Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

MADONNA JULI



Eine lyrische Komödie
Nach Motiven von Shakespeare
Von Josef Maria Mayer

Grüße die Nymphe Julia und die Gemeinde in ihrem Hause!“
(Apokrypher Brief des Apostels Paulus)

Madonna Juli ist eine weise Seele, die schon seit Urzeiten lebt, sie ist reif, ins Nirwana einzugehen. Aber aus Barmherzigkeit bleibt sie auf der Erde, um die elenden Menschensöhne mit ihrem gnädigen Lächeln zu segnen.“(Urteil des Dalai Lama)


ERSTE SZENE


(Romeo und sein Vetter auf der Straße.)

VETTER
Ach Vetter! Guten Morgen!
ROMEO
Ist schon die Sonne aufgegangen?
VETTER
Es ist so etwa neun Uhr vormittags.
ROMEO
Die Zeit schleicht langsam in der Traurigkeit.
VETTER
Dann sag mir, warum du so traurig bist.
ROMEO
Was mir die Zeit verkürzen könnte – Liebe –
Ach leider, die Geliebte ist nicht da!
VETTER
Du bist verliebt!
ROMEO
Doch unerreichbar ist –
VETTER
Die Liebe?
ROMEO
Doch unerreichbar ist der Herrin Herz!
VETTER
Die Liebe lächelt so charmant und gütig,
Doch grausam ist ihr Herz und hart wie Stein!
ROMEO
Doch Amor sieht noch mit verbundnen Augen,
Der blinde Amor findet immer Wege.
Ah weh! Wie zickig ist die Liebe doch!
Ach was für ein Gemisch von Hass und Liebe!
Ja, alles Seiende – aus Nichts geschaffen!
Der Leichtsinn des Verliebten ist aus Schwermut,
Tiefsinnig tun die aufgeblasnen Spötter,
Aus Chaos tauchen feminine Formen,
Die Flügel des Verliebten sind aus Blei
Und wo ein Feuer ist, da ist auch Rauch,
Der Liebsten Eis entzündet meine Glut,
Ich bin glückselig und bin krank vor Liebe
Und nachts bin ich hellwach in meinem Tiefschlaf
Und widersprech mir selbst. So ist die Liebe.
Ich liebe! Doch so lieb ich Liebe nicht!
Nun, kann ich dich denn nicht zum Lachen bringen?
VETTER
Zum Heulen wär mir eher doch zumute.
ROMEO
Warum?
ROMEO
Mit deinen Liebesleiden hab ich Mitleid.
ROMEO
Die Liebe selbst ist schuld an ihren Leiden,
Die Schmerzen stecken schon in meinem Herzen.
Dein Mitleid würde nur mein Leid vermehren.
Die Liebe ist wie Dunst, erzeugt von Seufzern,
Doch wenn der Nebel schwindet, glüht die Liebe
Und leuchtet in den Augen der Verliebten.
Betrübt man aber diese Liebe, weint sie
Und wird zum Meer in des Verliebten Augen.
Was soll ich sonst noch von der Liebe sagen?
Sie ist der Wahnsinn weiser Philosophen!
Du möchtest Galle aus dem Rachen würgen
Und doch ist Liebe süß wie Bienenhonig.
VETTER
Sag, Romeo, in wen bist du verliebt?
ROMEO
Ich liebe eine Frau! Ein Wonneweib!
O, sie ist schön! Ja, sie ist eine Schönheit!
VETTER
Ja, Amors Pfeile zielen stets auf Schöne.
ROMEO
Sie will kein Ziel für Amors Pfeile sein!
Die Dame ist so keusch wie die Madonna!
VETTER
Hat sie geschworen, keinen Mann zu nehmen?
ROMEO
Ach, sie verschwendet alle ihre Reize,
Will sie die Reize keinem Manne schenken.
VETTER
Vergiss die Frau und denk nicht mehr an sie.
ROMEO
Dann müsste ich das Denken unterlassen.
VETTER
Schau du nach andern schönen Mädchen aus.
ROMEO
Säh ich ein Mädchen, übermenschlich schön,
Ich dächte doch an die Geliebte nur,
Weil Rosa schön wie eine Göttin ist!


ZWEITE SZENE


(Julis Mutter, Julis Amme und Juli in ihrem Haus.)

JUILIS MUTTER, DIE FÜRSTIN
Du liebe Amme, wo ist meine Tochter?
Ich möchte jetzt mit meiner Tochter reden.
AMME
Ich hab sie schon gerufen, ja, so wahr
Ich selbst mit sechzehn Jahren Jungfrau war.
Marienkäfer! rief ich: Liebes Lamm!
Behüt dich Gott! Wo bist du, süße Juli?
JULI
Wer will mich sehen?
AMME
Die liebe Mama möchte mit dir reden.
FÜRSTIN
Ich, deine Mutter!
JULI
Was ist denn, Mama?
FÜRSTIN
Es geht um dies... Lass uns alleine, Amme,
Wir müssen heimlich reden... Bleib nur, Amme,
Du sollst es hören, was wir hier besprechen,
Du weißt, mein Kind ist jetzt schon sechzehn Jahre.
AMME
Ich weiß, sie ist ja bald schon siebzehn Jahre.
So alt war meine Tochter Katharina,
Als Gott sie holte in das Paradies!
Gott hab sie selig in dem Paradies!
Nun, Katharina ist beim lieben Gott,
Sie war zu liebevoll für diese Erde!
Doch wann wird noch mal Juli siebzehn Jahre?
Ich weiß noch, wie ich sie entwöhnt, die Süße,
Da tat ich auf die Warzen meiner Brüste
Was Bitteres, da saß ich bei den Tauben
Im Garten – Fürstin, du warst da im Ausland –
Da schmeckte Juli Bittres an den Brüsten,
Die süße Närrin, wie sie zornig guckte
Auf meine Brüste, fand sie gar nicht süß!
Da schlugen Täuberich und Taube droben
Und spreizten ihre Schwingen, ruckten gurrend
Und pickten mit den Schnäbeln in die Brüste!
Das ist jetzt dreizehn Jahre her, ja damals,
Ach damals konnte Juli ja schon laufen,
So watschelnd lief sie wie ein kleines Entlein,
Da ist sie umgefallen, auf die Steine
Mit dem Gesicht, da sprach mein Ehemann:
Schau, Juli, immer auf den Rücken fallen!
Bei Unsrer Lieben Frau! Das süße Püppchen
Mit süßem Lächeln sagte leise: Ja.
Ich hör es noch, wie mein Gemahl gesagt:
Nur immer auf den Rücken fallen, Juli!
Und wie dann Juli lächelnd sagte: Ja.
FÜRSTIN
Red du nicht solchen Unsinn, liebe Amme.
AMME
Ich bin schon still. Behüt dich Jesus, Juli!
Du warst das schönste Kind, das je ich stillte!
Könnt ich mit dir noch deine Hochzeit feiern!
FÜRSTIN
Das wollte ich ja sagen. Es ist Zeit
Zur Heirat. Juli, willst du in die Ehe?
JULI
Von diesem Kreuz hab ich noch nicht geträumt.
AMME
Vom Kreuze! Hätte ich dich nicht gestillt,
Ich dächt, Frau Weisheit habe dich gestillt!


DRITTE SZENE


(Romeo und sein Freund vor dem festlichen erleuchteten Hause der Fürstin.)

ROMEO
Willst du mit mir zu dieser Feier gehen,
Mein Freund, ich glaub, du handelst so nicht klug.
FREUND
Wie meinst du das?
ROMEO
Prophetisch kam ein Traum zu mir heut Nacht...
FREUND
Ich träumte auch: Dass Träume Schäume sind!
ROMEO
Nein, meine Träume sind so oft prophetisch!
FREUND
Zu dir kommt wohl die Königin der Elfen?
Sie ist so klein wie der Rubin am Ring
Am kleinen Finger eines alten Mannes.
Die Pferde ihres Wagens sind aus Staub
Und blasen Nasen an von Träumern nachts,
Die Räderspeichen sind aus Spinnengliedern,
Der Seidenvorhang von Libellenflügeln,
Der Pferde Zaumzeug ist aus Lunas Licht,
Die Lederpeitsche ist aus Samenfäden,
Als Kutscher dient im schwarzen Rock die Mücke,
Viel kleiner als ein halber Regenwurm,
Die Kutsche ist aus einer Walnuss-Schale,
Eichhörnchen machten sie als Zimmermänner,
Seit alter Zeit der Elfen Zimmermänner.
So jagt sie Nacht für Nacht durch das Gehirn
Des Liebenden, der dann von Liebe träumt,
Auch manchmal durch der Rechtsanwälte Hirne,
Die dann vom goldnen Schatz des Amtes träumen,
Und manchmal auch durch Hirne reifer Frauen,
Die träumen leidenschaftlich dann vom Küssen,
Doch kriegen eine Krankheit an den Lippen,
Fliegt durch die Hirne alter Tabakraucher,
Die träumen dann von frischer Pfefferminze,
Fliegt manchmal durch die Hirne böser Mönche,
Die lüstern dann von kleinen Knaben träumen.
Das ist die selbe Königin der Elfen,
Die Pferden Zöpfe in die Mähne flechtet,
Die lange Mähne lässt in Locken wallen
Der Stute bis zu ihren strammen Schenkeln,
Doch will der Reiter dann den Knoten lösen,
So prophezeit sie diesem Reiter Unglück.
Die Königin der Elfen ist die Hexe,
Frau Lilith heißt sie bei den alten Juden,
Die plagt das Weib, das auf dem Rücken liegt,
Die Liebe macht mit einem Buhldämonen,
Die lässt empfangen sie von einem Geist,
Daß sie mit einem Bastard schwanger wird.
ROMEO
Sei still! Du redest nichts als dummes Zeug!
FREUND
Die Kinder des Gehirns im Müßiggang,
Geboren sind sie von der Phantasie.
Frau Phantasie ist luftig wie die Luft
Und flieht vor dir noch schneller als der Wind,
Sie reitet auf dem Sturm vor dir davon!
Heut bläst sie an das Eis im hohen Norden
Und morgen bläst sie an den heißen Süden,
Sie bläst dich schließlich aus dir selbst heraus!
Jetzt komm, wir gehen zu der schönen Feier.
ROMEO
Ich sehe schwarz! Ein Unglück kommt vom Himmel!
Ich werde dies von mir gehasste Leben
Sehr bald beenden, dies mein eignes Leben!
Die Nacht, die mich in diese Welt geführt,
Die führt mich auch aus dieser Welt heraus.
Gut, lieber Freund, wir gehen zu der Feier.
FREUND
Sie werden Trommeln schlagen, dass es donnert!


VIERTE SZENE


(Romeo und Juli auf der Feier im Hause der Fürstin.)

ROMEO
Entweih ich diesen göttlichen Altar
Mit meiner Sünderhand, verzeih mir, Süße!
Errötend naht der Lippen Pilgerpaar,
Daß ich mit einem kleinen Küsschen büße!
JULI
Du Pilger, nenn die Hand nicht Frevlerhand,
Die mich berührt in keusch bescheidner Demut.
Der sich an Unsre Liebe Frau gewandt,
Der Pilger lasse ab von seiner Wehmut...
ROMEO
Hat Unsre Liebe Frau auch einen Mund?...
JULI
Ja, auch um von dem frommen Wein zu nippen,
Vor allem, um mit süßen, süßen Lippen
Zu Gott zu beten aus dem Herzensgrund.
ROMEO
Berühre mich mit deinen Gnadenhänden,
Sonst wird mein Glauben in Verzweiflung enden!
JULI
Madonna bleibt auf ihrer Wolke stehn
Und doch will sie dir Gnaden zugestehn.
ROMEO
So lächle du wie die Madonna stille
Und gib mir, was von dir erfleht mein Wille.
(Er küsst Juli)
Mein Mund hat deinem Mund den Gruß verkündigt,
Mein Mund ist jetzt durch deinen Kuss entsündigt!
JULI
Ach, dass ich nun auf meinen Lippen finde,
Besiegelt durch dein Küsschen, deine Sünde!
ROMEO
Ach Juli, gib mir meine Sünde wieder!
Dann sing ich deinen Lippen Liebeslieder.
JULI
Du küsst ja wie ein Beter immer nur,
So wie des Rosenkranzes Perlenschnur...
AMME
Mein liebes Kindchen, Mama will dich sprechen.
ROMEO
Wer ist die Mutter eines solchen Mädchens?
AMME
Ja, junger Mann, die Mutter dieses Mädchens,
Sie ist die hohe Herrin dieses Hauses,
Ist eine liebevolle, zärtliche
Und herzensgütige und fromme Fürstin!
Wer aber ihre Tochter kriegt zur Frau,
Der erbst auch noch ein überreiches Erbe...


FÜNFTE SZENE


(Priester und Romeo in der Marienkapelle.)

PRIESTER
Gott segne heute eure Eheschließung
Und möge später euch vor Harm bewahren!
ROMEO
Ja, Amen, Ja und Amen! All das Leid,
Der Schmerz soll immer tun, was er vermag,
Er wiegt doch nichts, verglichen mit der Wonne
Nur Eines Augenblicks in Julis Nähe!
Leg unsre Hände segnend ineinander,
Kommt dann der Tod, der Mörder süßer Liebe,
So reicht es mir, dass Juli mein gewesen!
PRIESTER
So rasche Freude nimmt ein rasches Ende
Und stirbt in weißer Glut, wie Funken und
Schwarzpulver, sich vereinend, explodieren!
Isst du zuviel vom süßen Bienenhonig,
Wirst du dich ekeln bald vor Bienenhonig.
Lieb du in Maßen, denn dann bleibt die Liebe,
Lieb nicht zu schnell und auch zu langsam nicht,
Denn dann wird deine Frau zufrieden sein.
(Juli erscheint...)
Da kommt das Mädchen! Solche Blumenfüße,
Sie lassen keine Spur auf dieser Erde,
Sie ist wie eine Elfe, wie ein Hauch!
Ja, wer verliebt ist, der geht auf den Wolken,
So leicht wird man durch Liebesheiterkeit!
ROMEO
O Juli, wenn dein Glück so groß wie meines
Und wenn du besser sprechen kannst vom Glück,
Versüß die Luft mit deinem reinen Atem
Und lass die Zunge musikalisch schwingen
Vom Liebesglück, das wir einander schenken
In dieser Himmelsstunde unsrer Hochzeit!
JULI
Gefühle, welche tiefer sind, als Worte
Je sagen können, sind zu stolz auf ihr
Bewusstsein ihrer schönen Art und Weise
Und brauchen keine Kunst, sich auszusprechen
Mit Schminke und mit Schmuck und Redeblumen.
Wer kann denn zählen, was er hat? Der Bettler.
Ich aber bin so reich, so überreich
An Lebenslust und Liebesglück und Wonne,
Daß ich von einem Zehntel meines Reichtums
Die ganze Summe nie errechnen könnte.
PRIESTER
Besiegeln wir das Sakrament der Ehe!
Daß ihr nicht länger heimlich lieben müsst,
Will Gott durch seinen Priester euch vereinen.


SECHSTE SZENE


(Juli abends allein in ihrem Zimmer.)

JULI
O schwarze Mutter Nacht, breit aus den Mantel,
Daß Romeo, von niemandem gesehen,
In meine Arme stürme! Die Verliebten
Sehn klar genug durchs Licht der eignen Schönheit,
Um der Verliebten schönes Spiel zu spielen.
Ist Amor blind, dann kann’s auch dunkel sein.
Komm, schwarze Mutter Nacht im dunklen Kleid,
O reine Jungfrau, lehr mich zu verlieren
Die heilige Jungfräulichkeit des Mädchens!
Lass keinen sehn das Schamrot meiner Wangen,
Verhülle mich mit deinem Sternenmantel,
Bis scheue Liebe mutiger geworden
Und ehrlich tut das Werk der wahren Liebe!
Komm, schwarze Mutter Nacht! Komm, Romeo!
Komm, Romeo, du Sonne meiner Nacht!
Auf schwarzen Schwanenschwingen wirst du blenden
Wie weißer Schnee in klarer Neujahrsnacht.
Komm, dunkle Nacht! Komm, süße Liebesnacht!
Führ meinen Romeo in meine Arme
Und gib ihn mir! Und stirbt er diese Nacht,
Verwandle ihn in eine Galaxie!
Er wird des Himmels Paradies verschönern,
Daß jeder Dichter in die Nacht verliebt
Und keiner mehr dem Gott der Sonne huldigt.
Gekauft hab ich die Wohnung süßer Liebe,
Die Wohnung habe ich noch nicht bewohnt,
Ich bin verkauft an meinen Eheherrn
Und doch bin ich ein unberührtes Mädchen.
Wie lange dauert diese Abendstunde!
Ich fühl mich wie ein Kind am Abend vorm
Geburtstag, wo es die Geschenke kriegt.
Da kommt ja meine vielgeliebte Amme.
(Die Amme erscheint)
Wer immer etwas weiß von Romeo
Zu künden, dem gesegnet sei die Zunge
Und die geschwätzigste Beredsamkeit!
AMME
O tot ist Romeo - - -


SIEBENTE SZENE


(Der Priester und Romeo in der Marienkapelle)

PRIESTER
Erwache, Romeo, steh wieder auf! - - -
(Romeo erhebt sich)
Der Herrscher gibt dir nicht das Todesurteil,
Der Herrscher schickt dich jetzt in die Verbannung!
ROMEO
Verbannung ist der Untergang der Welt!
PRIESTER
Wie gnädig ist der Herrscher doch, er wandelt
Den Tod in lebenslängliche Verbannung.
ROMEO
Verbannung ist doch schlimmer als der Tod!
Ist sterbe tausendmal, doch darf nicht sterben?
Wie viele Tode sterb ich noch auf Erden,
Bis mich mein Tod gebiert ins Himmelsleben?
PRIESTER
Du bist ja nur verbannt aus dieser Stadt.
Geduldig trag die Leiden der Verbannung.
Auf Erden dich erwarten andre Freuden.
ROMEO
Nein, jenseits dieser Stadt gibt’s keine Freude,
Nur Folterungen wie im Fegefeuer,
Nur Wahnsinnsqualen wie im Höllenabgrund!
PRIESTER
Todsünde! Undankbar bist du der Gnade!
Dir leuchtet nicht des Herrschers Gnade ein?
ROMEO
Die Gnade, ach, ist ein Martyrium!
Hier ist das Paradies, wo Juli lebt!
Ach, jede weiße Maus und schwarze Katze
Darf Juli sehn, und ich darf sie nicht sehn!
Selbst eine Fliege hat mehr Rechte noch
Als ich, die Fliege darf auf Julis Hand
Ganz selig sitzen und dies Wunderwerk
Berühren, darf gar Julis Wange küssen,
Nur ich darf Juli nicht berühren, ach,
Ich bin verbannt aus Julis Paradies!
Die Fliege ist glückseliger als ich!
Zu hören: Lebenslängliche Verbannung!
Das hören die Verdammten in der Hölle!
Beichtvater meiner schuldbeschwerten Seele,
So harte Worte wagst du auszusprechen?
Mann Gottes, sei mein Beistand und mein Tröster!
PRIESTER
Im Wahnsinn idiotischer Verliebtheit,
Kannst du da noch ein Wort der Weisheit hören?
ROMEO
Sprich nicht von lebenslänglicher Verbannung!
PRIESTER
Gott schenkt dir süße Milch in deiner Trübsal:
Studier die Weisheit aller Philosophen!
Der Philosophen Weisheit wird dich trösten
In deiner lebenslänglichen Verbannung.
ROMEO
Schon wieder: Lebenslängliche Verbannung!
Hängt Philosophen an Laternenpfähle!
Frau Weisheit schenkt mir nicht die Schönheit Julis!
PRIESTER
Wahnsinnige vernehmen keinen Ratschlag,
Die Idioten haben keine Ohren.
ROMEO
Die Philosophen haben keine Augen:
Sie haben nie gesehen Julis Schönheit!


ACHTE SZENE


(Morgengrauen. Romeo und Juli in ihrem Ehebett.)

JULI
Willst du schon aufstehn, Liebling? Noch ist Nacht.
Es war die Nachtigall und nicht die Lerche,
Die süßen Sanges in dein Ohr geflötet.
Dort auf dem Baume singt sie jede Nacht.
Mein Bräutigam, es war die Nachtigall.
ROMEO
Die Lerche war es, die die Sonne preist,
Ach, nicht die Nachtigall. Orangne Schleier
Seh ich schon in den Morgenwolken glühn.
Die Nacht hat ihre Kerzen ausgeblasen
Und heiter strahlend steht die Sonne auf.
JULI
Das ist kein Sonnenlicht, ich weiß es, ich!
Es ist ein Meteor mit Feuerschweif,
Der dir die Fackel hält in meiner Nacht.
Bleib noch im Bett, du brauchst nicht aufzustehn.
ROMEO
Ich bleibe gern, wenn du so nett mich bittest.
Das lichte Graun ist nicht die Morgenröte,
Das dort sind nicht der Morgenröte Wimpern,
Der lichte Schein ist Schimmer von dem Mond.
Der Vogelsang im hohen Himmelsdom
Ist nicht der Lerche junges Jubilieren.
Ich bleibe lieber doch im Bette liegen,
Das ist viel schöner doch, als aufzustehn.
Willkommen, Tod, willkommen, Bruder Tod - - -
Du findest mich im Bett mit Juli scherzend.

(Der Vorhang fällt. Das Publikum applaudiert.)