Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

RUSSLANDS MUSE



Nachdichtungen
Von Josef Maria Mayer

„Poesie – die den Russen unbekannte...“
(Puschkin)


ALEXANDER PUSCHKIN


AN TSCHAADAJEW

Ach, Hoffnung, stiller Ruhm und Liebe,
Sie schmeicheln unsern Seelen kaum.
Dahin die jugendlichen Triebe
Wie Morgennebel, Morgentraum!
Ein heißer Wunsch nur kann betören
Uns unterm Druck der Schicksalsschuld:
Den Ruf des Vaterlandes hören
Die Seelen voller Ungeduld!
Wir hoffen mit der Sehnsucht Feuer:
Es kommt der Freiheit Augenblick!
So wartet auch ein junger Freier
Aufs Wiedersehen voller Glück!
Wir stehn für Freiheit in dem Brande,
Die Gloria ist uns genug,
So weihen wir dem Vaterlande,
Mein Freund, der schönen Seele Flug!
Der Stern des Zauberglücks wird schimmern,
Wenn Russland von dem Tod ersteht!
Selbstherrschaft – ha, auf deinen Trümmern
Geschrieben unser Name steht!


AN DAS MEER

Des Tages Stern gegangen ist zur Ruh,
Der Abendnebel sank auf blauen Meeres Bahn.
So brause, brause, o gehorsam Segel du,
Und woge unter mir, du dunkler Ozean!
Ein fernes Ufer kann ich sehen,
Gefild des Südens! Und in Schwermut tief versunken
Und voller Unruh will ich dorthin gehen,
Bin von Erinnerungen trunken...
Im Auge bilden sich aufs Neue Tränen,
Beklommen brodelt meiner Seele Sehnen,
Ein Phantasiephantom streicht mir durch meine Haare,
Ich denke an die Lust und Torheit junger Jahre,
An wem ich litt und wem das Herz stand offen,
An Qual und Trug und Wunsch und Hoffen...
Gehorsam Segel, brause durch die Meeresbahn;
Und woge unter mir, du dunkler Ozean!
Schiff, trage mich zum fernen Lande durch den Schaum!
Wie launisch und gebieterisch das Wasser sprach!
Doch trag mich nicht zum trauervollen Ufersaum
Der nördlich-kalten Heimat in dem Nebel, ach,
Nicht in das Land, wo Liebe mir zum ersten Mal
In Leidenschaft aufloderte und wo
Die Muse heimlich-zärtlich lächelte im Saal
Und wo verloren meine Jugend so
Verblühte in den Stürmen früh,
Wo mich betrog die leichte Freude, die
Mein Herz auslieferte den Leiden!
Nach neuem Eindruck sucht ich, mich zu weiden,
So floh ich das Gefild des Vaterhauses
Und euch, Genossen lüsternen Gebrauses,
Der leeren Jugend leere Freunde,
Floh auch der Frauen lüsterne Gemeinde,
Vertraute Irrungen und Wirrungen verhasster
Genossinnen voll Lust am Laster,
Ich hab geopfert euch die Ruhe und den Ruhm,
Die Freiheit, meiner Seele Heiligtum.
Jetzt hab ich euch vergessen, Ungetreue,
Geheime Freundinnen der lichten Lenzeslust!
Doch ach, die Wunden in der Brust,
Der Liebe Wunden immer ich erneue,
Unheilbar habe ich gefunden
Der tiefen Liebe Wunden...
Gehorsam Segel, brause durch die Meeresbahn,
Und woge unter mir, du dunkler Ozean!


AN ANNA K*

Ich denke an den schönen Augenblick:
Ich schaute dich! Da fehlte mir die Töne.
Erscheinung warest du voll Himmelsglück,
Geniales Ideal von reiner Schöne!

In Qualen hoffnungsloser Traurigkeit
Und in den Wirren lauter Eitelkeit
Klang deine Stimme mir wie ein Gedicht,
Ich träumte oft von deinem Angesicht.

Die Zeit verging. Ein Sturm mit wildem Grimme
Zerstreute meiner Phantasien Licht
Und ich vergaß, ach, deine sanfte Stimme
Und ich vergaß dein Himmelsangesicht.

Und in der Öde, in des Kerkers Fron
Zog sich mein Leben hin in trister Trübe,
Ach, ohne Gottheit, ohne Inspiration,
Ach, ohne Liebestränen, ohne Liebe!

Die Seele ist befreit von dieser Fron:
Du bist erschienen mir zum zweiten Mal,
Erschienen mir als himmlische Vision,
Genialer Schönheit reines Ideal!

Mein Herz schlägt in Ekstase! Die Vision
Erweckte mich aus trister Trauer Trübe:
Es lebt die Gottheit, lebt die Inspiration
Erneut, die Liebestränen und die Liebe!


WINTERABEND

Den Himmel hüllt der Sturm mit Nebel ein,
Schneewirbel kreisen lässt der Winterwind,
Bald höre ich den Sturm wie Tiere schrein
Und bald verzweifelt heulen wie ein Kind,
Bald raschelt er auf dem verfallnen Dach
Im Stroh auf unsrer armen Hütte, ach,
Bald klopft verspätet wie ein Wandersmann
Der Sturm an unsre Fensterflügel an.

Die arme alte Hütte, unsre kalte
Behausung, ist in Traurigkeit und Nacht
Versunken. Warum bist du, meine Alte,
Versunken tief in Schweigen traut und sacht?
O Liebe, bist du müde von dem Murren
Des Sturms, der heult wie Kindlein in der Windel,
Sag, oder schläfst du märchenhaft beim Surren,
Geliebte Alte, deiner Schicksalsspindel?

Gefährtin, Liebe, trinken wir wie Zecher,
Genossin meiner trauervollen Jugend,
Aus Kummer trinken wir! Wo ist der Becher?
Das Herz wird heiter von des Weines Tugend!
Sing mir ein Lied, wie eine Meise lebte
Fern lichten blauen Meeres still verborgen,
Sing mir ein Lied, wie eine Jungfrau schwebte
Zum Brunnen, Wasser schöpfen ging am Morgen.

Den Himmel hüllt der Sturm mit Nebel ein,
Schneewirbel kreisen lässt der Winterwind,
Bald höre ich den Sturm wie Tiere schrein
Und bald verzweifelt heulen wie ein Kind.
Gefährtin, Liebe, trinken wir wie Zecher,
Genossin meiner kummervollen Jugend,
Aus Trauer trinken wir! Wo ist der Becher?
Das Herz wird heiter von des Weines Tugend!


SENDSCHREIBEN NACH SIBIRIEN

Tief in Sibiriens harten Erzen
Bewahrt Geduld in euren Herzen!
Der Gram vergeht nicht, nicht die Mühen,
Der strebenden Gedanken Glühen!

Des Unglücks ewigtreue Schwester,
Die Hoffnung kommt in eure Nester,
Erweckt euch Mut und Heiterkeiten:
Es kommen die ersehnten Zeiten!

Die Liebe und die Freundschaft werden
Besuchen euch auf dunkler Erden
In euren Kerkern voller Grimme,
Wie heute meine freie Stimme.

Des Kerkers Ketten werden fallen,
Die Freiheit seh ich freudig wallen,
Sie wird am offnen Tore schweben
Und euch die Waffen übergeben!


DER DICHTER

Solange nicht den Dichter trunken
Apoll zum Opferkult bestellt,
Verzagt kleinmütig ist versunken
Er in die Sorgen eitler Welt.
Die Lyra schweigt in kalten Wintern,
Sein Geist verspürt nur Schläfrigkeit
Und unter allen eitlen Kindern
Ist er die größte Eitelkeit.

Kaum kommen göttliche Befehle
Ans Dichterohr sehr fein und sacht,
Da schüttelt sich des Dichters Seele,
Ist wie ein Adler aufgewacht.
Er langweilt sich bei den Vergnügen
Der Welt, bleibt dem Geschwätze fern,
Er wird den stolzen Geist nicht fügen
Des Pöbels götzengleichen Herrn.
Abweisend flieht er, scheu, voll Schwere,
Der nur verwirrten Klängen lauscht,
Er eilt zum Uferstrand der Meere,
In einen Garten, wo es rauscht.


DER PROPHET

Von Durst gequält, auf Wüstenhügeln
Ich trug mich durch die Wüste träg,
Ein Seraph ist mit Augenflügeln
Erschienen mir am Kreuzesweg,
Mit Fingern sanft wie Schlaf von ferne
Berührt er meines Sehens Sinn,
Aufschlossen sich die Augensterne
Wie der erschrocknen Adlerin,
Er rührt die Ohren, im Getümmel
Vernahm ich Lärm und Klang und Trug,
Das Beben hörte ich im Himmel
Und ich vernahm der Engel Flug,
Im Meere sah ich Drachenrücken,
Den Weinstock in des Tales Grund,
An meinen Mund tat er sich drücken,
Riss mir die Zunge aus dem Schlund,
Die Zunge, schwatzhaft ohne Ende,
Der weisen Schlangen Giftes Zahn
Mir haben blutig seine Hände
In meinen offnen Mund getan,
Das Herz mir aus der Brust zu holen,
Das tat er mit dem Schwert voll Lust,
Und weiße Glut von heißen Kohlen
Gelegt in meine offne Brust.
Als Leiche lag ich in der Wüste
Und Gottes Stimme rief mich an:
Prophet, der in der Wüste büßte,
Vernimm und höre, Gottesmann,
Erfülle du den Gotteswillen,
Durch Meer und Lande wandre fort,
Den Gotteswillen zu erfüllen:
Die Welt entbrenn mit Meinem Wort!


VERDRUSS DES GEISTES

Sinnlose Gabe, purer Zufall –
Wozu des ganzen Lebens Not?
Warum geheimnisvoll das Schicksal
Verurteilt, Leben, dich zum Tod?

Wer hat mich aus des Nichts Äonen
Gerufen feindlicher Gewalt,
Das Herz erfüllt mir mit Passionen,
Den Geist mit Zweifeln mannigfalt?

Kein Ziel vor mir, im Herzen Öde
Und im Verstand Untätigkeit.
Des Lebens Langeweile schnöde
Quält mich mit leerer Nichtigkeit.


BARATYNSKI



ZWEI SCHICKSALSLOSE

Zwei Lose hält göttliche Vorsicht bereit
Der menschlichen Weisheit zur Wahl immerzu:
Da Hoffnung und Ruhelosigkeit –
Da Hoffnungslosigkeit und Ruh.

Es glaube der schmeichelnden Hoffnung des Lichts,
Wer tapfer mit unerfahrnem Verstand
Allein aufgrund eines falschen Gerüchts
Vertraut sich dem höhnischen Schicksal verband.

Trau, überschäumender Jüngling, dem Wahn!
Flieg du mit den Flügeln durch glühenden Raum!
Für dich ist geschaffen der glänzende Plan
Und brennend im Herzen der glühende Traum!

Doch du, der erfahren das Schicksal, die Pein,
Den nichtigen Ruhm und der Trauer Gewalt,
Der du empfangen die Weisheit vom Sein
Als schwereres Los für des Lebens Gestalt,

Vertreibe der Hoffnungen schmeichelnden Schwarm.
Dein Leben allein in der Stille erblüht.
Bewahre die Kälte und fühle nicht warm,
Bewahre die Kälte in deinem Gemüt.

So werden gefühllos, doch selig, entdeckt
Die Leichname einst in den Grablöchern schön,
Durch Worte des Magiers, auferweckt
Mit knirschenden Zähnen auferstehn –

So wirst du, wenn Glut dir entflammte das Herz,
Getäuscht von erneuerter Illusion,
Du nur erreichen erneuerten Schmerz,
Wie immer, leiden der Liebe Passion!


DER LETZTE DICHTER

Ach, das Jahrhundert reist auf seiner Straße,
Das Herz sucht nur Profit, der Geist bekräftigt
Die Alltagsnützlichkeit dem Sinn zum Spaße,
Mit Sorgen und Schamlosigkeit beschäftigt,
Aufklärungslicht der menschlichen Verächter
Vertrieb den Unschuldstraum der Phantasieen,
Nur dem Erwerb ergeben die Geschlechter,
Um Phantasieen sie sich nicht bemühen.

Daß sich froh die Freiheit freue,
Griechenland erwacht aufs Neue,
Sammelt Völker an den Grenzen
Und erhebt die Residenzen,
Wissenschaften blühen wieder,
Pontus trägt die Handelsgüter,
Doch der Lyra Schwanenbusen
Schweigt im Paradies der Musen!

In dieser eitlen Welt erglänzt der Winter,
Doch streng und blass sind alle Menschenkinder.
Doch fruchtbar grün im Vaterland Homeros’
Im Garten spielt und an den Flüssen Eros.
Parnassos blüht! Und wie in frühern Jahren
Najaden baden sich mit langen Haaren
Im Quell Kastaliens, in dem Strahl, dem puren,
Als Sohn der letzten göttlichen Naturen
Erscheint der Dichter! Seltsam unbegründet
Er kommt und singt und feiert und verkündet!

Singt vertrauend mit Gestöhne
Liebeswonnen und die Schöne!
Eitelkeit der Wissenschaften,
Fern den Liebesleidenschaften,
Ach, die Flüchtigkeit der Leiden
Heilt die Poesie bescheiden
Und die Erde fühlt die Wonne
In der Einfalt Gnadensonne!

Den Jüngern der Urania, der kalten,
Singt er die heißen Leidenschaftsgewalten,
Wie wilder Sturm durchwühlt die Wälder furchtbar,
So Leidenschaft macht Menschenherzen fruchtbar,
Entfacht vom Atem glühender Passionen
Erheben sich die Halluzinationen
Wie Aphrodite Anadyomene
Einst aus des Schaumes seufzendem Gestöhne!

Warum geben wir uns nimmer
Hin der Träume heiterm Schimmer?
Unterwerfen unsre Herzen
Kaltem Denken, nicht den Scherzen?
Glaubt doch Peitho! Aus den Augen
Sollt ihr die Liebkosung saugen,
Traut dem Trost des Lustgetümmels
Und dem Mitgefühl des Himmels!

Doch Spott zur Antwort gab man nur dem Dichter,
Die Finger schwiegen auf den Leiersaiten.
Es schloß den Mund der edle Menschenrichter,
Doch bleibt er stolz und doch zugleich bescheiden.
Er lenkt die Schritte in Gedanken ferne
In menschenleere Länder. Seine Seele,
Vergebens sucht sie eine stille Höhle,
Ach, Stille gibt’s nur auf dem Morgensterne!

Folgsam nicht der Menschensphäre
Sind allein die blauen Meere
Frei und weit und menschenfeindlich,
Nur das Meer dem Dichter freundlich.
Meeres Antlitz, gleich geblieben,
Seit Apoll sein Ross getrieben
Und mit strahlendem Gestirne
Erstmals auftrat auf dem Firne.

Es braust herauf vor Sapphos Schicksalsfelsen,
Da steht der Dichter, seine Seelen schmelzen,
Die Augen glühen jäh, die todesmatten:
Das Meer... Der Fels... Und Sapphos Seelenschatten...
Hier hat die Vielgeliebte, die Verschmähte
Die Liebe eingegraben in dem Grabe!
Apollons Jünger auch hier, der Poete,
Begräbt den schönsten Traum, die leere Gabe!

Wieder ist die Welt versunken
In dem kalten Prachten, Prunken,
Die versilbern und vergolden
Die Skelette, die unholden.
Doch berührt des Menschen Seele
Einzig noch des Meeres Schauer,
Voll von quälendem Gequäle
Scheidet er vom Meer - voll Trauer!



WLADIMIR SOLOWJEW



UMSONST NICHT SIND WIR UNS BEGEGNET

Umsonst nicht sind wir uns begegnet,
Umsonst nicht brennt die Leidenschaft
Wie Feuersbrunst voll Pein!
Die Liebesqual sei mir gesegnet,
Sie ist ein Unterpfand der Kraft
Vom Ewiglichen Sein!

In einen feurigen Abyss
Gießt ihren Strahl, in Finsternis,
Die Ewigliche Minne!
Aus diesem brennenden Gefängnis
Errettend dir aus der Bedrängnis
Den Phönix ich gewinne!

Auf schwarzer Erde voll von Moosen
Erheben schön sich deine Rosen,
So schön geformt den Augen,
Weil sie die Wurzeln lang und groß
Hinabgesenkt in tiefen Schoß,
Sich liebend festzusaugen!


GELIEBTE, SIEHST DU ES DENN NICHT

Geliebte, siehst du es denn nicht,
Daß das, was Männer sehn und Frauen,
Nur Abglanz ist vom wahren Licht,
Das unsre Augen nicht erschauen?

Geliebte, hörst du es denn nicht,
Daß all der Lärm im Weltgedränge
Ist nur das Echo dumpf und schlicht
Harmonischer Zusammenklänge?

Geliebte, fühlst du es denn nicht,
Daß es nur eins gibt, meine Süße,
Nur eins, dass Herz zu Herzen spricht,
Wenn stumm das Herz spricht Segensgrüße?



ALEXANDER BLOK



GOTT UNERMESSLICH

Gott unermesslich ist für die Vernunft,
Verschlossen dem Verstand das Himmelszelt.
Doch manchmal bringt der Seraphinen Brunft
Ein Traumbild zum Erwählten in die Welt.

Erschienen ist mir Russlands Aphrodite
In einer Tunika aus weißem Schaum,
Apathisch, rein, voll Trauer, voller Güte,
In ihrem Angesicht ein sanfter Traum.

Sie kam zum ersten Mal nicht in die Welten,
Der alten Ritter Scharen ihr nicht taugen,
Es drängen sich um sie ganz andre Helden.
Wie selten ist der Blitz in ihren Augen!...


DIE SCHÖNE DAME

Als ich in eine dunkle Kirche kame,
Verübte ich die Zeremonien arm,
Erwartete allein die Schöne Dame
In roter Lampen Schimmer voller Charme.

Im Schatten einer hohen Säule bebte
Ich vor dem Knarren einer alten Tür.
Vor meinen Augen in dem Lichtglanz schwebte
Still die Ikone wie ein Traum von Ihr...

Wie oft schon sah ich der Ikonen Gold
Der Ewgen Frau erleuchten dunkle Räume,
Da streben über die Gesimse hold
Charmante Lächelblicke, Märchen, Träume.

O Heilige, wie gut tun deine Kerzen,
Dein schönes Angesicht, erquickend ist es!
Ich hör kein Wort und keiner Seufzer Schmerzen,
Doch glaub ich: Meine Liebe – ja, du bist es!


DIE UNBEKANNTE

An Abenden hoch überm Restaurant
Ist heiß die Luft und voller Rauch,
Da trunkner Rufe lauter Schrei erklang,
Da lenzlich haucht Verwesungshauch.

Fern, über Gassen, in des Staubes Schwaden
Der Vorstadthäuser Langeweilen.
Da strahlt ein Brezel an dem Bäckerladen,
Da hört man kleiner Knaben Heulen.

Und jeden Abend bei den Schranken kamen
Mit Hüten, die sie lustig zieren,
An dem Kanal mit ihren hübschen Damen
Die eitlen Gecken, die spazieren.

Dort auf dem Wasser hört man Ruder stöhnen
Und Kichern hört man von dem Weibe.
Der Himmel kann an alles sich gewöhnen,
Weiß strahlt des Mondes runde Scheibe.

Und jeden Abend spiegelt sich mein Freund,
Er spiegelt sich in meinem Glas,
Er ist wie ich, der rote Tränen weint,
Besänftigt und betäubt vom Nass.

Die Wirtin kann mir an der Theke taugen,
Sie reicht verschlafen mir das Glas,
Berauschte Kerle mit Kaninchenaugen
Schrein laut: In vino veritas!

Und jeden Abend zu der Dämmerzeit,
Sag, oder schaue ich Gespenster,
Bewegt sich eine Frau im Seidenkleid
Im Nebelschleier vor dem Fenster.

Nach alten Mythen duftet es und Wahn,
Es rauscht ihr seidenes Gewand,
Am Hut die Feder von dem Trauerschwan,
Ein Ring an ihrer schlanken Hand.

Gefesselt von der Nähe wie vom Traum
Ich schau durch dunkle Schleier Sterne
Und schaue magisch einen Meeressaum
Und magisch wundervolle Ferne.

Geheimnisse mir anvertraut und Fehle,
Mir anvertraut der Sonne Schein.
Und alle Labyrinthe meiner Seele
Durchdrang der purpurrote Wein.

Die Federn von dem Trauerschwane taugen
In meinem Geiste mir zum Traum.
Ich sehe abgrundtiefe blaue Augen
Erblühn am fernen Meeressaum.

In meiner Seele wird ein Schatz bewahrt,
Der Schlüssel eignet mir allein.
Ja wahr, o du betrunkner Narr vernarrt,
Ich weiß, die Wahrheit ist im Wein!


HARMONIKA

Harmonika, Harmonika,
He, singe, glühe, tanze Tänze!
He, gelber Löwenzahn ist da,
Das Frühlingsblümchen blüht im Lenze!

Mit Flöten und mit Triller bauschen
Die Vögel sich im Morgengrauen,
Die dunklen Büsche leise rauschen
Und nicken: Schauen soll ich, schauen!

Sie hebt die Arme zum Gebet,
Sie hat den schönsten Tanz begonnen,
Mit Blüten alles übersät,
Sie ist im Liebeslied zerronnen...

Du Ungetreue voller Tücke
Und List, den Tanz ich dir befehle,
Ob ewig Schlangengift berücke
Auch qualvoll meine arme Seele!

Ich hab verloren den Verstand!
Den Wahn erlangte ich zum Tausch!
Du in der Finsternisse Land
Bist ganz berauscht im tiefen Rausch...

Die Reize meine Seele fingen,
Zu morden sie mit Schlangengift!
Ich kann von dir, von dir nur singen
Zahllose Verse meiner Schrift.


NACHT

Nacht, Straße, Einsamkeit, Laterne, Apotheke,
Sinnloses, trübes Licht auf nächtlich dunklem Wege.
Leb meinetwegen noch für fünfundzwanzig Jahr,
Es ist kein Ausweg da, so bleibt es immerdar.

Du stirbst – und wirst erneut die selben Straßen schreiten
Und alles bleibt sich gleich so wie vor alten Zeiten.
O dunkle Winternacht, o Klirren kalter Sterne,
Die Apotheke und die Straße und Laterne.


AN DIE MUSE

In deinen tiefgeheimen Melodien
Ist Kunde von dem Untergang und Styx,
Die Kraft des Fluchs ist deinem Lied verliehn
Und die Verhöhnung allen Erdenglücks!

Hinreißend ist in deinem Lied die Kraft,
So wiederhol ich wieder das Gerücht,
Daß Engel du mit deiner Leidenschaft
Verführtest selbst, der Schlange Urgezücht!

Bist du mein guter oder böser Engel?
Du, Muse, bist ja nicht von dieser Welt!
Madonna bist du mit dem Lilienstengel
Den einen, mir die Hölle, die mich quält!

Ich weiß nicht, wozu ich im Morgengrauen
So kraftlos vor der Glut der Morgenröte
Nicht starb – vielmehr dein Antlitz durfte schauen
Und mütterlichen Trost von dir erflehte?

Ach dass ich meine schlimmste Feindin priese!
Warum du schenktest mir voll Wohlgeruch
Den Sternenkosmos und die Blumenwiese
Und aller deiner Wunderschönheit Fluch?

Betrügerischer als die Nacht im Norden,
Berauschender als Schaum des goldnen Sekts!
Rasch, wie Zigeunerinnen liebend morden,
Dein Küssen von der Süße des Konfekts!

Verhängnisvoll die Wonnen voller Schmerzen,
Als du den Seligen gestürzt in Schwermut!
Wahnsinniger Genuss in meinem Herzen –
Die Qualen der Passion – das Sternbild Wermut!