Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

SIDDHARTA




Ein Mysterienspiel
Von Hermann Hesse
Wiedergeboren in Josef Maria Mayer

Das göttliche Juwel ist in der bräutlichen Lotosblüte...“



ERSTE SZENE


(Prinz Siddharta im Harem.)

HAREMSDAMEN
Prinz Siddharta, gefällt es dir nicht mehr in deinem Harem? Warum willst du fort aus unsern Armen?
SIDDHARTA
Ich sah, und siehe, was ich sah, war ein weiblicher Krüppel, da fragte ich den weiblichen Krüppel: Wer bist du? Und der weibliche Krüppel sprach: Ich bin die Krankheit! Dann sah ich eine alte Bettlerin halbnackt um altes Gemüse betteln und sich wegen ihrer Flöhe kratzen, und ich sagte: Wer bist du? Und sie sagte: Ich bin das Elend! Und dann sah ich eine junge schöne Frau, und sie hauchte ihren Atem aus mit den Worten: Ich habe keine Lust am Leben mehr! Ich dachte nach, wer sie sei, und ich erkannte: Sie ist der Tod!
HAREMSDAMEN
Vergiss deine traurigen Gedanken und sauge an der Quelle des Lebens, an unsern vollen Brüsten!
SIDDHARTA
Was soll ich Leben saugen? Leben ist Leiden! Die irdische Daseinsweise ist Schmerz, Schmerz, Schmerz! Ich suche nicht Leben, ich suche Erlösung vom Leben!
HAREMSDAMEN
Erlösung? Weißt du, wer dich erlöst von allem Kummer? Kama, der Gott der Liebe, löst alle Spannungen deiner Glieder!
SIDDHARTA
Ach, die flüchtige Lust hab ich genossen, es war ein Glücksmoment in dem Orgasmus. Und dann war die Nacht wieder da, das Leid!
HAREMSDAMEN
Was klagst du über Leiden? Weißt du nicht, was Kama gebietet? Kama gebietet: Liebe so sehr, bis es weh tut!
SIDDHARTA
Das Leiden vernichtet den Menschen. Also muß der Mensch das Leiden vernichten. Aber da das Leben als Ich ein Leiden ist, muß das Leben als Ich vernichtet werden. Darum will ich zum reinen Nichts werden!
HAREMSDAMEN
Prinz Siddharta, bleibe Mensch! Sei ein Mann, Siddharta! Der Gott der Liebe ist Gott, und die Liebe der Geliebten schenkt dir die Erfahrung des Gottes der Liebe.
SIDDHARTA
Nie wieder Zeugungslust! Nie wieder Schöpfungswonne! Meine Liebe ist das Nichts! Meine Geliebte ist die Ich-Vernichtung!


ZWEITE SZENE


(Prinz Siddharta auf dem Feg zum Feigenbaum der Erleuchtung, dem Ficus religiosa. Die drei reizenden Töchter des Totengottes Mara versuchen ihn zu bezirzen und ihn in den niederen Bereich der Sinnlichkeit herabzuziehen.)

MARAS TÖCHTER
Prinz Siddharta, schau uns drei Töchter an, drei Töchter Eines allmächtigen Gottes!
SIDDHARTA
Wie ist der Name eures Vater, des Gottes?
MARAS TÖCHTER
Mara ist des Gottes Name.
SIDDHARTA
Das ist der Tod!
MARAS TÖCHTER
Wir aber sind das blühende Leben! Schau mein Becken, gebaut, zu gebären und wiederum zu gebären, Leben um Leben!
SIDDHARTA
Ihr gebärt eure Söhne für den Tod!
MARAS TÖCHTER
Schau meine Brüste, gefüllt mit Milch, ich stille allen Liebesdurst!
SIDDHARTA
Ihr ernährt eure Söhne für den Tod!
MARAS TÖCHTER
Schau meine Lippen, weich gebildet zu Liebkosungen der Liebe!
SIDDHARTA
Das Ende der flüchtigen Lust ist der Tod!
MARAS TÖCHTER
Wir kennen alle Künste der Kopulation, du wirst auf Erden schon erfahren die Glückseligkeit, die die himmlischen Götter und Göttinnen haben im weltenschöpferischen Liebesspiel!
SIDDHARTA
Auch die Götter sterben. Vielleicht tausend Äonen lang kopulieren Deva und Devi, dann müssen auch die Götter sterben.
MARAS TÖCHTER
Aber auf den Tod folgt neues Leben.
SIDDHARTA
Neues Leben – neues Leiden? Nein danke! Ich will den Tod der Leiden, ich will den Tod des leidvollen Lebens, ich will versinken in der absoluten Apathie, losgelöst vom Leben, abgelöst vom Dasein, erlöst vom Ich! Ich will Alles vergessen und werden wie in jenem Moment, da ich noch nicht geworden war. Meine Erlösung ist die Nichtexistenz!
MARAS TÖCHTER
Probiere doch einmal die Zeugungslust! Probiere doch einmal die Schöpfungswonne! Kopuliere mit einer Geliebten wie ein Gott!
SIDDHARTA
Glücklicher sind die Toten als die Lebenden! Glücklicher aber als die Toten sind die Seelen, die nie geworden sind!


DRITTE SZENE


(Prinz Siddharta erfährt die Erleuchtung und wird zum Buddha. In der Erleuchtung erfährt Er die mystische Vereinigung mit Seiner Buddha-Shakti.)

BUDDHA
Ficus religiosa!
BUDDHAS SHAKTI
Ich sehe deine Gottwerdung!
BUDDHA
Ficus religiosa!
BUDDHAS SHAKTI
Ich sehe deinen omnipotenten Gott!
BUDDHA
Ficus religiosa!
BUDDHAS SHAKTI
Ich kniee vor deinem Gott!
BUDDHA
Ficus religiosa!
BUDDHAS SHAKTI
Das ist die Mund-Kommunion!
BUDDHA
Ficus religiosa!
BUDDHAS SHAKTI
Das ist die knieende Mund-Kommunion!
BUDDHA
Ficus religiosa!
BUDDHAS SHAKTI
Durchströmt dich jetzt die schöpferische Energie des Geistes?
BUDDHA
Ficus religiosa!
BUDDHAS SHAKTI
Bist du jetzt auf dem Höhepunkt der Erleuchtung?
BUDDHA
Ficus religiosa!
BUDDHAS SHAKTI
Entleere dich von dir selber!
BUDDHA
Ficus religiosa!
BUDDHAS SHAKTI
Dein erleuchteter Leib in meinem Mund!
BUDDHA
Ficus religiosa!
BUDDHAS SHAKTI
Weißes Juwel deiner göttlichen Menschheit in der roten Lotosblume meines Mundes!
BUDDHA
Ficus religiosa!
BUDDHAS SHAKTI
Bist du in deinem Paradies?
BUDDHA
Ja! Ich bin der Ewige Urbuddha in der Leere meines Nirwana!


VIERTE SZENE


(Buddhas Mutter Ma ist ein wunderschönes junges Mädchen. Ein alter Eremit will sie liebkosen.)

MUTTER MA
Bevor der Ewige Urbuddha in meinem keuschen Schoß als Prinz Siddharta geboren worden, verkündete ein weißer Elefant mir seine Geburt.
EREMIT
O Mutter Ma, du makelloses Mädchen! Wie lieblich ist der Schoß, der den Ewigen Urbuddha empfangen hat! Wie himmlisch sind die vollen Brüste, daran der Ewige Urbuddha lag und sog!
MUTTER MA
Eremit, ich bin die keusche Lotosblüte, die über dem schlammigen Teich die makellose Blüte rein erhält, unberührt von den Makeln der Welt.
EREMIT
Ja, du bist so rein, darum bist du so reizend! Laß mich doch deine makellosen Brüste betätscheln!
MUTTER MA
Du treibst geistliche Unzucht!
EREMIT
Aber du erscheinst mir wie die menschgewordene Große Leere, in die ich mich selbst entleeren will!
MUTTER MA
Für euch Mönche gibt es nichts als Lust und Verirrungen!
EREMIT
Mädchen, Mädchen, mein Mädchen! Ich möchte selber der weiße Elefant sein und mit meinem heiligen Schlangenrüssel den Ewigen Urbuddha in deinem Schoß zeugen!
MUTTER MA
Willst du etwa als Schlange wiedergeboren werden? Lege die alte Schlangenhaut ab und lege die neue Schlangenhaut Buddhas an!
EREMIT
Auf der aufgerollten Schlange thront der Gott.
MUTTER MA
Auf der Lotosblüte meines Schoßes thront der Gott!
EREMIT
Ich will mich mit dir vereinigen!
MUTTER MA
Ich lade dich in meine Lotosblüte ein!


FÜNFTE SZENE


(Buddha ruft seinen Jünger Nanda von der Frau weg.)

BUDDHA
Nanda, komm und folge mir!
NANDA
Meister, wo wohnst du?
BUDDHA
Komm und schaue!
NANDA
Laß mich erst Abschied nehmen von meiner Frau!
BUDDHA
Ich sah dich schon, als du unterm Feigenbaum saßest, unterm Ficus religiosa meditierend.
NANDA
Jetzt weiß ich: Du bist der Erleuchtete, du bist der Ewige Urbuddha, inkarniert in Gautama Buddha.
BUDDHA
Weil ich sagte, dass ich dich unterm Ficus religiosa meditieren sah, darum ging dir das dritte Auge auf? Du wirst noch größere Wunder schauen, wenn du mir folgst.
NANDA
Meine Frau hat eingewilligt und gesagt: Wenn der Meister dich ruft, so folge du! Für mich ist gut gesorgt, mein Mann. Aber ich werde meinen Gatten vermissen, besonders in den Nächten.
BUDDHA
Wende dich ab von der Welt! Die Frau ist Prakriti, die Natur, die Materie, die Sprache des Alltags. Die Frau zieht dich hinab zur animalischen Sinnlichkeit und zur weltlichen Geschäftigkeit. Du aber bist berufen zur Erleuchtung, als Tropfen zu verschmelzen mit dem seligen Ozean der Leere!
NANDA
Ach, guter Meister, höre mich seufzen, wenn ich dir gestehe, dass ich die lustvollen Kopulationen mit meiner Gattin im Ehebette vermisse! Wie selig war ich doch in jenen Momenten, da mein Weib sich mir körperlich schenkte! In den Augenblicken der Lust, meinte ich, ins Paradies zu fliegen!
BUDDHA
Ich zeige dir eine größere Liebe.


SECHSTE SZENE


(Buddha und Nanda im Paradies des Reinen Landes. Himmlische Asparas, engelgleiche Nymphen, mit himmlischen Körpern und perfekten Reizen umgeben den Jünger.)

BUDDHA
Auf der Himmelfahrt ins Paradies des Reinen Landes habe ich dir eine alte hässliche Äffin gezeigt. Und nun, mein Sohn und mein Schüler, wenn du diese himmlischen Nymphen betrachtest in ihrem perfekten Liebreiz, verlockend zu allen Seligkeiten höchster Lüste und Beglückungen und paradiesischen Genüssen und appetitlichen Köstlichkeiten übersinnlicher Liebe, scheint dir da nicht die Ehefrau, die du verlassen, einer alten hässlichen Äffin gleich?
NANDA
Ja! Die süßeste Wollust der Kopulation mit meinem Weib auf Erden war nur ein unendlich matter Schatten, verglichen mit der lüsternen Ekstase und den köstlichsten Genüssen der paradiesischen Wollust mit den Asparas, den übermäßig reizenden Nymphen des Paradieses! Oh, ein Paradies, voll von perfekten Geliebten, über alles Maß reizend, ewig lockend, ewig lüstern, ewig befriedigend und ewig reizend, wie im schäumenden Meer von göttlicher Wollust badend zwischen lauter nackter Schönheit! Höher kann die delikate Wonne nicht sein!
BUDDHA
So berausche dich sieben Weltzeitalter in dem paradiesischen Harem der himmlischen Über-Sinnlichkeit! Du wirst auch der Kopulationen mit den Nymphen des Himmels noch überdrüssig werden und nur doch Eines suchen!
NANDA
Was aber soll mir eine Vereinigung mit der Absoluten Leere? Was soll mir ein verlöschendes Versinken in der Umarmung des Ewigen Nichts? Wie sollte das schöner sein als von Ewigkeit zu Ewigkeit delikateste Paradieseslüste zu genießen, in Einer Ewigen Liebe von ewigen Befriedigungen und ewigen Reizungen?
BUDDHA
Wenn du mir folgst, werde ich dich eine Stille schauen lassen, die so schön ist, dass dir selbst die allerhöchste Göttin der Lust wie eine alte hässliche Äffin erscheint!


SIEBENTE SZENE


(Der Meister Buddha und sein Jünger Nanda in leuchtenden weißen Gewändern mit himmelblauen Gürteln um die Lenden des Gemütes stehen hoch über dem Paradies des Reinen Landes am Saum des Ozeans der Absolutheit. Es ist wie ein kristallenes Meer von Licht. Es ist ein weißes Licht in bunten Farben und eine schweigende Harmonie von Tönen.)

BUDDHA
Was war dein Credo, als du in der Welt gelebt?
NANDA
Ich glaubte an ein ewiges Werden und Vergehen und Werden.
BUDDHA
Und da du die Werdelust in der Welt der Dinge gesucht, warst du da glückselig? Oder fandest du nicht vielmehr, dass alle die Werdelust und alle Liebe zum Leben nichts als Leiden war, nichts als Schmerzen, Schmerzen, Schmerzen?
NANDA
Ja, wahr.
BUDDHA
Und wünschtest du in den Leiden des Elends, der Krankheit und der tausend Tode nicht manchmal, nie geworden zu sein?
NANDA
Das schien mir die Erlösung von allen Leiden des Lebens.
BUDDHA
Und wie war deine Individualität, als du in der Welt von Werden und Vergehen gefangen warst?
NANDA
Meine Stimme war von Anfang an ein Heulen! Meine Seele war eine einzige Träne!
BUDDHA
Und nun versenke die einsame Träne deiner Seele in den lichten Ozean DES UNGEWORDENEN!
NANDA
Die Trauer meiner Seele ertrinkt in dem kristallreinen Meer DES UNGEWORDENEN!
BUDDHA
Ist da noch irgend etwas Seiendes?
NANDA
Nur noch die Absolutheit DES UNGEWORDENEN, welches verglichen mit all dem Seiendes wie ein reines Nichts ist.
BUDDHA
Wer bist du?
NANDA
Ich bin Eins mit DEM UNGEWORDENEN.