Von Josef Maria Mayer
Nach C.S. Lewis
1
Jetzt bin ich auf der Venus.
2
Im gleichen Moment fühlte ich, wie ich emporgehoben wurde, höher und höher, bis ich fast nach der goldenen Kuppel greifen konnte, die als Himmel sich über mir wölbte. Ich war auf einem Gipfel. Unter mir breitete sich ein Tal, grün wie Glas mit schaumigen Streifen wie aus weißem Marmor.
3
Ich trieb auf den Wellen eines unermesslichen Ozeans. Das Wasser war warm wie das Wasser einer subtropischen Bucht an einem sandigen Strand. Man konnte das Süßwasser trinken, es verschaffte mir einen überraschend deliziösen Genuss. Mir war, als genösse ich das erste Mal im Leben!
4
Der Himmel war golden. Auch der Ozean war golden und übersät mit zahllosen Schatten. Die Wellen waren golden, die Wellenkämme fingen das Licht des Himmels auf, die Flanken der Wellen waren grün wie Smaragd.
5
Die Wellen, in denen ich schwamm, waren wie Spiegel. Auf dem Planeten der Liebe beschaut sich die Königin der Meere ewig in einem himmlischen Spiegel.
6
Ich schwelgte im warmen Wasser. Die Sonne brannte aber nicht. Das Wasser war glänzend, der Himmel glühte in goldenen Tönen. Alles war prächtig, aber nicht blendend. Meine Augen weideten sich an der Augenweide ohne Augenschmerz.
7
Es war eine zarte, warme, wohlige, mütterliche Welt. Sie war sanft wie ein Frühlingsabend, mild wie eine Sommernacht, lieblich wie die Morgenröte, es war eine einzige Wohltat. Ich seufzte vor Wonne.
8
Das lässt sich nicht mit menschlichen Worten sagen, wie ich den Genuss genossen mit allen Sinnen, einen übermäßig deliziösen Genuss.
9
Ich hörte auch einen Donner, aber der Donner war nicht furchteinflößend, sondern schien mehr das Lachen des Himmels zu sein, es war ein klangvoll tönendes Donnerlachen. Purpurne Wolken schwebten zwischen mir und dem lachenden Himmel.
10
Mir war, als befände ich mich in der Mitte der Iris, im Herzen des Regenbogens. Wasser erfüllten die Luft und verwandelten Himmel und Meer in einen Tanz von prachtvollen Leuchtbildern.
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Lebewesen kamen mit dem sanften Regen herab, anmutvolle Lebewesen, schillernd wie Libellen. In der Atmosphäre sah ich eine wahre Farbenorgie!
12
Ich näherte mich einer schwimmenden Insel. Sie bestand aus grünen Pflanzen. Sie hatte einen dunkelroten Saum aus Röhren, Ranken und Blasen. Die schwimmende Insel glitt schnell an mir vorüber. Ich griff nach ihr und fasste mit der Hand ein Bündel peitschenartiger Ranken, die mir wieder entglitten. Dann warf ich mich mitten in die Ranken, mitten in die blubbernden Röhren und platzenden Blasen. Meine Hand griff etwas Festes, das wie ein Holzstab war.
13
Ich war ganz ausgeruht. Auf der Insel sah ich kupferfarbenes Heidekraut. Die kupferfarbene Vegetation machte die Insel zu einer schwimmenden, federnden Matratze.
14
Ich wanderte durch ein einsames Tal. Der Grund schien mir von Kupfer. An beiden Seiten waren bunte Wälder. Ich bestieg einen kupferfarbenen Höhenrücken.
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Ich lachte leise wie ein Kind. Lachend wie ein Schuljunge wälzte ich mich auf der weichen, duftenden Oberfläche der schwimmenden Insel.
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Mir war, als lernte ich jetzt, auf dem Wasser zu wandeln!
17
Wenn ich fiel, so fiel ich weich und es war so angenehm, nach dem Fall still liegen zu bleiben, zum goldenen Himmel zu schauen, dem ruhigen Rauschen des Meeres zu lauschen und den berauschenden Duft der grünen Wälder einzuatmen mit der Nase.
18
Endlich erreichte ich den bewaldeten Teil, ein Unterholz mit gefiederter Vegetation, das die Farbe von See-Anemonen hatte. Darüber erhoben sich seltsame Bäume mit purpurnen Röhren-Stämmen, die mächtige Baldachine breiteten aus, in denen orangene Farben schimmerten und silbrig-blaue.
19
Die Düfte in diesem Walde erweckten in mir eine Art von Hunger und Durst, ein Verlangen, das vom Körper zur Seele floß und himmlisch war. Ich atmete die Düfte ein, mein Atmen war zum Ritus geworden.
20
Ich fühlte meine Einsamkeit, aber eine angenehme Einsamkeit. Die Einsamkeit fügte den überirdischen Genüssen eine jugendliche Wildheit hinzu. Eine leise Furcht war da, ich könnte den Verstand verlieren vor Glück! Die Venus hatte doch zu viel der Wonnen für das Hirn eines Mannes!
21
Ich war in einen Wald gekommen, in dem große, kugelförmige, orangene Früchte in Trauben von den Bäumen hingen. Die Schale der Früchte war glatt und fest. Ich stieß mit einem Finger in eine Frucht und fühlte etwas Frisches. Ich setzte die Öffnung an die Lippen. Ich wollte nur einen einzigen Schluck probieren, aber der deliziöse Geschmack ließ mich alles Maß vergessen. Der Geschmack war eine völlig neue Art von Genuss, etwas Unerhörtes, Unvorstellbares, ja, man möchte sagen, Unschickliches!
22
Die See dampfte in blauen und purpurnen Schwaden zum Himmel empor. Eine milde, angenehme Brise spielte mit meinem Haar. Der Tag verglühte. Das Wasser wurde ruhiger. Die Stille wurde immer tiefer. Ich setzte mich am Ufer der Insel nieder, Bein über Bein, der einsame Herrscher all dieser Feierlichkeiten.
23
Ich war nackt, aber mir war nicht kalt. Ich wandelte zurück zwischen köstlichen Fruchtbäumen und lag im duftenden Heidekraut. Es war ein warmes Helldunkel einer Mittsommernacht im Süden.
24
Jetzt war es Nacht geworden, undurchdringliche Finsternis, absolute Schwärze.
25
Die Finsternis war aber warm und voll von neuen süßen Düften. Die Welt war grenzenlos geworden, die einzige Grenze war die meines Körpers im Bett des Heidekrauts, in dem ich wie in einer Hängematte schaukelte. Die Mutter Nacht hüllte mich ein wie in eine Decke, und meine Einsamkeit ward zur Geborgenheit.
26
Der Schlaf kam wie eine süße Frucht, die einem in die Hand fällt, kaum dass man ihren Stiel berührt hat.
27
Über meinem Haupt hing an einem haarigen, röhrenartigen Ast eine große, transparente Kugel. Das Licht spiegelte sich in der Kugel. Regenbogenfarben schimmerten innen. Ich sah unzählige solche Kugeln. Aufmerksam betrachtete ich die eine, die mir am nächsten war. Sie schien sich zu bewegen und doch ganz ruhig zu sein. Ich streckte spontan die Hand nach ihr aus und berührte sie. Im gleichen Augenblick ergoss sich eine frische Dusche über mich, ein erlesener Duft erfüllte meine Nase. Es war, als würde ich an einer duftenden Rose sterben in süßer Pein! Ich war wieder erfrischt. Alle Farben waren froh. Ich fühlte mich verzaubert.
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Die Kugel, die mich übergossen hatte, war verschwunden. Am Ende des haarigen, röhrenartigen Zweiges hing an einer kleinen, zitternden Öffnung ein Tropfen kristallklarer Flüssigkeit.
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Ich sah große Blasen und fragte mich, ob die Flüssigkeit in den Blasen wohl berauschende Wirkung habe?
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Ich kam an Büschen vorüber, an denen ovale grüne Beeren gingen, größer als Mandeln. Ich pflückte eine und brach sie auf. Ihr Fleisch schmeckte wie Brot. Es war nicht der orgiastische Genuss der großen Blasen, aber es war eine nüchterne Gewissheit wahren Glücks.
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Ich sprach ein Dankgebet. Zu den großen Blasen passte eher eine mystische Verzückung. Aber auch diese ovalen Beeren, die wie Brot schmeckten, hatten ihre unerwarteten Höhepunkte. Ich stieß immer wieder auf Beeren, die in der Mitte hellrot waren, sie schmeckten vorzüglich.
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Ich konnte immer wieder sehen, dass in der Nähe meiner schwimmenden Insel noch andere friedliche Nachbarinseln waren. Sie unterschieden sich alle voneinander. Es war faszinierend, alle diese Hängematten oder fliegenden Teppiche schaukeln zu sehen.
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Es war faszinierend zu sehen, wie über mir ein hellgrüner oder samtroter Baum über einen Wellenkamm glitt und wie die Insel dann die ganze Flanke der Wellen herabkam und sich offen meinen Blicken darbot.
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Ich sah geflügelte Lebewesen, Gevögel, größer als Schwäne, blaue Schwäne.
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Ich sah elfenbeinweiße Delphine, die irisfarbene Fontänen aus ihren Nüstern bliesen.
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Auf dem Rücken eines blauen Schwanes sah ich eine menschliche Gestalt, die ans Ufer der Insel sprang und sich beim blauen Schwan bedankte.
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Langsam ging die Gestalt durch die blaue Vegetation.
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War es vielleicht nur eine Illusion, eine optische Täuschung, eine Projektion meiner Seele, eine Phantasie, ein Traum, eine Halluzination? Aber immer, wenn ich fast der Verzweiflung erlag, tauchte die Gestalt wieder auf in offenbarer Evidenz.
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Sie winkte mit den Armen einladend.
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Sie löste sich von der grünen Vegetation und wanderte durch ein orangenes Feld auf mich zu, leichtfüßig wie ein Reh.
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Einen Augenblick schauten ihre Augen voller Liebe in meine Augen.
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Diese menschenähnliche Gestalt war aber kein bärtiger Mann, sondern eine wunderschöne junge Frau.
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Ich hatte Wunder zwar erwartet, doch nicht dieses Wunder, eine Göttin zu sehen, die wie aus Marmor von Cararra gemeißelt war und doch lebendig war!
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Sie war in Begleitung verschiedenster Tiere erschienen, wie ein schlanker Baum unter Büschen. Um sie schwebten Turteltauben und Phönixvögel, zu ihren Füßen schwammen rosa Lachse der Weisheit.
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Die Vögel flogen in geordneten Scharen über der Frau. Zu ihren Füßen schmiegte sich eine junge Hündin an.
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Aus der Grotte gekommen war ein Eisvogelpaar und umschwebte die Frau. Die Frau sah zu mir herüber.
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Jetzt brach sie in ein fröhliches Lachen aus, die Lachenliebende, sie schüttelte und bog sich vor Lachen und klatschte mit den Händen auf ihre Schenkel. Die Hündin und alle andern Tiere verstanden, dass etwas Heiliges geschehen war und hüpften fröhlich umher. Die Frau lachte, bis sie im Meer verschwand und nicht mehr zu sehen war.
48
Ah, da war die junge Frau auf ihrer schwimmenden Insel der Glückseligkeit wieder in Sicht!
49
Sie saß am Ufer und ließ die schlanken Beine ins Wasser hängen und liebkoste eine Antilope, die die weiche Schnauze unter die Achsel der Frau geschoben hatte.
50
Mir war, als leuchtete die Frau vor Elektrizität wie aus bläulichem Glas. Die ganze Landschaft leuchtete blau und purpurrot.
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Ich sagte: Ich bin ein Fremder, aber ich komme in Frieden. Die Frau warf mir einen raschen Blick zu und fragte: Was ist Frieden?
52
Ich schwamm wieder durch das Meer der Venus.
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Pflanzen glitten an mir vorüber. Ich griff nach ihnen und zog sie näher an mich heran. Köstliche Düfte von Blumen und Früchten wehten durch die Dunkelheit zu mir. Ich zog fester an den Pflanzen. Schließlich lag ich keuchend auf dem duftenden, schwankenden Grund der Insel.
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Ich war eingeschlafen und erwachte erst, als ein lieblicher Vogelsang in meine Ohren drang. Ich öffnete die Augen und sah wirklich einen singenden Nymphensittich.
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Die Insel der Eva-Venus trieb neben meiner Insel.
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Zwölf Inseln lagen beisammen und bildeten einen Kontinent Atlantis. Am Bach ging die schöne Eva-Venus, den Kopf leicht gesenkt, flocht sie blaue Blumen zum Kranz. Sie sang leise vor sich hin. Als ich sie ansprach, blieb sie stehen und sah mir tief in die Augen.
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Sie war vollkommen nackt! Aber wir schämten uns nicht und waren auch nicht aufgewühlt von ungeordneter Begierde.
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Ihr Antlitz war lange ernst gewesen. Nun aber klatschte sie in die Hände und lächelte wie ein glückliches Kind, nicht kindisch, aber kindlich.
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Ich sagte zu Eva-Venus: Ich würde gerne auf deine Insel kommen. Sie sagte: Mein? Komm, sagte sie mit einladend ausgebreiteten Armen. Die ganze himmlische Welt war ihre Heimat und ich war ihr willkommener Gast. Ich glitt ins Meer und schwamm zu Eva-Venus.
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Ich legte mich hin, um mich einige Momente auszuruhen, und fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf und wachte sogleich vollkommen erfrischt wieder auf.
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Neben mir sah ich ein weißes Zwergkänguruh. So etwas Weißes hab ich noch nie gesehen. Das Zwergkänguruh stieß mich zärtlich an. Es gab nicht eher Ruhe, bis ich mich aus meiner Bequemlichkeit erhoben und ihm folgte in der Richtung, die es vorgab.
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Das Zwergkänguruh führte mich durch einen Wald hoher grünbrauner Bäume, über eine kleine Waldlichtung, vorüber einer Allee von Blasenbäumen, durch Felder hüfthoher silbriger Blumen. So brachte mich das Zwergkänguruh zu seiner Herrin. Sie war beschäftigt. Mit ihren Muskeln tat sie etwas, was ich nicht begriff.
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Sie war jung und schön und nackt und ohne Scham – offenbar eine Göttin!
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Ihr Antlitz war ruhig, von konzentrierter Sanftmut, wie die kühle Stille einer Kathedrale. Ihr Antlitz machte sie zur Madonna! Sie war voll wacher Ruhe. Sie konnte durch die Wälder reiten mit Pfeil und Bogen wie Astarte und lasziv den Schleiertanz tanzen wie Salome.
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Sie war wie eine Frau, die gut mit Pferden umgehen konnte. Sie war wie ein kleines Mädchen, das gerne mit Hundewelpen spielt.
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Ihr Antlitz strahlte erhabene Autorität aus. In ihren Zärtlichkeiten lag eine Herablassung, die um die Unterlegenheit ihres Verehrers wusste und den Verehrer vom Stande eines Schoßhundes in den Stand eines ergebenen Sklaven erhob.
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Ich sagte: Bring mich in deine Kammer! Sie sagte: In welche Kammer? Sie breitete die Arme aus und sagte: Der ganze Venusplanet ist mein Schlafzimmer. Ich fragte: Lebst du hier in Einsamkeit? Sie sagte: Was ist Einsamkeit?
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Ich sagte: Wer ist deine Mutter? Sie sagte: Was fragst du nach meiner Mutter? ICH BIN DIE FRAU! ICH BIN DIE MUTTER!
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Eva-Venus sagte: Grüße deine irdische Herrin von mir, wenn du von der Venus zurückkehrst zur Erde.
70
Eva-Venus wusste, dass sie nicht zu einem Ebenbürtigen sprach. Sie war eine himmlische Königin, die durch einen Boten eine Botschaft und einen Gruß ausrichtete an eine irdische Königin.
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Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen, ohne zu zittern. Ich verstand, was der Heiligenschein auf den Ikonen zu bedeuten hat. Ihr Antlitz strahlte Ernst und Frohsinn zugleich aus. Sie war das Bild eines Martyriums ohne Schmerzen.
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Ihre Augen blitzten so triumphierend und überlegen, dass man auf Erden von Verachtung gesprochen hätte, aber die Eva-Venus verachtete nichts und niemanden.
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Wir haben genug gesagt, sprach Eva-Venus schließlich. Meine Audienz bei der himmlischen Göttin Eva-Venus war beendet.