Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

DIE SIEBEN TÄLER DES GLANZES




Nach arabischer Mystik
Von Josef Maria Mayer


DAS ERSTE TAL


Die Stute, die ich reite,
Ist die Stute der Geduld.

Der Pilger wird sein Ziel erreichen
Allein durch Geduld,
Er darf nicht hitzig voraneilen
Wie ein zorniger Unbeherrschter.

Wenn er auch alle Jahre seines Lebens
Und wären es auch hundert Jahre
Den Geliebten nicht sehen wird
Und seine göttliche Schönheit,
So darf er sich dennoch nicht betrüben.

Der Pilger muß seine Seele reinigen lassen,
Auf dass er den himmlischen Schatz
Von Rost und Dieben frei bewahrt,
Er darf auch nicht die Väter
Und Heiligen blind imitieren.
Auch soll er die Tür seines Herzens schließen
Der Freundschaft mit den Kindern der Welt.

Er wird finden, dass alle Kreaturen
Aufgeregt suchen den Liebling!

Er sieht Jakob, der seinen Josef sucht.
Er findet eine ganze Welt von Freunden,
Die alle den Einen Geliebten suchen.
Er findet ein Universum voller Verliebter,
Die alle den Einen Liebling begehren!

Jeden Tag erlangt er eine neue Erkenntnis.
Jeden Tag begegnet ihm ein neues Mysterium.
Er hat sein Herz erhoben
Über die sichtbare Welt
Und sucht nur in den Tempel des Geliebten zu kommen.

Diese Suche sollte so leidenschaftlich sein
Wie der wahnsinnige Medschnun
Seine Layla begehrte, die Göttin der Nacht.

Wie der wahnsinnige Medschnun
Seine Nachtgöttin Layla liebt,
In purer menschlicher Liebe
Von höchster Liebesart,
So soll der fromme Pilger
Die Ewige Gottheit suchen.

Denn eines Tages sahen die Leute,
Wie Medschnun den Staub aufwühlte
Und heiße Tränen vergoss.
Was machst du, fragten die Leute.
Ich suche Layla, meine Geliebte, sprach Medschnun.
Die Leute riefen: Weh dir!
Layla ist von reiner Geistigkeit
Und du suchst die Geliebte im Staub?
Medschnun sagte: Ich suche sie überall,
Ach, dass ich sie irgendwo finde!

Zwar suchen die Weisen
Den König der Könige
Nicht im Staub,
Doch suchen die Weisen
Mit solchem leidenschaftlichen Liebesverlangen
Wie der wahnsinnige Medschnun
Seine geliebte Layla sucht.

Der Gottsucher muß die Gottheit so suchen,
Daß er alles verneint, was existiert,
Und zu allen Geschöpfen Nein sagt,
Bis er durch die negative Theologie
Zu jenem geistigen Nichts gelangt,
Da er ausruft voller Staunen:
Aber du, o Herr!

Es ist kein Gott außer Gott der HERR allein.
Es ist kein Gott, ist Negation,
Denn Gott ist Nichts,
Verglichen mit allem Seienden.
Doch Gott ist der Herr allein,
Das ist das letzte Ja,
Das göttliche Aber:
Aber du, o Herr!
Das ist der Beginn des Glaubens
Und des wahren Bekenntnisses.

Der Pilger aber muß sich selbst verlassen
Auf der Suche nach Ihm,
Da erst wird er den Honig schmecken
Und schmecken, wie gut der Herr ist,
Und kosten, wie süß der Name des Herrn ist,
Und genießen die Kommunion mit Ihm.

Wenn du dann den Becher leerst
Der Kommunion mit dem Liebling,
Vergisst du die Welt und ihre Kinder
Und vergisst du dich selbst
Und verlierst dich in den Geliebten.

Suche den Geliebten an allen Enden der Erde,
Bei allen Völkern und Zungen,
Suche, bis du entdeckst
Das Mysterium des Vielgeliebten.

Schau, und siehe, du wirst schauen
Das Antlitz des Einziggeliebten
In manchem menschlichen Antlitz.

Wenn der Pilger in diesem Tal
Durch den Beistand der göttlichen Gnade
Die Spur der Fußtapfen seines Geliebten findet,
Wird er augenblicklich hinübergehen
In das Tal der Ewigen Liebe
Und dort wird er verschmelzen
Mit der lebendigen Liebesflamme.


DAS ZWEITE TAL


In dem Tal der Liebe
Ist ein attraktives Himmelreich
Und eine all-erleuchtende Sonne,
Brennendes Begehren,
Und die lebendige Liebesflamme
Lodert wie Feuerschlangen!

Wo die lebendige Liebesflamme
Wie feurige Schlangen lodert,
Da wird die Ernte des Verstandes verbrannt.

Hier ist der Pilger bewusstlos,
Bewusstlos aller Kreaturen
Und bewusstlos seines eigenen Ichs.

Er weiß nichts von dem Wissen
Und weiß nichts von der Unwissenheit,
Er schwebt über den Dogmen
Und ist frei von aller Gottlosigkeit.

Er überlässt die Gottlosigkeit den Gottlosen
Und die Dogmatik den Dogmatikprofessoren.
Ein kleiner Dorn der Pein
Von der Rose der göttlichen Liebe
Ist genug dem Pilger.

Die Stute, die ich reite
Im Tal der Liebe,
Ist die Stute der Pein.

Ohne Kreuz wird die Pilgerschaft nicht vollendet.

Der Verliebte kann an nichts andres denken
Als an den Einen Liebling.
Der Pilger sucht keine Zuflucht
Als an dem Rocksaum des Geliebten.
An jedem Tag
Gibt er in tausend Toden sein Leben hin
In der Nachfolge des Geliebten.
Bei jedem Schritt
Wirft er tausend Feinde
Zu den Füßen des Schemels des Geliebten.

Mein Bruder!
Erst wenn du in das Ägypten des Geistes ziehst,
Wirst du Josef finden,
Die Schönheit des Geliebten.
Wie Jakob musst du aufgeben
Die äußeren weltlichen Augen
Und das innere Auge des Herzens öffnen.
Erst wenn du erfüllt bist
Von der lebendigen Liebesflamme,
Wirst du in Kommunion sein
Mit dem Liebling in Ekstase!

Der Liebende fürchtet kein Geschöpf
Und kein Verlust kann ihn betrüben.

Man wird ihn finden
Kühl im Feuerofen
Und trocken in den Meereswogen.

Die Liebe akzeptiert keine Existenz
Und wünscht sich nichts auf Erden.
Der Gottsucher findet Leben im Tod
Und in der Demütigung findet er seinen Ruhm.

Viel Weisheit ist notwendig,
Um einen bereit zu machen
Für die Weißglut der Liebe.

Selig ist das Haupt,
Das in den Staub geworfen liegt
Vor den Spuren der Fußtapfen
Seines Lieblings.

Sei ein Fremdling deinem Ich,
Damit du den Weg findest
Zu dem einzigbegehrten Liebling.

Verbanne die sterbliche Erde,
Damit du Ruhe findest
Im Taubennest
Der allmächtigen Liebe!

Zu Nichts musst du werden,
Damit du erfüllt wirst
Vom Feuer des Ewigen Seins
Und angenommen werden kannst
Von der Ewigen Liebe.

Die Ewige Liebe akzeptiert
Keinen, der an sterblichen Dingen hängt.
Der Falke des Himmels
Speist keine toten Ratten!

Jeden Augenblick
Verzehrt die Liebe
Die sterbliche Welt.

In welchem Land auch immer
Der Pilger die Fahne der Liebe hisst,
Die Liebe macht ihn
Immer und überall
Trostlos traurig!

Die eigne Existenz
Hat kein Sein
Im Bereich der Ewigen Liebe!
Und Männer des Verstandes
Haben kein Bürgerrecht
Im Fürstentum der Schönen Liebe!

Der Walfisch der Liebe
Speit aus die Männer des Verstandes
Und zerstört die Stolzen,
Die auf ihr Vielwissen stolz sind.

Selbst die sieben Weltmeere
Löschen nicht den Durst,
Den das Feuer der Liebe
Im Herzen des Pilgers entzündet!

Und dennoch ruft der Pilger:
Ist da noch irgendein Mensch
Der Liebe auf Erden?

Die sieben Schleier
Des satanischen Egoismus
Werden verbrannt
Vom Feuer der Ewigen Liebe,
So dass der Geist ganz nackt
Und sauber und pur
Vorm Herrn der Herren steht
Und spricht: Für dich allein!

Dann spricht Gott zum Gottseher:
Für dich, für dich allein
Bin ich gestorben am Kreuz!

Entzünde die Flamme der Liebe
Und lass vom Liebesfeuer verzehren
Alle Besessenheiten des Egoismus,
Dann steige barfuß und unbeschuht
Auf den Gipfel des Berges der Liebe.

Von dort wird der Pilger
Hinüberschreiten vom Gipfel der Liebe
Ins Tal der göttlichen Erkenntnis!


DAS DRITTE TAL


Der Pilger wird geführt
Vom Zweifel zum Vertrauen
Und geführt von der Nacht
Der weltlichen Irrtümer
Wilden Begehrens
Ins Licht
Der Führung
Durch die Pietät.

Sein inneres Auge
Wird geöffnet
Und er wird leben
In inniger Kommunion
Mit seinem Liebling!

Er öffnet die Pforte
Der Wahrheit und der Devotion
Und schließt das Tor
Des Aberglaubens und Stolzes.

Er gehorcht dem Gesetze Gottes,
Wird Leben im Tod erkennen
Und empfängt die Mysterien
Des Lebens der kommenden Welt
Und der Neuen Schöpfung
Und erkennt den Neuen Himmel und die Neue Erde
Mit den inneren Augen,
Und mit einem spirituellen Herzen
Erkennt er die Ewige Weisheit
In der Evidenz Gottes.

In einem Ozean
Erkennt er den Tropfen
Und in dem Tropfen
Erkennt er den Ozean.

Der Pilger empfängt in diesem Tal
Visionen, so dass er schaut
In aller Schöpfung
Die ewigen Ideen Gottes.
Wohin immer er schaut,
Er schaut die Spuren Gottes.

Über aller Ungerechtigkeit
Erkennt er die göttliche Justitia,
Über der strengen Justitia
Sieht er triumphieren
Die mütterliche Misericordia.

In allen Irrlehren
Entdeckt er
Den Samen der absoluten Wahrheit.

Er bricht aus dem Gefängnis
Der fleischlichen Begierde
Und wird berührt vom Geist
Der Heiligen in der Unsterblichkeit.
Er bittet um die Himmelsleiter
Und steigt hinan
In den Ideenhimmel.

Wird er unterdrückt
Von den Kindern dieser Welt,
So leidet er in Geduld.
Wenn er Zornige sieht
In ihren Zornausbrüchen,
Hat er Mitleid mit ihnen.

Der Pilger sieht
Den Anfang aller Dinge
Und das Ziel aller Dinge
Als Eines.
Ja, mehr noch,
Der Pilger schaut Eines,
Welches ohne Anfang
Und ohne Ende ist.

Die vollkommene
Erkenntnis des Herrn
Ist es, ihn zu befreien
Von allem, was nicht Gott ist.

Herr, führe uns den rechten Weg
Und segne uns
Mit göttlicher Liebe,
Deiner Substanz!
Frei von uns selber
Und frei von allen Geschöpfen
Sind wir, frei für dich,
Um nichts zu wissen als Gott allein,
Um nichts zu schauen als Gott allein,
Um nichts zu lieben als Gott allein.

Ja, der Pilger
Geht noch über die Liebe hinaus,
Denn die Liebe
Ist eine dünne Haut
Zwischen dem Liebenden und dem Liebling.

Ich bin Gottes Eigentum
Und kehre heim
In Gottes Schoß.

Und so schreitet der Pilger
Vom Tal der göttlichen Erkenntnis
Hinüber ins Tal
Der göttlichen Vereinigung!


DAS VIERTE TAL


Der Pilger trinkt
Vom heiligen Kelch
Der Theoria
Und schaut
Die Hypostasen
Der Einen Gottheit.

Er reißt den Schleier herunter
Des Vielen,
Flieht die Welt
Der irdischen Lüste
Und steigt in den Himmel
Der Einen Gottnatur.

Er lauscht
Mit heiligen Ohren
Und schaut die Wunder
Der Schöpfung
Durch das Wort des Herrn
Mit heiligen Augen.

Er betritt den Garten
Der göttlichen Freundschaft
Und tritt ein in den Pavillon
Seines Lieblings!

Er weiß nichts mehr
Von seinem Ich
Und hat auch seinen Namen vergessen
Und kennt nur noch
Sein Selbst versunken in Gott
Und kennt nur noch
Den Namen des Herrn, ja,
Den Namen des Herrn als seinen eigenen Namen.

Er hört die Stimme
Des Königs
Und die Melodien
Des Saitenspieles Gottes.

Er schaut alle Dinge an
Mit der Vision
Des einzigen Gottes
Und sieht das Licht Gottes
Durch alle Dinge scheinen.

Siehe das Phänomen der Sonne,
Die über Gute und Böse scheint.
Aber das Maß,
In dem die Sonne
Die Orte erleuchtet,
Ist gemäß der Orte Offenheit.

In einem fleckenlosen Spiegel
Scheint die Sonne hell
Und in einem Kristall
Offenbart sich ihr Feuer.

Einige Menschen aber
Haben den Seelengrund
Der Erkenntnis Gottes
Ummauert
Mit Egoismus und Begierden
Und leben verschleiert
Von Taubheit und Blindheit
Und sehen die Sonne der Ideen nicht
Und kennen die sieben Mysterien des Lieblings nicht
Und sind beraubt des Schatzes
Der Ewigen Weisheit
Und der göttlichen Schönheit
Und ausgeschlossen
Vom Allerheiligsten
Der göttlichen Gloria.

Ein reines Herz
Ist wie ein Spiegel,
Gereinigt durch Liebe
Und durch Absonderung von allem
Außer Gott,
Und die Ideale Sonne
Und die Ewige Luna
Spiegeln sich im reinen Herzen.

Der Himmel aller Himmel
Kann Gott nicht umfassen
Und kein Tempel auf Erden
Und dennoch will Gott
Wohnen im reinen Herzen.

Wenn die Ideale Sonne
Als Lichtglanz des Lieblings
Thront in deinem Herzensthron,
So strahlt das göttliche Feuer
Durch alle deine Glieder.

Wenn ein Gottesknecht
Mit Gott spricht im Gebet,
Hört Gott den Gottesknecht
Und spricht zu ihm
Und mehr noch,
Gott hört
Dann mit den Ohren seines Knechtes.

Denn der Hausherr
Ist im ganzen Hause der Herr
Und die Säulen des Tempels
Sind Lichtstrahlen Gottes.

Alles lebt und bewegt sich
Durch Gottes Leben
Und alles erhebt sich
Nach Gottes Begehren.

Dies ist die Quelle,
Von der jene trinken,
Die Gott nah sind.

Gottes Evidenz
Ist Gottes Menschwerdung.
Gottes Ewiges Sein
Ist Sein Name.

Einen sterblichen Schatten
Kannst du nicht vergleichen
Der Idealen Sonne!

Und dennoch wird
Die Sonne der Wahrheit
Sichtbar in den Spiegeln
Ihrer Heiligen.

Die göttliche Sonne
Strahlt im Herzen,
Aber sie ist verschleiert
Von irdischer Sinnlichkeit.
Entferne den Schleier,
Dann schaust du
Die bloße Sonne.

Wenn du von dem Antlitz
Deines Herzens
Den Schleier der Täuschung
Herunterreißt,
Schaust du die göttliche Sonne
Klar im Spiegel
Des unverschleierten Angesichts
Deines inneren Menschen.

In dir ist
Ohne Eingang und Ausgang
Die Sonne der Gottessubstanz,
Die Substanz alles Seienden,
Das Urmysterium
Des begehrten Lieblings!

Zwischen dem Liebenden
Und dem begehrten Liebling
Darf nicht die dünnste Haut sein!

Dies ist nicht Bücherwissen
Und nicht studierte Weisheit
Und angelesene Erkenntnis,
Sondern unmittelbar
In der Nacht des Kreuzes
Eingegossene Weisheit.

Der Gottesknecht
Erkennt sich als Nichts
Selbst im Kreis der Gottesfreunde,
Wieviel mehr dann erst
In der Realpräsenz
Des Einzigen Lieblings!

Halleluja dem Herrn!
Hosianna in der Höhe!

Friede sei mit dir,
Der du vollendest die Pilgerreise
Und folgst dem Herrn, geführt
Vom Licht seiner Gnade!


DAS FÜNFTE TAL


In diesem Tal vernimmt der Pilger
Das Blasen
Der göttlichen Befriedigung,
Das kommt aus der Wüste des Geistes
Und verzehrt den Schleier
Der Entbehrung.

Hier bezeugt der Pilger
Den Tag, da der Herr kommt,
Alle zu befreien
Mit der Kraft seines rechten Arms.

Der Pilger schaut
Den Tag der Erlösung
Mit den inneren Augen
Und mit den äußeren Augen
In den unsichtbaren
Und in den sichtbaren Dingen.

Der Pilger schreitet fort
Von der großen Traurigkeit
Zur stillen Freude
Und er wechselt
Die Depression aus gegen
Die Heiterkeit

Obwohl die Pilger
Äußerlich noch auf Erden sind,
Doch innerlich ruhen sie
Auf dem Sopha der Ideen,
Der Pilger hat Anteil
An der Gnade des Ideals
Und trinkt Tropfen
Puren spirituellen Weins.

Die menschliche Zunge
Kann nicht sprechen
Von der Gnade
Der letzten drei Täler
Und der Pilger spricht
Kurz angebunden.

Die Feder kann es nicht beschreiben
Und die Tinte lässt nur Kleckse zurück.

Die Nachtigall
Seines Herzens
Singt andre Melodien
Und tönt Mysterien.
Das Herz ist erregt
Und der Geist ist verstört.

Aber das Rätsel
Der Idee
Kann nur offenbart werden
Von Herz zu Herz
Und bekannt werden
Von Busen zu Busen.

Nur das Herz
Kann kommunizieren
Mit dem Herzen
Dessen, der Erkenntnis erlangt
Der göttlichen Geheimnisse.
Das kann kein Briefbote sagen
Und kein Schriftsteller schreiben in Texten.
Über vieles muß ich schweigen,
Denn ich bin nicht in der Lage,
Es so zu sagen, wie es ist.
Mein Zustand ist jenseits
Des Sagbaren
Und meine Worte sind ungenügend.

Erst wenn du den Garten erreicht
Der göttlichen Zeichen und Wunder,
In dem Unwirklichen
Siehst das Zeichen
Der göttlichen Realpräsenz
Und durch die Akzidentien
Schaust das Mysterium
Der göttlichen Substanz,
Wenn verzehrt ist der Schleier
Durch einen glühenden Seufzer
Und die Vorhänge aufgehen,
Starrst du an das göttliche Antlitz
Der Idealen Sonne.

Am Tag des Herrn
Wird deine Aussicht klar!
Das ist die Evidenz der Aussage.

Das Tal der göttlichen Befriedigung
Wird irrtümlich auch
Das Tal des Reichtums genannt.

Von diesem Tal
Der puren Befriedigung
Gelangt der Pilger
In das Tal
Des kindlichen Staunens.


DAS SECHSTE TAL


Der Pilger wirft sich
In das Meer der Größe
Und jeden Augenblick
Wird sein Erstaunen größer.

Er staunt
Vor der Gloria
Des all-liebenden Gottes
Und gibt auf
Sein eigenes Ich.

Viele Bäume
Der ewigen Ideen
Blühen durch das Blasen
Des Staunens
Und viele gefiederte Seelen
Wohnen in den Kronen.

Jeden Augenblick
Staunt der Pilger
Über Neue Welten,
Eine Neue Kreation,
Er wundert sich und staunt,
O Staunen über Staunen,
Über den Neuen Himmel und die Neue Erde
Des einen Herrn
Der drei Personen.

Wenn wir nur über eine einzige Welt
Der Neuen Kreation
Beschaulich meditieren,
Erkennen wir tausend mal zehntausend
Weisheiten!

Eine dieser Weisheiten
Ist die Weisheit des Schlafs,
Die Weisheit des Traums.
Bedenke, welche Schätze
Im Traum des Schlafs
Verborgen sind und welche
Weisheiten darin umhergehen.

Siehe, du schläfst in einer Wohnung,
Die Türen sind abgeschlossen.
Plötzlich bist du in einer andern Stadt,
Du gehst umher in der fernen Stadt
Ohne deine Füße zu bewegen,
Du siehst die Herrlichkeiten dieser Stadt
Ohne die Augen zu bewegen,
Du sprichst zu den Bewohnern
Ohne die Zunge zu bewegen.

Es kann sein, zehn Jahre später,
Da bezeugst du in Wirklichkeit,
Daß du dann alles erlebst,
Was dir einst im Traum geschehen ist.

Viele sichtbare Weisheiten sind
In deinem Traum,
Aber nur die Pilger
Aus dem Tal des Staunens
Erkennen diese Weisheiten in der Nacht.

Was ist das für eine Welt,
Die man sinnlich wahrnimmt
Ohne seine Sinne zu gebrauchen?

Wie kann es sein,
Daß du heute erlebst
In der wirklichen Welt,
Was du Jahre zuvor
Erlebt hast im Traum?

Gott, der Allerhöchste,
Hat diese Zeichen und Wunder gestiftet
In den menschlichen Kreaturen,
So dass die Philosophen nicht leugnen können
Das Leben nach dem Tod.

Einige Philosophen nämlich
Glauben nur an die Vernunft,
Obwohl die Vernunft allein
Von den göttlichen Dingen nichts wissen kann,
Es sei denn durch die göttliche Vernunft selber.

Wie kann ein Mensch
Begreifen Gottes Wort?
Wie kann eine Spinne
In ihrem Spinnennetz fangen
Den auferstandenen Phönix?

Alle diese Wunder
Findet der Pilger
Im Tal des kindlichen Staunens
Und er sucht
Zeichen und Wunder,
Ohne verrückt zu werden.

Der Herr derjenigen, die nicht mehr leben auf Erden,
Der Herr derjenigen, die noch nicht leben auf Erden,
Er teilt jedem das Maß zu
Der Reflektion und des Staunens.
O Herr, ich staune über dich!

Auch staune über die Größe
Der ganzen Schöpfung
Und ihrer Entwicklung
In Myriaden Äonen
Und staune: Dies All
Liegt in Gottes Hand!

Warum denkst du,
Dein Körper sei unbedeutend?
In deinem Körper
Ist ein ganzes Universum
Von staunenswerten Wundern!

Es ist aber notwendig,
Zu übersteigen
Die animalische Daseinsweise
Und ganz menschlich zu sein.

Lokman
Trank an der Quelle der Weisheit
Und schmeckte das Wasser
Des Ozeans der Allbarmherzigkeit
Und sprach zu Nathan, seinem Sohn:
Ein Traum ist dieses Dasein,
Das Erwachen ist das Ewige Leben.

Sohn, wenn du nicht einschlafen kannst,
Kannst du auch nicht sterben,
Und wenn du morgens nicht erwachen kannst,
Kannst du nicht auferstehen vom Tod
Zum Ewigen Leben in Gott.

Das Herz ist wie ein Kaufmannsladen,
Wo man göttliche Mysterien handelt.

Du bist ein Bürger
Des Hofes der gottnahen Heiligen,
Wähle kein irdisches Haus!

Diese Worte bleiben unvollendet.
Ich bin entmutigt
Und niedergeschlagen.
Gott, erbarme dich meiner!
Meine Feder weint
Und meine Tinte tropft Tränen
Und der Strom meines Herzens
Rollt in Wellen des Blutes.

Nichts kann uns schaden,
Denn Gott allein genügt!

Friede sei mit dir,
Der du folgst der Führung
Des heiligen Geistes!

Von dem Tal des kindlichen Staunens
Oder dem Tal des Perplexseins
Kommt der Pilger
Ins Tal der geistlichen Armut
Und der absoluten Vernichtung.



DAS SIEBENTE TAL


Dies ist das Tal,
Da das Ich stirbt
Und lebt fortan in Gott.
Der Mensch ist arm in seinem Ich
Und reich in dem begehrten Liebling.

Armut meint hier,
Arm zu sein an allem Geschaffnen
Und reich zu sein
An allen Schätzen der absoluten Wahrheit.

Denn wenn ein guter Freund
Und verliebter Freier
Zur Freundschaft Gottes kommt,
Zum göttlichen Liebling,
Ein Feuer fährt in ihn
Vom Lichtglanz der göttlichen Schönheit
Des Ewiggeliebten.
Die Hitze im Herzen des Liebenden
Verzehrt alle Schleier
Und verzehrt alle Kleidung.

Ja, alle Schleier,
Alle Kleidung verbrennt,
Die Haut verbrennt!
Nichts bleibt
Als allein die Freundschaft Gottes!

Wenn die Hypostasen
Des alten Gottes
Sich offenbaren,
Dann verzehrt der Mittler
Alle akzidentiellen Attribute.

Der diese Blöße erreicht,
Der ist geheiligt
Und losgelöst und abgesondert
Von allen weltlichen Kindern.

Die eintauchen
In den Ozean der Mystischen Union,
Die besitzen kein begrenztes Ding
In dieser sterblichen Welt,
Seien es Begierden
Nach stofflichen Lüsten
Oder egoistisches Denken,
All das kümmert den Pilger nicht.

Wer besessen ist
Von begrenzten Dingen,
Der ist gefangen in den Grenzen der Dinge,
Aber wer besessen ist von Gott allein,
Der ist grenzenlos frei.

Frau Armut,
Sagt der Heilige,
Ist meine Gloria.

Die Spuren aller Dinge
Sind vernichtet
In dem Pilger
Und die Schönheit
Des Heiligen Antlitzes
Entschleiert sich selbst
Im Orient der Ewigkeit
Und du verstehst das Wort:
Alles ist sterblich und vergänglich
Außer dem menschlichen Antlitz Gottes!

Lausche den Melodien
Des heiligen Geistes in allem!

Die Erleuchtung durch das göttliche Licht
Wird nicht zu aller Zeit
Durch deine Seele scheinen.

Obwohl die Gnade
Des gnadenreichen Herrn
Ist ewig und ohne Unterbrechung fließend,
Misst die göttliche Gnade
Doch ihre Gaben
Und ordnet jedem die Gaben zu
Nach ihrem Wohlgefallen.

Die Wolke der Allbarmherzigkeit
Wird regnen auf den Garten der Seele
Allein in Zeiten des Frühlings.

Andre Jahreszeiten haben keinen Anteil
An der allmächtigen Gnade
Und versteinerter Erdboden
Ist kein Favorit der göttlichen Gnade.

Nicht jedes Meer bringt Perlen hervor,
Nicht jeder Dornstrauch bringt Rosen,
Nicht in jedem Rosenbusch singt die Nachtigall.

Bis die Nachtigall heimkehrt
In den göttlichen Rosengarten
Und das Licht der spirituellen Morgenröte
Heimkehrt zur Sonne der absoluten Wahrheit,
Suche zu erhaschen
Einen Duft
Des Unsterblichen Rosengartens
Schon auf Erden!

Wenn du diesen Zustand erreicht hast,
Werden dir alle Freunde fremd sein
Und du schaust allein den Liebling,
Das unverschleierte Antlitz
Des göttlichen Lieblings allein!

Du hast aufgegeben
Den Tropfen vereinzelten Lebens
Und bist eingetaucht
In den Ozean der Ewigen Liebe!

Dies ist das Ziel,
Das du von Gott begehrst,
Hier fallen selbst die Schleier
Aus reinem Licht!

Vor der göttlichen Schönheit Antlitz
Sind keine Schleier
Als Transparenz allein
Und der göttliche Liebling
Trägt keine Kleider
Als allein die göttlichen Hypostasen!

Hier wird der Pilger
Eins mit Gott,
Ja,
Gott in Gott!

Gott ist Alles in Allen
Und Alles ist in Gott.

Wer in diesem Weinberg
Sein Zelt aufgeschlagen –
Wer gelegen unter diesen Rosen
Im Garten Eden –
Der weiß, was ich sage.

Dies ist es, was der Dichter meint mit dem Vers:

Leb in der Liebe, doch / die Liebe lebt in Not,
Der Liebe Anfang: Schmerz! / Der Liebe Ende: Tod!