Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

DIE SCHWEIGENDE GOTTHEIT


Von Josef Maria Mayer


1

Meine Theologie spricht sich in Hymnen aus,
Die in mystisch hindeutendem Sinne
Tiefgründiges verkünden.

Iphigenie ist in ihrer Seele still,
Weil ihr, der Priesterin der göttlichen Jungfrau,
Im Umgang mit der Heiligen
Die Stille zuteil geworden ist
Und ihre heilvoll beseligende Macht,
Die Stille der Gottheit,
Die auch dann noch über ihr schwebt,
Wenn fremdes oder eigenes Leid
Ihre Seele beschattet.
Als stille, reine Seele kann sie
Orest entsühnen und heilen sein Leid,
Seine Unrast stillen.

Das Ruhegebet der östlichen Kirche
Und die deutsche Mystik
Und auch die platonische Lehre
Und die plotinische Lehre
Von der göttlichen Schönheit
Weiß von der Bedingung der Stille,
Daß die Gottheit sich ergießen kann
Und der Mensch die göttliche Schönheit erkennt.

Als ich die griechische Statue sah,
War ich gleichsam entrückt
Und in einen heiligen Hain versetzt
Und glaubte die Gottheit selbst zu sehen,
Wie sie dem Sterblichen erschien.

Das Auge der Gottheit
Ist das Auge eines Wesens,
Das alles erschüttert,
Und doch in einer ewigen Ruhe ist,
Als ob es schwebe
Auf der Ebene eines stillen Meeres.

Die edle Einfalt und stille Größe
Der griechischen Statue
Ist das wahre Merkmal
Der Schriften aus der goldenen Zeit,
Der Schriften aus Sokrates’ Schule.

Hier offenbart sich das Wesen der Gottheit
In der sich im Schweigen vollziehenden
Anschauung anschaulicher Gestalt
Der schönen Gottheit.
Das Schweigen des Menschen bekundet
Die unmittelbare Wirkung des Gefühls
Einer numinosen Gegenwart selbst,
Deren Wesen einzig darin besteht,
Sich in ihrer Weltentrücktheit, Unbewegtheit
Und ruhigen Schönheit anschauen zu lassen,
Von Schweigen umgeben.
Wie in der Theologie Epikurs
Gewährt die schweigende Gottheit
Allein durch ihr bloßes glückseliges,
Selbstgenügsames Dasein
Dem Menschen innere Seligkeit.

Die stille Seele des Menschen
Singt Hymnen an die Vollkommenheit:
Voll hoher Einfalt,
Still und groß,
Strebten zu dir die Ahnen,
Strebten, des Triumphes gewiß.

Die hohe heilige Statue
Finde ich wunderbar und fremd-schön,
Die höchste Schönheit erscheint jedoch
In der unermesslichen Natur,
In den ungeheuren Weiten des Himmels
Mit seinen fruchtbaren Kräften,
Die sich noch im kleinsten Staube regen
Und ewig lebendig sind.

Die göttliche Schönheit offenbart sich
Sinnlich-anschaulich
In der lebendigen Natur.
Die gesamte Natur wird mir
Zum geweihten heiligen Raum.
Rings in schwesterlicher Stille
Lauscht die blühende Natur.
Die Epiphanie der schönen Gottheit
Ereignet sich in der Natur.
In milden Lüften begegnet dem Sterblichen
Und wenn er still im Garten wandelt,
Aufheiternd eine Gottheit.

Hier findet sich Mystisch-Hindeutendes
Auf ein Tiefgründiges, hinweisend
Auf ein Erlebnis,
Das nach Worten sucht, sich auszusprechen.
Tiefer und tiefer dringt ein
In den Sinn meiner Worte.
Denn ich besinge die Himmlische,
Die Kraft des Himmels, die stille,
Die voll goldener göttlicher Ruhe ist,
Die stille Geistfrau, die Unbekannte,
Die Ur-Ahnfrau,
Die wandellos in stiller Schönheit lebt.
So warte ich auf die Zeit,
Da in der goldenen Wolke wieder erscheint
Die strahlende Gottheit,
Indem ich die Stille preise:
Stille, die du ausgegossen
Die Ruhe in den Sinn des seligen Knaben,
Aus dir geflossen ist die himmlische Wonne,
Holde Stille,
Freudenspenderin!
Und du, Geliebte meines Geistes,
Meine Diotima,
Großes zu schauen
Und zu singen von der schweigenden Gottheit
Lehrst du mich, selbst stille schweigend,
Mich stille begeisternd.

Wir verehren die Natur, denn heilig ist die Natur
Und die in ihr wirkenden Mächte.
Der Schönheit der Natur
Wird inne der Mensch
In der reinen Anschauung.
Der Mensch hat sein Schicksal,
Die Gottheit aber ist erhaben über die Erde
Und ruht in ewiger Stille,
Still und mühelos ist das Leben der Gottheit.
An der ewigen Stille der Gottheit
Geht der sterbliche Mann
Wie ein tönender Hauch vorüber,
Wie ein flüchtiges Lied.
So sprach die sterbende Freundin:
Wir leben wie die himmlischen Harfespieler
Um den weißen Thron der Gottheit,
Und mit unserm flüchtigen Lebenslied
Mildern wir den seligen Ernst des Herrn.

Denn ich glaube an das Lichtreich
In den himmlischen Höhen,
Wo die Genien sich versammeln
Und sind in der Gloria
Des vollkommenen Seins.

Aber meine Gottheit ist menschlich,
Denn Christus ist wahrer Mensch.
Das Menschlich-Allzumenschliche
Heidnischer Götter ist nicht mehr,
Meine Gottheit ist transparent,
Ist allgemein,
Ist deutungsvoll
Die Seele der Welt.


2


Meine dichterische Tätigkeit hat da,
Wo ich die Schau der idealischen Schönheit
In Worte zu fassen suche,
Platons Prosahymnen auf die Idee
Des Guten und Wahren und Schönen zum Vorbild.

Denn mit Platon kritisieren wir
Die menschlich-allzumenschlichen griechischen Götter,
Wir bilden einen Gottesbegriff,
Den wir wahrhaft klassisch nennen.

Mit Platon kritisieren wir
Die Dichtertheologen und ihre Götter,
Sie bleiben unserm Staate fern.

Die Philosophen lösen die Dichter ab
Als Theologen der Gottheit.

Der Mythos Platons nämlich
Ist nicht mehr der alte Göttermythos.
Die alten Götter sind uns unverständlich.
Platons Lob des Eros feiert
Die Befreiung von den alten Göttern.
Dichtung sei im Staate Gottes
Nur Lobgesang an die Gottheit
Und Preislieder auf die Heiligen.

In diesem Sinn ist Platon
Schüler jenes Mannes,
Dem die Stadt vorwarf,
Er wolle neue Götter erfinden.

Platon ist nämlich gegangen
Vom Mythos zum Logos.
Die Dichtertheologie der Mythen
Wich der Philosophentheologie des Logos.
Theologie ist nun die Lehre,
Die Aussagen macht über das Wesen
Des Höchsten Seienden, Gott genannt.
In der dogmatischen Definition
Des Höchsten Seienden enthalten
Ist immer das Verhältnis
Zum Endlich-Seienden.
Aber wir setzen voraus,
Daß unter allen Geschöpfen vor allem der Mensch
Ein vorzügliches Verhältnis
Zur ewigen Gottheit hat.

Da Platon abgelehnt
Die Theologie der Dichter,
Hat er als Philosoph
Seine eigne Theologie gebildet.

Die platonische Gottesvorstellung
Wird in den platonischen Dialogen
Als Vollkommenheitsideal aufgestellt,
Das für alle spätern Philosophen
Des Abendlandes verbindlich wurde.

Die schweigende Gottheit aber
Ist ein Ideal der Gnosis
Und des Neoplatonismus.
Plutarch sagt zwar:
Die Menschen lehren das Reden,
Die Götter aber das Schweigen.
Doch Platon sprach anders.


3

Ich orientiere mich am Demiurgen,
Den Platon im Timäus preist.
Mit Platon nehme ich an die Existenz
Der übernatürlichen, hypothetischen Welt,
Ich meine den Ideenhimmel,
Darüber die überweltliche Gottheit herrscht.
Doch sage mir ein Weiser,
Ob die Ideen natürlich oder übernatürlich sind,
Ob Gottes Macht begrenzt ist,
Ob die Götter Genien der Planeten sind?

Platons Zwiespalt
In der Definition Gottes
Begründet sein undogmatisches Wesen
In der Art und Weise des Theologisierens.
So hat Platon bewusst darauf verzichtet,
Die Ideenwelt zu theologisieren.
Da gab es doch einen gewissen Streit
Zwischen seinem religiösen Glauben
Und seiner philosophischen Vernunft.

Die Ideen sind keine Personen
Und die Höchste Idee ist nicht Gott.
Oder ist die Idee der Güte – Gott?

Soll ich denn den Demiurgen Gott nennen
Und die Weltseele Gottheit nennen?
Dann kann ich auch die Idee der Höchsten Schönheit
Die himmlische Gottheit nennen.

Bis heute ist es mir nicht gelungen,
Aus den Dialogen Platons
Eine klare Universaltheologie
Herauszukristallisieren.
Ich betrachte doch alle Weisheit Platons
Im Licht der jüdisch-christlichen Offenbarung.
So stelle ich die Hypothese auf,
Daß Platon im Grunde seines Herzens
Monotheist gewesen.

Die Ideenlehre klammern wir nicht aus,
Sondern mit innerer Konsequenz
Sehen wir in der Höchsten Idee,
Der Idee der Güte, den höchsten Gott.
Doch ist auch Platons Gott Person?

Der Demiurg blickte auf die Höchste Idee,
So dass nicht der Demiurg als das Maß der Dinge erscheint,
Sondern die Höchste Idee.

Gott aber ist der Schöpfer
Der Idee der Ideen.

Wenn Platon vom ideellen Muster der Welt spricht
Und dieses Muster den intelligiblen Gott nennt,
So weiß er natürlich, dass der höchste
Intelligible Gott
Die Idee der Güte ist.

Dieser überpersönliche höchste Gott
Ist ein Wesen, das sich selbst genug ist,
Zu dem der Mensch sich hingezogen fühlt,
Eine Gottheit, die sich anschauen lässt,
Eine Gottheit, die sich bewundern lässt.
Doch ist es der Gottheit gleichgültig,
Ob der Mensch das Ziel seines Strebens erreicht oder nicht?
Solche gleichgültigen Götter dachten sich die Griechen.

In seinem siebenten Brief
Unterscheidet Platon
Zwischen dem Exoterischen
Als dem, was über Gott zu sagen ist,
Und dem Esoterischen,
Als dem, was dem Schweigen anheimfällt,
Nicht aus heidnischen Mysterienokkultismus,
Sondern weil die esoterische Gottheit
Dem Menschen unbegreiflich und unaussprechlich ist.

Hier kann dir nur weiterhelfen,
Mit Platons Geist selbst mündlich zu sprechen.

Hier sind die Grenzen des Logos,
Die philosophische Vernunft
Kommt an eine Grenze,
Und Sokrates und Platon
Sprechen in mythischen Bildern
Vom unaussprechlichen Gott.

Platon war kein Agnostiker.
Dass die Vernunft von Gott nichts wissen könne,
War nicht Platons Lehre.
Platon ist sehr wohl vorgedrungen
Zu einem letzten Positiven,
Der Horizont der Gotteserkenntnis Platons
Liegt aber jenseits der Dialoge.

Plotins religiöser Neuplatonismus
Steht der Lehre Platons näher
Als die Vernunft des Aristoteles.
Der Seinsgrund, sich entziehend bei Platon,
Bis zur Grenze des Denkbaren zurücktretend,
Rückt bei Aristoteles dem Denken näher
Und der natürlichen Welt.
Plotin aber stellt das platonische Eins
Über den Geist des Aristoteles.

Wir sehen also Platon
Die Gottheit seiner Erkenntnis umschreiben
Als die allerhöchste Eins,
Die Höchste Idee der Güte
Und den Demiurgen als Schöpfer des Kosmos.


4

Im göttlichen Eros,
Eros, dem persönlichen Gott,
Ist vereinigt der höchste Erkenntnisgegenstand
Und das ethische Ideal.

Die sittliche Vollkommenheit
Kann auch zustande kommen
Aufgrund von Gewohnheit und Übung,
Ohne Philosophie und Vernunft.
Aber als höchste Eudämonie
Kann dieser Zustand nicht gewertet werden.
Gott Eros aber,
Im Besitz der Sophia,
Steht auf der höchsten Stufe
Der ewigen Eudämonie.

Dazu die höchste Schönheit
Ist Eigenschaft des Gottes Eros,
Jenes vom Irdischen abgelöste Schauen,
Das Diotima den Sokrates lehrte,
Führt zur Schau der Schönheit des Eros.

Des weiteren ist der göttliche Eros
Nicht allein der Erste aller Götter,
Sondern auch die Ursache allen Seins.

Wenn aber Eros nicht Gott ist,
Sondern ein Dämon und Mittler,
Besitzt er nicht die Schönheit,
Da er nach Schönheit verlangt,
Bedürftig ist nach Schönheit.

Was aber ist das Ziel des Eros
Als des Mittlers und des Dämons?
Das Ziel des Eros ist die Schau der Schönheit.
Wer die höchste Schönheit schauen will,
Beginne beim Schauen des schönen Körpers,
Abstrahiere von allem Sterblichen
Und erkenne das ewige Wesen der Schönheit,
Gott, die Schönheit in aller Schönheit,
Die Urgottheit der Urschönheit,
Frei von allem anthropomorphem Schönsein.

Platon spricht nicht vom Jenseits
Als der kommenden Ewigkeit,
Sondern von der Präexistenz der Psyche
Im Jenseits vor der Empfängnis.
Die präexistente Psyche
Steigt hinan zum überhimmlischen Ort
In den Bereich der Göttlichkeit,
Zur Schau der ewigen Himmelswelt,
Wo die Himmlischen wohnen.
Hier schaut Psyche die Weisheit und Tugend,
Die den Philosophen zum Philosophen machen.

Diese überhimmlische Ideenwelt
Ist allein der Vernunft und dem Wissen zugänglich.
Das Denken Gottes selbst
Führt durch den führenden Seelenteil,
Den Geist der Seele, die Seele zu Gott.
In diesem Ideenhimmel
Wohnt die göttliche Gerechtigkeit selbst
Als himmlische Jungfrau
Und die weise Besonnenheit
Und die göttliche Weisheit.

Aber wahre Weisheit
Und ethische Vollkommenheit
Eignen dem Gotte Eros.
Die Schau der göttlichen Hypostasen
Garantiert die göttliche Qualität der Hypostasen.
Die präsexistente Seele und der Philosoph
Leben gewissermaßen das Leben der Götter,
Da sie mit göttlichen Qualitäten
Im Ideenhimmel umgehn.

Dass der Geist des Philosophen sich erinnert
An die Schau der präsexistenten Seele,
Wird bewirkt durch die Liebe,
Wenn der Mann eine Schönheit erblickt.
Dann taucht im Mann die Erinnerung auf
An die selige Schau der Gottheit,
Eine unversehrte, glückselige Erscheinung Gottes
Begegnet dem Liebenden
Im Schauen der Schönheit.

Die göttlichen Hypostasen
Oder auch Götterthrone genannt
Sind voll von Schönheit,
Unsterblichkeit und Glückseligkeit,
Sie sind gerecht und gut,
Urheber alles Guten
Und Stifter der göttlichen Hierarchie
Und Ordnung des Kosmos.
Gott in seiner Gottheit leidet nicht.

Der stoische oder pythagoreische Weise
Ist dem Gotte ähnlich,
Steht Gott an Angesicht zu Angesicht gegenüber.

Der platonische Weise wagt so nicht zu sprechen.
Er spricht nicht von der Vergottung,
Sondern von der Ähnlichkeit seiner Seele
Mit den ewigen Ideen im Ideenhimmel.
Doch weil die ewige Ideenwelt
Das vollkommene Abbild Gottes ist,
Erstrebt auch der platonische Weise
Eine Verähnlichung mit der Gottheit.

Voraussetzung zur Gottwerdung des Menschen
Ist die theoretische Sauberkeit
Und die moralische Reinheit.
Aber erst nach der Trennung vom Todesleib
Gelangt die Seele zur vollen Erkenntnis.


5

Die Stoiker hielten fern
Von ihrem immanenten Gott Logos
Alle anthropomorphen Züge.

Aber gehört zum Wesen Gottes
Das Schweigen oder das Reden?

Der Gott des Homer
Bewegt sich sehr rasch,
Der Gott des Xenophanes
Verharrt in Ruhe.

Die unbewegte Ruhe
Und die Mühelosigkeit bei allem Vollbringen
Verleihen dem Gott die angemessne Erhabenheit.
So sieht Xenophanes den Gott
Und wird zum neuen Dichter-Theologen,
Mit frommen Mythen und reinen Worten
Den Gott zu preisen.

Es ist doch nicht einzusehen,
Warum die Himmlischen glücklich sein sollten,
Wenn sie sich nicht unterhalten können?
Den man kann doch den Himmlischen das nicht nehmen,
Was der Philosophen größte Freude,
Die geistige Diskussion mit weisen Menschen.

Wenn ein Gott denn existiert,
So kann man ihn nicht anders denken
Als redend mit göttlichem Wort.
Aber wenn Gott eine Sprache hat,
Wenn Gott eine Stimme hat,
Hat Gott denn auch eine Kehle?

Jeder, der von der Existenz des Gottes spricht,
Soll sich klar sein,
Daß nur ein menschlicher Gott denkbar ist.
Der vernünftige Logos allein,
Den die Stoiker reinen Geist nennen,
Ist nicht denkbar,
Ein Gott Logos der Stoiker,
Der nicht redet!

Der Logos aber ist ein äußerlicher
Und der Logos ist ein innerlicher.
Der innere Logos ist der höhere Logos.

Die Gottheit ist nicht mit dem Diesseits verhaftet.
Der innere Logos im Innern der Seele
Ist die Möglichkeit der Kommunikation
Mit dem göttlichen Geist.

Die natürliche Mantik lehrt nun
Das übersinnliche Sehen Gottes
In Traum und Ekstase.

Die Seele erkennt aus eigener Macht,
Die Seele erkennt durch Gespräch mit den Geistern,
Die Seele erkennt durch das Reden Gottes.

Voraussetzung aber,
Das göttliche Reden zu hören,
Ist die Loslösung der Seele vom Körper.

Apathie ist die Voraussetzung,
Die Stimme Gottes zu hören.

Hier lehren die Platoniker
Die Kunst der Erkenntnis Gottes
Und des ekstatischen Schauens der Weisheit
In philosophischer Weise,
Wie auf religiöse und mystische Weise
Auch Hermes Trismegistos es lehrte.

Das lautlose göttliche Reden ist so,
Wie Plutarch es gelehrt,
Dass das Mitgeteilte
Den Vernehmenden sanft berührt.

Der Atemstoß der menschlichen Rede
Tut dem Hörenden weh,
Anders das Reden Gottes,
Da die Seele von selbst
Sich der göttlichen Weisung fügt.

Diese Berührung durch die göttliche Rede
Ist wie die Berührungen von Lichtstrahlen.
Die göttliche Rede bewegt die Seele,
Das göttliche Wort dringt mühelos in die Seele ein,
Die göttliche Vernunft
Lenkt die menschliche Vernunft
Und die Weltseele Gottes
Haucht die Seele des Menschen an,
Wie ein Lichtstrahl einen andern Lichtstrahl berührt.
So spricht der Logos Gottes
Mit dem inneren Logos des Menschen.


6

Es ist von vorneherein ganz ausgeschlossen,
Daß der Jude Gott
Als schweigenden Urgrund der Gnosis begreift,
Da in der jüdischen Religion
Und ganz dann in dem Christentum
Von Gottes Wort die Rede ist.
Gott spricht im Ersten Bund,
Die Schöpfung geht zurück
Auf das Sprechen Gottes,
Das Reden Gottes gibt die Weisung.
Gottes Reden ist die ihm eigne Aktivität.

Philon von Alexandrien
Nahm zu den Griechen Stellung,
Zu den Platonisten,
Neupythagoräern und Gnostikern,
Die Offenbarung Gottes auf dem Sinai
Philosophisch zu deuten.

Es besteht für ihn kein Zweifel,
Daß die höchste Gotteserkenntnis
Durch die Schau der Gottheit zuteil wird.
Er beruft sich dabei auf Heraklit.
Aber das Zeugnis eines Griechen
Ist für Philon so lange ohne Gewicht,
Bis auch die Bibel Zeugnis gibt.
Er legt die Bibel allegorisch aus,
Wie einst die Stoiker Homer allegorisch gedeutet,
Wie Origenes die Bibel deutet.
Was den Vorrang der Schau Gottes
Vor dem Hören des Wortes Gottes betrifft,
Beruft sich Philon auf den Vorrang Israels,
Des Gott Schauenden,
Vor Ismael, dem Gott Hörenden.

Kommunikation des Menschen mit Gott
Ist möglich durch die Verwandtschaft
Des menschlichen Geistes
Mit dem göttlichen Geist,
Der Mensch ist Person und frei,
Gott ist Person und frei.

Der Mensch hat einen menschlichen Geist,
Gott hat einen göttlichen Geist.
Der menschliche Geist ist ähnlich
Dem heiligen Geiste Gottes.

Die Weisung oder Tora aber ist
Die Weisheit Gottes, das ist SOPHIA,
Anders gesagt: Gott Logos,
Der als die Ganzheit der Ideen
Im Geiste Gottes gesammelt ist.

Die Offenbarung der Weisung an Moses
Ist ähnlich wie die natürliche Mantik der Griechen,
Da Gott in Visionen und Träumen sich offenbart.
Die zehn heiligen Worte
Hat Gott nicht mit menschlicher Stimme verkündet,
Gottes Worte sind vielmehr
Wie eine Lichterscheinung,
Gesehen vom Auge der Seele.

Die griechische Vorstellung
Oder, wenn du willst, die gnostische,
Daß die Gottheit geschaut wird,
Ist ein uralter Gedanke
Schon in der jüdischen Religion.

Wahrlich, es ist in der heiligen Schrift
Die Rede vom Schauen des Wortes Gottes.
Das Wort Gottes wird zum Gegenstand der Schau,
Zum höchsten Erkenntnisgegenstand.
Der göttliche Logos ist absolute Reinheit,
Der göttliche Logos ist Eins,
Das Eins vor aller Vielheit.

So spricht Gott
Von Mund zu Mund mit Moses
Und Moses schaut Gott
Von Angesicht zu Angesicht.


7

(Die Geliebte ist entrückt,
Sie ist in weiter Ferne...

Der Liebende muss sich nahen
Der schönen Geliebten,
Sich auf sie zu bewegen.

Sie lebt jenseits des Meeres,
Auf der Insel der Seligen.

Eine Schiffsfahrt muß den Raum überwinden,
Der den Liebenden scheidet
Von der Ewiggeliebten.

Auch die innere Ferne
Muss noch überwunden werden.

Denn er fragt nicht mehr nach sich,
Er fragt nicht mehr nach andern.
Nichts mehr suchend, nichts mehr denkend,
Im Schlummer liegt er in dem Boot,
Wortlos stumm.

In einem von allem abgezogenem,
Weltvergessenen Seelenzustand,
Schifft der Liebende still hinüber
Auf eine sakramentale Weise
Zur Ewiggeliebten, zur göttlich Schönen!)