Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

DER RITTER VOM KESTOS UNSERER LIEBEN FRAU



Eine Komödie
Von Josef Maria Mayer


PROLOG ALS PERSON
Wir haben hier das herrlichste Theater
Ganz Deutschlands, weil hier der Theaterdichter
Ein Dichter ist, wie heute es in Deutschland
Nicht einen zweiten gibt! Das Komitee
Für den Nobelpreis ehrt nicht das Genie,
Ehrt mittelmäßige Naturen nur.
Ja, unser Dichter schon in seiner Jugend
Zu seiner jungen schönen Muse sagte:
Ich bin verkannter Genius, o Muse!
Jetzt fragt der Dichter aber seine Deutschen:
Was wollt ihr heute im Theater sehen?
Weil Volkes Stimme Gottes Stimme ist,
Sagt an, es wird ihm Gottes Wille sein.
SPIESSER
O Ehefrau, weißt du noch, in der Jugend,
Wie in Hannover wir zur Oper gingen?
Jetzt möcht ich gerne eine Oper sehen.
SPIESSERIN
Ich aber möchte eine Oper hören.
SPIESSER
Nun, unser Dichter möchte Stücke schreiben?
Vielleicht gibt es den Stellvertreter Hochhuts,
Den Galileo Galiläi Brechts,
Vielleicht den Hölderlin von Peter Weiss,
Vielleicht das Warten auf Godot von Becket?
SPIESSERIN
Mein Sohn hat doch auf den Kanaren jüngst
Den Don Quijote gelesen, diesen Ritter
Von trauriger Gestalt! Mein armer Sohn
Ist nun von der Idee besessen, Ritter
Von Unsrer Lieben Frau Marie zu sein!
Mein armer Sohn mit seinen Künsten brotlos,
Er möchte gerne im Theater spielen.
Der deutsche Denker oder deutsche Dichter
Soll doch für meinen Sohn ein Drama schreiben
Von einem Ritter Unsrer Lieben Frau!
PROLOG ALS PERSON
Dies Wort in Gottes Ohr – und so geschieht es!
Wir sehen von Maria Josef Mayer
Die lustige Komödie vom Ritter
Vom Liebreizgürtel Unsrer Lieben Frau!


ERSTER AKT


ERSTE SZENE


(Im Haus des Bankers Schatz, welcher der Vater von Luzi Schatz ist. Der Banker spricht mit Kaspar Fröhlich, einem jungen Mann, der ungeheuer in Luzi Schatz verliebt ist.)

BANKER
Also du bist in meine Tochter verliebt?
KASPAR
Ja, sie ist so schön, so gut, so fromm!
BANKER
Was fromm! Kannst du sie auch ernähren? Womit verdienst du dein Geld?
KASPAR
Ich bin Student der Alt-Philologie.
BANKER
Philologie? Ach ja, ich weiß: Du sammelst Briefmarken! Hast du etwa schon meiner Tochter dein Briefmarken-Album gezeigt?
KASPAR
Ich bin kein Verführer! Ha, neulich am türkischen Kiosk fragte mich so eine reizende kleine Huri, ob ich ihr meine Briefmarken zeigen wolle?
BANKER
Ja, der kleinen Türkin kannst du sie zeigen, aber nicht meiner westeuropäischen Tochter!
KASPAR
Ich zeigte der kleinen Huri mein Briefmarken-Album nicht, weil ich keine Briefmarken sammle. Ich bin nämlich nicht Student der Philatelie, sondern der Alt-Philologie. Alt-Philologie zu studieren bedeutet, Homer und Platon im Original zu lesen.
BANKER
Wen, sagst du, liest du?
KASPAR
Griechische Poesie und Philosophie.
BANKER
Aha! Jetzt weiß ich, was du für einer bist: Ein Taugenichts! Ein Müßiggänger! Du willst deiner Göttin Muße dienen und faul mir auf dem Portemonnaie liegen! Du willst meine Tochter wohl nur, damit ich dich dein Leben lang durchfüttre!
KASPAR
Ich liebe Luzi, weil sie schön ist wie die Homerische Helena von Sparta und schön wie die Platonische Aphrodite Urania!
BANKER
Eine Heilige soll meine Tochter sein? Da kennst du sie schlecht! Wer soll sie sein? Aphrodite Urania? Wer ist denn diese Schöne Dame?
KASPAR
Aphrodite Urania ist die Gottheit der puren, spirituellen Liebe!
BANKER
Geh du lieber zur Aphrodite Urinia ins Bordell!


ZWEITE SZENE


(Im Haus des Bankers. Banker Schatz und Junker Jörg von Junkersrott, ein junger wohlhabender Mann mit blauem Blut, den der Banker zum Ehemann für Luzi Schatz erkoren hat.)

BANKER
O Junker Jörg, ich ehre dich mehr als die Protestanten den fünften Evangelisten!
JUNKER JÖRG
Ich verstehe nicht?
BANKER
Ich dachte an deinen Namenspatron.
JUNKER JÖRG
Patron? Ja, du sollst mein Vater sein! Mein Vater hat mich nicht geliebt, darum will ich jetzt, dass du mein Vater bist.
BANKER
Gut, wenn du meine Tochter zur Frau nimmst, will ich dich meinen Sohn nennen. Ich hab ja leider keinen Sohn, nur eine Tochter. Männer wissen, was sie wollen – aber Mädchen folgen immer ihren Launen und sind wie das Meer vom Mond bewegt.
JUNKER JÖRG
Ob deine Tochter mich liebt? Ich bin mir da nicht sicher! Vielleicht sucht sie nur finanzielle Sicherheit bei mir? Denkt nur an ihren materiellen Vorteil und liebt mich gar nicht wirklich?
BANKER
Liebe! Davon singen Mädchen auf allen Straßen und schwenken dazu ihre Becken zu afrikanischen Trommelrhythmen! Nein, eine romantische Liebeshochzeit ist nur was fürs Theater. Im wirklichen Leben kommt es darauf an, dass man zu leben weiß und nicht verhungert, sondern die Talente wuchern lässt.
JUNKER JÖRG
Die Liebe wird schon kommen mit der Zeit, nicht wahr?
BANKER
Zuerst nimmst du sie dir, und dann wird sie sich an dich gewöhnen, wie sich eine Schmusekatze an den Hausherrn gewöhnt. Zuletzt wird sie dich nicht verlassen, weil du zu ihrem Alltag genau so dazu gehörst wie ihre Schokolade und ihr Spiegel.
JUNKER JÖRG
Ich werde sicher treu sein. Die Liebe wird wirklich übertrieben in unserer Zeit.


DRITTE SZENE


(Der Ritter vom Kestos U.L.F. tritt auf in einer altertümlichen Ritterrüstung, mit einer langen Lanze in der Rechten. Mit ihm sind seine zwei Pagen, der sechsjährige Thomas und der neunjährige Georg.)

RITTER VOM KESTOS
Hört mir zu, meine Pagen! Zwei Pagen hab ich leider schon im Krieg verloren! Euch aber will ich zu Knappen machen, wenn ihr vierzehn seid, und wenn ihr einundzwanzig seid, will ich euch zu Rittern schlagen!
GEORG
Lehre uns über das Vorbild der großen Ritter!
RITTER VOM KESTOS
Der größte aller Ritter ist vielleicht Don Quijote! Er liebte seine Donna Dulcinea! Sie war zwar nur eine arme Bäuerin, die er sah, als sie im Bauerngarten die Wäsche aufhing, aber er schwor noch auf dem Totenbett, dass sie die Schönste aller schönen Frauen war! Hätte er mit ihr zusammen gelebt in der Ehe, hätte ihn ihr Gestank nach Knoblauchquark bestimmt bald ernüchtert. Aber da sie in weiter Ferne lebte, sah er in ihr die Zwillingsschwester der Madonna!
THOMAS
Warum ist Don Quijote der größte aller Ritter?
RITTER VOM KESTOS
Er kann wie kein anderer uns Lehrer sein in dieser apokalyptischen Endzeit, denn er war Ritter in unritterlicher Zeit.
GEORG
Wer ist eigentlich der Heilige Schutzpatron der Ritter, Knappen und Pagen?
RITTER VOM KESTOS
Der auch dein Heiliger Namenspatron ist – Sankt Georg! Sankt Georg erlöst die Jungfrau aus den Fängen des Drachen! Der Juri-Tag in Russland ist der Tag, da die Sklaven sich frei einen neuen Herrn wählen dürfen!
GEORG
War Herkules auch ein Ritter?
RITTER VOM KESTOS
Nein, die Heiden kannten selbstverständlich keine edlen Ritter. Allein die allerheiligste katholische Religion brachte die Ritter hervor!
GEORG
Wer war der allerverliebteste Ritter?
RITTER VOM KESTOS
Der rasende Roland verlor den Verstand aus Liebesschmerz, weil seine angebetete Geliebte, Angelika, die Ritterjungfrau und Kaiserin von China, nicht den Ritter Roland liebte, sondern den Schurken Medor! Zur Hölle mit Medor! Roland verlor den Verstand, und er wäre im Wahnsinn geendet, wenn nicht sein treuer Freund mit einem Flügelpferd zum Mond geflogen wäre, um von dort den Verstand des rasenden Roland zurückzuholen.
THOMAS
Gibt es auf dem Mond auch Ritter mit Laser-Schwertern?
RITTER VOM KESTOS
Von meinen Abenteuern auf dem Morgenstern erzähle ich euch ein anderes Mal, ich sage nur soviel: Auf dem Venusplaneten sah ich in einem Paradiesgarten die wunderschöne Eva!


VIERTE SZENE


(Im Hause der Familie Fröhlich. Herr Fröhlich ist betrunken, umgeben von vielen leeren Flaschen. Frau Fröhlich sitzt bei ihrem Erstgeborenen und Liebling Karl-Heinz. Abseits sitzt Kaspar, der Student der Alt-Philologie.)

HERR FRÖHLICH
Ein Hoch auf Bacchus und Venus!
FRAU FRÖHLICH
Du alter Säufer! Seit du in deiner Jugend dir in Bordeaux das Rotweintrinken angewöhnt hast, lebst du in einem einzigen Dauerrausch.
HERR FRÖHLICH
Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang!
FRAU FRÖHLICH
Es wird immer schlimmer mit dir!
HERR FRÖHLICH
Der Vergänglichkeit zum Trotze! Erst zur Flasche, dann zur Fotze!
FRAU FRÖHLICH
Komm, mein geliebter Sohn Karl-Heinz, dein sogenannter Vater widert mich an! Sei du jetzt mein Ehemann, mein Sohn!
KARL-HEINZ
Ja, Mutter, ich bin ja von Kindheit an dein wahrer Gatte.
KASPAR
Mama, ich liebe eine Frau!
FRAU FRÖHLICH
Was denn jetzt schon wieder für ein Miststück?
KASPAR
Die himmlische Luzi! Ein Engel vom Morgenstern ist sie!
FRAU FRÖHLICH
Was willst du von mir? Brauchst du Geld? Räum dein Studentenzimmer auf, dann klappt es vielleicht mit der Dirne.
KASPAR
Mama, bitte segne mich!
FRAU FRÖHLICH
Ach, wärst du nie geboren!
KASPAR
Ah weh, ich hasse mein Leben!
HERR FRÖHLICH
Söhnchen! Die alten Weiber haben giftige Schlangenzungen! Ersäufe deinen Kummer im Wein! Gott Bacchus ist Sorgenbrecher und Kummerlöser! Ich segne dich! Geh nur! Venus ist mit dir!


ZWEITER AKT


ERSTE SZENE


(Im Haus des Bankers. Banker Schatz und Junker Jörg von Junkersrott.)

BANKER
Nun wollen wir alles ganz genau planen.
JUNKER JÖRG
Es soll doch keine kirchliche Hochzeit sein?
BANKER
Papperlappap, das Standesamt genügt. Dann gibt es Steuervorteile.
JUNKER JÖRG
Ich habe alles ganz genau durchgerechnet. Es lohnt sich noch zu heiraten.
BANKER
Das denke ich auch. Dann besorge du den Termin beim Standesamt. Wähle einen Termin, der nicht in die Zeit der Fußballmeisterschaft fällt. Wo wollt ihr feiern?
JUNKER JÖRG
In einer Discothek.
BANKER
Was gibt es zu trinken?
JUNKER JÖRG
Bier nach deutschem Reinheitsgebot.
BANKER
Wen wollt ihr einladen?
JUNKER JÖRG
Alle meine Jugendfreunde und die Freundinnen Luzis, dazu alles, was zur Familie gehört.
BANKER
Aber nicht, dass auch dieser Kaspar kommt!
JUNKER JÖRG
Nein, der nicht. Ich weiß, er hat ein Auge auf Luzi geworfen. Der nicht.
BANKER
Wollt ihr eine Hochzeitsreise machen?
JUNKER JÖRG
Ach, ich reise nicht gerne. Am schönsten ist es doch zuhause.
BANKER
Nun gut, du musst auch nicht reisen. Flitterwochen in Paris oder Venedig sind für hoffnungslose Romantiker.
JUNKER JÖRG
Das Geld, das wir durch die Ehe mehr bekommen, wollen wir nicht gleich in Lustreisen verschleudern.
BANKER
Nein, die Ehe hat nichts mit Lust zu tun, sehr viel aber mit dem Finanzamt.
JUNKER JÖRG
So ist also alles bereit?
BANKER
Ja.


ZWEITE SZENE


(Im Walde irren Frau Fröhlich und ihr Sohn-Geliebter Karl-Heinz, die Taschen voller Geld.)

FRAU FRÖHLICH
Endlich bin ich den Gatten los! Ich wollte ihn schon lange verlassen.
KARL HEINZ
Jetzt sind wir ganz allein, o Mama!
FRAU FRÖHLICH
Nicht allein, mein Geliebter, denn ich hab dich und du hast mich!
KARL HEINZ
Ich war immer eifersüchtig auf den Vater.
FRAU FRÖHLICH
Aber warum denn, mein Liebling? Das war doch gar nicht nötig, ich habe doch immer nur dich geliebt!

(Der Ritter vom Kestos U.L.F. erscheint mit seinen Pagen Georg und Thomas.)

RITTER VOM KESTOS
Oh, eine bedrängte Frau in Not? Wir Kreuzritter, Tempelritter, Deutschordensritter helfen allen Frauen in Not, weil Unsre Liebe Frau Himmelskönigin auch eine Frau gewesen ist. Frau, ich will dich retten! Was willst du, dass ich dir tue?
FRAU FRÖHLICH
Was bist du denn für ein Schwachkopf? Komm, geliebter Karl-Heinz, wir wollen tiefer in den Wald, uns in die Büsche schlagen und allein sein miteinander.
RITTER VOM KESTOS
Kommt, Georg und Thomas, die Menschen wollen sich nicht retten lassen. Der Retter ist da, aber keiner will sich retten lassen! Reiten wir weiter, ob wir eine arme Seele finden, die sich retten lassen will.

(Durch den wieder leeren Wald irrt Kaspar allein.)

KASPAR
Von aller Welt verlassen, von aller Welt verflucht, an welchen Engel soll ich mich wenden? Wer hört mich, wenn ich schreie? O so mutterseelenallein! De profundis domine!


DRITTE SZENE


(Im tieferen, dichteren Wald. Frau Fröhlich und ihr Sohn-Geliebter Karl-Heinz. Der Ritter vom Kestos U.L.F. mit den beiden Pagen.)

RITTER VOM KESTOS
O welch ein Bild! Die Mutter mit dem Sohn! Die Gottesmutter mit dem Gottessohn! Die Große Mutter Venus mit dem göttlichen Knaben Amor!
FRAU FRÖHLICH
Nun haben wir uns doch verirrt. Jetzt kann ich dich brauchen. Wenn du auch ein Idiot zu sein scheinst, vielleicht bist du mir nützlich?
RITTER VOM KESTOS
Ich kenne eure tiefe Not, o Frau und Mutter! Ich habe Erbarmen mit dir, auch wenn du stolz bist.
FRAU FRÖHLICH
Ich will doch mit meinem geliebten Karl-Heinz nicht im Walde leben! Wir wollen in die Stadt!
KARL HEINZ
Ja, Mama, in der Einkaufsstraße der Innenstadt kaufen wir dir neue schöne Kleider.
FRAU FRÖHLICH
Bin ich dir nicht schön genug, mein Sohn?
KARL HEINZ
Doch, Mama, du bist die Allerschönste! Darum verdienst du auch die allerschönsten Kleider.
FRAU FRÖHLICH
Ritter, Ritter, hilf du einem armen elenden Weib in großer Not! O Ritter, Ritter, nur du kannst mich retten, sei mein Retter! Sei mein Heros, mein Held! Du bist doch ein Ritter der Gottesmutter, erbarme dich einer armen hilflosen Mutter, die sich mit ihrem Sohn verirrt hat im Wald der Welt! Führe uns auf die Straße des Heils und in die helle Stadt Gottes!
RITTER VOM KESTOS
Bei Gott, nie ist es gehört worden, dass ein armes elendes Weib vergeblich gerufen zum Ritter vom Kestos Unserer Lieben Frau! Vorwärts, Frau, mit deinem Sohne vorwärts, ich führe euch ins Licht!


VIERTE SZENE


(Im Wald. Luzi geht spazieren. Junker Jörg von Junkersrott geht ihr nach und fasst sie bei den Händen.)

LUZI
Ach, laß mich doch allein, ich bin am liebsten allein.
JUNKER JÖRG
Was machst du hier im Wald?
LUZI
Ich rede mit den Hamadryaden.
JUNKER JÖRG
Wie?
LUZI
Die Nymphen, die in den Bäumen leben, heißen Hamadryaden. Sie erscheinen mir, und ich rede mit ihnen.
JUNKER JÖRG
Aberglaube! Hier ist ein echter Kerl! Nimm mich zum Mann und du brauchst nie mehr allein in den Wald zu gehen. Wir werden stattdessen in der Innenstadt schönen Schmuck kaufen. Willst du antike Statuen? Ich kaufe sie dir.
LUZI
Was soll ich mit toten antiken Statuen, wenn ich mit lebenden Hamadryaden kommunizieren kann?
JUNKER JÖRG
Rätselhaftes Weib! Ich verstehe dich nicht! Aber du bist recht hübsch.

(Kaspar kommt aus der Tiefe des Waldes.)

KASPAR
Ach, in der Mitte meines Lebens habe ich mich nun in einem dichten Wald verirrt! Wenn nur nicht Bären und Wölfe und Panther kommen!
LUZI
Ah, Kaspar, du?
KASPAR
O Göttin, meine Retterin!
LUZI
Göttin und Retterin bin ich nicht, aber deine Seelenschwester, die dich lieb hat von Herzen.
KASPAR
Ich glaube, meine Liebe bist du!
LUZI
Mein Herzensfreund!


FÜNFTE SZENE


(In einer Schenke. Der Ritter vom Kestos U.L.F., seine Pagen Georg und Thomas. Frau Fröhlich und ihr Sohn Karl-Heinz. Schenkwirtin.)

SCHENKWIRTIN
Hereinspaziert! Die Suppe steht schon auf dem Tisch.
RITTER VOM KESTOS
Was duftet hier so gut?
GEORG
Gibt es Reibekuchen, auch genannt Kartoffelpuffer?
FRAU FRÖHLICH
O, meine Reibekuchen solltest du einmal probieren! Sie sind die besten auf der ganzen Welt!
GEORG
Mit Apfelmus?
FRAU FRÖHLICH
Bestreut mit Zucker!
GEORG
O, ich liebe Zucker!
THOMAS
Gibt’s zum Nachtisch Schokolade?
SCHENKWIRTIN
Setzt euch an den Tisch, die Suppe ist fertig. Hier sind geröstete Pinienkerne, hier gebratenes Weißbrot, schön knusprig. Hier ist Kürbissuppe vom Gemüsekürbis, verfeinert mit teurem Kürbiskernöl.
THOMAS
Das schmeckt aber lecker! Zum Nachtisch möchte ich einen Joghurt und dann ein Stück Schokolade.
FRAU FRÖHLICH
Man könnte in die Suppe noch etwas Schmand tun.
SCHENKWIRTIN
Schmand?
RITTER VOM KESTOS
Die Pinienkerne sind köstlich!
THOMAS
Ich bin satt! Darf ich Schokolade?
SCHENKWIRTIN
Und du, Page Georg, möchtest du auch Schokolade?
GEORG
Ich mag keine Schokolade. Aber ich mag Zucker! Weißen Zucker und braunen Zucker!
RITTER VOM KESTOS
Herr, wir danken wir! Laß uns alle dereinst an dem Himmlischen Hochzeitsmahl teilnehmen, wo wir mit dir und deiner Mutter zu Tische liegen!


SECHSTE SZENE


(Im Haus des Bankers Schatz. Der Banker und Junker Jörg von Junkersrott.)

JUNKER JÖRG
Ach, ich weiß nicht mehr, wer mein Freund ist und wer meine Feinde sind! Meine schlimmsten Feinde sind in der eigenen Familie! Aber der Satan in Person ist für mich dieser Kaspar, der mir meinen Liebling raubt! Luzi, Licht meiner Augen! Dieser Kaspar raubt mir nicht nur Luzis Körper, sondern auch ihr Herz! Er schmeichelt ihr mit Süßholzraspeln und Aufmerksamkeiten und mit seinem melancholischen Narrenwitz und verführt sie zu seiner geistigen Phantasie und will sie vermählen mit seinem Gott!
BANKER
Ich habe dir versprochen, ich werde dein Vater sein. Dieser arme Student, dieser versoffene Bettelmönch soll meine Tochter nicht kriegen! Legislative, Jurisdiktion und alle ausführenden Staatsorgane setze ich ein, meine Tochter vor diesem Verführer zu schützen. Er ist ein Rattenfänger, ein Kinderfänger und Mädchenfänger. Mit der Schokolade seiner süßen Worte lockt er sie von ihrem bürgerlichen Leben weg und will sie verderben in dem selben religiösen Wahnsinn, wie er vom vielen Bücherlesen wahnsinnig geworden ist.
JUNKER JÖRG
Was tun?
BANKER
Ich hetze ihm die Polizei auf den Hals! Ich verklage ihn vor der Justiz! Ich sperre ihn ins Gefängnis: Einzelhaft!
JUNKER JÖRG
Aber wenn Luzi immer noch den armen traurigen Clown lieb hat?
BANKER
Ach was! Aus den Augen – aus dem Sinn! Weiber sind wie Kinder, leben von Heute zu Heute, sind wandelhaft wie der Mond und haben morgen vergessen, wer sie heute geliebt hat.
JUNKER JÖRG
Aber ich kann nicht so schöne Worte machen wie dieser Schwätzer.
BANKER
Worte, Worte, nichts als Worte!
JUNKER JÖRG
Aber Luzi liebt doch die süßen Worte.
BANKER
Unsinn! Als Vater verrate ich dir ein Geheimnis: Wenn da nur ein tüchtiger Schwanz ist, so sind die Weiber zufrieden!


SIEBENTE SZENE


(Herr Fröhlich in einem Meer von leeren Flaschen, vor einigen vollen Flaschen Wein, lallt betrunken dummes Zeug. Doch Kinder und Betrunkne sagen die Wahrheit.)

HERR FRÖHLICH
Schlaf brav ein, mein Kindchen, denn wenn du jetzt nicht schläfst, dann kommt der Jesuit und holt dich! Ich habe so allerlei Gedanken. Was bedeutet das A, das E, das I, das O, das U? Das A ist die Geburt, das E ist die Jugend, das I ist die Hochzeit auf den Honigbergen, das O ist die Weinernte, das U ist der Tod und die Auferstehung des Fleisches! Ach, was müssen wir armen Säufer alles grübeln! Warum erschoss sich Kronprinz Rudolf? Und warum kratzte Königin Luise in die Fensterscheiben von Tilsit: Wer nie sein Brot mit Tränen aß und lange Nächte einsam weinend saß, der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte! Oh, wo viel Weisheit ist, da ist viel Weh, und wo viel Grübeln ist, da ist viel Gram. Aber für Sorgen sorgt das Leben, Sorgenbrecher sind die Reben. Mein Kummerlöser ist Bacchus! Ich will doch immer nur Bacchus und Venus dienen! Schoß der Venus, ich bete dich an!

(Der Banker tritt ein.)

BANKER
Wie der Vater, so der Sohn! Ist der Vater ein Säufer, wird dem Sohn die Leber vergiftet.
HERR FRÖHLICH
Mein Großvater war ein noch größerer Säufer als ich! Noch heute im Jenseits hat er so großen Durst, dass er in mir weiter säuft! Aber der Urgroßvater meines Vaters war ein ganz wilder Zecher! Wir alle stammen nämlich von Bacchus ab, als er betrunken mit Venus geschlafen und den Gott Priap gezeugt hat! Die Frommen meinen allerdings, wir stammen von Noah ab, der als erstes nach der Sintflut einen Weinberg gebaut und betrunken mit seinen eigenen Töchtern geschlafen hat.
BANKER
Und wahnsinnig bist du auch? Und siehst auch schon weiße Mäuse?
HERR FRÖHLICH
Die Mäuse nicht – die Möse!
BANKER
Ja, ja, jetzt weiß ich, was du für einer bist, ein Schweinehund! Pfeif nur deinen Sohn zurück, dass er seine klebrigen Griffel von meiner teuren Tochter lässt!
HERR FRÖHLICH
Wenn Venus will, wird Helena den schwarzgelockten Menelas verlassen und den blonden Paris leidenschaftlich lieben auf der Insel der Cythere!


DRITTER AKT


ERSTE SZENE


(Luzi und Kaspar allein im schwarzen Wald in der Mitte ihres Lebens. In Ehrfurcht vor dem Geist in der grünen Kathedrale des Waldes flüstern sie zärtlich von ihrer Liebe.)

KASPAR
Luzi, du scheinst mir wie ein Licht des Himmels, wie ein Engel der Liebe, ein Genius der Venus! Leuchte mir voran ins Paradies! Ich bin gefangen in tiefer Dunkelheit, verirrt im finsteren Lebenswald.
LUZI
Wir sind Hänsel und Gretel, Geliebter, verjagt von der Stiefmutter. Nein, nicht die Großmutter ist die Hexe, die wahre Hexe ist die Stiefmutter!
KASPAR
Luzi, meine himmlische Venus, die Menschen dieser Welt sind so grausam! Mich ekelt diese Welt an! Die Welt ist geistlos und lieblos! So muß es vor der Sintflut gewesen sein. Ach, Eskapismus nennt man das, ich möchte fliehen in den seligen Ideenhimmel!
LUZI
Ja, manchmal wird es den zärtlichen Lämmern mit den blutenden Herzen schwer zumute unter all den Wölfen.
KASPAR
Ja, all die Panther der Unzucht, all die Wölfe der Geldgier, all die Löwen des Egoismus!
LUZI
Wir zärtlichen Seelen dürfen nicht verzärteln, Geliebter! Wir müssen Kämpfer für den Frieden sein! Laß uns kämpfen gegen den Rest der Welt! Mögen die Wölfe heulen zur Luna und alle Dämonenhunde bellen, unsre Liebe wird uns Flügel geben und uns zu den Sternen tragen!
KASPAR
Orion möge sich gürten und das Schwert an die Hüfte legen und kämpfen für die Wahrheit und Gerechtigkeit! Kallisto soll uns zeigen den Weg! Luna möge uns trösten mit zärtlichen Küssen in der Nacht! Unser Ziel ist der Himmel der Liebenden in dem Reich der himmlischen Venus!
LUZI
Dort die Macht der Liebe anzubeten!


ZWEITE SZENE


(In der Schenke. Schenkwirtin, Frau Fröhlich und Karl-Heinz, der Ritter vom Kestos U.L.F. und seine beiden Pagen Georg und Thomas.)

SCHENKWIRTIN
Sie, Edeldame, haben also Ihren Gemahl verlassen und wollen jetzt mit Ihrem Sohn zusammenleben. Ich weiß ein Haus, schön ländlich gelegen, fast ein Palast, mit einem großen Obstgarten. Da könnten Sie leben mit Ihrem Sohn-Geliebten.
FRAU FRÖHLICH
Ich werde die Wohnung putzen, dass sie reinlich ist und blitz und blank und ein weißer Tempel der Göttin der Hygiene. Dann werde ich ganz allein für meinen geliebten Karl-Heinz leben. Ich bin ja so stolz auf ihn! Ich werde in der ganzen Welt erzählen, was für ein allmächtiger Mann mein Sohn ist!
KARL HEINZ
O Mutter, es ist mir eine Ehre, dein Sohn zu sein. Ich bin stolz, eine solche Mutter zu haben! Du bist rein wie die Göttin der Hygiene und kostbarer als das Gold Amerikas!
SCHENKWIRTIN
Es ist nur dies: In diesem herrlichen Landhaus, das so schön ist wie das himmlische Jerusalem im paradiesischen Garten Eden, lebt zur Zeit der dreiköpfige Höllenhund Kerberos!
RITTER VOM KESTOS
Ich werde den Höllenhund bezwingen! In der Macht des Namens Jesus und in der Macht des Liebreizgürtels Unserer Lieben Frau werde ich dem Hundedämon gebieten, zu entweichen.
SCHENKWIRTIN
Oh, du bist der letzte Ritter in dieser unserer unritterlichen Zeit!
GEORG
Ist der Name Jesus mächtiger als alle Dämonen der Hölle?
RITTER VOM KESTOS
Ja!
THOMAS
Ist der Name Jesus bedrohlich?
RITTER VOM KESTOS
Mein süßer Thomas, meine kandierte Zuckerlippe, der Name Jesus ist süßer als Honig!
GEORG
Ein Rätsel: Was ist süßer als Honig?
RITTER VOM KESTOS
Nur die Idee des Honigs ist süßer als der süße Honig selbst!


DRITTE SZENE


(Herr Fröhlich ist lustig in dem Harem seiner leeren Flaschen. Außerhalb der Bühne aber sitzen der Spießer und die Spießerin aus dem Prolog und lästern über Herrn Fröhlich.)

HERR FRÖHLICH (lallend)
Oh, la bouche de Dieu! Oh, la bouche de la beauté divine ! Oh, la beauté d’amour ! Un grande mystère d’amour ! Vive l’amour ! Vive l’esprit d’amour !
SPIESSERIN
Der tut so, als wenn er Fremdsprachen perfekt beherrschte und ist doch nur ein aufgeblasener Schwätzer!
SPIESSER
Wenn er nur richtig Hochdeutsch könnte, ohne Dialekt, ich meine reines Hannoveranisches Hochdeutsch!
SPEISSERIN
Er sagt sicher: Ich diene dem Herr – statt: Ich diene dem Herrn!
SPIESSER
Und Spaghetti al dente hält er für Alimente. Sicher verwechselt er auch Mir und Mich.
SPIESSERIN
Mehr noch: Er verwechselt Mein und Dein!
SPIESSER
Wenn er so weiter säuft, ruiniert er seine Leber. Er säuft billigen Wein, da ist Wermut drin, und Wermut macht süchtig.
SPIESSERIN
Ja, er ist ein richtiger Wermutpenner! Und warum räumt er die leeren Flaschen nicht aus seiner Wohnung? Er lebt ja auf einem Müllberg! Bald ziehen die Ratten bei ihm ein! Dann braucht er nicht mehr von weißen Mäusen zu halluzinieren, dann lebt er mit echten Ratten zusammen!
SPIESSER
Er hat ja selber etwas von einer Ratte! Er war sicher in einem vorigen Leben einmal eine Ratte.
SPIESSERIN
Er ist so ekelig, ich würde ihn nicht einmal mit einer Mistgabel berühren!
SPIESSER
Gut, dass wir so ordentliche Leute sind!
SPIESSERIN
Ja, Gott sei Dank, wir sind nicht so wie der da!


VIERTE SZENE


(Schönes Landhaus in großem Obstgarten. Der Ritter vom Kestos U.L.F. allein mit dem Höllenhund Kerberos.)

HÖLLENHUND
Wau, Wau, Wau! Wau, Wau, Wau! Wau, Wau, Wau!
RITTER
Jesus!

(Der Höllenhund duckt sich, schleicht weg.)

RITTER
Ah weh mir! Dieser geistige Kampf hat mich alle meine Kräfte gekostet! Alle meine Virtutes sind ausgeflossen! Äolus hat alle Schläuche geöffnet und alle Winde entlassen, und nun bin ich ein ausgepowerter Sack! Ich bin leer und zunichte! Ich bin das Nichts! Ich bin Herr Niemand! O, denke ich an meine Väter – sie waren Feinde Gottes! Ist Gott darum mein Feind geworden? Wie ein schwarzes Pantherweibchen hat Gott mich angefallen! Gott gleicht einer Bärin, der man ihre Jungen geraubt hat! Ah weh, Feind ist mir Gott geworden! Ganz zerbrochen bin ich! Ja, wen der Vater liebt, den züchtigt er! Darum also verprügelt mich der Vater und klopft mich windelweich? Herr, Herr, furchtbar und schrecklich! Maria, töte mich lieber! Ah, wäre ich tot!

(Eine greise Dame geht vorüber mit Brot und Käse und Fleisch und einer Flasche Chateauneuf-du-Pape.)

GREISE DAME
Vergiss deine Leiden! Trinke Vergessen! Richte die Augen deiner Seele unentwegt auf die göttliche Schönheit!
RITTER VOM KESTOS
Oh, wann darf ich dahin kommen, dass ich schaue das Angesicht der göttlichen Schönheit? Ich sehe, siehe, ich sehe schon, ich sehe den kusslichen Mund der göttlichen Schönheit!


FÜNFTE SZENE


(Das Haus der Familie Fröhlich. Herr Fröhlich ist betrunken, Frau Fröhlich und Karl-Heinz halten Händchen.)

FRAU FRÖHLICH
Ich nehme jetzt Abschied von dir, mein Mann. Ich habe dich lange genug ertragen. Mein geliebter Sohn, gib mir deinen Segen! Ich gehe von meinem Ehemann weg. Ein neues Leben wartet auf mich, eine neue Liebe. Mein neues Leben und meine neue Liebe will ich nur mit dem Segen meines geliebten Sohnes beginnen.
KARL HEINZ
Ich segne dich, Mutter! Alles, was du tust, ist mir recht! Ich gehe mit dir, wohin du willst! Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott und wo du einst begraben liegen wirst, da will auch ich begraben liegen.
FRAU FRÖHLICH
Du, mein Mann, du bist für mich gestorben! Du hast den Namen, dass du lebst, aber in Wahrheit bist du tot! Dich kann nur Gott noch retten! Ich scheide!

(Frau Fröhlich und Karl-Heinz ab.)

HERR FRÖHLICH
Besser allein in einem Winkel unterm Dach, als mit einer zänkischen Zunge in einem Haus. Schlimmer als der Tod ist eine Frau, deren Arme wie Fesseln sind. Ich habe lange gesucht nach einem Menschen, der etwas taugt. Einen habe ich gefunden, aber das war keine Frau. Du, den die Götter lieben, du wirst bewahrt vor jener Frau, die schlimmer als der Tod ist. Nun, diese sterbliche Frau ist fort, nun leb ich allein mit der göttlichen Venus zusammen. Schrecklich ist es, in die Hände und zwischen die Schenkel der Frauen zu fallen! Aber die göttliche Venus Urania ist voller Barmherzigkeit und brennender Liebe!


VIERTER AKT


ERSTE SZENE


(Kaspar allein, schwarz vor Schwermut.)

KASPAR
Wer weiß schon, wie es mir geht? Die Leute fragen: Wie geht es dir? Und wenn ich antworten will, bekommen sie einen Hustenanfall. Jeder will zur Antwort hören: Gut, und dir? Und wenn du sagst: Et geiht mi schleiht! Dann erzählt dein Gegenüber dir, wie viel schlechter es ihm doch geht. Also nur still, meine Seele. Nur Luzi sag ich, wie es mir geht. Denn wer fühlt meine Seele? Wie soll ich sagen, dass ich glücklich bin, weil ich in Liebe lebe, selbst wenn ich in der tiefsten Mitternacht des Kummers bin? Ja, lieber ein großes und brennendes Herz mit schwarzer Verzweiflung, als seelenlos sein und viel Spaß haben. Ja, ich liebe! Ich liebe Gott, ich liebe Luzi! Aber mich selbst hasse ich abgrundtief! Warum gibt es mich überhaupt? Wär ich doch nie geboren! Wie kann meine Mutter das je wieder gut machen, dass sie mich geboren hat? Die Frühgestorbenen haben es besser als die Lebenden, aber noch besser haben es jene, die noch nicht geboren sind. Warum müssen wir denn aus Gottes Schoß geboren werden in dieses Jammertal, um zu leiden unerträgliche Schmerzen, bis wir wieder eingehen dürfen in Gottes Schoß? Und warum lebe ich nicht vereint mit Luzi, wo wir vor der Empfängnis doch schon Mann und Frau im Ideenhimmel waren? Ach, ich weiß wieder, was ich heute nacht geträumt habe. Bevor ich geboren wurde, war ich im Geisterreich eine purpurne Perle, Luzi aber war im Geisterreich eine schneeweiße Lotosblume. Da waren zwei Heilige Väter im Geisterreiche, der eine Heilige Vater betraute die Purpurperle und der andere Heilige Vater die Lotosblume. Und als sie die Purpurperle in die Lotosblume legten, da wurden Luzi und ich geboren unter dem selben Stern. Ach, warum darf ich meine Träume nicht leben? Warum ist die Wirklichkeit so feindlich? Hat denn ein böser Gott die Wirklichkeit geschaffen, und dem Liebesgott gehören allein das Geisterreich der Träume und die Paradiese der Phantasie?


ZWEITE SZENE


(Die Kaiserliche Hoheit Milona von Herzegowina erscheint, schön wie die Göttin der Schönheit, sie erscheint vor dem Ritter vom Kestos U.L.F. und seinen beiden Pagen Georg und Thomas.)

KAISERLICHE HOHEIT MILONA
Du bist der Ritter vom Kestos Unserer Lieben Frau?
RITTER VOM KESTOS
Ja, ich bin’s.
KAISERLICHE HOHEIT MILONA
Ich bin die Tochter von Karl dem Fünften, dem allerkatholischsten Weltmonarchen. Ich bin die Tochter der göttlichen Weisheit und Mutter aller Waisenkinder. Der Großen Frau gefällt, was du tust! Ich möchte dich einladen in meine Residenz, komm in die Herzegowina, in mein Lustschloß zu Medjugorje!
RITTER VOM KESTOS
Hoheit! Ihr seid eine atemberaubende Schönheit!
KAISERLICHE HOHEIT MILONA
Dafür kann ich nichts. Der Schöpfer hat mich so gemeißelt aus Marmor von Carrara. Ich war schon als Baby das schönste Baby der Welt, wie man sagte. Die wahre Schönheit aber ist die Schönheit der Heiligkeit. Darum habe ich mich dem Unbefleckten Herzen der Jungfrau geweiht und wurde eine Mutter aller Waisenkinder.
RITTER VOM KESTOS
Hat man Euch schon den Titel Mutter aller Völker gegeben?
KAISERLICHE HOHEIT MILONA
Nein, aber in Afrika nennt man mich Mamma Afrika! Man gab mir im Südsudan den Ehrentitel einer Kuh! Sie trommelten für mich und tanzten für mich, weil ich alle ihre armen Waisenkinder an meinen Busen genommen, an mein Euter einer Mutterkuh.
RITTER VOM KESTOS
Ehrt Euch der Titel einer Kuh?
KAISERLICHE HOHEIT MILONA
Die Kuh, die sie meinen, ist die große himmlische Mutterkuh, die alle Waisenkinder der ganzen Welt an ihr himmlisches Euter legt und stillt sie mit der Milch des Trostes.
RITTER VOM KESTOS
Ist Unsere Liebe Frau denn nicht die Heilige Kuh des Himmels?
KAISERLICHE HOHEIT MILONA
Als Gott an den Brüsten der Himmelskönigin gesogen, da spritzte aus dem Euter der Himmelskönigin die Milch der Milchstraße und alle andern hundert Milliarden Galaxien.
RITTER VOM KESTOS
Uns wird die Milch der himmlischen Mutter retten! So wahr lebt der Vater und der Sohn und die Mutter, ich folge Euch, Milona!


DRITTE SZENE


(Haus des Bankers. Banker Schatz, Luzi Schatz, Junker Jörg von Junkersrott, Frau Fröhlich und ihr Sohn-Geliebter Karl-Heinz.)

FRAU FRÖHLICH
Hätte ich nur meinen verdammten Sohn Kaspar nicht geboren! Warum hat Gott mich damit gestraft, solch ein Monster gebären zu müssen?
KARL HEINZ
Du bist meine Mutter, freue dich an mir! Vielleicht bist du gar nicht die Mutter von Kaspar.
FRAU FRÖHLICH
Ich habe ihn zwar geboren, aber ich bin nicht seine Mutter. Als ich wusste, ich bin zum zweiten Mal schwanger, hab ich gesagt: Ich nehme dies Kind nicht an! Ich will dieses Kind nicht! Er soll nicht leben!
BANKER
Warum hast du damals nicht abgetrieben?
FRAU FRÖHLICH
Ach, damals waren wir Frauen noch nicht so frei. Ich hab es mir zwar innerlich gewünscht und oft gedacht: Wäre dieses Unding doch tot! Aber ich fürchtete die Schande, denn die Welt war damals irgendwie noch christlich.
KARL HEINZ
Ich hasse meinen Bruder auch! Ich muß immer an Kain und Abel denken. Ich bin sicher der Abel, der Geliebte, aber der Zweitgeborene ist Kain, mein Todfeind. Vielleicht muß ich ihn eines Tages noch umbringen!
BANKER
Er ist ein Stück Scheiße! Aber dieser Junker Jörg von Junkersrott, das ist ein wahrer Mann! Schaut euch diese breiten Schultern an und diesen männlichen Bart und maskulinen Gang! Und schaut euch diesen Hintern an mit dem dicken Portemonnaie in der Gesäßtasche! Ein echter Kerl von Schrot und Korn!
JUNKER JÖRG
Ach, der arme Kaspar ist eine Seifenblase. Ein Nichts. Den beachte ich gar nicht. Er existiert für mich gar nicht.
LUZI
Ich verstehe euch nicht. Kaspar ist ein ganz besonderer Mensch, ganz anders als alle andern.
BANKER
Halt dein Maul, du dummes Kind! Dir sollte man lieber die Zunge abschneiden! Du liebst eben die Verlierer, weil du selber eine Verliererin bist!
LUZI
Mein Jesus, Barmherzigkeit!


VIERTE SZENE


(Luzi allein im Vaterhaus. Nacht mit Mondschein.)

LUZI
(vor dem Bild der Schwarzen Madonna)
Ach Frau, ich bin voller Schmerzen und Unglück! Mir scheint das Leben nicht so zu verlaufen, wie ich es möchte. Alles steht der Liebe entgegen! Die Dämonen haben die Übermacht. So viele grobe und gemeine Menschen beherrschen die Welt. Ich möchte wohl rein sein, tugendhaft und heilig, aber ich fürchte mich auch vor den Leiden, vor der Einsamkeit, vor dem Kreuz. Ich möchte auch gerne glücklich sein, zufrieden, ein angenehmes Leben leben. Ich möchte in Harmonie mit der Natur leben, den Edelsteinen, den Blumen und den Tieren. Ich möchte einen Mann lieben, der mir von Gott und dem ewigen Schicksal vorherbestimmt wäre. Aber wer bin ich, dass ich so hochfliegende Wünsche habe? Sind nicht alle erfolgreich, alle heilig, alle wissend, alle herrlich, ich allein bin verwirrt und bedrückt? Aber ich liebe dich, o himmlische Mutter!

(Es klopft an der Tür.)

Herein!

(Zwei Boten tragen eine große Kiste herein.)

Dank euch, ihr Boten. Was mag das sein?

(Kaspar steigt aus der Truhe.)

Kaspar! Erregender Moment! Wir beide in der Nacht allein! Mondschein schimmert silbern durch die Nacht. Stille. Wir beide allein! Aura an Aura mit knisternden Funken!
KASPAR
Ach göttliches Weib, wie bist du lecker! Lehre mich alles, was ich über die Liebe wissen muß! Lehre mich die Heiligtümer des Leibes und die Mysterien des Weibes!
LUZI
Ach du!

(Der Banker tritt ein.)

BANKER
Du Schweinehund! Hol dich der Teufel!

(Kaspar springt aus dem Fenster.)


FÜNFTE SZENE


(Herr Fröhlich allein. Das Zimmer ist aufgeräumt. Es steht nur eine Flasche Bordeaux auf dem Tisch, der Becher ist voll. Es ist Abenddämmerstunde. Von Ferne läutet die Glocke der Kirche den Angelus.)

HERR FRÖHLICH
Ja, ja, ich sage: La beauté divine! Und die Leute sagen: Ah, la bouteille divine? Aufgeblasene Leute! Ich tanze aber mit den Sternen, und wenn ich betrunken bin, bläst die Venus dazu die Flöte! Wie sagt doch der Dichter zum Dichter: Tu est un con! Was heißt das? Du hast den Spleen! Ach, der alte Mann und das Meer, was ist das? Aber der alte Mann und das junge Mädchen, das wäre was! Ach, ich bin im Delirium! Mohammed hat recht: Das Paradies ist ein himmlisches Bordell! Der alte Mann lehnt sich auf sein Sofa, die eine Huri bläst ihm die Flöte, unter der zweiten Huri liegt die dritte Huri und übt den Cunnilingus und des alten Mannes rechte Hand streichelt die Vulva der vierten Huri. Im Hintergrunde wachte die arabische Venus Suhre. Ach, ich saufe zuviel!

(Der Ritter vom Kestos U.L.F. erscheint.)

RITTER VOM KESTOS
Vater Fröhlich, du bist ein Narr, aber ein Narr in Christo! Die Leute halten dich für verrückt, aber ich weiß, du allein ehrst den armen Kaspar. Ich will dafür sorgen, dass Kaspar und seine angebetete Luzi in Ewigkeit glücklich werden.
HERR FRÖHLICH
Ach, der junge Mann, er glaubt noch, die leidenschaftliche Liebe mache glücklich. Ich aber habe in meiner Eremitage einen geistigen Harem, in dem ich mich sorglos ergötze. Ich wünsche dennoch dem lieben guten Kaspar Glück und seine Luzi noch dazu! Die Luzi ist ein scheues Reh, viel zu lieb für diese Welt!
RITTER VOM KESTOS
Im Namen der großen Mutter, ich werde die Hochzeit von Braut und Bräutigam stiften!


FÜNFTER AKT


ERSTE SZENE


(Haus des Bankers. Banker allein.)

BANKER
Wie stehen die Aktien? Fünfhundert Prozent Profit!

(Junker Jörg von Junkersrott und Kaspar erscheinen. Kaspar wird vom Junker Jörg ins Haus geprügelt mit einem dicken Knüppel.)

JUNKER JÖRG
Hier, Vater, ist der Schweinehund, der Lumpenhund, der Vagabund, der Schmutzfink, die elende Ratte! Dass dieser Haufen Scheiße es wagte, seine Augen zu deiner teuren Tochter zu erheben, grenzt an Gotteslästerung!
BANKER
Ach, ach, ach, meine Tochter!
KASPAR
Was ist mit der himmlischen Luzi?
BANKER
Sie ist fort!
KASPAR
Exodus! Moving of Jah People!
JUNKER JÖRG
Was, Exitus? Ich prügle dich zu Tode!

(Er prügelt weiter auf Kaspar ein. Da erscheint der Ritter vom Kestos U.L.F.)

RITTER VOM KESTOS
Jetzt ist es aber genug mit eurer satanischen Pädagogik! Verachtet nur eure Dichter, die Genien eures Volkes, ihr geistlosen Dummköpfe, aber stört nicht die Harmonie der Liebenden! Es ist ein Gott der Liebe in zwei Personen, in Mann und Frau als vereintem Ebenbild Gottes, vereint in der Erotik des Geistes! Nie habe ich eine Frau wie Luzi gesehen, die von einem sokratischen Daimonium geführt wird, und nie traf ich einen Mann wie Kaspar, der liebt, bis es weh tut! Und wenn ihr meint, auf Erden die Harmonie der Liebenden stören zu können, so wird Gott aufstehen von seinem Jaspis-Thron und mit Macht den wahrhaft Liebenden zu ihrer ewigen Gerechtigkeit verhelfen! Ich beschwöre euch beim Kestos unserer lieben Frau: Vermählt Luzi mit Kaspar!


ZWEITE SZENE


(Vor dem Haus des Bankers erscheint der Ritter vom Kestos U.L.F. mit der Armee der Kaiserlichen Hoheit Milona von Herzegowina, bestehend aus schwarzen Kindersoldaten.)

RITTER VOM KESTOS
Jetzt beginnen wir den Krieg, den Krieg der Liebe! Diesmal geht es nicht um den Salatkopf Inannas, sondern um – le fruit de vos entrailles, Mère de Dieu!
SCHWARZE KINDERSOLDATEN
Sie haben uns lange genug geopfert und abgeschlachtet und ihren Götzen zum Fraß vorgeworfen! Jetzt erhebt sich die Armee der Kinder der ganzen Welt! An unserer Seite kämpfen die Heerscharen Gottes und die Engel der abgetriebenen Brüder und Schwestern! Wir sind die Armee aus Gummi-Bärchen, wir haben Panzer aus Marzipan, unsere Lanzen sind Lutsche-Stangen und unsere atomaren Bomben sind Bonbons!
RITTER VOM KESTOS
Jetzt ist es einmal an uns, Revolution zu machen! Eure Revolutionen des revolutionären Hasses haben uns lange genug erbittert! Jetzt machen wir unsre Revolution, die Revolution der Liebe! Unserer Revolutionsarmee voran weht die Fahne der apokalyptischen Jungfrau! Unsre Schutzpatronin ist Jeanne d’Arc! Rechts und links zu unserer Seite marschieren Sankt Michael und Sankt Georg mit den zärtlichen Waffen der Himmlischen!
SCHWARZE KINDERSOLDATEN
Dies ist der wahre heilige Kinder-Kreuzzug! Zu oft habt ihr das Jesuskind begraben! Wir marschieren an das Grab des Jesuskindes und werden vereint mit dem auferstandenen Jesulein als unserm Geheimem Kaiser die Universale Theokratie der Schönheit errichten!
RITTER VOM KESTOS
Hoch die Universale Theokratie der Schönheit! Lang lebe die Zivilisation der Schönen Liebe!
SCHWARZE KINDERSOLDATEN
Alle Kinder der Welt feiern einen Universellen Kindergeburtstag, das Weihnachtsfest des auferstandenen Jesusbabys! Unser aller Mutter ist die Majestätische Mama Gottes!
RITTER VOM KESTOS
Krieg! Krieg bis zum Sieg des Herzens der Majestätischen Mama!


DRITTE SZENE


(Herr Fröhlich in seinem Haus.)

HERR FRÖHLICH
Ich habe dreimal die blonde Venus gesehen! Die blonde Venus war zweiundzwanzig Jahre jung und schön, wunderschön, eine leckere Göttin! Sie lächelte und sagte: Bringt Kinder zur Welt und freut euch an den Kindern, denn die Kinder sind die Sonnenstrahlen Gottes! Dann tanzte sie mit rosa Schleiern und schüttelte ihre göttlichen milchigen Brüste, da sah ich die blonde Venus in einem hinreißend lasziven Bauchtanz – très voluptueuse!

(Luzi und Kaspar erscheinen.)

KASPAR
Vater, gib uns deinen Segen!
HERR FRÖHLICH
O gütige, o milde, o süße Jungfrau Luzi! Wen soll ich denn anders dir vermählen als diesen Kaspar, diesen Clown der göttlichen Liebe? Venus segne euch!

(Der Banker, Frau Fröhlich und Karl-Heinz erscheinen.)

FRAU FRÖHLICH
Exmann, dich lasse ich mit deiner Göttin zusammen, ich nehme mir zum neuen Mann den Banker.
BANKER
Karl-Heinz, du bist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe! Du sollst mein Erbe sein!

(Der Ritter vom Kestos U.L.F. erscheint mit seinen Knappen Georg und Thomas.)

RITTER VOM KESTOS
Kaspar, Luzi, Luzi, Kaspar! A und B und B und A! Ihre Kaiserliche Hoheit Milona von Herzegowina und Medjugorje sendet euch zu eurer gesegneten Hochzeit alle herzinnigsten Segenswünsche! Die Große Frau richtet dir, Kaspar, diese Botschaft aus: Mein liebes Kind, jede rote Rose, die du deiner geliebten Luzi schenkst, erfreut auch mein Herz!
KASPAR
Luzi, ewig Geliebte! Unsern Honigmond, la lune du miel, wir wollen selig feiern, einen Himmel auf Erden erleben, unter dem Kreuz des Südens tanzen und lachen im südlichen Kaiserreich Ihrer Kaiserlichen Hoheit Milona von Medjugorje an der heißen Cote d’Ivoire!
LUZI
Ende gut – alles gut!