Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

KOSMISCHE PHILOSOPHIE




Metaphysisches Theater
Von Josef Maria Mayer



ERSTER TEIL

EMPEDOKLES
ODER
DER SINN DER WELT IST FREUNDSCHAFT


ERSTER AKT


ERSTE SZENE

(Empedokles und seine Freundin Panthea in Pantheas Gartenparadies am Fuß des sizilianischen Ätna. Frühling.)

PANTHEA
Ich bat dich ja, mich öfter zu besuchen,
Nun freu ich mich, dass du zu mir gekommen.
EMPEDOKLES
Geliebte Freundin, Seele dieses Gartens,
Ich glaube, Gott erschuf die Welt im Frühling.
Wie schön der Frühling ist in deinem Garten,
Mir scheint, ich bin im Anbeginn der Welt.
PANTHEA
Was weißt du von dem Anbeginn der Welt?
EMPEDOKLES
Die Priester der Mysterien verkünden
Ein Ursprungsparadies der Unschuldsliebe.
Dort lebte noch die Menschheit nicht im Krieg,
Da waren Mann und Frau noch wahre Freunde,
Da war der Mensch befreundet mit den Tieren,
Da war der Mensch befreundet mit der Gottheit.
PANTHEA
Wie heißt die Gottheit dieses Paradieses?
EMPEDOKLES
Des Anfangs Gottheit war die Schöne Liebe,
Wir Griechen sagen: Göttin Aphrodite.
PANTHEA
Der Großen Muttergöttin der Natur
Die Menschen brachten Menschenopfer dar!
EMPEDOKLES
Nicht so am Anfang in der Menschheit Unschuld.
Man sang der Göttin Aphrodite Oden
In reiner Keuschheit und Jungfräulichkeit
Und schlachtete der Göttin keine Stiere
Und rote Rinder oder reine Lämmer,
Die Menschen brachten dar der keuschen Göttin
Der Schönen Liebe Weihrauch und Gebete,
Die keuschen Jungfraun flochten Rosenkränze
Und schmückten mit den reinen Rosenkränzen
Jungfräulich keusch die Hörner des Altares.
Nur Weihrauchduft und Duft von Rosenblüten
Erfreute Aphrodites edle Nase.
Das Blut von Böcken mochte sie nicht trinken,
Das Fleisch von Stieren mochte sie nicht essen,
Schlachtopfer gar von Fleisch der Menschenkinder
War unbekannt der Ursprungs-Aphrodite.
PANTHEA
Und lebt die schöne Göttin heute noch?
Vor allem: Ist sie mächtig noch und wirksam?
EMPEDOKLES
Das Reich der schönen Göttin wahrer Liebe
Ist mitten unter uns, ist in uns, innen.
Das Königtum der Göttin Aphrodite,
In meinem Herzen ist es angebrochen,
Als ich zum ersten Mal dich sah, Panthea!
PANTHEA
Ich such nicht leidenschaftliche Erotik,
Ich such des Geistes heilig-reine Freundschaft!
EMPEDOKLES
Die Schöne Liebe hat ja viele Namen:
Sie ist die sorgenvolle Mutterliebe,
Sie ist die leidenschaftliche Erotik,
Sie ist die mitleidsvolle Menschenliebe,
Sie ist die geisterfüllte Freundschaftsliebe.
PANTHEA
Die geisterfüllte Freundschaft wähle du,
Stell unsre Freundschaft unter ihren Segen.
EMPEDOKLES
Ich habe keinen Sohn und keine Tochter:
Was weiß ich von der elterlichen Liebe?
Ich meinem Bett liegt keine Konkubine:
Was weiß ich von dem Feuersturm des Eros?
Ich lebe nicht mit Bettlern und mit Kranken:
Was weiß ich von der Menschenliebe Mitleid?
Doch weil du deiner Freundschaft mich gewürdigt,
Erscheint die Freundschaft mir wie eine Göttin.
PANTHEA
Ist Göttin Aphrodite Freundschaftsgöttin?
EMPEDOKLES
Auch Aphrodite hat ja viele Namen:
Die meerentstiegne Anadyomene
Ist sie in Paphos für die Zyprioten,
Auf Lesbos Sappho pries sie Göttin Cypris,
Urania als Ideal der Schönheit
In spiritueller Liebe pries sie Platon,
Pandemos Aphrodite preist das Volk
Die Göttin freier sexueller Triebe,
Und Aphrodite Porné preist der Pöbel
Die götzendienerische Hurerei.
PANTHEA
Was man so Liebe nennt! Ob göttlich sie
Im Himmel ist die Schönheit über allem,
Ob animalisch sie des Wurmes Zucken!
EMPEDOKLES
Panthea, ich verehre Aphrodite
Als Göttin Philia, der Freundschaft Göttin,
Sie hält die Welt im Innersten zusammen!


ZWEITE SZENE


(Im Garten der Panthea. Empedokles und der Knabe Milon, der mit Magneten spielt.)

EMPEDOKLES
Mein Milon, kennst du meine beste Freundin,
Kennst du die absolute Frau Panthea?
MILON
Empedokles! Panthea ist vielleicht
Dir deine beste Freundin, aber ich
Bin doch gewiss dein allerbester Freund!
(Empedokles lacht)
EMPEDOKLES
Du spielst so schön mit den Magneten, Milon.
MILON
Schau diese kleinen, runden, schwarzen Scheiben,
Ich klebe sie zu einem Turm zusammen,
Am Ende dieser Schlange kleb ich an
Ein neues Scheibchen, schau, die Scheibe springt schon,
Hüpft durch die Luft und klebst am Schlangenschwanz.
Doch diese Scheibe will nicht zu der Schlange,
Sie weigert sich, sie weicht zurück vom Turm.
EMPEDOKLES
So ist es mit dem Hass und mit der Liebe.
Magnete, welche zueinander wollen,
Die lieben sich von Herzen, lieber Knabe.
Magnete aber, die sich stoßen ab,
Abstoßend finden sie sich voller Hass.
MILON
Ja, schau, Empedokles, die Scheibe fliegt
Zum Schlangenschwanz und klebst am Schlangenschwanz,
Die Schlange und die Scheibe lieben sich!
Doch was ist das? Die beiden hassen sich,
Der eine stößt sich von dem andern ab!
EMPEDOKLES
Urkräfte sind es in der Schöpfung Gottes,
Hass oder Liebe, Frieden oder Krieg!
MILON
Doch schau dir dieses an, Empedokles,
Dies hasserfüllte Scheibchen stößt sich ab,
Doch stärker wird die Liebe als der Hass,
Das hasserfüllte Scheibchen kehrt sich um,
Fliegt einfach an das andre Schlangen-Ende
Und hat von Hass zur Liebe sich gewandelt.
EMPEDOKLES
Du, lieber Milon, bist ein kluges Kind!
(Er schweigt. Nach einigen Augenblicken erscheint Panthea.)
PANTHEA
Ihr beiden spielt so schön mit den Magneten.
EMPEDOKLES
(lächelnd)
Die Fabeldichter singen vom Magnetberg,
Der irgendwo in Meeres Mitte steht.
Nun kommt ein Schiff, die Planken sind vernagelt,
Und der Magnetberg zieht das Schiff zu sich,
Das Schiff, es kann nicht anders, ja, es muss
Zu dem Magnetberg schwimmen, weil er zieht,
Zuletzt ist der Magnetberg so gewaltig
In seinem starken Magnetismus, dass
Die Eisennägel aus dem Schiffe fliegen,
Das Schiff zerschellt, da liegt es da als Wrack!
PANTHEA
Was willst du, lieber Freund, mir damit sagen?
EMPEDOKLES
Du bist der mächtigste Magnetberg, Liebste,
Ich bin das Schiff, so zieht es mich zu dir.
MILON
Panthea, sagst du doch, ist ein Magnet?
Du liebst sie also, mein Empedokles?
PANTHEA
Empedokles, Empedokles! Erklär mir,
Was ist der Magnetismus in der Schöpfung?
EMPEDOKLES
Die Mutter Erde mit den breiten Brüsten,
Wie Hesiod sie nennt, zieht ihre Bahn,
Kreist um sich selbst, der Mond kreist um die Erde,
Und Mond und Erde kreisen um die Sonne,
Was sie auf ihren himmlischen Ellipsen
Erhält und stets die rechten Bahnen führt,
Das ist der Magnetismus in der Schöpfung.
Wenn Mutter Erde mit den breiten Brüsten
Wie Ikarus zu nah der Sonne käme,
So gäbe es kein Leben auf der Erde,
Doch würde sie nicht angezogen von
Der Sonne mit dem Magnetismus Gottes,
So würden wir in dieser Welt erfrieren.
Der Magnetismus, der wie Liebe ist,
Macht erst das Leben möglich auf der Erde.
PANTHEA
Und ist das Leben nicht in Wahrheit schön?
Der weise Philosoph mit seinem Geist,
Die Freundin voller Sympathie im Herzen,
Der kleine Knabe mit der Einfalt Unschuld:
Ist nicht das Leben wirklich schön, mein Freund?


DRITTE SZENE


(Pantheas Garten. Frühlingsnacht. Empedokles und Panthea sitzen auf einer Bank unter einem Baum und trinken Wein.)

EMPEDOKLES
Ich denke immer über Freundschaft nach.
PANTHEA
Ich möchte wirklich deine Freundin sein.
EMPEDOKLES
Was heißt für dich denn Freundschaft, meine Freundin?
Was ist denn Freundschaft anderes als Liebe?
PANTHEA
Dem Vielgeliebten sing ich dieses Lied:
Ich schweig mit dir im Schatten blauer Büsche,
Verschmelzen möchte ich mit deiner Seele
Und auf dem Grunde deiner Seele rauschen.
Dem Freunde aber sing ich dieses Lied:
Ich will mit dir im Garten diskutieren
Und unter Säulen wandeln auf dem Markt.
Gemeinsam wollen wir durchs Leben gehen.
EMPEDOKLES
Ich hörte einmal eine Dichterin
Zu ihrem Freunde diese Verse sagen:
Die Liebe, sie verschmilzt zwei Seelen innig,
Die Freunde rühren zart sich an den Händen.
PANTHEA
Was ist für dich die Freundschaft mit dem Freunde?
EMPEDOKLES
Der Liebende schaut die Geliebte an,
Sie ist sein Ziel, ist alles, was er will.
Die Freunde aber gehen Hand in Hand
Und schauen nicht einander liebend an,
Gemeinsam schauen sie zum gleichen Ziel,
Dem Inhalt ihrer Freundschaft, zu dem Geist,
Dem Genius der Freundschaft, schaun auf Gott.
PANTHEA
Bin ich mit meinen Freundinnen befreundet,
So sag ich ihnen keine Liebesworte,
Wir sprechen über Menschen, über Männer
Und Frauen, über Mutterschaft und Kinder
Und manchmal von der Schönheit der Natur.
EMPEDOKLES
Wie denkst du unsre Freundschaft dir, o Freundin?
PANTHEA
Ich ehre deine Weisheit, lieber Freund,
Mit deiner Weisheit hast du mir schon oft
Geholfen, meine Seele zu erkennen,
Die menschliche Natur, das Universum,
Zu staunen an die göttliche Natur.
EMPEDOKLES
Ich hörte Männer auf der Straße reden,
Ein Mann sei nur so lange Freund der Frau,
Bis diese Frau zuletzt den Mann erhört
Und er sie schließlich doch beschlafen darf.
PANTHEA
So denkt nur der gemeine Pöbel. Aber
Sie glauben nicht, dass Frauen Geist besitzen,
Sie leugnen unsres Geistes Würdigkeit,
Die weibliche Vernunft, den Genius.
Sie meinen, unsre schöne Weiblichkeit
Erschöpfe sich allein in der Erotik.
EMPEDOKLES
So hörte ich auch Philosophen reden,
Daß Weiblichkeit zu denken nicht vermag,
Sie können nichts als lieben oder hassen!
PANTHEA
Denkst du genau so, mein Empedokles?
EMPEDOKLES
Ich denke, auf des Mannes Wesenheit
Liegt schwer die harte Vaterhand des Gottes,
Doch über eines Weibes Wesenheit
Schwebt schöpferisch der reine Hauch der Gottheit.
PANTHEA
Meinst du, die Frauen stehn der Gottheit näher?
EMPEDOKLES
Und wenn es stimmt, dass Männer Logos ehren,
Und wenn es stimmt, dass Frauen Eros ehren?
PANTHEA
Daß Frauen besser lieben, als sie denken?
EMPEDOKLES
Die Philosophen dachten oft schon nach,
Was höher sei im Menschen und bestimmend:
Der menschliche Verstand? Des Menschen Wille?
PANTHEA
Was soll die Rede von Verstand und Wille?
EMPEDOKLES
Der menschliche Verstand erkennt die Weisheit,
Des Menschen Wille aber will die Liebe.
Und darin seh ich unsrer Freundschaft Segen:
Ich bin die menschliche Vernunft und suche
Den Logos zu erkennen und die Weisheit,
Du aber wie des Menschen Wille suchst
Den Eros zu ergründen, Schöne Liebe.
Nun lehren aber meine weisen Freunde
Aus Platons Schule, dass der Wille sei
Noch höher als der menschliche Verstand,
Daß göttlicher gewissermaßen als
Die Weisheit Gottes sei die Liebe Gottes!
PANTHEA
Soll ich dir also von der Liebe künden?
EMPEDOKLES
Indem du bist, so wie du bist, Geliebte,
Wird mir der Liebe Wesen offenbart.


VIERTE SZENE


(Pantheas Garten. Empedokles in der Morgenröte allein.)

EMPEDOKLES
Die Weisheit selber nenn ich meine Freundin.
Ein Philosoph, das ist ein Freund der Weisheit.
Ich nenne mich nicht einen Weisen, sondern
Mich einen Freund der Weisheit, meiner Freundin.
So sagte ja auch einst Pythagoras.
Die Weisheit ist noch mehr als eine Freundin,
Die Einsicht ist wie eine Seelenschwester,
Verwandte meiner Seele ist die Einsicht.
Intimvertraute Freundin ist die Weisheit,
Verlobte und Genossin meines Lebens.
Wenn ich der Weisheit mich vereinige,
Dann geht die Weisheit ein in meine Seele.
Dann macht sie mich zu einem Seher und
Zu einem Freund der überschönen Gottheit!
Die höchste Gottheit über allen Göttern
Nennt jetzt mich nicht mehr länger einen Sklaven,
Die überschöne Gottheit aller Liebe
In überwesentlichem Sein, die Eine,
Sie nennt mich einen Freund der höchsten Gottheit.
O Ruhm der Freundschaft mit der schönen Gottheit!
Die Freundschaft mit der Gottheit will ich feiern!
(Panthea tritt in den Garten)
PANTHEA
Empedokles, du gabst mir deine Ode,
In der die Freundin du besungen hast,
Die Freundin als die Seele der Natur.
Ach lieber Freund, wenn das die Menschen hören,
Was werden sie dann denken über mich?
Was interessiert die Menschen deine Freundin,
Die selbst sich nicht so hoch einschätzen kann!
Freund, singe von der Schönheit der Natur
Und sing von den Geheimnissen der Gottheit,
Verschweig nur vor den Menschen deine Freundin!
EMPEDOKLES
O liebe Freundin, Freundin nenn ich dich,
Weil ich dich nicht Geliebte nennen soll.
Was kümmern mich die Narren dieser Welt?
Ich will die Perlen meiner Poesie
Nicht vor die Eber und die Säue werfen,
Denn sonst zertreten sie mir meine Perlen,
Und all die Heiligtümer meines Herzens
Geb ich nicht preis den Hündinnen und Hunden.
Jedoch, dir sag ich jetzt es im Vertrauen:
Die Freundin, die ich sang in meiner Ode,
Die bist nur scheinbar du, du bist ihr Schatten,
Die einzige und wahre Freundin aber,
Das ist Frau Weisheit, Seele der Natur.
PANTHEA
Ah, jetzt versteh ich dich, mein lieber Freund.
EMPEDOKLES
Doch in gewissem Sinne bist auch du
Die Freundin im Mysterium der Weisheit.
Du selber bist ja ein Mysterium.
PANTHEA
Ja, schaust du meine Psyche auch so an,
Als wie mit sieben Schleiern keusch verschleiert?
EMPEDOKLES
Verschleiert seh ich deine schöne Psyche
In ihrem seelischen Mysterium
Versunken ins Mysterium der Gottheit.
Wenn ich die Psyche dieses Universums
Lobpreis und rühme als die Freundin Weisheit,
Weltseele selber meine Freundin nenne,
So spiegelt sich des Kosmos schöne Psyche
In deiner sehr geheimnisvollen Psyche.
So, wenn ich dich betrachte, meine Freundin,
Betrachte ich im Spiegel und im Gleichnis
Des Kosmos Psyche, meine Freundin Weisheit.
(Panthea steht vor Empedokles, er schaut sie an, ihr Antlitz ist umstrahlt von der blendenden Sonne. In dem Kreis der blendenden Sonne sieht er Pantheas lächelndes schönes Antlitz voller Freundlichkeit zu ihm schauen.)
PANTHEA
Weltseele und des Universums Psyche,
Geheimnisvoll bleibt mir doch die Idee.
EMPEDOKLES
Panthea, sieh, ich seh, und was ich sah,
Das war das schöne Antlitz einer Frau
Im Glanz der lichten Sonne, lieblich lächelnd.
Ich nenne sie die lächelnliebende
Frau in der Sonne, deren schönes Antlitz
Voll Freundschaftsliebe lächelnd mich gesegnet.
PANTHEA
Frau in der Sonne, mein Empedokles?
EMPEDOKLES
Ich sah den Logos, sah die Weltvernunft,
Doch nicht den Logos selber schaute ich,
Ich sah des Logos Psyche in der Sonne,
Des Logos Psyche, die Idee der Schönheit!


FÜNFTE SZENE


(Empedokles in der Stadt unter Säulen wandelnd mit seinem Freunde Marcion.)

MARCION
Die Gottheit als die allerhöchste Liebe
Erschien mir wie in drei Personen als
Die Gottheit mitleidvoller Menschenliebe,
Die Gottheit leidenschaftlicher Erotik,
Die Gottheit geisterfüllter Freundschaftsliebe.
EMPEDOKLES
Ich dien der allerhöchsten Freundschaft Gottes.
Du, Marcion, bist auch ein Freund des Logos,
Und weil wir beide sind des Logos Freunde,
Drum segnet auch der Logos unsre Freundschaft.
MARCION
Der Logos ist ja anders als der Mythos.
Der Mythos, das sind Märchen und Legenden.
Der Mythen Götter wahrlich sind verwerflich,
Sind menschlich-allzumenschlich arme Sünder.
Der Mythos ist Geschwätz. Der Logos aber,
Er ist das Wort der göttlichen Vernunft.
Das Wort jedoch, ich mein des Logos Wort,
Das Wort jedoch ergeht mit Ton und Schall
Und so erzeugt der Logos die Musik
Des Universums, jene Harmonie,
Die hält die Welt im Innersten zusammen.
Ich hörte von den skythischen Barbaren,
Daß sie das selbe eine Wort verwenden
Für Universum und für Harmonie.
Pythagoras vernahm ja die Musik
Der göttlichen Planeten. Denke dir,
Gott Logos ist ein großer Lyraspieler,
Mit seinem Plektron schlägt er an die Saiten,
Die Saiten schwingen und erzeugen Töne,
Die hohen Schwingungen der Töne sind
Die Götter und die Geister und die Seelen,
Die tiefen Schwingungen der Töne sind
Die stofflichen Erscheinungen der Welt.
Denn die Materia ist nichts als Schwingung
Der Töne aus dem Lyraspiel des Logos.
EMPEDOKLES
Ja, diese Harmonie des Universums,
Die du Musik des Logos nennst, ich nenne
Sie Freundschaft. Freundschaft seh ich überall
Im Universum walten, aber auch
Die Gegenkraft, den ärgerlichen Streit!
Der Sinn der Welt ist ganz allein die Freundschaft,
All-Einheit will die Welt, will die Gemeinschaft.
Die Atomisten lehrten mich dereinst
Die Freundschaft unter den Protonen und
Den Elektronen in Atomes Kern.
Auch unterwiesen mich die Chemiker,
Wie gut befreundet sind die Karbonate,
Da Wasserstoff und Kohlenstoff befreundet.
Die Astronomen aber lehrten mich
Vom Magnetismus in der Himmelssphäre,
Wie in dem Magnetismus Freundschaft waltet,
Wie Erde, Mond und Sonne sind befreundet.
Die Menschen streben auch zu der Gemeinschaft,
Sie gründen eine Zivilisation.
Die Babylonier und die Perser und
Der große Alexander sahn die Welt
Als Ein geeintes Reich der ganzen Erde,
Die Menschheit als Familie, tief geeint.
Doch ist in der Natur das Böse auch,
Der ärgerliche Streit in der Natur.
Die Katze frisst die Maus, der Wolf das Lamm,
Der Mensch isst Tiere, um sich zu ernähren,
Der Mensch verschließt im Egoismus sich,
Der Mensch verschließt sich in der Sünde und
Der Bosheit, schließlich triumphiert der Tod.
Das Reich des Todes ist das Reich der Feindschaft,
Der Böse ist Person, der ist der Feind.
Doch dieser ärgerliche Streit entspricht
Nicht dem geheimen Sinn des Universums,
Was alle Welt im tiefsten Innern will,
Das ist die Freundschaft, ist der Freundschaftsbund,
Die Freundschaft unter allen Elementen,
Die Freundschaft unter allen Kreaturen,
Die Freundschaft zwischen menschlichen Geschlechtern,
Die Freundschaft zwischen allen Menschenseelen,
Die Freundschaft zwischen allen Erdenvölkern.
Ja, was zutiefst das Universums will,
Das ist des Universums Freundschaft mit
Des Schöpfergottes höchster Freundschaftsliebe.
MARCION
Doch mächtig ist der ärgerliche Streit!
EMPEDOKLES
Mir aber ist erschienen Gottes Freundin
Und hat mir prophezeit: Am Ende siegt
Und triumphiert das Herz der Philia!


ZWEITER AKT


ERSTE SZENE

(Am Fuß des Ätna. Der Hohepriester und Empedokles.)

HOHERPRIESTER
Ich will dich jetzt auf deinen Glauben prüfen:
Wer ist in deinem Denken Aphrodite?
EMPEDOKLES
Die Göttin Aphrodite ist die Liebe,
Die hält die Welt im Innersten zusammen.
HOHERPRIESTER
Ich lege dir den wahren Glauben vor,
So wie er von den Vätern überliefert
Und aufgeschrieben ist in unsern Schriften:
Am Anbeginn der Welt war Nacht des Chaos,
Das Chaos ward befruchtet von dem Wind,
Geboren wurde Unsre Mutter Erde,
Sie, die gebar den Vater Uranos
Und sich mit Uranos vereinigte,
Von ihm empfing die Mutter Erde Chronos.
Gott Chronos aber zeugte die Titanen.
Gott Chronos aber hasste seinen Vater
Und schnitt mit einer Sichel ihm das Glied
Und seine Hoden ab und warf das Glied
Und warf die Hoden in das Mittelmeer,
Daraus entstand der Schaum des Mittelmeeres,
Der Schaum gebar die Göttin Aphrodite
Bei Petra tou Romiou vor Paphos-Ktima,
Wo auf der Muschel stehend zog die Göttin
In Zypern ein, wo unter ihren Füßen
Die Rosen blühten. Dort auf Zypern war
Das Bad Fontana Amorosa auch,
Worin die Göttin nackt gebadet hat.
Wenn sich vereint die Göttin Aphrodite
Mit einem Gotte oder einem Halbgott
Und manchmal auch mit einem Menschensohn,
So badete die Göttin nach dem Beischlaf
In der Fontana Amorosa und
Ist aufgetaucht als unbefleckte Jungfrau
Intakten Hymens. Glaubst du das, mein Sohn?
EMPEDOKLES
Die Märchen unsrer alten Fabeldichter,
Altweibermärchen sind’s in meinen Augen.
Die Götter, die sich fressen und ermorden,
Die Göttinnen und Götter, die sich paaren,
Sind Träumereien dichtender Phantasten.
Ich glaube an die Eine Liebe Gottes,
Die hält die Welt im Innersten zusammen
Und triumphiert einst über Streit und Feindschaft
Durch den vollkommenen Triumph der Freundschaft!
HOHERPRIESTER
Mit deinem kleinen männlichen Gehirn
Denkst du dir eine Logik Gottes aus
Und mit der wissenschaftlichen Vernunft
Verleugnest du die Götter unsres Volkes?
Wer bist denn du, dass du Homer verleugnest?
Homeros war ein blinder Götterseher!
Homeros sah, und siehe, was er sah,
Das war die schöne Göttin Aphrodite,
Die sich beschlafen ließ vom Gotte Mars,
Als eben war ihr Ehemann Vulkanus
Auf seinem Arbeitsplatz, war nicht zuhause,
Da nutzte Mars gleich die Gelegenheit
Und stieg zu Aphrodite in das Bett!
Wer hat denn Aphrodite nicht besessen?
Auch Hermes schlief mit Aphrodite, sie
Gebar Hermaphroditos, einen Zwitter.
Dionysos erkannte Aphrodite
Und sie gebar den Gartengott Priapus.
Auch warf die Göttin Aphrodite einst
Ein Auge auf den Menschensohn Anchises,
Gebar Äneas so, den Göttinsohn!
Glaubst du an Aphrodites Buhlereien?
Willst du auch werden Aphrodites Buhle?
EMPEDOKLES
Die kranke Phantasie von Ehebrechern
Erzeugte dies Idol der Hurerei!
Die Göttin Aphrodite, die ich ehre,
Ist Ewige und Schöne Liebe Gottes,
In makelloser unbefleckter Keuschheit
Und immerwährender Jungfräulichkeit
Ist sie als Liebe, Freundschaft, Harmonie
Die schöne Psyche dieses Universums.
HOHERPRIESTER
Du lästerst also Hesiod, Homer
Und alle Hymnen an die große Göttin?
EMPEDOKLES
Ein schöner Schein ist diese pure Kunst,
Auch ich genieß die Verse von Homer.
Die Aphrodite des Homeros aber,
Von Diomed verletzt, am Leibe blutend,
Wehleidig flieht zur Mutter, kindisch wimmernd,
Das ist mir keine göttliche Natur.
HOHERPRIESTER
Jetzt habe ich’s gehört aus deinem Munde!
Der Griechen große Göttin Aphrodite,
Sie ist dir nicht von göttlicher Natur!
Das, Philosoph, ist Gotteslästerung,
Auf Lästerung der Götter steht der Tod!
EMPEDOKLES
Und wenn ich sterben muss, so sterbe ich.


ZWEITE SZENE


(Auf der Straße. Empedokles vom Pöbel bedrängt.)

PÖBEL
Du hältst dich wohl für etwas Besseres!
Du trägst zu hoch die Nase, Philosoph!
Wir hassen deinen arroganten Stolz!
EMPEDOKLES
Ihr Narren, redet nicht so aufgeblasen!
Ich weiß, wer eure Aphrodite ist!
PÖBEL
Wir haben hier die Marmorstatuen,
Gebildet nach der schönsten Hure Gleichnis!
Wir fallen nieder vor der Hurengöttin
Und unser Gottesdienst ist Hurerei!
In Aphrodites Gärten warten Huren,
Wir werfen ihnen Gold in ihren Schoß
Und schlafen mit den Huren Aphrodites,
So werden wir vereint der großen Göttin!
EMPEDOKLES
Der Logos schaut voll Zorn auf eure Sünden!
PÖBEL
Dein Gott ist eine Kopfgeburt! Die Göttin
Jedoch hat volle Brüste einer Hure
Und göttlich ist der Aphrodite Becken!
EMPEDOKLES
Ihr preist die animalische Begierde
Und betet Menschenfleisch als Göttin an.
PÖBEL
Die Göttin schenkt uns aber Seligkeit!
Wenn uns die Göttin ihre Huren gibt,
So sind wir selig schon auf dieser Erde!
Der Tod ist uns gewiss, so uns wie dir,
Du aber grübelst nachts gedankenvoll,
Doch wir ergötzen uns im Hurenbett!
Wir pflücken jede junge Rosenknospe,
Verschmähen auch die reifen Rosen nicht,
Wir zechen roten Wein im Übermaß,
Und wenn der Becher völlig ausgeleckt,
Dann wenden wir uns trunken zu der Vulva!
EMPEDOKLES
Ihr fahrt einst zu den Schatten in den Hades,
Kommt nicht in das Elysische Gefilde!
PÖBEL
Was ist Unsterblichkeit der Seele? Schatten!
Was ist im Bett die Hure? Seligkeit!
EMPEDOKLES
Ach, wisst ihr gar nichts von der wahren Liebe?
EIN MANN
Der Hirte Paris sah drei Göttinnen
Und sollte Eine preisen als die Schönste.
Drei Grazien sind gestern mir begegnet,
Die Grazien mir zeigten ihre Hintern!
Der einen Grazie Gesäß war rund,
Der zweiten Grazie Gesäß war breit,
Der dritten Grazie Gesäß war prall.
So sprach ich zu den Grazien, den Dreien:
Drei Grazien in Einer Göttin preis ich
Und dieser Einen Göttin Po ist schön,
Ja, rund und breit und prall der Göttin Po,
Und diese Göttin ist ein Weib geworden
Und dieses Weib ist meine Konkubine!
EMPEDOKLES
Du liebst an der Geliebten ihren Po?
MANN
Anbetend stand ich vor der Statue
Der Aphrodite mit dem schönen Hintern:
Callipigos, erbarm dich über mich!
Callipigos, erbarm dich über mich!
Callipigos, gib mir den Seelenfrieden!
Da flehte ich zum schönen Po der Göttin
Und voller Gnade schwenkte Aphrodite
Vor mir das straffe pralle Hinterteil!
Ah, in Ekstase und Verzückung pries ich
Als wahrhaft göttlich Aphrodites Hintern!
Anbetend jede Backe ihres Hinterns
Sang ich Hexameter dem Po der Göttin!
EMPEDOKLES
Geh, Sünder, du besudelst meine Ohren!
PÖBEL
Nun, gehen wir und lassen ihn allein!
Soll er im Himmel mit Ideen tanzen
Und die Planetengeister singen hören,
Wir gehen zu den Huren Aphrodites,
Zu Sängerinnen und zu Tänzerinnen,
Reizgöttinnen, die unser Flehn erhören,
Sexgöttinnen, die Seligkeiten spenden!
(Alle ab. Empedokles allein.)
EMPEDOKLES
Erlöse mich, o Gott, vom Kot der Erde!


DRITTE SZENE


(Empedokles steigt den Ätna hinan. Eine Weile noch begleitet ihn der Knabe Milon.)

MILON
Ich werde dich nie wiedersehn, mein Vater!
EMPEDOKLES
Mein Herz ist schwer, mein vielgeliebter Knabe,
Was soll ich dir zu deinem Troste sagen?
MILON
Ich möchte einmal noch in deinem Bette
Im Morgenrot mich liebend an dich schmiegen.
EMPEDOKLES
Ich kann dir nur den Segen Gottes geben.
MILON
Wenn Gott im Innern der Natur verletzt wird
Von aller Bosheit böser Menschen, Vater,
So ist doch Gott zu Tode schon verwundet!
EMPEDOKLES
Doch Menschen gibt es, die die Gottheit trösten.
Ich seh auf deiner Wange eine Träne,
Geliebter Milon, und ich wische fort
Die Träne deiner Wange und ich tröste
Die Liebe in dem Innern der Geschöpfe.
MILON
Wenn du nun nicht mehr bei mir sein wirst, Vater,
Wer soll mir Gottes Weisheit dann verkünden?
EMPEDOKLES
Der Logos in dem Innern der Natur
Wird allezeit auf allen deinen Wegen
Begleiten dich mit treuer Freundesliebe.
Ich bin dein Freund gewesen, o mein Liebling,
Du hast von mir genommen Vaterliebe
Um Vaterliebe und dich so getröstet.
In aller Demut sag ich heute dir:
Was schlecht gewesen ist an meinen Werken,
Das kam aus meiner menschlichen Natur,
Was aber Gutes du durch mich empfangen,
Kam von der Liebe göttlichen Natur.
MILON
Und wenn ich abends gehe in mein Bett,
Wer segnet mich dann mit der Liebe Gottes?
EMPEDOKLES
Wenn ich dich nicht mehr bringe in dein Bett,
Wer wird mich segnen dann in dunkler Nacht?
Wenn ich gegangen bin von deinem Bett,
Dann wachtest du noch einmal auf vom Schlaf
Und lalltest mit der süßen Kinderstimme:
Empedokles, pass du gut auf dich auf!
MILON
Du flüstertest noch einmal durch die Nacht:
Mein Liebling, schlaf recht schön und träum was Süßes.
EMPEDOKLES
Du wirst mich bald vergessen, mein Geliebter!
(Er schweigt.)
Jetzt geht du mit dem Segen Gottes, geh!
Dein Genius begleite allzeit dich,
Dein Genius geh stets an deiner Seite,
Dein Genius geh hinter dir als Schutzgeist,
Dein Genius geh dir voran als Licht,
Dein Genius soll über deinem Haupt
Im Himmel schweben und den Weg dir weisen
Zum Garten im Elysischen Gefilde!
MILON
Ich werd dich nie mehr wieder sehn, o Vater!
(Milon kehrt weinend um. Empedokles steigt den Ätna weiter aufwärts. Nach einer Weile Schweigens - )
EMPEDOKLES
In drei Milliarden Jahren stürzt herein
Andromeda mit ihrer Galaxie
In unsre Galaxie, und unsre Sonne
Wird dann zu einem roten Riesen werden
Und wird verschlingen den Merkurius
Und Venus fressen, und die Sonne wird
Zu einem weißen Zwerg, und Mutter Erde
Verglüht, und alles Leben wird versterben.
Der Urkeim explodierte einst, die Kraft
Verblasst von Tag zu Tag im Universum,
Und eines Tages wird das Universum
Entschlafen wie mit einem leisen Wimmern.
Der Mensch jedoch wird durch ein warmes Loch,
Wird schlüpfen durch ein warmes Loch, hinüber
Ins parallele Universum, da
Die Mutter Erde mit den breiten Brüsten
Ist noch ganz jung, da herrscht die Steinzeit-Venus
Und Mann und Frau sind in Elysium
Vereint in nackter Schönheit reiner Liebe!
(Er schweigt)
Ich rede irr vor großem Seelenkummer!
Gott, nimm mich eilig weg von dieser Erde!


VIERTE SZENE


(Empedokles allein am Rande des Vulkans. Er zieht seine Sandalen aus.)

EMPEDOKLES
O schöne Seele dieses Universums,
O Freundin mein, des Kosmos schöne Psyche,
O Göttin Philia, o Freundschaftsliebe,
Die Welt im Inneren zusammenhaltend!
In meinem Herzen ist ein starker Wille
Mit brennender Begier, sich aufzulösen!
Ob meine Träne wie ein Tropfen sich
Versinkend auflöst in dem Ozean,
Ob meines Herzens heiße Liebesflamme
Sich auflöst in dem Feuer des Vulkans,
Ob all das Mark in meinem Beine fällt
Der Mutter Erde in den schwarzen Schoß,
Ob meiner Seele letzter Atemhauch
Zerflattert in den blauen Frühlingslüften –
Weltseele! Ist mein Tod nichts andres doch,
Als einzugehn in deinen Mutterschoß!
Weltseele, deren Körper ist der Kosmos,
Weltseele, deren Schoß ist der Vulkan,
Den Leib versenke ich in deinen Schoß,
Saug meinen Körper ein mit deinem Munde!
Verbrennen will ich meinen Leib im Feuer
Und meine Asche auf die Erde streuen,
Doch meine Seele wird als Feuervogel
Im Himmelreiche meiner Freundin schweben!
O Freundin! Dieses Kosmos schöne Psyche!
O Freundin! Hauch vom Hauch des Mundes Gottes!
O Freundin! In dem Busen der Natur
Du eingegossne Freundschaftsliebe Gottes!
O meine Freundin! Leben der Natur!
O Freundin! Energie des Universums!
O Freundin! Lichte Frau im Glanz der Sonne!
O Freundin! Königin der Galaxien!
O Freundin! Morgenrot der Ewigkeit!
O Freundin! Auferweckerin der Toten!
O Freundin! Fürstin von Elysium!
Empfange mich in deinem Himmelsgarten!
Ich sterbe jetzt im Feuer deines Schoßes,
Ich scheide in der Lava deines Schoßes!
Als Phönix lass mich auferstehen, Freundin!
Lass meiner Seele reine Turteltaube
In deinem Garten von Elysium
Von Freundschaft gurren, ah, von Freundschaft girren!
STIMME
(Aus dem Feuer des Vulkans)
Zieh deine Schuhe aus, der Grund ist heilig!
Ich bin der Gottheit grenzenlose Liebe!
EMPEDOKLES
O Philia des Gottes aller Götter,
Die scheiden von der Erde, reden trunken,
Doch trunken nicht von purpurrotem Wein,
Nein, trunken von Begeisterung der Liebe!
O Philia! Ich rief dich meine Freundin,
Dein Name, makellose Freundschaft Gottes,
Dein Name war mir allzeit: Meine Freundin!
Jetzt aber, in der Stunde meines Todes,
Gewähre mir die Gnade, meine Freundin,
Daß ich dich meine Vielgeliebte nenne!
Denn in der letzten Stunde dieses Lebens
Gesteh ich dir mit seufzendem Geständnis,
O Freundin meines Lebens, o Geliebte,
O einzige und ewige Geliebte,
Was nieder mich zu deinen Füßen wirft
Und brennend mich an deinen Busen drängt,
Ist mehr als makellose Freundschaft – Liebe!
Ja, Eros ist es, meine Vielgeliebte!
Jetzt, in der Wahrheit meiner Todesstunde,
Verwerf ich alles Wissen meiner Weisheit
Und alle philosophische Erkenntnis
Und alle Lehren, die ich je verkündigt,
Von Freundschaft, die im Innern der Natur
Die Harmonie des Universums ist.
Jetzt, in dem Augenblick der Todesstunde,
Erkenne ich die Liebe, Gottes Eros!
Die Philosophen aber kennen nicht
Die Allgewalt des schöpferischen Eros,
Allein der liebestrunkne Liebesdichter
In leidenschaftlicher Verherrlichung
Der herrlichen Geliebten seines Herzens
Erkennt den wahren Sinn des Universums!
O Freundin, jetzt komm ich nicht nur in Freundschaft,
Jetzt komme ich zu dir mit Gottes Eros,
Mit meinem Durste nach Vereinigung,
Ja, göttlicher Begierde nach Verschmelzung!

(Er stürzt sich in den Lavaschoß des Vulkanes.)







ZWEITER TEIL


PYTHAGORAS
ODER
ALLES IST MUSIK




ERSTE SZENE


(Pythagoras und sein Schüler Philolaos in Metapontion, dem Altersruhesitz des Philosophen. Pythagoras im grauen Haar und grauem Bart, er erfrischt sich bei einem Becher Wein.)

PHILOLAOS
Pythagoras, erzähl von deinen Kindertagen,
Wohin das Leben dich, wohin dich Gott verschlagen,
Wie du aus Griechenland fortwandelnd dich entfernt,
Von wem und wie und was du in der Welt gelernt.
PYTHAGORAS
In Samos schaute ich das Licht des Welttheaters.
Und ich erinnere mich noch des reichen Vaters,
Er war ein reicher Mann, der in dem Stadtrat saß,
Mnesarchos hieß er, der oft die Leviten las
Mit strengem Vaterzorn dem neugierklugen Knaben.
Ich wollte mich schon früh an der Natur erlaben,
Sezierte an dem Teich die Glieder von dem Frosch,
Weshalb der Vater mit der Rute mich verdrosch.
Die Schmetterlinge ich hab stets im Glas gesammelt,
Die Sonne liebt ich sehr und hab ihr Lob gestammelt.
Zur Schule kam ich dann. Mein Lehrer unterwies
Mich in der Poesie, der Pherekydes hieß,
Da las ich Hesiod, den heiligen Homeros,
Las Pindars Hymnen und der Sappho Lob an Eros.
Da dünkte mir im Geist – mein Freund, lass ab vom Spott! –
Die Götter allesamt, sie seien nur Ein Gott.
Der Unbekannte Gott erfüllte meine Seele.
Ich aber litt zutiefst an jedem meiner Fehle,
Da habe ich gesucht, wer mich von aller Schuld
Befreit, wer Retter ist und was der wahre Kult?
Ich hab ersonnen in der Torheit meiner Jugend
Der Selbstbefreiung Weg durch Wandel in der Tugend.
Ich wollte werden rein und makellos und keusch,
Enthalten mich vom Blut, enthalten mich vom Fleisch,
Die Tugend leben in der Welt in frommer Reinheit,
Den Gott des Kosmos fromm verehren, die All-Einheit.
PHILOLAOS
Wo du geboren bist, in Samos war es doch,
Ergabest du dich schon der Herrin Weisheit Joch?
PYTHAGORAS
Die Weisheit schien mir schön als Unbekannte Göttin,
Ich wollte werben sie zu meines Geistes Gattin!
Sie rief aus Griechenland den jungen Mann davon,
Daß nach Ägyptenland ich kam und Babylon,
Von den Ägyptern die Mysterien zu lernen,
Mit Babels Magiern zu schauen nach den Sternen,
Mit Babels Magiern zu schaun den Himmelssaal.
Geordnet ist das All nach Maß, Gewicht und Zahl!
Nach Griechenland zurück ich brachte von den Reisen
Den Schatz des Orients, die Weisheit seiner Weisen.
PHILOLAOS
Hast du in Griechenland gelehrt die Weisheit dann?
PYTHAGORAS
Unruhig war die Zeit. Es herrschte ein Tyrann.
Die Aristokraten zwar die Hierarchie verehren,
Ein Gott ist König nur, wie alle Weisen lehren,
Doch abgrundtief verhasst sind mir die Welttyrannen.
Und Polykrates, der Tyrann, tat mich verbannen.
Ich mit mir nur Homer in meiner Tasche nahm
Und nach Italien so im schönsten Frühling kam.
PHILOLAOS
Das war der Anfang doch der Philosophenschule,
Die du begründetest, der Göttin Weisheit Buhle?
PYTHAGORAS
Ich fand dort einen Kreis von Freunden fromm und gut,
So wie die Glucke hockt auf ihrer Küken Brut,
So hab versammelt ich um mich die Schar der Freunde.
Im Geist der Freundschaft sich die heilige Gemeinde
Ergab der Wissenschaft und wie sie mir erschien,
Geheimer Religion in strenger Disziplin.
Das Goldene Äon sich in der Zeit erneue
Durch unsern Freundschaftsbund, geweiht der Freundestreue,
Geweiht der Disziplin, geheimer Religion,
Daß sich erneuere das Goldene Äon,
Als der Gerechtigkeit Jungfrauengöttin lebte
In dieser Erdenwelt. Wonach der Zirkel strebte,
Das war Asträas Reich voll der Gerechtigkeit,
Wo Freundschaft alle Welt erfüllt mit Heiligkeit.
In strenger Disziplin wir hielten ein das Fasten,
Besonders fasteten die eingeweihten Kasten,
Der innre Zirkel nur enthielt sich allem Fleisch,
Wir tranken keinen Wein, nur Schwester Wasser keusch.
PHILOLAOS
Jetzt aber sprichst du zu dem Becher mit dem Weine?
PYTHAGORAS
Die Weisheit sprach zu mir in mildem Gnadenscheine:
Du übertreibe nicht mit deiner Disziplin,
Trink einen Becher Wein als Herzensmedizin!
PHILOLAOS
Wie ich nach Winden doch und Luftgespinsten hasche,
Wenn jeden Abend ich geleert die volle Flasche!
PYTHAGORAS
Hab mir dir selbst Geduld, mein Schüler, lieber Sohn,
An einem Tage nicht lernt man die Religion.
PHILOLAOS
Du bliebest aber nicht in jenen kleinen Staaten?
PYTHAGORAS
Vertrieben haben mich die Gegner, Demokraten,
Der Demagogen Schar mit ihrer Hetzerei,
Mit ihrer Anarchie, des Chaos Ketzerei.
Nach Metapontion mich trugen meine Schuhe –
Oft ging ich unbeschuht – und hier fand ich die Ruhe.


ZWEITE SZENE


(Theano, die Frau des Pythagoras, mit ihrer Freundin im Garten in Metapontion.)

FREUNDIN
Theano, sag mir doch von deinem Lebensweg.
Wenn ich dich sehe, dann wird mir im Innern reg
Die Göttin Weisheit, schön in makelloser Jugend.
Vor allem lehre mich: Was ist der Weg der Tugend?
Und sag von der Vision und geistgegebnen Schau,
Wie sich verhalten soll die fromme Ehefrau,
Wie heiße Liebe auch im Frost kann überwintern,
Und von Erziehung sprich und sprich von deinen Kindern.
THEANO
Pythagoreer war Brotinos, der gezeugt
In meiner Mutter Schoß, in Liebe zugeneigt.
Drei Kinder habe ich, zwei wunderschöne Mädchen,
Die schönsten ihrer Art in unserm kleinen Städtchen.
Die Tochter Demo ist so strahlend goldenblond
Wie morgens früh Apoll im Ost am Horizont,
Das goldenblonde Haar, die langen Seidenhaare,
Sie strahlen so im Licht, als ob die Schöne, Wahre
Ein Geist des Himmels wär, auch ist sie herzlich gut,
Aus Herzensgüte tut sie alles, was sie tut,
Sie ist ein Himmelsgeist in dieser Welt hienieden
Und in der Schule stets sie stiftet holden Frieden.
Die andre Tochter mit dem Namen Mya ist
Der Himmelskönigin vergleichbar! Wie ihr wisst,
Italiens Frauen, ist die Königin des Himmels
Die Schönste in dem Kreis des göttlichen Gewimmels.
Ja, Mya ist so schön, es hat schon ein Poet
Gestanden, dass vor ihr die Sprache ihm vergeht.
Das lange braune Haar von der Kastanien Bräune
Umflutet ihren Hals im weißen Schwanenscheine,
Das lange Seidenhaar wie Flut des Wasserfalls
Den Turm von Elfenbein umspielt, den Schwanenhals.
Die großen Augen, die zu Meteoren taugen,
In schöner Mandelform, die großen braunen Augen
Verströmen Gnadenlicht und liebevolles Glück,
Ein Segen Gottes ist von ihr ein Lächelblick!
Die Lippen voll und süß sind weisen Männern küsslich,
Auch Philolaos schaut die Lippen an genüsslich,
Wenn süß ihr Plaudermund im Redeüberfluß
Verströmt den Charme, so denkt ein Mann nur an den Kuss!
Thelauges ist mein Sohn, ich will den Götterknaben
An der geschwellten Brust mit Milch der Weisheit laben.
Er ist ein kleiner Gott, und wen er lieben tut,
Der Mensch ist ganz gewiss von tiefstem Herzen gut.
FREUNDIN
Ist nicht der Ehe Joch sehr öde und langweilig?
THEANO
Der Himmelskönigin ist stets die Ehe heilig,
Wo nie die Frau allein nur an sich selber denkt,
Ihr Leben, ihre Kraft dem Mann und Kindern schenkt.
Selbstlose Liebe nur in heilig treuer Ehe
Bringt in der göttlichen Ur-Liebe Gottes Nähe.
FREUNDIN
Was aber soll man tun, sag, was Frau Weisheit spricht,
Wenn einer gierig geil den Bund der Ehe bricht?
THEANO
Lern eines du zuerst, das Wichtigste im Leben:
Soll dir verziehen sein, so musst du selbst vergeben!
Wenn einer das Vertraun so in die Gosse stößt,
Der Ehe Himmelsband wird drum nicht aufgelöst!
Frag der Betrogne sich, ob Männer oder Frauen:
Wie habe ich verscherzt die Treue, das Vertrauen,
Warum der Partner doch mich freventlich betrügt,
An einen fremden Leib in geiler Lust sich schmiegt,
Gab ich denn Liebe nicht genug und Ganzhingabe,
Dass sich mein Partner nun am fremden Leib erlabe?
FREUNDIN
Wenn aber Frau und Mann des Ehebunds Verein
Erhalten heilig rein, wie soll die Kinderlein
Erziehn die Mutter dann, wie ist sie zu den Kindern?
THEANO
Gott gibt die Vollmacht ihr und Macht von Überwindern,
Die Autorität von Gott zu haben voller Macht
Und Gottes Liebe zu verströmen süß und sacht.
Die Schwäche ist es meist der Zärtlichen und Schönen,
Daß sie die Kinderlein verzärteln und verwöhnen.
Der Vater habe dann in Kraft die Autorität,
Als starkes Vorbild er vor seinen Kindern steht,
Zeigt seinen Söhnen auf und seinen Töchtern Grenzen
Und soll auch fröhlich sein bei heitern Reigentänzen.
FREUNDIN
Woher hast du den Rat, der Weisheit Tugend nur?
THEANO
Es lehrte mich als Geist die Seele der Natur,
Die Göttin Weisheit selbst in makelloser Jugend
Mich lächelnd unterwies im Weg der frommen Tugend,
Daß ich im Leben nie die Tugenden vergaß,
Die Klugheit und den Mut, Gerechtigkeit und Maß,
Die Hoffnung, die der Tod nicht machen kann zu Spotte,
Den Glauben an den Geist, die Liebe zu dem Gotte.


DRITTE SZENE


(Männer und Frauen aus dem Volk. Die Männer in einer Gruppe, die Frauen in einer Gruppe.)

FRAUEN
Pythagoras, der Mann, ist sehr geheimnisvoll,
Es braust in unserm Kopf, wir werden beinah toll,
Was für ein Wundermann und großer Wundertäter,
Was für ein Magier und eingeweihter Beter!
Er lernte die Magie, er lehrt uns die Magie,
Wie in dem Kosmos doch ist alles Sympathie,
Wie Seele überall erfüllt das große Hohle
Des Kosmos-Körpers. Er kennt alle die Symbole,
Mit denen er den Gott, die Geisterwelt beschwört,
Der Geistersprachen kennt, der Geister reden hört.
Begeisternd religiös im inspirierten Wahne
Die Seele der Natur ergründet der Schamane
Und spricht mit Vögeln, und er tötet nie ein Tier.
Der Elemente Zahl, die heilig große Vier,
Erdgnomen sind es ihm, er sieht die kleinen Gnomen
In Mutter Erde und in winzigen Atomen,
Er sieht die Nymphen schön im Flusse baden nackt,
Er dirigiert sie noch mit seines Stabes Takt,
Und in den Lüften sieht er tanzen die Sylphiden,
Wie Vögel froh und frei im Äther und hienieden,
Und Salamander sieht er in des Feuers Glut,
Der zappelt mit dem Schwanz und großen Unsinn tut.
Wer wie Pythagoras die Geister alle kennte
Und kennt die große Vier, die Zahl der Elemente,
Der ist ein Wundermann und Magier und Herr,
Herrscht über Erde, Luft und Feuersglut und Meer,
Den nennen Meister wir, wir sagen Herr und Meister,
Denn ihm sind untertan Dämonen all und Geister.
In die Mysterien Ägyptens eingeweiht,
Der in die Reihen sich der Weisen eingereiht,
Der in Atlantis selbst gegangen in die Schule,
Der Göttin Weisheit Freund, der Göttin Weisheit Buhle,
Weiß mehr von diesem All, weiß mehr vom großen Gott,
Als Menschen möglich ist. Die Männer sind ein Spott
Mit ihrer Ratio, dem kläglichen Verstande.
Pythagoras jedoch, zuhaus im Geisterlande,
Ist mit dem großen Gott im unsichtbaren Licht
Befreundet, und er schaut den Gott von Angesicht
Zu Angesicht und spricht mit Gott als seinem Freunde.
Wir Frauen aber sind des Magiers Gemeinde,
Die esoterische Gemeinde, tief betört,
Die Autos Epha schwört, die Autos Epha schwört!
MÄNNER
Die Frauen sind betört in ihrem Aberglauben,
Wir aber lassen uns die Wissenschaft nicht rauben,
Wir suchen nicht Magie, geheimer Mystik Brunft,
Wir lieben Ratio, des Logos Weltvernunft.
Wir wissen nichts vom All als dem Dämonenlande,
Doch messen wir das All mit denkendem Verstande,
Denn alles in dem All ist Maß, Gewicht und Zahl.
Pythagoras hat einst studiert im Sternensaal,
Sternwarten hoch und steil bestieg er einst in Babel.
Die Mutter Erde ist des Universums Nabel,
Und Sonne, Mond und fünf Planeten gehen um
Die Mutter Erde um. Nein, kein Mysterium
Die Sphärenharmonie, nicht göttliche Sirenen
Auf den Planeten mit verführerischen Tönen
Betören den Verstand, nein, mathematisch ist
Geordnet dieses All. Der weise Denker misst
Planeten, zählt die Zahl, da findet er die sieben,
Die Sonne und den Mond, so steht es ja geschrieben,
Und der Planeten fünf, zusammen sieben, die
Vergleichbar der Musik mit ihrer Harmonie,
Da sieben Töne sind geordnet zur Oktave.
Die Säulen stehen fest und fest die Architrave
Auf denkendem Verstand und strahlender Vernunft.
Musik ist dieses All, nicht schwüler Götter Brunft,
Wo Venus nackend liegt bei Mars im goldnen Netze.
Ein Gott hat mit Verstand geschaffen die Gesetze,
Geschaffen hat ein Geist, ein weiser Intellekt.
Harmonisch ist das All, geordnet und perfekt.
In dieses Weltgesetz wir forschend uns versenken
Mit unserm Intellekt und rationalem Denken.
Ein Mann, ein Wort! Ein Mann und eine Wissenschaft!
Die Weisheit suchen wir, die schöpferische Kraft,
Des Weltalls Energie, wie in den Sternen-Uhren
Der Demiurg bewegt die himmlischen Naturen,
Wie einst die Sonne ward und unsre Galaxie,
Wie alles ist Musik, das All ist Harmonie.
Der Demiurg erscheint als großer Lyraspieler,
Der lyraspielend ist allein der Schöpfer vieler
Naturen, die im All bewegen sich harmonisch,
Bewegen in der Zeit bemessbar sich und chronisch,
Sie schwingen als Musik, als Gottes Leierspiel.
Die große Harmonie, des Universums Ziel,
Die große Symphonie, der Sphärentöne Feier
Erzeugt der Gott Apoll mit seiner goldnen Leier!


VIERTE SZENE


(Pythagoras und das Musiker-Paar Frau Katharsis und Mann Holon.)

PYTHAGORAS
Katharsis, Holon, seid gegrüßt mit Freundlichkeit!
KATHARSIS
Mein Ohr ist deinem Wort und deinem Geist bereit,
Mein Herz steht offen dir, mein Herz in meinem Busen,
Sprich mir von der Musik, Liebhaber du der Musen.
PYTHAGORAS
Spazieren ging ich einst, ging an der Schmiede lang,
Da hörte ich den Schmied und seines Hammers Klang,
So dumpf der Hammer schlägt mit harten Donnerschlägen,
Ich hörte wunderbar auf meinen Wanderwegen
Im dumpfen Hammerschlag harmonisch einen Ton,
Ich hörte die Musik des Hammers, dachte schon
Mit seinem Hammer Zeus zu hören Donner machen.
Katharsis, lächle nur, du darfst auch ruhig lachen.
Ich ging nach Hause gleich, um da ein Experiment
Zu machen. Saiten nahm in meinem Element
Ich da, verschieden lang und hängte dran Gewichte.
Empirisch wollte ich erforschen in dem Lichte
Exakter Wissenschaft die heilige Musik
Und fand heraus die Zahl, fürwahr die Mathematik
Verborgen in Musik, empirisch in exakten
Experimenten fand in Tönen und in Takten
Verhältnisse der Zahl. Du wunderst dich, mein Herz?
Berechnen lässt sich die Oktave und die Terz,
Die Quarte ist aus Zahl, aus Zahl ist auch die Quinte.
So experimentell ich Zahlenordnung finde
Im musikalischen, harmonischen Gesetz.
HOLON
Ich deiner Weisheit Geist von ganzem Herzen schätz,
Doch denk ich anders noch, und hör ich Lyren lyrisch,
Denk ich nicht an die Zahl und forsche nicht empirisch,
Die Weisheit der Musik bedarf der Theorie
In reiner Geistigkeit, der Töne Harmonie
Durchdenke mit dem Geist in reinem Spekulieren,
Dem Weisen würdig ist das Theoretisieren.
Was sagt der Philosoph vom Wesen der Musik,
Ist sie ihm denn allein exakte Mathematik?
Was mir bei der Idee denn doch von Herzen fehle,
Das wäre der Musik geheimnisvolle Seele.
Erheb dich von der Zahl und von dem Experiment,
Von Elementen vier, vom fünften Element,
Zur Seele, zur Vernunft, zum gottgezeugten Geiste,
Daß ich dann die Musik als Gottes Tempel preiste.
Wenn Orpheus Lyra spielt, dem Saitenspiel vertraut,
Er unsichtbar im All den Tempel Gottes baut!
KATHARSIS
Musik ist körperlich nach heiligen Gesetzen,
Erlernbar nach der Zahl. Doch kann sie nur ergötzen,
Ist sie auch seelenvoll. Die Psyche der Musik
Beherrscht die Leiblichkeit mit aller Mathematik,
Erschöpft sich nicht darin, sie ist ein höhres Wesen,
Wie Orpheus Philosoph und Magier gewesen
Und mit dem Saitenspiel beherrschte die Natur,
Die Bäume folgten ihm und seiner Leier nur.
Sie Sprache der Musik versteht der Tiere Sprache,
Die Nachtigall vernimmt nicht eine tote Sache
Exakter Wissenschaft, es hört die Nachtigall
Die Seele der Musik, die Liebe in dem Schall!
HOLON
Einst war in einem Wald ich früh mit meiner Flöte,
Zu wecken mit Musik die Göttin Morgenröte,
Da morgens ich im Wald als wie im Paradies
Mit Liebe im Gemüt die Knochenflöte blies
Und spielte seelenvoll, auch nach genauen Regeln,
Da hörte ich im Wald das Echo von den Vögeln,
Die Schar gab Antwort mir, und meine Melodie
Erlernten folgsam sie und imitierten sie.
Wir waren heiter froh und musizierten fröhlich,
Ich und die Vögelein im Morgenrote selig.
PYTHAGORAS
Es ist doch alles Zahl und alles ist Gesetz.
Das ist nicht Torheit nur und törichtes Geschwätz.
Wenn Orpheus’ Saitenspiel lässt folgen sich die Bäume,
So kennt er das Gesetz, das auch die Himmelsräume
Durchgeistigt mit Musik, und auch die Vögelein
Und auch die Nachtigall, sie stimmen darin ein.
Die Sprache der Musik, die Harmonie der Sphären,
Nach Maß, Gewicht und Zahl, die kann uns Orpheus lehren,
Die große Sympathie der Töne in dem All,
Der Musen Harmonie, das Lied der Nachtigall,
Kartharsis’ Leierspiel zu Holons Flötentönen
Und der Planeten Lied von lockenden Sirenen!
KATHARSIS
Nun musizieren will ich für den Denker auch.
PYTHAGORAS
Ich hör in der Musik der Seele lieben Hauch
Und therapeutisch auch wohltuend deine Güte,
Da tröstend die Musik strömt mir in mein Gemüte,
Ich höre seelenvoll Katharsis’ Harmonie
Und diese Liebe ist die beste Therapie,
Daß mich dein Saitenspiel lässt schweifen in die Fernen
Und reisen als ein Geist zu Gärten auf den Sternen,
Zum Strande in dem All, zum Weinberg in dem All
Durch deinen Musenkuss und deiner Lyra Schall!


FÜNFTE SZENE


(Pythagoras und sein Freund Philolaos im Hause des Philolaos neben Rechenmaschinen, bei einem Becher Wein vom Libanon.)

PYTHAGORAS
Die Astronomie hab ich gelernt von Tochter Babel,
Die Mutter Erde ist des Universums Nabel.
Der Erde Kugelform ist in der Galaxie
Das Zentrum, darum kreist in Sphärenharmonie
Das All. Von Ost nach West der Fixsternhimmel wandert,
Im Himmelslabyrinth die Sternenschar mäandert.
Von West nach Ost jedoch gleichförmig zieht im Kreis
Der keusche Mond, ich mein die Luna milchig weiß,
Die Sonne oder Sol, (Apoll mit goldnem Schenkel,
Den goldnen Schenkel hab auch ich, Apollons Enkel)
Und der Planeten Zahl, der fünf Planeten Chor.
Von allen zieh ich doch die Aphrodite vor,
Die Babel Ishtar nennt, die Königin der Himmel,
Den Morgenstern, den Stern Astartes im Gewimmel.
Ich schaue immer gern zur Morgenröte fern
Und meine Sehnsucht schweift zum schönen Morgenstern,
Zu Aphrodites Reich mit marmornen Palästen,
Wo Helena Achill lädt ein zu Freudenfesten,
Die Dioskuren dort mit Mutter Leda nahn,
Der nackten Leda naht erneut der Gott im Schwan.
So träume ich im All von Göttern in den Fernen
Und schönsten Göttinnen auf heitern Morgensternen!
Merkurius jedoch quecksilbrig fließt dahin,
Der Dialektik Geist, der Weisheit Witz im Sinn.
Der heldenhafte Mars auch triumphiert im Kriege,
Den Sieg genießt im Bett mit Venus nach dem Siege.
Auch Jove oder Zeus geht durch den Himmelssaal
Als Jove Xenius olympisch jovial.
Und schließlich auch Saturn schwermütig melancholisch
Die Künstler inspiriert mit Wassern alkoholisch.
Planetengötter sinds, ich kenne sie, mein Sohn,
Mich unterwies darin die Tochter Babylon.
Ägypten aber sah ins All voll Totentrauer,
Die Sterne schaun sie an, ein Gärtner oder Bauer
Schaut so die Sterne an, für seine Landwirtschaft,
Allein von Fruchtbarkeit begeistert, Lebenskraft,
Die Sternengötter schaut Ägypten an im Saal,
Ob auch ihr Einfluss macht den Garten ihm vital.
Ägypter nur im Staub der schwarzen Erde kriechen.
Die Theorie des Alls entwickelten die Griechen,
Ich selbst, Pythagoras, hab meine Theorie:
Das Universum ist aus Himmelsharmonie!
PHILOLAOS
Ich habe aber doch ganz andre Theoreme
Und sie zu nennen ich mich auch vor dir nicht schäme.
Die Mutter Erde mit den breiten Brüsten ist
Das Zentrum nicht des Alls. Ihr lieben Griechen, wisst,
Des Weltalls Zentrum, das ist das Zentrale Feuer!
Dies ist die Sonne nicht mit ihrem heißen Schleier.
Zentrales Feuer ist die Mitte in dem All,
Und alles kreist darum in Schwingungen aus Schall,
So Mutter Erde auch mit ihren breiten Brüsten,
Nach denen Dichtern gern es lassen sich gelüsten,
Und so die Luna auch, der unbefleckte Mond,
Wenn östlich sie erscheint am Himmelshorizont,
Und so die Sonne auch, der Sehergott der Sonne,
Der Zarathustras Gott einst war und heiße Wonne,
Und der Planeten Chor, wie du die Götter heißt,
Um die Zentrale Glut in Himmelskreisen kreist.
PYTHAGORAS
Wenn Mutter Erde mit den breiten Brüsten wirklich
Ganz kugelförmig ist, vom Zirkel so bezirklich,
Die eine Seite neigt sich zum Zentralen Feuer,
Der Erde Angesicht im Atmosphären-Schleier,
Die Mutter Erde muss dann logisch aber, weil
Sie schön gerundet ist, ihr rundes Hinterteil
Abwenden von dem Licht, ich meine ihren Rücken,
Ob dieser auch von Gott gebildet zum Entzücken.
Was aber lehrt davon der Weisheit höchstes Gut?
Wie, was sich wendet nicht zu der Zentralen Glut
Und lässt sich von der Glut nicht hochzeitlich begatten,
Wie ist die Finsternis, die Jenseitswelt im Schatten?
PHILOLAOS
Die Gegenerde ists, die da im Schatten liegt,
Wo dunkle Todesnacht in Finsternis sich fügt.
Die Gegenerde ist das Reich der Antipoden,
Wo Schatten seufzen nur, die Zähne klappern Toten,
Dort klappert das Gebein in Mitternacht und Eis,
Das ist der Hades, das ist der Verfluchten Kreis.
PYTHAGORAS
Doch Astronomie ist das nun nicht, nein, das ist Mythe.
Doch bei Urania, der Himmels-Aphrodite,
Du wähle mein System: Harmonisch ist das All!
Ein Gott erschuf das All aus Schwingungen von Schall!
Die Himmel tönen schön von Tönen der Sirenen,
Dämonen singen schön und Geisterharfen tönen,
Das Universum schwingt in Himmelsharmonie,
Urania regiert durch schöne Sympathie!
Ich höre ihren Ton – ach, wenn’s so ewig bliebe! –
Schön schwingend herrscht im All die Königin der Liebe!


SECHSTE SZENE


(In dem Hause eines Demokraten. Pythagoras ist zu Gast. Sie trinken Wein aus Tarschisch.)

DEMOKRAT
Ich hab mein Leben lang nur für die Demokratie
Gekämpft in heißem Zorn! Was ist die Philosophie
Von Staat und Politik in deinem Denkergeiste?
Ob auch dein Denkergeist das Volk der Armen preiste?
PYTHAGORAS
In meiner Jugendzeit ich dachte an Homer,
Ich sah ihn sitzen blind und schauen auf das Meer,
Sah Aphrodite ihn anbeten hoch emphatisch,
Im Reich des Geistes schien er mir höchst aristokratisch,
Ein Fürst im Geisterreich, erhaben, königlich,
Von Gottes Gnaden er gesegnet sah sein Ich.
DEMOKRAT
Doch schau die Menge an, schau an das Volk der Armen,
Sie leben in der Not! Wie ist es zum Erbarmen,
Wie sie versinken tief in abgrundtiefer Not,
Wie täglich kämpfen sie um das gemeine Brot,
Sie haben keine Zeit für himmlische Visionen
Und pure Poesie von reinen Götterthronen!
Ums Überleben nur sie kämpfen mit Gewalt
Und ringen allezeit mit Sorgen mannigfalt,
Doch mancher aus dem Volk auch wäre ein Homeros
Und pries im Müßiggang auch gern den Herrscher Eros!
PYTHAGORAS
Der Dichter aber ist berufen von dem Gott!
Das Alle Dichter sind, das ist ein dummer Spott!
Von Gottes Gnaden ist der auserwählte Dichter,
Er ist ein Lieblingssohn des Vaters aller Lichter,
Ein Hoherpriester ist der heilige Poet,
Er ist ein Pontifex und trunkener Prophet,
Er opfert seinem Gott, der ihn erwählt aus Gnaden,
Dem Jove Xenius, der ihn zum Mahl geladen!
DEMOKRAT
Der Poesie Talent ist in dem Volk zerstreut,
Und wenn die Goldne Zeit sich wiederum erneut,
Wenn die Gerechtigkeit auf Erden wieder waltet
Und jeder Arme frei nach eignem Willen schaltet
Und wenn beseitigt ist gemeine Hungersnot,
Der Bauer allen gibt das allgemeine Brot,
Dann herrscht kein hoher Herr als schrecklicher Vernichter,
Volk ist kein Pöbel mehr, dann jeder ist ein Dichter!
THEANO
(eintretend)
Pythagoras, mein Mann, ich hab den Bienenstock
Im Garten aufgestellt – bei Kypris’ kurzem Rock! -
Ich will als Imkerin dem süßen Honig dienen
Und werden Dienerin der Königin der Bienen.
Nun komm nach Hause, Mann, in unsern Garten komm,
Die Bienenkönigin summt schon voll Liebe fromm.
PYTHAGORAS
(mit Theano aus dem Hause gehend)
Es sang einst ein Poet vom großen Reich der Bienen,
Wie fleißig Drohnen stark die Königin bedienen,
So Ritter der Armee, Soldaten der Armee
Dem König dienen stark. Ich aber schauend seh
Den Wabenhonig süß, den Wabenseim nicht bitter,
Ich seh die Königin, das alte Reich der Mütter!
Die Bienenkönigin in ihrem Reiche da
Ist Himmelskönigin im All, Urania!
THEANO
Ist keine Königin im Bienenstock vorhanden,
So wird das Bienenvolk doch darum nicht zuschanden,
Sie wählen aus dem Volk sich eine arme Magd
Und füttern sie mit Seim höchst fürstlich, wie man sagt,
Mit königlichem Seim sie dieser Biene dienen,
So wird sie groß und rund, wird Königin der Bienen!
PYTHAGORAS
Da hör ich wieder, pfui doch, von der Demokratie!
In Kroton hetzten einst die Demokraten, die
Volksprediger voll Hass, erhitzte Demagogen,
Drum bin ich aus der Stadt ja auch davon gezogen.
Sie peitschten auf die Schar des Pöbels in dem Land,
Verschworen gegen Gott sich listig, intrigant,
Und fingen Pöbelschar in Menschenfischernetzen
Durch Hasstiraden und durch lügenreiches Hetzen!
THEANO
Was in der Politik ist dein Gesicht, mein Mann?
Ich weiß, von Herzen hasst du eifrig den Tyrann!
PYTHAGORAS
Das Universum ist hierarchisch eingerichtet,
Der Gott der Götter herrscht, wie auch Homeros dichtet,
Der Gott der Götter herrscht, die Götter dienen ihm,
Dämonen dienen ihm und Geisterseraphim
Und Thron, Gewalt und Macht und Hirten ihrer Herde
Und Sonne, Mond und fünf Planeten und die Erde.
Der Schöpfung Krone ist der Mensch als Mann und Frau,
Die Tiere folgen dann im großen Weltenbau,
Dann Blume, Baum und Gras, zuletzt die toten Steine.
Gott ist der Herrscher Gott, das All ist die Gemeine.
So in der Welt der Fürst in reiner Monarchie
Soll herrschen frei und fromm. Die Völker alle, die
Des Weltmonarchen Volk, sie sollen ihm nicht schaden,
Sein Genius gelenkt wird ja von Gottes Gnaden.


SIEBENTE SZENE


(Pythagoras und seine Frau Theano in dem Garten. Der Knabe Thelauges spielt allein.)

THEANO
Was ist der Urbegriff, die heiligste Idee?
PYTHAGORAS
Weltregiment des Herrn, der Gottheit, die ich seh,
Vorsehung nenn ich sie, die Gottheit ist verschleiert.
Das Universum ist Musik, von Gott geleiert.
Die Sphärenharmonie, das Wesen der Natur,
Der Mensch als Mann und Frau und alle Kreatur,
Sie sind von Gott regiert, der große Weltenlenker
Ist aller Götter Gott, ihn ehre ich als Denker.
THEANO
Ist Gott der Schöpfer auch? Gibt es nur Eine Welt?
Und was, wenn einst vergeht das blaue Himmelszelt?
PYTHAGORAS
Gott schuf im Anbeginn die Zeit und alle Zeiten
Und schuf des Kosmos Raum und aller Welten Weiten.
Die Zeit jedoch als Kreis ist Teil der Ewigkeit,
Im Zyklus sich vollzieht die Ewigkeit der Zeit.
Und alles Werden ist ein Werden zum Vergehen
Und das Vergehen wird zum neuen Auferstehen.
Und was geboren wird, geboren wird zum Tod,
Und nach des Todes Nacht kommt neu ein Morgenrot.
Der Kosmos ist im Lenz geschaffen von dem Schöpfer,
Die Ur-Materia nahm Gott sich als ein Töpfer
Und schuf des Kosmos Form. Dann kam die Sommerzeit,
Die Welt war Paradies. Die Lust will Ewigkeit!
Dann kam die Große Flut, es kam mit seinen herben
Und süßen Früchten Herbst: Die Menschen müssen sterben.
Der Winter kommt zuletzt: Des Universums Tod!
Gott aber ruft herauf die Göttin Morgenrot,
Das Universum wird erneut im Lenz geschaffen,
Erneut zum Menschen wird entwickeln aus den Affen
Natur sich mütterlich, erneut ein Paradies
Der goldnen Zeit der Welt wird wie ein Sommer süß
Beglücken alle Welt, bis alle reifen Früchte
Einsammelt ernst der Herbst, der Winter dann vernichte
Das All erneut, der Tod beschließt den Kreis der Zeit.
So immer für und für in alle Ewigkeit!
Die Ewigkeit der Zeit im Zyklus ist gegeben
Und so bleibt ewiglich des Universums Leben.
THEANO
Des Mensachen Seelen nun – sag in Begeisterung
Von Psyches Ewigkeit und Seelenwanderung!
PYTHAGORAS
Von Anbeginn der Welt der Urmensch ist geschaffen
Als Gottes Ebenbild (nicht ähnlich einem Affen),
Der Gottheit ähnlich mehr, der Urmensch war beseelt,
Den Menschen Gottes nicht der Hauch der Seele fehlt,
Der Urmensch aber voll der Summe aller Seelen,
Der Menschen große Zahl sich ihre Seelen wählen,
Die ganz bestimmte Zahl der Menschenseelen trat
Ins Universum ein, das große Weltenrad.
Ich kenne ihres Zahl, sind sechzig Myriaden
An Menschenseelen in der Welt von Gottes Gnaden.
Die Seele schaute Gott präexistent und kam
Und inkarnierte sich in eines Weibes Scham
Und geht den Lebensweg, die Torheit ihrer Jugend
Zur Altersweisheit wird in Frömmigkeit und Tugend.
Wer aber weiter noch auf Erden lernen muss,
Verkörpert sich erneut, es kommt der Genius
Erneut in diese Welt, geboren von dem Weibe,
Es lebt der Genius erneut in einem Leibe.
THEANO
Ich denke doch, es sprach zu meinem Geist der Gott,
Ob andre Männer auch drob treiben ihren Spott,
Ich soll nicht essen Fleisch, nicht essen mehr vom Fleische,
Auch trinken keinen Wein, das Wasser nur, das keusche,
Und Drogen nehmen nicht und meiden alles Gift,
So Gottes Wort mein Ohr mit süßem Flüstern trifft.
PYTHAGORAS
Nichts vom Lebendigen sei eines Menschen Speise,
Und keusch die Speise sei, denn das allein ist weise,
Auch will ich nicht, dass Gott von Menschen dargebracht
Schlachtopfer wird von Fleisch in einer großen Schlacht,
Wir opfern nur vom Brot, Demeters Brot alleine,
Dionysos den Wein, wir opfern von dem Weine.
THEANO
Mein Mann Pythagoras, warum du aber nicht
Die Bohnen essen willst, warum wird uns zur Pflicht,
Das wir der Bohnen Mahl vermeiden? Was sind Bohnen?
PYTHAGORAS
Die Mütter, Mütter sind’s, die in den Bohnen wohnen!
Jetzt aber, liebe Frau, wir schweigen beide stumm,
Denn Schweigen ehrt allein das Urmysterium.


ACHTE SZENE


(Pythagoras in seinem Garten. Er trinkt mit Philolaos Wein aus Syrien. Theano trinkt von der Schwester keusches Wasser. Abend im Frühling.)

PYTHAGORAS
Die Koinonia preis ich meiner lieben Schüler.
Theano, liebe Frau, der Abend wird schon kühler.
Doch, Philolaos, Freund, ich preis den Freundschaftsbund,
Nun schweige ich nicht mehr, nun mystisch meinen Mund
Ich öffne zum Gesang, ich preise die Gemeinschaft
Der Göttin Philia, der Koinonia Freundschaft!
PHILOLAOS
Wir waren alle eins in unserm Freundschaftsbund
Und jeder Jünger hing an unsers Meisters Mund,
Du unser Meister, o Pythagoras, und Lehrer,
Wir deine Jünger all und gläubigen Verehrer,
Wir schwiegen mystisch stets und blieben heilig stumm,
Wenn du uns offenbart das Urmysterium.
Doch waren alle wir, von Genien erkoren,
Auch freie Denker selbst, selbstdenkende Doktoren,
Und jeder hatte Geist, des Intellektes Kraft,
Ergründete Natur im Fleiß der Wissenschaft.
So trunken wir auch oft von Mystik ganz ekstatisch,
Doch auch die Wissenschaft wir trieben mathematisch,
Wir lehrten Tugenden und heilige Moral
Und die Geheimnisse der Gottheit ideal,
Ganz idealistisch und zutiefst moralisch,
Wir priesen Gottes All, den Schöpfer musikalisch!
THEANO
Pythagoras, ich seh als Seherin voraus,
Nach deinem Tode wird gespalten sein dies Haus
Der Weisheit deines Wegs. Entstehen werden Sekten.
Die einen gehn den Weg der heilig unbefleckten
Allweisheitsmystik von dem Urmysterium:
Der Meister hats gesagt, wir aber folgen stumm!
Der Überlieferung sie folgen esoterisch.
Die andre Seite wird vernünftig exoterisch
Vertrauen auf die Schrift und ihres Denkens Kraft
Und gehen denkerisch den Weg der Wissenschaft.
Die eine Sekte schwebt im Himmel mystisch brünftig,
Die andre Sekte steht auf Erden ganz vernünftig.
Pythagoras, doch du allein hast dies vereint,
Du warst allein der Mann, wie deiner Gattin scheint,
Der beides hat vereint, Verstand und Gottesglauben,
Vernunft und Religion. Ich lass mir Gott nicht rauben!
Der Esoterik Weg ich gehe ohne Spott,
Allweisheit suche ich, Mysterium ist Gott!
PYTHAGORAS
Wie es bei Scheidenden am Lebensabend Mode,
Ich sing mein Testament in einer schönen Ode.
Die Muse inspiriert den Odensänger ja,
Die Ode singe ich der Göttin Philia.

Ode an die Göttin Freundschaft


Alle sind befreundet allen,
Alle werden Gott gefallen,
Freundschaft gründet die Gemeinde,
Alle sind wir Gottes Freunde!
Alle von der Freundschaft reden,
Gottes Freundschaft anzubeten!
Jeder dient der unbefleckten
Göttin Freundschaft, alle Sekten,
Weisheitslehren, Religionen,
Brüderlich zusammenwohnen,
Pharisäer und Philister,
Alle Menschen sind Geschwister,
Alle Denkenden vernünftig
Für die Göttin Freundschaft brünftig
In der Freundschaft auserkoren
Sich verbrüdern mit den Toren.
Freundschaft führen Geistnaturen
Mit den niedern Kreaturen.
Freundschaft stiftet die Gemeine,
Herzen sind nicht mehr wie Steine,
Freundschaft lebt im Heiligtume
Zwischen Schmetterling und Blume,
Freundschaft breitet goldne Netze
Auf moralische Gesetze,
Göttin Freundschaft nur zum Ruhme
Dienen in dem Bürgertume
Alle Menschen ohne Tadel,
Göttin Freundschaft dient der Adel,
Freundschaft in der goldnen Wolke
Waltet über jedem Volke,
Freundschaft segnet mit der Lilie
All die menschliche Familie,
Freundschaft stiften wird hienieden
Allgemeinen Völkerfrieden!
Freundschaft preisen die Verfechter,
Freundschaft einigt die Geschlechter,
Freundschaft einigt unbeschreiblich
Ewigmännlich, ewigweiblich,
Freundschaft zwischen Griechen, Indern,
Freundschaft zwischen allen Kindern,
Freundschaft zwischen Männern, Weibern,
Zwischen Seelen und den Leibern,
Jedes Ich sich selbst befreundet,
Keiner seinem Leib verfeindet,
Freundschaft gründet immer wieder
Harmonie der Leibesglieder,
Freundschaftssegen wird verliehen
Elementen, Energieen,
Freundschaft einigt alles – Liebe
Mit dem göttlichsten der Triebe!


NEUNTE SZENE


(Pythagoras auf seinem Sterbebett. Einzig bei ihm Theano, seine Hand haltend.)

PYTHAGORAS
Von meiner Lehre lernt Siziliens Philosoph,
Ein frommer Diener an der Göttin Freundschaft Hof.
Der Freier der Idee, der Tänzer der Ideen
Wird meine Weisheit auch im Innersten verstehen.
Der Abderite auch betrachtet meinen Weg.
Und meine Weisheit wird in Wundertätern reg,
In großen Magiern, in einem großen Seher,
Verehren wird man ihn, den Neupythagoräer.
Und Seher der Ideen begründen Religion
Auf meiner Weisheit Schau vom höchsten Götterthron.
Ah, Römer sehe ich, den großen Vater Äther
Und seinen Gottessohn lobpreisen diese Väter
Und überwinden stark des Lügengeistes Gift
Und folgen fromm und treu der Tradition und Schrift.
Den Vater sehe ich, den Freund des Gottessohnes,
Der wird mich ehren auch trotz Spottes und trotz Hohnes,
Weil ich Unsterblichkeit der Seele hab gelehrt
Und die Unsterblichkeit der Seele tief verehrt,
Nur schmähen wird er streng mit scharfen Schlangenzungen
Die Reinkarnation und Seelenwanderungen.
Mich ehren wird ein Mann, ein frommer Philosoph,
Der als Gefangner an der Göttin Weisheit Hof
Glückseligkeit allein mit letztem Todesmute
Als Höchstes Gut verehrt, die Gottheit nennt die Gute.
Es wird auch ein Poet mit seiner Muse nett
Mich feiern mit dem Vers im liebenden Sonett.
Ha, unser Griechenland wird einmal neugeboren,
Italien ist dazu vom Geiste auserkoren!
Ein Philosoph wird da die Weisheit Griechenlands
Vereinen Gottes Sohn im höchsten Lorbeerkranz
Der liebenden Passion, und dieser fromme Seher
Pythagoras versteht als Neupythagoräer.
Hyperboräer selbst wird weise ein Barbar
Mich ehren in dem Geist, in geistiger Gefahr
Ruft er die Weisheit an und eint im Schönen-Guten
Die Weisheit Griechenlands der Religion der Juden.
Auch meine Wissenschaft verehrt einst ein Barbar,
Wie Astronom ich auch und frommer Beter war,
Wird dieser Astronom mein Lebenswerk versöhnen
Mit seines Gottes Schrift, er hört die Himmel tönen,
Er wird im Glauben und in seiner Astronomie
Vereinen Gottes Wort der Sphärenharmonie.
Die Dichter sehe ich, die Priester der Kamönen,
Die Himmelsharmonie vernehmen sie, das Tönen
Und der Sirenen Sang, verlockenden Gesang,
Der Engel Lobpreis und des Gotteswortes Klang.
Pythagoras trug einst Apollons goldnen Schenkel,
Apollon dienen auch Apollons Dichter-Enkel
Und hören Engel in den Himmeln singen ihm,
Dem Allerhöchsten, voll von Brunst die Seraphim,
Der Götterthrone Chor die Dichter ihrer Schönen
Vernehmen und das All in wundervollen Tönen.
Und einst die Wissenschaft und kosmische Physik
Spricht meinen Glaubenssatz: Das All ist aus Musik!
THEANO
Geliebter! Stirbst du nun? Ich sehe deinen Genius
Schon auf dem Morgenstern! Dort wartet Göttin Venus
Schon unterm Lebensbaum im Himmelsparadies!
Die Haare lang und schwarz! Die Lippe lächelnd süß!
Der Augen Mandelform grün blitzend voll von Lüsten!
Ich sehe weiß und nackt das Zwillingspaar von Brüsten!
Das Delta seh ich schwarz der unbefleckten Scham!
Die Göttin Venus ruft: Jetzt komm, mein Bräutigam!
GENIUS
(Erscheinend mit einem Becher Wein)
Pythagoras, dein Kelch, Pythagoras, dein Becher!
Des Allerhöchsten Zorn trink aus als trunkner Zecher!
Des Gotteszornes Wein ist wie das Blut so rot!
Betrink dich in der Nacht! Jetzt kommt zu dir der Tod!
Den Becher sauge aus und lecke noch die Scherben!
Der Leidensbecher dies, denn siehe, du musst sterben!
Den Becher lecke leer und gib mir den Bescheid,
Betrunken nicht vom Wein, betrunken von dem Leid!
In diesen Becher will ich meine Liebe flößen –
Die tödliche Passion wird deinen Geist erlösen...
(Pythagoras trinkt vom Becher und stirbt. Der Genius verschwindet mit der Psyche des Unsterblichen im Jenseits.)THEANO
Durchwalle, Bräutigam, das Purgatorium –
Sink in der Liebe Schoß – Gott ist Mysterium!