Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

DIE PASSION DER NEUEN EVA




Von Angela Carita
In deutsche Zunge übertragen von Josef Maria Mayer


ERSTES KAPITEL
DER TRAUM VON MELANCHOLIA

1
Heute morgen, als ich über dich meditierte, Melancholia, brachte ich dir eine Opfergabe meiner Spermien dar.
2
Ich habe der einen und einzigen Frau in der Welt gehuldigt, die ein vollkommener Ausdruck der Leiden war, die sie die Leiden tiefer empfand als jeder andere Mensch, ein Leiden, welches unaussprechlich war. Aber dieses Leiden, Melancholia, ist die Essenz deiner Magie.
3
Oh, wie schön sie war! Melancholia vom heiligen Engel war ihr Name, sie war per Definition die Schönste aller Frauen!
4
Rainer Maria Rilke hat Lamentationen über sie gedichtet.
5
Melancholia war ein Enigma, eine Phantasie, ein Traum. Eine Frau? Ah, sie war eine Frau!
6
Du warst pure Mystifikation, Melancholia.
7
Melancholia wies auf ihre schwarze Verzweiflung hin wie ein heiliger Märtyrer auf die Wunde seines Martyriums.
8
In meiner Jugend liebte man die Romantik. Heute gilt nur noch Gesundheit. Starke Frauen mit durchtrainiertem Körper, das gefällt. Ach, immer nur Körper, Körper, und zur Hölle mit der Seele!
9
Aber Melancholia war die inkarnierte Nekrophilie.
10
Sie war ein reiner Traum, inkarniert im reinsten Fleisch.
11
Ich liebte sie, weil sie nicht von dieser Welt war.
12
Melancholias Berufung war das Leiden. Leiden war ihr Charisma.
13
Ich schrieb ein langes letztes Adieu an das Idol meiner Jugend.
14
Ich hatte zu jener Zeit eine Freundin, die sah, wie ich litt beim Gedanken an Melancholias Kreuzigung. Meine Freundin tröstete mich, indem sie sich über meinen Schoß beugte und am Phallus sog, bis er sich ergoss.
15
Mein Name ist: Herr Evelin.


ZWEITES KAPITEL
LAYLA

1
In New York fand ich nichts als die dunkle Nacht.
2
Ich sah verliebte Nachtwandler, die das Unglück liebten und die in ihren Schlafanzügen wie Somnambulisten durch die Hallen des Hotels wandelten, verzweifelt ihre Hände ringend.
3
Die Frau, die Frau! Was ist mit dem Wort eigentlich gemeint? Ich sah an den Mauerwänden das Zeichen der Venus, das Zeichen der Weiblichkeit, im Innern des Kreises war eine Vulva, mit Zähnen bewehrt. Hüte dich vor den Weibern! Gott bewahre dich!
4
Es war Juli, die Stadt war heiß und drückend. Ich war unruhig von der Luna, mein Hemd war nass von Schweiß. Ich war erstaunt, so viele Bettler in den Gassen zu sehen, wo sich die Säufer mit den Ratten um den Abfall stritten.
5
Die Ratten liebten die schwüle Hitze. Ich konnte kaum am Kiosk Tabak kaufen, ohne dass ich mit den Füßen Dutzende Ratten treten musste, schwarze Monster der Hölle.
6
Ein Mann war nach Indien gegangen, er wollte dort seine Seele retten. Bevor er New York verließ, warnte er mich noch vor dem Kältetod des Universums. Wir hätten nur noch wenig Zeit, darum müssten wir uns jetzt intensiv um die spirituellen Fragen kümmern.
7
Eines Tages regnete es Schwefel, der Regen überschwemmte alle Straßen.
8
Es schien, als sei Gott gekommen auf einem himmlischen Rad, um zu erklären, das Weltgericht stünde nahe bevor.
9
Missionare zogen durch die Straßen, Psalmen und Lobpreis singend.
10
Oft sah ich das Zeichen der Frau mit den Zähnen in der Vulva. Ich sah eine Frau, gekleidet in schwarzes Leder, sie trug am Armband dieses Zeichen. Sie schüttelte ihre langen schwarzen Haare, bewegte die Lippen vulgär, griff mit der Hand zwischen meine Beine und lachte über meine unwillkürliche Erektion. Dann wandte sie sich auf den High-Heels lachend um und eilte davon.
11
Ich wollte an der Universität Philosophie studieren.
12
Das Zeitalter der Vernunft ist vorbei!
13
Ich traf einen Alchemisten. Er lud mich in seine Wohnung ein. Ich sah dort Bücher von Johannes Reuchlin, Jakob Böhme und Agrippa von Nettesheim.
14
In dem Zimmer des Alchemisten hing ein Gemälde, einen alchemistischen Hermaphroditen darstellend. Hermaphroditus hatte weibliche Brüste und ein männliches Glied. Sein Antlitz war friedfertig.
15
Chaos, die Ur-Substanz, die prima materia, Chaos ist der Urzustand der Schöpfung. Blind strebt das Chaos zur Verwirklichung verborgener Urphänomene. Fruchtbar ist das Chaos, der Anfang aller Anfänge.
16
Das Gold des Alchemisten schenkte ich einer Frau namens Layla, sie war schwarz gekleidet und hatte lange schwarze Haare. Nigredo, Schwärze, das ist der Urzustand der chaotischen Materie. Dann tritt die Purifizierung ein.
17
Chaos enthält alle einzelnen Formen in einem Zustand ursprünglicher Mischung.
18
Wir weihten uns der dunklen Nacht, dem Tod des Ego. Wer will auferstehen, ohne zuvor gestorben zu sein?
19
New York war eine alchemistische Stadt, die Stadt des Chaos, die Stadt des Nigredo, der dunklen Nacht. Gebaut war die Stadt wie die Himmlischen Städte des Chinesischen Kaiserreichs, geplant gemäß der Doktrin der Vernunft.
20
Der Alte Adam wollte seinen Vater töten, seine Mutter erkennen. Reintegration der ursprünglichen Form, nannte das die Schwarze Göttin der Weisheit, spreizte ihre Beine und stülpte ihre Vulva über meinen Phallus. Nein, wir können nicht den geringsten Hauch von diesem Verlangen aussprechen in der Sprache evangelikal-puritanischer Rationalität, selbst wenn die Ratten als Ausdruck dieses Begehrens uns wie Schatten der Hölle bedrängen.
21
Eines Tages im Sommer am Washington Square sah ich Ratten, groß wie sechs Monate alte Babys, die sich auf einen deutschen Hirten stürzten, aber auf den Pfiff einer unhörbaren Pfeife hin stürzte sich der Hirtenhund auf die Ratten und verjagte sie. Die Ratten aber stürzten sich auf einen sechsjährigen blonden Knaben und fraßen ihn bei lebendigem Leibe auf.
22
Ich traf die Frau wieder, die sich Layla nannte, und verbrachte viel Zeit mit ihr.
23
Ihr Geschlecht entbrannte unter meinen Fingern. Sie war unersättlich! Aber sie zelebrierte den Liebesakt mehr wie einen spirituellen Kult, als dass sie ihn rein sinnlich genoss. Es war, als würde sie getrieben von einem Liebesakt zum andern, es war eine nie zu befriedigende Kuriosität. Sie unterwarf sich wie eine Sklavin, aber nicht mir, sondern dem geheimnisvollen Ritual, das einem Exorzismus durch rituelle Sexualität glich. Ihre enorme Sinnlichkeit diente nur dazu, diesen sexuellen Spiritismus zu vollziehen.
24
Sie war schwarz wie die Quelle des Schattens. Ihre Haut war bräunlich und viel zu weich und sanft. Ihre Haut schien fast zu schmelzen wie Schokolade im Mund.
25
Manchmal klang ihre Stimme mehr wie die einer verlassenen Turteltaube als wie die Stimme einer Frau. Manchmal klang ihre Stimme wie die einer einsamen Nachtigall, Arien des Verlangens trillernd und Einladungen schmetternd.
26
Ich war total verloren in eben dem selben Augenblick, da ich sie sah.
27
Ihre Beine erregten meine Aufmerksamkeit als erstes. Ihre Schenkel schienen zu zittern, als wolle sie selbst in aller Ruhe pressen und drücken. Ihre Beine waren die Beine von ägyptischen Stuten. Die hohen schwarzen High-Heels, die sie trug, erhöhten den Reiz ihrer Beine. Ihr Schlendern war von einer spezifischen Erotik. Sobald ich ihre Beine sah, stellte ich mir vor, wie sie mir die Beine um den Nacken schlingen würde.
28
Sie trug schwarze High-Heels, Strapse an den Strümpfen, fetischistischen Netzstrümpfen. Trotz der immensen Sommerhitze trug sie einen Fuchsschwanz um die Schultern. Ich werde sie immer mit einer Füchsin assoziieren. Dieser Fuchsschwanz betonte nur das schwarze Kleidchen, das sie kaum verbarg. Ihre Haare trug sie ägyptisch wie Kleopatra hochgesteckt. Ihre Lippen waren scharlachrot geschminkt vom Lippenstift.
29
Sie lutschte an einer Zuckerstange.
30
Sobald ich sie sah, war es bei mir beschlossen: Ich musste sie haben! Sie wusste, dass ich sie anstarrte. Sie war eine Frau, und Frauen wissen immer, wenn man sie begehrt.
31
Mein Geschlecht war schon vor ihrer Tür erregt. Sie wandte sich mir zu. Ihr Kleid war ganz schwarz. Sie trug unter dem Mantel ein leichtes Hemdchen, in dem sich die Brustspitzen abzeichneten. Ihre Augen leuchteten einladend, aber mit leiser Ironie. Ihre Fußnägel waren rot geschminkt wie ihr Mund. Mit den Händen presste sie die Brüste unter dem Hemdchen zusammen zu großen Marmorbällen. Dann warf sie sich herum und ging davon. Oh, sie war eine Füchsin, die zur Sirene geworden war. Oh, sie war eine Geisterfüchsin in einem Zauberwald.
32
Sie war eine sonderbare Kreatur von der Art der Vögel. Doch nein, sie war weder eine gefiederte Kreatur, noch eine schwimmende Kreatur, noch eine schleichende Kreatur, sondern etwas von allem dem. Sie stand hoch über aller Kreatur.
33
Sie wandelte wie eine Hirtin durch die Welt, wie eine Hirtin, die mit ihrer Lämmerherde durch die Blumenwiesen wandelte. Sie duftete nach Moschus.
34
Es war, als stünde sie in einem Pentakel, so dass keiner sie sehen konnte als ich allein. Aber auch ich wurde ein Teil ihres Mirakels.
35
Sie wusste, dass ich ihr nachstieg. Oft warf sie eine glänzenden Blick über ihre Schulter. Manchmal girrte sie ein leises betörendes Lachen. Aber da war ein fremdartiger magischer Raum zwischen uns. Wenn ich ihr so nah war, dass ihr Moschusduft mich überwältigte, trat sie zurück und vermehrte den Abstand. Obwohl sie immer langsamen Schrittes ging, konnte ich sie nicht erreichen. Ich dachte, wenn sie nicht so schwere Schuhe tragen würde, würde diese Vögelin davonfliegen.
36
Sie wandte mir lachend ihr strahlendes Antlitz zu, ihr Antlitz glänzte von heiterster Fröhlichkeit.
37
Dann war sie fort. Ich aber war mit meinen Füßen in das Netz geraten, das sie mir ausgelegt hatte, ein schwarzes Stück von feinster Seidenspitze. Es war ihr Slip! Mir stockte der Atem. Ich hob den schwarzen Slip auf und wischte mir damit den Schweiß von der Stirn.
38
Eine erhaben-schreckliche Unschuld beschützte sie! Sie war wie eine Meerjungfrau, die allein lebt in der ganzen Fülle ihrer Sinnlichkeit. Sie war die gefährliche Lorelay am breiten Strom des Verkehrs. Die Lichter der Wagen waren wie Myriaden Augen, die zwischen uns blitzten.
39
Da ich den schwarzen Slip erreicht, den sie fallen gelassen hatte, barg ich mein Haupt in diesem sexuellen Stoff und presste meine Lippen auf den schwarzen Slip, als küsste ich ihr schwarzes Schamhaar.
40
Sie stand plötzlich vor mir und ließ den Fuchsschwanz fallen, da stand sie splitternackt vor mir auf ihren schwarzen High-Heels.
41
Ich war von einer unbeherrschbaren Geilheit erfüllt und von unwiderstehlichem Verlangen, sie zu umfangen. Als hätte sie mich ganz vergessen, zog sie lächelnd ihre High-Heels aus.
42
Gleich war ich auf ihr und umfing sie mit stürmischer Gewalt. Sie war nicht überrascht davon, sie lachte leise und entglitt mir wie ein keuscher Fisch.
43
In diesem Augenblick wusste ich, dass ich ihr vollkommen ausgeliefert war.
44
Meine Begierde wurde immer größer. Sie legte einen Finger auf ihre Lippen und gebot mir Schweigen. Mit der andern Hand nahm sie meine Hand.
45
Auf und ab, auf und ab, so gingen wir, bis wir in ihr Zimmer kamen.
46
Ich küsste sie. Ihre Lippen hatten einen merkwürdigen Geschmack, einen Geschmack wie den Geschmack exotischer Früchte, einen Geschmack wie den Geschmack mysteriöser Früchte, die erst essbar sind, wenn sie schon zu verfaulen beginnen.
47
Wir atmeten beide hastig. Meine Existenz war aufgelöst. Ich war nichts als Glied. Ich warf mich auf sie. Sie war das Opferlamm des Geiers, aber gleichzeitig war sie die Jägerin und ich der Hirsch. Mein vollaufgeblühtes Glied drang in die offene Wunde zwischen ihren Schenkeln. O Layla, du Gabe der Mutter Nacht für mich, du Gnade der alchemistischen Stadt!
48
Wie verdienst du dein tägliches Brot, Layla? Sie war ein Modell der Schönheit, eine Bauchtänzerin, sie tanzte manchmal Striptease-Tänze.
49
Warum gerade ich, o Layla, warum gerade ich? Warum schenkst du dich mir in solcher Rokoko-Galanterie? Aber sie kicherte leise und gab mir keine Antwort.
50
Ich verstand kein Wort von dem, was sie sagte. Aber ich war verrückt nach ihr. Ich warf mich viele Male morgens über sie, aber sie zeigte sich nie befriedigt.
51
Was tat sie denn den ganzen Tag? Sie lag in ihrem großen schwarzen Eisenbett, aß Haschisch-Kekse und fummelte verträumt mit ihren Fingerspitzen an ihrer Klitoris.
52
Sie steckte mir einen großen Haschisch-Keks in den Mund. Sie war einfach unnatürlich unverantwortlich. Sie selbst schien im Innern ihres Körpers spazieren zu gehen. Ihr Fleisch war samten wie das Innere eines Damenhandschuhs. Ich leckte ihren ganzen Körper ab. Das Chaos lieferte sie ganz meiner Wollust aus.
53
Sie tanzte einen Nackttanz vor mir und bespiegelte sich dabei in ihrem großen Spiegel. Sie war mein Schatten. Ich bat sie, sich auf den Rücken zu legen und ihre Beine zu spreizen, weil ich in einer medizinischen Wissbegierde wie ein Gynäkologe ihre Klitoris erforschen wollte. Manchmal hockte sie sich mitten in der Nacht auf mein Glied und befriedigte sich an mir, dieweil ich schlief. Ja, ich hatte Sex mit einem Succubus wie ein Heiliger.
54
Ich liebte es, ihr am Abend zuzusehen, wie sie sich ankleidete. Ich lag auf ihrem Bett wie ein Pascha und rauchte und betrachtete sie in ihrem großen Spiegel, beobachtete die Transfiguration der kleinen Blüte, die den ganzen Tag geschlafen hatte, in eine große Blume, die des Nachts erblühte. Aber sie blühte nicht einfach auf wie eine Blume, sondern sie kontemplierte ihre Gestalt im Spiegel. Ihre nächtliche Schönheit war ein Kunstwerk, eine schwere Arbeit. Sie schien absorbiert zu werden von der Kontemplation ihres Spiegelbildes. Die konkrete Gestalt der Layla vor dem Spiegel war extrem verführerisch, aber die Layla im Spiegel, die Layla hinter dem Spiegel war undefinierbar und mystisch verschleiert. Dann zog die konkrete Layla die Layla des Spiegels an in einem magischen Ritual. So wurde Layla zu einer Reflektion aus der unsichtbaren Welt.
55
Nacht für Nacht verzauberte sie mich. Oh mein häusliches Bordell! O die Fülle der Wollust des Fleisches in zuckenden Muskeln! Scharlachrote Lippen des Mundes! Maskara für die Augenwimpern! Parfüm auf ihrem Schamhaar! Sie benutzte dunkle Parfüme, obwohl ihr körpereigner Geruch der reinste Sexualduftstoff war!
56
Bist du Layla? Oder bist du Lilith ? Oder bist du die schmutzige Lili?
57
Ihre Kleider waren aus Seide oder Samt. Sie trug schwarze Netzstrümpfe. Ihre High-Heels waren von schwarzem oder rotem Leder. Sie war Rahab, die heilige Hure der Bibel, die Mutter des Messias, die Rose von Jericho! Ihre Schultern ließ sie nackt. So ging sie aus dem Hause wie ein Ministrant zur Sonntagsmesse. Sie kam erst morgens um sechs wieder mit einem Atem von Likeur.
58
Zu beobachten, wie sie sich ankleidete, wenn sie abends ausging, das war für mich ein Ritual, aber in Gedanken zog ich sie aus, Stück um Stück. Je mehr Kleider sie anlegte, umso nackter stand sie vor meiner Einbildungskraft. Sie erlaubte mir, sie in ihrem Spiegel zu betrachten als die pure Verkörperung all meiner erotischen Träume.
59
Sie liebte es, sich zu stylen. Sie wollte nicht, dass ich sie küsste, wenn sie sich schon die Lippenschminke aufgelegt hatte, damit die Lippenschminke nicht verwische. Aber ich drückte sie an die Wand und presste meinen Körper an ihren Körper, aber während sie ihre Fingernägel in meinen Hintern krallte, hauchte sie: Nein!


DRITTES KAPITEL
DIE MAGNA MATER


1
Ich kam an den Ort, wo die Frau wohnte, die sich Magna Mater nannte, Große Mutter. Sie war die Große Göttin, die ihre Priester entmannte. Die beschnittenen Priester der Magna Mater Kybele rannten blutend, psalmodierend, wie Wahnsinnige durch die Straßen. Diese Frau hat viele Namen, aber die Mädchen sagten einfach: Mama. Mama war eine Gottheit im weiblichen Körper. Ihr Körper hatte eine Metamorphose durchlebt und war jetzt zu einem abstrakten Symbol des Ewigweiblichen Urprinzips geworden. Sie war Frau Weisheit, die Große Alchemystikerin, die magische Experimente machte. Ich, Herr Evelin, war von der Mutter auserwählt worden, dass sie ein geheimnisvolles Experiment mit mir machte. Ich selbst war allerdings völlig ahnungslos.
2
Wenn ich jetzt etwas verstehe von der Natur des Fleisches, so habe ich meine Illumination empfangen von der Magna Mater, als die Majestätische Mama mit ihrem Messer von schwarzem Obsidian mich entmannte, so dass Herr Evelin zur Neuen Evi wurde.
3
Ich bin übernatürlichen Wesens, das müsst ihr wissen. Dennoch, wenn man mich mit einem Messer schneidet, so blute auch ich.
4
Ich war unaussprechlich hilflos, in einem fremden Land, an einem fremden Ort, wie begraben in einem dunklen Raum, wie ein Straußen-Ei vergraben in der Wüste. Ich glaube, ich schrie verzweifelt nach meiner leiblichen Mutter, aber da hörte ich nur ein kaltes höhnisches Lachen!
5
Weine nur, mein Kind! Schreie nur, mein Kind! Ah, keine Demütigung ist so demütigend wie die Demütigung eines kleinen Kindes durch die eigene Mutter!
6
Jesus sprach: Außer wenn ein Mensch stirbt und neu geboren wird, kann er nicht in das Himmelreich kommen.
7
Die Stimme einer Frau sagte mir: Nun bist du im Geburtskanal.
8
Ich hörte leise, einlullende Chöre wie das Rauschen des Meeres. Die warme rote Stelle, wo ich lag, war der Plazenta des Uterus gleich. Die Musik verhallte. Ich hörte nichts mehr als allein das Pochen meines Blutes in meinen Ohren.
9
Ich erfuhr einen metaphysischen Schrecken! Der Schrecken schüttelte mich durch, wie ein kleines Mädchen ihre Puppe schüttelt, so ward ich fast zerstört! Im Schimmer einer roten Laterne hörte ich wilde archaische Musik. Selbst meine erholsamen Stunden standen außer meiner eignen Kontrolle, sie waren exakt geplant von der Großen Mama des Matriarchats. Sie sandte mir diese in schwarzes Leder gekleidete Frau, die wilde Layla, die mich in die Wüste geführt hatte.
10
Kehre zurück, kehre zurück an die Quelle des Lebens!
11
Ich war ein Gefangner der Großen Matrone.
12
Aber da tat sich meine Kerkertür auf und eine Jungfrau erschien. Eine Jungfrau, eine Jungfrau, was für eine Jungfrau! Die Jungfrau stand strahlend in der offenen Tür.
13
Die strahlende Jungfrau öffnete Tür um Tür und führte mich zu einem großen Spiegel. Ich war feminin gekleidet und sah wirklich appetitlich aus! Ich sah aus wie die Zwillingsschwester der strahlenden Jungfrau.
14
Die Jungfrau beehrte mich mit dem charmantesten Lächeln. Es war das wissende Lächeln der Sphinx. Ein wenig gab ihr dies Lächeln aber auch das Aussehen einer sanften Idiotin oder einer wilden Bacchantin.
15
Sie führte mich durch ein Labyrinth, dem Labyrinth des inneren Ohres gleich, nein, tiefer noch, dem Labyrinth des Gehirnes gleich. Sie führt mich durch eine Sphäre des Innern. Ihre sanfte Hand wischte alle Spinnengewebe fort und führte mich in den Abgrund der Innerlichkeit.
16
Die Jungfrau schritt dahin, als sei sie im Besitz einer absoluten Jungfräulichkeit, so dass kein Schlüssel jemals dies Schlüsselloch aufschließen kann. Ihr Name war Sophia.
17
Tiefer, tiefer, immer tiefer führte mich Sophia, sie führte mich labyrinthische Gänge, als schritte ich ein Mandala ab. Je tiefer wir diese Spirale hinabstiegen, desto wärmer wurde es. Sophia hatte mich an die Hand genommen und führte mich, wie eine Hirtin ihr Lamm.
19
In dem Augenblick, da ich sie sah, wusste ich, sie hat mein ganzes Leben lang auf mich gewartet. Aber in meinem Leben hatte ich die Zeichen nicht erkannt, dass sie auf mich wartete. Aber sie saß in ihrem Thron und wartete geduldig wie eine hinduistische Göttinnenstatue. Ihr Glanz offenbarte mir, dass sie heilig war. Mama hatte das ewigweibliche Ursymbol zu einem Faktum gemacht. Als ich sie sah, da war mir, als kehre ich in die innere Heimat zurück. Sie war die Große Prophetissa, die Schwarze Göttin der Weisheit, die sich selbst erschaffende Gottheit. Zu Ihr haben mich alle Frauen geführt. Denn alle Frauen sind Eine Frau. Als Layla mich in der dunklen Nacht in ihr Bett gelassen, da hatte die Große Mama alle Ereignisse konspirativ gelenkt. Layla war die Verführerin, doch Layla hat mich geführt zur Großen Mama.
20
Ich war im Focus der dunklen Nacht. Ich war in einer feuchten Grotte, die innen rötlich schimmerte. Hier war das Schicksal aller Menschen, das mystische Schweigen in der dunklen Nacht, das Unerreichbare. Es war, als brächte mich ein Orgasmus ins Nirwana. Sie, jenseits der Zeit, Sie, jenseits des Raumes, Sie, jenseits aller Vorstellungskraft, Sie, immer jenseits, immer die Ganz-Andere. Zu ihr führte mich der zärtliche Finger des femininen Geistes, der mich verwandelte und neu gebar.
21
Es war eine Person im Mysterium, ein Mysterium in der Person. Es war eine künstliche Grotte mit einem Thron, darin saß die göttliche Mama. Die Jungfrau Sophia küsste die Große Mutter auf die Stirn und gebot mir, niederzuknien vor der Urgottheit.
22
Sie war ganz gekleidet in nichts als obszöne Nacktheit! Sie hatte Brüste wie eine Kuh. Ihre Gliedmaßen waren gigantisch. Ihre Hände glichen großen Palmenwedeln und lagen auf ihren breiten Schenkeln. Ihre Hautfarbe war von dem Ton einer schwarzen Olive.
23
Sie war die einzige Oase in der Wüste der Welt! Ihr Schoß war die Quelle des Lebens.
24
Ich, verbannt aus dem Nirwana, kniete vor der Ewigen Frau und wusste nicht, was ich jetzt tun sollte. Sie war die Fruchtbarkeit der Natur. Sie war die Mutter des Lebens. Sie sprach.
25
Ich hörte ein lautes Wimmern, ein Heulen: Ma-Ma-Ma-Ma-Ma-Ma-Ma!
26
Ich bin der absolute Beginn. In der einen Hand halte ich das gesamte Universum und in der andern Hand halte ich dich, Evelin. Ich bin die jungfräuliche Luna, ich bin die Majestätische Mama und die Herrin der Hetären. Ich halte den Schlüssel zur Hölle in der Hand, denn ich bin die Domina Infernorum und die strenge Gebieterin aller Dämonen. Ich bin die Gnadenmutter Anna. Ich bin die wälderdurchstürmende Mädchengöttin Diana. Ich bin Urania, Göttin der puren spirituellen Liebe. Ich bin der Meeresstern, ich bin der Morgenstern. Mein wahrer Name aber ist MARIA APHRODITISSA!
27
Wo ist der Garten Eden? Sophia fragte dies die göttliche Mutter in einer rituellen Befragung.
28
Die göttliche Mutter lächelte mich an, sehr freundlich. Ich gebe Leben, sagte sie, darum vollbringe ich Wunder.
29
Weißt du nicht, dass du in dieser Welt verloren bist?
30
Die göttliche Mutter hat dich verloren, als du gefallen bist aus ihrem Schoß. Die göttliche Mutter verlor dich vor vielen, vielen Jahren, als du ungläubig warst.
31
Komm zu mir, du armes schwaches Geschöpf, komm zu deiner Mutter, der du gehörst.
32
Die schwarze Göttin schwankte hypnotisierend hin und her auf ihrem Thron. Sophia warf alle prüde Zurückhaltung ab und wütete wie eine trunkne Bacchantin. Sie schlug den Gong, sie strich die Harfe, sie klingelte mit den Cymbeln und schlug die Klapperbleche. Bei der Musik verlor ich meinen Verstand.
33
Die göttliche Mutter rief: Ich bin die Wunde, die unheilbar ist! Ich bin die Quelle deiner Begierde! Ich bin die Quelle des Lebenswassers! Komm zu mir, besitze mich! Mythos und Leben sind eins geworden.
34
Integriere in dich die ursprüngliche Form, sprach die göttliche Mutter.
35
Ich erhaschte einen Blick auf ihre Vagina, als ich zugrunde ging. Ihre Vulva war wie ein Vulkan voll glühender Lava, kurz vor dem Punkt der Eruption. Sie neigte ihr Haupt zu mir herab, um mich zu küssen. In einem Augenblick voll Halluzinationen sah ich die weiße runde Sonne in ihrem Mund, da war ich geblendet von dem übermäßigen Licht, und es blieb mir kein Gedächtnis der Worte, die von ihrer Zunge flossen.
36
Es war das letzte Mal, dass ich den sexuellen Akt als Mann performt.
37
Ihre Schenkel pressten mich zusammen, sie zog ihre Muskeln zusammen und drückte mich aus. Sie pumpte mir all meinen Samen aus dem Glied, bis ich ins Gras fiel.
38
Die göttliche Mutter wurde immer lieblicher.
39
Die göttliche Mutter nahm mich auf ihren Schoß und drückte mich an ihre mächtigen Brüste.
40
Eines Tages wirst du erkennen, dass die Sexualität eine Einheit ist, eine Vereinigung von zwei verschiednen Strukturen. In diesen Zeiten ist es schwierig, richtig von der Sexualität zu sprechen. Herr Evelin, ich habe doch nichts gegen dich, weil du ein Mann bist. Ich denke, deine maskuline sexuelle Energie ist sehr reizend, Geliebter! Dein Ding ist ein schönes Spielzeug für ein kleines Mädchen. Aber meinst du, du machst den besten Gebrauch von deiner sexuellen Energie in deinem Körper, in dem du bist?
41
Was wollte mir die göttliche Mutter sagen? Ihr Antlitz war schwarz wie die Eclipse der Luna. Ihre warmen nahen Brüste pressten sich an mich. Ich wimmerte wie ein Kleinkind.
42
Hab keine Angst, mein kleiner Evelin, fürchte dich nicht! Du leidest? Aber ich bin doch da!
43
Sie drückte mich so dicht an sich, ich konnte mein Haupt nirgendwo anders bergen als an ihren bloßen Brüsten, obwohl ich etwas bange war, an ihren bloßen Brüsten zu saugen. Sie war von einer übermächtigen Weiblichkeit, ihre Femininität war so überaus heilig, dass ich zu verzagt war, um fortzufahren, an ihren nackten Brüsten zu saugen.
44
Mir war, sie küsste mich auf den Bauch, eben unter dem Nabel. Ich fühlte, wie ihr Atem mich erregte und ich fühlte die konvulsivische Wonne durch die Berührung ihrer sinnlichen Lippen auf meiner nackten Haut.
45
Ich sehe, siehe, die schönste Erde, bereit für die Ernte. In dem allerheiligsten und allerseligsten Schoß der Jungfrau Maria lebt das süße Brot des Lebens, ein Weizenfeld für allen Hunger aller Menschenkinder!
46
Hosanna, Hosanna!
47
Denke an die unendlichen Auen der Wonne, die ich in deinem Inneren säe, kleiner Evelin. Diese unendlichen Auen der Wonne sind den himmlischen Gefilden gleich, dem grünen Garten Eden, dem Elysium, dem Paradies.
48
Ich bin die Magna Mater, ich kastriere den großen Phallozentrismus der Kultur des Krieges! Ich bin deine Mama! Ich bin euer aller Mama!
49
Chöre sangen: Ma-Ma-Ma-Ma-Ma-Ma-Ma! Trompeten wurden geblasen! Hosanna, Hosanna! Sie kam und ging wie eine Vision. Ihre Stimme flüsterte wie eine akustische Halluzination. Im nächsten Augenblick lag ich auf dem Boden zu ihren Füßen! Sie hob die Hände über mich und benedeite mich.
50
Heil dir, Evelin, du Begnadeter unter den Männern! Du bereitest dem kommenden Messias den Weg!
51
Da kam die Jungfrau Sophia und brachte mich an einen anderen Ort.
52
Sophia hatte mir ein heißes Bad in meiner Zelle eingelassen und es parfümiert mit köstlichem Badeöl. Sie war wie ein tüchtige Amme, sie sorgte sich um mein leibliches Wohl. Aber meine Bangigkeit blieb bei mir.
53
Die göttliche Mutter zitierte den Archetyp der Parthenogenese, der Jungfrauengeburt, aber auf eine neue Art. Sie wird dich kastrieren, Evelin, und dann wird sie dich aushöhlen und dir das einpflanzen, was wir die fruchtbare feminine Sphäre nennen. Sie wird dich zu einer perfekten Frau machen. Dann wird sie dich befruchten mit deinem eigenen Sperma, den ich gesammelt habe, als du mit der Göttin geschlafen.
54
Sophia sagte: Ist es etwa etwas Schlechtes, eine Frau zu sein wie ich?
55
Ja, sagte Sophia, du wirst eine komplette Frau, mit Titten, Klitoris, Eierstöcken, äußeren und inneren Schamlippen.
56
Ich wurde geführt wie ein Schlachtschaf zum Opferaltar. Die göttliche Mutter wartete dort mit dem Messer.
57
Tiefer hinab, tiefer, immer tiefer, kam ich in einen sanften und warmen, interuterinären Ort, verhangen mit roten Vorhängen, darin stand ein weißes Bett.
58
Sie wartete. Ich war erregt. Ihre schwellenden Brüste sahen aus wie mächtige Kirchenglocken.
59
Meine fieberhafte Imagination sagte mir, dass alle Frauen der ganzen Welt um mein Bett versammelt waren und meine Amputation fixierten. Sophia zog mich aus. Ich war nackt wie am Tage meiner Geburt.
60
Die göttliche Mutter hielt ein Messer aus schwarzem Obsidian, schwarz wie sie selber.
61
Sophia küsste und liebkoste mich.
62
Sophia sagte: Du wirst nicht mehr Herr Evelin sein, sondern du wirst die Neue Eva sein, ja, du wirst selbst die heiligste Jungfrau Maria sein! Darum sei fröhlich!
63
O dieses schreckliche Symbol des Messers! Kastriert zu werden von einem Phallussymbol!
64
Es war der Tag des Blutes, der Tag der freiwilligen Selbstkastration zu Ehren der göttlichen Mutter. Es war die scharlachrote Zeremonie meiner Transfiguration.
65
Sie erhob das Messer und ließ es niederfahren, sie schnitt mir alle meine Genitalien ab mit einem einzigen Schnitt, nahm die Genitalien mit der anderen Hand und reichte sie Sophia, die sie in die Tasche ihres Rockes steckte. Ah, sie hatte mir alles genommen! Sie hatte mir nichts als eine einzige Wunde geschenkt! Diese Wunde wird von nun an einmal im Monat bluten nach dem Befehl der Luna.
66
Das war das Ende von Herrn Evelin, der geopfert worden ist einer dunklen Gottheit.
67
Jetzt bin ich Evi, die Kurzform von Evelin.
68
In einer Illusion sah ich alle Schmerzen aller Frauen. Ich sah deine Einsamkeit, o Melancholia, deine Schwermut. Oh du, Unsere Liebe Frau von den Schmerzen, Madonna Melancholia!
69
Ich weiß, die Mutter kennt dein außergewöhnliches Geheimnis.
70
Auf meinem Krankenbett ward ich verfolgt von der visionären Melancholia. Ich schwamm in meiner Krankheit, in den Schmerzen unstillbarer Begierde, in unendlichen Träumen.
71
Mir war, als wären alle Bilder der Heiligen Jungfrau mit dem göttlichen Kind, die je in Westeuropa gemalt worden waren, an den Wänden meines Krankenzimmers in Lebensgröße.
72
Ich hörte von hohen Nonnenstimmen gesungen die Litaneien der Heiligen Mutter, die Sophia mich gelehrt hatte.
73
Evelin – Warum haben meine Eltern mich Evelin genannt? Von allen Namen der Welt wählten sie gerade den Namen Evelin. Sophia sah mich an und erinnerte mich an Layla. Sophia saß immer still an meinem Bett, wenn ab und an die Schmerzen mich überwältigten.
74
Als ich in den Spiegel schaute, sah ich Evi, ich sah mich nicht selber. Ich sah eine Frau, die dachte, sie sei ich. Ich kannte mich selber nicht mehr. Diese Evi aber erschien als eine lyrische Abstraktion von Femininität. Sie war ein Arrangement von weiblichen Rundungen. Ich berührte ihre Brüste und küsste ihren Mund. Ich sah ihre weißen Hände sich im Spiegel bewegen, so weiß, als trüge sie weiße Damenhandschuhe. Ich sah auch eine Familie. Ich sah das lange schwarze Haar, das bis zu den Hüften flutete. Meine mandelförmigen Augen waren grün.
75
Ich war eine Frau, außergewöhnlich begehrenswert. Ich knetete meine süßen Titten, bis die roten Nippel sich spitzten. Meine Brüste waren weich und schmerzten nicht, wenn ich die Brüste massierte. So ward ich mutiger, mich selbst zu liebkosen. Meine Hände glitten zwischen meine Schenkel.
76
Meine Klitoris bereitete mir solche süßen Gefühle, ich konnte kaum glauben, dass das meine eigene Klitoris war.
77
Ich, die Neue Evi, bin geworden Herrn Evelins intimste Masturbationsphantasie.
78
Die Heilige Mutter kam zu mir in mein Zimmer.
79
Die göttliche Mutter – oh Gott! – schenkte mir dunkelrote Rosen, eben solche, wie ich sie Layla gerne geschenkt hatte. Ich staunte diese Rosen an, sie waren gewachsen im irdischen Paradies.
80
Die göttliche Mutter untersuchte meine Vagina, ob sie heil war. Dann prüfte sie meine Brüste, ob sie perfekt geformt waren. Sie fühlte meine Haut, ob sie auch weich war. Evi, du sollst leben, bis du hundert Jahre alt geworden! Dann küsste sie mich und ging davon.
81
Werde ich glücklich sein, jetzt, wo ich eine Frau bin? Nein, sagte Sophia, und lächelte, wirklich glücklich wirst du erst, wenn du in der Welt der Glückseligen lebst.
82
Als du ein Mann warst, da konntest du nur fruchtbar werden, wenn du über eine Frau meditiertest. Deine Meditationen über die Frau waren oft mit Schmerzen verbunden. Aber nun, da du eine Frau bist, kannst du Leben gebären. Darum bist du zur Neuen Eva geworden, damit du der Welt den Retter schenkst, den Erneuerer der ursprünglichen Schöpfungswonne!


VIERTES KAPITEL
HERR NICHTS, DER DICHTER


1
Luna schlüpfte über den runden Horizont.
2
Ich stolperte, da fiel eine schwarze Hündin über mich her und leckte mein Gesicht ab. Hündin, du Seelenbegleiterin, führe mich durch die Unterwelt! O Gott, steh mir bei! Ich bin zu diesem Weg berufen.
3
Ich hörte eine Stimme, strengen Tones Befehle gebend. Dann hörte ich hohe Mädchenstimmen, kichernd, quatschend – Frauen! Ihre Hände fesselten mich. Sie sprachen eine Sprache, die ich nicht kannte. Sie klebten mir den Mund zu, um mich zum Schweigen zu bringen.
4
Die Mädchen brabbelten, plapperten, plauderten, quatschten, schwatzten wie ein triumphalistischer Chor. Es waren aber keine menschlichen Töne. Wessen Gnade war Evi nun auf Gedeih und Verderb ausgeliefert?
5
Ich war gefangengenommen worden von Herrn Nichts, dem Dichter. Ich ward gebracht in sein Gartenhaus in der Geisterstadt. Sie machten mich zu seiner Sklavin.
6
Herr Nichts, der Dichter, liebte die Einsamkeit, denn es ekelten ihn die Menschen an.
7
Er stand auf einem hohen Gipfel und streute seine Poeme in die Wüste aus.
8
Er hatte alle menschliche Kommunikation aus seinem Leben verbannt und sprach mit Menschen nur, wenn es absolut notwendig war.
9
Sieben Ehefrauen standen im Kreis um den Dichter und applaudierten ihm. Girlish giggle!
10
Als Herr Nichts mit mir fertig war, ging er in sein Haus zurück, gefolgt von seiner Hündin, die sich dicht an seine Hüfte schmiegte. Er schlug die Tür hinter sich zu. Die Mädchen brachten mich in den Raum, wo sie aßen und schliefen. An den Wänden hingen Bilder von indischen Göttern und Göttinnen beim Liebesakt.
11
Die Mädchen sagten mir, ich sei sehr schön. Herr Nichts würde mich vor allem Bösen beschützen. Ich sah, die Mädchen liebten den Dichter mit blinder Liebe.
12
Die sieben Mädchen hatten die engelgleichen Gesichter von jungen Nonnen, Dienerinnen in der Kirche des Herrn Nichts.
13
Es waren schöne Mädchen, wirklich hübsch in ihrer Jugend! Marion war die Älteste, sie war siebzehn Jahre alt. Lolita, die Jüngste, war eben vierzehn geworden. Sie waren alle wie Schwestern und alle gleich gekleidet in hauchfeinen hellblauen Seidenstoffen, aber allesamt ganz nackt unter diesen transparenten Stoffen. Ich sah Bisswunden von leidenschaftlichen Liebesspielen an ihren Schultern. Sie hatten alle schöne weiße Zähne, aber Lolita hatte Herrn Nichts beim Fellatio einmal zu scharf gebissen.
14
Jede dieser sieben Nonnenschwestern hatte einen schwarzen Ehering von Ebenholz am vierten Finger ihrer linken Hand.
15
Die sieben Mädchen verbrachten Nacht für Nacht abwechselnd an den sieben Tagen der Woche im Ehebett des Dichters.
16
Es musste Mittwoch sein, das war der Tag, da Herr Nichts in sein Ehebett Emmelin rief. Nun aber rief Herr Nichts mich, die Neue Evi. Emmelin protestierte und sagte, es wäre ihr Tag und ihre Nacht. Sie sank auf ihre Knie und flehte weinend. Herr Nichts und ich verließen sie. Emmelin sah uns nach mit einem Blick, wie man ihn bei kleinen Kindern sieht, denen man die heißbegehrte Lutschestange verwehrt.
17
Jetzt war ich allein mit Herrn Nichts.
18
Seine Hündin steckte ihre feuchte Schnauze in meinen Nabel. Er nannte seine Hündin Norea, wie die Tochter der gnostischen Eva. Die Hündin war das einzige Lebewesen, das er liebte.
19
Das einzige Bild an den Wänden war eine Ikone von Madonna Melancholia. Ihre mandelförmigen Augen füllten den Raum mit Stille. Sie war da, meine Patronin, mein Schutzengel, sie war da, um mich einzuladen zu neuen Leiden.
20
Er sagte mir: Ich bin Adam und du bist Eva.
21
Als der Liebesakt vollzogen war, sagte Herr Nichts: Herzlichen Glückwunsch! Du bist die achte Ehefrau von Herrn Nichts geworden. Aber du bist schöner als alle andern! Du kannst mich jeden Sonntag ganz für dich alleine haben! Empfange den heiligen Balsam, der meinem sakralen Glied entströmt, wie das heilige Salböl der Propheten Israels. Ich weihe dir das Lebenselixier meiner Unbefleckten Zeugungskraft.
22
Herr Nichts griff ungeduldig nach mir. Er schob mir den Ehering über den Finger. Jetzt war ich Frau Nichts!
23
Ich wurde seine Nummer Eins.
24
Jetzt war ich initiiert in den Harem.
25
Es war in seinem Haus ein Raum für seine Trinkgelage. Dort tanzte er all seine Poeme. Auch seine Mädchen ließ er nackend seine Poeme tanzen. Dort war ein großer staubiger Spiegel. Die Neue Eva reflektierte ihre Nacktheit in dem Spiegel des Dichters und trug dabei nichts als den Liebreiz-Zaubergürtel der antiken Aphrodite.
26
Am Morgen, als das erste Licht durch die zerbrochene Fensterscheibe fiel, rollte sich die vierzehnjährige Lolita von der Matratze des Dichters und machte ihm den Kaffee.
27
Alle seine Frauen machten ihm das Frühstück, wie er es liebte. Um neun Uhr, wenn die Kuckucksuhr klang, kam seine heutige Bettgenossin aus seinem Schlafzimmer, um ihm das Frühstück ans Bett zu bringen. Wenn das Mädchen aus seinem Bett geschlüpft war, sprang seine Hündin in sein Bett und nahm mit seinem Herrchen das Frühstück ein. Seine jeweilige Bettgenossin nahm das Frühstück mit den anderen Frauen in der Küche ein.
28
Lolita und Marion teilten sich nun zusammen den Samstag, damit der Sonntag mir allein vorbehalten wäre. Ihre Aufgabe war es, ihm das heiße Badewasser in die Wanne einzulassen.
29
Nachdem er gebadet, zog er sich an. Dann setzte er sich in seinen Sessel. Alle seine sieben Liebesdienerinnen kamen, ihm die Füße zu küssen.
30
Die ersten Worte, die wir jeden Morgen rituell zu sprechen hatten, waren in einer fremden Sprache, die wir nicht verstanden, die er allein verstand.
31
Nachdem wir seine Füße geküsst, machten wir uns jede an ihre tägliche Aufgabe.
32
Wir begossen seinen Garten. Der Garten war umgeben von einem Holzzaun. Die Mädchen wässerten täglich seinen Garten. Sie pumpten das Wasser mit der Wasserpumpe herauf. Der Garten war fruchtbar und brachte Gemüse und Obst und Mariejuana hervor. Wir pflegten auch die Haustiere. Die Hühner schenkten uns ihre Eier. Wir molken die Zicken, um aus der Milch den Ziegenkäse zu machen, den er so gerne mit Oliven aß.
33
Er sang und tanzte die Apokalypse. Seine sieben Mädchen waren die sieben tanzenden Engel der sieben Gemeinden. Engelinnen im Nackttanz! Sie waren mit Leib und Seele und Geist ganz hingegeben der Kirche des Herrn Nichts.
34
Seine sieben Frauen versuchten sich in Diensteifrigkeit einander zu übertrumphen. Jede strebte danach, seine Favoritin zu sein. Er war ihr Gott, und ihr Gehorsam war das Gesetz, das sie regierte.
35
Das Gartenhaus des Dichters war der Tempel Salomonis und die Geisterstadt war die Himmlische Jerusalem.
36
Ich war so besonders feminin, dass der Dichter immer spionierte, ob ich etwa eine Lesbe wäre. Wenn er lesbische Neigungen festgestellt hätte oder hätte mich gar erwischt, wie ich an einem seiner Mädchen herumfummelte, hätte er mich gesteinigt. Er verabscheute zutiefst die Homosexualität.
37
Aber weil ich so besonders feminin war, wandte er mir mehr Aufmerksamkeit zu als den anderen Frauen. Seine Phantasie war ganz besessen von mir! Er wollte mich jeden Tag entjungfern, aber ich sollte auch jeden Tag auferstehen als intakte Jungfrau!
38
Ich bin das Nichts, sprach er. Fragst du nach meinem Namen? Ich heiße Niemand! Aber wenn das Universum den Kältetod stirbt, wird der frigide Kosmos von der heißen Leidenschaft meiner Mädchen wieder zum Leben erweckt!
39
Morgens, nachdem wir ihm die Füße geküsst, nachdem er auch seine Kanne Kaffee getrunken, saß er auf der Gartenbank im Garten, rauchte Mariejuana und schrieb seine Verse. Aber um zwei Uhr Mittags befiel ihn die Langeweile.
40
Nachmittags mussten wir, seine Frauen, alles stehen und liegen lassen und für ihn uns schön machen, denn jetzt war die Zeit, da er uns seine Gedichte rezitieren wollte.
41
Wie wir für ihn aussehen sollten? High-Heels an den Füßen, transparente kurze Seidenkleidchen am Leib, die Brüste ohne Büstenhalter, unterm Röckchen keinen Slip, langflutende schwarze Mähnen oder wie Kleopatra die schwarzen Löckchen hochgesteckt, scharlachrot geschminkte Lippen. Wir sollten allezeit aufreizend sein wie die schönsten Kurtisanen französischer Aktmalerei. Dann sollten wir tanzen für ihn. Er wollte Salomes Schleiertanz sehen, den evangelischen Striptease!


FÜNFTES KAPITEL
DIE WAHRE MELANCHOLIA


1
Die kalten Winde der Einsamkeit bliesen mein Haus an. Einsamkeit und Schwermut, o trauervolle Melancholia, ist das Leben einer Frau. Ich gehe jetzt zu dir wie zu dem Antlitz meiner Seele in einem magischen Spiegel. Doch wenn du gemäß den Gesetzen der Physik zu mir trittst, fühl ich mich einsam und verloren.
2
Mir war, als stünde ich am Rande eines bodenlosen Abgrunds. Aber der Abgrund, der sich vor mir auftat, war der Abgrund meiner Seele. O Melancholia!
3
Du warst eine Illusion, ein Phantom. Du warst mein Schatten im großen Platonischen Schattentheater des Lebens. Du warst das Phantom, dass die Leere meiner Seele ganz erfüllte mit tausend Wundern.
4
Als ich die leise Musik hörte, die das Haus erfüllte, fühlte ich mich in der Gegenwart Melancholias. Sie war eins von diesen übersensiblen Geistwesen, die sich in der Musik manifestieren oder auch in einem berauschenden Blütenduft oder in einem rauschenden Windstoß.
5
Durch das Glas der Fensterscheibe sah ich in der Perspektive im tanzenden Licht gleich einer Spirale die Himmelstreppe, die wie eine aufrankende Kürbispflanze zum Venusplaneten rankte.
6
Ich hörte wieder die Musik der Guan Yin. Blowing in the wind.
7
Melancholia wird immer der Geliebten des Idioten, des Fürsten Myschkin gleichen, der schwarzen Schönheit Natassja Filippowna.
8
Sie war da, aber geheimnisvoll verborgen. Wie konnte sie unsichtbar gegenwärtig sein in einer Welt von sichtbaren Bildern?
9
Jetzt sah ich sie, die Herrin des Hauses. Sie lag kaum bekleidet auf einem Bett. Neben ihr stand ein Kandelaber mit sieben Kerzen. Ich nahm ein Streichholz in die Hand und streichelte den roten Streichholzkopf mit den Fingerspitzen.
10
Sie glich Kleopatra, der Königin von Ägypten.
11
Ihr Antlitz war genau das Antlitz, das ich immer gesehen hatte. Ihr Antlitz war das Antlitz einer magischen Luna. Ihre schwarzen Augenbrauen waren gebogen wie der Bogen Amors. Ihre langen schwarzen Haare umfluteten sie. Sie lag da in einem feinen seidigen Negligé und las in der Bibel.
12
Wir traten in die Halle der Unsterblichen. Sie wird dort ewig leben wie die unsterbliche Vision der Schönheit. Sie hat selbst ihre Geschlechtlichkeit inthronisiert in dem Tempel ihrer Keuschheit. Sie war wie eine Eisblume in einer kristallenen Vase, wie Schneewittchen im gläsernen Sarg, wie eine weiße Lotosblume auf einem kristallenen See. Sie war die schlafende Schönheit, die unsterblich ist.
13
Ich war sehr traurig, als ich Melancholia in ihrem Todesschlaf auf ihrem Totenbette liegen sah.
14
Melancholia sprang von ihrem Bett auf mit leidenschaftlicher Heftigkeit, trat zu dem Kandelaber mit den sieben Kerzen und ohrfeigte mich mit der Bibel, weil ich ihren Schlaf gestört.
15
Das transparente Seidenkleidchen glitt von ihrem Körper, ganz langsam entblätterte sich die weiße Rose. Das weiße Kleidchen umrauschte ihre weißen Schenkel wie der weiße Meeresschaum den weißen Leib der nackten Aphrodite umrauschte. Sie war so weiß, als wäre sie von Michelangelo gemeißelt aus Marmor von Carrara.
16
Der Dichter berührte Melancholia, diesen Becher des Kummers, dem magischen Becher der Tränen entströmte eine Flut von blutroten Tränen.
17
Enigma. Ihr Antlitz macht in den Tod verliebt! Sie war todschön! Ihr Antlitz war wie das Antlitz eines Engels auf einem granitenen Grabstein. Ihre Tränen waren die Destillation des ganzen Jammers der Menschheit. Ihre blitzenden Augen erleuchteten mich.
18
Sie war Unsre Liebe Frau der Schmerzen.
19
Alle Menschen sahen ihre Schmerzen dargestellt in den Schmerzen des Herzens Unsrer Lieben Frau der Schmerzen. Die Menschen weinten aus Mitleid mit dem durchbohrten Herzen Unserer Lieben Frau der Schmerzen, aber in Wahrheit heulte die Menschheit über ihren eigenen namenlosen Jammer. Die Menschen legten alle die drückenden Lasten des Daseins, unter denen sie fast zusammenbrachen, auf die Schultern Unserer Lieben Frau der Schmerzen, dieser tragischen Königin.
20
Ihr Name war: Die Bittere. Sie wollte ertrinken in dem Meer der Bitterkeit Gottes. Die Silben ihres Namens waren wie das Rauschen eines blutroten Kleides, welches rauschte herab von dem weißen Marmorkörper einer sterbenden jungen Frau.
21
Der Dichter nannte sie: Skorpionstachel im Petticoat-Kleidchen.
22
Sie zog ihre weiße Seidenbluse über den Kopf aus und hob ihre weißen Arme in die Höhe. Ich sah das schwarze Haar in dem Winkel ihrer Achseln. Ich sah ihren makellosen weißen Körper. Ihre Zunge fuhr spielerisch über ihre Lippen, sie lächelte wissend und sprach leise: Willkommen an Donna Julias Grab! Wie bezaubernd, dich hier zu sehen, dass du in dieser dunklen Nacht gekommen bist, mir die Hand zu halten.
22
Die Aura übermenschlicher Majestät um sie war so überwältigend, dass ich niederknien musste, sie anzubeten! Ich stammelte: Lady! Sie berührte mich wie zufällig flüchtig mit ihrer kühlen keuschen weißen Hand. Ich versuchte, meine unaussprechliche Bewunderung in stammelndem Pathos zu lallen!
23
Der Abgrund, der sich mir erschloß, als sie mir für einen Augenblick gewährte, ihr in ihre Augen sehen zu dürfen, war der Abgrund meiner eigenen Seele, es war der Blick in einen Funken Ewigkeit.
24
Sie gebot mir, mich selbst zu verleugnen. Es war das Gebot einer Unterwerfung, die tiefer als die Unterwerfung eines Sklaven war, ja, es grenzte an göttliche Anbetung.
25
Der Dichter sprach: Ich bin die lebendige Liebesflamme der göttlichen Omnipotenz!
26
Der Dichter zog ihr die Seidenbluse ganz aus und zog ihr dann den weißen Seidenslip herunter. Da stand sie vor ihm nackt wie eine perfekte weiße Göttin der Liebe und Schönheit! Sie war die lebendige Venus! Die Mädchen feierten sie, doch sie seufzte nur leise.


SECHSTES KAPITEL
DIE HOCHZEIT DER NEUEN EVA UND DES HERRN MELANCHOLIA


1
Aus der Hose Herrn Melancholias sprang die purpurrote Eichel seiner Männlichkeit, das geheime Herz Melancholias, der Ursprung seines unstillbaren Tränenflusses.
2
Herrn Melancholias heulende Schreie hallten als Echo zurück in der gläsernen Halle. Er wollte sich selbst in sich selbst verstecken. Das heroische Zeichen seines Sexus war angeschwollen. Aber er hasste sein männliches Glied, das Medium, durch das er kommunizierte mit der Frau.
3
Darum war Herr Melancholia die perfekte Traumfrau gewesen, weil er sich selbst zum Inbild seiner eigenen Begierde gemacht hatte. Er hatte sich selbst in die einzige Frau verwandelt, die er lieben konnte. Eine Frau ist insofern schön, als sie die Inkarnation der geheimsten Begierden des Mannes ist. Darum ist es kein Wunder, dass Melancholia die Schönste aller Frauen gewesen war.
4
Ich sah es in einem Glanz: Du, Melancholia, hattest dich zu einem Lustobjekt gemacht, und dieses Lustobjekt war eine bloße Platonische Idee. Du warst deine eigene Ikone. Du hattest keine andere Rolle zu spielen in der Welt als bloß die einer Idee. Du hattest keinen andern Status im Dasein als den Status einer idealen Ikone.
5
Wir fanden ein Ankleidezimmer voller Spiegel. Der ganze Raum war ein einziger Spiegel-Kubus.
6
Die Mädchen, so weit sie noch nicht ganz nackt waren, warfen ihre letzten Hüllen ab und begannen, sich ganz neu einzukleiden.
7
Marion fand das schwarze Kleid, in dem Melancholia Maria gespielt hatte, die Königin von Schottland. Emmelin spielte die Carmen. Lolita trug das Kleid der Kameliendame.
8
Die Mädchen traten zu den Kosmetika. Dicke Wolken von Puder umstäubten sie. Rouge war an die Tür geschmiert. Die Mädchen schrieben mit Lippenstiften obszöne Sprüche an den Spiegel. Wie Lolita den roten Lippenstift an die Lippen legte, das war schon ein Bild, dem Phallusgotte Priapus würdig. Sie bespritzten sich gegenseitig mit Parfüm die Figur und zerschmetterten dann die Rosenquarzflakons auf dem Boden. Sie schminkten ihre Augen und verlängerten ihre Augenwimpern.
9
Ich aber blieb im Dunkeln, bis Herr Nichts, der Dichter, nach mir klingelte.
10
Ich hörte die Musik von Chopins Trauermarsch.
11
Ich war einst Herr Evelin gewesen und nun war ich die Neue Evi. Er war einst Madonna Melancholia gewesen und nun war er Herr Melancholia. Wir tauschten die Rollen wie Rosalinde in Shakespeares Pastorale: Wie es euch gefällt.
12
Ich verstand, dass Herr Nichts, der Dichter, die ganze Performance mit einer Hochzeit abschließen wollte. Alle Komödien enden mit einer Hochzeit.
13
Ich schminkte mein Gesicht weiß, bis ich als der melancholische Clown Pierrot erschien. Die Mädchen bewunderten mich dafür.
14
Die Mädchen begannen mit den Vorbereitungen für meine Hochzeit mit Herrn Melancholia.
15
Wir traten auf die steile Treppe zur Halle der Unsterblichen. Dort soll unsre Hochzeit gefeiert werden.
16
Herrn Melancholias Bett sollte der Altar unsres Ehesakramentes sein.
17
Die Mädchen des Harems bildeten den Chor der Brautjungfern. Herr Nichts, der Dichter, würde uns als Priester der Liebe vermählen.
18
Wir bezeugen vor der Welt: Herr Melancholia hat die Neue Eva geheiratet!
19
Ich ward zu Bett geführt. Marion und Lolita bereiteten mich für das sakrale Brandopfer zu. Emmelin nahm meine Beine und spreizte sie weit, so dass die rötliche Vulva offenbar zu sehen war unter meinem schwarzen Schamhaar. Meine Vulva war auf dem Altar des Bettes wie das sakramentale Fleisch des Brandopfers der Liebe.
20
Nun riefen alle laut: Herr Melancholia, komm, komm rasch und besteige die Neue Evi!
21
Lolita kniete vor Herrn Melancholia und reizte seinen Penis mit Lippen und Zunge liebkosend, bis der erregte Phallus herrlich stand.
22
Im Osten sah ich die Sonne aufgehn.
23
Herr Melancholia bestaunte seinen eigenen Phallus, wie er da herrlich stand von dem Flötenspiel des roten Mundes Lolitas.
24
Der Altar des Bettes glich dem Berg Morijah, wo Vater Abraham am Karfreitag seinen einzigen Sohn opfern musste, weil Gott es so wollte.
25
Herr Melancholia lag jetzt auf mir. Seine graublauen Augen blitzen in meine mandelförmigen grünen Augen. Seine Stimme flüsterte wie die Luft im Laub.
26
Ich spürte sein Glied an meinen straffen Oberschenkeln. Sein Glied war ganz steif.
27
Ich bin die Aktion, sagte er, du bist die Passivität. Ich bin die Zeugung, du bist die Empfängnis. So soll es sein in der Zeit, bis ich gestorben bin. Du, Weib, bist das Negativ zu meinem Positiv. Du bist das göttliche Nichts, aus dem alles Sein erschaffen wird. Du bist Nichts und Alles. Du bist ein unzerbrechliches Fensterglas, durch das der Sonnenstrahl Gottes dringt.
28
Ich schlang meine Beine um ihn und holte seinen Phallus in meine Vulva. Da klatschten die jungen Mädchen Applaus. Er schrie in einer unverständlichen Sprache und lallte seine Entzückung und fiel auf die Erde. Ich lag, ach, noch unbefriedigt im Bett.
29
Unsre Hochzeit war vollzogen. Meine Frauenschaft war ratifiziert.
30
Die Mädchen warfen den Hochzeitsschleier über Herrn Melancholia wie ein Netz, mit dem man Schmetterlinge fängt.
31
Wie ist dein Name, fragte Herr Melancholia. Ich bin Evi, sagte ich, ich bin Eva.
32
In meiner Pubertät, sagte Herr Melancholia, war ich so gelenkig, dass ich mich vorbeugen konnte und meinen eigenen erigierten Phallus mit dem eigenen Mund liebkosen konnte. Heute erreiche ich den Phallus mit dem Mund nicht mehr.
33
Die Morgensonne warf seinen Schatten auf die grüne Wiese des Gartens. Ich sah den Garten, wo er unser gemeinsames Haus errichten wollte.
34
In dem Garten standen Pflaumenbäume und Apfelbäume, es blühten dort Pfingstrosenbüsche, es blühten Krokus und Narzisse, Malven und Mohn, Rosen und Tulpen und himmelblaue Vergissmeinnicht. Kein Mensch hatte diesen Garten bewässert, der Himmel selbst hatte diesen Garten bewässert.
35
Ich habe deinen Namen schon wieder vergessen, sagte er. Ich bin Evi, sagte ich, ich bin die Neue Eva.
36
Ich hatte einen Sohn einst, sagte Herr Melancholia melancholisch. Sechs Jahre alt ist er geworden, dann ist er bei lebendigem Leibe von den Ratten aufgefressen worden. Ich bin weise, musst du wissen. Ich kann das Schicksal eines Menschen aus seinen Tränen lesen. Ich kann die Schrift der Tränen lesen. Aus meinen Tränen mache ich durch alchemistische Weisheit Perlen. Aus diesen Perlen baue ich die Paläste meiner Erinnerungen.
37
Ich erkannte, dass Herr Melancholia wahnsinnig war!
38
Wie lecker und appetitlich sah ich aus! Ich sah aus wie eine Himmelskönigin aus Feigenkuchen! Iss mich! Verzehre mich!
39
Wir waren am Anfang der Welt, vielleicht auch schon am Weltende. Ich, in meinem süßen Fleisch, war die Feige vom Baum der Erkenntnis. Erkenntnis hat mich erschaffen. Ich war aus dem Mann erschaffen, als ein Meisterstück von Fleisch und Blut. Ich war die elektrische Eva in Person.
40
Ich sah mich selbst, ich erfreute mich an mir selbst, ich berührte mit meinen Händen meine eigenen Schenkel und streichelte mich selber zärtlich. Ich spielte mit meinem krausen schwarzen Schamhaar zwischen meinen Schenkeln und tippte zärtlich an meine Klitoris.
41
Wie auf jenem Teppich im Museum war es, wo das Einhorn sein Horn in den Schoß der Unbefleckten Jungfrau legt. Der Erzengel Gabriel hatte mit seiner Hündin das Einhorn in den Schoß der Jungfrau gejagt. Jetzt ruhte das Einhorn in dem Schoß der Jungfrau.
42
Ja, wie das Einhorn kniete er vor meinem Schoß in seiner sakralen Unschuld und legte sein Haupt auf meinen Schoß so zärtlich, als wäre ich aus Seidenpapier. Ich fühlte seine Wangen an der Innenseite meiner Oberschenkel und fühlte den Hauch seines Mundes in meinem Schamhaar. Mein Schamhaar war wie die Flügel eines flatternden Vogels.
43
Ich erfuhr eine mysteriöse Kontraktion in meinen Nerven.
44
Er leckte mit der Zunge an meiner rechten Brustspitze und umfasste meine linke Brust mit seiner Hand. Er biss zärtlich in meine rechte Brustspitze und begann, leise zu lachen, denn jetzt war seine Potenz erwacht. Ich steckte sein Glied zwischen meine Schenkel und presste ihn leicht. Ich wollte nicht, dass er so schnell komme. Ich wollte Zeit haben, ich wollte die langsam schmelzende Wonne des Weibes genießen, von der ich bisher nur aus Büchern wusste. Mit seinen Fingern begann er meine violette Muschel zu erregen, das Geschenk der Großen Mutter. In unkontrollierten Ergüssen rann der Tau der Lust in meiner Muschel zusammen.
45
Wir schwammen im Ur-Meer, als die Schöpfung begann, in diesem mütterlichen Meere, Maria, aus dem alle Seelen stammen.
46
Einer projizierte sein eigenes Selbst auf die Idee des andern. Wir waren zwei Ideen in Vereinigung, eine zwei-einige Substanz des einen ewigen Seins. Zusammen ergaben wir den Platonischen Hermaphroditus, den Adam Kadmon der Kabbala, den androgynen Urmenschen.
47
Wir hielten die Zeit an und erschufen selbst einen Moment der Ewigkeit in der Schöpferlust der Liebenden.
48
Die Uhr des Gottes Eros hält alle andern Uhren an.
49
Geliebter, dies ist mein Fleisch! Iss mich! Verzehre mich! Geliebter, dies ist mein Blut! Trinke mich! Berausche dich an meiner Liebe!
50
Als in meinem Höhepunkt der Orgasmus kam, flog meine Seele durch einen dunklen Tunnel in einen lichten himmlischen Erdbeergarten! Geliebter, als mich die Ekstase des Orgasmus in den Himmel entrückte, löste sich im gleichen Augenblick im ekstatischen Orgasmus deine Seele auf im gläsernen Meer des Lichts! Dann ruhten wir selig umarmt in einer tiefen inneren Ruhe.


SIEBENTES KAPITEL
LILITH


1
Ich sah die Augen einer Frau. Ihre Augen erinnerten mich an Laylas Augen. Wann hatte ich zuletzt an Layla gedacht? Diese Frau trug am nackten Oberarm sichtbar den schwarzen Träger ihres Büstenhalters. Sie lächelte lieblich.
2
Evi? fragte mich die schwarzgekleidete Frau: Evelin?
3
Warum hast du nie von deiner Mutter gesprochen, Layla?
4
Layla, aber nicht länger Layla? Was ist geworden aus der Huri von Manhattan?
5
War dieses entzückende Fleisch, das Layla hieß, nur ein Traum? Ihr langes schwarzes Haar umflutete sie immer noch und ihr Antlitz glänzte immer noch wie Luna um Mitternacht. Aber diese feminine Passivität war dahin.
6
Layla sprach über Herrn Melancholia: In seinem Namen flüstern alle Seufzer der hoffnungslosen Verzweiflung. Verbannt auf diese Erde, ist er wie ein einsamer Stern am Firmament. Er ist eine atomisierte, vereinzelte Existenz. Wenn er mit seinem eigenen Mund seinen eigenen Schwanz in den Mund nimmt, gleicht er dem Uroberos, der Urschlange, die ihren eigenen Schwanz in den Mund nimmt. Dieser Uroberos ist der numinose göttliche Urvater.
7
Die entmannten Priester der Großen Mutter, sagte Layla, ließen ab und an die Meditation der Neugeburt im Schoß der Großen Mutter, um als Krieger die Welt zu durchstürmen. Ich selbst, wie du dich erinnern wirst, tanzte in einem mystischen Striptease die Apokalypse.
8
Ich nehme dich mit auf einen Trip, Evi.
9
Meine Haare sträubten sich mir im Nacken, obwohl ich doch jetzt den Beistand der Tochter Gottes hatte.
10
Fürchte dich nicht, sagte Layla, die majestätische Mutter hat die Gottheit für dich gebeten. Die majestätische Mutter konnte leider die Zeit noch nicht beenden. Sie hat sich in einer Art von totalem Zusammenbruch in eine Grotte zurückgezogen und weint dort blutige Tränen, bis die himmlischen Heerscharen siegen.
11
Was sollen wir tun, Layla, fragte ich. Sie sagte: Mein Name ist jetzt Lilith. Ich heiße jetzt Lilith, weil ich das Symbol der dunklen Nacht des Geistes bin.
12
Lilith, wie du weißt, wurde fünf Tage vor Adam erschaffen. Lilith ist Adams wahre Partnerin, obwohl Adam mit Eva in einer Ehe zusammenlebt. Lilith aber sucht Adam in seinen Träumen heim und saugt ihm den Mannessamen aus. Und mit Lilith zeugt Adam auf mystische Weise die Rasse der Geister.
13
Sein Durchstoßen meiner Jungfräulichkeit kann meine immerwährende Jungfräulichkeit nicht verletzen.
14
Ich habe dich zu Sophia geführt. Ja, ich bin Sophia, der feminine göttliche Geist, verkörpert im Fleische Liliths, der aphrodisischen Fleischeslust!
15
Ich habe mich dir gezeigt als die Göttin der Hetären, als die allerseligste Jungfrau-Mutter und als die göttliche Jungfrau.
16
Ich bin die Muse, sprach Lilith. Ich bringe die Botschaften Gottes zum Manne und die Hymnen des Mannes zu Gott. Ich bin der Wahnsinn des theosophischen Mystikers, die Erotomanie des Liebenden und die Muse des Dichters. So hat mich einst Platon geschaut.
17
O Layla, die du nun Lilith heißt, in deiner Person bietet mir die göttliche Jungfrau Sophia ihre schwesterliche Freundschaft an!
18
Mein Herz ist gebrochen, mein Herz ist gebrochen!
19
Am Strande aber sahen wir die einsame Großmutter des Wahnsinns auf einem Gartenstuhle sitzen, umrankt von den Bohnen der Seelen ihrer Muttersmütter. Vor ihr stand ein Gartentisch mit Trank und Speise. Wir hörten kaum ihre Stimme. Sie sang Lieder von 69. She lives on love street. Sie schaute traumverloren in die Ferne, aber sie hörte uns mit sensiblem Ohr.
20
Es war, als sähen wir in einer kristallenen Kathedrale den himmelblauen Mantel der heiligen Großmutter des Wahnsinns.
21
Sie schien uns ganz vergessen zu haben. Sie saß auf ihrem Thron und sang die Lieder der Liebe. Sie sang vom Wahnsinn der Liebe, vom verblutenden Herzen der Liebe und vom Kleinen Liebestod.
22
Ihre Augen waren den Türkisen der Himmlischen Jerusalem ähnlich.
23
Sie saß am Strand und schaute auf das Meer, als wäre sie die Schutzengelin der Sieben Weltmeere. Sie mischte den Gesang ihrer Stimme mit dem Rauschen des Meeres. Lilith sah sie an mit einem liebevollen Lächeln.
24
Sie öffnete eine Büchse Bohnen und aß die Bohnen, trotz Pythagoras. Dann nahm sie aus einem kleinen Fläschchen einen Schluck vom Wodka-Feigen-Likeur. Als sie den Wodka-Feigen-Likeur hinunterschluckte, sah ich ihren Adamsapfel zucken. Dann sang sie von der Auferstehung des Fleisches.
25
Einzig ihre Lippen bewegten sich in ihrem Antlitz, wenn sie sang. Ihre Antlitz war wie eine Totenmaske, weiß geschminkt von chinesischem Reispulver.
26
Lilith nahm meine Hand, so gingen wir weiter. Die Großmutter des Wahnsinns sah uns nach wie eine ewige Urgottheit allwissender Vorsehung.
27
Da gab ich Lilith einen schwesterlichen Kuß auf die Wange.
28
Evi kehrt heim zu ihrer Ewigen Mutter.
29
Dunkle Nacht der Sinne, dunkle Nacht der Seele, dunkle Nacht des Geistes! Mystisches Schweigen!
30
Ich lag zwischen den Felsenklippen des Strandes wie zwischen den Seiten des Buches des Lebens. Mystisches Schweigen! Es ward aufgetan das Buch des Ewigen Lebens!
31
Ich bin heimgekehrt zum Meere Maria, meiner Mutter! O Meer, o Mama, o Maria!
32
Die Felsenklippen öffneten sich einen Spalt und wie in einem offenen Mund saß da Lilith am rauschenden Meer.
33
Sie hob fragend ihre Augenbrauen, als wolle sie mir eine Rätselfrage der Weisheit stellen: Was ist der Unterschied zwischen der Platonischen Liebe und dem Ewigen Leben?
34
Lilith und ich saßen nebeneinander und schauten, wie die Wellenzungen des Meeres am Felsen leckten, wie der Gischt aufspritzte. Es war, als spüle Asien hier an den Strand. Lilith fragte mich, ob ich hier mit ihr zelten wolle.
35
Ich wusste in meinem Herzen, dass Lilith in ihrem Herzen Mitleid mit mir empfand, weil ich hier in der irdischen Verbannung leiden musste.
36
Da sah ich JESUS! Ich sah JESU verwundetes Herz! JESU verwundetes Herz verblutete in der Passion der Liebe! In JESU liebeswundem verblutendem Herzen sah ich die Liebeswunde der Ewigen Liebe! Die Ewige Liebe schrie in namenloser Qual: Die Liebe wird nicht geliebt! Die Liebe wird nicht geliebt! So starb Gott.
37
Maria, mütterliches Meer der Liebe, gebäre uns ins Ewige Leben!