Doch darf ich nicht deine Sklavin sein?
Was, wenn du freundlich zu mir wärest
Und mich erlöstest aus den Ketten der Leiden?
Kein Mensch soll so wie ich verbluten
Und so des Pöbels Spott!
Die Mutter grämt sich über das missratene Kind
Und der Vater schämt sich meiner!
Verlassen von allen Mädchen,
Bin ich mit meinem Kummer allein!
Hast du nicht den Mut, mich trockenes Stroh
Der Flamme der Liebe zu übergeben?
So sprach sie zu dem Liebling des Herzens,
Bis sie der Schlummer überwältigte.
Vom Becher des Schlummers trunken ihre Augen
Erschien ihr der Dieb, der ihr die Nachtruhe raubte,
Viel reizender noch, als Menschen sagen können,
Unaussprechlich reizend war der Liebling!
Sie klammerte sich an den Saum seines Rockes
Und vergoß ihr Herzblut zu seinen Füßen
Und sprach: O du, in der Qual der Liebe
Flieht die Seelenruhe mein Herz
Und flieht der Schlaf meine Augen,
Bei Gott, der dich so sündlos gezeugt,
Dich auserkoren aus der Welt der Schönen,
Verkürze die Zeit meiner Peinigung!
Sag deinen Namen und wo du wohnst!
Josef sprach: Erhört sei dein Gebet,
Ich bin Wesir in Ägypten,
Stellvertreter des Monarchen,
Des Allmächtigen Rechte schmückte mich mit Ruhm!
Suleika, da sie den Liebling hört,
Nach hundertjährigem Tode ersteht sie zum Leben
Und voller Freude kehrt ihr die Kraft zurück
Des Körpers und die Vernunft der Seele.
Im Schlaf war ihr Glück erwacht
Und die berauscht Entschlummerte
Stand auf in nüchterner Trunkenheit!
Da die Botschaft dieses Mondes der Schönheit
Ihr neues Bewusstsein verlieh,
Rief sie alle ihre Mädchen:
Ihr habt treu meine Leiden mit mir geteilt,
Seid nun Freudenboten meinem Vater
Und befreit ihn aus dem Feuer der Leiden,
Denn mein Verstand ist zurückgekehrt.
Vater, löse mir die Fesseln,
Ich fürchte nicht mehr die Rückkehr des Wahnsinns!
Der Geizige schließt sein Silber ein,
Du aber schenke mir Freiheit!
Als der Vater diese Freudenbotschaft hörte,
Ward er fast verrückt vor Freude.
So eilte er zu seiner Zypresse
Eilig wie Verliebte,
Schloß auf der kupfernen Schlange Schnalle
Und löste der Silberbrüstigen alle Fesseln.
Jetzt kamen die Mädchen zu Suleika
Und setzten sie auf einen goldenen Thron,
Auf den hohen Thron der Anmut,
Und schmückten sie mit einer Krone.
Alle feengleichen Mädchen kamen
Und schwebten wie Schmetterlinge um die Lampe.
Von den Mädchen umringt,
Knabbert sie Zucker wie ein Papagei
Und fängt dann an zu erzählen:
Sie sprach von Griechenland und Syrien
Und schließlich vom berühmten Ägypten
Und kommt zu sprechen auf den Wesir.
Wenn ihre Zunge seinen Namen nennt,
Sinkt sie wie ein Schatten wieder auf die Erde
Und zum Himmel steigen ihre Seufzer.
So vergingen Tage und Nächte,
Sie sprach vom Liebling und von Ägypten,
Sie lieh ihre Ohren auch nur solchen Worten,
Die von ihrem Liebling sprachen,
Und sprach ein Mädchen von was anderm,
So schwieg Suleika aus Liebe zum Liebling.


ZWÖLFTER GESANG


Wenn der Liebling dir am Busen ruht,
Dann sehnst du dich nicht nach andern Freiern.
Der Schmetterling schwebt nicht zur Sonne auf,
Wenn ihm die Fackel der Hoffnung leuchtet.
Die Nachtigall schaut die Blumensträuße nicht an,
Sie schmachtet nur nach dem Rosenbusch.
Wenn die Sonne die Lotosblume wärmt,
Schaut die Lotosblume nicht zum Mond.
Wenn der Durstige Wein zu trinken bekommt,
So fragt er nicht nach dem Zucker.
Suleika fand an diesem prächtigen Ort
Alles, was man zur Seligkeit braucht.
Als Sklave diente ihr Asaf,
Sie hatte genügend Güter und Gold,
Es waren da Mädchen mit weißen Leibern,
Die standen ihr in allem bei,
Herzverwirrende Mädchen,
Auf jedes Winken willig,
Und Knaben, lächelnd wie Zucker,
Von Kopf zu Fuß wie Zuckerrohr,
Neger wie aus Ebenholz geschnitzt,
Wie Engel keusch,
Eunuchen im reinen Harem,
Vertraut in allen Belangen des Harems.
Ägyptens Frauen alle
Waren mit Reizen der Schönheit geschminkt
Und waren alle jung wie Suleika
Und suchten ihre Freundschaft.
Suleika saß im Versammlungssaal,
Wo Menschen sich drängen dicht an dicht,
Sie spannte des Frohsinns Fahne,
Die Lippen lächelten und das Herz war voll Blut,
Sie schien mit allen Frauen zu reden,
Nur ihre Gedanken waren anderswo.
Zwar sprach sie mit den versammelten Sklaven,
Doch ihr Herz war beim Liebling allein.
In Weh und Wonne
War sie dem Liebling geeint.
Ihr Körper nur war bei den Leuten,
Ihr Geist empfand eine andre Qual.
So lebte sie von Morgen bis Abend
Mit ihren Freundinnen im Harem.
Kaum verschleierte abends sich die Sonne,
Kaum thronte der einsame Mond,
Als sie in stiller Nacht
Das Bild des Lieblings auf das Kissen legt
Und niederfällt vorm Liebling
Und klagt ihrer Seele stille Wehmut,
Sie stimmte die Stimme auf Seufzer
Und beginnt das Klagelied des Wahnsinns
Und spricht zum Bild: O du Liebe meiner Seele!
Du hast mich fortgeschickt,
Der du dich Wesir von Ägypten nanntest.
Dir sei ewig Ruhm und Ehre!
Meine Wonne und meine Krone
Ist es, deine Magd zu sein!
Verlassen bin ich, fern der Heimat,
Beraubt des Glücks, mit dir zusammen zu sein.
Wie lange noch trag ich des Elends Fackel?
Sei du das Licht im Garten meines Herzens,
Ein Pflaster für die Wunden meiner Seele!
Die Liebe schleppt mich zur Verzweiflung,
Doch ein Engel gibt mir Hoffnung.
Ich lebe nur noch für die Hoffnung,
Ich schüttle den Staub der Verzweiflung von mir ab!
Das Licht deiner Schönheit strahlt in mein Herz
Und ich hoffe auf ein Wiedersehen!
Ob ich auch blutige Tränen weine,
Mein Auge schaut nach dir aus.
Selig die Zeit, da du als Mond
Ins Zeichen meiner Augen kamest.
Seh ich dein Antlitz, werde ich zu Nichts!
Ich verliere die Fäden meiner Gedanken,
Verliere mich in Gedankenlosigkeit.
Ich bin nicht mehr an meinem Ort,
Du bist nun an der Stelle meiner Seele!
Ich kann mich an mich selbst nicht mehr erinnern,
Suche ich mich, so finde ich nur dich!
Du bist mein Glück auf Erden und im Himmel!
Wenn ich dich treffe, sprech ich nicht von mir.
So sprach sie mit sich selber am Morgen
Und so den ganzen Tag.
Am Morgen sprach sie: Morgenlüfte,
Durchweht die Lilienaue,
Und siehe, es tanzt die Zypresse!
Ostwind, Bote der Liebenden,
Wehe Ruhe in das Herz des Jünglings!
Bring ihm einen Liebesbrief vom Mädchen
Und lindere du die Schmerzen des Trauervollen!
Ach, keiner trauert mehr als ich,
Keine weint mehr über die Schmerzen der Trennung als ich,
Mein Herz ist krank!
O lindere meine inneren Qualen!
Zu schwer geworden ist mir der Gram,
O tröste meine dunkle Seele!
Ostwind, du schleichst dich ein
In jeden Winkel der Erde,
Du dringst durch verschlossene Türen,
Erbarme dich meiner, ich bin verwirrt!
Eile du zur Stadt des Pharao
Und steige die Stufen hinan des Throns des Monarchen!
Frage überall nach meinem Mond
Und suche überall meinen Fürsten,
Durchziehe alle Frühlingsgärten
Und alle Ufer der Flüsse,
Vielleicht findest du die Spur
Meiner Zypresse am Ufer des Wassers?
Suche unter den Bildern Chinas
Ein Reh, dem meinen gleich!
Und kehrst du heim aus China
Und dir begegnet ein Rebhuhn,
Fang das Rebhuhn für mich!
Und stößt du auf eine Karawane,
Lenke die Karawane in mein Land!
Vielleicht seh ich meinen Helden
Und pflücke eine Rose
Vom Rosenstrauch der Hoffnung!
So sprach sie mit den Morgenlüften,
Als aber die Sonne des Tages aufging,
War sie umringt von jungen Mädchen
Mit reinem Herzen und schönsten Brüsten!
Und so ging es Tag und Nacht
Und Mond um Mond und Jahr um Jahr.
War ihr im Haus das Herze schwer,
So eilte sie in den blühenden Garten.
Bald erzählte sie den roten Tulpen
Von dem Liebling mit den Rosenwangen,
Bald eilte sie zum Ufer des Nil
Und erzählte dem Nil von ihrem Kummer
Und mischte ihre Tränen mit seinem Wasser.
Von woher kommt wohl der Liebling?
Kommt er als Mond, als Sonne?
Auf, meine Seele, du bist ein Dichter,
So mach, dass der Mond von Kanaan
Aus Kanaan zur Verliebten komme.
Voll süßer Hoffnung ist das Herz Suleikas,
Aber ihre Augen voll tränenreicher Schmerzen.
Zu lange musste sie warten!
Auf, meine dichtende Seele,
Wir wollen Suleika trösten
Durch die Vereinigung mit dem Geliebten!


DREIZEHNTER GESANG


Was wäre dem Liebenden schöner,
Als wenn ihn die Freundin liebte?
Wenn er in ihr geheimnisvolles Zimmer tritt
Und ihr Busen frei wär von Alltagssorgen?
Er erzählte ihr dann die alten Märchen
Und wählte sie zur Intimvertrauten.
Josef begab sich in seine Wohnung,
Da kam ein Wärter und sprach: Mein Herr,
An der Türe steht ein altes Weib!
Soll ich sie führen zu deinem Thron?
Josef sprach: Bring sie herbei,
Und ist sie arm, so gib ihr Almosen!
Sie möge mir sagen, was sie wünscht!
Da tanzte wie die Mücken in der Abendsonne
Suleika in Josefs Thronsaal.
Mit ihrem Rosenmunde sprach sie:
Heil, Josef!
Josef fragte sie um ihren Namen.
Sie sprach: Ich bin die Frau,
Die beim ersten Blick dich erwählt,
Die Herz und Seele dir geweiht,
Die ihren Frühling dem Wind hingegeben
Und nun alt geworden ist.
Du umarmtest die Herrschaft wie eine Geliebte,
Doch mich Alte hast du vergessen.
Er sprach: Was willst du von mir, Suleika,
Und warum bist du so voller Sorgen?
Als Josef den Namen Suleikas aussprach,
Verlor Suleika sich selber.
Ihr Busen schäumte vom Schaumwein des Wahnsinns!
Josef sprach: Ach wo ist der Liebreiz deiner Jugend hin?
Sie sprach: Da ich fern von dir war, ist er entwichen.
Er sprach: Warum strahlt dein Auge nicht mehr?
Sie sprach: Fern von dir, hab ich blutige Tränen geweint.
Er sprach: Warum krümmt sich dein Zypressenkörper?
Sie sprach: Die Trennung liegt schwer auf meinen Schultern.
Er sprach: Wo ist die Krone, die Zier deines Hauptes?
Sie sprach: Jeder Sänger rühmte meinen Reiz
Und krönte mich mit begeisterter Worte Gold,
Da warf ich dem Sänger mein Gold zu Füßen
Und krönte den Sänger mit ewigem Ruhm
Und mich mit dem Staub vor seiner Tür.
Er sprach: Und was willst du heute von mir?
Sie sprach: Was ich will, das ärgert dich nur.
Er sprach: Beim Geist der Propheten
Und beim Herrn der Patriarchen,
Der wie ein Feuer im Dornbusch brannte –
Ich bin Gottes Freund!
Sag mir, was du heute von mir willst,
Und ich will dir deinen Wunsch erfüllen.
Sie sprach: Ich will den Reiz der Jugend zurück!
Dann will ich die Augen erleuchtet haben,
Um dich allein zu schauen,
Du Rose meines Gartens!
Und Josef begann zu beten
Und floss über von heilendem Wasser
Und schenkte der toten Schönheit
Der vierzigjährigen Alten
Neues Leben, neue jugendliche Reize
Und erfrischte den Rosengarten ihrer Jugend
Mit lebendigem Quellwasser.
Die grauen Strähnen fielen
Aus ihrem rabenschwarzen Haar,
Der krumme Zypressenleib
Ward wieder zur schlanken Palme,
Die Falten ihres Angesichts
Wurden glatt wie das Silberantlitz des Mondes.
Ja, all die Reize ihrer Jugend
Wurden noch reizender, noch entzückender!
Sie ist jetzt noch schöner als in der Jugend!
Schönheit, sagte Josef,
Hast du noch einen Wunsch?
Sie sprach: Ich habe nur einen Wunsch,
Ewig mit dir vereinigt zu sein!
Tags an deinem Sonnenantlitz will ich mich sättigen,
Nachts an deinem Mondenantlitz mich satt schaun,
Ruhen will ich im Schatten deines Zedernleibes
Und kauen den Zucker deines Mundes!
Möge die trockene Erde meines Leibes
Erquickt werden vom Regen deiner Liebe!
Als Josef diese Bitte hörte,
Schwieg er und dachte nach
Und schaute in die Welt der Geister.
Da nahte ihm der Erzengel Gabriel
Und sprach zu Josef: Freue dich, Begnadeter!
Gott hat Suleikas Bitte gehört,
Suleikas Bitte bewegte Gottes Erbarmen,
Das Erbarmen ward groß in Gottes Busen,
Und so vermählt der Herr
Dich, Josef, mit deiner Geliebten
Im Angesicht des ganzen himmlischen Hofes!


VIERZEHNTER GESANG


Als Josef von Gott den Befehl erhielt,
Den Bund mit Suleika zu schließen,
Da machte er ein Gelage, fürstlich,
Da war alles, was Lust verschafft.
Er lud die Fürsten und die Edlen ein
Und setzte sie auf ihre Ehrensitze.
Nach Vater Abrahams Gesetz
Und Israels Glauben
Und nach den schönen Bräuchen
Vermählte er sich mit Suleika,
Die größte Perle der Perlenschnur sie.
Der Mond und die Fische streuten Silber,
Da der Herr sich seiner Wonne freute.
Josef bat um Vergebung,
Bat die Gäste um Nachsicht,
Und schickte Suleika
In seine einsame Kammer.
Die Mägde brachten Suleika
Als Brautgabe ihre Krone,
Sie jubelten über die Schönheit der Herrin
Und gaben ihr ein kostbares Kleid.
Als aber der Lärm der Menge verstummte
Und alle in ihre Wohnungen kehrten,
Als Luna im seidigen Brautgewand
Die Erde verschleierte,
Als am saphirenen Firmament
Die Chöre der Sterne sangen,
Die Plejaden schimmerten
Wie Perlen und Rubine,
Das Haar der Nacht bedeckte die Welt
Und alles fröhlich unter der Decke spielte,
War auch Suleika einsam,
Doch ihr Herz tanzte wie Mücken im Sonnenlicht.
Den heißen Durst stillte kein Wasser,
Kein Meer löschte den Brand ihres Herzens.
Sie sprach: Ich kann es noch nicht glauben,
Daß mein Schicksal mir jetzt so gnädig ist!
Der Vorhang vor dem Fenster ging auf
Und Luna schmückte das Haus.
Suleikas Augen sahen den Geliebten,
Sie fühlte neue Wollust,
Sein Schimmer raubte ihr den Verstand,
So weicht die Finsternis vor der Sonne.
Als Josef die Geliebte sah
Und den Wahnsinn der Liebe, den er erregt,
Hebt er sie auf ihren Thron
Und bettet sie in seinen Armen.
Durch seinen Duft gestärkt,
Erwacht sie aus ihrem trunkenen Traum.
Sie schaut ihn an, er war schön
Wie ein Meister eines chinesischen Bildes.
Ihre Lippen öffneten
Das Salbfass des Vertrauens,
Und da das Salz seine Lust gewürzt,
Umfing er sie mit beiden Armen,
Und oh, wie glücklich,
Als seine Hand die kleine Perle fand,
Die unversehrte Perle!
Wie blieb deine kleine Perle unversehrt?
Sie sprach: Du hast mich nur angeschaut,
Doch pflücktest du die Knospe nie!
Ich war ja noch ein Mädchen,
Als ich dein schönes Traumbild sah
Und dich nach deinem Namen frug.
Dies kostbare Kleid
Bewahrte ich vor Jedermann!
Meine kleine Perle blieb unberührt!
Gelobt sei Gott der Herr,
Daß diese kleine Perle unberührt blieb
Und nicht berührt von sündiger Hand!
Sieben Schwerter durchbohrten meine Seele,
Doch ich sparte mich auf für dich!
Er sprach: Schönste aller himmlischen Mädchen!
Ist diese Vereinigung schöner nicht
Als da du sie einst im Traum erträumt?