Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

Der Ewige Valentinstag



Von Josef Maria Mayer


ERSTE SZENE


(Valentin allein, umamt seine Byblia.)

VALENTIN
Nun diese schöne Byblia
In meinen Händen ist,
Da bin ich glücklich wie ein Liebender,
Der seine Braut gewonnen hat.
O Byblia, du Buch voll Weisheit,
Dich wähle ich zu meiner Braut.
Genossin meines Lebens du,
Gefährtin meiner Einsamkeit,
Du Lehrerin der wahren Weisheit,
Lehrmeisterin der wahren Einsicht
Und Spenderin der heiligen Erkenntnis,
Ich liebe dich, o Byblia!
Ich lieb an dir das kleinste Jota!
Ich habe mich zuerst verliebt
In deine schönen Kleider, Byblia,
Die feine geistgehauchte Seide,
Und deinen schönen Schmuck, Geliebte,
Den Mondstein und den Lapislazuli,
Die Perlenschnüre um den Busen,
Die Silberkettchen an den Knöcheln,
Denn die Geschichten in der Schrift
Sind menschliche Geschichten voller Schönheit.
Propheten, Patriarchen, Könige
Und Königinnen voller Schönheit
Begegnen mir mit all der Weisheit,
Die sie gewonnen durch ein frommes Leben.
O Byblia, du himmlische Genossin,
Du legtest alle deine Kleider ab
Und tatest auch den Schmuck von deinen Brüsten,
Du meine Ehefrau von Gott,
Du lagest nackt in meinen Armen!
Wie hab ich deinen schönen Leib bewundert,
Die Augen voller Zärtlichkeit,
Die Lippen, die so kusslich sind,
Die Brüste voll der Milch des Trostes!
Da habe ich die menschliche Moral
Und tiefe Lebensweisheit
Aus deiner vollen Brust getrunken,
Da habe ich, von Ethik und Moral und Sitte
Belehrt, erkannt, wie Fromme leben sollen,
Wie gottgefällig leben kann ein Mensch.
Ja, jeden Morgen hab ich dich geküsst,
Geliebte, wenn ich lag an deinen Brüsten!
Dann haben deine Lippen mir mit Küssen
Den Willen Gottes für den Tag verkündet.
So lebe ich nicht sinnlos vor mich hin.
Jetzt ist es all mein Glück und Lebenssinn,
Den Willen Gottes zu vollbringen.
Geliebte Byblia, wie schön dein nackter Körper,
Doch schöner noch ist deine schöne Seele!
Ich bin verliebt in deine schöne Seele, Byblia!
Dein Wille ist der Liebeswille Gottes
Und dein Verstand die göttliche Vernunft
Und deine heiligen Erinnerungen
Erinnerungen an die Wundertaten Gottes.
Ein Hauch ist deine schöne Seele,
Ein Hauch, geblasen von dem Munde Gottes,
Erfüllt von Gottes Weisheit deine Seele.
Denn seit ich deine Seele liebe,
O meine vielgeliebte Byblia,
Erkenne ich Geheimnisse der Gottheit,
Die Allerheiligste Dreifaltigkeit,
Das Feuer Gottes, brennend in dem Dornbusch,
Das sanfte Liebeslicht des Sohnes,
Des Geistes Liebe voll Begehren!
Seit ich verliebt in deine Seele, Byblia,
Erkenne ich die Qualitäten Gottes,
Wie Jungfraun schaue ich die Hypostasen,
Die alle einst mich selig machen werden!
Die Liebe nimmt kein Ende, Byblia,
So wahr ich deine weise fromme Seele liebe,
Ich liebe mehr noch in dem Innern deiner Seele
Das Fünklein Gottes in der Seelenburg,
Im siebenten Gemach der Seelenburg
Das Seelenfünklein, das das Fünklein Gottes ist!
Und seit in dir ich dieses Fünklein Gottes liebe,
Erkenne ich den Namen Gottes,
Ja, Gottes Namen,
Die heiligen Bedeutungen des Namens Gottes
Erkenne ich, wie jedes Wort der Byblia
Verkündet mir den Namen Gottes,
Den Unaussprechlichen
Und jenen wundervollen Namen aller Namen,
Der mich allein in Ewigkeit glückselig macht,
Denn meine Freundin Byblia
Verkündet mir allein den wahren Namen Jesus!
So wähle ich dich heut aufs Neue,
O Byblia, zu meiner angetrauten Ehefrau,
Der ich im Zölibate lebe,
Weil meine Seele lebt die Jesus-Ehe.


ZWEITE SZENE


(Valentin, das Kindermädchen Hananja und der sechsjährige Knabe Milon in der Küche.)

VALENTIN
Wie ist dein Name, schönes Kindermädchen?
HANANJA
Hananja heiße ich.
VALENTIN
Hananja? Das bedeutet Gnade!
HANANJA
Hananja, das bedeutet Gnädige.
VALENTIN
Was ist dein geistiges Intresse?
HANANJA
Die chemische Zusammensetzung der Natur.
VALENTIN
Ich hörte einst von einem Dichter,
Der sprach vom Eheglück der Karbonate
Und von dem Kloster der Chloride.
Was ist das Eheglück der Karbonate?
HANANJA
Das weiß ich nicht.
VALENTIN
Was sind denn Karbonate überhaupt?
HANANJA
Verein von Wasserstoff und Kohlenstoff.
VALENTIN
Da haben wir ja schon das Eheglück!
Der Ehemann, das ist der Kohlenstoff,
Die Ehefrau, das ist der Wasserstoff,
Vereint zur Ehe in dem Karbonat.
HANANJA
Das ist ein lustiger Gedanke.
VALENTIN
Ich hörte von den Atomisten auch,
Daß in dem Innern des Atoms
Die Elektronen lieben die Protonen.
Das ist das Eheglück in dem Atom.
HANANJA
Meinst du das ernst?
VALENTIN
Es ist ein Zeichen, dass die Liebe Gottes
Im Innern der Natur am Werk,
Daß Gottes Liebe lebt in der Natur,
Geheimnisvoll verborgen zwar
Und dennoch offenbar in der Natur.
HANANJA
Gibt’s denn ein Eheglück auch in der Gottheit?
VALENTIN
In Gott ist eine liebende Person
Und eine andere Person, die ist geliebt,
Vereinigt sind die zwei Personen
In ehelicher Liebe, die Person ist.
Die Ehe und Familie auf der Erde
Ist Abbild der Dreifaltigkeit der Gottheit,
Denn Gott ist Liebe in Gemeinschaft.
HANANJA
Und diese Liebe in Gemeinschaft lebt
In der Natur, ja, bis in die Chemie?
VALENTIN
Zwei Kräfte sind in der Natur:
Natur, die Mutter, atmet ein,
Natur, die Mutter, atmet aus.
Atome haben Elektronen und Protonen.
Magnete ziehen an und stoßen ab.
In allen Lebewesen der Natur
Ist Männlichkeit und Weiblichkeit,
Doch diese beiden Kräfte werden
Bezogen auf einander durch die dritte Kraft.
Aus Eins wird Drei,
Das ist das Wesen Gottes und der Schöpfung.
MILON
O Valentin, du magst Hananja?
VALENTIN
Sie ist sehr freundlich und sehr liebenswürdig
Und voller Anmut die Erscheinung.
MILON
Ich mag sie auch, sie ist sehr lieb.
Weil Mama krank ist, pflegt Hananja mich,
Sie spielt auch viel mit mir und lacht sehr schön.
VALENTIN
Hananja ist ein Name in der Bibel,
Hananja oder Hanna, das heißt Gnade.
Auch Hanael heißt Gnade Gottes
Und ist der Himmlische der Venussphäre,
Des dritten Himmels aller Liebenden.
Die Venus heißt ja bei Homer auch Charis
Und Charis heißt auf griechisch Gnade,
Doch nicht nur Gnade, sondern auch
Zuneigung, Freundlichkeit, Wohlwollen,
Charme, Liebreiz, Zauber, Anmut.
So trägst du diesen Namen ganz zu recht,
Hananja, anmutvoller Engel,
Denn du erscheinst mir als Ikone
Der Anmut Gottes, Bild von Gottes Liebreiz!
HANANJA
Ich danke dir.
VALENTIN
Ich danke dir viel mehr, Holdselige,
Charme Gottes!


DRITTE SZENE


(Valentin und das Ehepaar Marcus und Susanna.)

VALENTIN
Ihr Montanisten, seid gegrüßt!
MARCUS
In deiner Kirche haben Frauen nichts zu sagen,
Bei uns jedoch, da predigen die Frauen
Und reden wie die Männer Zungensprache.
VALENTIN
Es ist ja überhaupt die Rede heute,
Daß Frauen seien gleich den Männern,
Daß, ganz egal, ob Männchen oder Weibchen,
Ein jeder wählt sein eigenes Geschlecht.
MARCUS
Nun weiß ich doch als Ehemann
Ein bisschen mehr vom Weib als du.
Die Priester in dem Zölibat
Stets reden von der Ehe, aber selber
Sie wissen nichts von all der Not der Ehe
Und nichts vom Glück des Ehebettes.
VALENTIN
Was also ist für dich die Ehe?
MARCUS
Die Ehe ist ein weltlich Ding.
VALENTIN
Die Ehe ist ein Gleichnis für die Liebe,
Mit welcher Jesus seine Kirche liebt.
Wie liebt denn Christus seine Kirche?
Die Liebe Christi ist doch unabänderlich
Und darum ist die Ehe unauflöslich.
Wie also liebt der Herr die Kirche?
Er gibt sich selber für sie hin!
Drum soll der Mann nicht herrschen in der Ehe
Und soll die Frau nicht herrschen über ihren Mann,
Nein, einer achte je den andern höher
Als er sich selber achtet, jeder diene
Dem andern, jeder gebe selbst sich hin,
Auch leiblich gebe jeder selbst sich hin.
Der Leib des Mannes eignet nicht dem Mann,
Er schenke seinen Leib der Frau.
Der Leib des Weibes eignet nicht dem Weib,
Sie schenke ihren Leib dem Mann.
So soll der Mann die Frau auch nicht benutzen
Für die Befriedigung der eignen Lust,
Des eignen sexuellen Appetits,
Nein, Sexualität ist Ganzhingabe
Des Ichs von Geist und Leib und Herz
An dieses eine immerdar geliebte Du!
MARCUS
Du redest schön zwar von der Ehe,
Doch warum lebst du selber unbeweibt?
Sind denn in deiner Kirche keine Jungfraun?
Wir haben bei den Montanisten schöne Mädchen,
Sabinerinnen, Christianen,
Die singen schön und tanzen schön für Gott
Und warten nur auf einen frommen Mann.
VALENTIN
Doch mich berief der Herr zur Ehelosigkeit
Und sagte: Nimm dir keine Frau zur Gattin
Und zeuge keine Söhne in der Welt!
Ich selber werde mich mit dir verloben,
Der Brautpreis ist Barmherzigkeit und Gnade,
Und du wirst Gott erkennen!
SUSANNA
Ich auch bin eine Braut für Jesus.
MARCUS
Doch ich bin keine Braut für Jesus,
Ich bin ein Mann, der Gatte einer Frau.
SUSANNA
Ich will zum Hochzeitsmahl des Lammes!
MARCUS
Wie sollte ich als Mann mit Jesus Hochzeit feiern?
SUSANNA
Nach diesem Leben will ich in dem Himmel
Mit Jesus Christus Hochzeit feiern!
VALENTIN
Susanna, deine keusche Seele
Ist wie die heilige Susanna aus der Bibel,
Die in der Ehe keusch gelebt.
Susanna oder Schoschannah,
Die einen sagen, das bedeute Lilie,
Die andern sagen, das bedeute Rose,
Die dritten, das bedeute Lotosblume.
So nennt man Unsre Liebe Frau Maria,
Die doch ihr Montanisten leider nicht verehrt,
Die Lilie unter Disteln,
Die Rose ohne Dornen,
Die makellose Lotosblume!
SUSANNA
Maria ist mir nicht vertraut.
VALENTIN
Du ahme Unsre Liebe Frau Maria nach
Und sage jeden Morgen zu dem Herrn:
Ich bin die Sklavin Gottes, meines Adonai,
Und mir geschehe nach dem Worte Gottes!
Maria ist die größte Philosophin
Und ihre ganze Jesus-Weisheit
Besteht in diesem Wort der Ganzhingabe:
Ich bin die Sklavin Gottes, meines Adonai,
Und mir geschehe nach dem Worte Gottes!
SUSANNA
So will ich tun und beten wie Maria.
VALENTIN
Herr Jesus, den ihr sucht, er segne eure Ehe
Und lasse eure ungetauften Kinder taufen!


VIERTE SZENE


(Valentin und die reife Matrone Eva mit ihrem fünften unehelichen Sohne Quintus.)

VALENTIN
Ach Eva, sag, wie lange du noch leben willst
Mit deinem Freund, dem Vater deiner Kinder,
In unvermählter Unzucht?
Frau Weisheit wird nicht kommen in den Leib,
Der sich ergibt der Sünde.
EVA
Ihr Kirchenleute redet immer
Von den Geboten Gottes, aber das
Ist äußerlich und steht auf Felsentafeln.
Wir in der gnostischen Gemeinschaft,
Wir leben aus dem Inneren
Und folgen nicht Geboten Gottes,
Wir folgen jenem Geist, der in uns wohnt.
VALENTIN
Wenn du den Christus lieben willst,
Dann lebe die Gebote Christi.
EVA
Zeig mir nur einen von den Kirchenmännern,
Der die Gebote Christi lebt!
Auch du, auch du, o Gottesmann,
Der du im Zölibate lebst,
Ich, wenn ich wollte, könnte dich verführen,
Ich bräuchte nur dein Fleisch zu kitzeln,
Dann würdest du dich stürzen in mein Bett!
VALENTIN
So ganz die alte Mutter Eva.
EVA
Ja, was so deine Männerkirche redet
Von Eva, die doch eine Göttin war,
Die im Besitz der Schlange war der Weisheit
Und pflückte vom geheimnisvollen Baum
Die Feige der Erkenntnis
Und reichte sie als Sakrament der Liebe
Dem Mann, der eingeweiht ward durch die Frau,
So ward die Menschheit erst erlöst
Aus kindlicher Vereinigung mit Gott
Und wurde weise erst und wissend.
Darum verehren wir die Schlange auch
In unsrer Schule der Erkenntnis.
QUNITUS
Ach süße Mama, vielgeliebte Mama,
Ich möchte eine Strumpfbandnatter haben,
Ich möcht mit einer Schlange spielen!
EVA
Ja, ja, mein Sohngeliebter,
Du sollst die Strumpfbandnatter haben
Und spielen mit der Schlange in der Höhle.
VALENTIN
Ihr Schlangenbrut, Gezücht der Natter!
Wie wollt ihr denn entgehn dem Zorn
Des Herrn im kommenden Gericht?
EVA
Ich glaub an kein Gericht,
Ich glaube nicht an Hölle oder Fegefeuer!
Wir in der Schlangengnosissekte,
Wir glauben mit Pythagoras
An Seelenwanderungen. Wenn die Seele
Erkannt den Christus in sich selber,
Wird sie erlöst von der Geburt
Und schwindet in das absolute Nichts.
VALENTIN
Der Christus dieser Gnosis ist doch nicht
Der Christus Jesus, Haupt der Kirche!
EVA
Spricht nicht den Namen aus!
VALENTIN
Den Namen Jesus soll ich dir nicht predigen?
EVA
In unsrer Schlangengnosissekte lehren wir
Das Anathem dem Namen!
VALENTIN
So siehst du, dass der Gnosis-Christus
Ein Satan ist im englischen Gewand!
EVA
Nein, Satan ist der Demiurg,
Der böse Gott, der die Materie geschaffen!
Doch über diesem bösen Demiurgen,
Dem Gott des Zornes aus dem Alten Testament,
Erscheint der liebe Vater
Mit seinem himmlischen Äonen-Christus.
VALENTIN
Der Vater Jesu Christi ist
Gott Israels, Herr Zebaoth!
EVA
Das ist nun eben deine Meinung.
Im übrigen ist das dem Georg,
Dem Mann in meinem Bette, ganz egal!
Er glaubt, aus Zufall sei die Welt
Gemischt aus den Atomen
Und Götter seien die Erfindungen von Menschen
Und nicht unsterblich sei die Seele.
Soll jeder eben glauben, was er will!
Er sagte auch, er wolle mich jetzt doch zur Gattin nehmen,
Weil mich ja doch kein andrer Mann mehr nehmen wolle!
VALENTIN
Ich werde für dich beten, Eva,
Ich bring das Opfer Christi für dich dar, o Freundin.
EVA
Nein, bitte bete nicht für mich,
Gebete schaden meinem Seelenheil!


FÜNFTE SZENE


(Valentin und die hohe schlanke Schönheit Sophia.)

VALENTIN
Sophia, Christus ist ein Zeichen,
Dem widersprochen wird!
Der Christus in mir spricht durch mich
Und viele wollen mich nicht hören,
Weil sie den Herrn nicht hören wollen!
Und viele hassen mich von Herzen,
Weil sie den Christus hassen!
Und alle die Beleidigungen,
Mit denen sie den Herrn beleidigen,
Die fallen alle auf mein Herz!
Besonders sind die Weiber heute wütend,
Den Heiland zu beleidigen
Und seine Diener zu verachten!
Doch du bist anders, schöne Frau Sophia,
Du Inbegriff der Menschenfreundlichkeit,
Holdselige in deiner Anmut!
In deinem Charme, der dich nicht stolz gemacht,
Du Liebenswürdige erinnerst
Mich an die menschenfreundliche Madonna!
SOPHIA
Madonna! Du vergleichst mich mit Madonna?
Ich fühle mich zutiefst geehrt!
VALENTIN
Ich denke an den lieben Knaben Milon,
Er wird ein Waisenknabe werden,
Wenn seine Mutter stirbt! Carina
Liegt in der letzten Agonie!
Wir wollen ihr die Händchen halten,
Bis sie hinüberschlummert in dem Arm des Herrn!
Ich bring ihr noch die Kommunion.
SOPHIA
Verzeihe deiner törichten Sophia,
Doch weiß ich nicht: Was ist die Kommunion?
Nennt man die Kommunion
Nicht auch bei kleinen Kindern Firmung?
VALENTIN
Die Kommunion, das heißt, Vereinigung,
Die Kommunion, das ist die Hostia,
Der Corpus Christi. Gott ist wirklich gegenwärtig
In der Gestalt des Brotes.
Wer nun empfängt den Corpus Christi mit dem Mund,
Empfängt im Innern seiner Seele
Die Gottheit und die Menschheit Jesu Christi.
SOPHIA
Du willst als Gottesmann Carina bringen
Die Kommunion, die Hostia,
Was kann denn ich der lieben Frau Carina tun?
VALENTIN
Wenn du barmherzig bist, Sophia,
Besuchst du eine Kranke an dem Krankenbett.
Wenn du barmherzig sein willst, o Sophia,
Dann hältst du einer Sterbenden die Hand.
SOPHIA
Ich weiß nicht, was ich sagen soll
Im Angesicht des nahen Todes.
Ich bin ja keine Philosophin,
Ich bin ja keine mystische Doktorin,
Ich bin nur eine kleine Törin,
Der Gott die Weisheit nicht verliehen.
Doch habe ich ein Herz voll Mitgefühl
Und habe Mitleid mit der Leidenden.
VALENTIN
Da braucht es keine großen Worte.
Die Seele auf dem Bett der Agonie
Ist ja versunken ins Gespräch mit Jesus schon.
Da braucht es nur das Mitgefühl,
Der Sterbenden die Hand zu halten
Und wortlos deine Liebe zu bekunden.
SOPHIA
Was kann ich Gott schon geben?
Ich kann ja nichts für Jesus tun!
VALENTIN
Die Kranke in dem Krankenbett
Ist Christus in dem Krankenbett!
Die Sterbende im Bett der Agonie
Ist Christus in dem Bett der Agonie!
Besuche Christus an dem Krankenbett
Und halte Christus in der letzten Agonie
Voll Mitgefühl und Zärtlichkeit die Hand
Und in dem letzten Todeskampf
Und in der Einsamkeit der Todesstunde
Sei du beim sterbenden Messias,
Der keine Philosophenweisheit braucht
Und keine Theologenlehre,
Der nur ein Herz voll Liebe braucht!
Und ist in deinem Herzen auch
Ein kleiner Tropfen Liebe nur,
Schenk diesen deinen kleinen Tropfen Liebe
In seinem letzten Todeskampfe Christus!
Das ist der allergrößte Gottesdienst
Und Gott belohnt dich mit dem Himmel!
SOPHIA
Lass dich umarmen, lieber Gottesmann!
VALENTIN
Gott segne dich, Gott segne dich, Sophia!


SECHSTE SZENE


(Valentin besucht die sterbende Carina. Sie ist etwa vierzig Jahre alt.)

VALENTIN
Gott grüße dich, du liebe Frau!
CARINA
Wie schön doch, dass du bei mir bist,
Mich gehen sonst die Menschen nichts mehr an,
Allein an meine Mutter denk ich noch.
VALENTIN
Erzähle mir von deiner Mutter!
CARINA
Mein Vater war ja nie zuhaus,
Er zog als Demagoge durch die Länder,
Die Spartakisten aufzurütteln,
Drum hat er mich und meine Mutter
Verlassen. Meine arme Mutter aber
War immer fleißig, hatte keine Zeit für mich,
Da spielt ich immer in den Gassen
Mit irgendwelchen wilden Gassenbuben.
Wie schmutzig war ich angezogen,
Wie schlecht ernährt in meiner Kindheit.
Kein Vater wies den Weg mir in die Welt
Und meine Mutter gab mir nie Geborgenheit.
Da war ich auf mich selbst gestellt.
VALENTIN
Ich weiß, wie schwer das ist, Carina,
Doch musst du deinem Vater noch verzeihen
Und musst verzeihen deiner Mutter!
Ja, suche du dein ganzes Leben ab
Und schaue dir dein ganzes Leben an
Als wäre es ein Schauspiel auf der Bühne,
Und dann verzeihe allen deinen Schuldnern.
CARINA
Was soll aus meinem kleinen Milon werden?
Versprich mir, dass du für ihn sorgen wirst!
VALENTIN
Ich will mich um ihn kümmern
Und eine neue schöne Heimat für ihn suchen.
CARINA
Die Mutterliebe, die ich hab für meinen Milon,
Die wird ihm unersetzlich sein,
Doch wenn ihm wer die Mutterliebe
Ersetzen kann, dann du,
Nicht meine Mutter, sondern du allein.
VALENTIN
Und bin ich auch ein Gottesmann,
So hab ich doch ein mütterliches Herz
Für deinen lieben Knaben Milon
Und auch für dich, Carina.
Ich dachte sonst, dein Name sei
Katharsis, das bedeutet Reinigung,
Purgierung durch den Schrecken und die Furcht,
Wie Katharina auch von Alexandrien
Gelebt in einer großen Reinheit.
Doch jetzt hab ich erfahren, dass dein Name
Geliebte heißt und Freundin!
Den Namen gab dir Gott, weil Gott dich liebt!
CARINA
Ich fühl mich selbst wie Jesus Christus,
Wenn ich hier liege in dem Bett der Leiden,
Dann fühle ich mich wie gekreuzigt!
VALENTIN
Das ist das Große ja des Christenglaubens:
Gott nimmt uns unsre Leiden nicht,
Doch Gott erfüllt mit Sinn die Leiden.
Gott ist nicht fern in unsern Leiden,
Selbst wenn es scheint, dass wir von Gott verlassen sind,
So ist in unserm Leiden Jesus Christus,
Der ruft voll Schmerzen an den Herrn:
Mein Gott, mein Gott, wozu hast du
Mich so allein gelassen!
In unsrer Gottverlassenheit ist Christus,
Ja, Christus tritt in unsre Leiden ein,
Ja, Gott erfüllt all unser Leid mit Gott.
So sind wir mitten in den Schmerzen
Vereinigt mit dem Christus Jesus
Und in Vereinigung mit Jesus Christus
Sind wir in aller unsrer Gottverlassenheit
Vereint mit Gott in einer Gottes-Ehe!
CARINA
Ich bin nicht immer fromm gewesen in der Welt
Und niemand hat den Glauben mich gelehrt.
Jetzt aber weiß ich, keiner kann mich jetzt noch retten
Als einzig Jesus Christus!
Doch wird mich Jesus nicht verschmähen?
VALENTIN
Der ganze Kosmos ist geborgen,
Die ganze Menschheit ist geborgen
Im Schoße der Barmherzigkeit des Herrn
So wie ein Embryo im Uterus,
So wie ein Kindlein in dem Schoße seiner Mutter!
Kein Sünder fürchte sich, zum Herrn zu kommen,
Und wären deine Sünden scharlachrot,
Der Herr macht dich so weiß wie Schnee.
Ja, die Barmherzigkeit des Herrn,
Die göttliche Barmherzigkeit ist unausforschlich!
CARINA
So lehre bitte deine Freundin ein Gebet.
VALENTIN
O Jesus, wenn du in dein Reich kommst,
Dann denk an mich!


SIEBENTE SZENE


(Kapelle der Hagia Sophia. Valentin und der Knabe Milon vor der Statue der Gottesmutter.)

MILON
Ist meine liebe Mama jetzt gestorben?
VALENTIN
Der liebe Gott hat deine Mama
Ins Paradies geholt.
MILON
Mein Papa! Du bist jetzt mein Papa!
VALENTIN
Mein Liebling! Komm, wir zünden eine Kerze
Für deine liebe Mama an.
Maria, Große Mutter Gottes,
Führ du die Seele unsrer Mama in den Himmel!
Hier knien wir vor dir, o Große Mutter,
Sei du jetzt meine Mutter, o Maria,
Sei du jetzt Unsre Mutter in dem Himmel!
O Große Mutter, tröste uns,
Wir sind sehr traurig, Große Mutter!
Maria, breite deinen Mantel aus,
Laß unter deinem Mantel uns geborgen sein,
Bis dieser Sturm vorübergeht!
Maria, Große Mutter voller Güte,
Mich, deinen Milon, allezeit behüte!
MILON
Maria ist nun meine Mutter!
VALENTIN
Ich hörte einmal, auf dem Mond
Gibt es ein Meer der Ruhe.
Da sagte ich zu deiner Mama:
Carina, eines Tages wirst du ruhen
Im Himmel an dem Meer der Ruhe.
Doch nahe bei dem Meer der Ruhe
Ist auf dem Monde auch das Nektar-Meer.
MILON
Ach, bei dem Nektarmeer, da will ich leben!
Ich denke mir das Paradies
Als einen Himmel voller Süßigkeiten!
VALENTIN
Maria ist doch unsre Süßigkeit!
Der Name Jesus ist so süß wie Honig!
MILON
Ach, nimm mich in die Arme,
Ich bin unglaublich traurig,
Denn tot ist meine Mama, tot ist meine Mama!
VALENTIN
Als meine liebe Oma starb,
Da bin ich fast verrückt geworden
Vor Traurigkeit und Schmerzen.
MILON
Wie alt warst du denn da?
VALENTIN
Da war ich dreißig Jahre alt,
Als ich verloren hab den liebsten Menschen.
MILON
Ach, dreißig Jahre lang war bei dir deine Oma,
Und ich bin erst sechs Jahre alt
Und habe meine Mama schon verloren!
VALENTIN
Ich weiß, du bist sehr traurig.
Doch wirst du deine Mama wiedersehen!
MILON
Nein, niemals seh ich meine Mama wieder!
VALENTIN
Doch, Milon, wenn dich Gott einst ruft
Und wenn du dann zu Gott kommst in den Himmel,
Dann siehst du deine liebe Mama wieder.
Wenn ich zu Jesus in den Himmel gehe,
Dann wartet meine Oma schon auf mich
Und auch Carina wird dann auf mich warten.
MILON
Der Himmel aber ist so fern!
VALENTIN
Nein, Gottes Himmel ist nicht in den Sternen,
Der Himmel Gottes ist ganz nah,
Denn immer, wenn ich bete,
Dann öffnet sich der Himmel über mir
Und meine Oma und Carina
Und auch die schöne Jungfrau Thirza
Sind bei mir, hören mein Gebet
Und beten auch mit mir den Rosenkranz.
Und manchmal seh ich meine Oma
In Rom mit mir die Wege gehen
Und wie ein Engel ist sie immer mit mir.
MILON
Ist meine Mama jetzt mein Engel?
VALENTIN
Zwei Engel hast du jetzt,
Den Schutzgeist, den dir Gott gegeben,
Und deine Mama ist dein andrer Engel.
MILON
Das tröstet mich nicht wirklich.
Ach, ich muß immer, immer weinen!
Wie lange werde ich denn leben, Valentin,
Wie viele Jahre gibst du mir?
VALENTIN
Ja, sicher hundert Jahre!
Doch hundert Jahre sind ein Sandkorn nur,
Doch wie der ganze schöne Strand am Meer
Ist dann das Glück in Ewigkeit!


ACHTE SZENE


(Kaiserpalast. Kaiser Claudius Gothias gewährt dem Valentin eine Audienz.)

KAISER
Wir sehen, guter Valentin,
Wie du auf Erden Gutes tust.
Das ist wohl Unserm Reiche förderlich.
Wir kennen viele intrigante Wesen,
Die nichts als ihren Vorteil suchen
Und alles nach dem Maß des Geldes messen
Und lieben mehr den eigenen Profit
Als irgendeine Menschlichkeit.
Da wäre es ein Trost für Unsre Seele,
Wenn deine Freundschaft Wir gewännen.
VALENTIN
O Majestät, ich bin ein Nichts
Und der geringste Sklave meines Gottes,
Der mir mit Macht geboten hat,
Mit allen Menschen Freundschaft
Zu haben, selbst mit meinen Feinden.
KAISER
Wir wollen nicht zu deinen Feinden zählen,
Wir freuen uns vielmehr, wenn du
Uns schautest an als väterlichen Freund.
VALENTIN
Der Glaube zwar verbindet sehr,
Gottlosigkeit noch mehr, sagt der Poet.
Ich freu mich, wenn Ihr Freundschaft schließen wollt
Mit dem geringsten Sklaven seines Herrn,
Mit einem absoluten Nichts,
Odysseus gleich Herr Niemand heißend.
Wenn ich Euch aber raten soll,
Dann rat ich immer als ein Christ.
KAISER
In Unserm Reiche gibt es viele Religionen,
Da sind die Isispriesterinnen
Und dort die Mithraspriester,
Da sind der Venus Tempelhuren,
Und alle glauben, Wir sind Gott.
Da mag denn auch dein Liebes Gottchen
Im Arm des Schönen Mädchens
In Unserm Reiche seine Rechte haben.
Doch leider liebt ihr nicht die Toleranz,
Die Wir in Unserm Reiche pflegen.
VALENTIN
Es gibt nur Einen wahren Gott
Und Einen wahren Glauben.
KAISER
So viele Götternamen gibt es,
Ich glaub, ihr nennt ihn Jevi?
VALENTIN
Nur nicht gespottet über meines Gottes Namen!
KAISER
Ich hörte, euer Christus wandle auf dem Wasser?
Wir selber sind so hoch erhaben
Und über alles Irdische erhoben,
Daß Wir auch auf dem Wasser wandeln
Und schreiten schwebend in der Luft.
Ist euer Christus nicht ein Gottessohn?
Auch Horus ist ein Gottessohn
Und Mithras ist ein Gottessohn
Und Gottessohn ist auch Apoll.
Wir aber auch sind Gottes Sohn.
Wir sind gezeugt von Gott,
In Uns wohnt Gott,
Wir sind vom göttlichen Geschlecht.
VALENTIN
Der Mensch ist Mensch
Und Gott ist Gott.
KAISER
Du willst nicht glauben an des Kaisers Gottheit?
VALENTIN
Erlaubt mir, Majestät, zu scherzen:
Ich bring Euch eine frohe Botschaft:
Es gibt in Wahrheit einen Gott!
Jedoch: Ihr seid es nicht!
KAISER
Das ist ja euer Crux, ihr Christen,
Daß ihr die Toleranz nicht liebt.
Ein Gott, ein Reich, ein Glaube,
So lehrt ihr Katholiken.
Doch Wir in Unsrer Gottheit definieren,
Das jeder Mensch das Recht besitzt,
Sein eignes Gottesbild zu schaffen.
Soll jeder selig werden, wie er will!
Und ob sie nun an Aphrodite glauben
Und mit den Tempelhuren schlafen,
Ob sie Priap erheben in den Gärten
Und beten an den Phallus ihres Gottes,
Das ist Uns alles ganz egal,
Solange Roma und die ganze Ökumene
An Unsre Gottheit glaubt!
Ihr Christen glaubt an Unsre Gottheit nicht
Und das ist euer Crux!


NEUNTE SZENE


(Valentin und ein Jurist im Dienste des Kaisers.)

JURIST
Ich sagte unserm Gott und Kaiser,
Daß du gefährlich bist für Rom
Und für die ganze Ökumene,
Du, Valentin, und deine Kirche,
Ihr seid Rebellen gegen Gott den Kaiser.
Ihr schwelgt im süßlichen Gefühl der Liebe
Und predigt Gottes Liebe allen Kleinen
Und die Barmherzigkeit den Armen,
Den geistig Armen und den Kranken,
Ihr macht die Kleinen ganz vernarrt
In euren lieben Gott und schwächt die Männer
Und macht aus ihnen Weiber, Nonnen,
Und wollt, dass alle ihre Hände falten
Und nur noch beten zu dem lieben Gott,
Zu Jesus, euerm großen Kinderfreund!
Nun hab ich aber die Juristerei studiert
Und glaube an den Staat von Rom
Und alle die Gesetze unsres Staates.
Und in Befolgung der Gesetzesvorschrift
Liegt all mein Gottesdienst für meinen Kaiser.
Ich sagte meinem Gott dem Kaiser,
Daß er dich prüfen soll und deinen Glauben.
Was aber nützt das Händefalten?
Da sollst du dir in deine Hände scheißen
Und fromm die Hände falten und die Scheiße
Zu einer Kugel formen! Das ist meine Meinung.
Der Gott und Kaiser gab den Auftrag mir,
Von dir zu fordern vorm Gericht,
Daß du ein Wunder tust im Namen deines Gotteskindes.
Ist nun dein Gott ein Löwe
Und mächtig, in der Welt zu herrschen,
Dann lasse ich dich leben.
Ist aber dein geliebtes Gotteskind ein Lamm,
Ein Spielzeug für die Kinder,
Dann schlachten wir dich wie ein Lamm
Auf dem Altar des Kaisers.
VALENTIN
Ich glaub an Gottes Lamm,
Der auch der Löwe ist von Juda!
Gott gurrt wie eine Turteltaube Liebesworte,
Doch schwebt der Herr auch wie ein Adler.
O Jesus, ich vertraue dir!
JURIST
Ihr Sklaven, bringt mir meine Tochter!
Schau, Valentin, ich habe eine Tochter,
Die sechzehn Jahre zählt,
Doch fiel ihr Schwalbenkot auf ihre Augen
Und sie erblindete.
Jetzt tu ein Wunder, Valentin,
Und öffne meiner Tochter Julia die Augen!
JULIA
Ich möchte sehen können, Gottesmann!
VALENTIN
Im Namen Jesus, tu dich auf!
JULIA
Ich sehe, sieh, ich seh in aller Schöpfung
Des Schöpfergottes Schönheit,
Ich sehe, ja ich sehe, siehe, was ich sehe,
Ist Gottes Schönheit in der Schöpfung!
O Schönheit Gottes, liebenswürdig!
Daß ich dich jetzt erst liebe, Schönheit,
Du makellose Schönheit,
Du absolute, allerhöchste Schönheit,
Du Schönheit, die die Welt geschaffen,
Du Schönheit, die das Ziel des Kosmos ist!
Ich sehe den Triumph der Schönheit!
Allein die immerjunge Schönheit
Vermag die Menschheit und das All zu retten!
VALENTIN
Du, Julia, lebst in der Würde,
Zu sein ein Ebenbild der Schönheit,
Weil du geliebt bist von der Schönheit,
Drum bist du schön und liebenswert!
Ja, immer schöner sollst du werden
Und dich vollenden in der Schönheit
Und ewig in der immerjungen Schönheit
Schön sein wie die Urschönheit,
Schön sein wie die Urgottheit der Urschönheit!
So bete allezeit zur Schönheit
Und singe Hymnen an die Schönheit
Und nimm die Klappern von Zypressenholz
Und tanze für die immerjunge Schönheit!
Dann wird die Schönheit dich verklären
Und dich von Gloria zu Gloria
Zur ewigen Vollendung in der Schönheit führen!
JULIA
Ich seh den Schönsten aller Menschensöhne,
Ich seh im Geist den wunderschönen jungen Jesus
Und seine jugendliche schöne Mutter!
Sie ist das Schönste aller schönen Mädchen!
Wie überschön ist doch Madonna, Gottes Mädchen!
VALENTIN
So weihe dich dem Makellosen Mädchen
Und werde eine Andere Madonna!
JULIA
Madonna! Ich will sein wie du,
Will Schönheit von der Schönheit Gottes sein!
Du ganz vollkommne und perfekte Schönheit,
Ich bin ganz dein, Madonna!


ZEHNTE SZENE


(Paradiesischer Garten der Liebe im Himmel. Valentin sitzt neben der Göttin Juno, der Schutzgöttin der Ehe und Familie.)

VALENTIN
Sie haben mir mit einem Schwert
Den Schädel von dem Rumpf geschlagen,
Drum halt ich hier in meiner Hand das Schwert.
Was sagt der Hahn zu meinen Füßen?
Nun, vor dem Tode hab ich noch gescherzt
Und sagte zum Soldaten, der es nicht verstand:
Mein lieber Heidenbruder, wenn ich tot bin,
Dann opfre einen Hahn dem Gott Asklepios,
Jetzt bin ich ein geheiltes Kind. So starb ich.
Gott aber setzte mich zum Schutzpatron
Der Liebenden im Himmel ein.
Nun segne ich vom Himmel die Verlobten
Und wünsche ihnen Gottes Segen
Für ihre Ehe, und ich wünsche Gottes Segen
Für ihre lieben Kinderlein.
Ich möcht, dass man an meinem Todestag,
Am Vierzehnten des Februar,
Den vielen schönen Frauen in der Welt
Und allermeist den schönen Mädchen
Zusendet anonyme Liebesbriefe.
Es ist doch etwas Anonymes
An all der Poesie der Liebe,
Ob man auch noch so sehr für einen Namen schwärmt
Und jedes Nomen für ein Omen hält.
Schreibt anonyme Liebesbriefe
Und sendet allen Frauen meine Grüße
Und allen jungen Mädchen meinen Segen!
Dann sollt ihr auch aus fernen Gärten
Die schönsten Rosen pflücken
Und rote Rosen schenken euren Herzensdamen.
Und wenn die Frauen schön wie Rosen sind
Und aber auch voll Dornen sind,
So ist das eben euer Kreuz!
Die Rose ist doch eine Rose, ist doch eine Rose.
Und wie soll glücklich sein ein Mann,
Wenn er nicht schöne Frauen sieht?
Nun bitt ich euch: Macht mir viel Arbeit!
Ich hab im Himmel alle Hände voll zu tun,
Verlobte in den Ehestand zu führen
Und die verschmähten Liebenden zu trösten.
So hab ich keine Langeweile in dem Himmel
Und lese jeden Tag in den Romanen,
Die ihr auf Erden spielt.
GÖTTIN JUNO
Der Herr hat mir geboten,
Schutzgöttin in dem Himmelreich zu sein
Der Ehe und Familie auf der Erde.
Ich sehe leider finstre Zeiten,
Die Endzeit vor des Antichristen Herrschaft,
Da Revolutionäre greifen an
Das Heiligtum der Ehe und Familie.
Das Kaisertum von Gottes Gnaden ist gestürzt,
Den Demokraten folgen Anarchisten.
Die letzten Spuren Christentums
Versuchen diese Revolutionäre zu vertilgen,
Indem sie greifen an die Ehe.
Jetzt gilt nicht mehr der Ehebund von Mann und Frau
Mit Gottes Segen durch die Mutter Kirche.
Jetzt paaren sich die Männer mit den Männern,
Jetzt paaren sich die Weiber mit den Weibern.
Jetzt zeugen sie nicht Kinder mehr,
Mitschöpfer mit dem Schöpfergott,
Nein, sie verhüten ihre Kinder,
Und wenn sie dennoch schwanger werden
Im Leichtsinn ihrer Unzucht freier Liebe,
Dann morden sie die Kinder in dem Mutterschoß!
Man möchte Gottes Volk ausrotten, Israel,
Dann auch ausrotten Jesu Lieblinge,
Denn Jesu Lieblinge, das sind die Kinder!
Doch noch bin ich die Göttin Juno,
Noch wache ich und herrsche ich im Himmel,
Und ich verkündige euch gute Botschaft:
Nach all dem Holocaust an kleinen Kindern
Und nach dem Antichristen in der Welt
Mein Herz wird schließlich triumphieren!
Zwar Rom wird Sitz des Antichristen,
Doch die Apostel in den letzten Zeiten
Versammeln sich um Christus,
Die Kirche wird erneuert in dem Frühling,
Gott gießt den Geist der Schönen Liebe aus!
Die neuen Könige auf Erden
Regieren als der rechte Arm der Mutter Kirche.
Und nach den Katastrophen der Natur,
Den Hungerkatastrophen und den Seuchen,
Und nach den internationalen Kriegen
Erscheint vom Himmel her Asträa,
Die Jungfrau kommt zurück,
Die jugendliche Göttin der Justitia!
Und wieder wird es auf der Erde sein
Wie damals, als in süßer Liebe eins
Vereint mit Eva Adam in dem Paradies!