Ein Lehrstück
Von Josef Maria Mayer
ERSTE SZENE
(Der Schüler in der Abendstunde auf einem dunklen Waldweg. Nebel. Er betet.)
SCHÜLER
O meine Gottheit! Hagia Sophia!
Ich bin verzagt an meiner kleinen Weisheit!
Soll ich den Weg der Weisheit weiter gehen?
Ich bin ja ungelehrt, ein Idiot!
Ich kann kein Griechisch und kann kein Latein.
Ich weiß nicht, was heißt Wesen, was Substanz,
Was Akzidenz und was ist die Idee?
Sophia! Einst die alten Kirchenväter
Bezeichneten der alten Griechen Weisheit
Ein zweites, andres Altes Testament,
Das auch zum Logos führt, zu Jesus Christus.
Ich habe Aristoteles noch nicht
Gelesen, nur alleine die Poetik
Vor zwanzig Jahren, als ich noch nicht glaubte.
Ein wenig Platon habe ich gelesen,
Doch wenn er spricht mit dem Parmenides,
Bin ich zu dumm dazu. Ich bin verzagt!
Der Papst verwies mich auf Johannes Scotus,
Ich habe seine Schriften mir besorgt,
Doch leider, ich verstehe nichts davon.
Die metaphysischen Gedanken und
Spekulationen, Theorien, ach,
Das ist mir alles leider viel zu hoch.
Was ich verstehe, das ist Friedrich Nietzsche
In seiner schönen Prosa-Poesie
Von Zarathustra und dem Übermenschen.
Was ich am liebsten lese in der Welt,
Das ist der Prediger, der Koheleth,
Von Martin Luther herrlich eingedeutscht.
Ja, Luthers Sprache ist die Sprache Gottes!
Und Philosophen sollten alle singen
Wie Zarathustra singt so hochpoetisch.
Nun aber spür ich doch den Drang nach Weisheit,
Der Priester wies mich auf die Weisheit hin,
Die Hildegard von Bingen einst gesehen,
Da Christus ist in weiblicher Gestalt
Erschienen als die Hagia Sophia.
O Hagia Sophia, hab Erbarmen
Und sende du mir eine Meisterin,
Die liebevoll mich Gottes Weisheit lehrt.
(Auf dem Waldweg erscheinen drei Jungfrauen, unbeschuhte Karmelitinnen. Sankt Teresa von Jesus, Sankt Therese vom Heiligen Antlitz und vom Kinde Jesu und Sankt Teresia Benedicta a Cruce. Sie lächeln alle drei liebevoll und stehen da wie die drei Grazien. Aus der Gruppe löst sich Sankt Teresia Benedicta a Cruce und spricht.)
FRÄULEIN EDITH
Teresa Benedikta von dem Kreuze,
So nennen mich die Schwestern in dem Karmel.
Du darfst mich aber Fräulein Edith nennen.
Ich weiß, in deiner Kindheit mochtest du
Die Nachbarin sehr gern, die Edith hieß.
So bin ich eben deine alte Edith,
Die Tante Edith, die dich grüßt und küsst.
Ich bin ein Doktor ja als Philosophin,
So nannte man mich lange Fräulein Doktor.
Als ich zu Ruhm gekommen in der Welt,
Da nannte man mich plötzlich nur Frau Doktor.
Ich bin nicht eines Doktors Ehefrau!
Mein Lehrer Husserl hatte eine Frau,
Wenn er einmal besonders Schönes sagte,
Dann sprach sie immer ganz verständnislos.
Frau Doktor? Nein, das bin ich wirklich nicht.
Ich bitte, laß mich Fräulein Doktor bleiben!
Du aber nenne mich nicht Fräulein Doktor,
Du nenn mich einfach Edith, deine Freundin!
Und nenne mich nicht Heilige und Sankt,
Hochwürden, Eure Heiligkeit und so.
Nein, nenn mich Edith, oder willst du singen,
So singe meinen Namen so: Editha!
Die Poetesse Gertrud von LeFort
Hat Sie zu mir gesagt. Ich aber weiß,
Du magst nicht, wenn man dich mit Sie anredet.
Teresia von Avila sprach Gott
Mit Eure Hoheit an und Majestät,
Du aber sagst zu deinem Gotte Du,
Du stehst mit deinem Gott, dem Herrn, auf Duz-Fuß,
So sag ich du und du sagst du zu mir.
SCHÜLER
Ach liebe Edith, meine liebe Freundin,
Ich möcht dich wirklich gern zur Freundin haben.
Und lernen möchte ich von dir, o Schwester.
Komm du doch mit in meine kleine Wohnung.
Ich habe zwar Besuch, in meiner Wohnung
Zwei kluge Männer sind als Gäste da,
Doch freuen sie sich sicher auch mit mir,
Wenn eine Frau in unserm Kreis erscheint.
FRÄULEIN EDITH
Wen hast du denn in deiner Wohnung, Freund,
Wen hast du denn zu Gast geladen? Sind
Es Theologen oder Philosophen?
SCHÜLER
Zuerst geladen hab ich Martin Luther.
Ich kenn ihn schon von Kindesbeinen an.
Als Kind sang immer ich am Martinstag
Ein heiliges Geburtstagslied für ihn
Und dafür dann bekam ich Mandarinen.
Und die Familie nannte sich lutherisch,
Wir waren evangelisch und lutherisch.
Wir spielten Indianer in dem Wald
Und dienten nicht als Knaben in der Messe.
So hab ich auch das Abendmahl empfangen
Als bloßen Traubensaft und bloßes Brot.
Großmütterchen, mein liebes Omilein,
Gab mir im Alter ihre Lutherbibel
Und lehrte mich Psalm dreiundzwanzig
In Martin Luthers dichterischem Deutsch.
FRÄULEIN EDITH
Wer ist der andre Gast in deiner Wohnung?
SCHÜLER
Ein Philosoph mit Namen Friedrich Nietzsche.
Im humanistischen Gymnasium
Ich las von der perversen Knabenliebe
Des Künstlers Aschenbach, um den Roman
Mit Friedrich Nietzsches Weisheit zu vergleichen,
Der von Apollon und Dionysos
Geschrieben und von der Musik als Ursprung
Der griechischen Tragödie. Neuer Heide,
Verehrt ich den Dionysos der Griechen
Und las in Nietzsches Buche Zarathustra.
Mir schien Dionysos ein Bruder Christi.
Es war jedoch ein Gegner Jesu Christi,
Der sagte, Jesus Christus sei nicht Bacchus.
Doch immer noch verzauberte mich sehr
Die Sprachgewalt des Dichters Friedrich Nietzsche.
FRÄULEIN EDITH
Die Dialektik nahm dich in die Schule?
Ich führe dich zum engelgleichen Thomas
Und zu dem lieben Vater Augustinus.
SCHÜLER
Den Vater Augustinus lieb ich sehr!
Ich hörte auch, er war Platoniker.
Gehörst du nun zu Aristoteles
Und ich gehör zu meinem lieben Platon?
FRÄULEIN EDITH
Kind!... Wir gehören nur zu Jesus Christus!
SCHÜLER
Da sind wir. Hier ist meine kleine Wohnung.
Zwar ist es nicht sehr sauber, doch du bist
Willkommen, meine Lehrerin und Freundin!
ZWEITE SZENE
(Martin Luther frisst ein fettes Hühnchen mit den Händen und säuft eine unglaubliche Menge Wein.)
LUTHER
Des Königs Narr in der Komödie spricht:
Statt Gottes Liebe stößt bei den Reformern
Ein Götze auf des andern Bosheit an!
So sprechen Narren! Wirksam ist allein
Der Gott, er streckt den freien Willen nieder
Des Menschen. Gott wär ja kein Gott, er wäre
Ein Götze, wenn nicht unveränderlich
Und ewig und unfehlbar wär sein Wille,
Und was er vornimmt sich, das tut er auch.
Der wahre Gott jedoch, der lebende,
In seiner Freiheit legt er auf den Menschen
Das Joch der ehernen Notwendigkeit.
Der kardinale Angelpunkt ist dies:
Des Menschen freier Wille wird vernichtet
Durch Gottes Allmacht und durch Gottes Vorsicht,
So wie ein Blitz den Menschen niederschmettert!
Wenn du jedoch den freien Willen preist,
Dann machst du Christus leer und höhlst ihn aus
Und trittst die Bibel unter deine Füße.
Nicht herzbewegend ist die Liebe Gottes,
Allwille Gottes herrscht wie Blitz und Donner!
Gott denkt sich selber ja als Quell des Bösen:
Ich bins, der Gutes schafft und Böses schafft;
So widersinnig machte sich der Herr,
Daß er das Gute und das Böse führt
Zurück auf Einen Quellgrund in der Gottheit,
Die Einheit seiner ewigen Natur.
Warum hat Gott denn Adam fallen lassen,
Obwohl er ihn bewahren hätte können?
Warum denn wurde Judas zum Verräter?
Gott, der allein den Willen ja bewegt,
Warum verändert er nicht bösen Willen?
Nein, nicht der arme Mensch ist schuldig, sondern
Der große ungerechte Gott ist schuldig!
Der wahrhaft gute Herrgott des Erasmus
Von Rotterdam, der schafft den freien Willen,
Ist nicht mein Herr. Ich glaub an die Gewalt
Des Herrgotts, unter der der Mensch als Knecht
Der Sünde steht. Der Mensch ist wie ein Lasttier
Der Sünde. Unser Name ist: Die Sünde!
Drum kämpf ich bitter gegen diesen Gott,
Weil Gott mein Gegner ist! Es kommt der Herr,
Indem er nur vernichtet und zerstört!
Er tötet durch sein göttliches Gesetz,
Das doch die Menschen nicht erfüllen können.
Gott können wir mit Gott nur überwinden.
Drum suche ich den Christus auch für mich,
Der Christ für mich ist wie ein fester Fels,
Auf dem liegt Sünde, Tod und Höllennacht.
Der Christ für mich, ein göttliches Geschöpf,
Wird nicht hinzugefügt der Gottnatur.
Johannes sagt: Und Gottheit war das Wort;
Doch sagt er nicht, dass Christus ist das Wort.
Denn Christ ist eine Schöpfung in der Weise,
Daß Gott der Schöpfer schuf wie alles ihn.
So geht der Herrgott mit dem Christus um:
Er schafft ein Fleisch und tut es in die Jungfrau.
Johannes spricht: Das Wort ist Fleisch geworden,
Und Paulus nannte Christus Davids Sohn
Und Samen und von einem Weib geboren.
Durch einen Menschen, der Geschöpf ist, kann
Doch nichts geschaffen werden. Paulus und
Johannes widersprechen sich doch selbst,
Sie machen ihn zum Menschen und zum Schöpfer!
Erlöser ist er auch nicht von Geburt,
Erlöser ist er von der Taufe an,
Von da an trägt er nicht nur unsre Sünde,
Nein, Christus selber ist geworden Sünde,
Er nahm die Knechtsgestalt an, wurde Sünde.
Weil Sünde aber nicht mit Gott kann eins sein,
Drum ist auch Christus nicht dem Vater gleich,
Dem Knecht kommt nicht der Gottheit Titel zu.
Propheten haben das vorausgesehen,
Daß Christus ist der allergrößte Räuber,
Gesetzesbrecher, Gotteslästerer
Und Tempelschänder, Säufer, Fresser, Dieb,
Weil er nicht mehr das eigne Wesen ist,
Weil er jetzt als der größte Sünder wandert,
Des Teufels Sohn ist Christus, gottverlassen!
So Christ durchläuft der Bosheit Abgrund, um
Uns gleich zu werden und uns so zu helfen.
Doch dieser Christus ist nicht meine Liebe,
Weil er mich auffrisst und mich ganz verzehrt!
(Katharina von Bora tritt ein und setzt sich neben Luther)
KATHARINA
Gegrüßet seiest du, o Schüler Luthers,
Gegrüßet seist auch du, o fremde Frau,
Heil Luther! Ich war eine Jesus-Nonne,
Jetzt aber will ich das Gelübde brechen
Und lieber buhlen mit dem Mann von Fleisch!
(Sie streichelt Luthers Rücken, dann seinen Oberschenkel.)
LUTHER
O hochgebenedeite Herrin Käthe!
Ich habe Ehelosigkeit gelobt,
Jetzt aber laß uns wie Diogenes
Ganz öffentlich vollziehen unsre Liebe!
(Luther und Katharina ab)
EDITH
Das also war der große Reformator?
Und das, meinst du, sei wahres Christentum,
Das unverfälschte Evangelium?
Wer aber liegt da so besoffen auf
Dem Philosophen-Sopha in den Kissen?
DRITTE SZENE
(Nietzsche erwacht von seinem Weinrausch. Er erhebt sich und sieht seinen eigenen Schatten übergroß wie den Schatten eines Übermenschen an der weißen Wand der Höhle des Schülers.)
NIETZSCHE
Ich kämpfe mit des alten Gottes Schatten,
Sechs Kriege führ ich gegen Platons Schatten!
Der erste Schatten ist die wahre Welt,
Erreichbar für den Weisen, für den Frommen,
Den Tugendhaften. Er lebt in der Welt,
Er ist die Welt. Das ist die älteste
Der Formen der Idee, die simple Form,
Doch überzeugend. Hier gilt noch der Satz:
Ich, Platon, bin die makellose Wahrheit.
Für Platon war die wahre Welt das Reich
Der ewigen Ideen. Weisheit, Tugend
Erlangt der Mensch durch Anteilhabe an
Der höchsten, heiligen Idee des Guten.
Gott selber war für Platon die Idee
Des Guten. Die Idee ist nicht allein
Das subjektive Denken an das Sein,
Sie ist der Inbegriff des höchsten Seins,
Die sich als Geist-Idea selbst besitzt.
Die höchste heiligste Idea drückt
Die Einheit aus von Denken und von Sein,
Ist Gott, der selbst sich denkt als höchstes Sein,
Der ist von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Sich selber denkend, ist das Sein des Gottes
Ein abgeschlossnes, höchst perfektes Sein,
Das keinerlei Ergänzung je bedarf,
Das durch den Überfluß der eignen Güte
Sich selbst abbildet in perfekten Wesen
Und in Gestalten weltenhaften Seins.
Der Menschengeist als höchstes Abbild der
Idea, ist aufgrund der Ähnlichkeit
Mit Gottes höchstem Dasein nicht nur fähig,
Gott als die höchste Gutheit sich zu denken,
Vielmehr auch Gott als Maßstab anzunehmen
Fürs eigne Tun in Tugend und Moral.
Der Güte Gottes zu entsprechen, heißt
Für Platon, jedem Ding Gerechtigkeit
Zu widerfahren lassen, Mensch, Tier, Pflanze
Hat jeweils eigne Wahrheit, Güte, Schönheit,
Ihm von der göttlichen Idee verliehen.
Doch die platonische Idee des höchsten
Und absoluten Wahren, Guten, Schönen,
Gilt es zu morden in dem Gottesmord!
Wir haben Gott solange nicht getötet,
Solang noch lebt die göttliche Idee!
Der zweite Schatten Platons sterbe auch:
Die wahre Welt, im Heute unerreichbar,
Versprochen für den Frommen und den Weisen
Und für den Tugendhaften oder für den Sünder,
Der Buße tat. Der Fortschritt der Idee:
Die göttliche Idee wird feiner und
Verfänglicher, unfasslicher, sie wird
Zu einer Frau und wird zu einer Christin.
Die Christen unterscheiden zwischen Gott,
Zwar jetzt zu denken, dessen Wirklichkeit
Verheißen aber ist erst für das Jenseits.
Der Sünder nur, der Buße tut, erlangt
Anschauung Gottes später in dem Jenseits.
Die wahre Welt ist heute unerreichbar.
Der Zwiespalt zwischen Diesseitswelt und Jenseits
Wird also durch das Christentum verschärft.
Der dritte Schatten Platons sterbe auch:
Die wahre Welt ist unerreichbar fern,
Ist unbeweisbar, unversprechbar auch.
Allein die wahre Welt zu denken schon,
Schon als Gedachte ist sie eine Tröstung!
Verpflichtung und Gebot! Die alte Sonne
Vom Sinai im Grunde, aber durch
Den bleichen Nebel Königsbergs gesehen.
Transzendentalphilosophie von Kant
Heißt dieser Schatten von dem alten Gott:
Was du nicht willst, das man dir tu, das tu
Du keinem andern an! Dies ist Gebot.
Nicht die vernünftige Idee von Gott
Reicht als das Fundament der Wissenschaft,
Wir brauchen Gottes wahre Existenz
Als Urprinzip des materiellen Werdens.
Wenn wir im Diesseits zwar aufgrund der Sünde
Von Gottes Schau getrennt sind, können wir
Im kategorischen Gebot zum Gutsein,
In der Gewissenspflicht zum Tugendleben
Doch Gottes wahre Gegenwart erfahren.
Du sollst! – im Sinn der zehn Gebote Gottes,
Das richtet mich unmittelbar auf Gott aus.
Die Stimme des Gewissens wird für uns
Reale Gegenwart des Gottes in uns,
Der gegen unsre Triebnatur ermutigt
Zu der Moral des ethisch guten Handelns.
Der Abschied von dem Königsberger Vater
Ist Abschied auch von jeglicher Moral.
Nicht mehr: Du sollst – steht auf der Tafel, sondern:
Ich will! Anstelle des Moralgewissens
Die absolute Herrschaft tritt des Triebes!
Der vierte Schatten von dem alten Gott
Wird jetzt von mir bekämpft: Die wahre Welt
Ist unerreichbar, sie ist unerreicht
Und unerkennbar auch und unerkannt.
Sie tröstet nicht und ist auch nicht verpflichtend.
Wie könnte Unbekanntes auch verpflichten?
Im Morgengrauen gähnt, vom Schlaf erwachend,
Die Göttin der Vernunft. Es kräht der Hahn.
Aufklärung! Sieg der Göttin der Vernunft!
Der Schatten Gottes hat sich schon verflüchtigt,
Die menschliche Vernunft wird autonom.
Befreit von Gottes Normen und Prinzipien
Die Göttin der Vernunft bestimmt den Menschen
Nicht mehr als Ebenbild und Schatten Gottes,
Nein, als ein wesenloses Teilmoment
Der höher sich entwickelnden Natur.
Den fünften Schatten Platons schaff ich ab:
Ich hänge Platon auf an der Laterne!
Die wahre Welt, die himmlische Idee,
Zu nichts mehr nütze, auch nicht mehr verpflichtend,
Die göttliche Idee ist überflüssig.
Sie ist nun widerlegt von der Natur.
Wir schaffen ab die göttliche Idee!
Es ist der helle Tag des Kommunismus,
Zum Frühstück kommen Revolutionäre.
O welch ein Teufelslärm der freien Geister!
Dies ist der sechste Krieg mit Platons Schatten:
Die wahre Welt ist abgeschafft! Was blieb?
Der Schein vielleicht? Nein, mit der Wahrheit schwand
Der Schein. Die Sonne steht jetzt im Zenit,
Die heiße Sonne strahlt auf Zarathustra!
Der alte Gott ist tot! Der Neue Gott
Heißt Übermensch! Dionysos regiert!
Heil, antichristlicher Dionysos!
FRÄULEIN EDITH
Maria, bitt für uns bei deinem Sohn!
NIETZSCHE
Wie? Was? O wo? Ich rede irr! Der Wahn
Reißt mich entzwei! Des Pferdes Auge blutet!
Barmherzigkeit! Es kommt der Affe Gottes!
Weg, euer Name ist Legion, ihr Affen!
Wie hässlich, Affen! Ah, das ist die Hölle!
(Er rennt schreiend davon)
VIERTE SZENE
(Der Schüler und Fräulein Edith allein in der Wohnung. Die Wohnung ist hell erleuchtet. Sie sitzen auf Stühlen am runden Tisch. Der Schüler trinkt ein Glas Cabernet Sauvignon aus Lateinamerika. Die Lehrerin trinkt einen Becher grünen Tee.)
SCHÜLER
Ist die Geschichte dieser Menschheit nicht
Ein Fortschritt in der Negativität
Und ist der Höhepunkt denn nicht in Auschwitz?
Ja, wird der Höhepunkt noch übertroffen
In einem atomaren dritten Weltkrieg?
Zermalmend alles, wälzt der Strom des Bösen
Sich fort und fort! Wo aber ist der Grund?
Mit welchem menschlichen Vernunftbegriff
Lässt sich des Bösen Wahnsinn noch erfassen?
Ein metaphysisches Problem ist Auschwitz,
Ist Konsequenz, wenn man zum Sein gehörig
Das Nichts, das Negative anerkennt.
Die Nationalen Sozialisten haben nur
Das ausgeführt, was in dem Abendland
Begann als Mythos von der Negation.
Die Weltgeschichte führt von Katastrophe
Zu Katastrophe. Doch am Anbeginn
War übermächtig eine Willkürhandlung
Des Menschen gegen Gott, wie Schelling lehrt.
So brach der Dialog von Gott und Mensch ab,
Der Mensch fiel aus dem Einssein mit der Gottheit.
Seit dieser Rebellion des Menschen gegen
Den Herrn verläuft des Menschen Weltgeschichte
Verrückt und teuflisch. Falsch ist jetzt das Ganze!
Die Dialektik Hegels oder Marxens
Führt mit Notwendigkeit von Auschwitz weiter
Zu einem atomaren dritten Weltkrieg!
Solange Unrecht rechtgefertigt wird,
Weil man das Böse in die Gottheit setzt,
Bestimmt die Bosheit mit Notwendigkeit
Die Weltgeschichte, und die Aggression
Wird Motor aller Handlungen des Menschen,
Die enden in dem atomaren Endkrieg!
Der Heiden Mythos ließ das Gute, Lichte
Entwickeln sich aus Finsternis und Bosheit.
Die Griechenphilosophen unterschieden
Das Gute und das Böse, sprachen vom
Vollkommnen Gott des Seins und von der Freiheit
Des Menschen, diesem guten Gott zu folgen.
Das wird vollendet durch das Christentum,
Wo Christus an dem Kreuz besiegt den Bösen.
Nein, Negation entwickelt nicht Vernunft,
Das Unbewusstsein wird nicht zum Bewusstsein,
Nicht durch Verteilungskampf ums Kapital
Führt Klassenkampf herauf das Paradies,
Materia wird nicht zum Geist belebt
Und Affen fangen nicht zu denken an,
Indem sie ihre Affenväter fressen.
Die Griechen haben Recht: Nichts ist das Böse,
Das Böse kann nichts andres als vernichten,
Das Böse hat nicht teil an Gottes Sein.
Und Auschwitz und die atomare Bombe
Und Embryonenmord und Menschen-Klonen
Sind nicht ein purer Zufall der Geschichte,
Sie sind mit eherner Notwendigkeit
Die Frucht der dialektischen Idee,
Der Satan sei der Erstgeborne Gottes
Und Gott der Herr sei Satanas geworden!
FRÄULEIN EDITH
Du rührst an das Mysterium des Bösen.
SCHÜLER
Erzähle mir, was denkst du übers Böse?
FRÄULEIN EDITH
Des Bösen Ursprung ist ja ein Geheimnis.
Die Bibel spricht davon in Rätselworten.
Im Buche Genesis geschrieben steht
Vom Baum des Lebens und dem der Erkenntnis
Des Guten und des Bösen, von der Schlange,
Von der verbotnen Frucht, von Eva und
Von Adam und vom ersten Sündenfall.
Doch diese Worte sind nicht logisch deutbar,
Man kann sie aber betend meditieren.
Das Böse ist nicht logisch, sondern Gott
Liebt Logos, Ordnung, Klarheit, liebt das Denken.
SCHÜLER
Ich habe Zahnschmerz, meine Lehrerin,
Ich muß ein Gläschen klaren Wodka trinken.
(Er schenkt aus einer großen Flasche Wodka in einen gläsernen Becher und trinkt)
FRÄULEIN EDITH
Die Gnosis und das Manichäertum
Erklärten sich das Böse dualistisch,
Wie Zoroaster glaubte Mani auch
An einen guten Gott und einen bösen.
Der gute Gott erschuf die Welt des Geistes,
Der böse Gott erschuf die Welt des Stoffes,
Materia ist Werk des bösen Gottes.
Wie hoffnungslos ist solche Gotteslehre!
Gibt’s einen bösen Gott und ist das Böse
Von Anbeginn, ein Gott ist seine Ursach,
So gibt es keine Hoffnung für die Menschen,
Die Macht des Bösen je zu überwinden.
So die moderne Wissenschaft von der
Entwicklung der Materia lehrt auch,
Von Anbeginn war in dem All der Tod
Und durch die Macht des Todes und des Bösen
Entwickelt sich Materia zum Geist.
Wie trostlos und wie hoffnungslos die Lehre!
Die Offenbarung Gottes in der Bibel
Lehrt aber, dass der Eine Gott, der Gute,
Die Schöpfung schuf und siehe, sie war gut,
Sehr gut die Schöpfung war des Menschenpaares,
Sehr gut die Schöpfung Evas war und Adams.
Die gute Welt ist der primäre Fakt,
Das Böse, das geheimnisvoll entstanden
Aus dem Missbrauch der Freiheit, sekundär,
So wird es schließlich überwunden werden.
Drum lehrt der Christusglaube Hoffnungstugend!
Das Unbefleckte Herz wird triumphieren!
Doch noch ist stark die dunkle Nacht des Bösen!
SCHÜLER
Ja, groß die Dunkelheit, der Schmerz in mir!
In meiner Seele herrscht die dunkle Nacht,
Kein Stern erstrahlt am Himmel dieser Nacht!
FRÄULEIN EDITH
Drum rufen Geist und Braut auch: Komm, Herr Jesus!
FÜNFTE SZENE
(Nacht. Fräulein Edith und der Schüler.)
SCHÜLER
Ist nicht die Angst des Daseins Grundtatsache?
FRÄULEIN EDITH
Tatsache ist: Mein Dasein, das ist flüchtig,
Von Augenblick zu Augenblick gefristet,
Der Möglichkeit des Nichtseins ausgesetzt.
Unleugbar aber auch ist die Tatsache,
Daß trotz der Flüchtigkeit ich wirklich bin
Und bin von Augenblick zu Augenblick
Im Sein gehalten und dass in der Flucht
Des Daseins ich das Dauernde umfasse.
Ich weiß mich doch gehalten, habe Ruhe
Und Sicherheit in dem Gehaltenwerden.
Doch nicht die selbstgewisse Sicherheit
Des Mannes, der in eigner Kraft steht auf
Dem festen Boden dieser Erde, aber
Die selig-süße Sicherheit des Kindes,
Das von dem starken Arm getragen wird.
Nicht unvernünftig diese Sicherheit,
Denn wäre wohl vernünftig jenes Kind,
Das immerwährend lebte in der Angst,
Die liebe Mama könnt es fallen lassen?
SCHÜLER
Gott ist die Mutter, die im Arm mich trägt.
Was aber ist das Dasein in der Zeit?
FRÄULEIN EDITH
Das Sein ist nicht nur zeitlich sich erstreckend
Und stets sich selbst voran, der Mensch verlangt,
Stets neu beschenkt zu werden mit dem Sein,
Um auszuschöpfen können den Moment
Und was der Augenblick ihm gibt und nimmt.
Was Fülle gibt, das will der Mensch nicht lassen,
Der sein will ohne Ende, ohne Grenzen,
Um endlos, ganz die Fülle zu besitzen!
Unendlich Freude, Wonne ohne Schatten
Und Liebe ohne Schranken, Leben, höchst
Gesteigert, ohne Schlaffheit, starke Tat,
Zugleich vollkommne Ruhe und Gelöstheit
Von aller Spannung – das ist Seligkeit!
Das ist das Sein, um das es geht dem Menschen
In seinem Dasein. Er ergreift den Glauben,
Der ihm die Seligkeit verheißt, weil diese
Verheißung seinem Wesen ganz entspricht,
Weil sie den Sinn des Daseins ihm erschließt.
SCHÜLER
So wird es aber erst im Himmel sein.
Was aber sagst du zu den Philosophen,
Die schreiben groß das transzendente Ich
Und ordnen alles Dasein um das Ego?...
FRÄULEIN EDITH
Die Krise aller Wissenschaft und Weisheit
Im Abendland ist das Vergessen der
Dreifaltigkeit der Gottheit, die durch Jesus
Die Welt geschaffen und die Welt erlöst.
Nicht die Geschichte ist der Fakt des Seins,
Nicht die Gemeinschaft transzendenter Egos,
Die sind nicht Träger dieser Welt. Allein
Sophia, Fleisch geworden, kann erlösen
Vom Tode in der Zeit und Ewigkeit.
Fleischwerdung dieser Hagia Sophia,
Das ist der größte Fakt der Weltgeschichte,
Und wer das aufhebt, stürzt die Welt ins Nichts,
Ins Leere des banalen Nihilismus.
SCHÜLER
Was sagen denn der Kirche Philosophen?
Was ist des Christentumes Wissenschaft?
FRÄULEIN EDITH
Die Wesensschau des transzendenten Ichs
Und ideale Subjektivität
Muß aufgehoben werden. An die Stelle
Des Egos, das die Dinge definiert,
Muß treten eine freie Geistperson,
Die die verschiednen gottgeschaffnen Dinge
Mit ihrem eignen Selbst vereinen kann.
So steige von der Endlichkeit des Seins
Zur gottgezeugten Ewigkeit des Seins.
Die Geistperson ist ausgerichtet auf
Die Herkunft und die Zukunft in der Gottheit.
Person ist jenes Selbst aus Leib und Seele,
Voll von Erkenntniskraft, Gefühl und Willen.
Die Geistperson ist ähnlich Gott dem Herrn,
Der Geist und Leben in Vollendung ist.
Die Pflicht der Geistperson ist, dieses Leben
In aller Fülle sinnvoll zu gestalten.
Das reine, leere, transzendente Ich,
Das alle Daseinswelt um sich gruppiert,
Vertausch ich mit der Freiheit der Person,
Die nicht von außen nur getrieben wird,
Vielmehr von oben her geleitet wird,
Von oben her geleitet und von innen,
Des Himmels Höhe ist des Herzens Tiefe!
Die Seele wird in sich hineingezogen
Und in der Himmelshöhe so verankert
Und so befriedet, dass sie dieser Welt
Bedrängnissen entzogen wird und ruht.
Das wahrhaft ist Befreiung dieser Seele.
Nicht Gegenstände reizen und bewegen,
Die Geistperson ist nicht so wie ein Tier,
Sie nimmt von innen Stellung zu der Welt,
Gehorsam nur den Weisungen von oben.
SCHÜLER
Was hat denn Gott der Geist dir offenbart?
Nenn mir den Gipfel deiner Weisheit, Freundin!
FRÄULEIN EDITH
Dein Kreuzesleiden, ja, dein eignes Kreuz,
Dein großes, schweres Kreuz führt durch die Angst,
Führt durch die abgrundtiefe Höllenangst
Zur Schau der Gottheit! O! Die Schau der Gottheit!
Das ists, was Gott von Ewigkeit bereitet
Den Kreaturen Gottes, das ist das,
Was nie ein Auge sah, kein Ohr je hörte,
Kein Herz sich je ersann. Allein die Nacht –
Sternlose dunkle Todesnacht der Sinne,
Sternlose dunkle Todesnacht des Wissens,
Sternlose dunkle Todesnacht des Wollens,
Sternlose dunkle Todesnacht des Fühlens –
Führt dich zur Umgestaltung deines Geistes
Als gnadenhafter Anteilhabe an
Dem innertrinitarischen Gespräch
Der göttlichen Urschönheit mit der Weisheit
In der gebenedeiten Liebe Sprache,
So dass du Kreatur vereinigt wirst
In dem Mysterium der Liebesgottheit
Durch das Mysterium der Weisheitsgottheit
Mit der Urschönheitsgottheit im Genuss!
(Der Vorhang fällt...)