Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

Meine Augen haben meine Gottheit geschaut



Von Josef Maria Mayer

Weil du mich gesehen hast, glaubst du...“
(Evangelium)


PROLOG


Jesus bat mich zu glauben,
Daß er mich nicht vergisst,
Er wird mich nie verlassen,
Aber ich muß auch alles tun,
Was in meinen Kräften steht.
Der Meister sagte dies
Sehr sanft und süß.
Er sprach auch weiter
Gnadenvolle Worte,
Die ich nicht weitergeben muss.
Die Herrlichkeit des Herrn
Zeigte mir die Ewige Liebe
Und sprach zu mir:
ICH BIN DU UND DU BIST ICH!


MEDITATION ÜBER DIE WEISHEIT
DER HINDUISTISCHEN THEOSOPHIE
IN DEN UPANISHADEN

Wer zur mystischen Schau gelangen will,
Übe sich vorher in der Tugend
Des aktiven Lebens.
Er sei Hausvater
Im praktischen Leben.
Wenn er sich darin bewährt,
Kann er später auswandern
In die selige Theorie.

Zwei Wissenschaften sind zu erlernen,
Die niedere und die höhere.
Die niedere Wissenschaft
Umfasst die Lehre über die Natur,
Die Künste und die heiligen Schriften.
Die höhere Wissenschaft studiert
Das Urgeheimnis
Der unfassliche, unbegreiflichen
Mystischen Gottheit,
Schoß aller Wesen.

Nicht durch Bücherlesen erkennt man Gott,
Nicht durchs Denken allein.
Nur der, dem Gott sich offenbart,
Erlangt die göttliche Erkenntnis.
Worte können nicht sagen,
Wie schön die Gottheit ist!
Der Verstand kann nicht ergründen
Die Geheimnisse in der Gottheit.
Die Sinne können nicht umfassen
Die geheimnisvolle Gottheit.
Nur wer reinen Herzens ist,
Wird schauen die göttliche Schönheit!

Wer Gott nicht kennt,
Der bleibt der Sinnlichkeit verfallen.
Wer die Gottheit erkennt,
Wird wahrhaft frei.

Ein Wunder, wenn einer die Gottheit verkündet,
Ein Wunder, wenn einer die Gottheit erkennt!
Ohne den Meister und Lehrer
Ist der Weg nicht zu finden.
Zu tief ist die Gottheit
Für den Verstand des Menschen.

Der Weg ist schmal und steil,
Nicht viele gehen den Weg.

Viele haben noch nichts gehört
Vom Geist der Gottheit,
Und viele, die es gehört,
Die haben es nicht begriffen.

Unsterblich wird der Mensch
Gewiss nicht durch das Geld.

Der Weise liebt die Gottheit mehr
Als er die geliebte Frau liebt
Und als er den geliebten Knaben liebt.
Er hängt sein Herz
Nicht an Besitz.
Er liebt die Armut
Und vertraut der Vorsehung.
Er sucht nur noch, Gott
Und den Menschen zu dienen.

Wer in seinem höheren Selbst
Das göttliche Ich gefunden,
Feiner als Feinheit schimmernd,
Tiefer als Gefühl und Wille und Verstand,
Der schaut durch sein höheres Selbst
Auf das göttliche Ich,
Der erst vermag, selbstlos zu lieben,
Und seine Liebe ist ewig.

Das Wort, das die Schrift uns verkündigt,
Heißt Amen.
Amen bedeutet:
Gott ist ein König der Treue.
Wer Amen betet,
Im Namen des Gottes Amen betet,
Der wird erhört
Und vollmächtig ist sein Gebet.
Wer das Amen kennt,
Der lebt im Himmelreich.
Wahrlich, mein Sohn,
Das Amen ist Gottes Name,
In Gott ist Ja und Amen.

Die Gottheit im Innern der Natur,
Die Gottheit im Innern des Menschen
Ist eine einzige Gottheit.
Wer diese Gottheit erkennt,
Der gelangt zur Vereinigung mit der Gottheit.
Wer zur Vereinigung mit der Gottheit gelangt,
Der gelangt zum Einssein mit der Gottheit.

Wahrlich, wer die Gottheit erkennt
Und sich mit der Gottheit vereinigt,
Der wird von der Gottheit vergottet
Und wird ein Gott in der Gottheit sein.

Die Weltseele ist
Der Hauch der Gottheit.
Sie ist der Ruhepunkt des Weltalls,
Das Zentrum des Universums.
Sie ist feiner als die Feinheit,
Sie ist ewig und unsterblich.
Deine Seele, meine Geliebte,
Ist Seele von der Weltseele.
In deiner Seele, Geliebte,
Erkenne ich die Weltseele selbst.

In mir, der Weisheit,
Entstand der Weltkern,
Ist die Welt geworden.
In mir, der Weisheit,
Haben die Wesen ihr Dasein.
In mir, der Weisheit,
Finden die Wesen ihr Ziel,
Ihre Vollendung.
Ich, die Weisheit, bin Gottheit
Und neben mir ist keine andere Gottheit.

Im Gebet erkenne ich Gott.
Doch der Weise steigt
Noch über Gott hinaus
Zur überseienden Übergottheit
Und wird vergottet
In der Übergottheit,
Er geht in Vereinigung ein
In die unbegreifliche Gottheit.

Was du hörst und was du redest,
Was du denkst, ist Schall und Rauch,
Was du siehst mit deinen Augen,
Ist ein Schatten nur.
Der Weise wendet sich zum Unsichtbaren
Und wird im Scheiden von der Welt unsterblich.
Mit Worten und Gedanken
Ist die Gottheit nicht zu lehren.
Verschieden ist die göttliche Weisheit
Vom menschenmöglichen Wissen.
Doch sind die Weisen
Sich nicht unbewusst der Weisheit.
Unaussprechlich durch Worte,
Unerkennbar durch Namen,
Unerkennbar durch Bilder
Ist die geheimnisvolle Gottheit.
Was die Menschen dieser Welt
Gott nennen, ist nicht Gott.
Die Gottheit ist
Undenkbar durch das Denken.
Diese unbegreifliche Gottheit
Verehre du im Inneren,
Nicht das, was die Toren Gott nennen.
Wer die Gottheit nicht ergründen kann,
Der kennt die Gottheit.
Wer die Gottheit mystisch erkennt,
Der weiß nicht, wer sie ist.
Die von Erkenntnissen Unerkannte ist sie,
Von heiligen Narren erkannte göttliche Torheit!


MEDITATION ÜBER DIE WEISHEIT
DES NEOPLATONISMUS VON PLOTIN

Jetzt aber habe ich zu sagen,
Daß der Schoß aller Wesen
Einfacher ist als die Wesen alle.
Was dem Geist vorausgegangen,
Ist also nicht Geist und geistige Welt,
Ist einfacher als der Geist
Und einfacher als die geistige Welt.
Nicht aus Vielem ist Vieles geworden,
Sondern aus der Nichtvielheit
Ist das Viele geworden.
Wäre die ursprüngliche Einheit
Selber ein Vieles,
So wäre sie nicht der Schoß,
Sondern es gäbe einen andern Schoß.
Es kann also auf keinen Fall
Das Erste eine Vielheit sein,
Denn dann wäre vor der Vielheit
Ein anderes Erstes als Einheit.

Warum nenn ich das Erste nicht Geist?
Weil im Geiste zweierlei ist,
Das Denkende und das Gedachte.
Ist der Geist Zweifaltigkeit,
So gilt es die Einheit zu erfassen,
Die der Zweifaltigkeit vorausgeht.
Mit dem Geist vereinigt
Ist das gedachte Objekt.
Soll nun kein gedachtes Objekt
Vereinigt sein mit der Einheit,
So kann die Einheit nicht Geist sein.
Lässt die ursprüngliche Einheit
Des Geistes Zweifaltigkeit zurück
Und geht ihr voraus und liegt ihr zugrunde,
So ist die Einheit jenseits des Geistes zu suchen.

Die allerhöchste Güte
Ist jenseits von Sein und Denken.
Das Denken über die Güte
Ist von der Güte selbst verschieden.
Die Güte geht dem Denken voraus,
Die Güte ist einfach gut
Und denkt nicht über sich selber nach.

Jene geheimnisvolle Einheit
Ist aber nicht ein gewisses Etwas,
Sondern ist vor allem Seienden.
Die Wesenheit des Einen
Ist die Schöpferin alles Daseins.
Sie ist kein gewisses Etwas.
Wie ist sie beschaffen,
Wie groß, wie klein ist sie?
Von solchen Fragen wird sie nicht berührt.
Sie ist nicht der Geist,
Sie ist nicht die Seele.
Sie ist weder Bewegung noch Ruhe,
Sie existiert nicht in Raum und Zeit.
Sie ist gestaltlose Eingestaltigkeit
Und ist vor aller Gestalt.
Die Gestalten aber in Bewegung
Haften am Seienden.

Die Gottheit, die alle Schönheit erschaffen,
Darf selber keine dieser Schönheiten sein,
Sonst wäre sie ein gewisses Etwas
Und wäre nur ein Teil des Ganzen.
So ist die Gottheit auch
Von keiner bestimmten Gestalt,
Ist auch nicht eine besondere Kraft
Und nicht die Summe aller Kräfte,
Sondern jenseits von Kraft und Kräften,
Vor aller Gestalt ist die Gottheit,
Die Urgottheit ist gestaltlos
Und erzeugt doch alle geistigen Gestalten.
Da die Gottheit nun alles Seiende schuf,
Muß sie sehr groß sein,
Ja, ihre Größe muß unendlich sein,
Unendliche Größe aber sagt,
Die Gottheit ist von keiner Größe.
Die Gottheit erstreckt sich
Über die immerwährende Ewigkeit
Und so ist ihre Dauer maßlos.

Wie wird man der Einheit inne?
Nicht durch wissenschaftliches Denken,
Sondern allein durch ihre Gegenwart,
Die von höherer Art ist, als der Verstand begreift.

Die Gottheit ist unaussprechlich,
Denn was man mit Worten benennen kann,
Ist immer ein gewisses Etwas.
Darum nenne die Gottheit
Sie, die jenseits alles Daseins
Und jenseits alles Geistes ist.
Denn das ist ihr Name, der besagt,
Daß sie keinen Namen hat.
Wir können über sie nicht sprechen,
Nicht mit menschlichen Worten
Und nicht mit englischen Worten,
Sondern, meine Geliebte, was wir tun können,
Hinzuweisen einander auf die Gottheit.

Verenge die Gottheit nicht
Auf einen Punkt,
Sondern zeige ihre Fülle!
Das heißt, um die Macht zu wissen,
Wenn du weißt, dass die Gottheit
In sich trägt
Eine Fülle von göttlichen Qualitäten,
Alle in ihr versammelt,
Alle in ihr seiend.
Stell dir, meine Geliebte, eine Quelle vor,
Die viele Ströme hervorbringt,
Sich aber nie erschöpft.
In dieser göttlichen Wesenheit
Ist das Sein, das Leben und das Denken.
Sie ist die Ewigseiende,
Sie ist das Ewige Leben,
Sie ist die Ewige Weisheit.

Die Psyche hängt ab vom Geist,
Der Geist hängt ab von der Güte,
Die Güte hängt ab von der Urgottheit.
So ist das eine der Gottheit nah,
Das andre ist der Gottheit ferne,
Am fernsten aber ist die Sinnlichkeit.

Wenn sich aber Psyche wendet
Dem Geiste zu,
Dann wird sie erlöst vom Todesleib
Und steigt hinan in die Himmel.
Psyche schwingt sich hinauf
Zu Höherem, immer Höherem,
Sie erhebt sich noch über den Geist
Und steigt zur himmlischen Güte
Und ruht in der göttlichen Güte.

Betrachte also die Psyche
Und die Göttlichkeit in der Psyche,
Denn so erkennst du den Geist.
So ziehe den Körper aus
Und ziehe die Leidenschaften aus
Und alle Narrenpossen der Begierde
Und schaue Psyche nackt
Und erkenne in der bloßen Psyche
Das Ebenbild des göttlichen Geistes.

Die Stufen des Aufstiegs
Der erlösten Psyche
Sind die Stufen der Reinigung,
Der Tugend
Und des Wandelns im geistigen Reich.

Psyche halte sich frei
Vom Wirbelsturm der Gefühle
Und lasse auch die irdische Lust
Nur leicht vorüberstreichen,
In Freiheit erhebe sie sich
Über Schmerzen und Kummer
Und befreie sich
Von der Begierde nach Niederem.
Wenn Psyche die Liebeslust begehrt,
So höchstens die sittlich erlaubte.
So strebe Psyche,
Frei zu werden und rein
Und unbefleckt
Von ungeordneten Leidenschaften.

Wie du die Schönheit schauen kannst?
Ich rate dir: Geh in dich selbst,
Und wenn, was du innen schaust,
Noch nicht ganz schön ist,
So sei wie ein Künstler,
Der eine Büste formt,
Und meißle alles ab,
Was die heilige Schönheit entstellt,
Glätte und kläre den Marmor,
Bis die Büste vollkommen ist.
Laß nicht ab, mein Lieber,
An deinem Bild zu arbeiten,
Bis dir aufstrahlt der Glanz
Der vollkommenen Güte.

Erst wenn du selber, mein Lieber,
Im Innern schön geworden bist,
Dann erst bist du fähig,
Die göttliche Schönheit zu schauen.

Ich glaube aber, dass mein Geist
Die Gottheit geschaut hat
Im Lichtstrahl,
Das war sie selbst!
Steige über alle Geschöpfe hinaus!
Hier findet der Geist
Die innere Ruhe.
Nun wird der Geist
Auch das Denken nicht mehr so hochschätzen,
Weil doch die Gottheit nicht denkt.
Psyche schaut die Gottheit,
Indem ihr denkender Geist
Verwirrt wird und verschwindet
Und nichts bleibt als die Torheit der Liebe!

Von der Schönheit der Gottheit
Kann man nicht reden und schreiben.
Den Weg kann man zeigen,
Der zur seligen Schau der Gottheit führt.
Nur die Verkündigung und die Lehre
Zeigen dir den Weg, Geliebte,
Der seligen Schau im Innern der Psyche,
Sie ist reines Geschenk der Gottheit.

Der Seher aber
Schaut die Schönheit der Gottheit
Nicht als ein Objekt in der Außenwelt,
Sondern im eignen Subjekt
Schaut er die göttliche Schönheit.
Er selbst ist der Schönheit inne,
Ob er es oft auch nicht weiß.
Was der Seher außen Schönes sieht,
Das verpflanzt er in sich selbst
Und schaut es innen
Als seine eigene Seele.

Der Seher schaut die Gottheit
In einem Bild der Schönheit.
Vereinigt er sich mit der Gottheit,
So wird er eins mit der Gottheit.

Die geschaute Schönheit
Übersteigt den Verstand.
Wer aber diese übervernünftige Schönheit
Der Gottheit in sich selbst erschaut,
Wird erhaben sein
Und demütig einfach zugleich.

Der Seher, der die Schönheit schaut
Und sich mit der Gottheit vereinigt,
Er ist nicht mehr er selbst,
Er ist hineingezogen ins höhere Leben
Und Eigentum der Gottheit.
Er ist Geliebter der Gottheit!
Er darf betreten
Das innere Brautgemach
Der bloßen Gottheit!

Der so Begnadete
Lebt nicht wie ein religiöser Mensch
In sittlicher Tugend
Als ein frommer Bürger, nein,
Er lebt und wirkt wie ein Gott,
Ein Gott von der Gottheit Gnaden.

Und bist du so vereinigt
Und eins geworden mit der Gottheit
Und seliger Gott in der liebenden Gottheit geworden,
Dann tritt aus dem inneren Brautgemach
Der bloßen Gottheit
Und gehe zu den guten Menschen,
Sie den Weg zu führen,
Ihnen von der Liebe zu zeugen!


MEDITATION ÜBER DIE WEISHEIT
DER ISLAMISCHEN MYSTIK
DES DICHTER-MYSTIKERS ATTAR

Sieben Räume musst du durchschreiten
Bis in Gottes Zimmer.

Der erste Raum ist der Raum der Suche.
Hundert Schwierigkeiten erwarten dich hier,
Hundert Prüfungen musst du erdulden.
Viele Jahre wirst du hier sein
Und große Mühen haben.
Alles musst du hier aufgeben,
Allen Besitz für nichts erachten.
Wenn du nichts mehr besitzt,
Musst du dich noch von den Geschöpfen lösen.
Dann wirst du das süße Licht
Der göttlichen Hoheit erschauen
Und deine Wünsche
Streben ins Unendliche.
Solche Sehnsucht wird dich erfüllen,
Daß du dich ganz der Gottessuche ergibst.
Du wirst einen Schluck Wein trinken
Und nichts mehr tun
Als Gott zu suchen.
Wenn die Pforte sich auftut,
Wirst du den wahren Glauben haben.

Der zweite Raum ist der Raum der Liebe.
Du musst ein flammendes Feuer sein,
Du musst ganz Flamme sein.
Dein Antlitz muss leuchten und glühen,
Deine Seele muss ungestüm sein
Wie verzehrendes Feuer.
In diesem Raum verzehrt
Das Feuer der Liebe
Den Rauch der Vernunft.
Der Verstand kann nicht zusammenleben
Mit der Torheit der Liebe!

Der dritte Raum ist der Raum der Weisheit.
Die Erkenntnis ist endlos,
Der Raum ist groß, der Weg ist lang.
Bücherwissen ist vergänglich,
Göttliche Erkenntnis bleibt.
Wie du deine Sünden überwindest,
Offenbart sich dir die Weisheit,
Jedem offenbart sich die Weisheit
Nach seinem Maß.
Der Strebende wird erkennen
Den Kern in der Schale.
Er wird sich nicht mit sich selbst beschäftigen,
Sondern schaut zur Ewigen Liebe auf.
In jedem Atom erkennt er
Die innergöttliche Liebe.

Der vierte Raum ist der Raum der Freiheit.
Du willst nichts besitzen
Und nichts Weltliches mehr entdecken.
Ein Sturm geht durch deine Seele.
Der Ozean ist dir ein Tropfen am Eimer,
Die Milchstraße ist dir wie ein Funke,
Der Himmel wie ein Leichnam
Und die Hölle wie ein Eiszapfen.
Wenn Himmel und Erde vergehen,
Ist es wie das Fallen einer Blüte vom Baum.
Wenn kein Mensch und kein Engel mehr existierte,
Würdest du dennoch nachsinnen
Über den Einen Samentropfen,
Aus dem das All geworden.

Der fünfte Raum ist der Raum der Einheit.
Alles zerbricht und wird wieder zusammengefügt.
Alle Wesen siehst du vereint in Gott.
Gott erscheint in allem.
Die Ewigkeit vor der Zeit und die Ewigkeit nach der Zeit
Sind eine einzige Ewigkeit.
Du kannst von ihr nicht sprechen.
Wenn alles vergeht und zunichte wird,
Worüber willst du dann sprechen?

Der sechste Raum ist der Raum des Wahnsinns.
Hier fällst du der Trauer zum Opfer,
Du wirst verzagt sein.
Jeder Atemzug ist ein Seufzer.
Der Tag ist Nacht, die Nacht ist Tag.
Die lebendige Flamme lodert,
Du aber bist unglücklich.
Auf wessen Herz geschrieben steht
Die mystische Einheit mit Gott,
Der vergisst sich selbst.
Fragt ihn einer: Lebst du oder bist du tot?
So weiß er die Antwort nicht.
Er wird sagen: Ich weiß nicht, wer ich bin,
Ich weiß nur, dass ich verliebt bin,
Aber in wen?
Mein Herz ist lieblos und voller Liebe!

Der siebente Raum ist der Raum des Todes.
Tausend Schatten verschwinden
In einem einzigen Sonnenstrahl.
Das Meer der Ewigkeit gerät in Wallung
Und die gekräuselten Wellen
Der jetzigen und der kommenden Welt
Versinken in dem Meer der Ewigkeit.
Der Tropfen ruht im Meer.
Du wirst gedemütigt,
Du wirst zugrunde gehen.
Dann aber taucht aus dem Meer des Todes
Die Neue Schöpfung.
Du wirst aufhören zu existieren,
Doch deine Schönheit bleibt.
Du bist nicht mehr,
Doch jetzt erst wirst du wirklich sein.

Nun schaut der Weise
Im innersten Brautgemach
Die fünffach verschleierte Gottheit.
Die Gottheit lässt den ersten Schleier fallen –
Der Weise ist trunken von Ewiger Liebe!
Die Gottheit lässt den zweiten Schleier fallen –
Dem Weisen ist aller Irrglaube geschwunden!
Die Gottheit lässt den dritten Schleier fallen –
Dem Weisen ist das Ego gestorben!
Die Gottheit lässt den vierten Schleier fallen –
Der Weise ergibt sich dem Willen Gottes!
Die Gottheit lässt den fünften Schleier fallen
Und offenbart sich als bloße Gottheit –
Der Weise ist vergottet
Und ist zum Gott in der Gottheit geworden!


MEDITATION ÜBER DIE WEISHEIT
DES JÜDISCHEN NEUPLATONISMUS
DES PHILO VON ALEXANDRIEN

Die Suche nach der Gottheit,
Dem besten Wesen der Welt,
Der Unvergleichlichen,
Der Urheberin alles Seienden,
Diese Suche ergreift die Seele
Und bleibt nicht ohne Erfolg,
Da die Gottheit selbst
Gemäß der Gnade ihrer Gottnatur
Dem Sucher entgegenkommt
Und sich jenem Mann,
Der sie zu schauen begehrt,
In der lichten Wolke offenbart
Soweit es irgend möglich ist,
Daß der Mensch in seinem Wissen
Sich der göttlichen Schönheit nähert.

Das gesegnete Geschlecht der Menschen,
Die die Gottheit verdolmetschen,
Sind die prophetisch Begeisterten,
Besessen von der Gottheit,
Genießend die göttliche Trunkenheit.

Die göttliche Schönheit zu schauen
Wird allein gewürdigt der Geist des Menschen.
Von oben eingeblasen,
Der Geist beachte nicht den Körper
Mit seinem Appetit,
Beachte auch nicht die leibliche Seele
Mit ihren Begierden,
Verzehrenden Leidenschaften
Und brennenden Lüsten.

Von keinem Geschöpf laß dich zurückhalten,
Sondern erhebe dich über jedes Geschöpf.
Geist, sei königlich
Und lerne zu herrschen
Und laß dich nicht beherrschen von Geschöpfen.
Erkenne dich selbst!
Verlasse die irdische Welt,
Entfliehe deinem befleckten Körper
Und reiße dich los mit aller Gewalt
Von den Begierden des Körpers
Und aller körperlichen Lüsternheit!

Extase ist erstens ein Wahnsinn,
Der dich zum Idioten macht,
Extase ist zweitens ein Schock
Über den jähen Einbruch des Schicksals,
Extase ist drittens die Ruhe
Des Geistes im Arm der Ewigkeit,
Extase ist viertens Begeisterung,
Wenn die Gottheit selbst dich berührt
Und du prophetisch redest und handelst.

Solange noch der menschliche Geist
Mit aller seiner Erkenntnis
Nach allen Seiten in dir strahlt
Wie Mittagssonne in der Seele,
Sind wir noch nicht besessen
Vom guten Dämon der Weisheit.
Wenn aber dein Verstand mit allem Wissen
Versinkend untergeht, erhebt sich
Die göttliche Weisheit selbst
Mit ihrem liebenden Wort.
So geht es prophetisch begeisterten Menschen.
Der Geist des Menschen verstummt
Vor dem Wort der göttlichen Weisheit.
Wie kann ein Sterblicher
Zusammenwohnen
Mit der Unsterblichkeit?
Darum führe deinen Verstand
In die Nacht des Denkens
Und bereite dich darauf vor,
Daß in der Extase
Die Gottheit selbst dich entzückt!

O Seele, wenn du das Verlangen spürst,
Die Ewigkeit zu erben
Und die Gottheit zu genießen,
So verlasse nicht nur den Körper
Mit seinen animalischen Trieben,
Verlasse auch die Seele
Mit ihrem Verlangen, ihrer Begierde,
Ihrer Leidenschaft und ihrer Wollust,
Und verlasse deinen Verstand
Und all dein menschliches Wissen
Und werde zum Besessenen,
Besessen vom guten Dämon der göttlichen Weisheit,
Und lass dich von der Gottheit selbst
Begeistern und verzücken.
Herrsche nicht selbst
Über deine Vernunft,
Dein logisches Denken,
Dein menschliches Wissen,
Das Stückwerk deiner Erkenntnis,
Sondern weihe deine menschliche Weisheit
Der göttlichen Weisheit ganz
Und laß dich von dieser Herrin beherrschen!

Bist du so aus dir hinausgegangen,
Wirst du nicht nur Seher sein,
Sondern die Ewige Gottheit genießen!


MEDITATION ÜBER DIE WEISHEIT
DES KATHOLISCHEN NEUPLATONISMUS
DES HEILIGEN DIONYSIUS AREOPAGITA

Lass nicht ab, mein Geliebter,
Dich in mystischer Schau zu üben!
Entsage der Kunst des Verstandes,
Leg ab die Sinnlichkeit
Und ziehe die Klugheit aus,
Sei nackt von allem Seienden
Und nackt vom leeren Nichts
Und erhebe dich dann
Zur heiligen Indifferenz –
Fliege über den Kosmos hinaus
Bis an die Schwelle der Verschmelzung
Mit der Gottheit der Liebe,
Die über alles Wissen schön ist!
Erst wenn du dich deiner selbst entledigt
Und ohne alle vergängliche Kleidung nackt bist,
Wirst du in trunkner Extase
Dich bis zum schwarzen Glanz erheben,
Der die Urgottheit umhüllt
In Ewigkeit vor aller Schöpfung,
Dort wirst du nackt von allem,
Was dich zum Dasein macht,
Eingehn in die Gottheit.

Wer in den Schoß allen Seins will schauen,
Lasse zurück die Scheidung
Von heilig und verrucht –
Lasse zurück das Tal des Triebes
Und den Berg der Läuterung
Und die Höhepunkte der Heiligkeit
Und schwebe über aller Schöpfung
Und fliege über allem Licht
Und gehe über die Klarheit hinaus
Und durchschreite die Gründe des Paradieses
Und hinter dem zeugenden Logos,
Jenseits aller Grenzen,
Schaue den Schoß der Gottheit!

Denke einen Bildhauer dir,
Der mit Hammer und Meißel
Aus dem Marmorblock
Das innewohnende Bild
Des göttlichen Ideals der Schönheit
Herausschlägt mit Kraft und Kunst.
Alles was du tun musst,
Ist die Hindernisse fortzuräumen.
Nimm alles weg, was nicht göttlich ist!
Dann wird die verhüllte Schönheit
Mehr und mehr sich offenbaren
Und schließlich schaust du das Ideal
Der Schönheit der bloßen Gottheit!


MEDITATION ÜBER DIE WEISHEIT
DER KARMELITISCHEN BRAUTMYSTIK
DES HEILIGEN JOHANNES VOM KREUZ

In dunkler Nacht
Loderte die lebendige Liebesflamme,
Unaussprechlich die Glückseligkeit,
Da bin ich fortgegangen
Und ließ mein Haus im Schlaf zurück.
Heimlich ging ich,
Vermummt, die Treppe hinunter,
Verborgen in der Dunkelheit,
O Lust der Liebe,
Und ließ mein Haus im Schlaf zurück.
Keiner sah mich
In dieser gesegneten Nacht,
Auch wollt ich keinen Menschen sehen,
Nichts führte mich
Als diese Glut des Herzens,
Sie hat mich geführt
Besser als das Licht des Tages.
Die Ewige Liebe macht sich zurecht für mich,
Sie, die ich liebe,
Und kein Geschöpf hat uns gestört.
O stille Nacht, die seliger ist
Als die Morgenröte,
In deinem schwarzen Seidenkleid
Liegen die Geliebten vereint,
Da die Macht der Liebe
Den Geliebten in die Gottheit versenkt.
Ich lag an ihren Brüsten
Und genoss die Seelenruhe.
Sie labte und erquickte mich
Und erfrischte mich mit ihrem Hauch,
Als schon die Lüfte der Morgenröte
Mit ihren langen schwarzen Haaren spielten,
Fühlte ich, wie sie mich streichelte
Am rechten Arm.
Das war unvergleichlich zärtlich
Und mir schwanden die Sinne.
Ich trank den Trank des Vergessens
Und blieb an die Geliebte geschmiegt
Und ließ mein Ich versinken
Und wurde von der Geliebten eingewiegt
Und all mein Kummer
Ist verschwunden
In ihrem Rosengartenparadies.