Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

TASSO UND BYRON




Freie Nachdichtungen
Von Josef Maria Mayer



DON JUAN IM HAREM

von Lord Byron


1

Der Eunuch Abba schaute Don Juan an und sagte: Sei so gut und kleide dich selbst an, und zeigte auf ein Kleid, in dem eine Prinzessin sich wohlgefühlt hätte mit ihren Gliedern. Aber Don Juan war nicht in der Stimmung, sich zu maskieren, er gab dem Kleid einen Tritt mit seinem christlichen Fuß. Und als der alte Neger Abba zu ihm sagte: Mache dich bereit, sagte Don Juan zu ihm: Alter Herr, ich bin keine Frau!

2

Was du bist, interessiert mich nicht, sagte Abba, aber bitte, tu was ich von dir verlange. Ich habe keine Zeit und keine Worte zu sparen. Don Juan sprach: Wenigstens will ich den Grund für diese Travestie erfahren. Sei nicht albern, sagte Abba, die Zeit wird es offenbaren. Ich habe nicht die Autorität, dir den Grund zu nennen.

3

Wenn ich mich schon als Frau verkleiden muß, dann möchte ich lieber sein die... Halt, sagte Abba, der Neger, provoziere mich nicht! Dein Geist ist gut, aber er schmilzt so schnell. Du wirst finden, dass wir zu Scherzen bereit sind. Warum, sagte Juan, soll ich meinen Sexus mit diesem Kleid verleugnen? Aber Abba schlug alle Widerrede nieder und sagte: Widersprich mir nur, dann ruf ich jene, die dafür sorgen, dass du gar kein Geschlecht mehr hast (no sex at all!)

4

Ich biete dir eine Menge Kleider an, Frauenkleider, aber es gibt Gründe, warum du sie tragen sollst. Was, sagte Juan, wenn ich nicht das richtige Kleid finde? Was soll ich mit all diesen Gazekleidchen? Gaze, so nannte er den allerfeinsten, transparenten Stoff, den je eine Jungfrau-Braut bei ihrer Hochzeit trug.

5

Seufzend schlüpfte Don Juan aus seiner Hose und wurde gegürtet mit einem Jungfraun-Gürtel, der gürtete ein leichtes weißes Kleidchen, weiß wie Schaum, ein Petticoat –

6

So trug er sein neues Kleid und fühlte sich schrecklich, aber er machte weiter mit seiner Toilette, der Neger Abba half ihm ein wenig, aber einige Teile saßen zu eng. Zuletzt steckte Juan seine Hände in lange weiße Damenhandschuh und wandelte auf und ab.

7

Ein Problem aber blieb: Don Juans Haar war nicht lang genug, aber Abba fand eine herrliche Perücke, so dass Don Juans Haupt bald mit der prächtigsten Mähne gekrönt war, ganz nach der Mode frisiert. In seinen Haaren steckten goldbesetzte Spangen. Abba kämmte ihm die Haare und salbte ihm das Haupt.

8

Nun feminin arrangiert, mit Maskara, Lippenstift und Rouge verschönt, sah er aus wie ein hübsches Mädchen. Abba lächelte entzückt und sagte: Sie sehen, mein Herr, dies ist eine perfekte Transformation. Nun komm mit mir, mein Herr, das heißt, komm, meine Herrin! Abba klatschte dreimal in die Hände und sofort standen vier Neger an seiner Seite.

9

Du, sagte Abbas zu Master Jonson, wirst diese vier schwarzen Neger zum Essen begleiten, aber du, Don Juan, du würdige christliche Nonne, du folgst mir. Kein Zögern, denn wenn ich etwas gebiete, so soll es sofort geschehen. Hab keine Angst. Dies hier ist keine Löwenhöhle. Nein, dies ist ein Ort, wo die wahrhaft Weisen antizipieren das Paradies!

10

Du Narr, keiner will dir was Böses! Don Juan sprach: Um so besser für sie, denn sonst fühlten sie die Kraft meines rechten Arms, der nicht so schwach ist, wie du vielleicht denkst. Nun, ich gehorche, aber bald breche ich diesen Zauber, so dass, zu jedermanns Heil, diese Verkleidung zu keinen peinlichen Missverständnissen führt.

11

Sturkopf, komm und sieh, sagte Abba, während Don Juan sich an seinen Kameraden Master Jonson wandte, der kaum anders konnte, als zu lächeln über diese Metamorphose seines Freundes. Lebewohl, sagten sie zueinander, dies hier scheint fruchtbar zu werden in neuen seltsamen Abenteuern. Master Jonson als Moslem verkleidet und Don Juan als Mädchen durch diesen alten schwarzen Magier, den wir nicht um Hilfe gebeten haben!

12

Lebewohl, sagte Don Juan, und wenn wir uns nicht wiedersehen sollten, wünsche ich dir einen gesegneten Appetit! Lebe auch du wohl, sagte Master Jonson, obwohl ich traurig bin, aber wir müssen folgen, wenn die Schicksalsgöttin uns an den fatalen Lethe-Strand ruft! Bewahre dir einen guten Namen, obwohl einst gefallen Eva - - Nein, sagte Don Juan, der Sultan kann uns nicht in Versuchung führen, wenn auch Seine Hoheit versprochen, mich zu heiraten.

13

So schieden sie von einander durch verschiedene Türen. Abba führte Don Juan weiter durch verschiedene Räume, sie glitschten durch Galerien mit Marmorboden, bis ein gewaltiges Portal in der Ferne erschien. Da duftete ein betörendes Parfüm. Es war, als kämen sie ins Allerheiligste, denn alles war still, heilig, göttlich.

14

Die Pforte war hoch und breit, von vergoldetem Kupfer, und verziert mit den seltsamsten Darstellungen: Krieger führten schreckliche Kriege, hier trat der Triumphator dem Feind auf den Nacken, Gefangene heulten Tränenströme, in der Ferne flohen feindliche Heerscharen. Es schien ein Werk aus der Zeit zu sein, da Konstantinopel noch römisch war.

15

Dieses massive Portal war der Eingang in eine große Halle. Zu Seiten saßen zwei Zwerge, die kleinsten, die du dir denken kannst, wie Zwillinge vereint. Sie schienen die riesige Pforte zu verspotten durch ihre Kleinheit, da das Portal stolz wie eine Pyramide war. Aber die Pforte war so herrlich in all ihrer Form, dass du nicht dachtest an die beiden winzigen Zwillingszwerge.

16

Die Aufgabe der winzigen Zwillingszwerge war, die gewaltige Pforte zu öffnen. Das konnten sie, denn die Tür hing in ihren Angeln so geölt, sie glitt so sanft wie Schwankes Reime. Außerdem trugen die beiden Zwillingszwerge Pfeil und Bogen über den Schultern, um unberufene Eindringlinge abzuschießen.

17

Die Zwillingszwerge verständigten sich nur mit Zeichensprache, sie sagten kein Wort. Sie schauten jeder wie ein Inkubus, als Abba ihnen gebot, die mächtige Pforte zu öffnen. Don Juan war erschrocken vor diesen Zwillingszwergen, die ihn einen Augenblick anschauten wie die Schlange das Kaninchen hypnotisiert. Es war, als ob ihre magischen Augen jeden verzaubern oder vergiften könnten.

18

Bevor sie eintraten, gab Abba dem Don Juan noch einmal wichtige Lehren als sein Seelenführer. Du hast noch etwas Männliches an dir und gehst so breitbeinig mit großen langen Schritten, das musst du dir abgewöhnen. Mach kleine trippelnde Schritte und bewege dabei dein Becken reizend hin und her!

19

Sonst werden dich diese Wächter töten, denn sie haben Augen wie Nadeln, die dein Petticoat durchbohren können! Und wenn sie deine Maskerade durchschauen, nun, du weißt, wie nahe der Bosporus ist, in dem sie dich ersäufen werden.

20

Nun führte Abba den Don Juan in einen Raum, der noch herrlicher war als der vorige. Konfus lag der Reichtum umher, dass das umherschweifende Auge kaum etwas von der Stelle bewegen konnte. Objekt um Objekt von blitzender Herrlichkeit, eine betörende Menge von Edelsteinen, Gold und Silber und allerlei glitzerndem Flitter.

21

Reichtum hat Wunder getan, der gute Geschmack weniger. Solche Dinge findet man in Palästen des Orients und selbst in manchen keuschen Domizilen westlicher Könige (von denen ich sechs oder sieben gesehen habe). Ich kann sagen, dass Gold und Diamanten großen Glanz geben, aber da muß man auch vieles verzeihen, schlechte Götterstatuen, wacklige Tische, kaputte Stühle, obszöne Gemälde.

22

In dieser Imperialen Halle lag eine Dame in der Ferne unter einer Decke auf eine königliche Weise. Abba stand still vor ihr und bedeutete Don Juan, niederzuknien. Don Juan war es nicht gewöhnt, anbetend niederzuknien, aber jetzt drängte ihn sein Instinkt, niederzuknien vor dieser Dame, obwohl sein Verstand sich wunderte, was das alles zu bedeuten habe. Abba aber neigte sein Haupt und berührte mit der Stirn den Boden, bis die Zeremonie beendet war.

23

Die Dame erhob sich mit einer Aura wie Venus, als sie tauchte aus dem Mittelmeer, und schaute die beiden Männer an. Ihre beiden aphrodisischen Augen glichen den Augen einer Antilope, überstrahlend alle Edelsteine. Sie erhob ihren Arm, der schön war wie das Licht der Luna, und zeigte auf Abba, der den Saum ihrer scharlachroten Robe küsste, dann sprach sie leise und zeigte auf Don Juan, der noch vor ihr kniete.

24

Ihre Gegenwart war so lieblich wie ihre Kleidung. Ihre Schönheit war von überwältigender Macht, deren Gewalt unbeschreiblich ist. Ich überlasse es deiner eigenen Phantasie, dir diese Dame zu evozieren. Wenn ich sie dir erscheinen ließe, würdest du geblendet erblinden. Zu deinem Glück also versagt mir die Sprache.

25

Das will ich noch sagen: Sie war von reifem Alter, das heißt, wohl schon sechsundzwanzig Jahre alt, aber es gibt Figuren, die von der Zeit unberührt bleiben. Die Zeit wendet ihre Sense lieber an ordinäre Gestalten. So erging es auch Maria, der Königin von Schottland. Wahrlich, Tränen und Liebe zerstören uns und der Jammer wringt allen Zauber aus dem Zauberer. Aber manche werden niemals schlecht, zum Beispiel Ninon de l’Enclos.

26

Sie sprach einige Worte zu ihren Wärterinnen, einem Chor von zehn oder zwölf Mädchen, alle gleich gekleidet. Don Juan trug auch dieselbe Uniform, wie Abba sie für ihn ausgesucht hatte. Sie sahen wirklich aus wie Nymphen, wie Cousinen der Jungfrau Diana, so weit wie das Äußerliche jungfräulich war, was das Innere betrifft, weiß ich nichts davon zu sagen.

27

Die Mädchen verneigten sich vor der Herrin und gingen, aber nicht durch jene Tür, durch die Abba und San Juan hereingekommen waren. San Juan stand voller Bewunderung da in einiger Entfernung und staunte alles an, was er in diesem Saal sah, alles wie geeignet, Wunder und Lobpreis zu inspirieren. Ich muß sagen, ich konnte nie ein großes Glück darin erkennen, nichts zu bewundern.

28

„Nichts zu bewundern, ist die einzige Kunst, die ich kenne“ (Ja, mein Freund, einfache Wahrheit braucht nur wenige Worte) „um Männer glücklich zu machen oder im Glück zu erhalten“. Das schrieb Horaz vor langer Zeit, wie wir wissen, und Pope übersetzte das. Aber hätte keiner bewundert, hätte Horaz dann gesungen und Pope übersetzt?

29

Abba, als die Mädchen gegangen waren, forderte San Juan auf, wieder niederzuknien und den Fuß der Herrin zu küssen. Als San Juan das hörte, erhob er sich zu seiner vollen Höhe und sagte männlich: Ich küsse keinem Menschen die Füße, nur dem Papst!

30

Abba war verlegen von diesem Stolz zur falschen Zeit und murmelte (aber es war beiseite gesprochen) etwas von Pfeil und Bogen, doch vergeblich. San Juan würde sich nicht niederwerfen und wäre es auch vor einer von Mohameds Bräuten. Nichts ist so wertvoll wie Etikette, sowohl in imperialen Sälen als in ländlichen Hütten.

31

San Juan stand da, wie Abba, mit einer Welt von Worten um seine Ohren. Das Blut all seiner spanischen Väter wallte in seinen Venen, und lieber, als sich zu ergeben, hätte er sich von tausend Schwertern tausend Tode geben lassen. Als Abba sah, dass es mit dem Füßeküssen nichts würde, forderte er ihn auf, der Herrin höfisch die Hand zu küssen.

32

Das war ein ehrenwerter Kompromiß, eine diplomatische Vermittlung, wo sie sich auf freundliche Weise treffen könnten. San Juan zeigte sich willig, all seine höfische Ehrfurcht auszudrücken auf minnigliche Weise und sagte, dies sei das Beste, denn der Süden gebietet den Männern, den Damen die Hand zu küssen.

33

Und so folgte er, wenn auch mit etwas grimmiger Gnade, obwohl er nie eine adligere, aristokratischere Hand gesehen als diese langen schlanken Finger einer feinen Hand. Auf diese aristokratische Hand drückte er die Spur seines Küssens, obwohl er etwas zu feucht küsste. So wird es dir auch ergehen, wenn jene Frau, die du liebst, dir erlaubt, ihre Hand zu berühren. Und manchmal selbst eine vorübergehende Fremde gefährdet eine zehnjährige Treue.

34

Die Dame betrachtete San Juan und schaute ihn von oben bis unten an. Dann bat sie Abba, sich zurückzuziehen, und der schwarze Sklave gehorchte. Er flüsterte San Juan noch etwas zu, er solle sich nicht fürchten, und schaute auf San Juan mit der Zufriedenheit eines Menschen, der eine gute Tat getan hat.

35

Als Abba gegangen war, war alles anders. Ich weiß nicht, was die Herrin dachte, aber über ihren Brauen blitzte ein finsterer Tumult und auf ihre weißen Wangen kam das Blut, blutrot wie Sommersonnenwolken am Abendhimmel. In ihren großen Augen sensationelle Gefühle, halb wollüstig, halb gebieterisch.

36

Ihre Form hatte alle Sanftmut des femininen Sexus, ihr Körper die ganze Süßigkeit des Teufels, als er die Gestalt eines Seraphs annahm, um Eva zu verführen und verlockte sie (Gott weiß wie) auf die Straße des Bösen. Die Sonne selbst war nicht so fleckenlos wie sie, von der sich das Auge nicht abwenden konnte. Aber irgendwie fehlte etwas, da sie mehr zu gebieten schien als gnädig zu gewähren.

37

Irgendetwas Hässliches zog durch alles, was sie tat, wie eiserne Ketten, die sie dir über den Nacken werfen will. Begeisterung selbst erscheint als Schmerz, wenn dir der Despotismus erscheint. Unsere Seelen sind frei! Vergeblich gehorchen wir dem Fleisch im Widerstreben gegen unsere Seele – der Geist geht am Ende doch seinen Weg.

38

Ihr Lächeln war mächtig, aber auch süß. Sie war Eigenwille selbst in ihren Füßchen, als wüssten selbst ihre Füßchen, dass sie Herrscherin war. Diese Füßchen waren es gewohnt, auf Nacken zu treten. Um sich zu vervollkommnen, trug sie einen mächtigen Gürtel, der sie als Ehefrau des Sultans auswies (Gott sei Dank – nicht meine Ehefrau!)

39

Zuhören und gehorchen! Dies war von Jugend an ihre gewohnte Umgebung, ihr Gesetz. Alle ihre Phantasien zu erfüllen, die ihr Spaß und Lust versprachen, war die größte Freude ihrer Sklaven, und ihr Wille, ihr Blut schlug hoch, aber sie schien nicht von dieser Welt zu sein. Urteile selbst, ob sie nicht Capricen haben muß! Wäre sie Christin, wir hätten bestimmt das Perpetuum mobile erfunden.

40

Was immer sie sah und begehrte, ward ihr gebracht. Was immer sie nicht sah, aber sehen wollte, wurde gesucht, und wenn gefunden, sofort zu ihr gebracht. Da war kein Ende der Dinge, die sie haben wollte, und nicht ein Ende des Ärgers, den ihre Phantasie erregte. Aber ihre Tyrannei hatte solch eine Anmut, die Frauen verziehen ihr alles, außer der Schönheit ihres Angesichts.

41

Juan war das letzte ihrer Spielzeuge. Sie warf ein Auge auf ihn. Sie hatte direkt geboten, ihn zu kaufen. Abba besaß mehr Klugheit als sie und darum stand Juan jetzt in Frauenkleidern vor ihr.

42

Seine Jugend begünstigte seine Verkleidung. Fragt ihr euch, wie sie als Sultansgattin sich solchen Spaß erlauben konnte, nun, das muß seine Sultana selbst entscheiden. Kaiser sind in den Augen der Frauen auch nur Männer, und Fremde werden oft mystisch fixiert, wie wir alle wissen, einige aus eigener Erfahrung, andere aus Büchern.

43

Aber zur Hauptsache, was wir sagen wollen – Sie meinte nun, alle Schwierigkeiten wären beiseite geräumt. Sie meinte, sie hätte sich sehr weit herabgeneigt, als sie mit aller Power und Passion ihrer blendenden Augen einen Blick auf Juan warf und zärtlich fragte: Christ! Kannst du lieben? Sie meinte, diese Phrase wäre genug, ihn zu bewegen.

44

Und so war es auch, angesichts der Zeit und des Ortes. Aber Juan dachte noch an die griechische Nymphe, die er kurz zuvor in Zypern genossen hatte. Er fühlte sein warmes Blut durch sein Haupt strömen, zurückfließen in sein Herz, und sein Antlitz war blass und bleich. Ihre Worte durchbohrten ihn wie türkische Krummdolche! Er konnte nicht sprechen, nur weinen.

45

Sie war geschockt. Nicht wegen der Tränen, Tränen schocken Frauen nicht. Denn Frauen können nach Belieben Tränen vergießen, wenn sie es gerade gebrauchen können. Aber das ist etwas, wenn die Augen eines Mannes feucht werden. Die Tränen der Frauen fließen wie Wasser aus einer Quelle. Aber um einen Mann zum Weinen zu bringen, musst du ihm schon das Herz durchbohren! Für Frauen sind Tränen ein Genuss. Für uns Männer sind Tränen eine Peinigung!

46

Sie hätte ihn gerne getröstet, aber sie wusste nicht wie. Da sie nicht ihresgleichen hatte, hatte sie auch nie Mitleid oder Mitgefühl mit einem andern Menschen empfunden. Sie kannte auch keinen peinigenden Schmerz, nur leichte Sorgen huschten manchmal über ihre Brauen. Sie wunderte sich nur, wie ein Mann, der ihr so nah sein durfte, in Tränen ausbrechen konnte.

47

Aber die Natur lehrt mehr als die Macht. Und wenn sie ein starkes Gefühl bewegt, sind Frauen genial. Von welchem Volk auch immer, sie haben immer Wein und Öl wie die Barmherzigen Samariterinnen. Und so fühlte Sultana, sie wusste selbst nicht wie, in ihren Augen feuchte Tränen des sympathischen Mitgefühls.

48

Aber auch das Weinen hört auf, wie alles einmal aufhört. Als sie Juan gefragt hatte, ob er lieben könne, musste er weinen, denn er dachte, wie er geliebt hatte. Aber nun kehrte die stoische Seelenruhe zu ihm zurück. Seine Augen leuchteten. Und obwohl er empfänglich war für Frauenschönheit, fühlte er doch allzu deutlich, dass er nicht frei war.

49

Sultana geschah das zum ersten Mal im Leben. Sie dachte ja, dass sie Tutor wäre und dass sie Juan unterrichtete in der Schule der Liebe, wie ein Rendezvous und wie ein Tete-a-Tete zu geschehen haben und so weiter... Nun aber sollte sie Märtyrerin der Liebe werden? Ach, und es war schon eine Viertelstunde vergangen, ohne dass etwas passiert war!

50

Ich rate allen Ehrenmännern, die richtige Zeit zu beachten. Wie verhält man sich in südlichen Ländern? Im Norden gibt es genaue Regeln, zum Beispiel für die Fuchsjagd, da muß man sich auch genau an die Regeln halten. Aber hier im Süden ist ein kleines Vergehen schon ein großes Unglück. Nimm dir zwei Minuten, deine Liebe zu erklären, wenn du dann noch länger redest, hast du deinen Ruf als Liebhaber verloren!

51

Juan war ein guter Liebhaber, aber er hätte besser sein können, wenn er nicht seine vorherige Jugendliebe im Kopf gehabt hätte. Merkwürdig, er konnte sie nicht vergessen, darum war er jetzt bei Sultana ein wenig schlecht gelaunt. Sultana aber sah auf Juan, als wäre er ihr Schuldner, weil sie ihn in diesen Palast eingeführt hatte. Sie errötete, dann erblasste sie, dann errötete sie wieder.

52

Auf kaiserliche Art legte sie ihre Hand auf seine und sah voll Liebe in seine Augen und suchte nach Gegenliebe – aber sie fand in seinen Augen keine Gegenliebe! Da warf sie sich einfach an seine Brust und presste an seine Brust ihre Brüste!

53

Sie wollte ihn nur prüfen, dachte Juan. Sein Wille war gestählt durch vielen Schmerz, Zorn und Stolz! Zärtlich löste er ihre weißen Arme, die ihn umschlangen. Dann ließ er sie sich neben ihn niedersetzen. Er erhob sich und schaute strahlend umher und sah kalt in ihr Gesicht und rief: Der gefangene Adler wird sich nicht paaren und Ich diene nicht einer Sultana sinnlichen Phantasien!

54

Du fragtest, ob ich lieben könne? Ich beweise dir heute, wie sehr ich geliebt habe und dass ich dich nicht liebe! Diese prächtigen Kleider sind nichts als Tand für mich! Liebe gibt es nur in Freiheit! Mich beeindruckt dieser Palast nicht. Deine Macht scheint groß, und ob dir sich auch Knie beugen, Sklaven dir dienen, deine Füße geküsst werden, mein Herz gehört dennoch mir!

55

Das ist eine einfache Wahrheit, ihr aber unbekannt. Sie dachte, ihr Befehl wäre die höchste Freude aller. Die Erde sei allein für Tyrannen wie sie. Ob das Herz links oder rechts im Busen schlage, davon verstand sie nichts.

56

Aber, wie gesagt, sie war sehr schön. Selbst wenn sie arm gewesen wäre, hätte sie ein Königreich ruinieren können. Sie hatte einigen seltenen Charme, ja, sie war eine ganz besondere Zauberin. Sie dachte, ihr Zauber gäbe ihr ein göttliches Recht. Und so denke ich übrigens auch über mich...

57

Denkt euch Suleika, Potiphars Weib, gestochen vom Stachel in der Hundstagshitze, wie sie dem keuschen Josef die Kleider vom Leibe reißen wollte! Aber die keusche Jungfrau Josef wies die lüsterne Dirne einfach kühl zurück! Oder denkt an Phädra, wie sie gepeitscht von Aphrodite über die keusche Jungfrau Hippolith herfallen wollte! Aber die keusche Jungfrau Hippolith wollte sich nicht paaren mit der Begierbesessenen! Wie es Suleika und Phädra ging, so ging es auch meiner Sultana!

58

Juan ging nun mit den Odalisken weiter, den liebreizenden Odalisken, die auf das gegebene Signal hin in ihren Bereich gingen. Zwar war es riskant, was er unternahm, aber er konnte sich nicht versagen, alle ihre Reize zu bestaunen, die Reize der Brüste! Die Reize der Popos!

59

Er vergaß jedoch nicht, dass er als Frau verkleidet war. Sie gingen nun durch die Galerien von Raum zu Raum, eine Schar von Jungfraun, nur begleitet von Eunuchen. Eine Matrone sorgte für Disziplin unter den Jungfraun. Ohne die Erlaubnis der Matrone scherte keine aus der Prozession der femininen Schönheiten.

60

Diese elftausend Jungfraun sahen keine Männer, abgesehen von ihrem König und Herrn. Sie waren bewacht von den Kastraten und den hohen Mauern, und im Innern dieser heiligen Hallen war es so kühl wie in einem französischen Karmel-Kloster, wo all die Passion der Liebe, ach, ach, nur Einen einzigen Ausfluss kennt.

61

Und welches ist dieser Ausfluss? Devotion! Ohne Zweifel, Devotion! Wie könnt ihr fragen? Nun, dieser Fluss von Frauen aller Völker floss wie ein Bach, leise und klar, wie weiße Lotosblumen auf einem stillen Fluss oder weiße Seerosen auf einem Teich, so wandeln sie langsam, jungfräulich und melancholisch.

62

Als sie ihre eigenen Zimmer erreichten, da wurden sie so ausgelassen wie Vögel, Knaben oder Psychotiker oder wie irgendwelche Frauen, von denen die Fesseln gefallen waren, oder wie Iren bei einem Tinkerpony-Rennen. Die kastrierten Eunuchen-Wächter waren jetzt gegangen. Da war es klar, die Jungfraun fingen an zu singen, tanzen, plaudern, spielen, lachen!

63

Ihr Gespräch drehte sich natürlich um die Neue, um ihre Kleidung, ihr Haar, ihre Aura, ihr gewisses Etwas! Einige meinten, diese Kleidung passe nicht zu ihr, oder andere fragten, warum sie keinen Ohrring trage. Einige meinten, ihr Lebensalter habe bald den Sommer erreicht, andere sagten, sie sei noch ganz in ihrem Frühling. Einige meinten, sie habe eine männliche Größe in der Gestalt, andere wünschten, ach, wäre sie doch nur ein Mann!

64

Aber keine zweifelte daran, dass sie, wie ihre Kleider zeigen, ein schönes Mädchen war, ein frisches und außerordentlich hübsches, die sich mit den schönsten Georgierinnen vergleichen konnte. Sie wunderten sich, wie die Herrscherin Sultana so ein Mädchen dulden könnte, denn es bestand doch die Gefahr, dass der Herr sich dieses Mädchen zu seiner Braut erwähle und ihr seinen Thron schenke und alles andere auch.

65

Aber seltsam, diese Schar von Jungfraun, je länger sie die Neue vexierten, desto weniger Flecken fanden sie an der neuen Schönen. Sie fühlten eine geheime sympathetische Magie, eine Seelenverwandtschaft, einen mystischen Magnetismus, ein waltendes Dämonisches – wir wollen nicht darüber streiten.

66

Sie fühlten alle für ihre neue Genossin eine Art von reiner sentimentaler Freundschaft durch und durch, von extremer Reinheit. Sie wünschten alle sich diese Neue zur Schwester. Einige wünschten, sie hätten einen Bruder wie diese. Hätten sie in der Heimat Cirkassia einen solchen Bruder, sie hätten ihn zu ihrem Pascha ernannt.

67

Von denen, die den höchsten Genius für solche Art von sentimentaler Freundschaft hatten, waren drei: Lilith, Karima und ein Mädchen, das sich Herr Toto nannte. Um die ausführliche Beschreibung zu sparen, sie waren alle drei außergewöhnliche Schönheiten, und alle drei bewunderten ihre neue Genossin.

68

Lilith war lasziv wie Indien und auch so bengalisch-feurig. Karima kam aus Georgien, war weiß und rot, hatte blaue Augen, zärtliche Hände und kleine Füße. Herr Toto war so gebaut – wie geschaffen fürs Bett! Herr Toto war irgendwie lässig, lasziv, sinnlich, von einem Liebreiz, der dich wahnsinnig macht!

69

Wie die schlafende Venus von Giorgione oder Tizians Venus von Urbino, so war Herr Toto. Sie war geeignet, dir deinen Schlaf zu ermorden, wenn du ihre transparente weiße Jadehand betrachtest, ihr antikes Marmorantlitz. Ihre Nase – gleich der Nase der knidischen Venus! Etwas schlanker hätte sie sein können, das ist wahr, aber kaum sinnlicher zu denken, kaum lasziver zu phantasieren! Alles in allem könnte keiner sagen, wo noch irgendein femininer Zauber fehlte.

70

Sie war nicht auf gewaltsame Art lebendig, nein, sie glich dem Morgenlüftchen am ersten Mai. Ihre Augen waren nicht groß, sondern wie fast geschlossen, so dass nur geheimnisvolle Blitze aus schmalen Spalten schossen, was nur zärtliche Seelen bemerkten. Sie war gebaut wie die knidische Aphrodite, die Pygmalion nachts in ihrem Tempel befeuchtet hatte, wo man nicht wusste, ob sie aus Fleisch oder aus Marmor war.

71

Lilith fragte nach dem Namen der Neuen. – Ich heiße Juanna. – Nun, ein charmanter Name. Karima fragte: Woher kommst du? – Aus Spanien. – Wo liegt denn Spanien? – Frag nicht so dumm! Du in deiner sklavischen Ignoranz! Schäm dich deiner Dummheit! So sagte Lilith zu Karima und führte aus: Spanien ist eine Insel, die zwischen Ägypten und Zypern liegt.

72

Herr Toto sagte nichts, setzte sich einfach an Juannas Seite und spielte mit ihrem Schleier, ihrem Haar. Immer auf sie schauend, seufzte sie innig, als ob sie Mitleid mit ihr habe, dass sie nun hier war, eine schöne Fremdlingin ohne Seelenführer und ohne wahren Freund.

73

Nun trat die Matrone ein: Meine Damen, es ist Zeit, zu Bett zu gehen! Was mach ich nur mit dir, sprach sie zu Juanna, deine Ankunft hier ist unerwartet und alle Betten sind besetzt. Am besten wäre es, du legtest dich zu mir in mein Bett! Morgen früh bringen wir für dich alles in Ordnung.

74

Hier trat Lilith dazwischen: Mama, du weißt, du schläfst nachts schlecht, und ich will nicht, dass dich jemand im Schlafen stört. Ich werde Juanna in mein Bett lassen, wir geben ein schönes Paar, wie zwei Hälften eines Apfels. Sag bitte nicht Nein! Ich werde gut aufpassen auf dies Kindchen. Aber nun mischte sich Karima ein und sagte: Ich habe Mitleid und ein Bett!

75

Übrigens schlaf ich nicht gern allein, fügte Karima hinzu. Die Matrone sagte: Warum? Karima sagte: Ich fürchte mich vor den Diven und den Devas! Ich fürchte mich vor diesen dämonischen Wesen! Die Matrone sprach: Zwischen dir und deinen Träumen von Diven und Devas hätte Juanna kaum Ruhe zu schlafen.

76

Du, Lilith, musst weiterhin allein schlafen! (Die Gründe hierfür werden nicht offenbart.) Dasselbe gilt für dich, Karima. Ich werde Juanna zu Herrn Toto ins Bett legen. Herr Toto liebt die Stille, das Schweigen, die Ruhe, die Reinheit. Sie wird Juanna nicht aufwühlen und auch nicht die ganze Nacht lang besprechen. Was sagst du dazu, mein Kind? Herr Toto schwieg still. Ihre besonderen Talente waren von der stillen Klasse.

77

Herr Toto erhob sich einfach und küsste die Matrone auf die Stirn und küsste Lilith auf beide Backen und Karima auch, und mit einer leisen Verneigung nahm sie Juannas Hand, ihr den Ruheplatz zu zeigen. Die andern beiden sprachen über die Vorliebe der Matrone für Herrn Toto, ohne offen zu sagen, wie ungerecht sie das fanden.

78

Es war ein geräumiges Zimmer. Oda wird es genannt. An den Wänden standen Sofas, Toilettentische und viel Schmuck und Tand, ich könnte alles beschreiben, wenig fehlte, es war alles da, was Frauen begehren, bis auf ein Ding oder zwei und selbst diese waren näher, als sie wusste.

79

Herr Toto war eine süße Kreatur, sehr gewinnend, von großer Anziehungskraft, mit viel Charme und Zauber in ihrer Figur. Kein Maler, der gegen die Symmetrie sündigte, könnte ihr Antlitz malen. Aber malte ein Maler sie, so müsste er sie mit wildem Pinselstrich malen, begeistert wie in der ersten Leidenschaft!

80

Sie glich einer schönen stillen Landschaft, wo alles Harmonie und Stille ist, voll von luxuriösen Blüten. Fröhlich ohne Albernheit. Ihre stille Freude ist himmlischer als eure bengalisch-feurigen Stürme der Leidenschaft, die ihr die Göttliche nennt. Ich kenne aufgewühlte Meere und aufwühlende Stürme und habe mehr Mitleid mit den Verliebten als mit den Seemännern.

81

Aber sie war mehr innerlich als melancholisch und mehr ernst als nachdenklich und heiter-klar mehr als alles – ihre Gedanken nie unheilig – bist jetzt. Das merkwürdigste war, so wunderschön sie war, sie war sich ihres Liebreizes nicht bewusst. Sie, eben sechzehn Jahre, sie wusste nicht, ob sie dick oder dünn war, sie dachte nie an sich selber.

82

Darum war sie auch so gütig wie das Goldene Zeitalter, da man das Gold nicht schätzte. Herr Toto zeigte nun Juan oder Juanna alle diese Räume des Femininen und beschrieb ihr alles mit wenigen Worten. Solche schweigenden Frauen sind wie ein lautloser Donner!

83

Sie klärte Juanna auf über alle Gesetze des Harems, dann gab sie ihr ein keusches Küsschen. Oh, Herr Toto war Meisterin in der Kunst des Küssens - - ich weiß, das mag niemand missen, und es ist nichts so schön wie ein Küsschen, wenn es keusch ist, und besonders zwischen Schwesterseelen ist es nichts Böses. Wenn Schwestern sich küssen, hat das nur zu bedeuten, dass gerade kein Mann in der Nähe ist. Küsse reimen auf Genüsse, ich hoffe nur, dass euch die keuschen Küsschen nicht zu Sünden verführen.

84

In vollkommener Unschuld entkleidete sie sich! Das dauerte nicht lange, denn als eine Tochter der Natur trug sie nur wenig, ein leichtes Kleidchen, und ihr Kleidchen war wie die Spiegelwelle, in welche Narziss schaute und sich spiegelte in dem durchsichtigen Wasser.

85

Einen nach dem andern legte sie ihre Schleier ab! Sie bot auch Juanna an, ihr zu helfen beim Ausziehen. Juanna musste leider ablehnen, aber sie litt heimlich darunter. Juanna nestelte nur an den Knöpfen in den Knopflöchern, die nur zur Strafe unsrer Sünden erfunden worden sind!

86

Diese Knöpfe in den Knopflöchern sollen die Frauen nur davor bewahren, allzu rasch am nackten Körper berührt zu werden. O ihr Dichter, deren Schicksal es ist wie das meine, der Herrin als Zofe zu dienen – ich tu mein Bestes, sie schön zu kleiden, wenn sie tanzen gehen will. Jeder Knopf gehört in ein bestimmtes Knopfloch. Aber meine Herrin tut immer den falschen Knopf in das falsche Knopfloch!

87

Aber das sind alles nur Torheit für die Weisen. Ich liebe FRAU WEISHEIT! Ich liebe Sie eben mehr als Sie mich! Meine Neigung ist es, über alles zu philosophieren, über Könige und Bäume, aber dennoch, die unverheiratete Herrin SOPHIA flieht vor mir! Wer bin ich? Woher komme ich? Und was und wer und wie werde ich in der Ewigkeit sein? Und ach, was will die Gegenwart? Ich bekomme keine Antwort!

88

Da war tiefe Stille im Zimmer. Die Lichter brannten, eine Kerze fern der andern. Schimmer schlich über die lieblichen Leiber. Wenn es Nachtgespenster gibt, dann schlichen sie um Mitternacht durch das gespenstische Schlafzimmer, dann kommen sie aus dem Jenseits und zeigen sich von ihrer besten Seite und zeigen sich als Geister von gutem Geschmack, von besserem Geschmack als durch Wüsten oder Trümmerruinen alter Städte wie Nachteulen zu fliegen.

89

Viele Schönheiten lagen da herum wie verschiedenste Blüten, wie man sie in exotischen Gärten findet, mit Liebe und Wärme gepflegt, bereit, zu erblühen. Eine mit ihrem roten Kleidchen leicht bekleidet und schönen Augenbrauen lag da mit regelmäßigem Atem, die Lippen leicht geöffnet, die Perlenschnur der Zähne war zu sehen.

90

Eine mit glühenden Wangen lag auf ihrem schneeigen Arm und rabenschwarzen Locken ringelten sich um ihr Ohr, so lag sie still und träumte süß. Und sie lächelte in ihrem Traum, wie Luna, nur halb verschleiert, in der Nacht erscheint, als schaue sie in den schneeigen Spiegel, ihre Schönheiten kämpften von der unbewussten Nacht ins Licht hinüber.

91

Dies ist keine päpstliche Bulle für Sankt Evi, obwohl es so klingt. Es war Nacht, aber da waren Leuchter. Eine träumte voller Kummer und ihre betrogene Brust hob sich schwer und dachte an ferne Strände schöner Inseln, wo sie geliebt war. Wie Nachttropfen tropfen auf die schwarzen Zweige der Zypressen, so tropften ihr die Tränen aus den Augen durch den Schleier ihrer langen Wimpern.

92

Eine war wie eine Marmorgöttin, wie eine Venusstatue, ganz still, in atemloser Ruhe und ewigem Schlaf, weiß, kühl, rein, wie der Schnee auf der Jungfrauenalpe oder, wenn du willst, wie Lots Frau, erstarrt zur Salzsäule, oder wie eine Madonna auf einer Siegessäule.

93

Und eine war da im reifen Alter. Wie alt sie war, kann ich nicht sagen. Seit sie siebzehn war, zählte sie ihre Jahre nicht mehr. Sie kam in die Lebensperiode, die Mann und Frau an den Strand wirft, zu meditieren über ihre Jugendsünden.

94

Aber wie schlief Herr Toto? Was träumte Herr Toto? Mitternacht war eben vorüber. Die Lampen gingen aus. Phantome schwebten – oder schienen zu schweben – von einem zum andern, als sie plötzlich aufschrak und aufschrie.

95

Sie schrie so laut, dass der ganze Harem erwachte und sich versammelte: Matronen und Sklavinnen, Jungfrauen und heilige Dirnen, sie kamen wie die Wellen des Meeres, eine nach der andern, durch die heiligen Hallen. Alle zitterten, alle wunderten sich, was Herrn Toto veranlasst hatte, so schreckhaft zu erwachen.

96

Aber sie war jetzt hellwach. Die heiligen Dirnen standen um ihr Bett herum – verwirrte Bettdecken, verwirrte Lockenfluten, blitzende Augen, bloße Brüste, nackte Arme, behaarte Achseln, alles glänzend nackt, alles so licht wie ein Meteor. Sie fragten nach ihrem Kummer, denn sie schien mächtig aufgewühlt, erregt und erhitzt.

97

Aber seltsam, welch ein Segen ist doch ein fester tiefer Schlaf, Juanna lag da wie tot, ganz wie ein alter Ehemann (mehr Eunuch als Mann), der in der heiligen Ehe allein auf seinem Sofa schnarcht! Die ganze Erregung der heiligen Dirnen störte Juannas tiefen Schlaf nicht, bis sie aufgerüttelt wurde, da öffnete sie die Augen und gähnte mit diskretem Überraschtsein.

98

Herr Toto erzählte ihren Traum: In der Mitte meines Lebens ging ich spazieren in einem dunklen Wald – alles obskur wie bei Dante! In der Mitte des Lebens werden die Damen mit den Virtutes gekrönt. Da sind die Liebhaber nicht mehr roh. Und dieser dunkle Wald war voll von Früchten, wollüstig anzuschauen! Die Bäume waren gut gewachsen und mit tief eingesenkten Wurzeln.

99

Und in der Mitte hing eine Feige – Fica religiosus – aber die Feige hing zu hoch! Ach, die Feige war unerreichbar! Herr Toto schaute zur Feige auf, die all ihre Strahlen auf sie ergoss, Herr Toto versuchte die Feige vom Baum zu schütteln, alles vergebens! Die verlockende Feige hing da, evident in all ihrer Süßigkeit, aber in provozierender Unerreichbarkeit!

100

Aber als Herr Toto schon alle Hoffnung verloren hatte, jäh fiel die reife süße Feige vom Feigenbaum (the fig from the fig-tree) und Herr Toto wollte sie sofort vernaschen und in ihr süßes Fleisch beißen, aber eben als sie ihre süßen Lippen leicht öffnete, mit ihrer Zunge die Lippen befeuchtete, hatte sie eine Vision: Eine Schlange schlüpfte aus der Feige, züngelte, und schlüpfte mit dem Schlangenkopf in ihren Mund und verspritzte den ganzen Venom. Und da sie so von der feurigen Schlange gebissen war, erwachte sie. – And so for ever!




DAS BEFREITE JERUSALEM

Von Torquato Tasso


1

Der Fürst der Finsternis rät dem heidnischen Zauberer, wie er den Zauber der Versuchung der christlichen Ritter zu bewerkstelligen habe. Die Nichte des Königs gewinnt den Preis der Schönheit im ganzen Morgenland, weiße Lilien, verborgene Fesseln. Der Frau und Zauberin sind alle Fesselstricke bekannt. Der Fürst der Finsternis ruft die Zauberin, erklärt ihr seinen Willen und bittet sie, sein Verlangen auszuführen.

2

Der Magier sprach: Geliebte, die du, bei deinen schwarzen Haaren und deinem weichen Leib, bewanderter bist in der Magie als ich selber, klug ist wie eine Greisin und schrecklich wie eine kriegerische Jungfrau, ich habe einen weitreichenden Plan. Wenn du willst, so paaren sich die Hoffnung und der Erfolg schon in Freuden. Das von mir gesponnene Netz zeige ich dir. Führe du aus, was der Alte sich erdacht!

3

Geh zu den Christenrittern! Entfalte alle verderblichen Künste und verlocke sie mit süßem Liebreiz zu glühendem Stöhnen! Wenn du sprichst, so flüstere in Seufzern. Bitte sie um Hilfe und lass deine Augen von Tränen schimmern. Erscheine als traurige Schönheit, schüchtern bittend, dann kann dir selbst das männlichste Herz nicht widerstehen! Verhüll in Keuschheit deine freche Begierde! Um deine Rebellion hülle du den Mantel der Weisheit!

4

Erobere Gottfried mit liebreichen Blicken, mit lieblich-flötender Stimme versuche ihn zu bewegen, wenn es möglich ist, vom Kampf um Jerusalem abzulassen, den er so heftig begann. Wenn es dir bei Gottfried nicht gelingt, versuche andere Ritter zu bezirzen, führe sie an jene Schwelle, von der noch keiner zurückgekommen ist! Er gibt ihr noch manchen Rat und beteuert ihr endlich, alles sei erlaubt, für Palästina und den Islam.

5

Armida in ihrer Schönheit, stolz auf die Fülle ihrer Reize, die Schönheit selbst in der erotischsten Gestalt, nimmt den Auftrag des großen Magiers an. In der Stille der Nacht wandelt sie verborgene Pfade. Sie vertraut darauf, dass alle ihre üppigen Reize die Krieger besiegen werden. Bevor sie in das Lager der Christen kam, war dort schon das Gerücht ihrer übermenschlichen Schönheit ertönt.

6

Die Frau kam bald in das Lager der Franken, zu den Zelten der christlichen Ritter. Als die neue Schönheit vor den Christen erschien, da starrten die Ritter sie an, und man hörte die Ritter rufen: Am helllichten Tage seh ich einen feurigen Kometen erscheinen! So starrte jeder Christ die fremde Schönheit an und lief ihr hinterher und fragte sich: Wer hat sie geschickt?

7

Weder Zypern noch Delos sah jemals solch eine Göttin, solch ein Schönheitswesen, so wohlgeformt! Eine lange schwarze Mähne umflatterte ihr Haupt, manchmal in lasziven Lockenschlangen niederwallend, manchmal aufgesteckt in verwirrenden Knoten. Wenn der Himmel durch Wolken verdunkelt ist und dann die Wolken sich spalten und der feurige Strahl der Sonne erscheint, so ist es gleich der Erscheinung dieser Frau.

8

Der Wind blies in ihre schwarzen gekräuselten Haare, die sich natürlich wie Schlangen ringelten. Die Augenlider senkten sich über ihren Augen und verbargen die lichten Blitze der süßen Liebe. Im Antlitz ist ein Gluthauch von roten Rosen auf den elfenbeinernen Wangen. Auf dem Mund, dem Mund, der Liebe haucht, erblühte die scharlachrote Feuerrose.

9

Die schneeweißen schönsten Brüste waren wie ein Spiegel, an dem Eros sein Feuer entzündet und seine Flamme nährt. Halb verborgen die grausamen Berge der Brüste, aber eben auch nur zur Hälfte versteckt im leichten Hemdchen! Ah, die feurige Sehnsucht lässt sich nicht zügeln, werden auch den dürstenden Augen die vollen Reize verborgen! Der Mann ist nicht zufrieden mit der äußeren Hülle der Schönheit – er will ins Allerheiligste der Schönheit kommen!

10

Wie der Strahl der Sonne dringt durch die Fensterscheibe von Glas, ohne die Fensterscheibe von Glas zu zerbrechen, so dringt des Mannes Geist durch die feine Hülle des seidigen Kleidchens und schaut die verborgenen Schönheiten ihres Leibes. Im Geiste wandelt er auf den Hügeln und durch die Täler ihres Leibes und tastet Zone um Zone ihren Leib ab. Dann verrät er ihr seine geheimen Visionen – und sie erglüht heimlich in verborgener Lust!

11

Angebetet und mit Wollust angeschaut, so wandelt Armida inmitten der hungrigen Ritter. Sie merkt, wie sie begehrt wird, und das ergötzt sie im Innern. Sie hofft, dass sie triumphieren werde. Sie sucht Gottfrieds Zelt und fragt bald leise und bald laut den einen oder den andern nach dem Weg. Eustachius führte sie, der Bruder des Hauptes des Christenheere.

12

Wie die Motten taumeln um die nächtliche Lampe, so nahte Eustachius ihrer göttlichen Schönheit. Die Augen, verborgen unter demütig gesenkten Augenlidern, die Augen will er schauen. Wie ein Schwamm das Wasser einsaugt, so saugt Eustachius die feurigste Glut aus den Augenblitzen der göttlichen Schönheit, so wird er von Weißglut durchzückt. Jugendlich kühn und vom Drang der Begierde ermutigt, spricht Eustachius diese Worte zu der Schönheit:

13

Magd Gottes – wenn ich dich so nennen darf – Du scheinst mir keine unvollkommene Gemeinsterbliche zu sein. Nie bisher hat die heilige Sonne des Himmels eine Tochter der Erde so geküsst wie dich, die du die reinste Glut zu sein scheinst! Was wünschst du dir? Was für ein Begehren hat dich zu uns geführt? Suchst du dein eigenes Heil oder suchst du auch unser Heil? Rede zu mir, damit ich dich würdig preisen kann! Ich ahne, du bist würdig, dass ich dir die Füße küsse!

14

Sie spricht: Du preisest mich zu hoch! Ich bin nicht Gott! Nicht nur bin ich leider sterblich, sondern das Schicksal hat mir mein Leben verdunkelt. Das Leben ist Leiden, ist Schmerz, Schmerz, Schmerz! Und was mich fremde Frau zu den Christenrittern brachte, ist eben mein Elend! Zum frommen Gottfried komm ich, dessen Ruf der Heiligkeit überall erschallt.

15

Dein Herz erscheint mir fromm und gut, darum bitt ich dich, führe mich zu Gottfried! Er sprach: Daß dich Gottfrieds Bruder bei Gottfried einführt, das ist recht. Deine Flucht aus dem Lager des Islam soll Früchte bringen. Gottfried hört auf meine Bitten. Befiehl du mir, was du begehrst, und alles will ich dir gewähren, alles ist dein, was Gottfrieds Macht vermag und meine Waffe.

16

Sie schweigt. Er aber führt sie dahin, wo im Kreise seiner Großen Gottfried thront, fern von gemeinem Volk. Sie verneigt sich in Demut und voller Ehrfurcht vor Gottfried, errötet vor Scham und schweigt vor dem Herrn. Das ängstliche Mädchen glüht vor Schamesröte! Der Heros spendet ihr Trost und zeigt ihr den Morgenstern der Hoffnung. Nun kann sie ihren Plan ausführen, ihre Täuschung, die sie mit süßer Stimme die Herzen umschmeichelt.

17

Heros! Strahlender Ritter! Prachtvoll erleuchtest du die Erde! Die Fürsten der Völker rühmen sich, von deinem Schwert überwunden zu sein! Bekannt ist deines Adels Rose, selbst deine Feinde müssen dich hoch verehren! Ja, dein Feind hat zu dir Vertrauen, flüchtet sich zu dir und bittet um deinen Segen!

18

Eustachius ruft Armida zurück und spricht: O Frau! Begraben sei jetzt all dein Schmerz! Du sollst von uns alle Hilfe bekommen, ganz wie es dein Herz begehrt! Da strahlte Armidas Antlitz wie die Sonne, vom Gram erlöst, wieder bereit zu heiteren Scherzen und charmantem Lächeln. Mit dem durchsichtigen Schleier wischte sie sich die Tränentropfen von den Wangen, da schien Gott selbst in sie verliebt!

19

In honigsüßen Worten und mit flötender Stimme dankte sie für die empfangenen Gnaden, von denen ihr Busen voll ist! Das soll die ganze Erde vernehmen! Ihr Antlitz ist eine sprechende Ikone, Unaussprechliches auszusprechen! Über ihr verborgenes Innenleben legt sie den Schleier ihres charmanten Lächelns, so dass keiner etwas Schreckliches ahnt.

20

Sie sieht, dass ihr das Schicksal gnädig zugelächelt, darum will sie rasch ihr Werk vollenden, ehe das Unglück alles wieder ruiniert. Mit süßem charmantem Lächeln und freundlich leuchtenden Augen übt sie die Zaubereien der Circe und ihre Stimme gleicht dem Flötenspiel der Sirene, so weiß sie den wachenden Geist in Schlaf zu singen.

21

Alle Künste der Frauen kennt diese Frau! Immer neue Freier will sie sich fangen! Je nach Ort und Zeit bemisst sie die Art und Weise, den Mann zu behandeln, damit sie ihn verlocken kann. Bald tut sie keusch und wendet ihm den Rücken zu, bald strömt ihre Aura von Feuer über, alles zu durchdringen mit dem allmächtigen Eros! Dieser ist ihr zu lahm – den spornt sie an! Jener Hengst ist ihr zu feurig – den zügelt sie! Dieser ist ihr zu kalt – und jener zu hitzig!

22

Sieht sie den Mann, der ihr nicht vertraut und sich trotz seiner glühenden Liebe von ihr zurückzieht, so schenkt sie ihm die Gnade eines bezaubernden Lächelns und liebevoll freundlicher Blicke voller Wärme. So spornt sie seine äußerliche Zurückhaltung an und lässt die Flamme der Hoffnung neu auflodern. Denn wenn das Feuer der Liebe wieder hoch lodert, dann zerschmilzt das Eis der Zurückhaltung.

23

Sieht sie den Mann, der von blinder Liebesglut in seinem Triebe willenlos herumgewirbelt wird, der sie in kühnster Wollust zu erobern versucht, dann schenkt sie ihm kein freundliches Wort und keine zärtlichen Blicke, sie zwingt ihn zur scheuen Ehrfurcht! Ernst ist ihre Stirne und herrisch! Nur ab und an lässt sie einen milden Schimmer von Mitleid durch die dunkle Nacht ihrer Herrschaft scheinen. Er aber zittert vor Furcht und doch voll hoffnungsloser Hoffnung wirft er sich der strengen Herrin sklavisch zu Füßen!

24

Manchmal aber tritt sie zurück, Trauer in der Seele und in den Augen. Einmal leuchten Tränenperlen auf ihren glühenden Wangen, bald unterdrückt sie das Weinen. Toren weinen dann wegen der Ängste der Frau und wegen ihres Unglücks. Sie aber schmiedet in der Glut des Mitleids die Pfeile des Eros, damit die schreckliche Waffe der Liebe des Mannes Herz durchbohre!

25

Bald aber entflieht sie den traurigen Gedanken und es quillt ihr wieder die Quelle der Hoffnung. Heiter leuchtet dann ihre Stirn. Dem Freier gewährt sie nun lange Reden in süßesten Worten und grüßt ihn wie eine Sonne. Zwei feurige Sonnen scheinen dann ihre Augen. Ihr himmlisches süßes Lächeln zerstreut dann allen Gram und Kummer, der zuvor des Mannes Herz sehr schwer gepresst.

26

Süßes Lächeln und süße Worte schickt sie und berauscht mit doppelter Wonne des Mannes Geist, so raubt sie dem Mann das Herz aus seiner Brust, weil er gespeist wird mit nie geahnter himmlischer Speise! Schrecklicher Gott Eros! Erst verheißt die Frau den süßen Honig, dann spendet sie bitteren Wermut! Zu allen Zeiten werden die tödlichen Herzenswunden von den Liebenden gleich schmerzlich gefühlt.

27

So wechselt sie von Eis zu Glut, von Glut zu Eis, jetzt lächelnd, dann weinend, jetzt voller Hoffnungen, dann voll von Ängsten. Die Zauberin Armida lässt den Mann nie gewiss sein ihrer Sympathie. Gesteht ihr ein Mann, wie sein gebrochenes Herz vom Feuer der Liebe brenne, wie Eros ihn kreuzige, wie die lebendige Liebesflamme ihn verzehrt, dann tut sie, als ob sie nicht wüsste, wovon die Rede sei.

28

Dann schminkt die purpurne Schamesröte ihre Wangen und keusch sieht sie auf den Boden. Dann werden die glühenden roten Rosen ihrer Wangen schneeweiß wie kalte Lilien. Dann aus den grauen Wolken am Ende der Nacht erhebt sich die glühende Göttin Morgenröte. Glühendes Schamrot paart sich mit dem heiligen Zorn der Herrin!

29

Merkt sie, dass der Mann ihr sein heißes Verlangen gestehen will, so flieht sie ihn, dann wieder öffnet sie ihm ihr Muschelohr, und spricht er dann heiß von seinem Begehren, lässt sie ihn rasch wieder los. So spielt sie mit ihm den ganzen Tag in neckenden Scherzen und lässt den Erschlafften endlich zurück in hoffnungsloser Verzweiflung! Dann gleicht er dem Jäger, der des Nachts im dunklen Wald die Spur der schönen Hirschkuh nicht mehr findet.

30

Dies waren ihre Künste, die tausend Männer in Fesseln legten. Sie gingen alle blind in die Venusfalle! Nein, das war nicht Magie, nicht Betrug, das war Krieg! Das war Waffengewalt! Die Gewalt der Liebe hat alle vergewaltigt! Wenn selbst Herakles und Theseus und Achill die Fesseln der Liebe trugen, ist es da ein Wunder, dass sich auch ein christlicher Ritter fangen lässt vom goldenen Netz der Venus?