Ein Trauerspiel
Von Josef Maria Mayer
„So hat Thusnelda
Hermann noch niemals geliebt.“
(Klopstock)
ERSTER AKT
ERSTE SZENE
(Heiligenkirchen im Teutoburger Wald. Hermann und Klopstock.)
HERMANN
Ich ruf euch, alte Götter der Teutonen,
Dich, Bragi, dass du meine Telyn stimmst,
Iduna, dich, dass du mich inspirierst,
Iduna, makellose Jugendgöttin
Mit deinen Äpfeln der Unsterblichkeit,
Laß mich hinein in deinen Apfelgarten,
Ins Apfelgartenparadies des Himmels!
Dich ruf ich auch, du immerschöne Nanna,
Du jugendliche sanfte Wanengöttin,
Die du dem Baldur ewig Treue schworst
Und bist gefolgt ihm in den Feuertod,
Doch nach der großen Götterdämmerung,
Wenn alle Asengötter der Germanen
Den Tod gestorben sind und sind dahin,
Dann werden auf des Himmels Idafeld
Zwei Throne stehen, Baldurs Thron und Nannas.
Dich ruf ich auch, du Freundschaftsgöttin Hlyn,
Laß mich dein Freund sein, Freundschaftsgöttin Hlyn,
Du sanfte Freundin Unsrer Lieben Frouwe!
KLOPSTOCK
Heil, Hermann von Walhalla, Friede, Friede!
Ich weihe deine Seele, mein Teutone,
Der Lieben Frouwe, Unsrer Lieben Frouwe!
Komm, Unsre Liebe Frouwe, komm von Folkwang!
Die Barden nennen diese Externsteine
Dein Folkwang, Unsre Liebe Süße Frouwe!
Ich kniete in dem Teutoburger Walde
Am Quell des Jordanstroms, trank von der Quelle,
Der Quell entsprungen von des Rosses Hufschlag,
Ich trink und singe in Begeisterung:
Mein Deutschland, ein Jahrhundert war des Krieges,
Da herrschte nur das Schwertrecht. Krieg ist Gräuel!
O Deutschland, spricht die Stimme der Vernunft,
Dann höre auf die Stimme der Vernunft!
Als Barde Deutschlands stimm ich die Telyn
Und weih mein Vaterland der Göttin Freyheit!
O Freyheit, erstgeborne Tochter Gottes,
Komm du mit deinen beiden Himmelsschwestern,
Der Göttin Freude und der Göttin Friede!
O Göttin Freude, Tochter aus Walhalla,
Wir treten liebestrunken in dein Folkwang!
O Göttin Friede, segne unser Deutschland,
O Göttin Friede, und die ganze Welt!
ZWEITE SZENE
(Im Teutoburger Wald. Mai. Hermann liegt auf einer grünen Aue und schläft. Er erwacht, als ein Hirsch röhrt. Zwei Rehkitzzwillinge stehen neben ihm.)
HERMANN
Ich hör die makellose Göttin Frouwe,
Wie süß tönt ihre Stimme in der Luft:
Entfliehe, Liebling, vielgeliebter Freund,
Sei wie ein edler Hirsch auf Scheidebergen!
O Frouwe, makellose Liebesgöttin,
Jetzt bin ich auferwacht vom Schlaf, vom Röhren
Des Hirsches bin ich auferwacht vom Schlaf
Und sehe, siehe, was ich sehe, ist
Ein Rehkitzzwillingspaar, das lustig hüpft
Und weidet in der weißen Lilienaue.
O Frouwe, makellose Liebesgöttin,
So hüpfen deine makellosen Brüste!
Sie hüpfen wie ein Rehkitzzwillingspaar
In weißen Lilien deines weißen Leibes!
(Aus dem Wald tritt der Hirsch mit einem großen Geweih. Er nähert sich Hermann. Im Geweih ist ein strahlendes Kreuz und an dem strahlenden Kreuz ein blutüberströmter Christus.)
CHRISTUS
Mein lieber Sohn, ich sterbe deinen Tod,
Auf dass du lebst mein Leben als ein Gottmensch!
HERMANN
Mein Heliand, Allvaters Heldensohn,
Mein Heliand, du bist mein großer Gottheld,
Mein Ewigvater und mein Friedefürst!
Ich bitte dich fürs ganze große Deutschland,
Erbarme du dich aller Kinder Manas,
Teuts Kinder weih ich dir, die Bajowaren,
Sueven, Alemannen und Teutonen,
Die freien Friesen und die wilden Sachsen,
Die Preußen und die Deutschen in dem Osten,
Sei du der Heliand des deutschen Volkes,
O Ewigvater, Gottheld, Friedefürst!
CHRISTUS
Soll ich der König sein des deutschen Volkes,
So will ich auch, dass meine Jungfraumutter
Die Königin des deutschen Volkes sei!
(Der Hirsch verschwindet wieder im Teutoburger Wald.)
DRITTE SZENE
(Zwischen Herford und Heiligenkirchen. Ein Hügel, unten weiße Rosen, eine steile Treppe. Hermann steigt hinan.)
HERMANN
Aus einem weißen Meer von weißen Rosen
Der Keuschheit und Jungfräulichkeit erhebt
Sich eine Himmelstreppe in den Himmel.
Ich will den Himmel nach dem Wege fragen,
Doch bin ich nicht bewandert im Gebet,
Ich war zu lang ein Heide und ich weiß
Orakel der Magie allein zu fragen.
Wen seh ich doch auf dieser Treppe kämpfen?
(Faust erscheint, im Todeskampf befindlich.)
FAUST
Die letzte Stunde, meine Todesstunde
Hört meine Stimme: Reine Jugendliebe,
Erbarme dich und bitt für meine Seele!
O bei den weißen Margariten drunten
Beschwör ich dich, geliebtes Margarethchen,
Und bei den goldnen Flechten deiner Zöpfe,
Erbarm dich über meine arme Seele
Und salbe mich in meiner Todesstunde
Mit Myrrhe, mit dem Öl zerriebner Myrrhe,
Mit Aspalath und Tragakant, vor allem
Mit Onych, das ich über alles liebe!
HERMANN
O Faust, wen siehst du in der Todesstunde?
FAUST
Ich seh fürwahr Maria Magdalena,
Doch nicht als Büßerin am Fuß des Kreuzes,
Ich sehe sie in goldner Lockenflut,
Die ihren bloßen weißen Leib verschleiert,
Im Paradies auf einem Himmelsbette
Als eine Buhlerin und Vielgeliebte,
Die in dem Paradiese auf mich wartet!
Auch die ägyptische Maria wartet,
Mit nichts bekleidet als mit schwarzer Haarflut!
Sankt Thais wartet in dem Paradies,
Mich in dem Garten Eden zu beglücken!
HERMANN
Du Schlangenbrut, wie willst denn du entgehen
Der ewigen Verdammnis im Gericht?
FAUST
Ich rufe an in meiner Todesstunde
Maria als die Königin der Hölle!
HERMANN
Schau ich vom Gipfel auf die Erde nieder,
So sehe ich auf Erden eine Hochzeit.
Die weißen Pferde ziehen eine Kutsche,
Die Braut im weißen Kleid und weißen Schleier
Verheißt auch mir Erfüllung meiner Wünsche.
Ich nehme das Orakel Gottes an.
VIERTE SZENE
(Heiligenkirchen im Teutoburger Wald. Nacht. Thusnelda im langen weißen Kleid. Lange kastanienbraune Locken fallen ihr auf die Schultern. Über ihrem Haupt wie ein Heiligenschein der Vollmond. Hermann steht vor ihr, vor Liebe zitternd.)
THUSNELDA
Was willst du hier im Teutoburger Walde?
HERMANN
Ich will noch Einmal deine Augen sehen!
Vor sieben Jahren sah ich deine Augen,
Da deine Augen sahen in die meinen,
Da meinte ich, am hohen Himmel leuchten
Zwei Monde, eine Doppelgalaxie.
Da haben deine Augen mich gebannt
Mit ihrer weißen Milch der Galaxie,
Daß ich von jenem Augenblicke an
In alle Ewigkeit dein Sklave bin.
Ich brauche deine Liebe, o Thusnelda,
Und wer gebraucht wird, der ist nicht mehr frei.
THUSNELDA
Ich freue mich an deiner treuen Liebe.
Wenn du dein Herz gehängt an einen Menschen,
Dann ist dein Herz auch treu in weiter Ferne
Und über viele lange Jahre hin.
Das finde ich bewundernswürdig, Freund.
HERMANN
Wo warst du nur so lange, o Thusnelda?
THUSNELDA
Ich war in Rom beim großen Cäsar Roms.
HERMANN
Doch nun bist du im Teutoburger Wald,
Nun sehe ich in dir die Seele Deutschlands.
Ich träumte all die Jahre stets von dir
Und immer schienst du mir in meinen Träumen
Die reinste Himmelskönigin zu sein,
Die makellose Jungfrau der Teutonen.
THUSNELDA
Ich glaube, du liebst nicht Thusnelda wirklich,
Thusnelda von dem Teutoburger Walde,
Du liebst die Traumfrau nur, von der du träumst,
Die makellose Himmelskönigin!
HERMANN
Doch eben diese steht ja jetzt vor mir!
So bitt ich dich, o Himmelskönigin,
Du Heilige vom Teutoburger Walde,
Umarme mich und drück mich an dein Herz!
(Thusnelda umarmt Hermann, sie ruhen einen seligen Augenblick in dieser Liebe, Herz an Herz, wie verschmolzen.)
THUSNELDA
So? Morgen sehen wir uns wieder, Lieber.
FÜNFTE SZENE
(Herford im Teutoburger Walde. Ein Bettler.)
BETTLER
Wir alle sind doch Bettler vor dem Herrn,
Wir betteln alle um das Brot des Tages,
Wenn wir lateinisch Paternoster beten.
Wir alle sind doch Bettler um die Liebe!
Die Menschenseelen aber, hart und steinern,
Sie lassen uns verhungern ohne Liebe!
(Ein junges wunderschönes Mädchen im langen weißen Gewand erscheint. Kastanienbraune Locken quillen aus ihrem weißen Schleier. Ihr Antlitz ist süß und voller Glanz und ihr lächeln überaus charmant.)
Wer bist du, o du wunderschönes Mädchen?
MARIA
Die heilige Maria von dem Walde!
BETTLER
O heilige Maria von dem Walde,
Bist du vielleicht die Himmelskönigin?
MARIA
Ich bins! Mein vielgeliebter Bettler Thorstein,
Du brauchst nicht länger mehr um Liebe betteln,
Die Allerheiligste Dreifaltigkeit
Strömt ihre Schöne Liebe in dein Herz!
BETTLER
Das glaubt mir keiner, dass du mir erscheinst!
MARIA
Stell du an diesem Ort ein Holzkreuz auf.
Denn über jenen schreckenvollen Sund,
Der Gottes Land vom Menschenlande trennt,
Hat unser Herr das Kreuz gelegt als Brücke,
Das Kreuz geworden ist der Weg zu Gott.
Geliebter Thorstein, trag auch du dein Kreuz
Und geh mit Jesus Christus deinen Kreuzweg!
Sag allen Schwestern auch, die beten wollen,
Daß ich von ihnen wahre Umkehr will,
Die Abkehr von dem Wege ohne Gott,
Die Umkehr zu dem Leben mit dem Herrn.
Sie sollen meditieren, sollen beten.
BETTLER
O heilige Maria von dem Walde,
Ob meine Schwestern mir das glauben werden,
Daß du durch mich zu ihnen sprechen willst?
MARIA
Wenn du das Kreuz erhöhst an dieser Stelle,
Wird überm Kreuz erscheinen eine Taube,
Die Taube wird es sein der Schönen Liebe!
Bald, o mein Liebling, wirst du bei mir sein.
(Die Erscheinung verschwindet.)
BETTLER
O heilige Maria von dem Walde,
Ich schrei zu dir aus diesem Jammertal!
Wie lange noch, mein Lieb, wie lange noch?
SECHSTE SZENE
(Die Externsteine im Teutoburger Wald. Das Hauptheiligtum der Teutonen. Christus hängt tot am Kreuz. Maria Magdalena und Josef von Arimathäa nehmen den Leichnam Christi vom Kreuz.)
MARIA MAGDALENA
O tot ist Jesus, tot ist Jesus Christus!
JOSEF VON ARIMATHÄA
Der Gott in der Gestalt des Menschen tot!
MARIA
Zuende litt er an dem Marterkreuz!
Wir wollen seinen Leib vom Kreuze nehmen!
JOSEF
Ich bat Pilatus um den Leichnam Jesu,
Ich hab für ihn auch eine Grabeshöhle,
Die meine eigne Grabeshöhle ist,
Sie soll jetzt seine Grabeshöhle sein.
MARIA
Beweinen will ich den geliebten Jesus,
Ich war ja seine mystische Geliebte!
Nun lässt der Herr als Witwe mich zurück,
Ach, jetzt ist all mein Lebensglück dahin!
JOSEF
Wir glaubten doch, er wäre der Messias,
Messiaskönig auf dem Throne Davids,
Wir glaubten doch, er wär der Menschensohn,
Der Weltenrichter auf dem Throne Gottes,
Wir glaubten doch, er wär die Weisheit Gottes,
Zu uns herabgekommen von dem Himmel
Und wieder heimgekehrt in ihren Himmel!
MARIA
Ich glaubte auch an diese Weisheit Gottes,
Ich habe als Maria Magdalena
Der Hagia Sophia Mund geküsst
Wie nicht Johanna und wie nicht Susanna.
Jetzt bin ich an der Weisheit doch gescheitert!
JOSEF
Gescheitert sind wir an der Weisheit Gottes!
MARIA
Gescheitert ist im Leben Jesus Christus!
JOSEF
Gescheitert meine Hoffnung, mein Vertrauen!
MARIA
Gescheitert meine Liebe zum Geliebten!
JOSEF
Jetzt legen wir ihn in die Grabeshöhle.
MARIA
Todtraurig ist, todtraurig meine Seele!
SIEBENTE SZENE
(Die Externsteine. Das Grab Christi. Davor Johannes und Petrus.)
JOHANNES
Du hörtest von Maria Magdalena,
Daß leer die Grabeshöhle Christi sei.
PETRUS
Da rief ich dich, wir rannten um die Wette.
JOHANNES
Ich war der Jüngere, der Schnellere,
War ich der Lieblingsjünger doch des Herrn,
Ich kam als Erste an bei Christi Grab.
PETRUS
Wer ging denn immer an des Meisters Seite?
Wir waren doch der engste Freundeskreis,
Johannes und Jakobus Zebedäus
Und Simon, den der Meister Petrus nannte.
Mich machte er zum Felsenfundament
Der unbesiegbar starken Kirche Christi,
Er machte mich zum Haupte der Apostel.
JOHANNES
Der Jünger, den der Herr besonders liebte,
Der bin doch ich, Johannes Zebedäus.
PETRUS
Doch ich bin Petrus, bin der Fels der Kirche.
Ich bin gewandelt auf dem See mit Christus,
Ich sah ihn auf dem Berge der Verklärung,
Ich sagte: Du bist Christus, Gottes Sohn,
Er sagte: Du bist Petrus, Fels der Kirche,
Dir gebe ich des Himmelreiches Schlüssel.
JOHANNES
Ich anerkenne den Apostelfürsten.
PETRUS
So tret ich jetzt als Erster in die Höhle.
Ja, diese Grabeshöhle, sie ist leer,
Nur liegen hier zwei Tücher noch, das eine
Zeigt wundersam den Körper meines Herrn,
Das andre Muschelseidentuch das Antlitz.
Der Herr ist auferstanden! Jesus lebt!
STIMME AUS DEM TEUTOBURGER WALDE
O Kefa, Kefa, weide meine Schäfchen!
O Kefa, Kefa, weide meine Lämmlein!
ACHTE SZENE
(Bei den Externsteinen, am nahen See, auf dem schwimmen zwei weiße heilige Schwäne. Der Druide am See weissagt aus der Bewegung der Schwäne.)
DRUIDE
Du weiße Schwanin bist so majestätisch
Wie eine lichte Himmelskönigin,
Doch unter deinem weißen Schwanenbusen
Verborgen ist ein marmorhartes Herz.
Ich sehe diesen adeligen Schwan
Zerbrechen an dem marmorharten Herzen.
Sein Herz von Fleisch und Blut wird ausgerissen,
Zum Fressen wirft man es den Ratten vor!
Prophetisch naht der Schwan sich seinem Tode,
Schon schwimmt er auf dem Phlegeton des Hades
Zum Acherusischen Gestade, dort
Gepeinigt wird sein Herz von Höllenängsten,
Ich meine nicht von Ängsten vor der Hölle,
Ich meine von den Ängsten in der Hölle,
Dem Ekel vor den Monstern in der Hölle,
Dem Ekel vor dem Pest- und Schwefelstank.
Dann schwimmt der Schwan ins Purgatorium
Und badet in der Lethe des Vergessens
Die Sünden ab, die seine Brust beflecken,
Er badet ab die Sünde seines Todes
Und wäscht sich in der Glut der Reinigung
Die großen Schwanenflügel wieder weiß.
Gereinigt in dem Feuerfluß der Buße
Der Schwan fliegt in den Garten Eden, dort
In Pischon, Gihon, Phrat und Hiddekel
Er badet seine weißen Leibesglieder
Wollüstiger Ergötzungen im Bad
Und träumt von Schwaninnen im Garten Eden,
Die liebevoll wie Turteltauben sind
Und weise und erotisch sind wie Schlangen.
Dann steigt er auf zum Himmelsfirmament,
Milchstraßen oder Sternenströme er
Durchschwimmt und badet in der Milch des Mondes
Und badet in der Milch der Galaxie,
Entströmt der Brust der Himmelskönigin,
Bis er zuletzt als der astrale Schwan
Beim Schwestersternbild Lyra himmlisch wohnt.
Im Himmel weissagt der astrale Schwan
Zu der astralen Lyra sieben Saiten
In Hymnen für die Himmelskönigin.
NEUNTE SZENE
(Hermann und Thusnelda auf der Spitze der Externsteine.)
THUSNELDA
Ich träumte einen Traum in dieser Nacht,
Da sah ich deine Seele, meine Seele,
Und meine Seele kannte deine Seele
Seit ewigen Äonen, kannte sie
Seit Sternmilliarden, Lichtjahr über Lichtjahr.
HERMANN
So raunten mir Druiden in das Ohr,
Die Seelen füreinander sind geschaffen,
Die eine Seele ist die Urfrau Embla,
Die andre Seele ist der Urmann Esk.
Doch vor der Schöpfung dieses Universums
Allvater schaute diese Seelen schon
Und diese Seelen schauten schon Allvater
Und waren vor dem Angesicht Allvaters
Berufen zur Verschmelzung ihrer Seelen.
THUSNELDA
Und meinst du, deine Seele sei der meinen
Bestimmt vom ewigen Gesetz Allvaters?
HERMANN
Druiden raunten oft mir in das Ohr,
Daß Seelen zwar geschaffen füreinander,
Doch dass das ist verborgen unserm Wissen.
Es gibt für jede Seele eines Mannes
Die Seele einer Frau, die zu ihm passt.
Doch mancher Mann erkennt erst in dem Tode,
Wer seine feminine Partnerin.
THUSNELDA
Du aber meinst zu wissen, meine Seele
Sei deiner Seele Himmelspartnerin?
HERMANN
Der größte Barde der Teutonen liebte
In seiner Jugend eine Jugendliebe
Und sprach von ewiger Vereinigung
Im Himmelsleben in der Ewigkeit,
Sie aber liebte diesen Barden nicht.
Gott aber gab ihm eine Ehefrau,
Die mehr er liebte als man Frauen liebt,
Daß er am Abend seines eignen Lebens
Erwartete das Wiedersehn im Himmel
Mit der verklärten Ehefrau des Barden.
Gott weiß allein, wie ihm im Himmel wird
Die Partnerin der Seele zugesellt.
THUSNELDA
So zweifelst du daran, dass du mich liebst?
HERMANN
Ich werd dich bis zu meinem Tode leben
Und will dich noch nach meinem Tode lieben.
ZEHNTE SZENE
(Heiligenkirchen im Teutoburger Walde. Hermann mit Wanderstab wandert einen Weg. Thusnelda kommt auf einem weißen Pferd geritten.)
THUSNELDA
Du gehst, mein Hermann, fort aus meinem Walde?
Du hebst das Schwert nicht gegen die Franzosen?
HERMANN
In wandre aber nicht in Frankreichs Süden,
Zu forschen, was dort unterm Höschen sei.
THUSNELDA
Wo wanderst du denn hin, mein lieber Freund?
HERMANN
Ein Häuptling von den freien Friesen will
Heiraten eine Häuptlingstochter Sachsens.
THUSNELDA
So gehst du zu der freien Frisia?
Kehrst du zurück zum Teutoburger Walde?
Ja, du wirst wiederkommen, lieber Hermann,
Wir werden sicherlich uns wieder sehn,
Ich weiß es sicher, denn ich habs geträumt.
Und so versprech ich dir ein Wiedersehn.
Jetzt aber lass dich küssen auf den Mund!
(Thusnelda neigt sich vom Schimmel und küsst Hermann.)
Und wenn du wiederkommst, dann sage mir:
Wie ist des wahren Gottes wahrer Name?
(Thusnelda reitet fort.)
HERMANN
Von diesem Kusse leb ich jetzt ein Jahr lang,
Ernähre mich von nichts als von dem Kuss
Und trinke nichts als dieses Kusses Tau.
Wenn ich erwache, denk ich an den Kuss,
Leg ich mich schlafen, denk ich an den Kuss.
Im Traum ich küsse diesen Kuss erneut,
Und wenn ich singe, sing ich von dem Kuss.
Wenn Frieslands Häuptling Sachsens Tochter nimmt,
Verkünde ich den Segen eines Kusses.
Wenn Cäsar kommt zu dem totalen Krieg,
Dann kämpf ich mit der Waffe dieses Kusses.
Denn meine Fahne ist die Göttin Liebe,
Ich werde diese Fahne mir erobern,
Ach, oder sterben für der Liebe Fahne!
ZWEITER AKT
ERSTE SZENE
(Irgendwo in der freien Frisia. Hermann auf einem heiligen Hügel kniet auf einem Opferstein und betet.)
HERMANN
Allvater, jetzt ist schon ein Jahr vergangen,
Seit ich Thusnelda sah zum letzten Mal.
Nun will ich wandern wieder zur Geliebten,
Ihr einmal noch in ihre Augen sehen.
Allvater, meine Seele schenkt ich ihr,
Ich gab ihr meine Seele hin vollkommen,
Ich hab jetzt keine eigne Seele mehr,
Gestorben ist mir meine eigne Seele,
Allvater, gib zurück mir meine Seele,
Ich möchte von Thusnelda sie empfangen,
Verklärt von ihrer Liebe meine Seele
Zurückempfangen von der Liebsten Herz.
Wenn sie nur meine Seele nicht gestorben,
Begraben lässet sein im Marmorherzen!
O möge meine Seele auferstehen
Aus einem offnen Herzen der Geliebten
Und wieder kehren ein in meine Brust,
Vermehrt mit schöner Liebe der Geliebten.
Allvater, überströmt von Trauertränen
Ertrage ich den Dauerregen nicht,
Mir ist, als ob der Himmel mit mir trauert,
Als ob ich selber traure mit dem Himmel.
Allvater, laß die Sonne wieder scheinen,
Wenn ich Thusnelda wiederseh, Allvater,
Laß heiter einen lichten Himmel lächeln!
So weiche, Nebel, nun von Avalon,
So scheine, Sonne, über Avalon,
Sei strahlend, Mondschein, über Avalon!
(Ein Engel erscheint, gekleidet wie ein Wanderer, mit Wanderstab. An seiner Seite ein Fuchs.)
ENGEL
So wandre, Hermann, wandre zu Thusnelda,
Ich wandre mit dir, denn ich bin dein Engel.
HERMANN
Wer bist du, Engel, schön wie eine Frau?
ENGEL
Ich bin ein Engel aus dem Doppellager
Mahanajim vom Wildbachtale Jabbok.
ZWEITE SZENE
(Am Eingang zum Teutoburger Walde begegnet der Teutone Hermann dem Sachsen Luther.)
HERMANN
Hilf beten mir zu Gott, du deutscher Christ.
LUTHER
Willst beten du, so bet mit Gottes Wort.
HERMANN
Zeig mir, wie betet man mit Gottes Wort.
LUTHER
Psalm Dauids / von den Rosen / vor zu singen.
GOTT hilff mir / Denn das Wasser gehet mir
Bis an die Seele. Jch versinck im Schlamm /
Da ist kein grund. / Jch bin im tieffen Wasser /
Die Flut will mich erseuffen. Ach! Jch habe
Mich müd geschrieen. Heiser ist mein Hals
Und das Gesicht vergeht mir. Das jch doch
So lange harren mus auff meinen Gott.
Die mich on ursach hassen / Der ist mehr /
Denn hare ich auff meinem heubte habe.
Umb deinen willen trage jch die schmach /
Mein Angesicht ist voller scham und schande.
Frembd worden bin jch meinen brüdern und
Frembd worden bin jch meiner eignen Mutter.
Jch weine und jch faste bitterlich /
Man spottet aber dennoch über mich.
Errette mich, o Gott, aus disem kot /
Das jch nicht in dem schlamm und kot versincke /
Das jch errettet werd von meinen Hassern /
Errettet werde aus dem tieffen Wasser.
Das mich die Wasserfluten nicht erseuffen /
Das mich der tieffe Abgrund nicht verschlinge /
Das loch der grube über mir sich schliest.
Die schmach bricht mir mein Hertz und krencket mich /
Jch warte ob es jemand jammerte /
Doch da ist niemand / Wart auf einen Tröster /
Doch find ich wirklich nirgend einen Tröster.
Sie geben bittre galle mir zu essen /
Sie geben sauren Essig mir zu trincken
In meinem grossen Durste nach dem Troste.
Jch aber bin ein Elend / mir ist wehe.
GOTT deine hilfe helfe mir o HERR.
HERMANN
Dies ist auch mein Gebet in meinen Leiden.
LUTHER
Und wenn die Welt zugrunde ginge morgen,
Ich pflanzte heut noch einen Apfelbaum.
DRITTE SZENE
(Detmold beim Denkmal des Deutschen. Straße. Nacht, Regen und Gewitter. Hermann am Pilgerstab.)
HERMANN
In welcher dichten tiefen Mitternacht
Geh ich die Straße nun des Liebeslebens!
Ich dachte, Liebe sollte heiter sein,
Das Leben ein Genuss und eine Freude,
Da Liebe lacht und da das Leben jubelt,
Da Mann und Frau sich in die Arme nehmen.
Ich sah ja schon die Leibesfrucht der Liebe,
Ich sah sie schon herab vom Himmel kommen,
Ich rief die Tochter schon mit Namen: Eske!
Ich gab ihr schon vom Süßholz in den Mund
Und sagte: Dieses Süßholz ist für Hermann
Und dieses Süßholz ist für die Thusnelda
Und dieses Süßholz für die Tochter Eske.
Jetzt aber stürzen alle Wetter Gottes
Und Gottes Blitz und Donner auf mein Haupt
Und schrecklich schwer belastet meine Seele
Die Finsternis mit tausend Trauertränen!
Ah weh mir, meine Liebe ist ein Leiden,
Das Leben auf der Erde ist ein Leiden!
Ich leide an dem Vaterland, den Menschen,
Ich leide an der Heiden harten Herzen,
Ich leide an den Blitzen, an den Donnern,
Die Regentropfen peitschen meine Straße,
Mein Herz ist wie ein trüber Seufzernebel,
Die Seele wird durchspickt von tausend Nadeln,
Die Nadelstiche quälen meine Seele,
Als ob der Feind mit tausend Nadelstichen
Durchbohre eine Puppe meiner Psyche!
Jetzt aber donnert Gott im Wetterhimmel
Und in dem Donner hör ich Gottes Stimme,
Jetzt aber blitzt der Herr im Wetterhimmel
Und in den Blitzen seh ich den Messias!
MESSIAS
Die Stimme Gottes donnert über Wassern,
Die Stimme Gottes macht die Wälder kahl,
Die Stimme Gottes lässt die Eichen wirbeln,
Die Stimme Gottes lässt die Hügel hüpfen,
Die Stimme Gottes macht die Hirschkuh kreißen!
HERMANN
Messias in dem Blitz, erbarm dich meiner!
MESSIAS
Ein Engel Gottes hat mit dir geredet.
Du aber bist mein vielgeliebter Sohn,
An dir hab Wonne ich und Wohlgefallen!
VIERTE SZENE
(Ein Elfenbeinturm, von Weißdorn überwuchert. Draußen steht die schöne Fee Viviane, drinnen sitzt gefangen der alte Druide Merlin.)
VIVIANE
Nun bist du in dem Turm von Elfenbein
Und bist für immer mein Gefangener!
Ich bitte dich, Prophete, weiszusagen!
Sprich, Merlin, von der Götterdämmerung
Und zeige uns den schmalen Pfad der Rettung,
Wie können wir, die Elfen und die Feen,
Die Götterdämmerung doch überleben?
Prophete, wann erscheint der Fenrirswolf,
Die Göttin in der Sonne zu verschlingen?
MERLIN
Gefangen in dem Turm von Elfenbein
Studiere ich die Schriften der Propheten.
Ein Rätsel habe ich zu lösen noch.
VIVIANE
Mein Weiser, lös die Rätsel in der Schrift.
MERLIN
Der Friedefürst und Bräutigam der Weisheit
Bekam in jedem Jahre soviel Geld,
Sechshundertsechsundsechzig goldne Münzen.
Das böse Biest jedoch, der Gegenretter,
Hat einen Namen, dessen Namenszahl
Sechshundertsechsundsechzig wird genannt.
VIVIANE
Schweig mir von Rom, du bärtiger Prophet!
MERLIN
Gefangen in dem Turm von Elfenbein
Seh ich den deutschen Hermann im Gefecht.
Ich sehe ihn gestärkt von Doktor Luther.
Teutone Hermann und der Sachse Luther,
Sie heben ihre Schwerter gegen Rom.
Von England seh ich kommen Bonifazius!
Doch Bonifazius grämt sich über Deutschland:
Teutone Hermann, führtest du nicht Krieg
Und hieltest Rom von Deutschlands Grenze fern,
So wäre Christus unser Herr gekommen
Nach Deutschland viele hundert Jahre früher.
VIVIANE
Und kommt ein Reich, das tausend Jahre währt?
MERLIN
Das sagt das Biest und meint totalen Krieg!
VIVIANE
So kommt kein Reich, das tausend Jahre währt?
MERLIN
Ich hörte Unsre Fraue in der Sonne
Als Königin von Frieden und Versöhnung:
Das Reich, das tausend Jahre währt, ist nah!
Die Menschheit wird zum Reich des Friedefürsten!
FÜNFTE SZENE
(Morgendämmerung im Teutoburger Walde. Eine kleine Französin, ausgesprochen reizend, tanzt vor Hermann.)
KLEINE FRANZÖSIN
Ah, voulez-vous coucher avec moi?
HERMANN
Bewundern muß ich deine vollen Brüste.
KLEINE FRANZÖSIN
Mon cher, isch bin die Göttin Aphrodite!
HERMANN
Dein Röckchen reicht bis auf die Oberschenkel.
Ein Dichter Deutschlands dichtet ein Gedicht:
Ihr werdet reisen in den Süden Frankreichs,
Schaut nicht die Kathedrale an von Chartres,
Schaut in Paris nicht Notre Dame euch an,
Ihr küsst nicht die Reliquien Magdalenas
Und schaut nicht der Zigeuner Wallfahrtsort
Der Schwarzen Sara, Magdalenas Magd,
Ihr badet in der Quelle nicht von Lourdes
Und steigt nicht auf den Gipfel eines Berges,
Den Vater Augustinus dort zu lesen.
KLEINE FRANZÖSIN
Ah mon ami, wie göttlich ist La France!
Wir wollen Liebe machen, mon trésor!
HERMANN
Der Dichter Deutschlands dichtet ein Gedicht:
Ihr werdet reisen in den Süden Frankreichs,
Zu schauen, was dort unterm Höschen sei.
KLEINE FRANZÖSIN
Schreib lieber ein Gedicht vom Venusdelta!
La grande déesse Vénus, sie liebt disch doch!
HERMANN
Und hat das Weib den Jüngling erst im Sack,
Versklavt sie ihn als ihren Domestiken!
Erst eine junge Hure, reich an Reizen,
Dann wird sie zur Mätresse, kaiserlich
Diktiert sie ihrem Domestiken: Diene!
Doch fordre keine Liebe von dem Weib!
Nein, putz den Kot aus ihrer Toilette!
KLEINE FRANZÖSIN
Ihr schrecklichen Germanen, ihr Barbaren!
Was weißt du, mon filou, von Liebemachen?
Die schönste Nebensache von die Welt!
Ist die Französin nicht viel schöner als
Thusnelda mit der scharfen Adlernase?
Adieu, mon cher, bleib du in Deutschland hocken!
SECHSTE SZENE
(Heiligenkirchen. Karfreitag. Regengüsse. Hermann. Thusnelda erscheint mit dem Franken.)
THUSNELDA
Was willst du denn schon wieder hier, Herrmännchen?
HERMANN
Du hast vor einem Jahr zu mir gesagt,
Daß wir uns sicher wiedersehen werden
Und dass ich dir dann sagen soll den Namen
Des wahren Gottes: Jesus Christus heißt er!
THUSNELDA
Ich aber sage dir: Du bist ein Bock,
Der Bock, den ich jetzt in die Wüste schicke!
HERMANN
Ich aber liebe dich so sehr, Thusnelda!
DER FRANKE
Barbar! Hast du Thusnelda nicht gehört?
Verschwinde, sonst zerschlag ich dein Gebein!
THUSNELDA
Geliebter Franke, schlag dich nicht mit ihm,
Ihm solls genügen, dass ich ihn verachte!
(Der Franke drängt dennoch Hermann an eine Eiche und drückt ihn gegen den Baum. Da erscheint Hermanns Schutzengel mit dem Fuchs. Der Franke und Thusnelda fliehen erschrocken. Der Fuchs beginnt mit menschlicher Stimme zu reden.)
FUCHS
Ob dir die Feinde deiner Seele fluchen,
Geliebter Hermann, Jesus segnet dich!
O Hermann, Jesus segnet die Teutonen,
O Hermann, Jesus segnet Friesen, Sachsen,
Die Allemannen und die Bajowaren,
Sueven und in Ost und West die Preußen.
O Hermann, deiner Seele schwere Leiden
Sind Anteilhabe an den Leiden Jesu,
Du leidest für dein deutsches Vaterland,
Du leidest für den Häuptlingssohn der Friesen,
Du leidest für die sächsische Prinzessin.
Vereine deine mit den Leiden Jesu,
So wirst du Miterlöser sein für Deutschland.
Hab Mut, o Hermann! Wer mit Jesus leidet,
Wird auch mit Jesus einst im Himmel herrschen
Und Könige und Heidenvölker richten.
(Der Engel und der Fuchs werden wieder unsichtbar)
HERMANN
Zum Heulen ist zumute meiner Seele!
Ich muss zum Kreuze bei den Externsteinen!
SIEBENTE SZENE
(Externsteine. Hermann kniet vor dem Kreuz. Hagel stürzt vom Himmel.)
HERMANN
Eli, Eli, lama asabthani?
Was hast du mich verlassen, o mein Gott?
Eli, Eli, lama asabthani?
Wie schrecklich ist die Gottverlassenheit!
Eli, Eli, lama asabthani?
Wie zittert meine Seele in der Hölle!
Eli, Eli, lama asabthani?
Wie bohrt sich eine Lanze durch mein Herz!
Eli, Eli, lama asabthani?
Wie undurchdringlich tief die Finsternis!
Eli, Eli, lama asabthani?
Auf meiner Seele lasten tausend Tode!
Eli, Eli, lama asabthani?
Ich schrei der ganzen Menschheit Schrei zu Gott!
Eli, Eli, lama asabthani?
Ich leide als des kalten Hasses Opfer!
Eli, Eli, lama asabthani?
Ich hoffe in der finstersten Verzweiflung
Auf meinen Retter Jesus, der da schrie:
Eli, Eli, lama asabthani?
(Vom Gipfel der Externsteine ertönt eine Frauenstimme)
STIMME
O mamma mia, mamma, mamma mia!
HERMANN
Ja, mamma mia, Große Gottesmutter,
Ich opfre meiner Seele Kreuzigung
Dem Unbefleckten Herzen Unsrer Fraue!
(Maria erscheint auf dem Gipfel der Externsteine)
MARIA
Maria, makellose Mutter Gottes,
So ist mein Name. Mein geliebter Hermann,
Der Herr nahm an das Opfer deiner Leiden!
So komm du nun zu meinem Herzen, Liebling,
Denn meine herzliche Barmherzigkeit
Wird deiner Seele Durst nach Liebe stillen!
HERMANN
Ich bin ganz dein, o Große Gottesmutter!
Ich weihe dir mein Vaterland, Maria!
(Der Hagel hört auf. Eine lichte Ostersonntagssonne lacht vom Himmel.)