Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

CARMEN






Ein Trauerspiel
Von Josef Maria Mayer


ERSTER AKT


(Die Szene des ersten Aktes ist ein Marktplatz in Sevilla.)

ERSTE SZENE


(Hauptmann Morales und die Garde beobachten das Volk.)

MORALES
Wie lebt das Volk in großer Torheit doch!
Sie hasten durch die Straßen auf den Markt,
Um Dinge einzukaufen, nichts als Dinge.
Ja, wenn sie selbst die Sonne kaufen könnten
Und frische Luft abfüllen sich in Flaschen
Und sich Parzellen auf dem Monde kaufen,
Sie möchten Urlaub auf dem Monde machen
Und kaufen sich mit Geld ein Paradies!
GARDESOLDATEN
Das Volk hat Zucht und Ehre nicht im Leib.
MORALES
Es ist ein Spielball blinder Leidenschaften!
Wenn irgendwo ein Stern am Himmel strahlt,
Ein Stern in der Musik und im Theater,
Ein junges Weibchen von besondrer Schönheit,
Ein Kerl, der in dem Wettkampf triumphiert,
Sie werden angebetet von dem Volk.
GARDESOLDATEN
Wer kämpft denn noch für Gott und Königshaus?
MORALES
Ach, Volkes Stimme – Gottes Stimme? Torheit!
Das Volk verblendet ist von den Begierden!
Soll dieses Volk im Königsthrone sitzen?
Dies Sammelsurium von Vorurteilen?
GARDESOLDATEN
Was raunt das Volk denn heute in den Gassen?
LEUTE
(Gemurmel)
Bischof Nikolaus, beschütze
Unsre Weiber, unsre Kinder –
Ach, ich bin so hoch verschuldet
Und mein armes Weib vergesslich –
Schweinefleisch will ich nicht essen,
Essen will ich nur Gemüse –
Ach das Wetter, ach das Wetter! –
Kommst du heute auch zum Ballspiel?
Schau, mein Sohn ist gut im Ballspiel! –
Kennst du jenen Nachbarsjungen,
Der dämonische Grimassen
Mit den schiefen Augen schneidet? –
Gott bestimmte unser Schicksal,
Seien wir nur stets zufrieden. –
Ach, die böse Armenkasse,
Gibt mir gar kein Geld fürs Nichtstun –
Tanz, Gesang und Wein und Weiber! –
Dass so schön doch sind die Huren
Mit den öffentlichen Muschis! –


ZWEITE SZENE


(Don José und seine Jugendliebe Michaela.)

MICHAELA
Mein liebster Don José, mein süßer Schatz!
DON JOSE
Was willst du jetzt schon wieder, alte Freundin?
MICHAELA
Ach, hast du mich denn gar kein bisschen lieb?
DON JOSE
Sag nur, was du schon wieder von mir willst.
MICHAELA
Von deiner lieben Mutter bring ich Grüße,
Dir einen Brief und einen Beutel Münzen
Und Kleider aus dem Schrank des toten Vaters.
DON JOSE
Ach, lass mit meiner Mutter mich in Ruhe!
MICHAELA
Mein sanftes Weiberherz ist tief bekümmert,
Wenn du nicht ehrst die Frau, die dich gebar.
DON JOSE
In Gottes Namen, was denn schreibt die Mutter?
MICHAELA
(liest)
Söhnchen, Grüße von der Mutter!
Lang hab ich dich nicht gesehen,
Kommst mich gar nicht mehr besuchen!
Was tat dir die liebe Mutter?
Bin bewusst mir keiner Schulden!
Ehrst auch nicht den toten Vater,
Liest ihm keine Seelenmesse!
Aber treu liebt dich die Mutter,
Ob du bist auch noch so garstig,
Widerwillig, übellaunig,
Denn ich habe dich geboren
In den Schmerzen meiner Wehen!
Wenn du liegst allein im Bette,
Unbeweibt, mit keiner Dame,
Leg du eine warme Decke
Übers Bett, dass dir nicht kalt wird.
Kocht dir keine Ehegattin
Leckre Speise wie die Mutter,
Schicke ich dir Fisch und Nüsse,
Trinke nur nicht zuviel Rotwein!
Schon mein Vater war ein Säufer,
Ist mit sechzig schon gestorben.
Kaufe dir nur etwas Schönes,
Darum schick ich dir den Beutel
Mit den hundert Silbermünzen,
Aber kaufe nicht Geschenke
Für die Dirnen in den Gassen!
Deine Mutter. Gott befohlen.
DON JOSE
Und du, was willst du, Freundin Michaela?
MICHAELA
Als deiner Mutter Stellvertreterin
Dich küssen, wie wir in der Jugend küssten!


DRITTE SZENE


DON JOSE
Ich habe mich in dich verliebt, o Carmen!
CARMEN
Du Schmeichler, sagst zu mir so nette Sachen.
DON JOSE
In deinem langen glatten schwarzen Haar
Lieg ich gefangen wie in Fesselstricken,
Die Mundrubine deiner süßen Lippen
Sind rot wie Blut, das mir im Herzen weint,
Die lichten Blicke deiner Sternenaugen
Sind wie Gewitter von dem Zorne Gottes,
Die langen dunklen Seidenwimpernspitzen
Sind Dolche, die durchbohren meine Seele,
Die Brüste, die aus deinem Kleide quellen,
Sind Wolken, draus ich melke meine Tränen,
Die runden Hüften deines breiten Beckens
Sind Ozeane, darin ich versinke!
CARMEN
Ach, alles was du liebst, ist nur mein Körper!
Wer aber liebt die Seele einer Frau?
DON JOSE
Die Männer lieben eben äußerlich,
Weil ihr Geschlecht an ihnen außen ist,
Die Frauen lieben eben innerlich,
Weil ihr Geschlecht in ihnen innen ist.
CARMEN
Wenn alle Männer nur den Körper lieben,
Dann will ich aller Männer Herzen brechen!
DON JOSE
An meinem Herzen ist dir nicht genug?
Du hast mir ja schon längst mein Herz gebrochen!
Ach, heile meine liebeskranke Seele
Mit deinem Elixier der Gegenliebe!
CARMEN
Ich lieb dich nicht, ich lieb dich nicht, José!
DON JOSE
Ich schenke dir mein Leben, meine Seele,
Schenk du mein Ich mit Liebe mir zurück!
O, du hast meine Seele mir ermordet,
Du Mörderin, weil meine Seele starb,
In deinem Herzen müsste auferstehen
In Liebe meine Seele, schenke mir
Mein Leben durch die Liebe deiner Seele!
CARMEN
Wenn du nicht in dir selber Liebe hast,
Dann kann dich meine Liebe nicht beglücken.
Lieb du dich selber, liebe du dich selber,
Befriedige dein Selbst durch Eigenliebe!
DON JOSE
Du schwarze Pantherin, du machst verrückt
Die Männer dieser Welt durch deine Reize,
Wahnsinnig machst du mich durch deine Reize!


VIERTE SZENE


GARDIST
Du bist ein Weib, dazu ein schlechtes, Carmen!
CARMEN
Ja, ich bin böse, ich bin eine Hexe!
Hast du denn keine Angst vor meinem Zauber?
GARDIST
Man gab dir eine Arbeit in Sevilla,
Mit andern Frauen rolltest du Zigarren.
Das dicke Weib, die deine Vorgesetzte,
Was tat sie dir, dass du sie umgebracht?
CARMEN
Sie brachte mich ganz einfach auf die Palme
Mit ihrer Herrschsucht, wenn sie mir geboten,
Noch länger bei der Arbeit zu verweilen,
Zigarre um Zigarre für die Männer
Zu rollen mit den schlanken feinen Fingern!
Ich aber wollte auf den Plätzen tanzen!
Und wenn ich nicht auf Plätzen tanzen wollte,
Dann wollt ich reiten Hengste aus Arabien!
Oh, sahst du jemals diese Araber?
Ich könnte stundenlang und tagelang
Nur schauen an die Hengste, ihre Häupter,
Die Mäuler mit den Nüstern, welche wiehern,
Wie ihre Flanken zittern beim Galopp
Und wie sie ihre langen Jamben werfen!
GARDIST
Und darum brachtest du die Dicke um,
Die deine Vorgesetzte bei der Arbeit?
Du bist ein Weib, dazu ein schlechtes, Carmen!
Ich muss dich leider ins Gefängnis bringen!
CARMEN
Ach, nur nicht ins Gefängnis! Freiheit, Freiheit,
Ich brauche Freiheit, brauche Luft zum Atmen!
Ich bin ja schon gefangen in dem Körper,
Doch meine Seele ist die Göttin Freiheit,
Ein junges Mädchen, welches nackend reitet,
Ganz unbekleidet, bis auf Pfeil und Bogen,
Sitzt auf dem Hengste, ohne Sattel reitet,
Den Hengst nur lenkt durch ihrer Schenkel Druck!
GARDIST
O Weibchen, wie du sprichst! So sexuell!
Mit deinen sexuellen Hexereien
Verhext du den Gardist, Zigeunerin,
Doch ich ermanne mich, ermanne mich!
Mein oberstes Gebot ist Pflichterfüllung,
Die Ehre des Gardisten ist die Pflicht,
Drum sperr ich dich jetzt ins Gefängnis ein.
CARMEN
Ich kenn nur eine Pflicht und eine Ehre,
Das ist allein die Zauberei der Liebe!
Dein Gott ist Pflicht und Ehre - meine Gottheit
Ist sexuelle Liebeszauberei!

(Der Gardist führt sie ab.)


FÜNFTE SZENE


(Carmen im Gefängnis. Don José vor ihrem Gitter.)

DON JOSE
Ich hab gesehn die Liebe Frau vom Karmel,
Madonna schwitzte tüchtig bei der Arbeit,
Die Hand des Gotteszorns zurückzuhalten!
CARMEN
Ich liebe auch die schwitzende Madonna!
Wir, die Zigeuner, lieben sehr die Schwarze
Madonna, Herrscherin der dunklen Nacht!
DON JOSE
Du glaubst nicht an die Göttin Bowanéh,
Die Göttin dunkler Nacht, wie die Zigeuner?
CARMEN
Ach, wenn ich liebe, wenn ich tanz und singe,
Dann bete ich zur Göttin Bowanéh,
Doch wenn ich leide, bin ich im Gefängnis,
Dann bete ich zu meiner Schutzpatronin,
Zu Unsrer Lieben Frau vom Berge Karmel.
DON JOSE
Was wünschst du dir denn von der Karmel-Herrin?
Ich werde deine Wünsche dir erfüllen!
CARMEN
Ich wünsch mir Frieden in der ganzen Welt!
DON JOSE
So schenk ich dir den Frieden mit dem Herrn,
Den Frieden mit dir selbst in deinem Herzen,
Den Frieden in dem Kreise der Familie,
Den Frieden in dem Kreise deiner Freunde,
Den Frieden in dem Vaterlande Spanien,
Den Frieden auf dem ganzen runden Erdkreis,
Den Frieden in dem ganzen Universum!
CARMEN
Ich danke dir, mein lieber Freund José.
DON JOSE
Und hast du ganz persönlich nicht noch eine
Begierde, sei sie noch so egoistisch?
CARMEN
Ja, wenn ich für mich selber bitten dürfte,
So wünsche ich mir nichts als meine Freiheit!

(Don José steckt den Schlüssel ins Schlüsselloch und dreht ihn um, so öffnet er die Pforte.)

DON JOSE
Kann ich nur Einem Menschen Freiheit schenken,
So brauch ich nicht mit meinem Gott zu hadern!
CARMEN
(reicht Don José zärtlich die Hand, dabei wie zufällig seine Hand streichelnd)
Du bist ein lieber Freund, mein Don José.
DON JOSE
Und du, oh Carmen, du bist meine Göttin!


ZWEITER AKT


(Die Szene des Zweiten Aktes ist eine Schmuggler-Schenke.)

ERSTE SZENE


(Escamillo, der Torero, und betrunkene Schmuggler.)

ESCAMILLO
(singt)

Ich, der starke Götterbulle,
Bin von göttergleicher Kraft!
Nicht wie eines Papstes Bulle,
Sondern Mann in vollem Saft!

Ich, der Götterstier der Stiere,
Bin die große Gotteskraft,
Bin der Kraftprotz aller Tiere,
Der potent den Kosmos schafft!

Ich, der Ochse starker Rampen,
Bin voll Energie und Kraft,
Buhle ordinärer Schlampen,
Hab viel Röcke aufgerafft!

Ich, der Bulle, bin allmächtig,
Mit potenter Schöpferkraft,
Habe manches Weib allnächtlich
Liebevoll dahingerafft!

Hört den Bullen kräftig brüllen,
In dem Horn ist seine Kraft,
Jedes Weib war mir zu willen,
Meiner Glut der Leidenschaft!

Bulle, hab ich viele Rinder,
Die anbeten meine Kraft,
Habe Kälber, habe Kinder,
Nie ist noch mein Horn erschlafft!

Ah, der Kühe breiten Hintern
Ich besteige voller Kraft,
Mit der Kraft von Überwindern
Brüll ich, bis ich sie geschafft!

SCHMUGGLER
(gröhlen)
Heil, Heil dir, großer Götterbulle Kraft!


ZWEITE SZENE


SCHMUGGLER
(durcheinander)
Heute gibt es große Ernte –
Ist Bescherung wie zur Weihnacht –
Ach die schönen, schönsten Dinge –
Schmuck, zu schmücken schöne Mädchen –
Doch vor allem Silbermünzen
Oder lieber goldne Münzen –
Und Geräte, zu bedienen –
Kleider für die Edeldamen –
Kleidchen für die süßen Dirnen –
Ach die Dirnen, sie begehren
Spielerei und Süßigkeiten –
Eitelkeiten, Eitelkeiten –
Ja, das wird ein großer Fischfang,
Menschenseelen einzufangen
In dem Fangnetz unsres Bootes –
Alle die verbotnen Feigen
Sind so übermäßig köstlich –
Groß die Ernte auf dem Meere,
Aber wenig nur der Fischer –
Bitte, schöne Carmencita,
Bitte du den Gott der Diebe,
Viele Schmuggler auszusenden –
Carmencita, Carmencita,
Komm du mit in unserm Boote –
Sei du unsre schönste Nixe,
Unsre Meeresjungfrau Venus,
Denn von deiner Schönheit Zauber
Folgen uns die keuschen Fische
Und vom Netze deines Schwarzhaars
Menschenseelen sind gefesselt!
CARMEN
Mit euch, ihr Diebsgesindel, Räuberbande,
Mit euch ist nicht der Segen Carmencitas.
Mit meinem schokoladensüßen Herzen
Erwarte ich voll süßer Sehnsucht innig
Den liebsten Seelenbruder meiner Seele,
Den innern Führer meines wahren Geistes,
Anbeter ist er meines Honigleibes,
Auf ihn nur wart ich, mehr als Wächter
Aufs Morgenrot, wart ich auf Don José!
SCHMUGGLER
Wo ist denn dein Vielgeliebter?
Wohin ging dein Seelenbruder?
Bist allein hier in der Schenke,
Rauben wir dir deinen Schleier!
CARMEN
Ha, ich bin in der Freiheit, er gefangen!
Er ging freiwillig in den Kerker, nur
Um meine Freiheit zu erreichen, einzig
Aus Liebe sitzt er schmachtend im Verließ!


DRITTE SZENE


(Carmen tanzt Bauchtanz und Don José starrt sie an wie das Kaninchen auf die Schlange.)

DON JOSE
Wie schaukelst du die Hüfte doch, dein Becken,
Ein Becher voller Pflaumenschnaps dein Becken!
Ah, könnte ich dich ewig tanzen sehen
Und kreisen wie das ganze All dein Becken!
Wie reizend ist doch auch dein Liebreizgürtel,
Geschlungen voller Liebreiz um dein Becken!
Wie lieblich ist die große Doppelschnalle,
Wie schmückt sie golden-glorios dein Becken!
Ich knie auf der Erde vor dir Göttin
Und über mir bewegst du schön dein Becken!
O Femina Divina, Frau und Göttin,
Des Universums Zentrum ist dein Becken,
Die Galaxieen schmücken deinen Gürtel,
Bewegen sich, wie es befiehlt dein Becken,
Milchstraße, Asteroiden und Planeten
Umkreisen all ihr Zentrum nur, dein Becken,
Die Sphärenharmonieen auch zum Tanze
Musik ertönen lassen, tanzt dein Becken,
Die Seraphim und Cherubim und Götter,
Sie psalmodieren Hymnen an dein Becken,
Ich sehe dich als Königin des Kosmos,
Das All der Liebreizgürtel um dein Becken,
Im tobenden Entzücken Universen
In Kreisen tanzen alle um dein Becken!
Ich sehe gar die Schöpferin Frau Weisheit
Den Bauchtanz tanzen, sehe wie dein Becken
Frau Weisheit auch im Tanz die Hüfte kreisen!
Frau Weisheit, da du tanzt, bewegst dein Becken,
Erregen sich im Nichts die Ideale,
Die Samen aufruft aus dem Nichts dein Becken
Und von dem Tanz der göttlichen Erotik
Aus reinem Nichts erweckt Ideen dein Becken,
Aus absolutem Nichts erwachen Samen
Und Schöpfungen entstehen, kreist dein Becken,
Und aufgeregt von ewigen Begierden
Die Universen preisen all dein Becken,
Das Universum aller Universen
Als höchstes Glaubensziel ersehnt dein Becken,
Frau Weisheit, weil dein Becken ist der Ursprung
Der Universen, ist ihr Ziel dein Becken!
Ich aber, überaus begnadet, Göttin,
In genialer Lust umfass dein Becken
Und fass mit meinen Händen deine Hüfte
Und lasse kreisen über mir dein Becken!
Der Göttin Becken habe ich gehalten,
Hielt wie den Becher meines Heils dein Becken!

(Carmen hört auf zu tanzen.)

CARMEN
Charmeur! Berühre noch einmal mein Becken!


VIERTE SZENE


CARMEN
Geliebter Freund, wir wollen Liebe feiern,
Genießen wir vereint das schöne Leben!
Geliebter, lass uns feiern diese Tage,
Gott gebe uns ein Herz voll Fröhlichkeit!
Was machen denn die Engel sonst im Himmel
Als Lachen, Singen, Tanzen, Gott zu feiern?
Ja, meine Seele ist so voller Hoffnung,
Ich glaube gar, dass wir aus Gottes Gnade
Wie Göttinnen und Götter Griechenlands
Uns lieben werden in Elysium!
DON JOSE
Nur mit den beiden Beinen auf der Erde
Geblieben! Ist die Welt doch voller Teufel
Und heiß umkämpft ist unser Vaterland,
Die Kirche und das Königshaus umkämpft,
Da braucht es männlich-tapfere Soldaten,
Die Gott verteidigen und Gottes Ehre.
In meinem geistigen Gewissen steht
Geschrieben von dem Herrn die Pflicht zum Gutsein,
Nicht nur zum Gutsein, auch zum Gutestun.
So habe ich die Pflicht, auf dieser Erde
Zu kämpfen für den Frieden in der Welt.
Denn ewig soll er sein, der Menschheitsfriede!
So setze ich den Helm der Hoffnung auf,
Die Ritterrüstung zieh ich an des Glaubens,
Das scharfe Schwert nehm ich des Wortes Gottes,
Die Stiefel zieh ich an der Friedensbotschaft.
Gestiefelt für das Evangelium
Des Friedens kämpfe ich als frommer Ritter,
Als Ritter Unsrer Frau vom Berge Karmel.
CARMEN
Ist Fastenzeit, bei Brot und Wasser faste,
Ist Rebhuhnzeit, verschlinge du dein Rebhuhn!
Ich will dein Rebhuhn sein so appetitlich,
Mein lecker Fleisch soll deine Speise sein!
Wenn du zu streng asketisch lebst, mein Freund,
Kommst du zum Tugendstolz der Pharisäer.
DON JOSE
Mich sollen Sinnlichkeiten nicht umstricken!
CARMEN
Umstricken will ich dich, will dich umstricken,
Umstricken soll dich meine Sinnlichkeit,
Umstricken will ich dich mit Zauberei
Charmantester Erotik, mein Geliebter!

(Leutenant Zuniga tritt ein.)

DON JOSE
O Leutnant, Vorgesetzter des Soldaten,
Ich wollte grade heim in die Kaserne.
LEUTENANT ZUNIGA
Gardist José, du bist ein Taugenichts!


FÜNFTE SZENE


LEUTENANT ZUNIGA
José, was ist das für ein Prachtweib dort?
Oh, wie romantisch die Verwirrung doch
Der langen Ranken ihrer schwarzen Haare!
Dies Weib ist doch ein Gartenparadies,
Inmitten süß die Feige der Erkenntnis!
Vielleicht wars keine Feige der Erkenntnis,
Vielleicht ja war es eine süße Pflaume?
Und diese beiden Lebensäpfel Evas
Sind prall wie paradiesische Melonen!
In dieses Weibes Gartenparadies
Möchte ich wohl eine strotzende Zucchini
Einsetzen in den unbesamten Acker!
Und erst die rote Rose ihrer Lippen!
Und jener Dornbusch erst, so wirr und schwarz,
Da wächst verborgen wohl die schönste Muschel!
DON JOSE
Bei aller Ehrfurcht, väterlicher Leutnant,
Begierdeblicke stehen dir nicht an,
Denn mein, ganz mein ist diese Carmencita!
LEUTENANT ZUNIGA
Ich sehe den Gekreuzigten am Kreuz
Und dürsten voll Begierde nach der Seele
Und immer schmachtend seufzen: Eli, Eli...
Was geb ich diesem gottverlassnen Gott?
Ich gebe ihm den Essig meines Spottes
Und mische Galle ihm in seinen Wein!
DON JOSE
Gott selber weiß sich zu verteidigen!
LEUTENANT ZUNIGA
Und dieses Prachtweib werde ich besteigen,
Ich bin ein Gott in voller Manneskraft!
DON JOSE
(Zieht sein Schwert aus der Scheide)
Du prahlst als Kraftprotz? Bist du doch ein Schlappschwanz!
Dies kalte Herz reiß ich dir aus der Brust
Und werfe es zum Fraß vor Carmens Hündin!

(Don José will den verdammten Leutenant ermorden für seine gotteslästerlichen Begierlichkeiten. Die Schmuggler treten dazwischen, nehmen dem Leutenant Zuniga das Schwert ab, fesseln ihn, nehmen auch Don José das Schwert ab und umstehen ihn im Kreis.)

SCHMUGGLER
Don José, sei unser Bruder,
Mitglied unsrer Schmugglerkirche!
Alles haben wir gemeinsam,
Sind ein Herz und eine Seele!


DRITTER AKT


(Eine Schlucht im Gebirge.)

ERSTE SZENE


(Schmuggler und Zigeuner um ein Lagerfeuer bei Tanz und Gesang.)

SCHMUGGLER
(singen)

Hermes, o du Gott der Diebe,
Führe uns dein Schlangenstab!
Dieser Welt gilt unsre Liebe,
Liebe bis zum schwarzen Grab!

Hermes, o du Gott der Diebe,
Götterkind im Marmorbild,
Welche Lüste, welche Liebe
Treiben uns durch das Gefild!

Hermes, o du Gott der Diebe,
Hilf uns rauben jeden Schatz!
Unser Schatz und unsre Liebe
Ist die Herrin hier am Platz!

Hermes, o du Gott der Diebe,
Öffne, Gott, uns den Trésor!
Habegierig unsre Liebe,
Leihe willig uns ein Ohr!

ZIGEUNERINNEN
(wie feurige Schlangen tanzend, singen)

Mutter Nacht, du rabenschwarze,
Große Göttin Bowanéh,
Mit der Schere kommt die Parze,
Heile alles Liebesweh!

Mutter Nacht, so tief und dunkel,
Große Göttin Bowanéh,
Edelsteine und Karfunkel
Heilen alles Liebesweh!

Mutter Nacht, du Schleiereule,
Große Göttin Bowanéh,
Luna hört das Wolfsgeheule,
Heulend unser Liebesweh!

Mutter Nacht der Finsternisse,
Große Göttin Bowanéh,
Feurigheiße Schlangenbisse
Schenken bittres Liebesweh!

Mutter Nacht, ach, ach, verlassen!
Große Göttin Bowanéh!
Liebchen liebend zu umfassen,
Stille alles Liebesweh!


ZWEITE SZENE


CARMEN
José, ich will dich jetzt nicht länger hören,
José, ich will dich jetzt nicht länger sehen!
Such dir doch irgendeine andre Frau,
Ich hab in meinem Herzen keinen Platz
Für deinen Namen mehr und für dein Wesen.
DON JOSE
Denk ich an dich, so sage ich nur: Ah,
Sie ist die Königin des Universums!
CARMEN
Nein, deine Schmeicheleien und dein Raspeln
Von Süßholz sind zuwider mir geworden,
All deine Poesie aus Marzipan
Und dein verliebtes Wort aus Puderzucker
Und deine Schokoladen-Schmeicheleien.
DON JOSE
In meinen Augen bist du eben schön!
CARMEN
Geh, ich will jetzt alleine sein, José!

(José entfernt sich.)

Mir geht es schlecht! Ach, liebte mich doch nur
Torero Escamillo, dieser Mann
So ganz nach meinem liebeskranken Herzen!
Ach Escamillo, liebe mich doch bitte!
Denkst du denn nicht an deine Carmencita?
Ach, hätten wir doch eine große Villa
Mit großem Landbesitz auf den Kanaren,
Ich drehte jeden Tag dir die Zigarre,
Und wenn ich älter würde, dicker würde,
Du würdest mich als treuer Gatte lieben
Und mir die Liebe geben, die mein Vater
Mir nicht gegeben hat in meiner Kindheit.
Und wär ich dick und wäre aufgequollen,
Ich setzte mich auf einen starken Hengst,
Aufbäumen würde sich der starke Hengst,
Ich säß auf seinem Rücken ohne Sattel,
Hielt in der rechten Hand die Liebesfackel
Nach oben triumphierend, an der Hüfte
Das rechte Schwert wär in der rechten Scheide,
Wie üppig quölle mir der Busen aus
Dem Dekolleté, die Haare aufgesteckt,
So wär ich dick und dennoch voller Hochmut!

(Escamillo erscheint.)

ESCAMILLO
Was willst du, arme Dirne Carmencita?
Soll ich dein Gott und auch dein Gatte sein?
Ich bin mir doch allein genug, ich bin
Verschlossen in mich selbst, mein eigner Gott!
CARMEN
Ach Kummer! Nehmen will ich mir das Leben!


DRITTE SZENE


DON JOSE
Du aufgeblasner Kraftprotz, was denn willst du
Von meiner wunderschönen Sternengöttin?
Was soll die Königin des Universums
Mit einem dummen Ochsen, der nur Gras frisst?
ESCAMILLO
Was willst denn du dort in der zweiten Reihe?
Hock du dich in den Winkel zu den Hunden!
Ich bin allein der Herr der schönen Weiber!
DON JOSE
Nichtswürdiger, die Zähne putzt du dir
Mit Pisse, schwarzgelockter Menelaos!
ESCAMILLO
Pass auf, sonst schlag ich dir den Schädel ein!
DON JOSE
Die Hand, mit der du deinen Stiefel wichst,
Berühre nicht die Hüfte meiner Göttin!
ESCAMILLO
Nun will sie aber mich, mein Freund, nicht dich!
Verschmäht wirst du von deiner Sternengöttin!
Ich soll als Stier die sanfte Kuh besteigen!
DON JOSE
Intimes Vorspiel weißt du nicht zu spielen,
Dein Herz ist kalt und deine Seele tot!
ESCAMILLO
Mein Herz ist heiß in Rage und in Wut!
Die Carmen nehm ich wie das letzte Dreckstück!

(Don José zieht sein Messer und schneidet Escamillo plötzlich über seinen linken Oberarm. Escamillo brüllt wie ein Stier. Carmen und einige Schmuggler eilen hinzu und trennen Don José von Escamillo.)

CARMEN
José! Ich liebe diesen Escamillo!
Dich lieb ich nicht, dich lieb ich nicht, José!
DON JOSE
Fast hätt ich ihm das kalte Herz durchbohrt
Und ihn zu seinem Herrn hinab gesendet!
CARMEN
Mein Escamillo, Gott sei Dank, du lebst!
Du Mann nach meinem liebeskranken Herzen,
Wenn du gestorben wärest, wollt ich mich
Von einer Klippe stürzen, selbst mich morden!
ESCAMILLO
So teuer ist dir mein vitaler Körper?
CARMEN
Seit ich dich schaute, träum ich jede Nacht,
Wie du mit mir genießt die Liebesfreuden,
So wie ein Rüde steigt auf seine Hündin.
DON JOSE
Ah, Carmencita, du ermordest mich!


VIERTE SZENE


MICHAELA
Viellieber Don José, mein süßer Schatz!
DON JOSE
Ach, Michaela? Woher kommst denn du?
MICHAELA
Ich bin schon lange hier bei diesen Schmugglern
Und den Zigeunern und Zigeunerinnen.
DON JOSE
Ich hab dich nicht gesehn, nein, wirklich nicht.
MICHAELA
Da siehst du es! Ich bin wie unsichtbar
Ein Schutzgeist immer um dich, süßer Schatz,
Du aber siehst mich nicht, du hast nur Augen
Für diese Carmen mit dem harten Herzen.
DON JOSE
Ihr Herz ist mir verschlossen ganz und gar,
Mein Herz jedoch wie eine offne Wunde!
MICHAELA
Lass du dich von der alten Freundin trösten,
Ruh dich an meinem Schwesterbusen aus.

(Michaela umarmt Don José. Er ruht an ihrem Busen, wie ein Kind in den Armen der Mutter.)

DON JOSE
Bist du zu mir gekommen, extra nur
Zu mir? Vielleicht du willst mir etwas sagen?
MICHAELA
Ja. Deine Mutter liegt im Sterbebett.
Sie möchte sich so gern mit dir versöhnen.
DON JOSE
Was soll ich ihr denn sagen? Niemals konnten
Wir miteinander sprechen in der Wahrheit.
MICHAELA
Tritt du nur einfach an ihr Sterbebett
Und schau mit deinen Augen in die ihren
Und zeige ihr den Gott in deiner Seele.
DON JOSE
Sie wird sich nicht bekehren, sondern sich
Noch auf dem Sterbebette amüsieren
Und mich bezichtigen als Taugenichts.
MICHAELA
Auch Jesus Christus wurde so verspottet,
Er aber betete für seine Feinde.
DON JOSE
Ich könnte hier in Gottes grünem Garten
Auch beten für die Seele meiner Mutter,
Ich will doch nicht von Carmencita fort,
Ich liebe schließlich Carmencita mehr
Als jene Frau, die mich dem Tod geboren.


FÜNFTE SZENE


DON JOSE
O Carmen, gerne möcht ich bei dir bleiben
Und deiner Seele Glück und Frieden schenken.
Doch meine alte Mutter liegt im Sterben
Und will mich sehen noch vor ihrem Tode.
Die Pflicht ruft mich zu meiner alten Mutter,
Die Liebe fesselt mich an dich, o Carmen!
CARMEN
Ja, geh du nur zu deiner alten Mutter,
Ich brauch dich nicht, ich kann dich nicht gebrauchen.
Mein Herz ist bei dem starken Escamillo,
Den schwächlichen José mit seinem Schmachten
Hab ich vergessen schon in meinem Herzen.
DON JOSE
Du meine Mörderin voll Grausamkeit!
Das Unglück ist doch meine treue Schwester!
CARMEN
Ja, wenn du leiden willst, so leide eben!
Der Mensch ist selber schuld an seinem Unglück!
Du willst dein Unglück? Ja, so weine denn!
DON JOSE
Nie hörte ich ein Wort so unbarmherzig!
Und meine alte Mutter liegt im Sterben.
CARMEN
So einen Schwächling voller Hundedemut
Mit der Moral von Sklaven brauch ich nicht.
Was ich begehre, ist ein Übermensch,
Den Supermann, den Sieger, Triumphator,
Der herrschen kann, der mich beherrschen kann.
DON JOSE
Wo ist die Sanftmut deiner Seele hin?
CARMEN
Man sagt den Frauenzimmern immer: Seid nur lieb,
Seid weiche Weiber, zärtlicher Empfindung.
Das Leben hütet und die Tränen trocknet.
Nein, ich bin da auf einem andern Weg,
Ich will die böse Kraft der Rebellion
In mir erwachen lassen, stark und frei sein,
Ich mach mein Herz so hart wie Diamant
Und gehe rücksichtslos den eignen Weg
Und so vollende ich mich selbst in Kraft,
Indem ich mich vollkommen mache und
Den Teufel meiner Seele integriere!
DON JOSE
Das ist die Carmen nicht, die ich so liebte.
CARMEN
Du liebtest ja nicht mich, du liebtest nur
Dein Ideal, das dir im Innern lebt.
Geh in dich, liebe du dein Ideal,
Ich bin es nicht, die dich von Herzen liebt!
DON JOSE
Ach, glücklich meine Mutter, die jetzt stirbt.


VIERTER AKT


(Sevilla. Vor der Stierkampf-Arena.)

ERSTE SZENE


(Der Torero Escamillo wird vom Volk bejubelt.)

VOLK
O Torero, Götterbulle,
Deine Kraft und Leidenschaften
Wilder sind als bei dem Wildstier!
Triumphator, Triumphator,
Breche brüllend durch die Schranken,
Pflüge Spaniens Ackerfurchen,
Steig von hinten auf die Kühe!
O du großer Götterbulle,
Mit dem Phallus eines Stieres
Und dem Regen von dem Himmel
Du befruchte Mutter Erde
Und besame Mutter Erde!
Spanien dürstet, Spanien schmachtet,
Goldner Stier, nach deinem Samen!
Ah, die Kraft in deinem Horne
Ist der Segen deiner Gottheit,
Evident die Kraft des Gottes!
O Torero, Gottes Wildstier,
Breche brüllend durch die Wolken,
Mit dem Hammer deiner Hufen
Schlage Donner aus dem Äther!
Mit dem Schnauben deiner Nase
Du entfache die vier Winde
Von der Mutter Erde Lenden,
Mit der Nase Schnauben blase
Aus der Feuchtigkeit der Nüstern
Winde, die die Samen tragen
Von den Blumen zu den Blumen!
O Torero, Gottes Wildstier,
Schau die Mutterkuh des Himmels,
Melke du ihr Himmelseuter,
Melke du ihr Wolkeneuter!
O Torero, Kraft der Gottheit,
Heute weiht sich Spanien völlig
Dieser Mutterkuh des Himmels
Mit dem vollen Himmelseuter:
Totus tuus – Kuh des Himmels!


ZWEITE SZENE


CARMEN
Ach Escamillo, Escamillo mein!
Wie du so dastehst in potenter Kraft,
Gleichst du vollkommen meinem jungen Vater,
O liebe mich, mein junger Himmelsvater!
DON JOSE
Geliebte Carmen, so wirst du nicht glücklich!
CARMEN
Gardist; du hättest Priester werden sollen.
DON JOSE
Ja, ich der Christus, du bist meine Kirche!
CARMEN
Ich möchte deine Predigt nicht mehr hören.
DON JOSE
Nein, dieser Christus hält dir keine Predigt,
Ist nicht ein Schwätzer wie die Hugenotten,
Nein, dieser Christus opfert dir sein Leben,
Durchbohren lässt er sich das Herz von dir
Und schüttet aus sein Blut für seine Kirche,
Für die geliebte Braut des Schmerzensmannes,
Im Tode offenbart er seine Liebe.
CARMEN
Ach, du mit deinem Tod! Dein Bruder Tod
Soll ewig mir von meinem Leibe bleiben!
Ich möchte diesen kräftigen Torero,
Er weide mich auf einer grünen Aue!
Ich sah im Traume einen Stier schneeweiß
Und eine milchigweiße Mutterkuh
Im frischen Sommerschatten in dem Gras
Behaglich liegen, Gräser wiederkauend.
Doch dann erhob sich dieser weiße Stier,
Denn in der Ferne stand die Rinderherde,
Ganz junge Kühe noch, ja, braune Färsen,
Die Färsen schon geschlechtsreif, nicht mehr Kälber,
Die Färsen schon geschlechtsreif, noch nicht Kühe,
Weil sie noch nicht gekalbt, weil noch kein Kalb
Gemolken hat des Mutterrindes Euter,
Die Färsen, schon geschlechtsreif, wollt der Stier
Auf jener fernen grünen Rinderweide
Besteigen, und die milchigweiße Kuh
Blieb ganz allein zurück in ihrer Aue.
DON JOSE
Was ihr in Leidenschaft beginnen wollt,
Im Sturme der Verliebtheit euch zu paaren,
Das ist kein Fundament für treue Liebe,
So wirst du glücklich nicht mit diesem Kerl.
CARMEN
Fang nur nicht an, von Keuschheit jetzt zu plappern,
Denn was du Keuschheit nennst, ist Prüderie.
DON JOSE
Ich sage dir voraus des Herzens Unglück.
CARMEN
Ich schließ mein Muschelohr für deine Worte.


DRITTE SZENE


CARMEN
Geh, Don José, geh du mir aus dem Weg,
Ich will zu meinem Gotte Escamillo!

(Sie stößt ihn beiseite.)

DON JOSE
Im Anbeginne Don José und Carmen
Sind Licht und Dunkel, Don José und Carmen,
Du bist am Himmel meine Gnadensonne,
Ich Mond dein Spiegel, Don José und Carmen,
Du bist die erste Frau der Erde, Lilith,
Ich bin dein Adam, Don José und Carmen,
Ich bin ein Lichtteil auf dem Marsplaneten,
Du Venus’ Lichtteil, Don José und Carmen,
Ich bin das blaue Wasser aller Trauer,
Du Liebesfeuer, Don José und Carmen,
Ich bin der Leib in seiner Auferstehung,
Du meine Seele, Don José und Carmen,
Ich eigne ganz der Lieben Frau vom Karmel,
Du deinem Christus, Don José und Carmen,
Wenn Gott erlöst den Mann, erlöst er gleichfalls
Des Mannes Liebe, Don José und Carmen,
Ich führe weise dich den Weg zum Himmel,
Du bist mein Himmel, Don José und Carmen,
Fragt Gott am Jüngsten Tag, was ich getan hab,
Ich liebte Carmen! Don José und Carmen,
Wie Jesus und Jerusalem, die Nymphe,
Ich lieb dich ewig, Don José und Carmen.
Unsterblich ist die Seele, Hauch der Körper,
Vereint in Liebe, Don José und Carmen,
Ich bin der Körper nur, der unbelebte,
Du Gottes Atem, Don José und Carmen,
Ich bin die schlechte Hälfte meiner Seele,
Du bist die gute, Don José und Carmen,
Die Weltenseele einst schuf unsre Seelen
Als Eine Seele, Don José und Carmen,
Zwei Hälften Eines Spiegels wir der Gottheit,
Zwei-einig Wesen, Don José und Carmen,
Gott schuf nach Gottes Bild uns männlich-weiblich,
Wie Gott und Göttin, Don José und Carmen,
Wenn wir aus Gnade einst vergottet werden
Zu Gott und Göttin, Don José und Carmen,
Wir lieben uns wie Göttinnen und Götter
Im Paradiese, Don José und Carmen!
CARMEN
Ach, Escamillo, Escamillo, ach!
DON JOSE
Mesalliance ist Sünde vor der Gottheit !


VIERTE SZENE


CARMEN
Du hast mir einen schwarzen Ring geschenkt,
Wie du ihn schon am Ehefinger trägst
Für Unsre Liebe Frau vom Berge Karmel,
Den Ring ist schwarz, von schwarzem Ebenholz,
Ist aus dem fernen Goldland Mexiko,
Ich aber möchte keinen Ring von dir!
Was soll ich denn mit solchem armen Ring?
Ich habe einen schönen Ring gesehn
Von reinem Silber, groß war der Rubin,
Das Silber und den rosigen Rubin
Soll Escamillo mir zur Hochzeit schenken!
DON JOSE
O Vielgeliebte, deine Mundrubine
Sind blutigrot wie allerbester Rotwein.
Trink ich allein die flüssigen Rubine
Des roten Weines, denk ich deines Mundes.
Ach, darf ich küssen nicht die Mundrubine,
So küsse ich den Becher mit Rubinrand
Und mische meine blutigroten Tränen
Dem flüssigen Rubin von Spaniens Rotwein.
CARMEN
Ja, saufe nur, bis dich der Wahnsinn packt!
DON JOSE
Geliebte, bitte tu doch meinen Ring
An deinen vierten Finger deiner Hand
Und trage ihn als treuen Freundschaftsring.
CARMEN
Hier hast du deinen Ring der treuen Freundschaft!

(Sie schleudert ihm den Ring ins Gesicht und geht ab.)

DON JOSE
Ach, Eli, Eli, lama asabtani?

(Don José nimmt sein Messer und durchbohrt sein Herz. Verblutend stirbt er.)