Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

EIN MENSCH




Poem

Von Josef Maria Mayer


ERSTER GESANG

PROLOG


Ich sah im Universum
Eine Nacht
Der totalen Einsamkeit.

Die Sterne verließen
Die Sonne, die allein
Unterging in Finsternis.

Die Sonne schwitzte
Mitten in der Finsternis
Tausend blutige Tränen.

Die Götter Griechenlands
Peitschten mit Skorpionen
Die elende Sonne.

Tausend Tränen weinte
Die hohepriesterliche Sonne
Im Purpurmantel.

Alle spotteten brüllend
Wie Ozeane:
Du willst Sonne sein?

Und die Sonne tauchte
Ihr blutendes Haupt
In das Meer der Trauer.

In der endlosen Traurigkeit
War zu Tode betrübt
Die verblutende Sonne.

Da schrie die Sonne:
Kaiser des Universums
In deinem Empyreum,

Lass diesen Kelch
Mit blutigem Wein
An der Sonne vorübergehn!

Und die Sonne sang
In ihrer Sphärenharmonie
Wie eine goldne Sirene:

Schreibe alle Worte,
Die ich dir sagte,
Der Nachwelt in ein Buch!

Und ich sah, und siehe, was ich sah,
War die Klosterfrau
Der dunklen Nacht des Geistes.

Sie hatte lange schwarze Haare,
Lange Haare wie ein Wasserfall,
Und sie kämmte ihr Haar,

Dann schnitt sie die Haare ab
Und ihre glänzende Glatze
War die glänzende Luna.

Aber ihre Mutter, das Meer,
Zerrte an der dunklen Nacht:
Komm zurück zur Familie!

Du bist Luna,
Du bist von Silber,
Glaube an die dreißig Silberlinge!

Aber die dunkle Nacht
Floh durch einen Spalt,
Durch einen Riss im Universum.

Die dunkle Nacht des Geistes
Hatte eine Busenfreundin,
Das war die dunkle Nacht des Nichts.

Und beide flohen sie
Vor dem Gold der Sterne
Und dem Reichtum des Firmaments,

Schlossen sich beide ein
Als Reklusinnen beide
In der Einsamkeit des Alls.

Aber die gebackene Gottheit,
Die gekelterte Gottheit
Versüßte die Einsamkeit.

Die schwarze Klosterfrau Nacht
Trat zu ihrem Bruder,
Der sang mit den Schleiereulen,

Und sog an seinem Busen,
Die Milch der Milchstraße trank sie
Und sprach betrunken:

Du hast selber nichts zu sagen,
Es sind meine Worte
Und die meines Sohnes, der Sonne.

Vom Himmel hoch da komm ich her,
Ich bring euch eine neue Mär,
So begann ich mein Lied.

Das Thema ist
Das Evangelium
Meiner Liebe.

Ihr singt alle von der Liebe,
Nichts wisst ihr von der Liebe,
Denn die Liebe wurde gekreuzigt!

Eure Lieder von der Liebe
Kreuzigen immer wieder
Die gekreuzigte Liebe!

Die Liebe war im Anfang
Wie die Wehen einer Frau
Und der Schrei der Geburt.

Schreiend kam die Liebe zur Welt,
Ihr erster Laut war das Heulen,
Kein Sultan kommt anders zur Welt.

Aber seit die Liebe
Gekreuzigt wurde,
Ist die Liebe die gekreuzigte Liebe!

Eure Liebe ist Lust,
Eure Liebe ist Spaß,
Eure Liebe ist Hunger.

Aber ich verkünde die Liebe,
Die verblutet,
Die zu Nichts wird!

Ja, die Liebe, die zu Nichts wird,
Damit die Geliebte Alles wird,
Die nenn ich demütige Liebe.

Demütig! Demütig!
Immer schön demütig bleiben!
Nein, ich bin nicht Gott!

Doch Gott ist Liebe
Und ich bin Gottes Ebenbild
Und darum bin ich Liebe.

Und ich künde euch
Das Evangelium
Meiner gekreuzigten Liebe!


ZWEITER GESANG
GEBURT JOSEF MARIA MAYERS

Dass meine Eltern
Geheiratet haben,
Erregte eine Sturmflut.

Mein Vater ist der Sturm,
Meine Mutter ist das Meer,
Die Hochzeit ist die Sturmflut.

Meine Mutter ist die See:
Lasst uns um Sankt Marie
Die See!

Meine Mutter ist die See,
Die Nordsee, die Mordsee,
Der Blanke Hans.

Mein Vater ist der Sturm,
Der Geistbraus überm Meer,
Gottes Geistbraus, sausend.

Mein Vater ist
Der Atem Gottes,
Der Heilige Geist.

Meine Mutter ist
Das Meer der Materie,
Mutter Maria.

Als der Sturm des Heiligen Geistes
In das Meer Mariens fiel,
Da kam die Sturmflut.

Die Sturmflut kam
Und brach die Deiche
Und schoss die Elbe hinauf

Und überflutete Hamburg,
Menschen saßen weinend
Auf den Häuserdächern.

Aber mein Vater
Und meine Mutter
Tanzten ihren Hochzeitstanz

Auf der Insel Baltrum
Im ostfriesischen Archipel
Mitten in der Sturmflut.

Und der brüllende Sturm
Zeugte im schäumenden Meer
Josef Maria Mayer.

So lag ich am Strand
Der Insel Baltrum,
Ein Findelkind,

Da fand mich
Meine Großmutter
Paula Margarethe.

Sie war eine Witwe
Von neunzig Jahren,
Witwe zu Gottes Ehre,

Sieben Jahre
War sie vermählt gewesen,
Seit vielen Jahren war sie allein.

Sie war allein
Und doch nicht allein:
Wer glaubt, ist nie allein.

Sie legte mich
Auf ihren Schoß
Und nahm mich als ihr Kind an.

Sie gab mir Milch
Und süßen Milchbrei
Und Apfelkompott.

Sie sang mir
Wiegenlieder vor
Und Kindergebete:

Lieber Schutzengel mein,
Laß mich dir befohlen sein
Und führ mich in den Himmel!

Ich bin klein,
Mein Herz ist rein,
Soll niemand drin wohnen als Jesus allein!

Lieber Gott,
Mach mich fromm,
Daß ich in den Himmel komm!

Maria, breit den Mantel aus,
Mach Schirm und Schild daraus,
Bis alle Stürme vorüber sind!

Dann küsste mich Großmutter,
Nannte mich ihren Liebling:
Wie schön, dass du geboren bist!

Gott kannte mich schon,
Bevor ich empfangen wurde
Im Mutterschoß.

Bevor des Vaters Samenzelle
Und der Mutter Ei
Verschmolzen zu meinem Leib,

Bevor Gott hauchte
Meine Geistseele
In den Keim des Körpers,

Lebte ich noch nicht,
Aber Gott kannte mich schon
Und rief mich schon beim Namen.

Als ich gewoben wurde
Im Schoß der Materie,
Drunten im Dunkel der Erde,

Berief mich Gott,
Ich solle sein Jünger sein
Und ein Prophet des Höchsten.

Gott gab mir eine Zunge,
Scharf wie ein Pfeil,
Zu sagen trefflich die Wahrheit.

Gott sandte mich
Auf den blauen Planeten,
Die schwarze Mutter Erde,

Mit einer Mission:
Geh, mein Sohn,
Und künde allen Menschen,

Daß Gott der Vater
Die Menschenkinder
Liebt wie eine Mutter!

Darum hat Gott,
Seit Christoph Columbus
Maria von Guadelupe entdeckt,

Hunderttausend
Männer und Frauen
Ehelich vermählt,

Auf dass ich werde,
Frucht unzähliger Vermählungen,
Ich, Josef Maria Mayer,

Zu künden allen Menschen
Die Mutterliebe Gottes
Des allmächtigen Vaters.


DRITTER GESANG
LEBEN JOSEF MARIA MAYERS

Ich bin gekommen,
Den Frieden zu bringen,
Nicht den Frieden, sondern das Schwert!

Ich rief: Friede sei mit euch!
Aber des Menschen Feinde
Waren seine eignen Hausgenossen.

Der Vater wird den Sohn
Dem Richter übergeben,
Der Bruder den Bruder verraten.

Ihr ruft alle:
Friede, Friede!
Und ist doch kein Friede!

Der Friede kommt nicht
Von den Staatspräsidenten
Und nicht von den Armeen.

Kein Friede auf Erden
Ohne Gerechtigkeit
Für die Armen der Völker.

Hört mich, ihr Armen,
Ihr seid die Lieblinge Gottes,
Ihr Armen Jahwes!

Weh euch, ihr Reichen,
Ihr seid schon satt,
Ihr habt euren Lohn schon dahin!

Selig die Armen,
Die nur von Gott noch erbitten
Das tägliche Brot!

Selig ihr, die ihr hungert
Nach Gerechtigkeit,
Selig, die Frieden stiften!

Ihr könnt nicht zwei Herren dienen,
Ihr könnt nicht dem Mammon dienen
Und Gott!

Entweder liebt ihr den Mammon,
Dan werdet ihr
Gott verhöhnen und verspotten,

Oder ihr liebt Gott
Und liebt den Nächsten,
Dann spuckt ihr auf den Mammon!

Gott ist der Richter
In der Gemeinde
Der Götter.

Ich bin Jahwe, dein Gott,
Du sollst keine andern Götter
Neben mir haben!

Ephraim, was sollen mir weiter
Deine Götzenbilder,
Deine steinernen Götzen?

Schau dir die Venus an,
Deine Aphrodite von Marmor,
Sie hat keine Arme,

Sie hat keinen rettenden Arm,
Sie hat keine Füße,
Dir zu Hilfe zu eilen,

Sie hat keinen Kopf,
Sie hat keine Ohren,
Deine Gebete zu hören,

Sie hat keinen Mund,
Zu dir zu sprechen,
Siehe, die Venus spricht nicht.

Schaut euch an das wilde Treiben
Der Venus-Verehrerinnen,
Wie sie sich prostituieren,

Wie sie Unzucht treiben
Und nennen ihre Hurerei
Auch noch freie Liebe,

Sklavinnen ihrer Begierden,
Sklavinnen des Fleisches,
Sklavinnen der Sünde!

Buddha und Sokrates
Und Christoph Columbus
Und Nelson Mandela sind Menschen,

Lao Tse und Konfuzius
Und Mohammed
Sind Menschen, Staub vom Staube.

Eine Scham hindert mich
Die weltlichen Männer
Jesus Christus zu vergleichen.

Plötzlich stand Christus vor mir,
Wahrer Mensch und wahrer Gott,
Und ging in mich ein.

Ah weh, sie haben mein Herz zerrissen,
Mit Luthers deutscher Bibel
Haben sie meinen Leib zerschlagen!

Ich stand in Prag
Und rief zu Jan Hus:
Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage!

Dann warfen sie mich
In Prag aus dem Fenster,
Da rief ich Wallenstein.

Sie haben auf dem Boden
Meines Leibes geführt
Den dreißigjährigen Krieg!

Sie haben an die Pforte
Meines Herzens, der Kirche,
Ihre Thesen genagelt!

Den Ablaß haben sie
Mir gestohlen
Und dann auch die Beichte

Und dann wollten sie
An die Kommunion,
Da riss ich aus!

Ich war in der Kirche
Des heiligen Ludger
Und seines treuen Schwanes

Und speiste Gott
Und schwebte
Über der Erde!

Da hauchte mich Satan an,
Aus seinem übelriechenden Munde
Pest und Schwefel hauchend.

Aus Satans Munde
Schlüpfte eine Ratte,
Stinkend wie die Hölle!

Und Satan reichte mir
Ein Schwert und sprach:
Nun bring dich selber um!

Aber Sixtina
Sprach: Du sollst leben
Und blühen wie eine Lilie!


VIERTER GESANG
DIE PASSION JOSEF MARA MAYERS

Von einem Winter
Und einer dunklen Nacht
Muß ich singen und sagen.

Ein Winter war es,
Nicht einer allein,
Drei Winter waren es,

Doch, in Wahrheit,
Nicht nur drei Winter waren es,
Sondern zehn Winterjahre,

Oder muß ich nicht sagen,
Nicht zehn Winterjahre,
Sondern vierzig Jahre waren es?

Ich schaute nach innen
Und sah meine Seele,
Sah meinen inneren Menschen.

Mein innerer Mensch,
Meine Psyche,
Hing am Kreuz!

Meine Psyche blutete,
Fünf Wunden,
Sieben Schmerzen!

Meine Psyche war verwundet
Und alle Wunden meiner Seele
Waren sprudelnde Quellen

Und aus den Wunden
Brachen die Quellen hervor
Und sprudelten Ströme von Blut!

Aus meiner verwundeten Psyche
Spritzte aus allen Wunden
Das Blut des Erlösers!

O, meine Jugendfreundin
Lag im Sterbebett,
Der Krebs fraß sie auf.

Ich benetzte ihre Stirn
Mit dem segnenden Kuß
Und Strömen des Blutes.

Sie schaute auf
Und sagte mit brechender Stimme:
Ich sehe den gekreuzigten Christus!

Ich war ganz allein
Mit meinem getreuen Kreuz
In dieser finstern Nacht.

Meine zwei Frauen
Und meine fünf Kinder
Hatten mich verlassen,

Meine beiden Freunde
Und die Katholiken
Hatten mich verlassen,

Der Priester
Schickte mich fort
Von seiner Tür.

Jetzt war ich ganz allein,
Ja, von Gott verlassen!
Eli, Eli, lama asabthani?

Dunkle Nacht der Sinne,
Dunkle Nacht der Seele,
Dunkle Nach des Geistes.

Alle feiern den Advent
Und die fröhliche, selige Weihnacht,
Aber es ist mein Karfreitag!

Ich schreie zum Himmel,
Aber Gott stopft sich die Ohren zu
Mit dichten Wolken.

Ich weine meinen Jammer,
Ich flehe um Erlösung,
Ich schrei in meinen Schmerzen!

Da, Nägel in die Hände!
Da, Nägel in die Füße!
Da, eine Lanze in das Herz!

Mein Gott, mein Gott,
Eli, Eli,
Warum hast du mich verlassen?

Da tut sich in einer Vision
Der Himmel auf
Und ich sehe Jesus Christus,

Er stirbt am Kreuz:
In deine Hände
Befehle ich meinen Geist!

Meinst du, der Tod
Sei auf der Stelle
Eine Erlösung?

Da ich gestorben war
Am Kreuz
Mit Jesus Christus,

Musste ich noch hinab
In die Gottverlassenheit
Der Toten im Hades!

Du schreitest durch brennendes Feuer,
Du schreitest barfuß
Über scharfe Scherben von Glas,

Barfuß durch die Hölle!
Ist das die Freudenbotschaft?
Bin ich darum Christ geworden?

Warum hat mich Christus erwählt,
Daß ich allein
Soll pilgern durch die Hölle?

Die Toten harren stumm.
Schatten winken stumm.
Die Toten warten auf Erlösung.

Asche muß ich essen,
Tränen muß ich trinken,
Blut muß ich schwitzen.

Für welche verdammte Seele
Hat Christus mich
In diese Hölle geschickt?

Ich wollte endlich sterben,
Um nicht mehr sterben zu müssen
Diese tausend Tode!

O Gott!
Schlag mich tot
Wie einen Hund!

O Gott,
Flöße mir Morphium ein,
Schläfre mich ein!

De profundis, domine!
Ich schreie aus der Hölle
Zum Erlöser auf dem Blut!


FÜNFTER GESANG
HIMMELFAHRT JOSEF MARIA MAYERS

Ich lag auf meinem Bett
Und schaute die Grabeskerze an
Und verließ meinen Leib
Und schwebte in die Dunkelheit.

Meine Seele
Ward mir herausgesogen
Aus dem Leib,
Es war ein schmerzlich-süßer Sog.

Da schwebte ich in der Nacht,
Im Reich der universalen Nacht,
Und Schatten gesellten sich mir
Zur Rechten und zur Linken.

Alle diese Schatten
Wie Damen und Herren
In schwarzer Trauerkleidung
Standen da wie eine Allee

Von Grabeszypressen
Oder wie auf einer Prozession
Von Trauergästen,
Auf die Dämmerung zu.

Ich irrte umher,
So plötzlich herausgerissen
Aus meinem lustvollen Leib,
So jung gestorben,

Ich irrte unter den Schatten
Wie in einem Labyrinth
Von Lebensbäumen
Und Grabzypressen,

Keinen erkannte ich,
Zwar suchte ich
Unter den Schatten
Meine Brüder und Schwestern,

Ob da Ben Jonson sei,
Friedrich Hölderlin,
Marina Zwetajewa
Oder gar Sappho?

Es machte mich bange
In dieser großen Gesellschaft
Von stummen Schatten
So ratlos zu sein.

Da schwebte heran
Zu mir mein Schutzengel,
Schön wie eine schöne Frau,
Eine himmlische Zwillingsschwester.

Meine himmlische Engelin
(Wie passend
Für einen Minnesänger:
Eine schöne Engelin)

Flüsterte leise
Wie ein Pirol im Lenz,
Wenn der Zaubervogel
Über China tanzt,

Ihre Stimme rauschte
Wie ein Wasserfall,
Als ob sich unter dem Wasserfall
Eine schöne Nymphe duschte,

Und flüsterte leise:
Ich bin Mahanajim,
Mahanajim vom Wildbachtal
Des Jabbok nahe dem Jordan.

Ich sagte zur Engelin,
Wie verwirrt ich sei,
Wie geistesgestört,
Mein Geist wie vom Wahnsinn zerrüttet.

Meine Engelin sagte:
Halte dich nur
Am allerhöchsten Namen
Des Messias Jesus fest!

Da nahm ich in meiner Todesstunde
Den Namen Jesus
Dreimal heilig
In meinen Mund

Und hauchte meine Seele aus:
Jesus!
Jesus!
Jesus!

Da tanzte meine Himmelsschwester
Mahanajim
Wie ein Doppellager
Den himmlischen Hochzeitstanz

Und salbte mein Haupt mit Öl,
Das war die letzte Ölung,
Nun war ich bereit,
Dem Herrn zu begegnen.


SECHSTER GESANG
JOSEF MARIA MAYER IM HIMMEL

Ich stand vor der Himmelstür,
Der uralten ehernen Pforte,
Zwei Doppelflügel aus Kupfer,

Die Himmelstür
Öffnete sich
Einen kleinen Spalt

Und ich sah, und siehe, was ich sah,
Das war mein Herr und mein Gott
In einem blendenden Lichtreich.

Was meint ihr,
Lieben Brüder auf Erden,
Welchen Gott ich sah?

Sah ich einen Großvater
Mit langem weißem Haar
Und langem weißem Bart?

Sah ich einen strengen Richter
Mit zornigen Augen
Und strafender Rute?

Sah ich eine Große Mutter
Mit benedeiten Brüsten
Und Schößen der Barmherzigkeit?

Sah ich einen jungen Papa,
Der spielen wollte
Mit seinem kleinen Knaben?

Nein, nein, ihr Brüder,
Ich sah ein blendendes Licht,
Zu grell für meine Augen,

Und in dem Licht
Sah ich das Antlitz
Des gekreuzigten Christus!

Denkt euch das Selbstbildnis
Albrecht Dürers,
Aber ganz aus Licht,

Nein, denkt euch vielmehr
Das Grabtuch von Turin,
Doch ganz aus Licht gewoben.

Dieser gekreuzigte Christus
War mein barmherziger Jesus
Und mein Totenrichter.

Und ich sah eine Sonne,
Die war wie eine weiße Hostie
In einer goldnen Monstranz.

Und in der Hostiensonne
Sah ich die Stadt Jerusalem,
Den Palast des ewigen Königs.

Und in dem Palaste Gottes
Waren sechs Räume
Und ein siebenter Raum

Und der siebente Raum
War das Brautgemach
Der Ewigen Weisheit.

Und ich sah ein Himmelsbett
Aus Gold und Licht
Und voller purpurner Kissen und Decken.

In diesem Raum
Aus Gold und Glas und Marmor
War es wie ein heller Kristall.

Und in dem Himmelsbette
Lag die Ewige Weisheit
Im transparenten Lichtgewand.

Und ich kniete vor dem Bett
Der Ewigen Weisheit
Und entzündete das Feuer meiner Liebe

Und sprach zur Ewigen Weisheit:
Ich bin ganz dein
In allen Ewigkeiten!

Und da ich ganz dein bin,
Sei du auch jetzt ganz mein
Für alle Ewigkeiten!

Und da ich dein bin, Geliebte,
Und da du mein bist, Geliebte,
Umarme ich dich

Und vereinige mich ganz mit dir!
Von nun an kannst du mit mir machen,
Was du willst, Geliebte!

Und da ich sie umarmte
Und mich mit ihr vereinigte,
Wurden wie in Liebe eins.

Nein, ihr lieben Brüder,
Die ihr so arm seid im Geiste,
Ich muß euch enttäuschen,

Ich habe nicht mit Jesus
Und den zwölf Aposteln
Wein getrunken.

Ich war ja nur ein Tropfen
Sauren Essigs
In einem Meer von Süßigkeit!

Ich war ja nur ein Tropfen
In einem Ozean des Lichts,
Im Ozean der Schönen Liebe!

Ich war aufgelöst
Und verloschen
Im Ozean der Ewigen Liebe!

Was sollen mir da noch
Eure Zechkumpan-Apostel
Mit dem Schenken Jesus?

Jesus war der Wein,
Und ich war der Tropfen Wasser,
Aufgelöst im Wein!

Den Tropfen Wasser,
Aufgelöst im Wein,
Das könnt ihr nicht trennen!

Ich trank nicht mit Jesus Wein,
Nein, Jesus war der Wein,
Ich war berauscht von Jesus!

Ich war trunken
Von dem Weine Gottes,
In der Trunkenheit Gottes!

Was soll mir ein Schoppen
Mit dem Weinschenken Jesus
In der Schenke der Apostel,

Wenn ich berauscht bin
Und selber Trunkenheit bin
In der Trunkenheit Gottes!

Oh, und von der Trunkenheit Gottes
Taumle ich wie im Wahnsinn
In den ewigen Schlaf Gottes!


SIEBENTER GESANG
JOSEF MARIA MAYER AN DIE UNGEBORENEN

Ihr Kinder kommender Geschlechter,
Verzagt nicht, dass ihr werden sollt
Und sollt auf dunkler Erde wandern,

Euer Ungeborensein
Ist seliger zwar
Als der ganze Jammer der Erde,

Doch hier am seligen Ziel
Bezeug ich euch, geliebte Kinder:
Die Wanderschaft lohnt sich!

Gott ist nicht grausam,
Gott hat euch nicht nur geschaffen
Für sinnloses Werden und Vergehen,

Gott spannt seinen Bogen
Und legt euch an als Pfeile
Und schießt euch ins Ziel!

O Ewigkeit, du Donnerwort,
O Ewigkeit, du Flammenzunge,
O Ewigkeit, du lenzlicher Hauch!

Vergesst nicht die hohe,
Die heilige Geistermutter,
Die Geistermutter Ewigkeit!

Für sie seid ihr erschaffen!
Und was euch auf Erden fehlt,
Kann im Himmel Gott ergänzen!

Nicht mit beiden Beinen
Fest auf der Erden
Festgemauert sollt ihr stehen,

Sondern nur mit einem Bein
Auf Erden stehen,
Mit dem andern schreitend zum Himmel!

Und stecken eure Füße auch
Im Lehm der Mutter Erde,
Das Haupt hebt in die Wolken!

Erhebt eure Häupter,
Wenn die Erde bebt,
Denn eure Erlösung naht!

Die Liebe Gottes ist der Anfang
Eures Lebens
Und die Liebe Gottes ist das Ziel.

Ich höre euch schreien,
Ihr ungebornen Kinder:
Wer wird uns führen zu Gott?

Vom Schatzhaus der Weisheit
Hab ich gewonnen diese Einsicht:
Vertraut euch der Mutter Maria!

O Mutter, liebe Mutter,
Dreimal wunderbare Mutter,
Große Gottesmutter,

Ich weihe dir die Ungebornen,
Alle kommenden Geschlechter
Werden dich selig preisen!

Bienheureuse Marie,
Oh vierge chérie,
Délice éternelle !

O du überhimmlische Matrone,
Breite deinen Mantel
Über die Ungebornen!

Alle kommenden Geschlechter
Nimm in deinen Schoß,
Laß sie geborgen sein in deinem Schoß,

Und im rechten Kairos
Gebäre, Mutter,
Die Ungebornen ins ewige Leben!

Unsre köstliche Mutter,
Unsre Liebe Süße Frau,
Nimm dich der Ungebornen an,

Küsse sie
Mit zärtlichen
Mutterküssen

Und führe sie,
Heerführerin
In allen Schlachten Gottes,

Führe sie, die Lämmer Gottes,
Zum Guten Hirten,
Zur Quelle und zur grünen Aue!

Königin des Paradieses,
Öffne du die Himmelspforte
Allen deinen geliebten Kindern!

Ich schaue nun
Mit ewigen Augen
Zur schwarzen Mutter Erde

Und was ich sehe
Auf dem Mütterchen Erde,
Das sind alles Gräber.

Dort ist der schwarze Stein,
Da meiner Großmutter
Körper ist begraben.

Dort ist die weiße Marmorplatte,
Wo der Körper
Meines Vaters ist begraben.

Dort ist ein weißer Kelch
Aus Granit, da steht:
Ci git! Hier wohnt...

Und auch mein Gebein
Ist längst gesät
Zum Tag der Auferstehung.

Klopstock hör ich singen:
Halleluja, Halleluja
Dem Tag der Auferstehung!

Das ist ein Tag,
Da werde ich auferstehen,
Da wirst du auferstehen!

Da nimmt mich mein Engel
Bei der Hand
Und führt mich zu dir...

Pneumatischer Lichtleib,
Sei gesegnet,
Transparenter Glanzleib,

In dem die Seele strahlt,
Flamme vom Feuer Gottes,
Transparent für Gott!

Alle ihr geliebten
Pneumatischen Leiber
Und unsterblichen Seelen,

Lasst uns tanzen wie die Engel,
Lasst uns lachen wie die Engel,
Lasst uns lieben wie die Engel,

Versunken im Genuß
Der Ewigen Schönen
Liebe!