Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

SOSSIMAS GESCHICHTE


Von Josef Maria Mayer



Ja, in Gottes Namen sing ich,
Hört, ihr Frauen schön und Männer,
Was ich fand geschrieben im
Mittelhochdeutsch frommer Zeiten,
Das ich euch verdolmetscht habe
Hier in diesem kleinen Lied.

Nun ist dies Gedicht vielleicht
Ungeschickt und reimt sich nicht.
Achtet doch auf seinen Sinn,
Achtet nicht der armen Verskunst.
Wollt ihr so dies Liedlein lesen,
Sag ich euch, was ich gefunden
In der Universität.

Da war einst ein stilles Kloster,
Das an einem Flusse stand,
Welcher aus dem Jordan strömte.
In dem Kloster lebten Leute
Freien Willens in der Armut.
Alles hatten sie gemeinsam,
Waren stets im Gottesdienst,
Keiner je vergaß die Messe.
War der eine frohen Sinnes
Und den andern drückte Schwermut,
Jeder sei, wie Gott ihn schuf,
Aber beide Tag und Nacht
Dienten Gott in freier Liebe.
Keiner dieser Mönche tat
Schlimmes, was das Jesuskind
Kränken könnte und verletzen,
Lebten die Moral der Kirche,
Die getreuen Gottessklaven.
Da beschlossen diese Mönche,
Daß sie allzeit beten wollten,
Beten, beten, beten, fasten,
Wachen lange Nächte lang
Und nur wenig müßig ruhen.
Ihre Speise war nichts andres
Als ein wenig Trank und Brot,
Oftmals litten sie auch Hunger.
Auf der Erde zu entsagen
Übermäßigem Genießen
Hatten sie beschlossen, um
Sich den Himmel zu verdienen
Und im Himmel Gottes Schönheit
Anzuschauen, zu genießen!
Gott gibt nämlich Minnelohn
Allen, die mit treuem Fleiße
In dem Sühneopfer leben
Und bereuen ihre Sünden,
Sind doch alle Menschen Sünder.

Dieser Orden war sehr streng,
Einmal nur im Jahre ward
Ihre Klostertür geöffnet,
Kurz, bevor beginnt das Fasten.
Jeder war bereit, den Corpus
Christi mündlich zu empfangen.
Vor dem Kloster war ein Wald,
Da sie wandelnd sich ergingen.
Doch dann war es ihnen auch
Nicht zu schwer, vom Wald zu scheiden.
Auch gelobten sie das Schweigen,
Miteinander nicht zu plaudern
Eines müßigen Geschwätzes.
Einer da, der andre dort
Lebten sie wie Eremiten,
Lebten schweigend in der Stille.
Hunger hatten sie und Durst,
Hatten nichts als schnöde Speise,
Wurzelknollen aßen sie,
Wie man sie im Walde fand.
Also lebten sie das Fasten
Bis Palmsonntag, an Palmsonntag
Kehrten wieder sie ins Kloster.
Gott schaut wahrlich in die Herzen
Und er hatte dieses Leben
Den Erwählten anvertraut
Zu der Buße ihrer Sünden.
Ach, ein seliges Verscheiden
In des Herrn Barmherzigkeit
Wurde jedermann zuteil!
Amen sprech auch ich dazu.

Möchtet ihr nun weiterlesen,
Hört, was ich im Buch gefunden.
Eines Tages wollten Brüder
Wieder in den grünen Wald.
Einer von den Brüdern war
Nun der fromme Mönch Sossima.
Dieser wollte in dem Walde
Suchen, ob er etwa finde
Eine schöne Christenseele,
Eine Seele liebend, weise,
Eine Seele wahrhaft schön.
Seine ganze Hoffnung war,
Einen Christenfreund zu finden,
Einen Bruder in dem Herrn
Christo, der auch Buße täte
Und allein im Walde wohne.
Ach was soll die lange Rede,
Was denn nutzen all die Worte?
Leider ging er in dem Walde
Ganz allein, fand keine Seele,
Keinen Fuchs und keinen Bruder
Zwanzig lange Tage lang.
Schließlich war er sehr erschöpft,
Diese harte Pilgerschaft
War geworden zu beschwerlich.
Auch die Lunge rasselte
Und er fühlte sich sehr alt.

Lange war Sossima also
Durch den dunklen Wald gewandert,
Da begann er sein Gebet.
Hört, was da der liebe Gott
Für ein großes Wunder tat!
Als Sossima also lag
Bis zum Mittag auf dem Moos,
Sah er plötzlich neben sich
Einen Schatten. Dieser Schatte
War der Schatte eines Menschen.
Da erhob er sich und blickte,
Fleißig heftend seine Augen,
Ob er schaue einen Menschen.
Doch im Herzen schreckte ihn
Furcht, ob etwa ihn betrüge
Ein Dämonenzauberspiel.
Er bekreuzte seine Brust,
Da entwich die Angst von ihm.
Er erhob sich, trat hinzu,
Prüfte die Erscheinung, sah
Wirklich einen Menschen, aber,
Wehe, welche Hässlichkeit...!
Von der Sonnenhitze braun,
Dunkelbraun wie Mahagoni!
Und Sossima trat heran,
Schon entfloh das scheue Wesen.

Doch der Mönch ermannte sich,
Nicht zu alt und nicht zu schwach,
Jenem Wesen nachzulaufen,
Doch das scheue Wesen floh,
Doch Sossima eilte eifrig,
Und Sossima weinte, rief:
In dem Namen unsres Jesus,
Sage mir, wer bist du, Mensch?
Die Erscheinung aber schwieg,
Eilte wieder in den Wald,
Kam zu einem Talesgrund,
Wo dereinst ein Wasser war,
Welches aber nun vertrocknet,
Dahin hastete das Wesen
Und Sossima hinterher.

Und nun sagte die Erscheinung:
Was begehrst du denn von mir,
Ach, mir armen Sünderin?
Wozu läufst du mir denn nach,
Hastest so mir hinterher?
Auf der schweren Pilgerschaft
Hast du dich ja nicht geschont,
Über deine Kraft hinaus
Liefest du mir hinterher,
Solche Arbeit macht ich dir,
Darum sollst du mir verzeihen,
Mir vergeben, dich versöhnen.
Ach, ich darf es ja nicht wagen,
Mich dem frommen Mönch zu zeigen,
Weil ich gänzlich nackend bin
Und ich habe keine Kleider!
Ich ein Weib und du ein Mann!
Doch das ziemt dem Keuschen nicht,
Nackte Weiber anzuschauen,
Nein, das ziemt dir Altem nicht,
Mich, die Nackte, anzugucken.
Wäre hier ein bisschen Laub,
Blätter von dem Feigenbaum,
Ja, so wollt ich mich bekleiden
Und dann kommen, dir zu sagen,
Warum ich im Walde wohne,
Und ich lasse dich erkennen,
Wie mein Leben ich geführt hab
In den Sünden großer Unzucht.

Und Sossima nahm ein Stück
Seines Rockes, gab es ihr.
Jenes Weibchen nahm das Stück
Stoff und hob es dankbar auf
Und sie legte an den Stoff.
Daraufhin sprach sie ihn an:
Und was willst du jetzt von mir?
Was begehrst du jetzt von mir?

Und Sossima sprach zur Frau:
Gnade, Gnade, schöne Frau,
Gib mir bitte deinen Segen!
Und er neigte sich zur Erde.
Da sprach sie: O nein, Sossima,
Wie soll ich den Priester segnen?
Geb der Priester mir den Segen!
Das begehre ich von dir.
Doch der Priester sprach zur Frau:
Nein, geliebte Herrin, nein,
Das wär eine große Torheit,
Wenn ich dir den Segen gäbe,
Du hast ja so tief gelebt
In dem innern Leben Gottes,
Darum gib mir du den Segen!
Da der Priester nicht entbehren
Wollte dieses Weibes Segen,
Wollt sie ihm den Segen spenden
So als hätte sie die Vollmacht.
Sie erhob die Hände, sprach:
Gott, der an dem Kreuz gelitten
Unsertwillen schlimmste Marter,
Daß er alle Welt erlöse
Und die Christenheit gebäre,
Gott soll seinen Trost uns geben
Und das Gnadenleben Gottes,
Daß wir leben in der Gnade
Und nicht in die Hölle kommen.
Herr, du bist gebenedeit!
Schenk uns Paradieseswonnen!
Amen, sprach er, Ja und Amen.

Da sie also ihn gesegnet,
Sprach sie: Guter Mann Sossima,
Sage mir, wie geht’s der Kirche,
Sag, wie geht’s dem Papst in Rom
Und was macht des Kaisers Sache?
Sprach der Priester zu der Frau:
In der Kirche ist ein Frühling
Und ein Heiliger der Papst
Und der Kaiser treu der Kirche.
Alle diese Gnaden haben
Wir durch deine Wirksamkeit,
Deine Buße, dein Gebet
Und dein Sühneopferleiden.
Ich bin sicher, dein Gebet
Ist so eins mit Gottes Willen,
Daß der Herr dir alles schenkt,
Was du von dem Herrn begehrst.
Darum bitt ich dich, o Frau,
Auch um dein Gebet für alle
Priester, Ordensleute, Laien,
Für die ganze Christenheit.
Und ich bitte dich, o Frau,
Daß auch meine Arbeit möge
Tilgen meine vielen Sünden.
Zu dem Priester sprach die Frau:
Ich soll beten für die Priester?
Heiligmäßig bist du, Priester,
Bete du für meine Seele,
Für mich arme Sünderin,
Aber weil du mich gebeten,
Daß ich für die Priester bete,
Will ich dir getreu gehorchen.

Da begann die Frau zu beten,
Da erkannte er an ihr,
Wie im inneren Gebete
Sie verinnerlicht in Gott war.
Was geschah da für ein Zeichen?
Sie drei Meter ward erhoben
In die Lüfte und verzückt
Schwebte sie, sich nirgend haltend,
Bis sie wieder kam zur Erde.
Herr, mein Gott, was soll das werden,
Dachte da der Mann Sossima.
Nein, das wusste nicht der Priester,
Was das alles zu bedeuten.
Doch er dachte nach und dachte,
Daß da sei ein Geist am Werke.

Da er also zweifelte,
Trat sie nah zu ihm heran,
Zu dem Priester sprach die Frau:
Denke nicht, ein böser Geist
Mich verzückte in die Lüfte,
Laß nur ab von deinen Zweifeln.
Ich bin Mensch von Fleisch und Blut,
So wie du von Fleisch und Blut,
Doch empfing ich Christi Taufe
Und die Salbung durch den Geist,
Daß ich in der Gnade lebe.
Laß nur ab von deinen Zweifeln,
Denn wer Gott den Höchsten liebt,
Der wird nicht getäuscht vom Bösen.

O wie froh war da der Alte!
Ihr zu Füßen fiel er nieder,
Küsste ihre bloßen Füße
Mit den Küssen seines Mundes:
Heilig bist du, liebe Frau,
Darin bin ich jetzt gewiss.
Ja, ich bin dir wohlgesonnen.
Gott hat mich zu dir gebracht!
Herrin, bei der Karitas,
Da es Jesus so gefügt,
Daß ich hierher kam zu dir,
Bitt ich dich, erzähle nun,
Woher du gekommen bist,
Wie du kamst in diesen Wald.
Ich hab ja noch nie gehört,
Daß ein Mensch hierher gekommen.
Darum ich begehre sehr,
Daß du mir Erkenntnis schenkst,
Wie du und wodurch gekommen
Du bist in die Einsamkeit
Dieser abgeschiednen Wildnis.
Dann auch schenke mir Erkenntnis,
Ob du lange hier schon lebst,
Kannst du griechisch und Latein,
Kannst du lesen in der Schrift?
Alles das sollst du mir sagen,
Frau, ich bitte dich so sehr!

Als verklungen seine Worte,
Sprach sie: Höre nun, Sossima,
Ich erzähle dir mein Leben
Und beklage meine Sünden.
Ich fang an von Anbeginn
Und will dich erkennen lassen,
Wie ich einst geboren ward.
Hoher Stellung war mein Vater,
Meine Mutter angesehen.
Diese wohnten in Ägypten,
Da ich auch geboren ward.
Aber bald begann mein Geist
Eigenwillig und verloren,
Ungewissenhaft zu sein.
Denn ich ward so frechen Sinnes,
Als ich kaum zwölf Jahre alt,
Daß ich fortlief von dem Vater,
Denn zu lieb war mir die Freiheit.
Ja, so lieb war mir die Freiheit,
Daß ich auch nicht eine Stunde
Still zu Hause sitzen konnte.
Also lief ich aus der Heimat,
Kam nach Alexandria,
In die Hauptstadt von Ägypten,
Die am Mittelmeere liegt,
Da viel Handelsschiffe fahren.
Dorten wollt ich bleiben und
So begann mein Sündenleben.
Ach, mein Mönch, wie schäm ich mich,
Meine Sünden zu bekennen,
Was ich Arme alles tat,
Ich verlor die reine Keuschheit,
War entblößt von allen Ehren,
Wehe mir, Sossima, wehe,
Wie ich fiel in große Sünde,
Wie ich ungeordnet liebte
Ungeordneter Begierde
Und ergab mich animalisch
Meines Triebes Leidenschaft,
Davon alles zu erzählen,
Würde währen all zu lange.
Was soll ich dir weiter sagen?
Dies vor allem tut mir weh,
Daß ich durch die Üppigkeit
Meiner Wollust mit den Männern
Die Jungfräulichkeit verloren
Und die keusche Mädchenreinheit,
Jämmerlich verlor die Unschuld.
Ich hab ja noch mehr verloren,
Ich verlor das Heil der Seele
Und den Ehrenplatz im Chor
Reiner Jungfraun. Ich bekenne,
Daß bedrohliche Gefahren
Griffen an mein Seelenheil.
Alles kann ich dir nicht sagen,
Doch das Wichtigste, das weißt du.

Da begann der alte Mönch
Bitterlich zu weinen, sprach:
Herrin, sprich nicht so zu mir,
Nie bisher in meinem Leben
Konnt ich von der Unzucht hören
Und der Hurerei der Weiber,
Ohne dass es mich betrübte,
Es befleckte meine Ohren
Und bekümmerte mein Herz.

Was soll ich dir weiter sagen,
O Sossima? In der Welt
War nicht eine Sünderin
Solche große Sünderin,
Daß sie unkeusch war wie ich!
Sechzehn Jahre zählt ich kaum,
Da ich nicht gebetet mehr,
Da ich nicht gebeichtet mehr,
Nicht gefastet, nicht gepilgert,
Was ja gute Dinge sind,
Die man Gott zuliebe tut.
Sechzehn Jahre zählt ich kaum,
Da ich mich zu Männern wandte,
Da ich mit den Männern lebte
In der freien Liebe Unzucht,
Außerehelich verkehrte
Hurerisch mit vielen Männern.
Alle nannten mich ein Luder,
Eine geile Buhlerin.
Meinesgleichen fand man keine,
Die so willig sich verschenkte
Jedem Mann, der sie begehrte.
Ich war Lustobjekt in diesem
Sexuellen Kommunismus
Und Gemeinschaftseigentum
Aller, die mich nehmen wollten,
Eine allgemeine Hure,
Die Hetäre der Kommune,
Sexidol der schlimmsten Sünder,
Ich war über alle Maßen
Geil, die allergeilste Fotze!

Sprach der alte Mönch Sossima:
Wohl mir, dass ich dich getroffen!
Deine Worte mich ergötzen,
Nie bisher vernahm ich Worte
Süß und köstlich wie die deinen.
Wie es weiter dir ergangen,
Laß es bitte mich erkennen.
Wie behagen meinem Herzen
Deine zuckersüßen Worte,
Rede weiter, schöne Frau!

Sprach die schöne Frau: Sossima,
Höre weiter, was geschah.
Einmal sah ich viele Leute
Sich versammeln in dem Hafen,
Diese wollten auf das Meer.
Also stand ich auch am Hafen,
Fragte: Wohin wollt ihr reisen?
Einen Mann befragte ich:
Sag mir, wohin willst du reisen?
Warum sammeln sich die Menschen?
Da sprach dieser Mann zu mir:
Frau, wir wollen übers Meer
Reisen ins Gelobte Land
Und zur Stadt Jerosalima.
Da sprach ich zu diesem Mann:
Was tut ihr in jenem Land?
Sage mir davon, Genosse.
Der Genosse sprach zu mir:
Dort gefeiert wird ein Fest,
In der ganzen Christenheit
Wird gefeiert diese Hochzeit
Jedes Jahr am gleichen Tag.
Der Genosse sprach zu mir:
Diese Feier ist die Feier,
Die man Kreuzerhöhung nennt,
Darum unsre Pilgerfahrt,
Sünder, die zum Heiland pilgern.
Als ich dieses Wort vernahm,
Reizte mich das Wort zum Spott,
Dennoch dachte ich im Innern:
Reise mit dem guten Mann,
Seine Seele ist erleuchtet.
Sprach ich also zum Genossen:
Freund, gib du mir einen Rat!
Willst du mich nicht mit dir nehmen
Auf die große Pilgerreise?
Also sagte der Genosse:
Gib mir hundert Drachmen nur,
Denn dann nehm ich dich mit mir.
Also eilte ich zum Schiffe
Wüst wie eine Idiotin,
Wie berauscht von Drogen gar.
Die mich sahen, mussten lachen,
So verloren sah ich aus.
Hohe Herren, ich will mit!
Sagt ich zu den hohen Herren,
Doch sie lachten über mich.
Hohe Herren, leider habe
Ich kein Geld zur Pilgerreise,
Aber nehmt mich bitte mit,
Ich schenk euch als Reiselohn
Meinen Leib und meine Lust!
Das vernahmen alle gern
Und so nahmen sie mich mit.
Ja, mein Herz voll Eitelkeit,
Meine Seele voll Begehren
Und mein Geist in falscher Freiheit
Lockten alle in die Sünde,
Wie ich heute dir bekenne.

O Sossima, was wohl meinst du,
Wer kann davon sagen wohl,
Was ich Böses alles tat!
Wie kann einer leben bleiben,
Das verwunderte mich stets.
Ach ich sollte doch vor Scham
In der Erde Grund versinken.
Ich vermochte vieles über
Jene, die da bei mir waren,
Ob es ihnen lieb gewesen,
Ob es ihnen leid getan,
Alle ließen vom Gebet
Und ergaben sich der Unzucht,
Mancher dachte wenig nur
An der Unzucht Leidenschaft,
Den auch brachte ich zu Fall
Und verlockte ihn zur Sünde.
Ja, ich liebte ohne Maßen
Mit den Lüsten meines Leibes,
Bis wir schließlich übers Meer
Kamen nach Jerosalima.

Als wir nun der Stadt genaht,
Alle Männer pilgerten
Zu der großen Kirche Gottes.
Lange hatten sie begehrt
Nach dem schönen Heiligtum.
Immer, wenn sie müde waren,
Träumten sie von Gottes Kirche.
Ich dagegen nur versuchte,
Manchen edlen Mann zu fangen,
Wie ich ihn verlocken könnte
In der Unzucht wüsten Orden,
In das Heiligtum der Hure,
In den Götzenhain der Wollust.
Und wer ist mir nachgelaufen?
Nach der Kirche fragt ich nicht,
Nach der Kirche des Erlösers.

Und was nun? Es kam dazu,
Daß man feierte das Fest,
Feierte des Lammes Hochzeit
Mit der Braut Jerosalima.
So erhöhte man das Kreuz.
Also ging ich in die Kirche,
Ich ging auch zur Kirche Gottes.
Doch da musst ich stille stehn,
Ich weiß nicht, wie mir geschah,
Meine Glieder zuckten, bebten,
Zuckten vor der Kirchentüre.
Warum bin ich hergekommen,
Was denn hab ich hier gesucht,
Dachte ich in meinem Herzen.
Wieder wollt ich durch die Tür,
Wieder zuckten meine Glieder.
Warum doch geschieht mir das,
Fragte ich mich in dem Innern.
Warum doch besuche ich
Diesen Tempel des Erlösers?
Nein, ich konnte nicht hinein,
Etwas hielt mich da zurück.

Da durchzog mein Herz im Herzen
Eine Reue, eine Buße.
Ach, ich arme Sünderin,
Heidin, Götzendienerin,
Wer kann mir noch helfen jetzt,
Wer kann diese Heidin führen
Zu dem großen Gott der Liebe?
Niemand kann mir helfen als
Nur die Königin der Liebe,
Sankt Maria Gratia Plena,
Gottes Mädchen, Gottes Mutter!
Da sah ich Marias Bild,
Nieder fiel ich vor Maria,
Bat die Königin der Liebe,
Daß sie bitte für die Heidin,
Ach, für die getaufte Heidin
Bitte bei dem lieben Jesus!

Da betrat auch ich die Kirche
Und ich kam zu einem Priester,
Dem bekannt ich alle Sünden,
Legte ab die Lebensbeichte.
Da gab mir der Herr den Rat,
Wenn ich aus der Kirche komme,
Daß ich an den Jordan trete.
An dem Jordanufer fand ich
Eine heilige Kapelle,
Da ein Priester mir gespendet
Christi Fleisch in meinen Mund.
Welchen Trost hab ich gefunden,
Wie ward mir erquickt das Innre!
Wie war tot mein Geist gewesen
Und verurteilt zur Verdammnis,
Aber nun erlöst mein Geist
Durch den Corpus Christi lebte,
So hat mich mein Gott geliebt!

Vor Marias Bildnis kniet ich
Und bat Unsre Liebe Frauen:
Gratia Plena, sei mir gnädig!
Leib und Seele weih ich dir!
Fraue, Königin der Liebe,
Mich, die wilde Sünderin,
Mich, das arme Weib der Weltlust,
Mich vertrau ich ganz dir an!
Ob ich Wonnen finden werde
Oder ob ich Weh erleide,
Will ich dir geloben Treue,
Bei dem Gürtel deiner Charis,
Daß des Dämons Katzenkrallen
Mich nicht mehr zerreißen mögen!
Dazu brauch ich deine Gnade,
Gratia Plena voller Anmut,
Gratia Plena voller Liebreiz!
Hilf du mir mit deiner Gnade,
Daß ich Sühne leisten kann
Und dazu noch sühnen darf
Alle Sünden aller Dirnen!

So kam ich in diesen Wald,
Fünfundvierzig Jahre schon
Lebe ich in diesem Wald
Und mein Leben ist die Sühne.
Fünfundvierzig Jahre sah
Ich nicht Eine Christenseele!
Aber dann geschah mir doch
Unerwartet dieses Glück,
Daß ich dich gefunden habe.

Sprach der gute Mann Sossima:
Sag mir, meine liebe Frau,
Hast du denn nicht sehr gelitten
Im beständigen Gedenken
An die Sünden deiner Jugend?

Da sprach sie: Die Jugendzeit
Wirklich war von schlechten Sitten.
Ach, das muß mich doch betrüben!
Wenn ich daran immer denke,
Wie ich nur genießen wollte,
Essen, Trinken, Schlafen, Lieben!
Unkeusch alle Lust genießen,
Unkeusch meines Leibes Lüste!
Wie der Teufel mit mir spielte,
Daß ich auch nach der Bekehrung
Siebzehn Jahre noch gelitten
An dem Mangel jeder Keuschheit!
Ja, da muß ich doch erschrecken!
Alle meine Glieder beben!
Aber Gott hat mir geholfen
Und zumeist die Gottesmutter,
Daß zuletzt von dieser Not
Ich befreit ward durch die Gnade
Des barmherzigen Erbarmers.
Und so tröstet mich mein Jesus
In den Schmerzen meiner Reue
Und den Tränen meiner Buße
Und den Qualen meiner Sühne,
Jesus, der die ganze Schöpfung
Birgt im herzlichen Erbarmen
Wie im Mutterschoß ein Kindlein!
O Sossima, dies mein Leben.
Bitte du für meine Seele,
Daß sich Gott noch heut erbarme
Über alle meine Sünden,
Die ich Tag für Tag begehe!

Und Sossima hob die Hände,
Sprach: Gebenedeiter Jesus,
Lobpreis deiner Gnade und
Herzlichen Barmherzigkeit,
Alle Himmel sind erfüllt
Von der Herrlichkeit des Herrn,
Auf der Erde auch erscheint
Oft die Herrlichkeit des Herrn.
Jesus, sei gebenedeit,
Du und deine Jungfrau-Mutter,
Jeden Tag auf dieser Erde
Und in Ewigkeit im Himmel.

Sprach die liebe Frau: Sossima,
Geh nun, denn die Zeit ist nahe,
Doch vergiss mich nicht, Sosima!
Und in einem Jahr, zur Zeit,
Wenn der Aschenmittwoch kommt,
Bringe mir den Corpus Christi,
Denn seit über vierzig Jahren
Hab ich nicht geschmeckt den Herrn.

Sie ging wieder in den Wald
Und Sossima in die Zelle,
Doch er dachte allezeit
An die Herrin im Gebet.

Als ein Jahr vorbeigegangen
Und der Aschenmittwoch kam,
Nahm Sossima Christi Leib
Und er ging zum Jordantal,
Ob er wiedersäh die Frau.
Lange ging er durch den Wald,
Ohne dass er sah die Frau.
Eine Stunde später stand
Er am Jordan, da erblickte
Er die Herrin auf dem Wasser,
Auf dem Wasser ging die Herrin!
Ja, Sossima staunte sehr.
Als die Herrin zu ihm trat,
Kniete er vor seiner Herrin.

Aber sie sprach zu dem Priester:
Knie du nicht vor mir, o Mann
Gottes, denn du bist ein Priester,
Und in deinen Segenshänden
Liegt der Corpus Christi in
Der geweihten Hostia.
Also stand Sossima auf
Und die Herrin kniete nieder
Vor dem Leibe ihres Herrn.

Und die Herrin sprach zum Mann
Gottes: Gib mir deinen Segen,
Gottesmann, und laß mich auch
Meines Retters Leib empfangen
Und mit diesem Munde hier
Schmecken meines Gottes Fleisch!

Und der Priester steckte ihr
Christi Leib in ihren Mund
Und sie betete zum Herrn:
Jesus, o mein Gott, nun lässt du
Deine Magd in Frieden scheiden!

Dann sprach sie: Sossima, bitte
Komm in einem Jahre wieder,
Wenn der Aschenmittwoch kommt,
Und begrabe meinen Leib!
Geh zurück in deine Zelle,
Bete du für deine Freundin,
Komm in einem Jahre wieder.
Und Sossima zeichnete
Ihr das Kreuz auf ihre Stirne
Mit geweihtem Wasser Gottes,
Ging zurück in seine Zelle,
Betete für seine Freundin.

Und nach einem Jahre kam
Wiederum der Aschenmittwoch
Und Sossima ging zum Walde,
Doch er fand die Herrin nimmer!
Gott im Himmel, o wo ist sie?
Doch da sah er ihren Leib
Liegen tot in einem Busch.
Wehe, wehe, wehe mir!
Rief Sossima vor dem Leichnam.

Da ertönte eine Stimme:
Gott vom Himmel dir gebietet,
Deine Freundin zu begraben!

Doch wie soll ich sie begraben?
Schau, da kam ein starker Löwe,
Gleich dem Löwen einst von Juda,
Dieser Löwe war sehr herrlich,
Der begrub der Freundin Leib
An dem Tage Aschenmittwoch.

Und Sossima legte weinend
Auf das Grab der lieben Freundin
Ein Marienbild von Holz.

Was des weiteren für Wunder
Und Erscheinungen der Freundin
In Gestalt als weißer Schatte
Ist geschehen an dem Grabe
Und Erhörung von Gebeten,
Kann ich jetzt nicht alles sagen.

Möge uns der Gott der Liebe
Ewiglich genießen lassen
Liebe in dem Paradiese
In Gemeinschaft mit der Freundin
Bei Maria Gratia Plena.
Dazu helf uns Gott der Vater,
Gott der Sohn und Gott der Geist.
Ende der Geschichte, Amen.


SOSSIMAS MEISTERSANG AN MARIA GRATIAPLENA


Ich will nun mit Gottes Segen
Des Gesanges pflegen