Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

Epikur und Epiktet



Von Josef Maria Mayer


EPIKUR
ODER
DIE HÖCHSTE LUST


Bei mir hier fühle du dich gut:
Die LUST ist hier das Höchste Gut!

Der Garten reizt den Hunger nicht,
Er stillt ihn! Hier ist kein Verzicht.

Wer um das Morgen trägt nicht Sorgen,
Geht mutig, freudig in das Morgen.

Beneide nicht! Die Gütigkeit
Verdient ja keinen bösen Neid.
Der Böse kehrt ins Nichts zurück,
Je mehr er sich ergötzt am Glück.

Vier Medizinen nimm zur Hand:
Die Gottheit schreckt nicht den Verstand;
Leg ab die Bangnis vor dem Tod;
Das Gute Antwort gibt der Not;
Und sei bereit an allen Tagen,
Das Übel sollst du leicht ertragen.

Den guten Menschen sollst du lieben
Und niemals seinen Geist betrüben,
Leb immer unter seinen Augen
Und müh dich, seinem Geist zu taugen.
In allem irdischen Geschehen
Tu so, als würde er dich sehen.

Bei der Begierde frage dich:
Was folgt daraus denn einst für mich?
Was, wenn Begierde sich und Willen
Und Wünschen einmal gar erfüllen?
Und was, wenn die Begierde nicht
Erfüllt wird? Also denke schlicht.

Such morgen besser noch zu leben
Als heut. Du sollst dein Bestes geben.

Ob uns die andern loben werden?
Entscheiden sollen das auf Erden
Die lieben andern Leute selber.
Du aber werd vor Neid nicht gelber,
Wenn man dich nicht lobt oder weil
Man andre lobt. Du such dein Heil!

Der Weisheit-Liebe-Schönheit Dreiheit,
Die suche nur, dann kommt die Freiheit.

Die schlechte Angewohnheit wollen
Und alle unsre Laster sollen
Wie alte Feinde wir verjagen,
Die plagen uns seit vielen Tagen.

Die eigene Natur nicht quäle,
Berede leise deine Seele,
Berede leise die Begierde,
Begierde still mit Zierrats Zierde,
Sofern sie dir nicht schaden kann,
Die schädliche lehnt ab der Mann.

Mit Weisen sprich von hohen Sachen,
Zu gleicher Zeit du sollst auch lachen,
In Ordnung halte deine Wohnung.
Verhalte dich mit milder Schonung
Und nütze deine Fähigkeiten,
Verkünde in der Welten Weiten
Mit Lachen und mit frommer Leisheit
Die Einsicht, die geschenkt Frau Weisheit.

Ein Staat in Aufruhr ist nicht glücklich,
Unglücklich wird auch augenblicklich
Die Wohnung, wo in Zwistigkeit
Hausmann und Hausfrau sind im Streit,
Unglücklich ist auch stets die Seele
Und immer selbst das Herz sich quäle
Und immer jene Seele leidet,
Die in sich mit sich selbst sich streitet.
Den Streit entferne aus der Brust,
Sonst findest nie du süße Lust.

Schön ist es, Gutes zu bekommen,
Doch Gutes tun ist einem Frommen
Noch schöner, solche Herrlichkeit
Und Lust bereitet Dankbarkeit.

Du kannst leben nicht in Lust
Ohne Weisheit in der Brust,
Ohne Wissen in dem Schädel,
Sei besonnen, sittsam, edel.
Edel aber und besonnen
Und gesittet in den Wonnen
Und vernünftig in der Brust
Bist du nur, genießt du Lust.

Keiner schaut das Schlechte an,
Wählt es dann als schlechter Mann.
Nein, geködert wird der Schlechte,
Schlechtes er als Gut sich dächte.
Wem das Schlechte gut gefallen,
Wird in großes Übel fallen.

Was sie selbst sich vorgenommen,
Das tun selbst nicht die Unfrommen.
Eine Scheinlust lockt die Toren
Und so an den Trug verloren,
Schwach gefesselt von Genuss,
Von dem flüchtigen Erguss
Eitler Scheinlust Toren lenzen,
Sehen nicht die Konsequenzen.
Kleine eitle Lustempfindung
Ohne jede Überwindung,
Ob man auch verzichten könnte,
Ohne dass man sich verbrennte,
Schaden bringen sie im Lande
Und die öffentliche Schande,
Und weil sie sich nicht gedulden,
Bringen sie sich in Verschulden
Und erlangen Spott der Dichter
Und die Strafe strenger Richter.
Doch die Weisen, die die Lust
Mit der Weisheit in der Brust
Nach der Weisen Art genießen,
Keine Schmerzen draus ersprießen,
Die Besonnenheit bewahren
Und sich hüten vor Gefahren,
Nicht der Lust zum Opfer fallen,
Lassen sich die Lust gefallen
Schöner als Poeten dichten,
Weil sie auf die Lust verzichten!

Seelen haben Lust und Schmerzen,
Fühlen Schmerz und Lust im Herzen,
Weil sie Schmerz und Lust am Leibe
Fühlen gleich dem feinen Weibe.
Lust macht fröhlich eine Seele,
Schmerz die Seele aber quäle.
Doch der Ursprung, liebes Weib,
Liegt begründet in dem Leib,
Wirkt auch auf den Leib zurück,
Seelenqual und Seelenglück.
Aber Wonnen oder Schmerzen
Größer sind im Seelenherzen
Als sie jemals sind im Leib,
Glaub mir das, du liebes Weib.
Denn im Leibe spürt man nur
Gegenwärtige Natur,
In der Seele aber auch
Des Vergangnen Schattenhauch
Und der Zukunft Hauch und Schatten.
Lehren doch der Weisheit Gatten,
Daß der Körper Schmerz empfindet,
Doch wer Seelenschmerzen findet,
Leidet mehr als der am Leib,
Glaub mir das, du liebes Weib.
Wenn die Seele nämlich denkt,
Über ihr das Unheil hängt,
Daß die Schmerzen ewig seien,
Welcher Gott kann sie befreien?

Weder Unmaß roten Weines
Und das Weib, und sei’s ein feines,
Sei sie reizend oder keusch,
Und auch nicht Genuss von Fleisch,
Sie erwecken nicht die Lust,
Sondern Weisheit in der Brust,
Die Vernunft, die die Erscheinung
Recht beurteilt, leere Meinung
Abweist und besonnen wählt
Und den Schritt gemessen zählt.
Ursprung allerhöchster Lust
Die Vernunft ist in der Brust,
Die Vernunft als Allgesetz,
Nicht Gelehrter Wortgeschwätz,
Die Vernunft in ewger Jugend
Ist die Mutter jeder Tugend.
Denn Vernunft lehrt diese Kunst:
Ist nicht Lust und ist nicht Brunst
Ohne die Gerechtigkeit,
Edle Selbstbesonnenheit.
Doch das Leben in der Tugend
Ist in Alter oder Jugend
Ganz unmöglich ohne Lust,
Ohne Freude in der Brust.

Wer lebt in holder Freundlichkeit,
Wohlwollen findet er bereit
Und wird im Leben Liebe finden,
So lebt er ruhig, ohne Sünden.
Und so kann seine Seele ruhn
Und Falsches braucht er nicht zu tun.

Die Freundschaft tanzt in dieser Welt,
Den Freund mit ihren Händen hält,
Die Freundschaft fordert auf den Weisen,
Die Göttin Freundschaft hoch zu preisen!

Der immer an sich selber denkt
Und niemals seinem Nächsten schenkt,
Ein wahrer Freund kann der nicht sein.
Wer nur an andre denkt allein
Und dient, was immer jene treiben,
Wird Freund dir nicht auf Dauer bleiben.

Beim Essen so wie auch beim Trinken,
Ja bei des roten Weines Blinken,
Schau du, mit wem du isst und trinkst
Und wem du mit dem Becher winkst.
Denn ohne Freundschaft gleicht das Leben
Mit allem Fleisch und Blut der Reben
Der Fütterung von wilden Wölfen.
Laß dir von Göttin Freundschaft helfen!

Du lebe still und tief verborgen,
Gott gibt dir Hoffnung für das Morgen!

Zieh du dich in dich selbst zurück
Und finde in dir selbst das Glück,
Bist du gezwungen, nicht allein,
Vielmehr bei dummem Volk zu sein.

In deinem Leben tu du nichts,
Was scheut die Helligkeit des Lichts,
Was scheut der weisen Männer Tadel,
So lebst du würdig deinem Adel.

Doch wenn du etwas heimlich tust
Und nicht mehr in der Seele ruhst
Und lebst im Innern voller Sorgen,
Die Untat bleibe nicht verborgen,
So wirst du stets voll Unruh bleiben
Und stets der Stachel wird dich treiben,
Daß man die Untat wird entdecken,
Was würde dich zutiefst erschrecken.

Natur lehrt, was uns das Geschick
Zuteilt an Unglück oder Glück,
Für unbedeutend dies zu halten.
So lehren es die weisen Alten,
Daß stets der Glückliche betrachte,
Was Unglück sei, das Glück nicht achte,
Daß der Unglückliche bedenke,
Was immer auch das Glück ihm schenke,
Sei flüchtig und vergänglich, eitel.
Ruht Weisheit dir auf deinem Scheitel,
Verschwende, Weiser, nicht den Blick
Und schau nicht nach dem eitlen Glück.
Was immer dir das Schicksal schenkt,
Frau Weisheit nur den Weisen lenkt.

Frau Weisheit ist uns Führerin,
Denn sie besitzt den wahren Sinn
Und trägt die Kunst in ihrer Brust
Und kennt den Weg zur wahren Lust,
Frau Weisheit nur vertreibt die Trauer,
Frau Weisheit schenkt dir Lust auf Dauer!

Denk an den Tod, den Flug zu Sternen,
Klug ist es, von dem Tod zu lernen,
Willst du es lernen, fromm zu sterben,
So wirst du wahre Weisheit erben.

O Freundschaft! In der Todesstunde
Bekenne ich mit meinem Munde:
Groß sind die Schmerzen meines Leibes,
Doch denke ich des schönsten Weibes,
Der Göttin Freundschaft, voller Schaudern,
Wie schön wärs doch, mit dir zu plaudern!

Durch die Natur des Menschen bist
Du sterblich zwar, o Mensch, doch ist
Durch die Vernunft und Weisheit dir
Gegeben Leben für und für,
Du schaust, was war und ist und sein wird,
Ein Leben Gottes, welches dein wird!

Der Mensch, damit er nicht verschlimmert,
Der gute Mensch, der Edle kümmert
Um Freundschaft sich in stiller Leisheit
Und um die makellose Weisheit.
Die Freundschaft steht vielleicht ihm näher,
Die wahre Weisheit steht doch höher.

Bei aller Arbeit kommt Profit,
Nachdem man schwer sich abgemüht.
Allein der Weisheitssucher findet
Schon, wenn die Weisheit er ergründet,
Gewinn in allem seinem Mühen,
In seinem für-die-Weisheit-Glühen.
Genuss ist nicht die Folge nur
Der Einsicht in die Gottnatur,
Erkenntnis und Genuss, sie kommen
Im gleichen Augenblick den Frommen!

Ich sage dir: Frau Weisheit liebe,
Ergründe du in Weisheitsliebe
Das Allgeheimnis der Natur,
Den Elementen auf der Spur.
Im Kloster der Chloride du
Alleine findest Seelenruh.

Ich möchte lieber offen schreiben
Und immer bei der Wahrheit bleiben,
Ob auch die Welt nicht applaudiert,
Als wie ein Affe ganz vertiert
Zu feiern nichts als die Erscheinung
Und Oberflächlichkeit der Meinung
Und mitzutanzen in dem Trubel,
Beklatscht von hohler Narren Jubel.

Die Menge hab ich nie begehrt,
Die Pöbelmenschen ungelehrt,
Denn was dem dummen Volk gefällt
Und wozu applaudiert die Welt,
Das habe ich nie gut geheißen.
Die Einsicht eines frommen Weisen
Ward von den Narren nie begriffen,
Die lieber sich den Dummkopf griffen.

Zuschauen mag ich im Theater
Der Welt und preisen auch den Vater
Für das Mysterium des Weines
Und für die Kunst des schönen Scheines.
Doch Dichterkriegen und Kritik
Von Kritikastern weist zurück
Mein Geist, der nicht dran denken mag
Bei meines Freundes Trinkgelag.

Was willst du denn von Philosophen,
Die weise sind wie Kammerzofen
Und Schmerzen nicht zu lindern wissen?
Der Arzt tut Heilkraut in das Kissen,
Des Philosophen Lehre soll
Des Trostes voll sein, übervoll
Der Kraft zur Heilung, wahrlich, weiland
Frau Weisheit war ein großer Heiland.
Frau Weisheit sollst du liebend bleiben,
Sie wird den Schmerz aus dir vertreiben.

Wir sehen doch, dass dieses Leben
Chaotisch ist und mitgegeben
Dem Leben ist Unwissenheit
Und Torheit und Begierlichkeit
Und Angst und Sorgen. Vor dem Sturm
Des Chaos stehe fest der Turm
Der Weisheit! Mit Gelassenheit
Betrachte die Begierlichkeit
Und schau des Schicksals dumme Launen
Gelassen an. Was ist zu staunen?
Der Narr hat Schmerzen in der Brust,
Frau Weisheit nur schenkt wahre Lust.

Wer ist wohl stärker als der Mann,
Der betet Gott als Vater an
Und ohne Angst dem Tod begegnet
Und der von Weisheit ward gesegnet
Und hat erkannt des Lebens Spiel
Und seines Lebens höchstes Ziel
Und der von Kindheit an und Jugend
Gesucht die Frömmigkeit und Tugend
Und der das Gute immer tut
Und Güte nennt das Höchste Gut,
Dem Schicksal aber nicht vertraut,
Den Launen nicht der Schicksalsbraut
Vertraut, die manche nennen Herrin,
Der Aberglaube preist die Närrin.
Sich selber prüft der weise Mann
Und schaut sich seine Fehler an,
Bereut, bekennt und bessert sich
Und so veredelt er sein Ich.
Nicht Zufallsgott, nicht Schicksalsgöttin,
Frau Torheit nimmt er nicht zur Gattin,
Frau Weisheit nur mit Leidenschaft
Liebt er, der voll der wahren Kraft.

Zu Gott zu beten, Gott zu preisen,
Das ist die Weisheit aller Weisen,
Nicht etwa, weil Gott zürnen würde,
Wenn wir mit aller unsrer Bürde
Nicht vor den großen Vater treten,
Den Herrn und Schöpfer anzubeten,
Nein, weil es logisch konsequent ist,
Ob Gott dir auch nicht evident ist,
Dass Gott das Höchste Wesen ist,
Was du der Gottheit zubemisst,
Ist die erhabne Leidenschaft
Und schöpferische Zeugungskraft!

Der ist nicht töricht, der die Götzen
Verwirft der Hexen und der Metzen,
Nein, töricht ist der dumme Tropf,
Der nach des Narren hohlem Kopf
Und seiner irrgegangnen Meinung
Und Kleben an der Welterscheinung
Der Gottheit Wesen definiert
Und sich in Narretei verliert.
Des Pöbels närrisches Geschwätz
Ist doch kein göttliches Gesetz,
Ist nichts als Vorurteil und Meinung
Und Kleben an der Welterscheinung.

Die Gottheit, ja, die Gottheit preise
Mit aller frommen Kunst der Weise
Und preise die Unsterblichkeit
Der Gottheit, die Glückseligkeit
Der Gottheit, geb ihr keine Art,
Die niemals sich harmonisch paart
Mit göttlicher Unsterblichkeit
Und göttlicher Glückseligkeit.
Was sich harmonisch läst vereinen
Mit beiden Arten dieser einen
Allgottheit, schreib der Gottheit zu,
Sie sei allein dir Seelenruh,
Ruh in der Gottheit Ewigkeit
Und Ewigen Glückseligkeit!

Der Weise liebt der Gottheit Wesen,
Der Weise weiß sich auserlesen,
Der Gottheit Wesen nahzukommen,
So ist verheißen es den Frommen.
Den Frommen will die Gottheit führen,
Die Gottheit möchte er berühren,
Er möchte mit der Gottheit rein
Verbunden und zusammen sein.
Der Weise ist der Gottheit Freund –
Die Gottheit ist des Weisen Freundin!


EPIKTET
ODER
DIE HEILIGE TUGEND

Hast du dir etwas vorgestellt,
Was deinem Geiste nicht gefällt,
So sage gleich mit weisen Worten:
Vorstellungen von solchen Sorten,
Vorstellung ist es nur, sonst nichts.
Der Prüfung deines Geisteslichts
Dann unterziehe die Vorstellung
Und denke dir bei der Erhellung:
Ob der Vorstellungen Gestalt
In deiner eigenen Gewalt,
Ob du auf sie, die dich erfasst,
Doch keinen eignen Einfluss hast.
Ist die Vorstellung ganz und gar
Von dir selbst unbeeinflussbar,
So sage als ein weiser Mann:
Das geht mich weiter gar nichts an!

Zuerst entferne die Begierde,
Denn willst du einer Zierrat Zierde
Und steht es nicht in deiner Macht,
Daß es dir werde zugebracht,
Unglücklich wirst du immer sein,
Begierde bringt des Unglücks Pein.
Was du erlangen aber könntest,
Was wert wär, dass du dafür brenntest,
Das dich noch nicht begehrlich fand,
Das Gut ist dir noch unbekannt.
Abneigung walten lass und Trieb,
Begehre ruhig, was dir lieb,
Doch wähle aus das wahre Glück
Und halt vom Unheil dich zurück
Und sei in allem sachte, sacht,
Und traue auf der Tugend Macht.

Bei allem, was dein Seelchen freut,
Was Nutzen schafft, dein Herz erneut
Erfüllt mit Lust und was dir lieb
Und was Genuss ist deinem Trieb,
Erwäge mit dem Geiste nur
Das wahre Wesen der Natur:
Denn liebst du eine Rotweinflasche,
So sage dir: Nach Wind ich hasche,
Was ist das, was ich liebe? Das
Ist nichts als ein fragiles Glas.
Und liebst du ein sehr schönes Weib
Und liebst du ihren Wonneleib,
Denk an die menschliche Natur
Und sage dir im Geiste nur:
Der Schönheit ist die Zeit verderblich
Und dieses schöne Weib ist sterblich.
Ist dieses Weib dann nicht mehr da,
Sagt doch dein Geist zur Gottheit Ja.

Es schrecken nicht die Dinge selber,
Allein die Meinung macht dich gelber,
Daß dieses Ding entsetzlich sei.
Der Weisen Weistester war frei,
Den Tod selbst schrecklich nicht zu finden.
Bangst du vorm Tod in deinen Sünden,
Ist schrecklich dir des Tods Erscheinung,
So ist es nichts als deine Meinung.
Und stößt du auf ein Hindernis,
Das dich betrübt mit Finsternis,
So klage keinen andern an.
Verwirf die Meinung nur als Mann,
Dass dieses Hindernis sei schlimm
Und das es sei aus Gottes Grimm.
Der Tor klagt immer andre an,
Sich selbst verklagt der weise Mann,
Der an der Weisheit Anfang steht.
Wer auf der Weisheit Gipfel geht,
Klagt niemals einen andern an
Und ehrt sich selbst als weisen Mann.

Auf fremden Vorzug sei nicht stolz.
Es wäre doch so dumm wie Holz
Ein eingebildet eitles Pferd:
Wie schön ich bin! Was bin ich wert!
Doch diese Narren du verhöhne:
Wie ist doch meine Stute schöne!
Stolz auf die Schönheit deiner Stute,
So ist dem Narren nur zumute.
Vorstellung richtig zu gebrauchen
Und nicht in Wahnsinn einzutauchen,
Sei du allein auf solches stolz.
Bei allem andern sag: Was solls!

Wenn du auf einer Seefahrt bist,
Das Schiff jedoch im Hafen ist,
Du gehst, um Wasser dir zu holen,
Da findest du vor deinen Sohlen
Wohl eine Muschel oder Zwiebel.
Jedoch bewahre dich vor Übel
Und denke immer an das Schiff,
Das Schiff stets in Gedanken triff,
Ob dich der Kapitän schon ruft.
Wenn dich der Kapitän beruft
Zurück aufs Schiff, so eile eilig.
Und so auch, willst du leben heilig,
Wenn du wie eine Muschel findest
Ein schönes Weib, dich an sie bindest,
Sie liebst mit ihrem Purpurmündchen,
Und wenn du liebst ein kleines Kindchen,
Dann lass das alles nur zurück,
Ruft dich der Kapitän zum Glück
Ins Schiff, und schaue dich nicht um.
Bist du ein alter Mann, nicht dumm,
Entferne niemals dich vom Hafen,
Im Hafen sollst du wachsam schlafen,
Mit einem Beine schon im Grab,
Bald fährt das Schiff gen Heimat ab!

Bei allem, was dir je begegnet,
Schau, wie du wirst von Gott gesegnet.
Aus allem sollst du Nutzen ziehn
Und innerlich im Geist Gewinn.
So siehst du eine von den Schönen
Und reißt es dich zu heißem Stöhnen
Auf ihrer weißen Brüste Hügeln,
So sollst du dich in Reinheit zügeln.
Begegnet dir ein schweres Amt,
So plötzlich Kraft in dir entflammt.
Begegnet dir ein Ungemach,
Dir Unglück, Leiden, Spott und Schmach,
So plötzlich kommt zu dir Geduld,
Du duldest alles voller Huld.

Sag nie: Ich habe was verloren!
Erweise dich als neugeboren.
Ging dir verloren deine Wohnung,
So schone dich mit milder Schonung
Und suche das als neues Glück:
Dem Vater gab ich sie zurück!
Und ist dein kleines Kind gestorben,
Im Mutterschoße dir verdorben,
So glaube weiter an das Leben:
Ich hab es Gott zurückgegeben!
Und ging dein schönes Weib verloren,
Erweise dich als neugeboren:
So wie ich durfte sie erlangen,
So ist sie nun von mir gegangen,
Der Herr gegeben hats dem Frommen,
Dem Weisen hats der Herr genommen,
Ich weihe die Geliebte Gott,
Das Weib, den Odem im Schamott.
Sind Menschen oder schöne Dinge
Geliehen dir, so fröhlich singe,
Behandle sie nach ihrer Art,
Als Pilger auf der Pilgerfahrt.

Fortschreiten willst du in der Tugend?
Sei ruhig, wenn dich dumme Jugend
Für einen Ungelehrten hält
In allen Dingen dieser Welt.
Auch lächle, wenn die Toren toben
Und sie dich über Maßen loben.
Dir soll vor Lorbeerkränzen grauen,
Du sollst dir selber nicht vertrauen.
Denn wisse, es ist gar nicht leicht
Für den, der Weisheit schon erreicht,
Daß er die Dinge dieser Welt
Zugleich im Auge fest behält.
Das Weltkind weiß von Weisheit nichts,
Die Welt verschmäht der Sohn des Lichts.

Vergiss nicht, dass du dich im Leben
Verhältst, wie wenn beim Blut der Reben
Und Fleisch beim Gastmahl du zu Gast,
Man reicht dir Speise, jeder prasst,
Du aber nimm davon bescheiden.
Doch wenn des Fleisches Augenweiden
Vorübergehen ungenossen,
Das tragen Weisheits-Weggenossen
Geduldig, tapfer, ehrenhaft.
Kommt nicht zu dir der Rebensaft,
So sehr es dürstet auch den Frommen,
Die Traube will und will nicht kommen,
So lächle du voll sanfter Huld
Und üb dich heilig in Geduld.
Genauso halt es mit dem Weib
Und ihrem Augenweiden-Leib
Und mit der Ehre und dem Ruhm.
Willst du in Gottes Heiligtum
Und Säule sein in Gottes Tempel,
Die Weisen nimm dir zum Exempel,
Zwar bot man ihnen zum Genuss
Das Fleisch und auch des Bechers Kuss,
Sie aber blieben bei dem Fasten.
Nicht die, die mit dem Fleische prassten,
Nein, die im Fasten sich nicht schonen,
Die werden bei der Gottheit wohnen!

Bedenke doch, o Mensch, o hör,
Im Welttheater ein Akteur
Bist du und spielst im Weltbetrieb
Die Rolle, die der Dichter schrieb.
Mal ist das Stück sehr kurz, sehr bang,
Mal ist das Stück sehr froh, sehr lang.
Du sollst den Eremiten spielen?
So frage nicht nach andern Zielen.
Den Waisen sollst du Vater sein?
So lass den Waisen nicht allein.
Sollst nicht des Nächsten Weib begehren,
Die Himmelskönigin verehren,
Was immer auch der Dichter wolle,
Akteur, spiel herrlich deine Rolle.
Dein Amt ists einzig, gut zu spielen.
Doch nach des Welttheaters Zielen
Du frage kritisch nicht als Richter,
Denn das entscheidet nur der Dichter.

Der Tod soll dir vor Augen schweben,
Denkst du an ihn in deinem Leben,
So wirst du nichts Vulgäres denken
Und nicht in Schande dich versenken
Und keine Frau zu sehr begehren,
So lehren es die Weisheitslehren.

Du willst ein Freund der Weisheit sein?
So stelle dich schon darauf ein,
Die Narren werden dich verlachen
Und grimmige Grimassen machen
Und werden böse dich verspotten:
Frau Weisheit soll dich wohl vergotten
In einer liebenden Extase?
Was trägst du doch so hoch die Nase?
Du dulde nur der Spötter Spot
Und tu, wozu beruft dich Gott.
Denn tust du fleißig Gottes Amt,
Ob dich der Frevler auch verdammt,
Sie, die dich einst so laut verlacht,
Verspottet mit des Herzens Nacht,
Wenn Gott erfüllt dir dein Begehren,
Dann werden sie dich noch verehren!
Doch weichst du von der Weisheit Weg
Und gleitest auf dem schmalen Steg
Und folgst den Sündern und den Spöttern,
Sie werden dich zuletzt zerschmettern!

Freund, wenn es einmal dir begegnet,
Daß du, um von der Welt gesegnet
Zu werden, dich nach außen wendest,
Sogleich die Innenwelt beendest
Und einen Schatz verloren hast,
So werde selbst dir wieder Gast
Und sammle dich in innrer Sammlung
In einer liebenden Versammlung.
Willst du, dass man dich weise nennt,
Als Dichter-Denker dich erkennt,
Wer spricht dir diese Würde zu?
Ich bin ein Weiser, sag dir du!

Primat in aller Frömmigkeit,
Dies wisse du, ist dass du weit
Und hoch von deiner Gottheit denkst:
O Gottheit, die du alles lenkst
Und gut und ganz gerecht regierst
Und mütterlich durch Vorsicht führst
Und die du mich berufen hast,
Ich sei in Ewigkeit dein Gast,
Ich will in alles ja mich schicken
Und immer voller Demut nicken.
Es wird zuletzt vollkommen gut,
Du, Gottheit, bist mein Höchstes Gut.

Es ist in jedem Falle Pflicht,
Das ändert auch der Denker nicht,
Trankopfer darzubringen Gott
Und Speiseopfer ohne Spott
Nach frommer Weise unsrer Väter,
Rein wie die Quintessenz, der Äther,
Gleichgültig nie und willenlos,
Nie lieblos, nie gedankenlos,
Nie müßig, nie wie der nichts schafft,
Nicht opfernd über deine Kraft.

Ein meisterhaftes Vorbild wähle
Und folge ihm mit deiner Seele,
Ob du bist in Geselligkeit,
Ob du allein in Einsamkeit.

Gott! Führe mich, ich liebe dich!
Vorsehung Gottes! Führe mich!
Wohin ich gehen soll auf Erden,
Was ich noch werden soll im Werden,
Ich folg dir, Gottheit, unbedingt,
Dir, Gottheit, meine Seele singt!
Wer alles Leid geduldig trägt,
Dem wird der Name beigelegt
Des Philosophen, Theologen.
Drum, Freundin, Gott ist mir gewogen,
Es wird ja, wie es Gott beliebt,
Ob mir mein Feind den Tod selbst gibt,
In meinem Blut sein Messer rötet,
Er doch nicht meine Psyche tötet.
Die Psyche hat mir Gott gegeben
Und schenkt sie mir im Ewgen Leben.