Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

EXODUS






Ein Bibliodrama
Von Josef Maria Mayer


ERSTER AKT


ERSTE SZENE


(Moses und seine Frau Zippora und sein Sohn Gerschom wandern am Fuße des Horeb. Sie ruhen aus vor einem Dornbusch.)

MOSES
Ruhe brauch ich.
ZIPPORA
Ruhe dich in meinen Armen aus und bette dein Haupt an meinen Brüsten.
GERSCHOM
Papa, der Dornbusch leuchtet so seltsam.
MOSES
Was ist das? Ich spüre die Gegenwart von etwas Heiligem.
ZIPPORA
Bete zum König der Juden!
MOSES
Allmächtiger meiner Seele!

(Der Dornbusch flammt auf und brennt, ohne zu verbrennen. Die Stimme Gottes tönt wie Meeresrauschen.)

GOTT
Moses, Moses, ich habe dich berufen und auserwählt!
MOSES
Sprich zu mir, Herr, dein Sklave hört.
GOTT
Ich habe das Jammern, Schreien und Flehen meines Volkes gehört, die als Sklaven in Ägypten leben. Du sollst sie in die Freiheit führen!
MOSES
Ich? Wer bin ich, dass ich solches könnte?
GOTT
Verlass dich nicht auf deine eigene Weisheit, sondern vertraue dem Herrn allein. Die Wahrheit wird euch frei machen, denn wo der Geist des Herrn weht, da ist Freiheit.
MOSES
Wer bist du, Gott?
GOTT
Ich bin, der ich bin!
MOSES
Herr, hier bin ich, so sende mich!
GOTT
Geh und sag dem Pharao, er soll meine Leute gehen lassen! Fürchte dich nicht vor ihm, denn ich bin mit dir!
MOSES
Drein Wille geschehe, allmächtiger Vater!


ZWEITE SZENE


(Ägyptische Soldaten treiben die hebräischen Sklaven zur Arbeit an einer Pyramide an. Unter den hebräischen Sklaven sind die Verwandten des Moses, Aaron, Mirjam, Anaida, Saphira.)

SOLDATEN
Wollt ihr immer nur die Hände falten und beten? Macht euch an die Arbeit!
AARON
Eine Pyramide sollen wir für den Pharao errichten. Mumifizieren wollen sie den Körper des Pharao. Alle Flüssigkeit wird aus seinem Körper herausgesogen, auch die Flüssigkeit des Hirnes. Wenn er dann leiblich aufersteht, hat er kein Gehirn im Kopf.
MIRJAM
Die Auferstehung der Toten galt jahrhundertelang nur dem Pharao und der Pharaonin. Aber nach einer demokratischen Revolution in Ägypten können nun auch die armen Leute leiblich auferstehen.
AARON
Wenn der arme Landmann leiblich aufersteht und das Totengericht besteht, dann darf er im ewigen Leben wieder seinen Acker bestellen.
MIRJAM
Im Totengericht werden des Menschen gute und böse Werke gerichtet. Auf der rechten Schulter sitzt der gute Engel, auf der linken Schulter sitzt der böse Engel. Wenn der Mensch vorm Totenrichter Osiris sagt: Ich bin unschuldig! Dann tritt der böse Engel vor und sagt: Ich habs gesehen! Du hast gestohlen! Du hast dein eigenes Fleisch befleckt! Dann kommt die Göttin der Gerechtigkeit, Maat, mit einer Waage. Auf die eine Waagschale werden die guten Werke und auf die andere Waagschale die bösen Werke gelegt. Und nur wenn die guten Werke überwiegen, darf der Mensch ins ewige Leben.
AARON
Um dann im ewigen Leben wieder wie auf Erden die gleichen leiblichen und irdischen Dinge zu tun, die auf Erden seine Freude waren, nämlich mit dem Pflug hinterm Stier die Erde aufzureißen und in die Löcher der schwarzen Erde Samen einzusäen.


DRITTE SZENE


(Die ägyptischen Soldaten ziehen sich kurz zurück. Die hebräischen Sklaven, angeführt von Moses, planen den Aufstand.)

SOLDATEN
Genossen, kommt, wir wollen in die Hütten, Götterbier trinken!

(Soldaten ab.)

AARON
Oh wären wir die Antreiber los!

(Moses tritt zu ihnen.)

MOSES
Lieben Brüder!
MIRJAM
Und liebe Schwestern!
MOSES
Gott hat euer Jammern gehört! Der Herr erbarmt sich seiner Kinder!
AARON
Wie lange noch, Herr, wie lange noch müssen wir seufzen und stöhnen?
MIRJAM
Wie lange noch erdulden den neunschwänzigen Skorpion?
MOSES
Wen die Wahrheit frei macht, der ist wirklich frei!
AARON
Freiheit! Ein schönes Wort! Doch auch die Gottlosen preisen die Freiheit. Sie zerreißen die Stricke Gottes und seines Messias und nennen das Freiheit.
MOSES
Wer sich von Gottes Gesetz befreit, ist Sklave der Sünde, des Teufels und des Todes. Wer sich aber dem Allmächtigen unterwirft als allergeringster Sklave, der ist wahrhaft frei, denn er hat Anteil am Geist des Herrn, der der Geist der Freiheit ist. Denn wo der Geist des Herrn weht, da ist Freiheit!
AARON
Demonstrieren wir für unsre Freiheit!
ANAIDA
Heute ist der Tag des Zornes! Tag des gerechten Zornes! Tag des heiligen Zornes!
MIRJAM
O göttliche Freiheit, erlöse deine Sklaven, o göttliche Freiheit!


VIERTE SZENE


(Moses und die hebräischen Sklaven am Lagerfeuer.)

MOSES
Aaron ist zum Pharao gegangen, um unsre Freiheit zu erbitten.
HEBRÄER
Ja, Moses, der Herr hat dich zum Gott gemacht und Aaron zu deinem Mund.
MOSES
Ich sitze nicht zusammen mit gottlosen Spöttern, sondern Morgen und Abend murmle ich die Worte Gottes.
HEBRÄER
Das können die Heiden nicht ertragen, dass wir den wahren Gott erkennen, dem lebendigen Gott dienen, mit dem ewigen Gott in Ewigkeit zusammen sein wollen.
MOSES
Wir allein vermögen nichts gegen die gottlosen Heiden. Aber der Herr ist mit uns! Die Gnade des Geistes Gottes erleuchte Aaron, dass er die richtigen Worte finde, wenn er vor dem Pharao steht.
HEBRÄER
Ein Engel Gottes steh an seiner rechten Seite, dass seine Kniee nicht zittern und seine Hände nicht schwitzen, wenn er vor dem Pharao steht und Freiheit verlangt!
MOSES
Oh wie sehnen wir uns nach einer guten Nachricht! Wenn doch ein Zeichen käme, dass der Herr mit uns ist und uns beschützt vor unsern Feinden!
HEBRÄER
Wir haben uns die größte Tugend angewöhnt, wenn wir uns die Geduld angewöhnt haben.
MOSES
Ja, mit den geduldigen Duldern ist der Herr! Aber wie lange duldet der Herr noch unser Elend? Ach wenn doch der heiße heilige Zorn des Herrn entbrennen würde und den mächtigen Tyrannen von seinem stolzen Stuhl würfe!
HEBRÄER
Da, Aaron kommt! Mirjam ist bei ihm! Oh, das ist ein gutes Zeichen: Mirjam kommt!


FÜNFTE SZENE


(Aaron und Mirjam treten vor Moses und die hebräischen Sklaven.)

AARON
Ich habe mit dem Pharao gesprochen.
MOSES
Nun, will er uns in die Freiheit lassen?
AARON
Nein. Aber er sagte, er sei nicht gegen uns. Wir sollten nicht denken, dass er unser Feind sei. Sein Gott sei die Sonne, die über Gerechte und Ungerechte scheint, und er sei der Sohn der Sonne, er sei Gottes Sohn, Gott von Gott und Licht von Licht, und er sei uns gnädig.
MOSES
Was für eine aufgeblasene Kreatur, der die Demut mangelt! Welcher Mensch kann sagen: Ich, ein Mensch, bin Gott!
AARON
Zum Zeichen seiner Gnade schenkt er Mirjam die Freiheit. Zwar das ganze Gottesvolk bleibt in der Knechtschaft, aber Mirjam allein hat schon die Freiheit.
MOSES
Und was sagst du, o Mirjam?
MIRJAM
Mein Glück ist erst vollkommen, wenn ich alle meine Brüder und Schwestern in der Freiheit weiß. Aber ich darf euch ein Zeichen der Hoffnung sein.
MOSES
Hoffnung, holde, gütiggeschäftige, die du das Haus der Trauernden nicht verschmähst! Hoffnung, junges Mädchen, die du deinen beiden älteren Schwestern Glaube und Liebe voraneilst! Sei gegrüßt, Mirjam, unsre einzige Hoffnung!
AARON
Der Pharao fordert aber ein Zeichen, dass wir das Volk Gottes sind und dass unser Gott mit uns ist.
MOSES
Als ich vor dem brennenden Dornbusch stand, verwandelte Gott meinen Stab in eine Schlange. Ich fasste die Schlange mit meiner rechten Hand an ihrem Schwanz an, da ward sie zum harten Stab. Bei diesem Wunder, beim Herrn der Wunder, dem Ewigen Vater und wunderbaren Ratgeber, hebe ich den Stab gen Himmel und rufe den Herrn an: Herr, vergiss uns nicht in unserm Elend! Gedenke deines Bundes mit uns und sei uns gnädig!

(Am Himmel erscheint ein Regenbogen.)


SECHSTE SZENE


(Moses, Aaron, Mirjam und eine Schar hebräischer Sklaven am Lagerfeuer. Der Engel des Herrn erscheint.)

ENGEL
Hört, ihr Söhne von Eber, hört, ihr Söhne von Levi, es naht die Stimme des Herrn! Bereitet euch, tut Buße, schüttet Asche auf euer Haupt und schafft eure Sünden hinweg, denn gleich wird sprechen zu euch der Herr, der Ewige Vater!
AARON
Wir bekennen dem allmächtigen Vater, dass wir unterlassen, freundlich zu sein, und dass wir Sünde gedacht und Sünde gesprochen und Sünde getan! Darum bitten wir die Ewige Weisheit und alle Cherubim und Seraphim, für uns zu beten bei Gott dem Herrn.

(Es donnert am Himmel.)

GOTT
Ich biete euch die Jungfrau Torah an! Ich habe sie Ägypten angeboten. Aber als Ägypten hörte: Ich bin dein Gott, der Herr allein, du sollst keine andern Götter anbeten als den Herrn allein – da sagte Ägypten: Ich verehre alle Götter! Ich will die Jungfrau Torah nicht! Da bot ich die Jungfrau Torah den Hellenen an. Aber als die Hellenen hörten: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib! Ja, nicht einmal in Gedanken sollst du begehren deines Nächsten Weib und sie durch deine begehrlichen Phantasien zur Hure machen – als Hellas das hörte, sagte Hellas: Ach, mir ist die Lust das Höchste Gut! Von den Hetären will ich die Künste lernen! Darum will ich die Jungfrau Torah nicht! Und nun, ihr Söhne Ebers und ihr Kinder Levis, wollt ihr die Jungfrau Torah?
MOSES
Ja, ich will! Mit Gottes Hilfe vermähle ich mich der keuschen Jungfrau Torah! Ich will alles tun, was die himmlische Jungfrau Torah gebietet! Sprich, mein Herr und mein Gott, dein Diener hört! Tu mir kund die Worte des ewigen Lebens!
GOTT
Hiermit überreiche ich dir, o Moses, meinem Freund, die Jungfrau Torah! Tu, was Sie gebietet, und du wirst leben!

(Es donnert und blitzt und der Himmel schließt sich wieder.)


SIEBENTE SZENE


(Ein fröhliches Fest der Armen.)

AARON
Wir erheben den Becher des Heils!
MOSES
Gott hat den Wein geschaffen zur Freude der Herzen!
AARON
Doch sauft euch nicht voll Wein, sondern lasst euch vom Geist erfüllen!
MOSES
Die Spötter reden, wir seien betrunken vom Wein, doch wir sind erfüllt vom Geist der Weisheit!
AARON
In nüchterner Trunkenheit!
MOSES
Und die Schwäne tunken ihr Haupt ins heilignüchterne Wasser!
AARON
Anaida, Anaida! Tanze, du Schöne, tanze zum Lobpreis des Ewigen!
ANAIDA
Soll ich tanzen den Bauchtanz? Mirjam, Salome, kommt, wir tanzen den Bauchtanz!
AARON
Anaida, Anaida! Tanze du den Schleiertanz!
ANAIDA
Verschleiert von sieben Schleiern bin ich! Soll ich fallen lassen Schleier um Schleier?

(Anaida tanzt verschleiert den Bauchtanz.)

MOSES
Blast die Hörner!
AARON
Streicht die Cymbeln, streicht die klingenden Cymbeln!
MIRJAM
Flötenbläserinnen, blast die Flöten!
MOSES
Opfern wir den Bock dem Herrn! Opfern wir den Bock, beladen mit allen unsern Sünden, opfern wir den Bock dem Herrn!
AARON
Heil dir, Sündenbock! Heil dir, geopferter Bock! Hinaus in die Wüste mit dir, du Sündenbock!
MOSES
Lasset kreisen die Becher!
MIRJAM
Flötenbläserinnen, blast die Flöten!


ACHTE SZENE


(Die Soldaten des Pharao unterbrechen das fröhliche Fest der hebräischen Sklaven.)

SOLDATEN
An die Arbeit, an die Arbeit, ihr Sklaven!
MOSES
Wir tanzen zum Lobpreis Gottes!
SOLDATEN
Ja, zur Ehre Gottes tanzen, zur Ehre Gottes zechen, das wollt ihr, arbeiten für den Pharao wollt ihr aber nicht! Sollen wir euch die Peitsche fühlen lassen? An die Arbeit, faules Pack!
AMUN
Ich, Amun, bin der Sohn des Pharao! Anaida, hebräische Sklavin, komm zu mir, der Sohn des Sohnes Gottes ruft dich!

(Die Hebräer gehen an die Arbeit, von den Soldaten begleitet. Anaida und Amun stehen abseits zu zweit allein.)

ANAIDA
Mein Schatz!
AMUN
Freundin und Geliebte!
ANAIDA
Hast du mich lieb?
AMUN
Ich hab dich lieb, du Schöne! Ich habe den Astrologen des Pharao befragt, wie die Sterne über dem Schicksal unserer Liebe stehen.
ANAIDA
Du glaubst an die Sterne?
AMUN
Über unserer Liebe steht ein böses Sternbild, der Skorpion! Über unsern Häuptern schwebt der Fluch der Götter! Das Schicksal hat uns verflucht zu ewigem Liebesunglück!
ANAIDA
Aber Er, der Mond und Sonne und die Sterne geschaffen hat, der ist die Liebe!
AMUN
Ich trotze dem Schicksal! Ob auch die ewigen Götter unsere Liebe verfluchen, ich trotze den Göttern! Trotz des Fluches liebe ich dich mit einer ewigen Liebe!
ANAIDA
Noch nach meinem Tode werde ich dich lieben!


NEUNTE SZENE


(Von den Soldaten bewacht, arbeiten die hebräischen Sklaven an dem Bau der Pyramide. Der Pharao und seine Gemahlin Sinaida mit vornehmem Gefolge erscheinen.)

PHARAO
Ihr Sklaven, wie kommt ihr mit der Arbeit voran?
SINAIDA
Ihr habt doch genügend Zeit, vom frühen Morgen an bis zum späten Abend zu arbeiten. Wollt ihr etwa müßig sein und nur von den Göttern träumen?
PHARAO
Müßiggang ist aller Laster Anfang!
SINAIDA
Ja, wenn Männer müßig gehen, verlieben sie sich aus purer Langeweile!
AARON
Das Joch ist zu schwer auf unsern Schultern! Wir wollen einmal frei durchatmen! Wir sind Kinder des wahren Gottes und wollen den Tag mit Gebet beginnen und mit Gebet beenden.
PHARAO
Das lieben die Götter nicht, das lange Plappern von Gebetsformeln und das Abspulen von Perlenschnüren! Wenn ihr den Göttern gefallen wollt, dann steht früher auf und werft euch vor Beginn eurer Arbeit vor euren Göttern nieder. Aber arbeiten müsst ihr vom frühen Morgen an bis an den späten Abend.
AARON
Lass uns gehen, Pharao, wir wollen in die Wüste, um in der Einsamkeit mit Gott zu sprechen!
PHARAO
Wenn du mit einem Gott sprechen willst, dann sprich mit mir, denn ich bin ein Gott!
AARON
Du bist vom Staub genommen und zu Staub wirst du werden!
PHARAO
In mir ist der große Sonnengeist Fleisch geworden! Ich bin ich, ein menschgewordener Gott. Wer mich schaut, der schaut die Sonne. Fallt auf eure Angesichter und betet mich an! Ich bin ein Mensch, aber ich bin auch ein Gott!


ZEHNTE SZENE


(Die Soldaten des Pharao verteilen Maisbrei an die hebräischen Sklaven. Moses Frau Zippora und Moses Schwester Mirjam beklagen ihr Elend.)

SOLDATEN
Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Aber da ihr euch abgemüht habt, den ganzen Tag gearbeitet habt, sollt ihr nun aus reiner Gnade vom Pharao ein Schälchen Maisbrei bekommen.
HEBRÄER
O Gott, der du den Mais aus der Erde wachsen lässt, O Gott, der du das Wasser aus der Erde sprudeln lässt, wir danken dir, o Herr, und deinem Messias, der als Menschensohn zu deiner Rechten thront und kommen wird zu unserer Erlösung! Amen.
ZIPPORA
Mein Vater ist ein Priester des Allerhöchsten. Mein Vater ist ein Hirte und seine Herde ist groß. Ich aber muß hier niedrigste Sklavendienste tun. Mein Herz im Busen empört sich!
MIRJAM
Ich habe gesehen, wie der Pharao befahl, alle jüdischen Knaben umzubringen! Ach, was ist besser, als Kind zu sterben oder in Sklaverei zu leben? Wenn die Feinde Gottes uns das Leben so verbittern, dass wir wünschten, nicht geboren zu sein, dann möge Gott seine allmächtige Rechte ausstrecken und uns retten!
ZIPPORA
Ich sorge mich um meinen kleinen Gerschom. Er braucht mich, ich darf ihn nicht verlassen. Aber ich wäre lieber tot als lebendig! Oh wie kann Gott das zulassen, dass die Feinde unseres Seelenheils solche Macht über uns gewinnen, dass wir vor Kummer sterben möchten? Die Feinde unserer Seele verbittern uns das Leben, sie lassen uns nicht leben, nicht atmen, nicht lieben und Gott nicht feiern.
MIRJAM
Gott wird das Schreien seiner Geliebten hören! Harren wir auf den Herrn, wir werden ihm noch danken für seine Hilfe.


ELFTE SZENE


(Der Pharao und Moses ziehen sich zu politischen Verhandlungen zurück. Der Sohn des Pharao, Amun, tritt vor die Frau des Pharao, Sinaida, und schüttet ihr in seiner Verzweiflung sein Herz aus.)

AMUN
Mutter, ich habe dir nie mein Herz ausgeschüttet.
SINAIDA
Du bist ja schon ein Mann. Du bist ja kein Säugling mehr.
AMUN
Aber Mutter, jetzt bin ich verzweifelt! Ich bin so ratlos, dass ich mir vorkomme wie ein kleines hilfloses Kind, das von der Mutter an die Hand genommen werden muss.
SINAIDA
Ein weiser Mann sagte mir: Eine Mutter bleibt eine Mutter und ihr Sohn bleibt ihr Kind, auch wenn der Sohn schon zum Mann herangereift ist.
AMUN
Mutter, Mutter, ich weiß nicht weiter! Meine Situation ist ausweglos!
SINAIDA
Was gibt es denn, was dich bekümmert?
AMUN
(weinend)
Ach Mutter, die Liebe...
SINAIDA
Ja, weine ruhig, mein Sohn.
AMUN
Die Frau, die ich liebe, gehört nicht zu unserem Volk und zu unserem Gott, sie gehört zu den Feinden und zu den Göttern der Feinde. Die Juden wollen frei sein! Meine Geliebte wird mich verlassen! Ich soll aus der Heimat fort und den Sklaven folgen, will sie, aber ich bin der Sohn des Pharao und werde selber einst der Sohn Gottes sein.
SINAIDA
Lass kein Weib über dich herrschen, Sohn! Sei männlich und stark! Sei dir deiner Würde bewusst! Du bist der Sohn der Sonne, du bist der Neue Gott nach deinem Vater! Lass dich nicht von einer Sklavin versklaven, sondern hebe dein Haupt! Sei männlich und stark, mein Sohn!


ZWÖFTE SZENE


(Pharao und seine Minister. Moses, Aaron und einige Hebräer.)

PHARAO
Genug diskutiert! Auf Worte sollen Taten folgen!
MOSES
Du lässt uns also ziehen?
PHARAO
Beweise mir, dass der Gott Israels ein lebendiger Gott ist und dass er mächtiger ist als der höchste Gott Ägyptens, die Sonne am Himmel!
MOSES
(hebt seinen Stab gen Himmel)
Herr, offenbare deine Macht und Herrlichkeit! Nicht um meinetwillen, Herr, sondern zur Ehre deines Namens tu ein Wunder!

(Die Sonne verfinstert sich. Über Ägypten bricht mitten am Tag eine Finsternis herein.)

PHARAO
Mein Gott hat mich verlassen! Ah mir, ich stehe in dichter Gottesfinsternis! Mein Geist versteht den Gott des Lichts nicht mehr, da es Finsternis in meinem Glauben ist! Meine Seele ist umnachtet, meine Seele ist blind und taub und stumm und gelähmt vor Kummer! Meine Sinne sind umnachtet und ich sehe nicht mehr die Herrlichkeit des Herrn am Himmel! O mir, ich verliere den Verstand! Wehe, wehe, wehe, der Wahnsinn fällt mich an! Meine Seele verblutet und der Nil wird rot wie Blut! Die unsichtbare Katzengöttin fällt mich an und zerkratzt mir die Seele und meiner Seele Leben fließt aus! Ich bin unbeseelt! Ich rede im Fieber! Die Sonne ist Gott und der Mond ist Göttin, sie haben mich verlassen! Ich sehe ein Herz mit einem Schwert darin und ich sehe einen Drachen am Himmel! Bin ich wahnsinnig oder ein Seher? Ich sehe die Toten aus dem Totenreich auf Erden wandeln! O mir, der Wahnsinn hat mich überfallen!

ENDE DES ERSTEN AKTES



ZWEITER AKT


ERSTE SZENE


(Der Pharao mit seinen Dienerinnen in seinem Palast, in tiefer Finsternis.)

PHARAO
Ich bin in tiefster Finsternis. Meine Seele ist umnachtet. Alle Freude am Daseins ist dahin. Ich wünschte, nie geboren zu sein. Warum hat meine Mutter mich geboren? Wie kann ich ihr das je verzeihen? Ich schrei zu den Göttern, mich doch tot zu schlagen! Ich bin mir selber meine größte Last geworden, ja, ich bin mir selbst mein schlimmster Feind geworden. Ich versuche, die unerträgliche Seelenqual und den unausschöpflichen Jammer mit Wein zu betäuben, aber vergeblich. Meine Mädchen in den Spinnwebenkleidern, tanzt für mich, lasst eure Becken kreisen und streicht dazu das Sistrum und singt ein schmachtendes Liebeslied für mich, vielleicht, dass mich das erheitert?

MÄDCHEN IN SPINNWEBENKLEIDERN
(singen)

Es war einmal ein junger Mann,
Der liebte eine schöne Dame,
Sie aber sah ihn gar nicht an
Und wollt ihn nicht zum Bräutigame.

Da ist er krank geworden, krank
Vor Liebe ist der Mann geworden.
Er kam ins Haus der Kranken. Dank
Den sanften Schwestern von dem Orden!

Die Ärzte gaben Medizin
Dem armen liebeskranken Manne.
Doch konnten sie nicht heilen ihn,
Er stand in einem Zauberbanne.

Die Liebeskrankheit heilen muss
Die goldne Liebesgöttin Hathor.
Ach, Liebste, gib mir einen Kuss,
Dann werde ich zum Triumphator!

PHARAO
Ach, weh mir, ich bin verflucht von allen Göttern und verflucht von allen Menschen! Ich verfluche mein Leben!


ZWEITE SZENE


(Palast des Pharao.)

PHARAO
Ihr Mädchen, ich hab genug von euch und euren trällernden Hurenliedchen! Ich kann das Geplärre eurer Liebeslieder und das Geklapper eurer Klapperbleche nicht mehr ertragen. Geht mit der Göttin, aber geht! Lasst mich allein mit meiner kranken Schwermut! Einzig treu ist mir die Finsternis.
EIN MÄDCHEN
Mein König, kann ich denn gar nichts für dich tun? Ach, wenn mein König doch wieder Lust am Leben hätte!
PHARAO
Ja, rufe mir den Moses herbei! Nur Moses kann mir jetzt noch helfen.

(Mädchen ab.)

Ach, am Ende des finsteren Tunnels seh ich ein kleines Fünkchen Glut, eine kleine Hoffnung, wie ein schwächliches junges Mädchen, schüchtern und scheu, und diese Hoffnung ist Moses und sein Gebet.

(Moses tritt ein.)

MOSES
Du wolltest nicht hören auf Israels Gott. Du hast dir selbst den Zorn des einzigen wahren Gottes herabbeschworen auf dein Haupt. Bekehre dich und glaube an den Gott Israels!
PHARAO
Hab doch Mitleid mit mir, du strenger Moses! Wie kannst du so hartherzig sein? Ich bin nahe daran, den Verstand zu verlieren aus großem Kummer, und du weinst nicht mit dem Weinenden, sondern hältst mir mit nüchternem Herzen eine trockene Predigt! Mehr Mitleid mit Ägypten, du Israelit!
MOSES
Ich werde für deine Bekehrung beten.


DRITTE SZENE


(Vor dem Palast des Pharao auf offenem Platz. Der Pharao steht in dem Tor des Palastes. Auf dem Platz erscheinen Moses, Aaron und Mirjam.)

MOSES
Ich habe für den Pharao und Ägypten gebetet.
PHARAO
Wird dein Gott dich erhören? Oder ist dein Gott ein zorniger Gott, ein Rachegott? Dann, welche Opfer bringst du, deinen Rachegott zu versöhnen?
MOSES
Der Herr ist barmherzig!
PHARAO
Warum muß ich dann so leiden?
MOSES
Siehe, der Herr wird sich deiner erbarmen und sein Angesicht wieder leuchten lassen über dir!

(Moses hebt den Stab gen Himmel und betet ohne Worte. Die Finsternis weicht und die Sonne scheint wieder über Ägypten.)

PHARAO
O, die göttliche Sonne gehorcht dem Gott Israels!
MOSES
Anbetung, Dank, Ruhm, Ehre, Weisheit und Lobpreis sei dem Ewigen, dem Herrn aller Herren und König aller Könige, dem Gott aller Götter, dem Allerhöchsten, der war und ist und sein wird!
PHARAO
Der war und ist und sein wird?
MOSES
Ja, der Ewige!
PHARAO
Auch Isis sagt, so heißt es: Ich bin Isis, die war und ist und sein wird!
MOSES
Hat dir der Herr nicht seine wunderbaren Werke gezeigt? Muß er dich erst an den Rand des Todes führen, bis du dich bekehrst und den wahren und einzigen Gott anbetest?
PHARAO
Du, Gottheit, die du warst und bist und sein wirst, ich bete dich an!


VIERTE SZENE


(Die Ägypter feiern ein Freudenfest und tanzen für den Sonnengott.)

PHARAO
Du Gott des Lichts, der du im östlichen Himmelsgebirge erscheinst, du triumphierst im Süden, du gehst im westlichen Meer zur Ruhe. Gott des Lichts, dir wollen wir Sistrum und Cymbel erschallen lassen!
ÄGYPTER
Ja, wir musizieren für den Gott des Lichts, den Einzigen, unsern König!
MÄDCHEN
Wie blasen die Flöten des Königs!
PHARAO
Dem goldenen Gott, dem Herrscher, der Ober- und Unter-Ägypten erleuchtet, dem Vater am Himmel, dessen Sohn ich bin, sei ein Opfer dargebracht von Götterbier!
ÄGYPTER
Wir leeren die Becher zur Ehre des Gottes, der am Abend im Westen zur Ruhe geht. Den ersten Becher auf den Gott im Osten, den zweiten Becher auf den Sieger im Süden, den dritten Becher auf den niederfahrenden Gott im Westen, den vierten Becher auf den Totenrichter im Jenseits!
MÄDCHEN
Erst zu den Bechern, dann zu den Mädchen!
PHARAO
Ruft Moses und die Israeliten herbei! Die Juden dürfen mit uns feiern! Ihr Gott ist unser Gott des Lichts, der Vater am Himmel ist der Vater im Himmel, und der Pharao ist sein Sohn! Wir glauben an Einen Gott, den Sieger am Himmel, die Sonne der Gerechtigkeit!
MOSES
(erscheint)Die Juden feiern keine Orgien für die Götter der Gestirne!
PHARAO
Ist euer Gott kein Gott der Freude und der Feste? Ägypter, tanzt zur Ehre der Sonne, trinkt zur Ehre der Sonne, liebt euch zur Ehre der Sonne!


FÜNFTE SZENE


PHARAO
Meine Soldaten, sagt den verdammten Juden, sie sollen wieder arbeiten gehen! Immer nur beten und Psalmen singen! Nein, vom Morgen bis zur Nacht sollen die Sklaven arbeiten! Geht, meine Soldaten, vollzieht meinen Befehl! Und du, mein Sohn Amun? Ich bin nicht zufrieden mit dir!
AMUN
Was kann ich tun, Vater, um deine Liebe zu verdienen?
PHARAO
Streng dich an! Sei ein Sohn, der seines Vaters würdig ist, und bedenke, dein Vater ist der Sohn Gottes!
AMUN
Ich will dir ja gefallen, Vater! Aber was ich auch tu, in deinen Augen ist es ungenügend.
PHARAO
Wenn du mein Wohlgefallen finden willst, so nimm dir eine Frau!
AMUN
Ja, ich liebe!
PHARAO
Ach, was du Liebe nennst! Ich glaube nicht an deinen Wahnsinn! Nimm dir eine Frau, die deinem Vater gefällt und zum Nutzen des Reiches Ägypten ist!
AMUN
Welche Frau gefällt dir, Vater, dass ich sie nehmen soll?
PHARAO
Ein Mann soll schauen, ob eine Frau ein gebärfähiges Becken hat und ihm Söhne schenken kann, und ob sie mächtige Brüste hat, die Söhne großzuziehen.
AMUN
Wen meinst du, Vater?
PHARAO
Nun, sieh dir die Tochter Assyrien an! Hast du je solch ein gebärfähiges Becken gesehen und solche imposanten Brüste? Hathor selbst ist sie!
AMUN
Aber ich liebe Anaida!
PHARAO
Die faule Jüdin?
AMUN
Ob ich will oder nicht, mein Vater, und ob es dir gefällt oder nicht, die Götter wollen es, ja, ob ich will oder nicht, die Götter gebieten es mir: Ich liebe Anaida!


SECHSTE SZENE


(Vor dem Tempel der Göttin Isis.)

PHARAO
Ägypter von Ober- und Unter-Ägypten, huldigt der großen Göttin Isis!
ÄGYPTER
Isis, Isis, heile uns von unsern Krankheiten!
PHARAO
Isis hat viele Namen. Die Griechen nennen sie Aphrodite, die Phönizier nennen sie Astarte, die Babylonier nennen sie Ishtar, aber ihr wahrer Name ist Isis, Mutter der Götter!
ÄGYPTER
Wir sind die Auserwählten der Himmelskönigin! Ob wir dich Hathor nennen oder Nephthys oder Isis, du bist die Große Mutter, wir sind deine Kinder!
PHARAO
Komm, mein Sohn Amun, bete mit mir die Goldene an.
AMUN
Vater, habe Geduld, ich will dort abseits stehen und beten.

(Anaida aus einem Versteck tritt zu Amun, der abseits steht.)

ANAIDA
Beim wahren Gotte Zebaoth, komm, Geliebter, fliehen wir! Sie wollen dich fangen, sie wollen dich fesseln, sie wollen dein Seelenheil verderben!
AMUN
Meine Sonne, meine Freundin, meine Göttin – Anaida!
ANAIDA
Ich bin nicht Gott! Unser Gott ist ein Gott, der uns rettet, der uns in die Freiheit führt! Ich gehöre meinem Gott, ich lasse mich von meinem Gott erlösen! Laß dich erlösen, Geliebter, laß dich befreien! Zieh du mit den Israeliten in das gelobte Land von Milch und Honig!
AMUN
Morgen, Geliebte! Morgen gehöre ich deinem Gott. Heute Nacht aber will ich feiern die orgiastischen Zeremonien der Großen Mutter!
ANAIDA
Isis ist ein Dämon!
AMUN
Isis ist die göttliche Weisheit!


SIEBENTE SZENE


(Zeremonie im Isis-Tempel.)

PRIESTER
Isis, Isis, unsre göttliche Katze! Heilig, heilig ist unsre göttliche Katze! Deine Augen sind Sichelmonde, dein Fell ist schwarz wie die Nacht! Freie Göttin, kein Mensch kann dich beherrschen! Göttliche Katze, dir gilt unsre Liebe!
ÄGYPTER
Göttliche Katze, wir beten dich an!
PRIESTER
Hathor, Hathor, Göttin der Liebe, des Tanzes und der Musik, du bist die himmlische Kuh! Wir hängen alle an deinem Euter und saugen an deinen Zitzen! Hab Erbarmen, Große Mutter, Heilige Kuh, du Goldenes Kalb, und lass uns saugen die Milch deiner Liebe!
ÄGYPTER
Heil dir, Goldenes Kalb, du göttliche Mutter, du Heilige Kuh, o Hathor, dir weihen wir Tanz und Musik und die Lüste der Liebe!
PRIESTER
Heil dir, Sekmeth, schreckliche Göttin, blutdürstig bist du! Töte unsere Feinde, schlage die Feinde Ägyptens tot und saufe ihr Blut! Betrinke dich, schreckliche Göttin, besaufe dich am Blut deiner Feinde und taumle! Du bist die Löwengöttin, brülle, Göttin, zerreiße die Gazellen und die Antilopen und friß das Aas, o Göttin des Todes!
ÄGYPTER
Heil dir, blutdürstig bist du, schreckliche Göttin! Sauge uns das Blut aus dem Leibe und verschlinge unser verwesendes Aas! Töte uns, Göttin! Friß uns auf, o Göttin! Wir sind dein Fleisch und dein Blut und deine Opferspeise, Göttin des Todes!
PRIESTER
Heil dir, dreifaltige Isis!
ÄGYPTER
Heilig, heilig, heilig ist die große Göttin!


ACHTE SZENE


(Moses tritt in den Isis-Tempel ein, wo der Pharao und die Ägypter tanzen.)


MOSES
Pharao!
PHARAO
Was willst du hier, Jude? Störe nicht die Zeremonien der heiligen Götter!
MOSES
Eure Götter sind nicht Götter. Ob ihr die Sonne oder den Mond anbetet, den Nil anbetet oder den Mistkäfer anbetet, Sonne und Mond und Nil und Mistkäfer sind Geschöpfe des einen Gottes!
PHARAO
Deinen Gott hat noch keiner gesehen. Unser Gott geht jeden Morgen am Himmel auf. Unsre Göttin lächelt uns jede Nacht an.
MOSES
Weißt du denn nicht, dass der Mond ein Stein ist, den Gott an den Himmel gesetzt und ihm seine Bahnen um die Erde vorgeschrieben hat?
PHARAO
Wo ist denn dein Gott?
MOSES
Es ist so schwierig zu sagen, wo Gott ist, wie es schwierig ist zu sagen, wo Gott nicht ist.
ÄGYPTER
Deine jüdischen Spitzfindigkeiten kannst du alten jüdischen Weibern preisgeben, aber störe nicht unsern zeremoniellen Tanz zu Ehren der Mondgöttin! Du störst unsre Kreise!
MOSES
Was nennt ihr eure Mondgöttin? Etwa jene Goldene Kuh dort auf eurem Altar mit der silbernen Mondsichel zwischen den Hörnern? Gebt acht!

(Moses schlägt den Stab auf den Boden, die Erde bebt, die goldene Kuh der Mondgöttin fällt zur Erde und zerfällt in Scherben. Die Ägypter im Tumult und im Lärm brechen in Chaos aus.)

AMUN
Wo bist du, Anaida?
ANAIDA
Ich bin ja da, Geliebter!
AMUN
Komm, lass uns fliehen!
ANAIDA
Ich folge dir, mein Geliebter!

(Anaida und Amun entfliehen.)


NEUNTE SZENE


(Anaida und Amun allein am Ufer des Roten Meeres.)

AMUN
Wo sollen wir hin?
ANAIDA
Es gibt keinen Ausweg mehr!
AMUN
Ach, Hoffnungslosigkeit!
ANAIDA
Unsre Liebe steht unter einem bösen Stern.
AMUN
Alles ist zuende.
ANAIDA
Wir wollen zusammen sterben!
AMUN
Die Erde ruft zum Morgenstern: Ach, ich habe leider Menschen! Der Morgenstern sagt zur Erde: Keine Sorge, das geht vorüber.
ANAIDA
Auf dieser Erde ist kein Ort für die Liebe.
AMUN
So wollen wir uns im Totenreich lieben.
ANAIDA
Die Lebenden lieben die Liebe nicht.
AMUN
Die Toten sind treu.
ANAIDA
Ach, wäre ich nie geboren!
AMUN
Ach, wären wir beide nie geboren!
ANAIDA
Dann wären wir im Himmel geblieben.
AMUN
Ich liebe nur noch das Nichts.
ANAIDA
Wir beide wollen zusammen verlöschen im Nichts.
AMUN
Uns umarmen in der Ewigkeit des Todes!
ANAIDA
Wirst du im Jenseits auch keine andre Frau lieben?
AMUN
Ich bin du und du bist ich.
ANAIDA
Wir sind eins in Gott.
AMUN
Ich bin der Sonnengott und du bist die Mondgöttin.
ANAIDA
Herr, erbarme dich!
AMUN
Himmelskönigin, hilf!



ZEHNTE SZENE


(Die Israeliten in ihrem Exodus kommen an das Rote Meer und treffen auf Amun und Anaida.)

MOSES
Anaida, du bist eine Tochter Gottes! Komm mit Gottes Volk in die Freiheit!
ANAIDA
Aber ich will bei Amun bleiben.
MOSES
Anaida, Gott ruft dich in die Freiheit! Lass dich nicht von einem Ägypter versklaven! Wen liebst du, Gott oder den Sohn des Pharao?
ANAIDA
Gott!
AMUN
Du verlässt mich für deinen Gott? Ich hasse den Gott der Juden! Ich hasse die Juden!

(In der Ferne erscheint der Pharao mit seiner Armee.)

MOSES
Herr, rette uns vor unsern Feinden!
AMUN
Mein Vater und Pharao, vertilge die Juden!
PHARAO
Meine Soldaten! Treibt die Juden in eine Sackgasse! Wir treiben sie wie Ratten ins Rote Meer und ersäufen sie wie Ratten!
AMUN
Ja, die Pest über die Juden! Die Juden sind Läuse und Ratten!
MOSES
Herr, erbarme!
AMUN
All ihr Götter, zeigt eure Macht! Vernichtet die Juden und den Judenheiland!
PHARAO
Aufmarschiert, Armee! Im Namen der göttlichen Sonne, meines Vaters, und der Mondgöttin, meiner Mutter, nieder mit Israel! Der Gott Ägyptens vertilge Israel!
MOSES
Herr, Herr, Gott!
ANAIDA
Vater im Himmel!


ELFTE SZENE


(Am Ufer des Roten Meeres stehen sich gegenüber die Israeliten und die Ägypter.)

PHARAO
Ihr Juden, ich habe nichts gegen euch, im Gegenteil, ihr seid mir ganz gleichgültig! Aber ich will euer Bestes, ihr sollt nicht in die Einsamkeit der Wüste hinaus! Denkt nicht, ihr könntet vom Gebet allein leben! Ich will euch Arbeit geben. Die Arbeit wird euch zu Menschen machen. Schämt euch nicht, Sklaven zu sein, denn ihr seid nicht Sklaven irgendeines Sklavenhändlers, sondern Sklaven des Sohnes Gottes!
SINAIDA
Pharao, ich sehe auf Moses Antlitz einen göttlichen Glanz! Ich sehe über Moses die Wolke der Herrlichkeit! In meinem Herzen ist ein Durst nach Gott! Wo ist Gott, dass ich ihn finde und fasse und nicht mehr lasse? Ich will nicht eines Tages sagen müssen: Sinaida, du hast den Namen, dass du lebst, aber in Wahrheit lebst du gar nicht wirklich, denn du hast die Wahrheit nicht ergriffen! Nein, mein Pharao, die Wahrheit ruft mich, Gott ruft mich zu dem Gottesvolk, und ich muß Gott mehr gehorchen als dir, meinem Mann.

(Sinaida läuft zu den Israeliten über. Moses hebt seinen Stab gen Himmel.)

MOSES
Herr, Herr, Gott, Allmächtiger meiner Seele, Gewaltiger, Herr der himmlischen Heerscharen, schlage unsre Feinde, schlage die Feinde unsrer Freiheit! Uns aber, deinen Kindern, öffne die Augen, dass wir sehen die tausend mal zehntausend Engel um uns, die uns beschirmen vor dem Übel!

(Die Erde bebt. Der Pharao und seine ägyptische Armee, sie fallen alle ohnmächtig zu Boden.)

SINAIDA
Gott Israels, nimm mich an, ob ich auch Tochter Ägypten heiße, nimm auch mich auf in dein heiliges Volk!
MOSES
Sinaida, Tochter Ägypten, auch du, auch du sollst anbeten Gott den Herrn!


ZWÖLFTE SZENE


(Die Ägypter erheben sich erneut, sie drängen die Israeliten ganz dicht ans Rote Meer.)

PHARAO
Mein Weib, Sinaida, die Götter haben dich zu meinem Eigentum bestimmt, zu meiner Sklavin! Du bist mein! Wenn du jetzt deinen Herrn und Gott verlässt, um mit Moses und seinem Judenheiland Ehebruch zu treiben, so wisse, dass die Ägypter unter Anrufung der ägyptischen Götter dich jagen werden, bis sie dich ergreifen und dich totschlagen wie eine räudige Hündin!
AMUN
Anaida, Anaida, einst hab ich dich begehrt, einst hab ich dich geliebt! Komm zurück von deinem unsichtbaren Gott, der dich doch vor dem Tode nicht beschützen kann, komm zurück von deinem Gott der Sklavendemut und komm zu unsern ägyptischen Göttern, zur siegreichen Sonne! Wenn du aber deinen Gott der Sklavendemut nicht verlässt und heimkehrst zur siegreichen Sonne, um meine Geliebte zu werden und meine Liebesdienerin, werde ich dich töten, und kein Gott kann dich retten, wenn ich dir die glühende Spitze meines Schwertes in deinen mächtigen Busen bohre!
SINAIDA
Moses, bitte du zu deinem Gott und meinem Gott, zu deinem Herrn und meinem Herrn, mein Leben zu retten!
ANAIDA
Moses, hebe deinen gewaltigen Stab, der einst zur Schlange geworden, um sich wieder aufzurichten als Stab, und rufe an den Herrn, meinen Herrn, Gott, meinen Gott, meine Seele zu erlösen!
MOSES
Barmherziger Heiland, unser Retter, segne Sinaida, segne Anaida, segne die Tochter Ägypten, die dich anruft als den wahren und lebendigen Schöpfer und Erlöser, und befreie deine Jungfrau Israel von der Aggression, von den Aggressoren, die Israel ausrotten wollen.

(Moses hebt den Stab gen Himmel. Der Engel des Herrn tritt ans Rote Meer und teilt das Meer und bereitet den Kindern Israel den Weg.)


DREIZEHNTE SZENE


(Die Israeliten ziehen durch das geteilte Rote Meer.)

MOSES
O Wolkensäule, die du uns vorausgezogen, nun stelle dich hinter uns auf, o Wolkensäule, und schirme uns vor unsern bösen Feinden!
ISRAELITEN
(singen)

Moses went to Pharao:
Let my People go!
Go down, Moses,
Go down to Egypts land,
Tell old Pharao:
Let my People go!

(Am Ufer des Meeres bereitet sich die ägyptische Armee, geführt vom Pharao und Amun, sie reiten mit Kriegswagen und Kriegspferden in das Rote Meer. Die Wolkensäule erhebt sich über dem Meer und die Wellen schlagen über der ägyptischen Armee zusammen.)

AMUN
Ihr Götter, ihr habt uns verlassen!

(Pharao, Amun und alle Ägypter ertrinken im Meer.)

MOSES
Barmherziger Heiland, erbarme dich der armen Seelen unserer toten Feinde!

(Die Israeliten sind am anderen Ufer angekommen. Sie sind in der Freiheit. Die Frauen tanzen, geführt von Mirjam, und singen die Ode an die Freiheit.)

MIRJAM
Freiheit, schönste Tochter Gottes,
Trotz der Herrn und Unterdrücker
Siegtest du! In deinem Namen
Tanzen alle Töchter Gottes!
ISRAELITINNEN
Paukenschlägerin, o Mirjam,
Prophetissa, Tochter Gottes,
Sing der Freiheit eine Ode!
MIRJAM
Freiheit, schönste Tochter Gottes,
Über uns im Dritten Himmel
Wohnt ein liebevoller Vater!