Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

FAUST




Tragödie
Von Johann Wolfgang van Goethe
Aus dem Plattdeutschen übersetzt ins hannoveranische Hochdeutsch
Von Josef Maria Mayer


PROLOG IM HIMMEL


(Der Herr Zebaoth, die himmlischen Heere. Später Asmodeus. Die drei Erzengel Sankt Michael, Sankt Gabriel und Sankt Raphael erscheinen.)

SANKT RAPHAEL
Die Sonne singt in alter Weise
In heiliger Geschwister Chor,
Bei ihrer großen Sphärenreise
Oft kommen Donnerschläge vor.
Die Engel stehn, sich zu ergötzen,
Ein jeder Engel, wie er mag.
Das Spiel nach ewigen Gesetzen
Ist lustig wie am ersten Tag.
SANKT GABRIEL
Du kannst das Beste doch nicht fassen,
Wie Mutter Erde sich bewegt,
Mal von der Sonne übergossen,
Mal samtnes Schwarz sich niederlegt.
Da bäumt sich auf die See mit Schäumen
Und spritzt aus tiefem Felsenspalt
Und geistig Wassernymphen träumen,
Die Erde leidet die Gewalt!
SANKT MICHAEL
Und wilde Stürme, immer reger,
Von Land zu See, von See zu Land,
Die wilde Jagd, der wilde Jäger,
Der Jäger steckt das Haus in Brand.
Ein Blitz, ein Schlag vom Donnerhammer,
Der Hammer donnert immerzu.
Dein Sklave, Gott, in seiner Kammer
Liegt da in schönster Seelenruh.
DIE DREI
Die Engel stehn, sich zu ergötzen,
Ein jeder Engel, wie er mag.
Das Spiel nach ewigen Gesetzen
Ist lustig wie am ersten Tag.
ASMODEUS
Herr, wieder gibst du eine Audienz,
Willst hören, ob wir sind mit dir zufrieden.
Sonst gnädig auch, mein Gott in Evidenz,
Bescheiden hab ich mich zu dir beschieden.
Alexandriner auf Franzosenweise
Kann ich nicht machen, wie der Franke macht,
Doch sollst du lächeln, Gottheit, lieblich leise,
Hat Jesus doch mit Kindern auch gelacht!
Vom Universum weiß ich nicht zu reden,
Von Adam doch und Eva nackt in Eden,
Und jeder Mann behauptet, er hab Recht,
Er sei ein Mann vom göttlichen Geschlecht!
Doch ist es wie beim ersten Sündenfall
Gleich nach des Weltalls allererstem Knall,
Da Adam pflückte sich die Feige weg:
Auf Evas linker Brust den Schönheitsfleck!
Der Mann doch lebte glücklich seine Brunft,
Wenn du ihm nicht gegeben die Vernunft.
Ja, graut dir nicht, siehst du das Affentier,
Von hinten auf die Kuh dringt ein der Stier.
Bei Tieren wohl geschieht das dann und wann,
Wenn aber viehisch sich verhält der Mann,
Wenn er es nicht gesteht dem Ohrenpriester,
So ist er bestialischer als Biester.
O Majestät, geschehe Euer Wille!
Der Mann erscheint mir ähnlich einer Grille,
Die vor der Pforte der Geliebten zirpt,
Ums Plätzchen an dem warmen Ofen wirbt,
Allmorgentlich in feuchten Nebelschwaden
Süß zirpt wie die französischen Zikaden,
Meint, seine Stimme sei wie Orpheus stark,
Hüpft einfach in den allerersten Quark!
HERR ZEBAOTH
Was läuft dir sonst noch über deine Galle?
Verklagst du nicht die Menschensöhne alle?
Bist du mit dem, was weise ich beschieden,
Mit meiner Liebesgunst denn nie zufrieden?
ASMODEUS
Nein, Donnerer, mit deinem Donnerhammer,
Mich jammert so des armen Menschen Jammer
Und ich kann nur noch lamentieren, klagen!
Frau Armut selber wag ich nicht zu plagen!
HERR ZEBAOTH
Kennst du den Doktor Johann Faustus recht?
Der Dulder Hiob ist mein bester Knecht!
ASMODEUS
Der Doktor Mysticus der Kabbala?
Mein Drittes Auge ihn heut morgen sah,
Wie geistig seinen Esel er geritten,
Beflügelt ist ins Paradies geglitten.
Vom Himmel will er Lämmerwolken pflücken
Und auf der Erde weiche Weiber ficken.
Herr! Bleibe hart bei solcherlei Begehren,
Sollst ewig eine Vulva ihm verwehren,
Er wäre nach dem Akte schlaff und matt
Und all sein Liebeshunger doch nicht satt,
Denn wie nach den Mätressen einst die Fürsten,
Ist in ihm ewig-ewigliches Dürsten!
HERR ZEBAOTH
Geht er auch in der Gottesfinsternis,
Will dringen er in jeglichen Abyss,
Einst wird entschleiern sich die Gotteswahrheit,
Er schaut die Gottheit dann in bloßer Klarheit!
Und liebt und hofft er, weiß er auch zu schweigen,
Die Ewigkeit einst schenkt ihm ihre Feigen!
ASMODEUS
Ha! Majestät, ich packe Euren Knecht,
Den Faust, an seinem göttlichen Geschlecht,
Versuche ihn mit Geld und Macht und Sex,
So ist er bald der lieben Gottheit Ex!
HERR ZEBAOTH
Geh, Asmodeus, prüfe meinen Knecht,
Ich aber sprech aus Gnade ihn gerecht.
Versuche ihn mit Unzucht, ob er fehle,
Doch Mein bleibt seine gottgeweihte Seele!
ASMODEUS
Wohlan, ich geh wie andre Gottesboten,
Versuchen kann ich ja nicht mehr die Toten,
Versuchen will ich jene, die noch leben,
Die Männer, die vor Weiberbrüsten beben!
Die Toten, Herr, die kann ich nicht mehr packen,
Die Lebenden jedoch mit prallen Backen!
Was soll mir in dem Grabe das Skelett?
Die leben, lock ich in der Unzucht Bett!
HERR ZEBAOTH
Gut, Asmodeus, Doktor Faust sei dein,
Versuche ihn, ob er die Quelle rein
Der Liebe, dieser Herrscherin von Sternen,
Verlassen wird für schmutzige Zisternen?
Und wenn vergebens meine Gnade quölle,
Kommt er zum Teufel in die Feuerhölle!
Doch, Dämon, sei beschämt, musst du bekennen:
Allein muß ich im Pfuhl aus Feuer brennen,
Der Wahre Mensch ist mir zur Last geworden,
Zur Last – und nicht zur Lust im Wollust-Orden!
ASMODEUS
Gut, geh ich zu den Dornen und den Nesteln,
Ich will ihn mit dem Nesselhemde fesseln,
Versuch ihn, nichts als Lust um Lust zu suchen,
Mit geilen Huren will ich ihn versuchen,
Und will es mir mit Huren nicht gelingen,
Die schon so manchen freien Christen fingen,
Ich Dämon bleibe dennoch unverzagt,
Versuche ihn mit einer frommen Magd!
Er buhlt mir noch um ihre Apfelwangen!
Verflucht ist er wie andre kluge Schlangen,
Soll wie die Schlange und wie andre Lurche
Mir kriechen durch die schwarze Ackerfurche!
HERR ZEBAOTH
Du hast den freien Willen, freier Geist,
Ob du auch unrein bist und Dämon heißt,
Zur Erde geh hinab von Zions Hügel,
Sei einsichtsvoll und klug wie Eulenspiegel.
Der Mann, ich rufe ihn, sich aufzuraffen,
Mit seiner Schöpferkraft ein Werk zu schaffen,
Und sehnt er sich nach absoluter Ruh,
Geselle ich ihm einen Bruder zu.
Der Freund und Bruder, das ist ohne Zweifel
Sein Schatten oder auch sein eigner Teufel.
Ihr aber, meine gottgetreuen Engel,
Gehorsam ihr der Jungfrau ohne Mängel,
Den Menschen führt ins Land von Seim und Butter,
Gott liebt den Menschen ja wie eine Mutter!
So soll der Mann in seines Gottes Namen
Zur Engelsernte säen seinen Samen.

(Der Himmel schließt sich.)

ASMODEUS
So ab und an hör ich doch gern den Vater,
In Uranos den liebevollen Pater.
Ich möcht mit meinem Gott und Herrn nicht brechen,
Der menschlich mit Dämonen weiß zu sprechen.


NACHT. FAUST IN SEINER ZELLE.

FAUST
Ich las so manchen Philosophen,
Gold aus der Weisheit Feuerofen,
Doch fand ich nicht die Dame Chockmah.
Ich kenn der Theologen Dogma
Und auch die Politik der Staaten
Und leider, ach, die Advokaten!
So steh ich nun als Tor der Toren,
Als hätt ich den Verstand verloren!
Geworden bin ich ein Magister,
Ein Doktor auch wie die Geschwister.
Sei sieben Jahren bin ich Lehrer
Und mach es meinen Schülern schwerer
Und schwerer Jahr um Jahr, sie müssen
Erkennen, dass sie gar nichts wissen,
Ob sie es auch nicht wollen leiden,
Doch sollen bleiben sie bescheiden.
Ich aber bin nicht wie die Affen,
Die Wissenschaftler und die Pfaffen.
Ich lob mir schöpferischen Zweifel
Und habe keine Angst vorm Teufel.
Doch seit ich Weisheit zu mir nahm
Mit Löffeln, fühl ich Gram, nur Gram,
Seit ich geheimer Einsicht seh,
Ich fühle in der Seele Weh.
O Demut! Dies ist einzusehen:
Ich kann die Gottheit nicht verstehen!
Ich habe mich des Amts entledigt,
Ich hab schon lang nicht mehr gepredigt
Und allen Weisheit angeboten,
Ich gleiche mehr den Idioten,
Bei all der Vielgelehrten Tanz
Bin ich der Doktor Ignoranz!
Frau Armut hält mich jetzt besetzt,
Das Geld, das alle Welt ergötzt,
Das rinnt mir nur durch meine Finger,
Ich bin nicht Mammons treuer Jünger.
Auch bin ich schön nicht von Gestalt,
Der Bart ist grau, jetzt bin ich alt,
Und faulig dampft mein Atemhauch
Und vor mir her trag ich den Bauch
Und hab im Hirne manche Grille
Und vor den Augen eine Brille.
Durch meine Seele geht ein Messer!
Da geht es jeder Hündin besser,
Die, wenn die jämmerliche jault,
Von ihrem Frauchen wird gekrault!
So! Jetzt studier ich die Magie,
Erforsch geheime Sympathie
Der Zwillingsseelen und der Geister
Und lerne Zauberwort der Meister
Und gurre wie ein Turteltauber,
Ein Psalm ist mir ein Liebeszauber,
Mit Salomo ich tue kund,
Wie eng der Hindin Muttermund,
Frau Weisheit will ich nicht vertauschen,
An ihren Brüsten mich berauschen!
Doch in dem Dunkel meiner Nächte
Ich suche jene Macht der Mächte,
Die in dem ganzen Weltgetriebe
Die Energeia ist, Frau Liebe!
Komm nur ins Offene, mein Freund!
Schau, ob die Sonne heiter scheint?
Mit des okkulten Philosophen
Agrippa aus dem Feuerofen
Der heiligen Magia geh
Ich durch die Sphären, ob ich seh
Geschrieben dort das Zauberwort:
Verkehrtes Wesen, fliege fort!
Die Unverschleierte, Frau Wahrheit,
Will schauen ich in bloßer Klarheit,
Die Unverschleierte erreichen!
O, Pentagramm – okkultes Zeichen!

(Er schlägt das Buch der Okkulten Philosophie auf.)

Was ist das für ein Pentagramm?
Ein Drache kommt und nicht ein Lamm?
Der Mutter Erde Seele will
Beschwören magisch ich und still.
Der Mutter Erde Seele seh
Als Lebewesen ich, als Fee.
Jetzt fühl ich Grünkraft, Lebenskraft,
Vitalität voll Lebenssaft!
Die Schlange steigt mir durch den Sexus
Und aufwärts durch den Solarplexus
Und löst den Knoten in der Kehle!
Erleuchte meine Gottesseele,
Mein Drittes Auge in der Stirne,
Du Gott im eigenen Gehirne!
Nun geht zu Bett die junge Luna,
Aurora lächelt als Fortuna!
Ich fühle neues Liebesleben!
Von oben fallen Spinneweben,
Mir in das Haupthaar fällt die Spinne,
Vor Angst mir schwinden meine Sinne!
Weg, Geist der Angst, ich will dich bannen,
Nicht weibisch zagen, mich ermannen!
Ich sehe dich, o Mutter Erde,
O Göttin, schrecklicher Gebärde,
Nicht eben wie Madonna edel,
An deiner Brust ein Totenschädel,
Ein Rosenkranz von Totenschädeln!
Die Haare dir wie Schlangen wedeln!
Ha! Aber dir will ich mich schenken,
In deinen Schoß mich tief versenken!
Und ob die Göttin auch mich quäle –
Dir, Elfe, weih ich meine Seele!

(Er spricht ein orphisches Gebet an die Göttin Gäa. Die elfengleiche Seele der Mutter Erde erscheint.)

SEELE DER MUTTER ERDE
Da bin ich! Du hast mich beschworen.
FAUST
Ich Narr der Narren, Tor der Toren!
Nun hör ich deine Seele brausen,
Sanft säuselnd sausen, fühl ich Grausen!
SEELE DER MUTTER ERDE
Dein Wort hat mich zitiert, berufen,
Ich kam herauf die Treppenstufen.
Was möchtest du von mir, mein Faust?
FAUST
O Mutter Erde, wie mir graust!
SEELE DER MUTTER ERDE
Du riefest mich mit deinem Leben,
Mit heimlich magischen Geweben.
Was soll ich geben meinem Toren,
Der mich mit seinem Wort beschworen?
Wie? Nun du machst dir in die Hose,
Da ich erschein als rote Rose?
Ein echter Übermensch bist du!
Ein Weiser ohne Seelenruh!
FAUST
Hier stehe ich wie Doktor Luther,
Ich kann nicht anders, Große Mutter!
SEELE DER MUTTER ERDE
In allem Lebensdrang der Triebe
Ich wehe geistig voller Liebe
Von Alpha bis nach Omega
Im Namen Gottes: Ich bin da!
Das Leben, prall von Wollust-Wut,
Das Leben gleicht der wilden Flut!
Die Ebbe in dem Abendrot,
Das leise Fliehen, ist der Tod!
Ich bin die Weberin und webe,
Ich nur an meinem Webstuhl lebe,
Denn Gottes Kleid ist die Natur,
Ein transparentes Kleidchen nur!
FAUST
Dein sanftes Sausen ohne Fehle,
Das fühle ich, du Weltenseele,
Dein sanft verschwebend Säuseln sacht,
Weltseele, fühl dich in der Nacht!
Die Täubchen gehn in ihre Nester –
Weltseele, du bist meine Schwester!
SEELE DER MUTTER ERDE
In meinem gottgehauchten Wesen
Kannst du in Wahrheit gar nicht lesen.
Doch zeig ich dir mein schönes Scheinen.
Faust, bleibe du mit deinen Beinen
Nur sicher auf der Erde stehn.
Ein Mann wird Gott doch nie verstehn!

(Die Seele der Mutter Erde wird wieder unsichtbar.)

FAUST
Ich Übermensch! Ich bin kein Gott?
O Weltenseele, welch ein Spott!
Gott schuf den Mann nach seinem Bilde,
Zumeist die Frau, so sanft und milde!
Von Elfenbein ist Sie ein Turm –
Ich aber zucke wie ein Wurm!

(Es klingelt an der Tür.)

O Bruder Tod! Das ist wohl der Student
Der Alchemie? Beim fünften Element!
Bei allen Göttinnen, die um mich werben,
Der Hanswurst wird mir alle Lust verderben!

(Detlev Wagner im Schlafrock und in Pantoffeln tritt ein.)

DETLEV WAGNER
Du deklamiertest wie Rhapsoden laut.
Wer kriegt in der Komödie denn die Braut?
Wie? Oder sprichst du tragisches Theater,
Wo Ödipus Rival war seinem Vater?
Von dem Theater unsrer alten Griechen
Ist viel zu lernen. Ihnen nachzukriechen
Schien Nyssos’ Gregor wert und auch Sankt Paul.
Wie tragisch ist der Selbstmord doch von Saul!
Auch das Theater scheint mir wie geschaffen
Für das Sakraltheater unsrer Pfaffen.
FAUST
Wenn nur der Pfaffe nicht mit großem Durst
In der Komödie spielt nur den Hanswurst!
WAGNER
Ach, ist ein Pfaffe doch kein Philosoph! Ah,
Er sitzt gemütlich sonntags auf dem Sofa
Und tut sich des Gebets entledigen
Und kann nur Ungesalznes predigen.
Wer nicht hinaustritt in das Weltgetriebe
Und nie besessen war von heißer Liebe
Und tat auch nie ein schönes Weib begehren,
Was soll der gute Mann die Männer lehren?
FAUST
Man liest in Büchern alter Kirchenväter
Und hört den Vater in dem Dom Sankt Peter.
Wenn aber Gott ist nicht erlitten worden,
Dem hilft auch nicht der Mönche Mystik-Orden!
In deinem Innern suche deinen Gott,
Sonst wird dir selbst die Bibel nur zum Spott!
Doch plappre nach den Katechismus nur,
Fühlst du nicht, wie der Herr gen Himmel fuhr
Als Feuerphönix aus der heißen Asche,
Dann weiter nicht nach Luftgespinsten hasche.
Dann, Wissenschaftler vor dem Tuch der Tücher,
Dann schreibe lieber Kinderfabelbücher.
Ein wahrer Gaudi ist ein Kinderbuch!
Doch wer nie roch der Rose Wohlgeruch,
Der kann auch plappern nächtlicher Vigilien
Von kühler Keuschheit rauhreifweißer Lilien!
Wer Gott erfahren nicht in Todesschmerzen,
Der rührt auch nie die schönen Frauenherzen!
WAGNER
Ein Prediger zu sein gelehrter Predigt,
Der sich der Bibelwissenschaft entledigt,
Rhetorik braucht es mehr als Fanatismus,
Historisch-kritisch sei der Biblizismus.
Denn wenn die Schwärmer sterben ihren Göttern,
Wir Prediger, wir lehren nach den Lettern.
FAUST
Ja, lesen muss man können, das hilft viel,
Am allermeisten bei dem Kartenspiel,
Und wer nicht rechnen kann wie Mammonas,
Herzdame er verwechselt mit Pik-As.
Doch Freundschaft – ach die Freundschaft! – oder Liebe –
Da braucht es heißes Blut und Lebenstriebe!
Es lehrt dich doch kein Buch das rechte Rammeln!
Du glühe nur, dann strömt dir schon dein Stammeln!
WAGNER
Ach, vieles will ich wissen von der Welt,
Will kennen Papst und König, Narr und Held,
Weltwissen steht in Büchern, die sind dick,
All das zu lesen, das ist mein Geschick.
Ach, manchmal brennen mich auch heiße Lüste,
Passionen mir durchwühlen meine Brüste,
Doch Arbeit kühlt mich ab! Das ist perfekt,
Den Eros treibt nur aus der Intellekt!
Bevor du Blutschweiß schwitzt von Eros heiß,
Verdiene Geld in Angesichtes Schweiß!
FAUST
Der rationale Intellekt befriedigt
Den Busen dir? O Mann, wie du erniedrigt
Durch deine Arbeit bist, durch den Verstand!
Ah, meine Seele lodert stets im Brand!
WAGNER
Man muss doch bei den biblischen Geschichten
Und was die Hagiographen alles dichten
Bedenken der Historie Fundament.
Wenn man wie ich so gut die Bibel kennt,
Berührt dich weiter nicht das Hohelied,
Das allegorisch man zu sehr bemüht.
FAUST
Ja, steige in die Lettern, tret das Pflaster
Der Bibelwissenschaft! „Ich bin der Aster“,
So sagt der Herr. Der Herr sich offenbarte
In diesem Wort als göttliche Astarte!
WAGNER
Die Wissenschaft ist rational und kühl,
Denn allzu heiß scheint mir das Liebesspiel.
Bevor ich selbst verbrenne an der Liebe,
Von Liebeskunst ich lieber Bücher schriebe!
FAUST
Ach, alle Weisen müssen mystisch schweigen!
Wer je sich pflückte der Erkenntnis Feigen,
Der schweige von der Gottheit höchstem Reize,
Sonst findet er sich wieder an dem Kreuze!
Am Kreuze aber findet er nur Hohn:
Du hältst dich selber wohl für Gottes Sohn?
Doch es ist spät, mein lieber Freund und Bruder,
Die Nacht ist schwarz und Laila ist ein Luder!
WAGNER
Tiefsinnigster Genosse meines Lebens,
Wie inspirierst du meines Wissenstrebens
Gewissenhaften Fleiß! Ich hätt die Nacht
Noch gern mit dir beim Glase Wein verbracht.
Ist morgen doch der Ostersonntag! Siehe,
Ich bin schon wach vorm Morgenrote frühe.
Nach einer Flasche Rotwein übernachte,
Weil ich nach meinem Ostersonntag schmachte!

(Wagner ab.)

FAUST
Ah weh! Mir ist zum Heulen und zum Schreien!
In seinem Kopf nur Spiegelfechtereien!
Er gräbt ein Loch, als ob er Gott ergründet,
Ist froh schon, wenn er nackte Würmer findet!



OSTERSPAZIERGANG


(Johann Faust und Detlev Wagner.)

FAUST
Von Eis befreit ist nun der klare Bach,
Der Zephyr bläst die kleinen Hügel wach.
In Wiesen grün die Gräser sind voll Saft,
Dem Winter ist erschlafft die scharfe Kraft,
Der Winter schleicht an seinem Stocke fort,
Noch kommt des Hagelschlages böser Mord,
Auch das Spektakel geht doch bald vorbei,
Die weißen Tropfen auf dem grünen Mai.
Die Sonne strahlt im heitern Herzen schön!
Die Knospe auch mit seufzendem Gestöhn
Leis öffnet ihre Lippen Taues Tropfen,
Die Falter, sich mit Nektar vollzustopfen,
Umflattern allerschönste Blumen heute
Und freundlich sind die wundervollen Leute.
Von Berg zu Stadt die Menschen voller Ruhe
Dem Tor entquellen, gürten ihre Schuhe.
Die Kleinen und die Großen fröhlich blicken,
Schön sind die Schlanken, schön sind auch die Dicken.
Und alle tragen ihren Sonntagsstaat,
Als ob der Tag der Auferstehung naht,
Der Auferstandne kommt aus seinem Grab
Und segnet Magdalena mit dem Stab.
Aus guter Stube zu dem roten Staube
Das Menschenvolk wie eine pralle Traube,
Dort tanzen sie im lüsternen Getümmel,
Der Frauen Tanz, das ist der Männer Himmel.
Und jeder fühlt die Liebe Gottes rein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich menschlich sein!
WAGNER
Mit dir, mein Doktor Faust, spazierengehn,
Mit deinen Augen die Natur zu sehn,
Ist pure Poesie. Was ich nicht lobe,
Das Allzumenschliche, das Stofflichgrobe!
Ich nur allein wär sicherlich nicht hier.
Der Mann in seiner Lust brüllt wie ein Stier.
Ihr Hörnerblasen und ihr schrilles Geigen
Ist nicht so schön wie meiner Zelle Schweigen.
Und dieses Stöhnen zu der Trommeln Klang,
Die Eselsschreie nennt man dann Gesang!

(Tanz lustiger Dirnen! Der alte Bauer Georg mit einem breiten Becher Wein tritt zu Faust.)

BAUER GEORG
Mein lieber Doktor, Freund und Kupferstecher,
Vergessen hat uns nicht der große Zecher!
Daß so ein tiefgelehrter Weiser heute
Auch freundlich denkt an seine kleinen Leute!
Hier wie ein Becken reich ich dir den Becher,
Den breiten Becher sauge leer der Zecher!
Und hast du diesen Becher leergetrunken,
Noch einmal füllt der Becher sich mit Funken,
Wie aus dem Becher rote Tropfen rinnen,
So mögest du Frau Ewigkeit gewinnen!
FAUST
Ja, Dank für dieser Liebe Feuerregen!
Die Liebe Gottes spende dir den Segen!

(Er setzt den breiten Becher an die Lippen und schlürft bacchantisch-genüsslich.)

BAUER GEORG
Gut, dass du kommst, um kräftig zu genießen,
Weil deiner Nächstenliebe Gnaden fließen
Doch allezeit zu Krüppeln, Seelenkranken,
Die todgeweihten Kinder kommen danken!
Du warest Retter in der schwersten Stunde,
Nun küss den Becher auch mit heißem Munde!
Dein Vater Konrad half uns, als die Pest
Auf Erden hielt ihr großes Totenfest,
Du, noch ein junger Mann, um uns zu retten,
Du hieltest Wache an den Krankenbetten.
Wen gestern tat das Leben lustig laben,
Den haben heut die Pfaffen schon begraben.
Du warest unser Retter, so als sei
Der Heiland mit dir, Christus stand uns bei!
VOLK
Gesundheit dir am Leib und an der Seele,
Daß nie uns deine starke Hilfe fehle!
FAUST
Der Hilfe Gottes sei allein die Ehre,
Daß uns die Hilfe hilft und uns bekehre!

(Johann Faust und Detlev Wagner gehen weiter.)

WAGNER
Das strömt dir doch wie Wein durch deine Kehle,
Wirst du so hoch gelobt, du feine Seele!
Durch dich die Gnaden zu den Kranken fließen,
Nun darfst du auch ihr Dankeschön genießen!
FAUST
Komm, setzen wir uns hier auf diese Bank,
Hier wollen wir von allem Rennen rasten.
Hier, als die Menschen von dem Pesthauch krank,
Hier saß ich oft zu beten und zu fasten.
Hier wagte ich, und keiner konnt mich dämpfen,
Wie Jakob selber mit dem Herrn zu kämpfen!
Wie Jakob tat ich mit dem Engel ringen,
Der Krankheit Ende rasch herbei zu zwingen!
Was soll der Toren Lob, der Toren Tadel,
Was der Gesang von meinem Seelenadel?
Ich kenne meines Vaters Konrad Plan,
Adept der Alchemie, ein Scharlatan,
Mit Elixieren und geheimen Pillen
Gott aufzuzwingen seinen eignen Willen
Und mit der Energie der Nervenbahnen
Des ganzen Universums Heil zu planen,
Aus Sonnenstrahlen wollt er saugen Geister,
Bezaubern Kranke wie ein Zaubermeister,
Wie weise Magier vom Morgenland
Zu heilen durch die Segnung seiner Hand,
Zu heilen jede seelische Psychose
Durch die Magie bezaubernder Hypnose,
Zu rufen die Dämonen wie Schamanen,
Weltseelenpriester gleich den Scharlatanen,
Und doch zu sein vorm großen Gott ein Spötter,
Sich selbst zu sehn als höchsten Gott der Götter!
WAGNER
Ein junger Mann soll von dem Alten lernen,
Der wanderte durch weltenweite Fernen,
An Vater Konrad denk ich noch in Wehmut.
Ein Alleswisser! Doch ihm fehlte Demut!
FAUST
Glückselig ist der Mann, der sich erlösen,
Befreien kann aus aller Macht des Bösen.
Mein Glück ist sicher nicht von dieser Welt,
Was meine Seele in den Händen hält,
Das will ich nicht, das ist nur meine Pflicht,
Was ich begehre, das bekomm ich nicht,
Was ich nicht haben darf, das ist das Beste
Und machte erst mein Leben mir zum Feste.
Doch muß ich mich ja meinem Schicksal fügen
Und ist auch grenzenlos mein Ungenügen!
Tarnkappe auf des starken Siegfried Haupt –
So hat er die Brunhilde sich geraubt!
Die Siebenmeilenstiefel an den Füßen,
So möcht ich wohl den Garten Gottes grüßen.
Auf einem Teppich wollt ich fliegen können,
Prinzessinnen von Hindostan mir gönnen.
Möcht auf dem Flügelross wie Mohammed
Zum Huri-Himmel, wo die Latte steht!
Mit Pegasos vom Schoße der Meduse
Ich wollte reiten wohl zum Kuss der Muse!
Die Wirklichkeit jedoch behält den Sieg,
Das lehren mich Doktoren der Physik.
WAGNER
Ach, fliegen kann ich selbst in Träumen nicht,
Und flattern Schmetterlinge in dem Licht,
Beneid ich nicht der Schmetterlinge Flügel.
Wohl wallt ich gerne über kleine Hügel,
Doch mehr noch als der Rose Wohlgeruch
Lieb ich in langer Winternacht ein Buch,
Wo Männer streuen ihre Geistessamen
Und schön und liebevoll sind alle Damen.
FAUST
Du willst nur weise werden durchs Studieren,
Ich will mich in der Lebenslust verlieren!
Di-Psychos bin ich, Doktor Schizophrenus,
Will Sapientia und auch die Venus!
Ich will hinan zur höchsten Gottesliebe
Und auch befriedigen die heißen Triebe!
Will, dass mein Geist der Gottheit Antlitz schaut
Und will im Bette willig meine Braut!
Ach wenn ich zaubern könnte, Gott beschwören
Und durch Magie das schönste Weib betören,
Ich gäbe für ein Weibchen, willig, weich,
Für ihren Schoß dahin das Himmelreich!
WAGNER
Ich las, des Weibes Wollust sei erlabend.
Doch lass uns gehn. Wie kühl ist doch der Abend.

(Sie gehen)

FAUST
Siehst du die schwarze Hündin auf der Wiese,
Die schwarze Hündin mit dem schwarzen Vliese?
WAGNER
Läuft brünstig um wie eine junge Hindin!
FAUST
Was hältst du von der jungen schwarzen Hündin?
WAGNER
Was soll ich mir bei einer Hündin denken?
Den Berner-Sennen-Hund lass ich mir schenken,
Am Abend nach der Arbeit zu spazieren.
Ich gehe gerne um mit schönen Tieren.
Ein Tier vermag uns nicht das Herz zu brechen
Und nicht wie Frauen stets zu widersprechen!
FAUST
Doch siehst du nicht? Das Auge einer Lüchsin,
Die Gier der Wölfin und die List der Füchsin,
Umkreist sie uns in Kreisen der Magie.
WAGNER
Ich seh nur eine schwarze Hündin, die
Nach einem Herrchen sucht, das ihr befehle.
FAUST
Sie kommt heran! Bei meiner armen Seele!
Sie hat wohl großen Hungern nach was Leckerm?
Siehst du die Zunge an der Schnauze schleckern?
Die schwarze Hündin – Dämon, will mir scheinen –
Ist mit der Schnauze zwischen meinen Beinen!
WAGNER
Ich weiß, dass du der Teufel Namen kennst,
Doch dies ist eine Hündin, kein Gespenst.
FAUST
Ach, leider, ja, ganz hündische Natur,
Kein Geist! Ist alles nichts als nur Dressur!


DIE ZELLE DES WEISEN


FAUST
Verlassen habe ich den Garten,
Die liebe stille Nacht ist da.
Was Weise mir doch offenbarten,
Ich selbst mit eignen Augen sah.
Doch nehm ich jetzt die liebste Bibel,
Ist alles andre nur von Übel.
Still, Hündin, belle nicht so laut,
Frau Weisheit ist jetzt da, die Braut!
Was hat die Hündin doch für Launen!
Was hör ich doch die Winde raunen?
Ach, wem nur in der eignen Kammer
Die Lampe wieder ruhig brennt,
Dahin ist aller Elendsjammer
Der Seele, die sich selber kennt.
Still, Hündin, nicht so laut gebellt,
Ich bin im Offenbarungszelt!
Was von der lieben Bibel weht
Und sanft durch meine Seele geht
Wie Geisthauch über Chaoswellen,
Da passt mir nicht der Hündin Bellen.
Frau Welt, Frau Welt, beim Friedefürsten,
Du kannst mir stillen nicht mein Dürsten.
Steht, was mir in der Seele brennt,
Doch längst im Neuen Testament!
Will ich die Koine einmal lesen,
Studieren das geheime Wesen,
Und schaun, wie man die Griechenzunge
Verdolmetscht deutsch. Mein lieber Junge!
Des Evangeliums Ergötzen
Ist schwer in Deutsch zu übersetzen.

(Er schlägt den Urtext der Bibel auf.)

Im Anbeginne war das Wort,
Das Wort war Gottheit fort und fort.
Das Wort? Das kann ich nicht verstehn.
Das Wort? Das finde ich nicht schön.
Ah, bei der Inbrunst meiner Brunft:
Am Anfang war die Allvernunft!
Doch denke nach. Nur keine Eile.
Gut Ding will haben lange Weile.
Ist das Vernunft, die alles schafft?
Am Anfang war die Lebens-Kraft!
Doch kann ich dieses Wort nicht lieben:
Private Gründe. Drum geschrieben
Sei diese Weisheit als ein Fakt:
Am Anbeginne stand der Akt!

(Er lächelt.)

Ha, biblizistische Gesellen!
He, Hündin, lass dein lautes Bellen!
Halt deine Schnauze, Hündin, still,
Ich dir den Hintern prügeln will!
Was seh ich da im Lampenscheine?
Was, Hündin, bist denn du für eine?
Aus dieser Hündin schwarzem Vliese
Aufsteigt ein roter Geistesriese!
Das ist nicht hündische Gestalt,
Das ist dämonische Gewalt!
Jetzt ist er größer als ein Ochse!
Der Dämon da, der orthodoxe,
Er spiegelt sich in meinem Fenster
Als Urgespenst der Nachtgespenster!
Wer bist du, schrecklicher Geselle,
Du Junker aus der Feuerhölle?
Zur Feige ich die Finger spreiz
Und schlage mit der Hand das Kreuz!

(Aus einer Rauchwolke tritt Asmodeus hervor.)

ASMODEUS
Was sollen diese Frömmeleien nun?
Was kann ich jetzt für meinen Meister tun?
FAUST
Das also war der schwarzen Hündin Wesen?
ASMODEUS
Ich bin so froh wie eine Magd mit Besen!
Ich grüße meinen Meister sehr gewitzt,
Wie hab ich doch für meinen Herrn geschwitzt!
FAUST
Mir deinen eigentlichen Namen sage!
ASMODEUS
Mein Freund, was ist denn das für eine Frage
Für einen, der das Wort so sehr verschmäht?
FAUST
Wer bist du? Sag, wohin dein Leben geht!
ASMODEUS
Mein Name ist des Bösen Geistes Kraft,
Die Böses will, notwendig Gutes schafft.
FAUST
Der Böse auch muss dienen Gottes Segen?
Das Wort will ich im Herzen oft bewegen.
ASMODEUS
Ich heiße Kraft, der ewige Rivale
Des Guten! In dem Namen aller Baale,
Ich will, was fließet aus des Ursprungs Schlunde,
Zu Leere werde, Nichts und geh zugrunde!
Was ist, wär besser, wenn es gar nicht wäre!
Ich liebe nur die Absolute Leere!
Und was ihr Unzucht nennt, Begierde, Sünde,
Das ist die Höchste Lust, die ich verkünde,
Wonach die Seelen insgeheim doch jagen,
Ich weiß, auch du! Wir werden uns vertragen.
Um deine Doktorgrillen wegzufegen,
Komm ich als Hausknecht dir doch ganz gelegen.
Ich komm zu dir in allerfeinstem Mantel,
Komm, weltlich sei gesinnt dein Erdenwandel!

(Er kokettiert mit seinem teuren Mantel.)

O Stoff, wie Spitzenseide von Brabant!
Bin ich gekleidet nicht sehr elegant?
Die Hahnenfeder sieh am Hute stehen,
Der Degen an der Hüfte ist zu sehen.
Herr Doktor, willst du froh dein Leben treiben,
So musst du dich bekleiden und beleiben.
FAUST
Ich kann aus dieses Tränentals Verließ
Mich nicht erlösen durch ein Goldnes Vlies.
Ich bin zu alt zu frohem Kinderspiel,
Zu jung und heiß, zu opfern mein Gefühl!
ASMODEUS
Ach, was du Mystik nennst, ist Unzucht auch,
Du schmachtest brünstig nach der Gottheit Hauch,
Daß Elohim dem Adam in die Nase
Das Ewig-Leben in der Fülle blase!
Tu unter schönen Weibern nicht so keusch,
Der liebe Gott weiß wohl, du bist vom Fleisch!
Ich spaße! Will ich aus der Mystik Nebel
Dich jagen nicht zum ordinären Pöbel,
Dein Feuer will ich zünden, altes Haus,
Die Lust am Leben, alter Bruder Klaus,
Nicht so in deiner hohlen Zelle lunger
Um alte Pergamente. Liebeshunger!
Den Liebeshunger werde ich dir stillen
Und dich mit allerhöchster Wollust füllen!
Fort aus der Drangsal, Trübsal und Bedrängnis,
Geist, fleuche aus dem Kerker und Gefängnis,
Zu Diensten stehen dir Dämonengeister
Wie einst dem weisen Salomo. Mein Meister
Und Herr bist du, o Faust, so ist es recht,
Du bist der Herr und ich bin nur der Knecht.
FAUST
Was willst du denn von mir für all dein Werben?
ASMODEUS
Ach Doktor, heute sollst du noch nicht sterben.
FAUST
Ach, Luzifer, der ist ein Egomane,
Tut ohne Geld doch gar nichts der Schamane,
Du dienst mir, du, ein Fürst im Höllenthron,
So sag nur offen: Was soll sein dein Lohn?
ASMODEUS
Die Erde mach ich dir zum Garten Eden,
Im Jenseits sollst du Luzifer anbeten.
FAUST
Was kümmert mich die geistige Verbindung
Mit Jenseitsgeistern? Jenseits ist Erfindung
Der klerikalen Reaktion: Erlösten
Sie malen Himmelslust, sie zu vertrösten.
Mein Motto sei ein Carpe diem tüchtig,
Bis ich im Hades Schatten werde flüchtig.
Und schaffst du es, den Kopf mir zu verdrehen,
Kann ich der Lebenslust nicht widerstehen,
Soll zum Genießer ich der Erde werden,
Daß ich nicht lassen will die Lust auf Erden,
Daß ich mir selbst gefalle, mir gefällt
Die Lady Vanity der schönen Welt,
Daß ich mich kann an Vanitas erlaben,
Dann sollst du jenseits meine Seele haben.
ASMODEUS
Die Weihe gilt, geschlossen ist der Pakt.
FAUST
Sag ich, mit Lady Vanitas im Akt,
Daß diese Welt auf Erden mir gefalle,
Ich alsogleich in die Gehenna walle.
ASMODEUS
Ich steh zu Diensten! Doch ich bin durchtrieben,
Erst werde dieses Schriftstück unterschrieben.
FAUST
Ein Mann – ein Wort! Ich hab mein Wort gegeben.
ASMODEUS
Der Satan ist ein Bürokrat im Leben,
Und amtlich muss es sein mit Brief und Siegel,
Sonst öffnet Hedoné nicht ihren Riegel!
FAUST
Ich tauch die Feder in das Tintenfass!
Das Himmelreich für Lady Vanitas!
Das ist ein Schnäppchen. Ha, ich fühl mich gut.
ASMODEUS
Nicht Tinte, pfui! Du unterschreibst mit Blut!
In deinem Blut ist deine Lebens-Kraft,
Die Lebens-Kraft von ganz besondrem Saft!

(Johann Faust unterschreibt bürokratisch den Pakt.)

FAUST
Ich werde meinen Treuebund nicht brechen,
Ich halt der Hölle treulich mein Versprechen.
ASMODEUS
Nun Schluss mit den gelehrten Spinnereien,
Der Mystik Unzucht mit den Innereien!
Das allerschönste Leben wartet draußen,
Komm, Reiter, lass uns auf den Hengsten brausen!
Ja, wiehern wie die Hengste nach den Stuten!
Da warten sie im Grünen schon, die Guten!
Ein Mann, der sich ergibt der Theorie,
Ist wie ein Hengst in einer Wüste, sieh,
Ob er auch schnaubend Atem schnaube, blase,
Vergeblich wiehert er in trockner Wüste,
In Nachbarschaft, da wartet die Oase,
Daß er der Stute feuchte Schnauze küsste!
FAUST
Was tun wir jetzt, du Teufel voller Kraft?
ASMODEUS
Besuchen wir des Lebens Nachbarschaft!


IN DER SCHENKE ZUM JUNGEN FUCHS


(Jugendliche Säufer.)

VOLKER
Wollt ihr nicht saufen? Noch einen Kurzen!
Die Böcke stinken, die Hexen furzen!
Ihr seid mir heute wie nasses Heu!
Ihr wollt nicht brennen! Evoe! Eu!
WERNER
Erzähle doch einen versauten Witz:
Die Ehefrau erschlug der Blitz...
VOLKER
(schüttet dem Werner Wein auf den Kopf)
Empfange so deine Feuertaufe!
WERNER
Du Schweinehund! Saufe, Genosse, saufe!
VOLKER
Na, endlich feierst du deine Genossen!
Wir haben doch all alle Weiber genossen!
THOMAS
Ich hab den Jungfraunberg bestiegen!
SONJA
Ich lache, dass sich die Balken biegen!
VOLKER
Lirum-Larum-Löffelstiel,
Wer nicht trinkt, der wird nicht viel.
THOMAS
Der Träumer aber, der gar nichts wird,
Wird eben freizügiger Thekenwirt.
VOLKER
Freizügiger oder Freigebiger? Hatem,
Ich lob mir betrunken die Jubelflöte!
THOMAS
Deutschland, einig Vaterland!
Ihr bringt mich noch um den Verstand!
WERNER
Nichts von Politik! Bei Beelzebul:
Wie findet ihr den Neuen in Peters Stuhl?
VOLKER
Was reimt sich denn auf Benedikt?
THOMAS
Der Papst, der Papst, von Maria ge—schickt!
ERICH
(singt)
Ich hatte eine Geliebte, Anette,
Die war wie eine Zigarette,
Die ich jetzt liebe mit Venus-Augen,
Ist wie an der Meerschaumpfeife zu saugen!

(Johann Faust und Asmodeus erscheinen in der Tür.)

ASMODEUS
Faust, wenn dir so was Wonne macht,
Das kannst du haben jede Nacht.
FAUST
Moin, Brüder, Freunde und Genossen!
ALLE
Die Theke ist noch nicht geschlossen!
Komm nur herein, bei Babels Leben,
Uns allen einen auszugeben!
THOMAS
Was für nichtswürdige Figuren!
Sie kommen wohl vom Haus der Huren?
VOLKER
Sie halten sich für Geniusse
Von Gnaden Ihro Musenkusse!
WERNER
Ne, ne, das sind nur Harlekine.
SONJA
Und wo ist denn die Colombine?
VOLKER
Ich zieh es ihnen aus der Nase,
Woher der Sturm die Herren blase.

(Volker tritt zu Faust und Asmodeus.)

Kamst du von Hamburg lange Strecken?
FAUST
Wie, Hamburg? Von den Pfeffersäcken?
Gott Brahma reitet auf dem Hansa,
Auf seinem Esel Sancho Pansa.
VOLKER
Seid ihr denn von der Heilsarmee
Und reitet brünstig, wie ich seh,
Fielt auch wie Saulus von dem Gaul
Und missioniert jetzt in Sankt Paul,
Wo Huren frieren in dem Winter,
Wie Paul die Huren der Korinther?
FAUST
Apostelfürsten Paul und Kefa!
Wir alle kommen doch von Eva!
THOMAS
Hat Gott den Adamas geschaffen?
Sprich! Oder stamm ich ab vom Affen?
FAUST
Der Affe kennt sich seinen Trost.
WERNER
Nastrowje, lieben Brüder, Prost!

(Faust und Asmodeus setzen sich, alle trinken.)

VOLKER
Nun sollst du uns ein Ständchen bringen.
FAUST
Ich kann doch nicht nach Noten singen.
ASMODEUS
Ich kann! Ich kann! Ich kann es immer!
Nur kein elegisches Gewimmer!
(singt)
Ich komme aus Arabiens Wüste,
Ich habe Nachtigallenbrüste,
Dort sang ich allen den Suleiken
Von süßen Paradiesesfeigen!
THOMAS
Ha, Bruder, das wird ein Genuss!
SONYA
Hier – hast du deinen Musenkuss!

(Sonja küsst Asmodeus auf die Nase.)

ASMODEUS
(singt)
Es war eine Hure in Korinth,
Wo allerlieblichste Huren sind.
Man nannte die Hure Jungfrau Floh,
Sie knackte die Flöhe auf dem Klo!
Die Flöhe juckten in meiner Scham!
So juckt es der Huren Bräutigam!
THOMAS
Der reine Wahnsinn! Sing doch weiter!
Ich steig noch auf die Himmelsleiter,
Die ganze Arche auszumessen!
ASMODEUS
Wie’s weiter geht, hab ich vergessen.
VOLKER
Vergessen! Bestes der Gebete!
Ich saufe leer die ganze Lethe!
FAUST
Genossen, Freunde, lieben Brüder!
Trinkt ihr denn Essig immer wieder?
Den Messwein habt ihr wohl vergessen?
Trinkt Satansblut in Schwarzen Messen?
WERNER
Er scherzt, uns einen auszugeben!
THOMAS
Er lebe hoch! Hoch soll er leben!
SONJA
Ich trinke Wodka nackt im Schnee,
Ich mag nicht Hagebuttentee!
THOMAS
Weinrosentee von Hagebutten,
Sankt Pauli trinkt es mit den Nutten.
FAUST
Bei meiner Herrin Vanitas,
Die rund ist wie ein dickes Fass,
Ich ziehe jetzt den dicken Pfropfen,
Euch allen euer Maul zu stopfen!
WERNER
Ja, darf ich noch? Kann ich noch stehen?
Ich sehe alles rings sich drehen!
Ich sehe alle Dinge doppelt,
Dort schon die Mausfamilie hoppelt!
Doch nicht geklagt die süßen Schwächen,
Denn Männer können immer – zechen!
FAUST
Gebt einen Korkenzieher! Schaut,
So bohr ich euch die rote Braut,
Mit Feuer euern Geist zu taufen!
Was, lieben Brüder, wollt ihr saufen?
THOMAS
Nacktärscherl diese gute Stunde!
Denn soff ich einst bei Kunigunde.

(Faust bohrt mit dem Korkenzieher in den Thekentresen, und weißer Nacktärscherl-Süßwein fließt hervor.)

FAUST
Nacktärscherl ist für dich. Und was willst du?
WERNER
Der Dompfaff raubt mir meine Ruh!
Der Dompfaff mahnt mir mein Gewissen,
Das ist das beste Ruhekissen!

(Faust bohrt ihm den Dompfaff an.)

FAUST
Das ist der Dompfaff. Aber nun?
VOLKER
Liebfrauenmilch! Dann kann ich ruhn!
Liebfrauenmilch ist meine Lust
Von Unsrer Lieben Frauen Brust!
FAUST
Liebfrauenmilch! Und du, dein Traum?
SONJA
Rotkäppchensekt mit rosa Schaum!
Rotkäppchen lieb ich, Schaum des Sekts,
So bet ich täglich meine Sext.
FAUST
Der letzte nun? Sprich, bei Don Bosco!
ERICH
Den süßen Perlenwein Lambrusco!

(Alle saufen ihren Lieblingsfusel.)

THOMAS
So große Gnade, ohne Zweifel,
Das kann nur kommen von dem Teufel.
ERICH
Ja, Wein, das war sein letztes Wort,
Dann trugen ihn die Teufel fort.
ALLE
(singen)
Wir kommen alle in die Hölle!
Ah Hölle, Hölle, Hölle, Hölle!
ERICH
He, Sonja! Deine Brüste – Trauben!
An solche Trauben will ich glauben!
Ich bin der Weinstock, du die Rebe,
Nur immer innig an mir klebe!
VOLKER
He, tut doch nicht so aufgeblasen!
Fasst euch doch an die eignen Nasen!
SONJA
Ich hab euch lang genug erlitten!
Die Nasen werden abgeschnitten!
ERICH
Die Nase lass ich mir nicht rauben!
Die Nase steck ich in die Trauben!
SONJA
Wir alle miteinander machen
Der Freien Liebe schönste Sachen!

(Asmodeus wirft Feuer in die Schenke zum Jungen Fuchs.)

FAUST
Genossen! Heil der Mitternacht!

(Faust und Asmodeus ab.)

ERICH
Ich schaute sie die Himmelsleiter
Gen Himmel reiten, Schimmelreiter!
SONJA
Ich sah die beiden als Vampir!
VOLKER
Genossen! Vorwärts! Weg von hier!



NACHDURST-GASSE


Faust. Röschen geht nah an ihm vorüber, er spürt ihre Nähe.

FAUST
O liebe süße Frau, darf ich es wagen,
Als Kavalier der Frau mich anzutragen?
RÖSCHEN
Bin keine Göttin und kein Überweib
Und auch nicht schön, ach, sterblich ist mein Leib.

(Sie geht weiter.)

FAUST
Ich suchte ja nur süßen Zeitvertreib.
Ach, die ist doch ein wahres Wonne-Weib!
Wie fein ironisch! Grimmig, dennoch gütig!
Wie wär sie denn erst, wär sie liebeswütig?
In meinem Leben sah ich nie solch Schätzchen
Wie diese Muschi, dieses schwarze Kätzchen!
O Sanftmut, Demut! Niedliche und Nette!
Ach läg ich mal bei ihr in ihrem Bette!

(Asmodeus kommt.)

ASMODEUS
Mein Herr, wie kann ich heut dir dienen?
FAUST
Oh, jene Miene aller Mienen:
Dies Weibchen sollst du mir besorgen!
Ach wär ich doch in ihrem Schoß geborgen!
ASMODEUS
Du hast kein anderes Problem?
Von wem denn redest du, von wem?
FAUST
Sie ist mir eben erst erschienen!
Ihr möchte ich in Liebe dienen!
Besuchen will ich sie heut abend!
Wie ist mir der Gedanke labend!
ASMODEUS
Ach die! Kommt eben von der Beichte,
Doch ihre Schuld war keine feuchte,
Die Sünde lässlich, lästig, lässig,
Sie war fürwahr nicht übermäßig,
Es ist ein sanftes Ruhekissen
Ihr feingesponnenes Gewissen.
Ja, diese Röschen ist ein Engel,
Ein Sternenwesen ohne Mängel,
Mit ihren grünen Mandelaugen
Kann sie zur Himmelsvenus taugen!
Hat nichts Besonderes zu beichten,
Dämonen all von ihr entweichten.
Geläutert ihr Gewissen, hold,
Der Engel ist so rein wie Gold.
FAUST
Doch will ich ihren Jungfernkranz!
ASMODEUS
Du bist ein geiler Eselsschwanz!
Willst alle Jungfraun deflorieren,
Womit sie ihre Zierrat zieren?
FAUST
Verschone mich mit deiner Ethik!
Vom Eros stammt doch die Poetik!
Gehorche! Mir besorg das Weib,
Den Engel in der Venus Leib!
Die schwarze Muschi, sie mein Schätzchen,
Dies samtne schwarze Schmusekätzchen!
Wenn ich sie heute Nacht nur hätte
Zum Liebesspiel in meinem Bette!
ASMODEUS
Nicht vierzehn Jahre sollst du warten,
Wie Jakob einst auf seine Rachel,
In vierzehn Tagen in dem Garten
Die Blume sticht der Bienenstachel!
FAUST
Nicht vierzehn Tage! Ich will lieben
Die liebste Frau in sechs, in sieben!
Hätt ich nur sieben Tage Zeit,
Da fänd ich schon Gelegenheit,
Sie zu verführen, ohne Zweifel,
Dafür ich brauche nicht den Teufel.
ASMODEUS
Wir gehn mal eben in ihr Zimmer.
FAUST
Ihr Bett zu sehn im Lampenschimmer?
ASMODEUS
Ja, eben leert die Kaffee-Kanne
Sie bei der Busenfreundin Anne.
Jetzt eben wär Gelegenheit,
So einen Hauch von Ewigkeit
An ihrem leeren Bett zu riechen,
Auch unters Laken schnell zu kriechen
Und dann mit heißen schwülen Küssen
Sich zu ergießen in dem Kissen!
Das wird noch was mit euch, ihr Lieben,
Die ihr es schon im Geist getrieben!
FAUST
Geht es an diesen Himmelsort
Jetzt, auf der Stelle, gleich, sofort?
ASMODEUS
Den Hengst, den zügle mit Geduld,
Bald schenkt die Frau dir ihre Huld.
FAUST
Oh, bei dem Gürtel ihre Taille!
Kauf eine silberne Medaille
Mit ihrer Schutzpatronin drauf
Und Rosenöl und Seide kauf!
ASMODEUS
Was die erhitzten Freier denken!
Von all den brünstigen Geschenken
Macht selbst der Mammonas bankrott!
Das liebe Geld! Mein lieber Gott!



ABENDDÄMMERUNG. RÖSCHENS SCHLAFZIMMER.

RÖSCHEN
(vor dem Spiegel ihre Haare frisierend)

Wenn ich nur wüsste, wer der Mann heut war.
Sein Wort war glühend, Liebe offenbar!
Wohl nicht von schlechten Eltern, wohlerzogen,
Die Augenbrauen fast wie Amors Bogen,
In seinem Angesicht erhabner Geist!
Ich fand ihn aber übermäßig dreist!

(Sie geht aus dem Haus. – Faust und Asmodeus schleichen sich ein.)

ASMODEUS
Komm, heimlich in ihr Schlafgemach!
FAUST
O Brautgemach des Himmels! Ach!
Geh, Dämon, lass mich hier allein!
ASMODEUS
Wie fein ist alles hier! Fein, fein!

(Asmodeus ab.)

FAUST
Ja, brenne, nackte Lampenbirne,
Ein Feuer lodert mir im Hirne,
Ein Schmerz ist in mein Herz gefallen!
Was soll das Stottern, Stammeln, Lallen?
Ihr Atem! Ein Gefühl von Ruhe!
Vorm Bette hier die schwarzen Schuhe!
Bescheidenheit ist ihr beschieden,
Hier ist man doch sogleich zufrieden.
Ach, ach, und dieses Bettes Fläche!
Da überkommt mich eine Schwäche!
Wie zuckt es mir in meiner Hand!
Ach, ich verliere den Verstand!

(Asmodeus ist plötzlich wieder da.)

ASMODEUS
Verlasse jetzt dies Himmelsglück,
Das süße Weibchen kommt zurück.

(Asmodeus reicht dem Faust eine Handvoll Schmuck. Faust verstreut den Schmuck auf Röschens Bett.)

FAUST
Soll ich den ganzen Schmuck ihr weihen?
ASMODEUS
Willst du sie nun als Freier freien?
Ich habe alles das besorgt,
Hab mehr gestohlen als geborgt.
Mit diesem Glitzer-Glitter-Haufen
Kannst du Prinzessinnen dir kaufen.
Die Zeit geht flöten! Rasch gesputet!
Was hast du mir nicht zugemutet?
Die Arme wirst du wohl erringen
Mit diesen goldnen Silberdingen,
Mit diesen Muscheln, diesen Perlen!
Als sprächest du mit deinen Kerlen
Im Hörsaal physisch-metaphysisch,
So stehst du da, du Freier mystisch!
Ich hör der Pforte Flügel, rums!
Nur Fidibums, nur Fidibums!

(Beide ab. Röschen erscheint wieder.)

RÖSCHEN
Hier ist es feucht und dampfend-schwül!
Zwar draußen ist es klar und kühl,
Doch in dem Innern ist mir bange
Als schlich sich durch mich eine Schlange.
Wär Mütterchen Elfriede nur
Zurück, die Seele der Natur!
Ein Schauer zückt mir durch den Leib!
Ach, sterblich bin ich schwaches Weib!

(Indem sie sich auszieht – singt sie ein Lied)

Der König von Thule – sein Leben,
Das war ein breiter Becher,
Den ihm seine Freundin gegeben,
Dem ewig betrunkenen Zecher!

Er nahm es als Testamente
Und hat allnächtlich gesoffen
Bis an sein seliges Ende
In Glauben und Lieben und Hoffen!

Und als es ging an ein fröhliches Sterben,
Das Testament verfasste der Zecher,
Vermachte alles den gierigen Erben,
Doch nicht der Geliebten Becher!

Am Abend die Brüder ihn grüßen,
Schneeflöckchen-Weißröckchen auf allen Bäumen,
Das letzte Abendmahl zu genießen,
Die Meerflut stöhnte mit spritzenden Schäumen!

Der König erhob sich, der wankende Zecher,
Betrunken vom Himmel zu träumen,
Mit der Hand er schleuderte lachend den Becher,
Versenkte ihn ins feuchte Schäumen!

Die Nixen den Becher entgegennahmen,
Der Todesengel kam schüchtern,
Der König stöhnte: Ja und Amen –
Und starb! Da war er zum ersten Mal nüchtern!

(Jetzt erblickt sie ihr durchwühltes Bett und den Schmuck darauf.)

Wie kommt der Schmuck denn auf die Decke?
Da seh ich perlenvolle Säcke!
Die Engel flüstern, Engel tuscheln,
Da, Venusmuscheln, Pilgermuscheln,
Ein Armband, eine Perlenkette,
Verstreute Perlen auf dem Bette,
Ein Liebreizgürtel für die Taille,
Dort eine heilige Medaille,
Wie schön ist alles anzublicken!
Ich will mich einmal damit schmücken!

(Röschen schmückt sich vor dem Spiegel.)

Woher sind all die Herrlichkeiten?
Wer wollt mir solchen Schatz bereiten?
Schön von Natur sind zwar die Ricken,
Doch Frauen lieben’s, sich zu schmücken!
Zwar von Natur die Augen blinken,
Doch schön, die Wimpern auch zu schminken!
Am Munde auch der Lippenstift
Ist doch kein Zahn voll Schlangengift!
Zwar, wahre Schönheit kommt von innen,
Doch Männer lieben mit den Sinnen!
Wer hässlich ist, der trägt sein Kreuz –
Die Schöne triumphiert durch Reiz!


ALLEE


Faust in Gedanken wandelnd. Zu ihm tritt Asmodeus.

ASMODEUS
Der Herr verdamm mich in den Feuerpfuhl,
In heiße Höllenglut mit Beelzebul!
Für solch ein Weib ist das geringste Wort
Zu gut. Ich bin hier nicht am rechten Ort.
FAUST
Was machst du Satan deine Reverenz?
Schau nicht so trübe drein in diesem Lenz!
ASMODEUS
Ich möchte mich dem Teufel übergeben,
Wär ich nicht selber doch der Teufel eben.
FAUST
Was ist denn? Hör doch auf, so wild zu toben!
ASMODEUS
Da soll ich doch die Mutter Kirche loben!
Den schönen Schmuck, den Röschen ich beschaffen,
Den haben jetzt die alten faulen Pfaffen!
Denn Röschens Mutter ward mit einmal bange,
Der schöne Schmuck vielleicht käm von der Schlange?
Sie hat so eine Katholiken-Nase
Und riecht des Teufels Angstschweiß leicht. Ich spaße,
Obwohl mir nicht zum Spaß zumute ist.
Die Mutter, die das Beten nie vergisst
Und immer ausstreckt sich zum Unerreichten,
Die schickt das arme Röschen: Geh du beichten!
Und Röschen, die so fromm und die so hold,
Sie bringt dem alten Pfaffen all mein Gold,
Die Muschelperlen, all die Augenweide.
FAUST
Und auch das Kleidungsstück von schwarzer Seide?
ASMODEUS
Da sprach der Pfaffe: Du sollst nicht begehren –
Und unrecht Gut kann nicht auf Dauer währen,
Und wollt sie sich des Höchsten Tochter nennen,
Die schwarze Seide solle sie verbrennen!
FAUST
Verbrennen soll man alte Zauberbücher,
Jedoch nicht solch ein feines Tuch der Tücher!
ASMODEUS
Was wissen schon von Seide diese Pfaffen?
FAUST
Du musst ein neues Tüchlein mir beschaffen!
Doch diesmal soll es haben an den Kanten
So einen feinsten Saum mit Diamanten.
ASMODEUS
Du tust, als wenn das etwas Spielzeug wäre,
Ein kleines Kriegerpüppchen mit Gewehre,
Doch solche Seide, o beim Höllenfeuer,
Ist selbst für Satans Portemonnaie zu teuer.
FAUST
Lass ab vom Geiz! Ich scheiß auf Satanas
Und seinen alten Geizhals Mammonas!
Ich sage dir: Schaff meiner Augenweide
Umgehend schöne schwarze Spitzenseide!
ASMODEUS
Ja, Mond und Sonne und die Sterne all
Und alle Galaxien im Weltenall,
Die hättst du als Raketen rasch verpufft
Für Röschen – Puff! Fliegt alles in die Luft!


IN DER WOHNUNG VON RÖSCHENS BUSENFREUNDIN
ANNE SCHEIDLEIN

ANNE
Erbarmen habe Gott mit meinem Mann,
Er tat mein Leben lang mir Leiden an,
Er schreitet in die große Welt hinein
Und lässt mich liegen in dem Bett allein.
Was hat ihn nur so sehr an mir betrübt?
Wie haben wir uns doch geliebt, geliebt!
Am Ende ist gar tot mein Tor, ach mein,
Ach hätte ich doch nur den Totenschein.

(Röschen kommt.)

RÖSCHEN
Ach Anne, meine Busenfreundin Anne,
Ich träum so viel von jenem seltnen Manne!
ANNE
Wie geht es dir? Wie fühlst du dich, mein Röschen?
RÖSCHEN
Schau dieses schwarze Spitzenunterhöschen,
Das Säckchen hier mit Perlen und mit Muscheln!
Was werden da die lieben Nachbarn tuscheln?
Viel schöner diese als die erste Seide,
Der schwarze Schlüpfer eine Augenweide!
ANNE
Bewahre das vor deiner Mutter Gaffen
Und lass das wissen nicht den dicken Pfaffen!
RÖSCHEN
Verstreut die Perlen all auf meinem Bette!
ANNE
Ach Evastochter, Niedliche und Nette!
RÖSCHEN
Ich darf mich leider damit in den Gassen
Und in dem Gotteshaus nicht sehen lassen!
ANNE
Komm manchmal abends her zu mir, du Fesche,
Dann trägst du diese schwarze Unterwäsche!
Wenn so dich sehen könnte jener Mann!
Da lassen wir den Gottesmann nicht ran!
So nach und nach, da wählst du eine Perle
Und schmückst dich schön, das merken wohl die Kerle,
Das Armband legst du an von Süßmeermuscheln,
Da hör ich leis die heißen Männer tuscheln,
So trittst du schön geschmückt ins Licht des Lichts,
Davon merkt deine alte Mutter nichts.

(Asmodeus tritt einfach unangemeldet durch die offene Tür in Anne Scheidleins Wohnung.)

ASMODEUS
Verehrte Damen, lieben Frauen, Frommen,
Ich bin so dreist zu euch hereingekommen.

(Er verneigt sich tief vor Röschen.)

Frau Anne Scheidlein komm ich zu verehren.
ANNE
Wie? Das bin ich! Was ist denn dein Begehren?
ASMODEUS
Du hast Besuch? Da möchte ich nicht stören,
Ich lass mich morgen Mittag wieder hören.
ANNE
(zu Röschen)
Hör, Schwesterchen, so wahr ich Schwester bin,
Der dort hält dich für eine Königin!
RÖSCHEN
Ich tadle selbst mich oft mit strengem Tadel.
ASMODEUS
Du bist von göttergleichem Seelenadel!
Du hast so etwas – ach, wie sag ich’s doch?
So etwas, ach, Gewisses! Lebe hoch!
ANNE
Was führt dich her? Was möchtest du berichten?
ASMODEUS
Das gäbe doch unendliche Geschichten.
Unnütze Worte möchte ich nicht büßen.
Ich soll von deinem toten Mann dich grüßen!
ANNE
Mein Göttergatte tot? Der Liebste tot?
Ah weh, ah weh! Ich bin in tiefer Not!
RÖSCHEN
Ach Annchen mein, was kann ich für dich tun?
ASMODEUS
Es möge seine Arme Seele ruhn!
ANNE
Ach hätt ich das zuvor vorausgewusst,
Wie mich das schmerzen wird! Ach, all die Lust!
ASMODEUS
Die Liebeslust verschafft ein Liebesleid,
Die Leiden suchen neue Lustigkeit!
ANNE
Oft träum ich noch von unsern Liebesspielen.
Dahin sind all die Wonnen nun, die vielen!
ASMODEUS
Sein Grab ist in Assisi, dort sein Kranz,
Wo Vögeln einst gepredigt hatte Franz.
ANNE
Sonst nichts? Und hatte er mich nicht vergessen?
ASMODEUS
Er bittet seine Frau um Seelenmessen,
Ihn zu befreien aus dem Fegefeuer!
Vom Gelde weiß ich nichts. Das Grab war teuer.
ANNE
Kein Angedenken? Nichts? Kein kleinstes Ding?
Nicht einmal einen schwarzen Freundschaftsring?
ASMODEUS
Er sprach zuletzt: Daß Jesus sich erbarm,
Ich hatte meine Sünden und war arm!
RÖSCHEN
Wollt Gott, er wäre in Jerusalem!
Ich will ihm singen schön das Requiem.
ASMODEUS
Du bist so gütig, Röschen! Deine Nähe
Beglücke einen Mann im Bett der Ehe!
RÖSCHEN
Vom Sakrament der Ehe weiß ich nichts.
ASMODEUS
O keusche Unschuld deines Angesichts!
Soll dich der Ehemann noch nicht beglücken,
Lass gnädig oft den Hausfreund dich erblicken!
RÖSCHEN
Ein Hausfreund soll zuhause mich erblicken?
Das würde sich nicht schicken, ach, nicht schicken!
ASMODEUS
Ob sich das schickt, sich nicht schickt, ach,
Oft steht ein Hausfreund in dem Schlafgemach.
ANNE
Erzähle! Hat er viel zum Schluß gelitten?
ASMODEUS
Ich bin zum Sterbebette hingeschritten,
Da lag er da in seinem Exkrement,
Jedoch: Er starb mit Christi Sakrament!
Er seufzte: Soll ich werden Überwinder?
Muß ich verlassen meine Frau und Kinder?
Ich habe meine Lebenssünden über,
Barmherzigkeit von Jesus hätt ich lieber!
ANNE
Ich habe ihm auch alles schon vergeben!
ASMODEUS
Allein, er sprach: Sie hinderte mein Streben!
ANNE
Was? Lüge! Immer reicht ich ihm die Hand!
ASMODEUS
Kurz vor dem Tod verlor er den Verstand
Und war in seiner Todesangst von Sinnen
Und tat wie Spinnen Spinnenweben spinnen:
Wie hat sie mich so sehr doch ausgenutzt!
Ich hab den Kindern ihren Po geputzt,
Dieweil sie lag gemütlich faul im Bette!
Wenn ich ins Bette nur gedurft doch hätte!
Allein, der Herr erlöse uns vom Übel,
Ich musste schleppen ihren Abfallkübel!
ANNE
Was? Was? Hat er vergessen meine Brüste
Und wie ich ihm bereitet höchste Lüste?
ASMODEUS
Bewahre Gott! Er dachte daran immer!
An jene Kammer, jenes kleine Zimmer,
Darin nichts stand als jenes Bett und, ach,
Und ach, wie du geliebt im Schlafgemach!
ANNE
So bleib ich in Erinnerung? Der geile
Genosse geh verlustig seinem Heile!
ASMODEUS
Er ist gestorben, das ist offenbar.
So traure du ein ganzes Trauerjahr,
Dann schaue dich nach einem Neuen um.
ANNE
Ach, du bist dumm, du bist unglaublich dumm,
Wie jener Mann wird keiner sich mir gatten!
Vielleicht kommt er zu mir nach Art der Schatten?
Ach, denk ich an den guten Mann, den harten!
Nur, all der Wein! Und immer diese Karten!
War allzeit auch bereit, sich umzuschauen
Und nachzuschauen allen jungen Frauen!
ASMODEUS
Du warest auch nicht von den Immertreuen
Und tatest an so manchem dich erfreuen.
Lässt nur die Frau dem Manne manchen Flirt,
Lässt er der Frau den ihren ungestört.
Bei solcher freien Liebe, will ich meinen,
Ich möcht fast selber gern mich dir vereinen.
ANNE
Du liebst mich nicht! Du denkst nur mit dem Schwanz!
Nicht Liebe willst du, nur der Lüste Kranz!
ASMODEUS
Gefährlich ist des Wonnebusens Nähe!
Die finge selbst den Luzifer zur Ehe!

(zu Röschen)

Wie steht es denn bei dir mit einer Heirat?
Steh zur Verfügung dir mit Rat und Beirat.
RÖSCHEN
Ich weiß es nicht. Ich denke nicht an das.
ASMODEUS
O Sankt Simplicitas! Simplicitas!
Nun muß ich scheiden, meine lieben Frauen,
Euch voller Sehnsucht ewig nachzuschauen!
ANNE
Noch eins! Kann einer seinen Tod bezeugen?
ASMODEUS
Ich weiß, wer da geeignet ist zum Zeugen!
Ich bring ihn mit, er dient als Zeuge schlicht,
Zu zeugen vor dem höchsten Weltgericht!
ANNE
So finde ich vielleicht die Seelenruhe.
RÖSCHEN
Ich bins nicht wert, zu wichsen ihm die Schuhe!
ASMODEUS
Du bist die schönste aller Badenixen
Und wert, dem Papst selbst seinen Schuh zu wichsen!
ANNE
Kommt beide morgen in den Rosengarten,
Wir werden wirklich willig auf euch warten!


IM ROSENGARTEN DER ANNE SCHEIDLEIN


Röschen Seite an Seite mit Faust. Asmodeus und Anne, die Arme untergehakt. Die Paare wandeln auf und ab.

RÖSCHEN
Ach, warum liebst du mich so sehr?
Mein Leben ist oft öd und leer!
Du konntest doch schon viele Frauen
Und schönere auf Erden schauen?
FAUST
Geheimnisvoll ein Wort von dir,
Ein süßes Lächeln, ach, ist mir
Mehr wert als Fürstin und Prinzess,
Du meine wandelnde Zypress!

(Er küsst ihr zärtlich die Hand.)

RÖSCHEN
Ach, Freund, ach, küss nicht meine Hand,
Wie oft ich schon im Hause stand
Und hielt in meiner Hand den Besen,
Zu fegen fort des Staubes Wesen.
FAUST
Nein, diese Hand ist ohne Mängel,
Mit solchen Händen segnen Engel!
RÖSCHEN
Bisher ist meiner Arbeitshand
Das Segenszeichen unbekannt.

(Sie wandeln vorüber.)

ANNE
Und du, mein Freund, bist weit gereist?
ASMODEUS
Fand wenig Nahrung für den Geist
Auf allen meinen weiten Reisen,
Die Welt selbst ist nicht gut zu speisen.
Ach, immer weiter, weiter treiben!
Daheim ich sollte lieber bleiben.
ANNE
Das Reisen gut ist in der Jugend,
Das ist des Wandervogels Tugend.
Man denkt, die Liebe liebt das Wandern,
Sie will von einem zu dem andern.
Doch kalt wird dann dem Philosophen,
Er sehnt sich nach dem warmen Ofen,
Nach all dem lustigen Geschwärme
Ein trautes Heim wär schön voll Wärme.
ASMODEUS
Wie einsam werd ich sein im Alter!
Im Winter geht es schlecht dem Falter!
ANNE
Drum, weitgereister weiser Mann,
Beizeiten schließ dich freundlich an.

(Sie wandeln vorüber.)

RÖSCHEN
Ach, aus den Augen, aus dem Sinn!
Jetzt deinen Augen schön ich bin,
Doch hast du ja in der Gemeinde
Noch andre allerbeste Freunde,
Die mehr verstehn von deiner Weisheit
Als ich mit meines Flüsterns Leisheit.
FAUST
Ach, was die Freunde Klugheit nennen
Und von dem großen Gott erkennen,
Ist auch nur Eitelkeit der Welt!
Gott mir in deinem Bild gefällt!
RÖSCHEN
Bin noch erleuchtet nicht vom Licht.
FAUST
Du, Demut, kennst dich selber nicht!
RÖSCHEN
Ach, denkst du auch sehr oft an mich?
Ich sprech mit Anne über dich.
FAUST
Und denkst an mich in Einsamkeit?
RÖSCHEN
Bin gern allein in stiller Zeit.
Ach, Zeit zu beten und zu fasten!
Doch Arbeit lässt mich immer hasten,
Muß kochen, fegen, Wäsche waschen,
Ist wenig Zeit, nach Wind zu haschen.
Genug des Brotes ist zuhaus,
Auch Bier geht bei uns ein und aus.
Vom Vater habe ich das Erbe,
Das Gartenhaus, in dem ich sterbe.
Mein junger Bruder ist Soldat,
Der Mutter bald das Ende naht.
Mein kleines Schwesterchen ist tot!
Ich hab mein eigen Kreuz und Not.
Der toten Schwester Zwillings-Blagen,
Die nahm ich auf, tat gern mich plagen.
FAUST
Du Engelin an diesem Ort!
Ich will dich lieben fort und fort!
RÖSCHEN
Ich hab wie eine Kuh gebuttert,
Der Schwester Zwillinge bemuttert,
In meinem Arm, auf meinem Schoß
Die Zwillingsknaben wurden groß.
FAUST
Und hast darin dein Glück gefunden?
RÖSCHEN
Ach, leider, viele schwere Stunden!
Nachts wacht ich immer an den Wiegen,
Ob sie vielleicht das Fieber kriegen,
Stets wollten sie auch was zu naschen
Und täglich musst ich Wäsche waschen,
Ihr Leid hat mir das Herz gebrochen,
Musst dennoch täglich Essen kochen
Und war aktiv von morgens an
Und nachts war schlecht der Schlummer dann,
So ging es täglich, immerzu,
Wie gerne hatt ich da die Ruh,
Und hat der Herr ein wenig Gnade,
So schenke er mir Schokolade.

(Sie wandeln vorüber.)

ANNE
Hast du noch keine Frau gefunden,
Die Wärme schenkt in stillen Stunden?
ASMODEUS
Der Weise sagt: Der eigne Herd,
Das eigne Weib ist Perlen wert!
ANNE
Hast du nicht Lust, nicht Lust zu scherzen?
ASMODEUS
Ich fand bei manchen offne Herzen.
ANNE
Wars einmal ernst in Herzenssachen?
ASMODEUS
Will Frauen keinen Kummer machen.
ANNE
Mein Freund, du kannst mich nicht verstehn!
ASMODEUS
Das tut mir leid, mein Tausendschön,
Und doch, vernimm du mein Bekenntnis,
Ich weiß: Du sprichst von der – Erkenntnis!

(Sie wandeln vorüber.)

FAUST
Hast du mich gleich erkannt, du Fromme,
So gleich ich in den Garten komme?
RÖSCHEN
Hast du erkannt nicht meine Gnaden?
Ich selber hab dich eingeladen!
FAUST
Und war mir böse nie dein Geist,
Daß ich so frech war und so dreist?
RÖSCHEN
Ich hab mich nur gefragt im Herzen:
Lud ich dich ein zu solchen Scherzen?
War da in meinem frommen Wesen
So eine Frechheit auch zu lesen?
Ich sagte mir: Ihr guten Geister,
Was will von mir der weise Meister?
Da war ich böse mir allein,
Dir mochte ich nicht böse sein.
FAUST
Ach, mehr als Zucker süße Frau!
RÖSCHEN
Lass! – Dieses Gänseblümchen schau!

(Sie pflückt einzeln die Blütenblätter des Gänseblümchens ab.)

Er liebt mich – liebt mich nicht – er liebt mich –
FAUST
Die Blume redet wahr: Er liebt dich!
Ich liebe dich von tiefstem Herzen
Und kostet es auch Todesschmerzen!
RÖSCHEN
Ein Schauer läuft mir übern Rücken!
FAUST
Du mein entsetzliches Entzücken!

(Röschen läuft eilig davon, Faust erstarrt, dann eilt er ihr hinterher.)

ANNE
Jetzt bricht herein die dunkle Nacht!
ASMODEUS
Wir wollen gehen, sanft und sacht.
ANNE
Ach, könntest du noch etwas bleiben!
Was sollen da die Leute sagen?
Wie die es da gar heimlich treiben!
So würden sie uns doch verklagen,
Die superfrommen Nachbarsfraun
Stets spionieren durch den Zaun
Und sehn sie Schatten hinterm Fenster
In Liebe zärtlich, Nachtgespenster,
Dann reden diese Weiber dreist:
Begonnen habt ihr es im Geist
Und rein wie Ideale keusch
Und wollt vollenden es im Fleisch!
Wo aber sind denn Faust und Röschen?
ASMODEUS
Der Schminkstift liegt im offnen Döschen.
ANNE
Ich weiß, ich weiß, er mag sie leiden!
ASMODEUS
Und sie, die Demut selbst, bescheiden,
Sie hat ihn auch von Herzen lieb,
Wie es kein Dichter je beschrieb.
Die Liebe ist nicht auszusagen!
Nach Liebeswonnen kommen Klagen!


IM CHINESISCHEN GARTENPAVILLON


RÖSCHEN
(Sie schlüpft in den Pavillon, spioniert durchs Schlüsselloch)
Er kommt! Ich muss nicht länger harren!
FAUST
Vor Liebe werde ich zum Narren!

(Er küsst sie zärtlich auf die Wange.)

RÖSCHEN
(Seine Hüfte umfassend und ihn zärtlich auf den Hals küssend)
Wir beiden Narren Christi, sag,
Ich möcht dich haben jeden Tag!

(Es klopft jemand von draußen an die Tür.)

FAUST
Wer pocht von draußen an die Pforte?
ASMODEUS
Nun fort von diesem trauten Horte!

(Asmodeus tritt mit Anne ein.)

ANNE
Verzeihung, wenn ich stören muss.
FAUST
Ach Röschen! Noch so einen Kuss!
RÖSCHEN
Was soll da meine Mutter sagen?
FAUST
Könnt ich der Mutter Hallo sagen.
RÖSCHEN
Nun, gute Nacht und schlaf recht süß
Und schau im Traum das Paradies!
ANNE
Wünsch guten Schlaf im warmen Bette!
FAUST
Ach Röschen, Niedliche und Nette,
Ich hab dich lieb, du bist so süß!
Adieu, Geliebte! Röschen, Tschüß!

(Faust und Asmodeus ab.)

RÖSCHEN
Du lieber Gott! Er ist so weise,
Was sucht er nur in meinem Kreise?
Ich arme Frau von schlichter Sorte,
Ich höre alle seine Worte
Und wie ich lausch den Worten, da
Will ich nur immer sagen: Ja!
Ich bin nicht weise, bin nicht schön,
Was will sein seufzendes Gestöhn?


RÖSCHENS SCHLAFZIMMER


(Sie legt Wäsche zusammen.)

Dahin ist meine Ruhe,
Wie bin ich doch von Sinnen,
Ich find nicht Ruhe draußen,
Ich find nicht Ruhe drinnen!

Ach, wenn er mich verließe,
Ah weh, das wär mein Tod,
In meinem Garten blühte
Nie mehr ein Röschen rot!

Auf ihn nur muß ich warten
An diesem trauten Orte,
Nach ihm nur schau ich sehnend
Und öffne meine Pforte.

Dahin ist meine Ruhe,
Wie bin ich doch von Sinnen,
Ich find nicht Ruhe draußen,
Ich find nicht Ruhe drinnen!

Oh seine Mannesstärke!
Sein Lächeln um den Mund!
Gefährlich, ach, gefährlich
Der Augen tiefer Grund!

Sein Wandeln, seine Worte
Und wie er sich erbarmt,
O seine Art, sein Adel
Und wie er mich umarmt!

Ich bin im tiefsten Herzen
Von ihm allein besessen!
Ich habe längst mein Leben,
Mein Ich und Selbst vergessen!

Dahin ist meine Ruhe,
Wie bin ich doch von Sinnen,
Ich find nicht Ruhe draußen,
Ich find nicht Ruhe drinnen!


IN ANNES GARTEN


Röschen und Faust


RÖSCHEN
O sag mir doch, o du, o mein Johannes...
FAUST
Was willst du wissen von dem Geist des Mannes?
RÖSCHEN
Wie denkst du über Gott und die Natur?
Du bist ein Weiser und Gelehrter, nur
Mir scheint, du glaubst nicht an des Heilands Blut?
FAUST
Geliebte! Dir bin ich von Herzen gut!
Ich liebe mit der Liebe in dem Blute
Das Wahre und das Schöne und das Gute,
Will keinem seine Überzeugung rauben.
RÖSCHEN
Doch muss man an den Christus Jesus glauben!
FAUST
Was redest du im Glauben denn von Müssen?
Ach, was wir müssen, das ist, uns zu küssen!
RÖSCHEN
Und ehrst du nicht der Liebe Sakrament?
FAUST
Doch! Zu der Liebe sich mein Herz bekennt!
RÖSCHEN
Doch du begehrst nicht, deine Schuld zu beichten!
Wann riefest du zuletzt zum Unerreichten,
Empfingest in der Kirche Christi Leib?
Glaubst du an Gott? Sags einem armen Weib!
FAUST
Geliebte, mancher redet wie ein Spott
Und sagt so leichthin: Ich glaub auch an Gott.
Frag doch die Priester und die Tiefgelehrten,
Frag die Gerechten und frag die Bekehrten,
Nur Phrasen dreschen sie des Biblizismus,
Auswendig lernten sie den Katechismus.
RÖSCHEN
So glaubst du nicht, wie in der Schrift zu lesen?
FAUST
Ich mag von Gottes unnennbarem Wesen
Nicht Phrasen dreschen, Theologen-Phrasen.
Der wert ist der verzückendsten Ekstasen,
Wird abgespeist mit einem Credo nur,
Herabgeleiert. Oh, die Gott-Natur,
Das Höchste Wesen, laß ich mir nicht rauben,
Muß jede Seele an den Gott doch glauben.
Die Welten all aus Gottes Busen stammen,
Die Liebe Gottes hält sie all zusammen.
Die Mutter Erde mit den breiten Brüsten
Gab Gott den Menschen zu des Lebens Lüsten.
Vom Himmel abends grüßt der Abendstern,
Früh morgens segnet uns der Morgenstern.
Die Morgenröte lässt die langen Wimpern
Fein lächelnd über lichten Augen klimpern.
Und unsere Gedanken fliegen ferne
Zu Apfelgärten auf dem Venussterne.
Und unsre Körper bleiben auf dem Boden,
Bis uns zuletzt bedecken grüne Soden.
Der Geist lebt in Vernunft und allen Sinnen
Und Seele webt von außen sich nach innen.
Erfüllt ist doch dein Herz mit Ahnung, Liebe,
Weltseele ahnst du in dem Weltgetriebe,
Die Liebe unaussprechlich lässt dich beben.
So sage: Gottheit! Oder: Ewiges Leben!
Die Ewige Liebe in dem Seelensamen,
Die Eine Gottheit hat sehr viele Namen.
Fühlst du nicht schon des Ewigen Lebens Wonne,
Wenn dich am Morgen segnet Gottes Sonne?
RÖSCHEN
So steht das nicht im Katechismus! Zwar
Dein liebendes Bekenntnis lieblich war,
Wenn auch des Priesters Predigt andrer Sorte,
Bekennen Gott doch gleichfalls deine Worte.
FAUST
Schau dich doch um in allen Erdenkreisen,
Wie stammeln und wie lallen nur die Weisen!
So tu ich gleichfalls wie die andern alle:
Von Gott in meiner eignen Sprache lalle!
RÖSCHEN
Doch ich empfinde leider melancholisch,
Dein Glaube ist nicht kirchlich und katholisch.
FAUST
Geliebte! Liebe ist mein Christentum
Und Zärtlichkeit mein Kirchenheiligtum!
So kirchlich-christlich bin ich auch bereit
Zur seligmachenden Liebeszärtlichkeit!
RÖSCHEN
Doch ach, so lange tut es mir schon weh,
In welcher Art Gesellschaft ich dich seh!
FAUST
Wen meinst du mit dem Wort, mein kleiner Christ?
RÖSCHEN
Den Mann, der stets an deiner Seite ist!
Ich mag ihn nicht! In meinem ganzen Leben
Hat nie ein Mensch mir solchen Stich gegeben
Ins Herz, wie diese hässliche Visage!
FAUST
Er kann nichts für die hässliche Visage.
RÖSCHEN
Ich wäre gerne allen Menschen gut,
Doch jener Kerl, der plagt mich bis aufs Blut!
Wie seine seelenlosen Augen schauen
So ohne Liebe, ach, das ist ein Grauen!
Ich halte ihn für einen Hanswurst nur!
Vergebe Gott der schlimmen Kreatur!
FAUST
Er hat so seine Macken, das ist üblich.
RÖSCHEN
Ach, lieber Mann, du aber bist so lieblich!
Mit solchem schlimmen Kerl wollt ich nicht leben,
Wollt ihm in Liebe nicht die Hände geben!
Er ist von jener allerschlimmsten Sorte,
Die allzeit haben nichts als harte Worte.
Mein Herz, bin ich bei dir, in deinem Arm,
Wie ist mir wohl, wie fühlt mein Herz sich warm!
Wenn aber er dazutritt mit Gewalt,
Ist alles wie der Frost des Winters kalt.
So sehr verehrt und liebt dich meine Seele,
Doch jener Kerl, der schnürt mir zu die Kehle!
FAUST
(leise)
So ahnungsvoll ist diese fromme Frau!
RÖSCHEN
Und wenn ich plötzlich dann den Hanswurst schau
Mit seinen toten Augen, kalt wie Stahl,
Dann denke ich, ich sei dir ganz egal,
Und seh ich ihn an deiner Seite dann,
Frag ich mich gar, ob du ein edler Mann,
Verzeih! Und mein Gebet will mir vergehen,
Muss ich den aufgeblasnen Kraftprotz sehen.
Ach Liebster, meine Seele ganz beseelend,
Warum wird dir bei jenem Kerl nicht elend?
FAUST
Der ist dir einfach unsympathisch nur.
RÖSCHEN
Ich geh! O Mutter heilige Natur!
FAUST
Ach, dürfte ich dich einmal so umfangen
Wie in dem Morgenland die schönen Schlangen
Umschlingen einen süßen Sandelbaum
Und lieben dich – o Gott – ein schöner Traum!
RÖSCHEN
Ja, wenn ich mal allein im Bette liege –
Die Mutter wacht doch immer an der Wiege!
Wenn Mutter wüsste... ach das wär mein Tod!
FAUST
Ich weiß ein Mittel gegen diese Not:
Der Mutter gebe diesen Baldrian,
Dann wird der Schlaf auf samtnen Pfoten nahn,
Dann wird sie tiefer als die Tiefsee schlafen
Und kann uns nicht für unsre Liebe strafen.
RÖSCHEN
Und keine Nebenwirkung, welche schädlich?
FAUST
Nein, meine Medizin ist nichts als redlich.
RÖSCHEN
Geliebter! Seh ich dich – du bist mein Leben!
Ich gab schon viel – ich will dir Alles geben!

(Sie geht fort. – Asmodeus kommt hervor.)

ASMODEUS
Die schwarze Muschi, schlich sie sich davon?
FAUST
Im Haus der Liebe wieder mal Spion?
ASMODEUS
Sie fragte dich nach deinem Biblizismus,
Ob du gelesen auch den Katechismus?
Ja, wenn wir folgen ihrer Religion,
So dienen sonst wir auch in ihrer Fron.
Das wollen sie mit ihrem ganzen Reize,
Daß wir vor ihnen kriechen noch zu Kreuze!
FAUST
Du kannst das nicht begreifen, Finsterling!
Nichts andres möchte dieses hübsche Ding,
Als mich für alle Ewigkeit zu retten!
ASMODEUS
Ja, lieben dich noch in den Himmelsbetten!
Du übersinnlich-sinnlicher Gefährte
Saugst an der Hoffnung Busen, die dich nährte!
FAUST
Du Arsch! Du kannst den Himmel nur verspotten,
Wo uns die Ewige Liebe wird vergotten!
ASMODEUS
Sieht mich mit grünem Aug die schwarze Katze,
So stört an Satan sie die Teufelsfratze!
So schaut doch kein Genie! So schaut ein Teufel!
Und heute Nacht? Ihr liebt euch? Ohne Zweifel?
FAUST
Heut Nacht erweist mir Gnade die Madonne!
ASMODEUS
Ha, Unzucht ist der freien Liebe Wonne!


AUF DEM MARKTPLATZ


Röschen und Madel mit Körben voller Möhren, Rüben und Zucchini.

MADEL
Hast du gehört schon von Susanne heute?
RÖSCHEN
Ich treffe so rein gar nicht mehr die Leute.
MADEL
Susanne ist so ganz und gar verstört,
Wie sich das für die Dirne auch gehört!
RÖSCHEN
Was wissen von Susanne denn die Kenner?
MADEL
Ist Einer nicht genug? Sie braucht zwei Männer!
RÖSCHEN
Sonst war der eine Freier schon ihr schnuppe.
MADEL
Sie tut wie eine Fee, wie eine Puppe,
Will doch die Gurke nur für ihren Topf,
Hat nichts als Kerle in dem hübschen Kopf!
Da stand der eine Mann als Ehrenmann,
Als Kavalier der andre drängte ran,
Da spritzte Schaum des Sekts, man tanzte Tanz,
Ein Hengst der Kavalier mit langem Schwanz,
Kam mit Geschenken, kam mit Schokolade,
Sie ließ ihn ansehn ihre nackte Wade,
Und als der Andre eben weggeblickt,
Hat sie den guten Kavalier gefickt!
RÖSCHEN
Darüber muss mein frommes Seelchen trauern.
MADEL
Mein Schatz, nur kein bigott-frigid Bedauern!
Uns armen Weibern ist das Leben bitter,
Denn nachts bewachen uns die alten Mütter,
Susanne aber schlich wie eine Katze
Und nahm sich, was sie wollte, von dem Schatze.
Den Kavalier, der, ach, so liebeskrank,
Den nahm sie nachts sich auf der Gartenbank!
Nun kann sie bei des Himmelreichs Eunuchen
Barmherzige Vergebung flehend suchen!
RÖSCHEN
Er sich gewiss zum Traualtare schickt.
MADEL
Zum Traualtare? Nein! Zuerst gefickt
Und dann davon gehuscht und sie verlassen!
So etwas sollten Frauen unterlassen!

(Madel ab.)

RÖSCHEN
Wie können sich empören fromme Seelen,
Wenn solche jungen Dinger sich verfehlen!
Die Pharisäer! Die scheinheiligen Heuchler!
Mag jede Muschi den charmanten Schmeichler,
Der als ihr Kavalier sein Süßholz raspelt,
Und schon sie sich in seinem Netz verhaspelt.
Ich selbst hab auch gelästert und geflucht!
Jetzt aber ward ich selber heimgesucht,
In Sack und Asche meine Sünde büß
Und doch – ach Gott – die Sünde war so süß!


RÖSCHEN IM GEFÄNGNIS


In einer Nische eine Statue der Gottesmutter. In einer Vase eine rote Rose davor.

RÖSCHEN

Komm, Jungfrau, komm zu mir,
In all mein Elend hier,
Steh deiner Tochter bei in ihrer Not!

Die Schärfe eines Schwerts
Durchbohrt dein reines Herz,
Du leidest mit dem Gottessohn den Tod!

Zum Himmel auf du blickst,
Gebete weinend schickst
Zum Ewigen, die Tränen blutigrot!

Ach, ob es einer fühlt,
Wie mir das Leiden wühlt
Durch meine Seele und durch meinen Leib?
Wonach mein Herz verlangt,
Verzagt verschmachtend bangt,
Ach, davon weiß kein andres Erdenweib!

Wo immer ich auch bin,
Die Pein ist Königin!
Des Schicksals schwarzen Raben ich erblicke.
Und bin ich ganz allein,
Ich wein und wein und wein,
Mein Herz, mein Herz bricht mir in tausend Stücke!

Aus meinem Auge strömt ein Tränenregen,
Die Trauertränen meiner Herzensnot,
So will ich deine rote Rose pflegen,
Die Rose rot, wie Blut und Feuer rot!

Was kann ich Hoffnungslose jetzt noch hoffen?
Es fällt kein Licht in meine dunkle Kammer!
Allnächtlich habe ich das Auge offen
Und liege wach auf meinem Bett voll Jammer!

O Jungfrau! Steh mir bei in meiner Pein!
Vom Himmel komm herab!
Die Mutter schläft im Grab!
Ich bin allein – Maria – ich bin dein!


KAPELLE. TOTENFEIER FÜR RÖSCHENS MUTTER.

Alle Verwandten. Chor.

FINSTERER ENGEL
(Hinter Röschen)
Anders war es damals, Röschen,
Als du knietest vorm Altare
Und aus dem Gesangbuch sangest,
Was du nicht verstanden hattest,
Halb naiven Kinderglauben,
Halb Gefühl vom Höhern Wesen.
Röschen! Aber was empfindest
Du jetzt in der jungen Seele?
Was willst du in der Kapelle?
Eine Seelenmesse singen
Für die Seele deiner Mutter?
Eingeschlafen ist die Mutter
Von dem Opium des Glaubens,
Das du selber ihr gespendet.
Deine Seele ist voll Sünden!
Und es regt sich unterm Herzen
Dir sogar die Frucht des Leibes,
Die du ehelos empfangen!
RÖSCHEN
Wehe, wehe, wehe, wehe!
Die Gedanken, die mich plagen,
Werde ich nicht los, mich jagen
Hin und her und ohne Ruhe
Die Gedanken meiner Sünden!
Wohin könnte ich noch fliehen?
CHOR
Vater unser in den Himmeln,
Sei dein Name uns geheiligt,
Bring dein Königreich der Himmel,
Und geschehe nur dein Wille
Wie im Himmel so auf Erden!

(Die Orgel schwillt an.)

FINSTERER ENGEL
Wehe, die Posaunen blasen,
Öffnen werden sich die Gräber
Und dein Herz wird aus dem Staube
Auferstehen von den Toten
Und vor deinen Richter treten!
RÖSCHEN
Fort, nur fort aus der Kapelle,
Dieses Orgelspiel des Himmels
Presst zusammen meine Lunge,
Weh mir, ich kann hier nicht atmen!
Diese Lieder, diese Töne,
Wollen löse meine Zunge,
Alles möchte ich gestehen,
Aber das darf keiner wissen!
CHOR
Vater unser in den Himmeln,
Gib uns täglich unser Manna
Und befrei uns von den Schulden,
Wie wir allen selbst verzeihen.
RÖSCHEN
Wehe mir, mich packt der Wahnsinn!
Diese Kirchenchöre machen
Angst mir vor dem Weltenrichter!
Berge, fallt mir auf den Schädel,
Hügel, mir bedeckt den Körper!
Das Gewölbe der Kapelle
Mich verschließt in einem Sarge!
Luft! Die Lüfte will ich atmen!
CHOR
Vater unser in den Himmeln,
Führe uns aus der Versuchung
Und befrei uns von dem Bösen.
FINSTERER ENGEL
Ja, versteck dich vor dem Richter!
Gottes Zorn wird dich ergreifen!
Nie wird Gott sich dein erbarmen!
Luft und Licht, Natur und Himmel –
Armes Herz, du gehst verloren!
CHOR
Vater unser in den Himmeln,
Dein ist alles Reich der Himmel,
Dein sind Mächte und Gewalten,
Alle Herrlichkeit und Schönheit!
FINSTERER ENGEL
Gottes Engel dich verlassen,
Sie verschmähen deine Seele!
Gottverlassne Seele, weh dir!
CHOR
Vater unser in den Himmeln!
Ewigkeiten – Ja und Amen!
RÖSCHEN
Weihrauch! Weihrauch will ich riechen!

(Röschen fällt in Ohnmacht.)


NACHT. VOR RÖSCHENS HAUS.

Klaus, Röschens Bruder.

KLAUS
Wenn ich beim Gelag gesessen
Und zu trinken nicht vergessen,
Wenn dann alle Trankbetreiber
Allzeit schwatzten über Weiber,
Die vertraut mit allen Lüsten
Und auch Kochrezepte wüssten
Und auch sanft und ehrlich wären,
Dacht ich an die Frau der Ehren.
Wer die Frau der Ehren ist?
Röschen ist es, dass ihrs wisst!
Also sprach ich zu den Zechern
Bei dem Süßwein in den Bechern.
Sprach ich: Mag wohl manches Mädchen
Hübsch und niedlich sein im Städtchen,
Tauben hocken sich in Nester,
Aber hold wie meine Schwester
Ist mir keine und so heilig!
So bekannt ich allen eilig.
Meinem Röschen alle Ehre!
Und als ob sie Göttin wäre,
Hoben alle wilden Zecher
Auf mein Röschen ihre Becher.
Die da andrer Meinung waren,
Rauften sich in ihren Haaren,
Fassten sich an ihre Nasen,
Wussten nichts von Tut und Blasen!
Aber nun muss ich mich schämen!
Nach der Heiligkeit Extremen
Sie extreme Sünderin,
Hure sie! Ein Narr ich bin!
Alle heben ihre Humpen,
Lachen laut, die dummen Lumpen,
Lästern lachend: Deine Pure
Ist nur ordinäre Hure,
Deine Hure, deine Hexe,
Packt am Schwanze jede Echse!
Da kommt einer und dabei
Noch ein zweiter, es sind zwei.

(Faust und Asmodeus kommen.)

FAUST
Wie des nachts im Gottesdome
Leuchtet gleich dem Gnadenstrome
Eine Lampe mit Gefunkel,
Flackerlicht im tiefen Dunkel,
Schläft auch tiefen Schlaf der Priester,
Ists in meinem Herzen düster!
ASMODEUS
Aber ich bin gar nicht müde,
Bin so läufig wie ein Rüde,
Der zu seiner Hündin trachtet
Und inbrünstig-brünftig schmachtet!
Will nicht wie ein Faultier gammeln,
Will wie ein Kaninchen rammeln!
Bald ist ja Walpurgisnacht,
Wo die Hexe Liebe macht,
Wo sie hebt den kurzen Rock
Für den geilen Ziegenbock!

(Er singt zur Gitarre.)

Was willst du, willst du, süßes Mädchen,
Du Buhlerin um Mitternacht?
Gib acht, gib acht, du wildes Kätchen,
Du wildes Kätchen, gib gut acht,
Er stillt dir alles dein Geschmacht!

Nehmt euch in acht, ihr jungen Dinger,
Der Buhler ist ein schlimmer Finger,
Es will ja nichts der Liebesjünger
Als euch zu schwören, euch betören,
Ihr müsstet Einmal ihn erhören!

KLAUS
Was singst du, gottverdammter Sänger,
Du Flötenbläser, Rattenfänger?
Ich erst zerschlag dir die Gitarre
Und dann den Kopf dir, alter Narre!

(Klaus zerschlägt dem Asmodeus die Gitarre. Faust und Klaus fechten. Klaus fällt, zu Tode verwundet.)

VOLK
(herbeieilend)
Da liegt der arme Bruder Klaus,
Ist mausetot wie eine Maus!
RÖSCHEN
O Gott, o Gott! O große Not!
Erbarmen, Herr Gott Zebaoth!
KLAUS
(mit letztem Atem röchelnd)
Mit Einem fängst du an zu huren
Und dann mit Allen Kreaturen!
Ja, wenn man erst ein Dutzend hätte!
Geht mit der ganzen Stadt ins Bette!
RÖSCHEN
Mein kleiner Bruder, sei mir gut!
KLAUS
Wein du nicht wegen meinem Blut!
Verscheidend sage ich dir barsch:
Du liebtest einen dummen Arsch!
Hanswurst vom alten Satans-Orden,
Der tat den Bruder Klaus ermorden!
Ich spotte aller Teufel Spott:
Ach, Röschen, ach – ich geh zu Gott!


FAUST UND ASMODEUS


FAUST
Im Elende! Von aller Hilfe verlassen, allein im Kerker! Zu den Verbrechern gezählt, in eisernen Ketten, eingeschlossen in ein finsteres Verließ! Ach diese unschuldig-unselige Evastochter! So weit ist es schon! Und mir hast du das verheimlicht? Ja, blitze nur mit deinen eiskalten Augen, du Satansbraten! Ich kann dich leider nicht bannen! Sie, in dunkler Nacht, gefangen zwischen Spinnenweben, allein mit den Mäusen des Kerkers! Vorgeführt dem Pöbel und den ungerechten Justizräten! Du kennst den Jammer und jagst mich dennoch durch die Welt, eine flüchtige Lust zu erhaschen, sprichst kein Wort und lässest die gute Seele ohne Hilfe verlassen sein?
ASMODEUS
Sie ist die erste nicht, die du so ruiniert hast.
FAUST
Arschloch! Der heiligste Engelsgeist möge dich bannen in die schwarze Hundegestalt, in der du dich herangeschmeichelt hast, dass du winselnd vor mir liegst und ich dich peitsche mit der ledernen Leine! Sie wär die erste nicht, die ich so ruiniert hätte? O Jammer, Jammer! Keine Menschenseele kann meinen Jammer begreifen!
ASMODEUS
Ach du lieber Harlekin, jetzt bist du am Ende mit deinem Mönchslatein und an der Schwelle des Wahnsinns angelangt! Was gibst du denn den okkulten Dämonen erst die Hand, wenn du doch nicht treu bleiben willst? Erst willst du fliegen in ätherische Sphären und dann wird dir schwindlig! Hab ich mich angebiedert oder hast du dich angeboten?
FAUST
Du kotzt mich an! O heiligster Engelsgeist, du hast dich mir offenbart! Ach, warum muß ich gefesselt sein an diesen okkulten Dämon?
ASMODEUS
Bist du bald fertig?
FAUST
Befreie sie aus dem Gefängnis!
ASMODEUS
Ich habe keine Macht, sie zu befreien. Das ist nicht mein Amt, Ketten zu lösen. Befreiung? Wer hat die gute Seele denn so bekümmert, ich oder du?
FAUST
Trage mich zu ihr! Ich will sie erlösen!
ASMODEUS
Da gibt es noch eine Blutschuld! Auf den Menschenmörder haben noch Rechte die höllischen Geister.
FAUST
Gib nicht immer andern die Schuld! An allem Übel der Welt bist du selber schuld! Bring mich rasch zu der guten Seele, gebiete ich dir!
ASMODEUS
Sei’s drum. Aber ich habe nicht alle Macht im Himmel und auf Erden. Ich kann allerdings den Wächter einschläfern. Die gute Seele befreien, das musst du schon selber tun. Ich werde die Hengste holen.
FAUST
Auf, reiten wir rasch zu ihr!


NACHT. OFFENES FELD


Faust und Asmodeus reiten auf schwarzen Rossen.

FAUST
Ein Nebelschleier überm Hexenhügel!
ASMODEUS
Die Hexen spreizen ihre Drachenflügel!
FAUST
Mit Schwänzen peitschen dort die Riesenechsen!
ASMODEUS
Die Schwarze Messe feiern da die Hexen!
FAUST
Wer ist die Frau, die ich dort oben schau?
ASMODEUS
Die Göttin Lilith - - - Adams erste Frau!


IM TIEFSTEN VERLIESS


Una Poenitentium (vormals Röschen genannt) in Ketten. Faust vor der Tür mit brennender Fackel und Schlüsselbund.

FAUST
Es geht ein Messer durch meine Seele! Entsetzlicher Schrecken! Muß ich noch barfuß durch die Hölle pilgern? Doch sammle dich, Seele, ich will mit der Geliebten reden.
UNA POENITENTIUM
(singt)
Meine Mutter, meine Mutter,
Dieses Weib hat mich vergessen,
Ach mein Vater, ach mein Vater,
Ach der hat mich aufgefressen,
Meine Schwester streckt die Beine,
Oh wie möchte ich mich tümmeln,
Fühl mich gleich den jungen Vögeln,
Fliegen will ich in den Himmeln!
FAUST
Geliebte! Freundin!
UNA
Ist das der Engel des Todes?
FAUST
Hab keine Angst! Ich bin’s! Ich komme, dich zu befreien!
UNA
Jetzt schon? Komm doch morgen wieder!
FAUST
Lass mich nur machen.
UNA
Ich will leben, ich will leben! Ach in der Mitte meines Lebens! Ich war doch schön in meiner Jugend, nicht wahr? Ich bin nur ein armes Weib. Ach wie schön die Blumen sind, schau doch mal, die rosa Tulpe... Ach, was hab ich getan! Ich kenne dich nicht. Ich habe mein ganzes Leben lang dich nicht Einmal angeschaut!
FAUST
Sie ist verrückt.
UNA
Sieh doch mein Kind! Ach, ich muß meinem Kindchen die Brust geben! Wo ist mein Kind? Da war der Knabe doch eben noch, da war er doch eben noch! Weh mir, sie haben mir meinen Knaben weggenommen! Sie sagen, ich hätte mein eignes Kind ermordet! Am Ort der Gerechtigkeit herrscht die Ungerechtigkeit! Die Richter lügen!
FAUST
Geliebte, Geliebte!
UNA
Ich hör’s rufen: Geliebte, Geliebte! Ist Er das? In all meiner Todesangst kenn ich Seine Stimme, Er ruft: Geliebte, Geliebte!
FAUST
(hält ihre Hand)
O Freundin! Komm, Geliebte, ich bin’s! Ich bringe dich ins Leben zurück! Komm mit mir in die Freiheit!
UNA
Küss mich!
FAUST
Ich gebe dir tausend Küsse, zehntausend Küsse, aber nicht im Kerker hier, sondern dort in der Freiheit!
UNA
Küss mich! Oh du kannst küssen! Oh wie du küssen kannst! Küss mich, sonst küss ich dich!
(Sie küsst ihn.)
Küsse ich den Engel des Todes?
FAUST
Komm! Zehntausend Küsse, mehr als der Sand am Meer, aber komm, komm in die Freiheit!
UNA
Du löst die Ketten?
FAUST
Komm, komm rasch, Geliebte!
UNA
Meine Mutter ist tot, mein Kind ward mir genommen! Dein Liebling, mein Freund! Lieber Gott im Himmel! Du bist doch kein Traum? Mein Freund, gib mir deine Hand! Ach, ich werde verrückt!
FAUST
Ich sterbe vor Schmerzen!
UNA
Nein, du musst noch leben bleiben! Wer soll denn sonst mein Grab pflegen? Leg mir meinen kleinen Knaben an den Busen! Gib mir deine Hand, mein Freund, du bist mein Ehemann.
FAUST
Siehst du mich? Hörst du mich? Ich bin’s! Ich bin gekommen, dich in die Freiheit zu holen!
UNA
In die Welt? Auf keinen Fall! Ich will in die Ewige Ruh!
FAUST
Die Tür ist offen, komm!
UNA
Da warten welche...
FAUST
Freundin, Geliebte, in die Freiheit komm!
UNA
Siehst du meinen kleinen Liebling? Er weint! Rette meinen Sohn! Rette unsern Liebling! Bring ihn in Sicherheit!
FAUST
Dich will ich retten! Deine Seele!
UNA
Meine Großmutter sitzt im Sessel. Ihr Kopf ist herabgesunken. Ihr Strickzeug liegt in ihrem Schoß. Sie macht die Augen auf und lächelt mich an.
FAUST
Ich sehe die Wimpern der Morgenröte, Geliebte, Freundin!
UNA
Der Morgenstern ist aufgegangen in meinem Herzen. Das ist mein Hochzeitstag! Ach, du warst ja schon in der dunklen Nacht vor dem Hochzeitstag im Schoße deiner Geliebten, bekenn es nur! Ach, ich verlasse dich nicht. Wir werden uns wiedersehen. Die Glocke! Hörst du? Die Glocke läutet die Morgenmesse ein!

(Asmodeus tritt ein.)

ASMODEUS
Mein Hengst wird unruhig. Mein Hengst wiehert schon brünstig.
UNA
Schick den da weg, schick den Satansbraten weg! O Mütterchen Gottesmutter! Rette mich, Mütterchen Gottesmutter! Adieu, mein Freund!
FAUST
Ich verlasse dich nicht!
UNA
Mütterchen Gottesmutter, ich lege meine Seele in deinen Schoß! Adieu, Geliebter, pass gut auf dich auf!
ASMODEUS
Sie muß vor den Richter!

(Asmodeus verschwindet mit Faust. Una Poenitentium bleibt allein zurück.)

UNA
(verhallend)Mein Jesus, Barmherzigkeit...........