Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

Hamlet


Kunst-therapeutisches Drama
Von Josef Maria Mayer


ERSTER TAG


ERSTE SZENE


(Großheide am Ende der Welt. Mutter und Nachbarin.)

MUTTER
Wie kam doch der Taifun so plötzlich an,
Der Sturm riß alle Ziegel von den Dächern
Und jede Fensterscheibe ging zu Bruch.
Er riß die Fahnenstange von dem Sockel,
Entwurzelte die Buchen und die Eichen.
NACHBARIN
Es lehnte eine sich aufs Fensterbrett
Und wollte schauen an die lichten Blitze,
Da fuhr ein heißer Blitz in ihre Arme
Und alle ihre Adern sind geplatzt.
MUTTER
Es wollte eine Frau das Fenster schließen,
Da schlug der Sturm das Fensterglas in Splitter,
Das Glas zerschnitt ihr ihre beiden Arme.
NACHBARIN
Der Nachbar dort stand noch an der Balkontür,
Da stürzte jener Baum auf den Balkon,
Durchbrach die Tür und ragte in das Zimmer.
MUTTER
Der Sturm riß auch ein Haus vom Fundament,
Erhob des Hauses Mauern in die Lüfte,
Die Blätter legte er aufs Fundament
Und setzte dann die Mauern wieder nieder,
Man staunte, wie ins Haus die Blätter kamen.
NACHBARIN
Ich war ja nicht zuhause, als der Sturm kam,
Mein armer alter und gelähmter Mann
Lag ganz allein in seinem Bett am Fenster.
MUTTER
Ich war bei Freunden auf dem Bauernhof,
Da saßen wir im Stall und lasen Erbsen,
Der Nachmittag war schwarz wie Mitternacht,
Das Blitzen ließ erlöschen alle Lampen.
NACHBARIN
Ist das jetzt schon das Ende dieser Welt?
MUTTER
O dass ich den Taifun noch überlebte!
Obwohl ich glaube nicht an Gott, ich sang
Aus dem Messias Händels Halleluja.


ZWEITE SZENE


(Mutter und Sohn, ein Narr in Christo, vor dem Elternhaus in Großheide.)

MUTTER
Einst war hier eine Grube voller Müll,
Dein Vater setzte drauf dein Elternhaus.
Doch weil der Müll im Boden heut noch treibt,
Drum haben unsre Mauern heute Risse.
Jetzt kam der große Sturm mit dem Gewitter,
Da hat dein Elternhaus nicht standgehalten.
NARR
Ein dummer Mann hat einst ein Haus gebaut
Und baute dieses Haus auf feinen Sand.
Als nun der Regen kam und Wettersturm,
Da riß der Sturm des Mannes Wohnung nieder.
Ein kluger Mann hat einst ein Haus gebaut
Und wählte als das Fundament des Hauses
Den festen Felsen, Petra oder Petrus,
Da kam der Wettersturm, das Haus blieb stehen.
MUTTER
Sei nicht so altklug, o du dummer Narr!
Du weißt zuviel, das ist schon nicht mehr lustig!
Doch kannst du mir auch gar nichts Neues sagen.
NARR
Es war ein Mann, der glaubte an das Geld,
Der hat sein ganzes Leben Geld gespart.
Nach seiner Arbeit kam die Altersruhe,
Da wollte er nun sein erspartes Geld
Verbrauchen, reisen durch die ganze Welt,
Die ganze Erde wollte er gewinnen.
Da lachte Gott und sagte: Dummerjan!
Heut überrasch ich dich mit deinem Tod!
MUTTER
Wie herzlos ist dies Gleichnis, o du Narr!
NARR
Der eine eben dient dem einen Herrn,
Der andre aber dient dem andern Herrn.
Lebt einer, um den Mammon anzubeten,
So hat er für den lieben Gott nur Spott.
Will aber einer seinem Schöpfer dienen,
Wird er den schnöden Mammon nur verachten.
MUTTER
Ich will davon jetzt nichts mehr hören, Narr,
Nein, ich ertrage diese Worte nicht!
Wo hast du nur den ganzen Unsinn her?


DRITTE SZENE


(Mutter, der Erstgeborene mit seiner Ehefrau, dreizehnjährige Beatrice und der Narr in Christo.)

MUTTER
Nun schweig einmal, du armer dummer Narr!
Wir können deine Witze nicht ertragen!
Wir sind hier voller Trauer um den Vater,
Du aber möchtest nichts als lustig sein!
NARR
Bei Allahs Sohn! Ich tanze noch auf Gräbern!
MUTTER
Geh, Sohn, du bist ein Narr! Du hast den Spleen!
EHEFRAU
Das würd ich gerne sehen, wie du tanzt,
Da täte wackeln dir der dicke Bauch!
NARR
Sankt Thomas von Aquin war ja so dick,
Man sägte eine Bucht in seinen Tisch,
Damit er an dem Tische sitzen konnte.
EHEFRAU
Wer ist denn jener Tom, von dem du schwatzt?
NARR
Sohn eines Reichen, wurde Bettelmönch.
EHEFRAU
Ein Bettelmönch, aha, und war so dick?
Gebettelt hat er und viel Fleisch gefressen?
Schau, ich ernähre mich nur vegetarisch
Und bin so schlank wie eine Bohnenstange.
NARR
Ja, die Gesundheitsreligion ist heute
Schon beinah eine Diktatur geworden.
Wer Fleisch ist, Wein trinkt, Zigaretten raucht,
Der muß den gelben Davidsstern jetzt tragen.
MUTTER
Unglaublich, was du sagst, wie unverschämt!
NARR
Die Euthanasie wird wieder eingeführt.
Die Hitlerleute haben einst ermordet
Die Narren, die vor Wahnsinn krank geworden.
Heut sagt die Frau schon in den Niederlanden:
O Freundin, nächsten Mittwoch stirbt mein Mann,
Da geben wir ihm seine Todesspritze!
BRUDER
Und wer bestimmt, dass man dem Manne gibt
Die Spritze? Wer hat da das Recht dazu?
NARR
Die Erben, die begierig sind aufs Erbe.
MUTTER
Nun halte aber mal dein freches Maul!
Wir alle trauern hier um deinen Vater
Und du machst Scherze über Todesspritzen!
EHEFRAU
Von Politik verstehst du überhaupt nichts.
NARR
Ich gehe eine Zigarette rauchen.


VIERTE SZENE


(Mitternacht. Im Kellerloch des Hauses sitzt bei einer kalten Lampe der Narr.)

NARR
Den Wein hab ich mir selber mitgebracht,
Die Mutter will den guten Wein des Vaters
Nicht opfern dem besoffnen Dichterschwein.
Auf der Terrasse unter Lunas Lächeln
Darf ich nicht sitzen, denn die Mutter stört
Der Tabakrauch bei ihrem Schönheitsschlaf.
So sitze ich im dunklen Kellerloch
Und trinke Wein und rauche meinen Tabak
Und lese in der Bibel Gottes Wort.
O Herr! Verschon die Welt vor deinem Zorn!

(Der Schatte des toten Vaters erscheint.)

O Vater, willst du noch nach deinem Tode
Mir bringen Flüche und Beleidigungen?
Im Keller der Erinnerung sind alle
Die Flüche noch, die du mir ausgesprochen.
Kein Segenswort hast du mir je gesagt.
Noch jetzt kommst du mit deinem Hohn und Grinsen
Und noch dein Schatte ist mit Gold behangen!

(Der Narr bekreuzigt sich.)

Im Namen Gottes – Vater, Sohn und Geist –
Der Schatte wendet mir den Rücken zu!
Im Namen Gottes – Vater, Sohn und Geist –
Der Schatte schleicht davon in Hundedemut.
Was ist das für ein Schatte, der entflieht,
Ein Schatte, der vorm Kreuzeszeichen weicht!

(Er schlägt die Bibel auf.)

Der arme Lazarus war arm und krank,
Die Hunde leckten seine offnen Wunden.
Der reiche Mann gewann die ganze Welt
Und hat das eigne Seelenheil verloren.
Der reiche Mann saß in dem Höllenfeuer
Und sah den armen Lazarus im Schoß
Von Vater Abraham im Himmel lachen
Und rief: O Vater Abraham, ein Tropfen
Von deiner Gnade lindre meine Qualen!
Doch Vater Abraham sprach zu dem Reichen:
Der Himmel ist geschieden von der Hölle.
Da schrie der reiche Mann im Höllenfeuer:
O Vater Abraham, schick einen Toten
Zu meiner Frau und meinem Erstgebornen!
Wenn sie erscheinen sehen einen Toten,
Bekehren sie vielleicht sich noch zu Gott!
Doch Vater Abraham sprach zu dem Reichen:
Dein Weib und dein geliebter Erstgeborner
Besitzen doch die Bibel, Gottes Wort,
So sollen sie dem Worte Gottes glauben.
Denn wenn sie nicht dem Worte Gottes glauben,
Dann glauben sie auch keinem Totengeist.


FÜNFTE SZENE


(Der Narr taumelt mitternachts betrunken durch den Garten. Über der nahen katholischen Kapelle leuchtet die jungfräuliche Luna.)

NARR
O Seele der Geliebten, sanfte Nacht,
O Seele der Geliebten, süß und sacht,
O liebe Seele, ich in meiner Wehmut,
O liebe Seele, du in deiner Demut,
Die Turteltauben gehn in ihre Nester,
O Seele, meine Freundin, meine Schwester,
O schöne Seele, du bist nicht wie jede,
Verzeih mir Gott, dass ich jetzt zu dir bete!
Geliebte Freundin, mea anima,
Du wunderschöne Hündin Helena,
Du bist so freundlich, so charmant und nett,
Ach, bring doch mich betrunken jetzt ins Bett!
Ach bette mich auf deiner Brüste Hügeln
Und berge mich in deiner Arme Flügeln!
Und wie die Hündin schnuppert an dem Hund
Ich möchte lecken deinen süßen Mund
Und schaukeln wie auf einem Teich ein Nachen
Und über meinem Bette sollen wachen
Als Sternbild meines Segens deine Augen
Und Trost will ich aus deinen Brüste saugen!
Weltseelen-Tochter du, o schöne Seele,
Geb Gott, dass deine Seele nie mir fehle,
Die schwebt erhaben überm Chaos-Brodem
Als Tochter Gottes und von Gottes Odem
Und so begehre ich, dich einzusaugen
Und will den Seelenfunken deiner Augen
Noch lieber als den besten Rotwein trinken,
Im Becher deines Beckens zu versinken
Und wie der Meerschaum um den harten Felsen
In einer Seelenhochzeit ganz verschmelzen!
Du, Gottes Tochter, bist die parallele
Geliebte Frau, das Schicksal meiner Seele!

(Ein schwarzer Vorhang fällt rauschend nieder.)


ZWEITER TAG


ERSTE SZENE

(Am Frühstückstisch: Mutter, Erstgeborener mit Ehefrau, Beatrice und der Narr in Christo.)

BRUDER
Die Knaben haben heute ein Problem,
Denn viele Frauen leben ganz allein
Und ziehen ganz allein die Knaben groß,
Und manche Frauen haben nach dem Mann
Noch einen zweiten Mann in ihrem Haus,
Und andre Väter denken nur an Arbeit
Und an die egoistischen Vergnügen.
Die Knaben kommen in den Kindergarten
Und in die Schule, wo vor allem Frauen
Erzieherinnen sind, von denen Mädchen
Bevorzugt werden. Knaben rebellieren
Und suchen die Idee der Männlichkeit
Im Protestieren gegen ihre Schule.
Wo ist ein Ideal der Männlichkeit?
Da sind nur Sportler ohne Hirn im Kopf
Und Pesudokünstler einer Unkultur.
NARR
So wurde die Gesellschaft vaterlos.
Doch das Problem kann nicht die Schule lösen,
Denn das Problem liegt schon in der Familie.
MUTTER
Du Narr, das sagte schon der Erstgeborne.
NARR
Ich weiß, dass ich nichts weiß, du teure Mutter.
(Narr ab)
BRUDER
Wie froh bin ich, dass mich mein Vater liebte!
Mein Vater ist das Vorbild meines Lebens!
MUTTER
Du bist auch ganz das Fleisch von seinem Fleische.
Jetzt, wo der liebe Ehegatte tot ist
Und mir nur bleibt, an seinem Grab zu weinen,
Ist es mein Trost, das du noch da bist, Sohn.
EHEFRAU
Wo ist der arme Narr schon wieder hin?
MUTTER
Gewiss, er liest schon wieder in der Bibel.
Mein großer Sohn, wir wollen an das Grab
Und legen weiße Rosen auf das Grab.
ERSTGEBORENER
Wie ein Soldat vor seinem Feldherrn steht,
Steh ich vor meinem Vater, meinem Vorbild.
MUTTER
Ja, unser Vater, ist er jetzt im Himmel?


ZWEITE SZENE


(Mutter weint am Grab des Vaters. Erstgeborener steht da ernst und in Nachdenken versunken. Der Narr schaut weißen Schmetterlingen zu.)

MUTTER
So war das nicht geplant, mein lieber Mann,
Wir wollten doch an Einem Tage sterben,
In einem und demselben Augenblick
Mit einem Flugzeug von dem Himmel stürzen!
So war das nicht geplant, mein lieber Mann,
Daß ich allein als Witwe überbleibe.
Wie gut, mein lieber Sohn, dass ich dich habe!
(Mutter umarmt den Erstgeborenen)
Weißt du noch, lieber Sohn, an jenem Tag,
Wie du und ich zum Vater sind gefahren
Und wie er starb in jener Mitternacht?
ERSTGEBORENER
Gewaltig strömte Regen von dem Himmel,
Der Himmel donnerte und Blitze zückten.
MUTTER
Als ob der liebe Gott im Himmel zürnte!
ERSTGEBORENER
Da standen wir vereint an seinem Bett.
NARR
Ich hatte für ihn ein Gebet verfasst:
Maria, o du Königin der Hölle,
Erlöse jenen gottvergessnen Geist
Von seinem Teufelspakt und rette ihn
Zumindest an den Fuß des Fegefeuers!
Als eben das Gebet vollendet war,
Da sprang mein Fenster auf, ein Windstoß kam
Herein und mit dem Windstoß kam ein Geist,
Ja, Gottes Gegenwart war plötzlich spürbar,
Das war der Augenblick, da Vater starb.
MUTTER
Mein Erstgeborner, dass du bei mir warst
Und mit mir warst an seinem Sterbebett!
(Sie umarmt wieder den Erstgeborenen)
Hat er geahnt wohl, dass er sterben muss?
ERSTGEBORENER
Als Rationaler konnt er sich’s wohl denken.
NARR
Als ich zum letzten Mal den Vater sah,
Er hatte keine Ahnung von dem Tode.
Er log die junge Krankenschwester an
Und sprach vom Gelde als Erziehungsmittel
Und geistreich dann mit ganz subtilem Spott
Hat er zum letzten Male mich verspottet.
MUTTER
Er war so lieb zu allen Menschenseelen
Und keiner Seele tat er je was Böses,
Nur Gutes tat er allen, allen Menschen.


DRITTE SZENE


(Am Grab der Großmutter des Narren. Der Narr bekreuzigt sich, faltet die Hände und betet. Mutter und Ehefrau stehen im Hintergrund.)

NARR
O Vaterunser in dem Himmelreich,
Geheiligt werde allezeit dein Name,
Dein Königreich der Himmel komme bald,
Der Wille deiner Liebe soll geschehen,
Wie er geschieht im Himmel, so auf Erden.
Gib heute alles uns, was wir bedürfen,
Vergib uns unsre Sünden gegen dich,
Wie allen wir vergeben ihre Schuld,
Mit der sie sich an uns verschuldet haben.
Beschütz uns vor dem großen Glaubensabfall,
Erlös uns alle von dem bösen Feinde!
Gegrüßet seiest du, Maria, Ave
Du Gnadenvolle, Hochgebenedeite,
Der Herr und Gott ist allezeit mit dir,
Die du bist mehr gesegnet als die Frauen,
Gebenedeit ist deine Leibesfrucht,
Der Christus Jesus. O du Mutter Gottes,
Jetzt bitte du für uns und wenn wir sterben.
(Der Narr bekreuzigt sich wieder)
MUTTER
Das Grab ist gut gepflegt mit den Zypressen.
EHEFRAU
Die Oma wurde neunzig Jahre alt,
Der Opa wurde sechzig Jahre alt.
So dreißig Jahre war die Oma Witwe.
Der Opa aber hat betrieben Raubbau
An seinem Körper, hat zuviel geraucht
Und hat zuviel des Alkohols getrunken.
Drum ist er sechzig Jahre nur geworden.
NARR
Der Opa hat noch heute großen Durst
Und hat noch heute großen Lungenschmacht
Und raucht und trinkt in seinem Enkel weiter!
MUTTER
Geh, Narr, du hast den Spleen! Das ist ja Wahnsinn!
EHEFRAU
Dann wirst du eben auch nur sechzig Jahre.
NARR
Nun, wen die Götter im Olympus lieben,
Denn lassen jung sie von der Erde scheiden.
MUTTER
So können ja nur Idioten denken.
(Mutter und Ehefrau gehen vom Friedhof. Der Narr spaziert langsam allein.)
NARR
Ach du mein vielgeliebtes Omalein,
Großmütterchen-Großengelin vom Himmel!


VIERTE SZENE


(Bauernhaus mit sehr großem, paradiesischem Garten. Ein sanfter Wind rauscht in den Bäumen. Tauben gurren. In einem schattigen Pavillon sitzen ein alter frommer Bauer und eine alte fromme Bäuerin und der Narr in Christo. In der Mitte des Gartens steht ein mächtiger alter Lebensbaum. Die dreizehnjährige Beatrice schaukelt in dem Baum und verschwindet ab und an in der grünen Krone. Sie trägt ein langes blauweißes Kleid und hat bloße Füße. Um den Arm trägt sie eine Schnur mit weißen Perlen und einem großen Diamanten. Ihre langen blonden Haare wehen wie ein Schleier im Wind. Sie ist der Inbegriff von Liebreiz und Anmut in reinster Jungfräulichkeit.)

BAUER
O du mein lieber Narr! Zu meinen Töchtern
Ich hätte gern auch einen Sohn wie dich!
Ich habe gern die Einfalt deiner Seele,
Du bist so einfach noch wie Baum und Blume.
Das Geld, der Reichtum hat dich nicht verdorben.
NARR
Wie lange lebst du schon auf diesem Hof?
BAUER
Mein Vater erbte ihn von seinem Vater,
Ich erbte diesen Hof von meinem Vater.
NARR
Wo hast du deine Bäuerin gefunden?
BAUER
Ich fand mein liebes Weib beim Nachbar-Bauern.
Jetzt ist sie mir die Königin des Hofes.
NARR
Was habt ihr von der großen Welt gesehen?
BÄUERIN
Wie reisen nicht auf fremde Kontinente,
Wir haben alles hier in unsrer Heimat.
Der liebe Gott gab mir den Ehemann,
Die lieben Töchter, die uns herzlich lieben,
Die Enkeltöchter und die Enkelsöhne.
Sechs Tage sind wir fleißig in der Woche,
Am Sonntag hören wir im Gotteshause
Das Wort des Herrn und unsres Pastors Predigt.
NARR
Wie wunderschön ist dieser Blumengarten.
Wie heiße die große gelbe Blume da?
BÄUERIN
Das ist die Calla mit dem tiefen Kelch!
BAUER
He, Beatrice, schaukel nicht so hoch!
BEATRICE
Schau, Opilein, ich fliege in den Himmel,
Berühre mit den Füßen schon die Wolken!
NARR
Du süße Beatrice, pflücke mir
Doch bitte einen Lichtstrahl von dem Himmel!
(Beatrice springt von der Schaukel. Sie hüpft durch den Garten wie eine Gazelle und tanzt mit ihrem langen blauen Schleier.)
BEATRICE
Schau, lieber Narr, ich tanze nur für dich.
NARR
Jetzt bist du meine Muse, Beatrice.
BEATRICE
Jetzt bin ich was? Was ist denn eine Muse?
NARR
Ein Weib, das einen Dichter inspiriert.
BEATRICE
Du bist ein Dichter? Du bist ein Poet?
Worüber schreibst du denn Gedichte, Närrchen?
NARR
Vom lieben Gott und von der schönen Liebe!
Doch heute abend dichte ich von dir.
BEATRICE
Jetzt lass ich flattern meinen blauen Schleier!
Soll ich ihn winden um den Kopf als Kopftuch?
NARR
Jetzt bist du nicht Madonna mehr und Muse,
Jetzt eine Muselmännin aus Byzanz.
BEATRICE
Nun mach ich einen Knoten unterm Kinn.
NARR
Ein altes frommes Mütterchen aus Russland.
BEATRICE
Ein altes Mütterchen? Beleidigung!
Ich bin die Jugend und ich bin unsterblich!
Jetzt lass ich wieder flattern meinen Schleier
Und tanze nur für dich den Schleiertanz!
NARR
Madonna! Unbeschreiblich dieser Liebreiz!
Ach, dass die Jugendanmut flüchtig ist!
BEATRICE
Jetzt aber bin ich jung, jetzt bin ich schön,
In diesem Augenblick, der ewig ist,
Schau du in meinem Bilde Gottes Schönheit!


FÜNFTE SZENE

(Der Narr sitzt auf einem Stein vor dem Bauernhaus allein und raucht eine Zigarette. Beatrice tritt leise und nachdenklich hinzu.)

BEATRICE
Wer bist du eigentlich? Man nennt dich Narr!
NARR
In meiner Kindheit wurde ich verflucht,
Man legte mich auf meinen Wahnsinn fest,
Ich ward verachtet und geringgeschätzt,
Man sagte mir: Du Narr, du hast den Spleen,
Du hast den Wahnsinn, bist ein Idiot,
Bist ein Verrückter und ein Taugenichts,
Ein Tunichtgut und schmutzig wie die Ratten!
BEATRICE
Ach, glaube nicht an diesen Lug und Trug!
NARR
In meiner Jugend war ich Kommunist
Und kämpfte gegen Christus und die Kirche,
Verspottete das Gotteswort der Bibel,
War für das Recht, die Kinder abzutreiben.
Zugleich war meine Seele krank und finster,
So dass ich mich betäubte mit dem Bier,
Dem scharfen Alkohol und mit dem Haschisch.
BEATRICE
Du rauchst ja heute noch und trinkst viel Wein.
NARR
Noch bin ich nicht ganz heil, noch viele Wunden
Hat meine Seele. Meine Seele war
Verfinstert, dass ich Jesus nicht erkannte,
Daß ich stattdessen alle Götter suchte
Und trug ein Buddhagötzenbild am Hemd
Und betete zur Göttin Aphrodite
Und kam dann zu der Götterwelt Ägyptens,
Zum Totengotte mit dem Hundekopf,
Zum Okkultismus und zur Esoterik,
Zu Aberglauben, Horoskop, Tarot,
I-Ging-Orakel, Interpretationen
Des abergläubischen Tarot von Männern,
Die offen sich bekannt zum Antichristen.
BEATRICE
Jetzt aber glaubst du doch an Gott, an Jesus!
NARR
Ja, durch den Heimgang meiner lieben Oma
Bin ich ein Gläubiger an Gott geworden.
Der Satan aber wollt nicht von mir lassen,
Er führte in den Wahnsinn meine Seele,
Verführte mich zu einem Suizid.
BEATRICE
Ein Suizid? Du wolltest dich ermorden?
NARR
Ich hatte Halluzinationen, sah
Die Hölle offen, Ratten wimmelten
Um mich, Geruch von Schwefel und von Pest
Bedrängte mich und Paranoia quälte
Mich mit der abgrundtiefen Höllenangst,
So dass ich mir mein Leben nehmen wollte.
Ich lag und zappelte in meinem Blute,
Da sah ich die Madonna über mir
Und Jesus breitete die Arme aus
Und sagte: Du sollst leben, du sollst leben,
Sollst wachsen und sollst blühen wie die Lilie!
BEATRICE
Hat Jesus Christus glücklich dich gemacht?
NARR
Ach, noch war wund und krank die ganze Seele,
Umnachtet von der tiefsten Depression!
Umnachtet meine Seele, voller Schmerzen,
Dazu voll jämmerlicher Liebesschmerzen
Um eine schöne Frau, die mich nicht liebte,
Erlitt ich das Martyrium des Herzens
Und die Passion der Seele Jesu Christi!
BEATRICE
Ich hab dich lieb, ich hab dich zärtlich lieb.

(Ein weißer Vorhang rauscht nieder.)