Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

Der elfte September


Historienspiel
Von Josef Maria Mayer


ERSTE SZENE


(Pius-Hospital. Der zwölfjährige Valentin liegt im Krankenbett. Seine Mutter Eva und der Dichter Josef stehen an seinem Bett. Zwei weißgekleidete Ärzte geben ihm eine Spritze. Im Hintergrund läuft ein Radio.)

MUTTER EVA
Wie geht es dir, mein lieber Sohn? Mußt du sehr leiden, mein Söhnchen? Verliere nicht den Mut! Ich werde immer Mitleid mit dir haben!
DICHTER JOSEF
Lieber Valentin, wir wollen doch bald wieder Schach zusammen spielen.
ARZT
So, mein Junge, jetzt muß ich dir mit einer Spritze Blut abnehmen an einer sensiblen Stelle, das wird weh tun, da musst du tapfer sein. Liebe Frau, bitte halten Sie ihren Sohn fest, dass er nicht um sich schlägt, wenn ich ihm den Schmerz zufüge.
RADIOSTIMME
Soeben bekommen wir die Meldung, dass ein Flugzeug in das World Trade Center von Amerika geflogen ist. Das Flugzeug ist in einen der beiden Türme hineingeflogen und explodiert. Der Turm ist eingestürzt. Über die Zahl der Opfer liegen noch keine genauen Meldungen vor.

(Der Arzt sticht mit der Spitze in den zwölfjährigen Valentin.)

VALENTIN
(schreit auf)
Ah! Ihr Sadisten! Warum quält ihr mich so!?
MUTTER EVA
(mitleidend)
Mein Sohn, mein Sohn, mein armer Sohn!
ARZT
(zieht die Spritze heraus)
Das musste sein!

(Die beiden Ärzte verlassen das Krankenzimmer.)

MUTTER EVA
(ihren Sohn liebkosend)
Nur Mut, nur Mut! Bald wird es besser werden! Nun heilt es!
DICHTER JOSEF
Ach Eva, Geliebte, in der Welt geschehen Schreckliche Dinge! Ich muß jetzt gehen, aber ich liebe euch, beide Mutter und Sohn.


ZWEITE SZENE

(Der Dichter Josef in seinem Kämmerchen. Das Tohuwabohu der Weltschöpfung. In der Laterna Magica sieht er in einer Tele-Vision den Zusammenbruch des World Trade Centers.)

DICHTER JOSEF
O Gott! Wie können diese Terroristen
Im Namen von Allah so grausam morden?
Amerika mit seinem Präsidenten
Und allen seinen Puritaner-Sekten
Wird Rache und Vergeltung üben und
Mit Krieg antworten diesem Terrorismus.
Erheben Christen sich zu einem Kreuzzug?
Und werden Christen nicht nur Schwerter nehmen,
Nein, Panzer und Raketen, wie sie ja
In dem gelobten Land Amerika
Die atomare Bombe tauften auf
Den Namen der Beata Trinitas!
Ist der Islam so kriegerisch, so grausam,
Im Namen von Allah zu morden und
Im Namen von Allah zu führen Kriege
Und Hass zu predigen im Namen Gottes?
Jetzt kommen die Erinnerungen wieder
An Richard Löwenherz und Saladin,
An Prinz Eugen, das Türkenheer vor Wien!
Was glauben die Muslime? Glauben sie
An einen Gott der Gnade und des Friedens?
Was glauben die Muslime? Ist Allah
Der wahre Gott, der Vater in dem Himmel?
Und sind die Terroristen des Islam
Die wahren Jünger Mohammeds? Ist Gott
Ein Gott der Liebe – oder Gott des Hasses?
Ein Gott des Friedens – oder Gott des Krieges?
Und ist es recht, wenn sich die Christen rächen
Und Rache und Vergeltung üben, Herr?
Hat Christus nicht geboten Feindesliebe?

(In der Tele-Vision erscheint ein Protestant.)

PROTESTANT
Die Opfer dieses Terroranschlags fallen,
Doch tiefer nicht als in die Arme Gottes!

(In der Tele-Vision erscheint der Papst Johannes Paul der Große.)

PAPST JOHANNES PAUL
Der Papa wird für eure Toten beten!

(Eine junge Nonne erscheint in der Tele-Vision.)

SCHWESTER MIRJAM VON DEM GEKREUZIGTEN CHRISTUS
Ich bete für den Chef der Terroristen,
Daß Gottes Liebe ihm die Umkehr schenke.


DRITTE SZENE

(Im Weißen Haus. Der Präsident von Amerika vor Journalisten.)

PRÄSIDENT
Amerika ist das Land der Freiheit. Amerika ist das Land der Menschenrechte und der Demokratie. Amerika ist Gottes eigenes Land! Wir sind die von Gott dem Allmächtigen auserwählte Nation, um die Demokratie und Freiheit in die ganze Welt zu tragen. Wir beweinen unsre Toten, die als Märtyrer für die Freiheit gestorben sind. Die Freiheit in Gestalt einer göttlichen Frau bewacht Amerika. Diese göttliche Frau bekamen wir von den Franzosen geschenkt, die in ihrer Großen Revolution die Menschenrechte ausgerufen haben. Aber die barbarischen Kräfte des Islam hassen die Freiheit, sie hassen die Demokratie. Wir waren unantastbar, aber jetzt hat die Macht des Bösen uns eine schwere Wunde zugefügt. Amerika ist erschrocken, verletzt, verwundet! Amerika trauert! Aber wir verzweifeln nicht! Wir werden keinen Frieden in der Welt erlangen, wenn die Mächte des Bösen und der Finsternis weiter in islamischen Schurkenstaaten ihr Unwesen treiben und die Menschheit mit Terror und Krieg überziehen. Wir werden alle Ratten ausrotten! Wir werden die islamischen Terroristen durch den ganzen Orient jagen, bis wir auch dem letzten Menschenmörder das Lebenslicht ausgeblasen haben. Jeder islamische Diktator und jeder islamische Terrorist soll wissen: Sein Leben ist nicht mehr sicher! Amerika schwört: Wir werden nicht eher ruhen, bis Terrorismus und Tyrannei auf Erden ausgerottet sind und die amerikanischen Tugenden der Toleranz und Freiheit auf der ganzen Erde herrschen. Mit der ganzen Macht des Dollar und der ganzen Macht des Militär werden wir als Gottes auserwähltes Volk das Reich der Freiheit auf Erden errichten.
JOURNALIST
Wird es Krieg geben?
PRÄSIDENT
Der Krieg ist unumgänglich, um Gottes Friedensreich auf Erden zu errichten. Gott segne Amerika!


VIERTE SZENE

(Der Papst erscheint auf dem Balkon des Apostolischen Palastes. Die Gläubigen jubeln: Viva il Papa! Viva il Papa!)

JOHANNES PAUL DER GROSZE

Ich bin zutiefst erschüttert, liebe Freunde,
Gewalt kann niemals die Probleme lösen!
Wir Christen sollen lieben unsre Feinde

Und sollen niemals widerstehn dem Bösen
Und Böses auch mit Bösem nie vergelten!
Gott möge von dem Übel uns erlösen,

Besonders von dem Kriege zwischen Welten.
Die Erben Abrahams und seine Kinder
Bedürfen der Versöhnung. Ich muß schelten,

Ob sie nun Indianer oder Inder,
Die in dem Namen Gottes Kriege führen.
Der Friede sei mit jedem Überwinder!

Erst wenn wir selber in uns Frieden spüren,
Weil wir mit Gott versöhnt im Frieden leben,
Dann werden wir die Trommeln nicht mehr rühren.

Macht Frieden nur mit Gott! Und geben
Wird Gott uns seinen Frieden in die Herzen.
Und wie der Saft des Weinstocks nährt die Reben,

Wird Friede blühen in der Welt. Mit Schmerzen
Gedenk ich der Tragödie vielen Toten,
Ich werde ihnen zünden sieben Kerzen

Und beten, beten, wie es Gott geboten
Und wie die Königin des Friedens möchte.
Wir Christen sollen werden Friedensboten

Und Friedensstifter. Der ist der Gerechte,
Wer seine Feinde segnet, die ihm fluchen,
Wer fleht für die, die ihn verfolgen. Schlechte

Und böse Mächte wollen uns versuchen,
Uns, die wir alle Schwestern sind und Brüder!
Wir aber sollen Christi Frieden suchen!

Gott segne euch! Nie wieder Krieg, nie wieder!

(Die Gläubigen applaudieren und rufen wieder: Viva il Papa!

FRAU AUS DER MENGE
John Paul Two – I love you!

PAPST
Grazie, Grazie!


FÜNFTE SZENE

(Im Western von Elysium. Goethe, zu seinen Seiten Platen und Rückert. Sie sitzen beim Elfer.)

GOETHE
Islam, das heißt Gott ergeben,
Gott ergeben sind wir alle,
Gott ergeben die Muslime,
Gott ergeben sind die Juden,
Gott ergeben sind die Christen.
Ja, mir scheint die Einheit Gottes
Doch der heiligste Gedanke.
An den Einen glaubte Abram,
An den Einen glaubte Moses,
Und den Einen lehrte Jesus.
Wie erkenne ich den Einen?
In der Schönheit der Geliebten!
Denn die Schönheit der Geliebten
Ist ein Bild der Schönheit Gottes!
PLATEN
Frauenschönheit übertreiben
Alle Dichter dieser Erde!
Hafis aber wie auch Platon
Liebten auch die schönen Knaben!
Ah, der Knabenliebe Weisheit!
Wenn ich dürfte, wie ich wollte...
GOETHE
Du hast viel Talent, mein Platen,
Meister im geschickten Ausdruck,
Aber du hast keine Liebe!
Ohne Liebe ist der Dichter
Nichts als eine Narrenschelle!
RÜCKERT
Orientalische Poeten
Kommen durch mein Übersetzen
Zu des Abendlandes Christen.
Das Shi-Ging, die Krishna-Minne,
Hafis hab ich übertragen.
Doch die hochberühmte Schönheit
Des Koran geht ganz verloren
In der Professoren-Prosa.
Ich hab Mohammed, den Dichter
Aller Dichter Morgenlandes,
Als ein Dichter übertragen.
GOETHE
Der Koran ist sehr barbarisch,
Schrecklich, grausam und gewaltig,
Doch wer öfter ihn gelesen,
Findet mehr und mehr erhaben
Diese tiefe Gottesehrfurcht.


SECHSTE SZENE

(Im Osten von Elysium. Hafis sturzbetrunken, zu seinen Seiten Rumi und Nizami betrunken.)

HAFIS
Die Kapelle ist ein Weinhaus,
Wo wir Blut aus Bechern zechen!
RUMI
Wir sind deine Ministranten,
Wenn du hebst den breiten Becher,
Klingeln wir mit Narrenschellen,
Denn wir sind die Narren Gottes!
NIZAMI
Unsre Religion ist Liebe,
Denn die Liebe ist die Gottheit
Und die Gottheit ist die Liebe!
Christen zelebrieren Liebe
Und die Muselmänner lieben
Ihre Liebe, ihren Liebling!
Moses liebte Gottes Feuer,
Dieses Feuer war die Liebe,
Salomon die Liebe nannte
Eine Feuerflamme Gottes!
HAFIS
In der Nüchternheit der Kirche
Sehne ich mich nach der Liebe,
In Moscheen und Minaretten
Seh ich der Geliebten Körper.
NIZAMI
Selbst noch in den Hindu-Tempeln
Sehe ich den Schoß der Liebsten!
HAFIS
Ein Verliebter ist der Dichter,
Der verliebt ist in die Liebe!
Kennt ihr der Geliebten Namen?
Unaussprechlich ist ihr Name,
Unaussprechlich ist die Liebe!
RUMI
Wisst ihr von der Gottesweisheit,
Die da ruht im Schoß des Bechers?
O, der Wein des frommen Zechers
Ist das Blut der Gottesweisheit!
NIZAMI
Ja, die Gottesweisheit führte
Mich zur großen Liebestorheit!
HAFIS
All ihr Weisen, all ihr Frommen,
All ihr hochgelehrten Männer,
Seid so fromm nicht und so weise
Wie die Ewig-Vielgeliebte,
Wenn sie sagt zu ihrem Knaben:
Hafis, ach, hat keinen Wein mehr!


SIEBENTE SZENE

(Türkisches Viertel in einer deutschen Stadt. Der Lammfleischverkäufer, der zweiundzwanzigjährige Azur, ist zugleich der Haschischverkäufer des Viertels. Nacht im Mondschein. Vor dem Kiosk sitzt der Dichter Josef bei Brot, Lammfleisch, Knoblauchquark.)

AZUR
Willst du Haschisch?
JOSEF
Ich will Wein zum Lammfleisch.
AZUR
Mohammed verbietet den Wein.
JOSEF
Jesus verwandelt den Wein in sein Blut.
AZUR
Wein macht dumm. Aber Haschisch gibt dir Flügel, du fliegst auf dem Flügelpferd des Propheten ins Paradies und liebst schon zu Lebzeiten die Huris.
JOSEF
Und am folgenden Tage bringst du dich um! Im Wein liegt die Wahrheit.
AZUR
Und am nächsten Tag hast du Katzenjammer.
JOSEF
Maria verbietet die Drogen! Sie zeigte mir Drogenhändler und sagte: Das ist der Triumph Satans! Ich sah einen moslemischen Haschischverkäufer, er schwor falsch auf den Koran, um sich seinen Gewinn zu erschwindeln. Neben ihm sah ich den Satan, der den armen Haschischraucher auslachte.
AZUR
Die Assassinen in den Wüstenbergen des Orients rauchten schwarzen Afghanen in den Wasserpfeifen und lebten auf Erden schon im Paradies.
JOSEF
Trügerische Halluzinationen!
AZUR
Du liebst mehr die Delirien?
JOSEF
Auch Hafis hat den Wein geliebt.
AZUR
Aber nur den allegorischen, mystischen Wein.
JOSEF
Den sakramentalen Wein!


ACHTE SZENE

(Der Schenke Azur und der Dichter Josef.)

AZOR
Den Koran musst du im arabischen Original lesen, er ist unübersetzbar. Der Beweis für die göttliche Offenbarung an den Propheten Mohammed – Friede sei mit ihm – ist die unübertreffliche Schönheit des Koran. Mohammed ist kein Dichter. Die Dichter dichten nur Mythen und Märchen. Aber Mohammed kündet die göttliche Offenbarung im Gewand der Schönheit. Der Koran ist nicht von Menschenhand geschaffen, sondern er ist von Ewigkeit. Der himmlische Koran, die Mutter des Buches, ist das Urbild der Schöpfung.
JOSEF
Weißt du, was die Juden über die Tora sagen? Sie ergründen jedes Wort, jede Silbe, zählen die Worte und die Buchstaben, denn jedes Jota ist eine Offenbarung Gottes, alles kündet den Namen Gottes. Die Tora auf Erden beginnt mit dem Buchstaben B – Bereschit – aber die ewige und himmlische Tora beginnt mit dem Buchstaben A. Die himmlische Jungfrau Tora ist die göttliche Weisheit selbst. Und Gott der Ewige, als er die Welt erschaffen, nahm er sich die himmlische Jungfrau Tora zum Vorbild und machte den Kosmos nach dem Urbild der göttlichen Weisheit.
AZUR
Tora und Evangelium sind von Gott, aber die Juden haben die Tora verfälscht und die Christen haben das Evangelium verfälscht. Allein der Koran ist die unfehlbare Offenbarung Gottes.
JOSEF
Was ist das Evangelium? Es ist das Zeugnis von Jesus, dem Messias. Wer aber ist der Messias Gottes? Der Messias Jesus ist das ewige Wort Gottes, in dem Gott sein innerstes Herz vollkommen ausgesprochen hat und für alle Ewigkeit offenbart. Dieses ewige Wort Gottes ist das schöpferische Wort. Durch das Wort und in dem Wort und für das Wort ist das Universum geschaffen. Und dieses göttliche Wort ist Mensch geworden in Jesus von Nazareth, ist Fleisch geworden im eucharistischen Christus.


NEUNTE SZENE

(Der Dichter Josef und die vierzehnjährige Schwester des Schenken, die schöne Zozan.)

JOSEF
Ich las von dem Propheten Mohammed,
Er hatte eine kluge Ehefrau,
Er war ein Kaufmann, sie war eine Dame,
Sie glaubte an die Sendung des Propheten.
Doch nach dem Tode dieser Ehefrau
Mohammed legte einen Harem an.
Maria, Christin aus der Kopten-Kirche,
War seine Sklavin und geliebte Braut.
Er liebte viele Frauen. Aber eine
War seine Lieblingin, das war Aischa,
Sechs Jahre jung war sie, als er sie freite,
Neun Jahre jung war sie, als er sie nahm.
Von seinem Adoptivsohn nahm er noch
Die Ehefrau, die er gesehen hatte
Im Mondenschein im seidenfeinen Nachthemd.
ZOZAN
Von all dem weiß ich gar nichts, alter Herr.
JOSEF
Man sagt, dass die Propheten allesamt
Die vierzigfache Manneskraft von Männern,
Daß Abraham und Moses, Salomon
Und David und Herr Jesus, Sohn Marias,
Die vierzigfache Manneskraft von Männern,
Doch Mohammed, das Siegel der Propheten,
Die vierzigfache Manneskraft von Sehern.
ZOZAN
Warum erzählst du mir das, alter Herr?
JOSEF
Man sagt, dass in dem Paradiese Huris
Die Marterzeugen des Islam beglücken,
Die Mädchen, welche ewig Jungfraun sind,
Die nach dem Liebesakte wieder Jungfraun
Und ewig eng gebaut wie Mädchen sind,
Und dass die Latten der Muslime nie
Ermatten und erlahmen in dem Garten.
ZOZAN
Willst du ein Tässchen Tee, mein alter Herr?
JOSEF
Du Aphrodite von dem Bosporus!
Dein Körper ist der schönste Marmorkörper,
Dein Angesicht vollkommne Symmetrie,
Dein Körper ist der Körper einer Venus,
Dein Gürtel ist der Gürtel aller Reize,
Dein Becken gleicht dem Becher voller Mischwein,
In deinen Augen funkelt keine Seele,
Doch du bist schön – auch ohne eine Seele!


ZEHNTE SZENE

(Der Dichter Josef unter besoffenem Pöbel in der Schenke Zum Goldenen Löwen.)

PÖBEL
Willst du lieber den Rauschtrank von der Feige oder lieber den Rauschtrank von der Pflaume?
DICHTER JOSEF
Je mehr ich trinke von dem Wein, o Haura,
Je mehr verseufz ich mich allein, o Haura,
Du bist die Seele meines Universums,
Ich sehe dich in jedem Stein, o Haura,
Weltseele, die du bist von Gott geboren,
Ich bin in der Passion der Pein, o Haura,
Du parallele Seelenzwillingsschwester,
Wir beide eins im Einig-Ein, o Haura,
Vereint in dem Mysterium der Liebe,
Wir beide sind von Gott ein Schein, o Haura,
Einst war dein Name Unsre Mutter Eva,
Jetzt heißt du Neues Evalein, o Haura,
Ich hör die Symphonie des Universums,
Ins Paradies mich ladend ein, o Haura,
Was aber wäre mir der Garten Eden,
Wenn dort wir wären nicht zu zwein, o Haura?
Du bist das feminine Antlitz Gottes,
Und ich bin ganz vollkommen dein, o Haura,
Im Anbeginn der Welt die Gottesweisheit
Schuf dich für mich, so bist du mein, o Haura,
Brautmystiker bin ich der Gottesweisheit,
Du folgst der Mystik von dem Sein, o Haura,
Maria sprach zu Gott für uns das Ja-Wort,
So sage du zu mir nicht Nein, o Haura,
In Demut ich gehör dir als ein Schoßhund,
So lobe mich und sage: Fein, o Haura,
Ich brenne in verzehrender Begierde
Und wäre gern im Herzen rein, o Haura,
Ich bin ja Adam, du bist meine Eva,
O Fleisch bei Fleisch und Bein bei Bein, o Haura,
Du bist die Muse, ich dein Musenpriester,
Du mögest mir dies Lied verzeihn, o Haura!
PÖBEL
Mehr Rauschtrank von der Feige! – Konvulsivische Kontraktionen! – Lalla, lalla!


ELFTE SZENE

(Beichtzimmer. Priester Beichtvater und Dichter Josef, der Bekenner. Ein freundliches weißes Beichtzimmer, Licht der Septembersonne strahlt herein in goldener Milde.)

JOSEF
Ich bin der Herr, dein Gott, ich bin’s alleine,
Hab keine andern Götter neben mir.
O Vater, wenn ich lese im Koran,
So scheine mir prophetisch diese Worte.
PRIESTER
Das zweite vatikanische Konzil
Hat den Islam hochachtungsvoll geschätzt
Und nannte die Muslime unsre Brüder.
Doch galubst du: Gottes Sohn ist Jesus Christus?
JOSEF
Ja, Gott von Gott und Licht von Licht! Mein Christus
Ist mir die menschgewordne Weisheit Gottes.
Doch wenn ich im Koran vom Garten Eden
Und von dem Himmelsparadiese lese
Und von den reinen wunderschönen Jungfraun,
Die Gläubigen im Paradies beglückend,
Berührt mich das an einer tiefen Sehnsucht.
Denn auf der Erde leiste ich Verzicht
Und leb im Zölibat um Gottes Willen,
Doch für den Himmel hoff ich Frauenliebe,
Mein Paradies, das wäre Frauenliebe.
PRIESTER
Nun schweige einen Augenblick, mein Sohn,
Hör nicht auf die Gedanken des Verstandes,
In Stille lausch der Stimme deines Herzens!

(Eine Weile Stillschweigen. Dieses Schweigen ist angenehm wie eine himmlische Harmonie.)

JOSEF
Ach Vater, ich bekenne keinem Menschen,
Sonst würd ich es nicht wagen auszusprechen,
Doch ich bekenne dem geliebten Jesus.
PRIESTER
Ja, Jesus hört dir zu. Sag ihm nur alles!
JOSEF
Ich denke an Marias Ehebett!
Mein Himmel ist die Ehe mit Maria!
PRIESTER
So sprech ich dich von deinen Sünden los
Und gebe dir zur Buße auf, zu lesen
Im Evangelium: Am dritten Tag
War eine Hochzeit und da war MARIA.