Von Josef Maria Mayer
ERSTER AKT
YANG
ERSTE SZENE
(Kaiser Ming Huang im Drachenthron des Himmelssohnes. Seine Leibgarde um ihn.)
KAISER
Wir haben also das Mandat des Himmels,
Der Vater Himmel hat Uns eingesetzt
Als Sohn des Himmels auf dem Drachenthron,
Nachdem zu seinen Ahnen heimgegangen
Der alte Kaiser, Unsrer Hoheit Vater.
Wir wollen ehren ihn im Ahnentempel
Und jährlich Opfer bringen seinem Geist
Im Tempel, wenn Wir Vater Himmel opfern.
Wir sind in Unsrer Weisheit voll Vertrauen,
Daß seine Majestät, der alte Kaiser,
Nun auf der Insel der Glückseligen
Mit den Unsterblichen in Ruhe lebt.
Wir haben also das Mandat des Himmels
Und so gebieten Wir der Kaisergarde.
OBERSTER GARDIST
(Auf dem Boden vor dem Thron liegend, das Angesicht auf der Erde)
Zehntausendfacher Friede, Himmelssohn!
Gebiete, alles wollen wir vollführen!
KAISER
Des alten Kaisers andrer Sohn ist noch
Am Leben, zu bedrohen Unsre Hoheit.
Er opfert Vater Himmel nicht im Tempel,
Er opfert nicht dem Geist des alten Kaisers,
Er glaubt nicht der Unsterblichkeit der Seele
Und fordert doch für sich den Kaiserthron.
Da Wir nun das Mandat des Himmels haben,
Muß jeder Widersacher vor Uns weichen,
Da sonst bedroht das Reich der Mitte ist.
Der Vater Himmel herrscht ja auch allein
Und duldet keinen Widersacher. Darum,
Weil Wir als Himmelssohn das Reich regieren,
Gebieten Wir, den Bruder zu ermorden.
GARDIST
Der Sohn des Himmels hat gesprochen. Wahrlich,
Wir tun, was uns gebietet unser Kaiser.
Der Himmelssohn gibt seinem Reich das Leben,
Der Himmelssohn gibt seinem Feind den Tod!
KAISER
Nun geht und tut, wie Wir es euch geboten.
ZWEITE SZENE
(Kaiser Ming Huang empfängt im Thron den Obersten Heerführer.)
KAISER
Berichtet Uns, war Unser Krieg erfolgreich?
HEERFÜHRER
Zurückgedrängt sind alle die Barbaren!
All die Barbaren, die das Reich der Mitte
Zertrümmern wollten durch den Barbarismus,
All die Verwüster, all die fremden Teufel,
Die legalistischen Tyrannenknechte,
Das Herdenvieh und ihre Diktatoren,
Schlitzaugen mit dem Dolche im Gewande,
Der Bauernpöbel und die Demagogen,
Fleischfresser, die das Blut der Pferde trinken,
Muslime, die dem Gott des Hasses dienen,
Barbaren, die die heilige Kultur
Von China ruinieren und zertrümmern
Und unsre Weisheit niederreißen wollten,
Die stürzen wollten Yao, Shun und Yü,
Die wollten den Konfuzius vernichten,
Sie alle sind vollkommen unterworfen,
Die Hunde klemmen feig die Schwänze ein!
KAISER
Und Unsre Nachbarn in dem goldnen Westen?
HEERFÜHRER
Der goldne Westen kommt und bringt Tribut!
Die Türken aus der heiligen Byzanz
Knien voller Demut vor dem Sohn des Himmels
Und bringen in der Hagia Sophia
Ein Weihrauchopfer dar für Seine Hoheit!
Die Perser des Propheten Zarathustra
Verehren Seine Majestät den Kaiser,
Vergleichen Seine Majestät mit Xerxes,
Vergleichen Euch mit ihrem König Kyrus!
Die Könige vom Abendlande bringen
Euch, unsrer Sonne der Gerechtigkeit,
Tribut und allerbeste Opfergaben,
Der Sultan der Türkei bringt Euch Gewürze,
Der König Persiens bringt Öl und Salben,
Der Maharadscha bringt Euch Edelsteine.
Ihr seid der Himmelssohn des Orients,
Der Weltmonarch des ganzen Morgenlandes
Und Stern des Hoffnung für das Abendland!
KAISER
Hat China Ruhe, Unser Reich der Mitte?
HEERFÜHRER
Ganz China ruht, ein Kind im Arm der Mutter,
In Eurer kaiserlichen Hoheit Armen!
DRITTE SZENE
(Der Kaiser im Bambusgarten mit seinem Hofphilosophen.)
KAISER
O Philosoph, sprich von den Philosophen,
Wir wollen in der Weisheit Schule gehen.
PHILOSOPH
Da Eure Majestät der Sohn des Himmels,
Wird Eure Majestät geführt vom Himmel.
Doch hütet Euch vor all den falschen Lehrern,
Denn Lao Tse und Tschuang Tse vor allen
Verkünden Weltflucht, Rückkehr zur Natur,
Sie kümmern sich nicht um das Reich der Mitte.
Doch folgt auch nicht den Predigten des Buddha,
Denn der Buddhismus macht die Leute schlaff,
Buddhisten sind des Lebens überdrüssig
Und wollen nur noch in dem Nichts verlöschen.
Laßt Euch nicht von Mo Di die Liebe lehren,
Denn seine allgemeine Menschenliebe
Lehnt alle Hierarchie und Ordnung ab
Und fördert Anarchie und Kommunismus.
KAISER
Wenn Yao, Shun und Yü jetzt zu Uns kämen,
Wen von den Philosophen priesen sie?
PHILOSOPH
Gewiß den heiligen Konfuzius!
Er ist der Erbe ja des Altertums,
Er hat das Buch der Wandlungen studiert
Und kannte den geheimen Sinn der Lieder.
KAISER
Was lehrt der Weise über Vater Himmel?
PHILOSOPH
Der Vater Himmel hatte eine Glocke,
Der Vater Himmel gab sein Wort der Welt,
Das war die Weisheit des Konfuzius.
KAISER
Nenn Uns die Lehre des Konfuzius
In Einem Wort, in Einem Dogma nur.
PHILOSOPH
Der Erstgeborne liebe seinen Vater.
KAISER
So wie der Himmelssohn den Vater Himmel?
PHILOSOPH
Und wie die Frau den Ehegatten liebt.
Durch diese Liebe kommt das Reich in Ordnung.
KAISER
Was sagst du von dem Meister Alopen?
PHILOSOPH
Auf metaphysischem Gebiet verschwiegen
Bin ich, wie auch Konfuzius es war.
VIERTE SZENE
(Ming Huang und die Erste der Haremsdamen.)
KAISER
Wir haben Uns entschlossen, nach der Tugend
Zu leben. In dem Himmel zieht die Tugend
Bekränzt einher, Wir sehnen uns nach ihr
Und nehmen Uns die Tugend selbst zum Vorbild.
HAREMSDAME
Wir, Eurer Hoheit Frauen, wollen Euch
Das schwere Amt des höchsten Herrn versüßen.
KAISER
Schon Lao Tse sprach einst in seiner Weisheit:
Musik und leckre Speisen lieben alle,
Doch von der Weisheit möchte keiner hören!
Konfuzius sprach einst in seiner Weisheit:
Ich habe keinen Mann bisher getroffen,
Der so die makellose Tugend liebte
Wie er ein junges schönes Mädchen liebte!
HAREMSDAME
Die Weisheit selbst ist doch wie eine Frau!
In Euren schönsten Frauen Eures Harems
Schaut doch der Weisheit Bild im Gleichnis an!
KAISER
Verführerin! Vom Weg der Tugend lockt
Ihr Frauen auf den Weg der Sinnlichkeit!
HAREMSDAME
Wie können wir denn Eure Majestät
Befriedigen? Was will von uns der Herr?
KAISER
Mit Einem Wort: Wir lösen Unsern Harem
Von Konkubinen auf und schicken alle
Aus dem verbotenen Palast des Himmels!
Es ist nicht angemessen Unserm Amt
Als Himmelssohn, dreitausend Freudenmädchen
Als Konkubinen Uns zu halten, da
Wir Vorbild sind dem Volke der Chinesen.
Der edle Herrscher wirkt ja durch sein Vorbild,
Und wie der Kaiser Eine Kaiserin
An seiner Seite hat, soll der Chinese
Die heilige Familie wieder ehren.
Der Ehemann sei Herr in seinem Hause
Und liebe seine Ehefrau in Treue,
Und seine Ehefrau sei seine Hilfe
Und ehre ihren Mann wie einen Kaiser,
Die Söhne sollen ihre Väter ehren,
Die jüngeren die ältern Brüder ehren,
Großmütter soll man wieder heilig halten,
Dann kommt in Ordnung auch das Reich der Mitte.
HAREMSDAME
Was wird aus den dreitausend Konkubinen?
KAISER
Sie werden, was sie waren: Blumenmädchen,
Sie lieben in den Gassen roten Staubes!
FÜNFTE SZENE
(Der Kaiser und der buddhistische Bonze.)
KAISER
Was wollen Buddhas Mönche für das Reich tun?
BONZE
O Majestät, das Leben ist ein Leiden!
Ja, dass die Kreaturen existieren
Ist nichts als Leiden, ist Geburt und Tod
Und wiederum Geburt und Tod, ein Leiden!
Ihr seid der Vater eines großen Reiches,
Erlaubt doch Euern Dienern, Buddhas Mönchen,
Zu predigen die Straße der Erlösung.
KAISER
Was predigt ihr dem Volk mit schwarzen Haaren?
BONZE
O Majestät, verzeiht den schlichten Einwand,
Wir predigen der ganzen Kreatur,
Und hört uns nicht das Volk mit schwarzen Haaren,
Wird hören uns das Volk mit gelben Haaren!
KAISER
Wie wollt ihr Unsre Kinder denn erlösen?
BONZE
Wir wollen sie zu guten Menschen machen,
Voll Achtsamkeit für jeden Augenblick,
Voll Mitgefühl mit aller Kreatur,
Zu Menschen, die nicht andre Menschen töten,
Die keine Tiere töten, sie zu fressen,
Zu Menschen, die barmherzig sind, weil sie
Ihr schlechtes Schicksal also sühnen werden.
KAISER
Verheißt ihr denn der guten Tat des Menschen
Auch einen Lohn im Diesseits oder Jenseits?
BONZE
Wer Mitleid hat mit aller Kreatur,
Wird hier auf Erden schon ein Buddha werden.
Er wird nicht mehr geboren werden
Und nach dem Tod verlöschen im Nirwana.
KAISER
Wenn Wir auf Erden schon ein Buddha werden,
Wie werden Wir auf Erden leben dann?
BONZE
Erloschen ist dann Euer Lebensdrang,
Ihr habt dann keinen Durst nach Leben mehr,
Erloschen ist dann jegliches Begehren.
KAISER
Wir wollen euch das Predigen gestatten,
Wir selber glauben nicht an diese Lehre.
SECHSTE SZENE
(Der Kaiser und der christliche Mönch Alopen.)
KAISER
Mönch Alopen, du kommst aus Syrien.
Wer ist der Gott, den deine Syrer glauben?
ALOPEN
Wir glauben an den Schöpfer aller Welt,
Der Vater aller Kreaturen ist,
Und glauben an den eingebornen Sohn,
Den Menschen Jesus, unser aller Retter.
KAISER
War dieser Jesus denn ein weiser Mann?
ALOPEN
Er war die Weisheit in Person, mein Kaiser!
KAISER
Was war die Weisheit dieses Menschen Jesus?
ALOPEN
Er lehrte, Gott mit aller Kraft zu lieben,
Zu lieben alle Menschen wie sich selbst,
Sogar die Feinde sollen wir noch lieben!
KAISER
Warum seid ihr gekommen in das Reich?
ALOPEN
Die Christen Roms, sie haben uns vertrieben.
Der Gründer unsrer christlichen Gemeinschaft,
Nestorius, sie sagen, er sei Ketzer.
KAISER
Wie, Ketzerei verkündigst du in China?
ALOPEN
Wir Söhne des Nestorius, wir glauben,
Maria war des Menschen Jesu Mutter,
Und darum nennen wir sie Mutter Jesu.
Roms Christen nennen sie die Mutter Gottes,
Sie nennen sie die Mutter unsres Schöpfers!
KAISER
Du darfst verkünden diesen Menschen Jesus.
Wir hoffen auch als Sohn des Himmels sehr,
Roms Christen kommen einmal auch nach China.
Wenn nämlich Gott, der Schöpfer aller Welt,
Wenn nämlich Gott auch eine Mutter hat,
So wird sich China freuen, diese Mutter
Einst zu begrüßen in dem Reich der Mitte.
ALOPEN
Hier, Eure Majestät, das Buch der Worte
Des Meisters Jesus, voll der Weisheit Gottes.
KAISER
Wir sind euch gnädig, Meister Alopen.
SIEBENTE SZENE
(Ming Huang mit Lady Yang Gue-Fei im Garten beim Pavillon auf einer Gartenbank unter einem Maulbeerfeigenbaum.)
KAISER
O Lady Yang, mit zweiundzwanzig Jahren
Bist du so schön wie eine Himmlische!
Das Mädchen in dem Regenbogenkleid
War so beim Gelben Kaiser Huang Di.
Du kannst den Ozean der Seele lenken
Wie jene schöne Meeresgöttin Ma-Ku.
Du bist so schön wie eine junge Fee,
Ja, wie die schöne Königin der Feen,
Die holde Hsi Wang Mu vom Kunlun-Berg.
Du schaust so gnädig und so liebevoll
Wie jene Gnadengöttin Guan Yin.
LADY YANG
Mein Kaiser, Ihr mit Euren sechzig Jahren,
Seid weise wie Konfuzius und weise
Wie Lao Tse und Tschuang Tse zugleich
Und redet von der Liebe wie Mo Di,
Der Retter Eures Volkes Ihr wie Yü,
Der Himmelssohn voll Pietät wie Shun,
Gerechter Kaiser wie der edle Yao,
Ein Mann voll Weisheit und Gerechtigkeit
Wie einst der Gelbe Kaiser Huang Di.
KAISER
Das Ideal der Eremiten ist,
Das Elexier des Lebens und der Jugend
Zu finden in dem chymischen Labor,
So dass der weise Mann von hundert Jahren
Noch jung und blühend ist wie fünfzehn Jahre.
Wir sind der weise alte Eremit,
Du bist die Jugend und Unsterblichkeit.
In deiner Schönheit, junge Mädchengöttin,
Verliebten Wir Uns in die Ewigkeit.
LADY YANG
In Eurem weisen würdevollen Alter
Erkenne ich des Himmels Jadekaiser.
Ja, väterlicher Freund und Vielgeliebter,
In Euch erkenne ich den Vater Himmel.
KAISER
Wenn Wir der Vater Himmel sind, der Alte,
Bist du die ewigjunge Ewigkeit!
LADY YANG
O Kaiser, küsst mir bitte meine Wange!
KAISER
Komm, Liebste, eilen wir ins Brautgemach!...
ACHTE SZENE
(Lady Yang im Garten vorm Pavillon auf einer Gartenbank, der Türke An Lu-Shan tritt zu ihr.)
AN LU-SHAN
O Lady Yang, des Kaisers Favoritin
Beobachte ich nun seit Monden schon
Und bin von Mond zu Mond verliebter in
Das schönste Mädchen unter allen Mädchen,
Ich habe mich verliebt in dich, mein Mädchen.
LADY YANG
Ich aber bin des Kaisers Favoritin.
AN LU-SHAN
Wir Türken haben eine Poesie
Der Liebe, da die Dichter singen von
Der Rose, welche unerreichbar schön
Und unerreichbar fern, die Nachtigall
Singt immer sehnsuchtsvoll in Einsamkeit,
Verzehrt sich schmachtend vor Begierlichkeit
Und huldigt immerdar der Rosenschönheit
Und immer wieder fliegt die Nachtigall
Zur schönen Rose, ob sie spricht ihr Ja-Wort,
Die Rose immer wieder spricht ihr Nein
Und bohrt den scharfen Stachel ihrer Dornen
Der Nachtigall in ihre Sängerbrust,
Die Nachtigall, den Stachel in der Brust,
Verblutet und verblutend singt sie wehe
Und süße Sehnsuchtsqualen schmerzlich schmachtend
Und singt mit dem durchbohrten Herzen schöner
Als alle andern Vögel in dem Wald.
LADY YANG
Mein vielgeliebter Kaiser aber nennt mich
Pfingstrose makellos und ohne Dornen.
AN LU-SHAN
Ich spiel auch nicht das Spiel der Nachtigall,
Ich bin ja nicht ein törichter Poet,
Und wenn das Röschen mich auch stechen wollte,
Ich würde dennoch mir das Röschen pflücken,
Das Röschen wird es eben leiden müssen.
LADY YANG
Geh weg, geh weg, du türkischer Barbar,
Du bittest die chinesische Prinzessin
Um Liebe und bedrohst sie mit Gewalt?
AN LU-SHAN
Wenn du nicht willig bist, brauch ich Gewalt,
Schenkst du mir nicht die körperliche Liebe,
Stürz ich den Himmelssohn von seinem Thron!
LADY YANG
Mir aus den Augen, türkischer Barbar,
Der gute Himmel möge dich bestrafen!
NEUNTE SZENE
(Kaiser Ming Huang im Thron, zu seiner Seite der Thron der Lady Yang. An Lu-Shan mit einer Gruppe barbarischer Rebellen stürmt herein.)
KAISER
Der Himmelssohn im Drachenthron regiert!
LADY YANG
Die Favoritin thront im Phönixthron!
AN LU-SHAN
(Hereinbrechend, bewaffnet)
Der Kaiser Chinas wird nun abgesetzt,
Wir Revolutionäre schicken dich
In die Verbannung, deine Tyrannei
Hat nun ein Ende, China wird nun frei,
Ich selber, Haupt der Revolutionäre,
Ich bin die Sonne der Gerechtigkeit
Und Gott auf Erden unter freien Bauern!
(Ming Huang wird von den Rebellen gefangen genommen.)
KAISER
Ihr wisst den Kaiser Chinas abzusetzen,
Jedoch ihr wisst nicht, China zu regieren.
Die höchste Blüte der Kultur der Menschheit
Die Revolutionäre ruinieren!
AN LU-SHAN
Ihr Männer, bringt den alten Kaiser weg!
(Ming Huang wird abgeführt. An-Lu-Shan zu Lady Yang)
Und nun, o Lady mit dem schönen Lächeln,
Bist du bereit, den Kaiser anzubeten,
Der nun den Vorsitz einnimmt in dem Reich?
Um deine Liebe hab ich lang geworben,
Doch nun gebiet ich dir die Huldigung.
Bei deinem Leben, nenn mich deinen Gott
Und fall vor deinem Gottherrn auf die Knie!
LADY YANG
Barbarenpöbel! Abschaum aus der Gosse!
Der Phönix beugt sich nicht vor einer Ratte!
AN LU-SHAN
(in höchstem teuflischem Zorn)
Du Skorpionin! Tod der Favoritin!
Ermordet sie, ihr Revolutionäre!
(Lady Yang wird von einem Söldner ermordet.)
LADY YANG
(sterbend)
Der Himmel nehme meine Seele auf!
AN LU-SHAN
Triumph, Triumph der Rebellion des Volkes!
Wir, Haupt der Rebellion, Wir sind nun Gott!
ZEHNTE SZENE
(Kaiser Ming Huang allein, erschöpft.)
KAISER
Die Revolutionäre fressen sich
Ja gegenseitig auf und An Lu-Shan
Ist auch ermordet worden von Rebellen.
Die Rebellion frisst ihre eignen Kinder.
Zertrümmert haben sie das Reich der Mitte,
Die Bücher der Poeten sind verbrannt
Und die Poeten ins Exil getrieben.
Die Maler sollten An Lu-Shan nur malen.
Wer malen wollte die Natur, die Mutter,
Der wurde fortgeschickt in die Verbannung.
Die Marmorstatuen der Philosophen
Und Buddhas goldne Bilder sind zertrümmert,
Das Bild der Gnadengöttin Guan Yin
Und die Maria mit dem Gottessohn
Gerissen wurden nieder und die Tempel.
Soldaten unterdrückten alle Menschen
Und ein Regime des Terrors herrschte grausam.
Doch hat der Drache selbst sich aufgefressen!
Wir kehren jetzt zurück, der Himmelssohn
Hat wieder das Mandat von Vater Himmel.
Wir aber sind ein armer alter Kaiser,
Sie haben Uns geplagt und Uns gepeinigt.
Nun ist die Seele matt vor Traurigkeit.
Nur ekler Missmut, ekler Überdruß
Frisst Uns in Unsrer Seele wie ein Gift.
Allein sind Wir, allein auf dieser Erde.
Und die Wir liebten, ist im Totenreich.
Wir wollen nieder zu den Gelben Quellen,
Wir sind bereit zum Tod, o Vater Himmel.
(Er greift sich jäh ans Herz.)
O Gott, wer du auch bist, verzeihe mir!
(Er stürzt zu Boden, seine Glieder zittern.)
Erbarmen, Mutter der Barmherzigkeit!
(Er stirbt.)
ZWEITER AKT
YIN
ERSTE SZENE
LI TAI-BO
O Mutter, die du Witwe bist geworden,
Ich sehe mich als Kind in meinem Geist,
Da seh ich dich als junge schöne Mutter
Und mich als kleines Kind auf deinem Arm
Und deine Augen schauen in die meinen
Und meine Augen schauen in die deinen
Und zwischen unsern Augen strahlt die Liebe.
Auch sehe ich im Geist mich als ein Kind,
Ich sehe dich als junge schöne Mutter,
Du sitzt bequem auf einem weichen Sopha,
Ich sitze neben dir zu deiner Rechten
Und lege meinen Kopf in deinen Schoß
Und du liebkost mir zärtlich meinen Kopf.
MUTTER
Mein Kind, als du geboren worden, sah
Am Himmel eben ich den Morgenstern,
Den Weißen Stern, wie ihn Chinesen nennen,
Die Römer nennen ihn Planeten Venus,
Und darum gab ich dir auch deinen Namen,
Der da bedeutet: Glanz der Morgenröte.
LI TAI BO
Zehn Jahre war ich alt, o liebe Mutter,
Da gabst du mir das Buch mit den Gesprächen
Des heiligen Konfuzius, ich las,
Ich war begeistert von der Weisheit Chinas,
Ich wollte auch der Weisheit Chinas dienen.
MUTTER
Weil du vom Großen Weißen Stern gekommen,
Von Venus Hsing Tai-Bo herabgekommen,
Erkanntest du die Weisheit wieder, als
Konfuzius gepredigt von der Weisheit.
LI TAI BO
Und darum bin ich auch schon mit zwölf Jahren
Geworden mündig in der Weisheit Schule
Und lebte als ein Eremit allein
In den chinesischen Gebirgen, fastend
Und meditierend und studierend. Weisheit
Erkannte ich als Weisheit der Natur,
Erkannte ich als Große Mutter Tao,
Als Tao von dem Himmel und der Erde,
Als Tao von dem Menschen und als Tao
In meiner Seele, Große Mutter Tao.
MUTTER
Doch warum musst du immer so viel trinken?
LI TAI BO
Wo Weisheit ist, o Mutter, da ist Weltschmerz!
Wo Weltschmerz ist, o Mutter, da ist Wein!
ZWEITE SZENE
MUTTER
Mein Sohn, wie bist du nach Tschang-an gekommen?
LI TAI BO
O Mutter, alle Dichter waren dort,
Es waren dort die Maler und die Mönche.
Ich trieb mich durch die Straßen, durch die Gassen,
Beschaute manches schöne Freudenmädchen
Und manche schöne jugendliche Nonne
Und lernte meinen Freund und Bruder kennen,
Den wahren heiligen Poeten Du Fu.
MUTTER
Mein Sohn, dass du die Gunst des Kaisers fandest!
Wie stolz ist deine Mutter auf den Sohn,
Daß unser Kaiser lobte den Poeten!
LI TAI BO
Ich kannte alle Sprachen aus dem Osten
Und auch die koreanische Kultur.
Der Kaiser hatte einen Brief bekommen
Vom König von Korea, doch der Kaiser
Verstand kein koreanisch. Doch des Kaisers
Geheimer Rat erkannte meine Gaben
Und sprach zu seiner Majestät dem Kaiser:
O Sohn des Himmels, in Tschang-an ein Dichter
Ist Kenner koreanischer Kultur
Und Sprache und dazu ein großer Dichter
Und junger Gott chinesischer Kultur.
Wenn Eure Majestät es mir erlaubt,
Berufe ich den Dichter an den Hof,
Er übersetzt Euch diesen Brief des Königs.
So kam ich an den Hof und übersetzte
Den Brief des Königs von Korea für
Den Kaiser Chinas und sogleich die Antwort
Diktiert ich dem Geheimen Rat des Kaisers
Und stiftete Versöhnung zwischen China
Und Nord- und Süd-Korea durch die Kunst
Der schönen Sprache voll der wahren Weisheit.
Der Kaiser war zufrieden und zum Lohn
Gab er mir einen Beutel Silbermünzen.
MUTTER
Mein Sohn, dein so zerlumpter Linnenkittel
Zeigt mir, du kauftest keine neuen Kleider.
Daß du am Hofe seiner Majestät
Geduldet wirst in solchem Linnenkittel,
Wie ihn allein die armen Bauern tragen!
LI TAI BO
Der Sohn des Himmels ist ein Genius
Und so erkennt er auch den Genius!
Erkennen würde seine Majestät
Selbst einen Gott in armer Leute Kittel!
Ich aber bin kein Gott, ich bin ein Engel,
Verbannt aus meinem schönen Paradies!
MUTTER
Was tatest du denn mit den Silbermünzen?
LI TAI BO
Ich kaufte jungen wilden Schaumwein mir!
DRITTE SZENE
(Li Tai-Bo und sein Dichterfreund Du Fu auf Wanderung.)
LI TAI BO
Mein Freund Du Fu, wie wir beim Kaiser waren,
Das waren Tage doch der größten Gnaden!
DU FU
Du schautest immer nur zur Kaiserin,
Sie war die Muse deiner Poesie!
LI TAI BO
Ach wenn du wüsstest, wie sie mich entzückt!
DU FU
Ich sang ja mehr vom Leiden meines Volkes
Und von der Weisheit unsrer alten Meister.
LI TAI BO
Wenn ich am Abend meinen Wein getrunken,
Dann sah ich immer nur vor mir die Lady,
Die Lady, zweiundzwanzig Jahre jung.
DU FU
Gedachtest nicht der Großen Mutter Tao
Und der uralten Weisheit unsrer Ahnen?
LI TAI BO
Was wissen wir von Unsrer Mutter Tao?
Wenn sie Gestalt nun eines Menschen annimmt
Und lächelt von den Lippen einer Lady
Und leuchtet aus den Augen einer Lady?
DU FU
Sing wieder dein unsterbliches Gedicht,
Daß du der lieben Lady Yang gesungen!
Ich hörte doch, die alten Nonnen sagten,
Dein Lied beleidige die Lady Yang?
LI TAI BO
Sie war zu gütig, um gekränkt zu sein.
DU FU
Wie priesest du denn Unsre Liebe Lady?
LI TAI BO
Ich pries sie als die reine Lotosblüte,
Die sich erhoben aus dem Schlamm des Teiches,
Im Schoß des Kelchs der reinen Lotosblüte
Verborgen war das göttliche Juwel!
Ich lobte sie als Rose ohne Dornen,
Pfingstrose mit dem Namen Morgenröte!
Ich sang der Jadegipfel Jadeknospen
Als goldne Blüte der geheimen Weisheit!
Ich feierte des Winters reine Pflaume,
Die ewig makellos und unbefleckt,
Und weihte mich der unbefleckten Pflaume!
DU FU
Und darum sprachen jene alten Nonnen,
Dein Lied sei eines schlimmen Fingers Lied?
LI TAI BO
Doch Lady Yang verstand und lächelte.
VIERTE SZENE
(Li Tai-Bo allein, vor ihm ein Becher Reiswein, auf seinem Schoß die Chin-Leier.)
LI TAI BO
Am Wasser stand ein Maulbeerfeigenbaum,
Das süße Mädchen sammelte die Blätter,
Das weiße sanfte Händchen meines Mädchens
Leicht rauschte durch das dunkle Laub des Baumes,
Das schwarze Kleid voll Glanz im Glanz der Sonne.
Laß, sprach sie, laß mich, mein verehrter Freier,
Ich muß nach meinen Seidenraupen schauen,
Dein Hengst jedoch, er schnaubt so ungeduldig!
ECHO
Dein Hengst jedoch, er schnaubt so ungeduldig!
LI TAI BO
Ich denk an dich für alle Ewigkeit,
Ich denk an dich, wo immer ich auch bin.
Die grüne Grille zirpt ihr Lied im Herbst,
Ihr Zirpen tönt am Rand des Marmorbrunnens.
Vom Himmel rieselt sanft herab der Reif
Und dringt durch meine Decken und Gewänder.
Allein bei meiner alten Lampe Schimmer
Wird trüb das Licht und will mir bald verlöschen.
Ich hebe auf den Vorhang vor dem Fenster
Und schaue in die Mondin weiß und kühl.
Die goldne Zeit ist fern wie auch der Himmel.
Voll Schwermut an dem Himmel hängt die Nacht
In tiefer Nacht, in samtenschwarzer Nacht.
Der graue See dehnt sich so einsam aus!
Wie weit ist noch der Weg? Wie weit noch, ach!
Die Flügel meiner Seele sind wie Blei,
In wirren Träumen müht sich meine Seele,
Den Weg zu finden durch das Meer, den Sturm.
Ich denk an dich für alle Ewigkeit!
ECHO
Ich denk an dich für alle Ewigkeit...
LI TAI BO
Und voller Traurigkeit ist meine Seele.
FÜNFTE SZENE
(Bergeinsiedelei. Li Tai-Bo als Eremit bekommt Besuch von einem andern Eremiten.)
EREMIT
Wie selig sind wir doch, wir Eremiten
Vom Bambustal, erlöst vom Staub der Welt!
LI TAI BO
Ich hab mich lange in dem Rad des Lebens
Gedreht, im immerselben Kreislauf töricht.
Was fand ich in dem großen Weltgetriebe?
Statt Liebe fand ich wilde Leidenschaft,
Statt Freundschaft fand ich nackten Egoismus,
Statt Glauben fand ich leere Rituale,
Statt Sohn-und-Vater-Liebe fand ich Geld,
Statt frommer Herrschaft fand ich Rebellion,
Statt Keuschheit fand ich Ehebruch und Unzucht,
Statt Pietät fand ich den Kindermord!
Mich ekelt an das Treiben dieser Leute!
EREMIT
Vergiß, mein Freund und Bruder, trink vom Wein,
Trink reichlich von dem Reiswein des Vergessens!
Am Morgen bade dich im reinen Quell
Und überlass die Toren ihrer Torheit
Und überlass die Sünder ihren Sünden
Und nehme deine Chin und heb die Stimme
Und sing allein der Großen Mutter Tao!
LI TAI BO
Die Leute hören meine Lieder wohl,
Sie sagen: Er hat eine schöne Stimme,
Er weiß geschickt das Saitenspiel zu streichen.
Sie hören meine Lieder mit den Ohren,
Die Herzen aber sind verhärtet und
Erfüllt von radikaler Eigenliebe!
EREMIT
Laß dir die Wunden heilen von der Schönheit
Des Himmels, von der Gottheit der Natur,
Von der geliebten Weisheit alter Meister,
Betrachte allezeit der Weisheit Kanon,
Wetteifre mit den klassischen Poeten!
LI TAI BO
Von Menschen unbeachtet, ungesehen,
Sie halten mich für einen Taugenichts,
Ich aber sauge an dem vollen Busen
Der Großen Mutter Tao und lobsinge
Die Vielgeliebte meiner Seele nur,
Ich sing die ewigschöne Gottnatur!
SECHSTE SZENE
(Li Tai-Bo im Gefängnis.)
LI TAI BO
Weil ich dem Kaiser und der Kaiserin
Ergeben bin in wandelloser Treue,
Weil ich geglaubt an das Mandat des Himmels,
Den Vater Himmel und den Himmelssohn,
Weil ich verehrt in meiner Kaiserin
Die Große Mutter Tao als ein Mädchen,
Als zweiundzwanzig Jahre junge Schönheit,
Kurz, weil ich Gott geliebt von ganzem Herzen,
Drum muß ich jetzt in diesem Kerker sitzen.
Was solls! Das ganze Leben ist ein Kerker!
Mein Körper ist der Kerker meiner Seele!
Ja, meine Seele träumte einen Traum,
Ich sah die Freiheit, ganz wie eine Göttin,
Die Freiheit, eine junge schöne Göttin!
Die junge schöne Göttin Freiheit sprach:
Du leertest bis zum Grund den bittern Becher
Voll Wein des Zornes Gottes, ausgetrunken
Hast du den Becher bis zum letzten Tropfen
Und noch die Hefe auf dem Grund getrunken
Und bist besoffen jetzt, doch nicht von Wein,
Besoffen bist du von dem Kummer Gottes!
Der Gottmensch litt in dir die Einsamkeit,
Verlassenheit von allen seinen Freunden,
Er schwitzte in dir Blutschweiß seines Jammers,
Er flehte in dir Gott an um Erbarmen:
O Vater, laß den Kelch vorübergehen,
Doch nicht wie ich will, sondern so wie du willst!
So leertest du den Becher seines Zornes,
Der randvoll eingeschenkt mit Wein des Grimmes!
Jetzt aber komme ich, die Göttin Freiheit,
Die junge schöne Göttin Freiheit tröstet
Dein Elend, der du trunken noch vom Jammer:
Du musst den Wein des Zornes nicht mehr trinken,
Gott gibt den vollen Becher seines Zornes
Jetzt deinen Unterdrückern, dass sie trinken,
Sie, die dich niederwarfen auf den Boden
Und trampelten herum auf deinem Rücken,
Sie müssen saufen jetzt den Wein des Zornes!
So sprach die junge schöne Göttin Freiheit
In übergroßem Glanz der Morgenröte,
Da bin ich auferwacht von meinem Schlaf.
KERKERMEISTER
Gefangner Nummer Hundertvierundvierzig,
Du kannst jetzt gehn, du wirst jetzt freigelassen!
LI TAI BO
O Freiheit, laß den Rosenmund dir küssen!
SIEBENTE SZENE
(Li Tai-Bo allein am Dung-ting-See, Nacht, Vollmond.)
LI TAI BO
Noch Einmal hebe ich den Freudenbecher,
Den schlanken Kelch, erfüllt vom Geist des Lebens,
Noch Einmal sauge ich den Wein der Weisheit,
Den Spiritus der makellosen Liebe!
(Er trinkt)
Ich taumele betrunken! Alter Mann,
Was kümmert dich dein Alter, alter Mann?
Wird deine Seele denn nicht immer jünger?
O welche Vision! Ich sehe, siehe,
Als wär es meine Mädchengöttin Seele,
Schwebt eine Jungfrau auf dem weißen Mond!
O Mädchen in dem Regenbogenkleid,
Du Fee des Gelben Kaisers Huang Di,
Bist du es, dir mir auf dem Mond erscheint?
O junge schöne Meeresgöttin Ma-ku,
Bist du es, die da auftaucht aus dem See?
O Guan Yin, du Mutter des Erbarmens,
Prinzessin Gottes, reine Gnadengöttin,
Bist du die Lichtgestalt, die mir erscheint?
O Liebe Lady Yang, o Kaiserin,
Du zweiundzwanzig Jahre junge Schönheit
Im Phönixthron, du reines Phönixmädchen,
Seh ich dich nieder schweben aus dem Himmel?
O makellose Mädchengöttin du,
Wer du auch bist, du unbefleckte Göttin,
Jetzt seh ich hinter dir den Himmel offen,
Ich seh die Phönixstadt aus reiner Jade,
Am Ende jenes weißen Sternenstromes
Seh ich die Phönixstadt aus reiner Jade,
Aus Jaspis und Nephrit und Gold und Perlen!
O makellose Mädchengöttin, Braut,
Gekleidet mit dem Schimmer weißen Mondes,
Geschmückt mit Jade und mit Muschelperlen,
Bist du die Braut, die mich zu lieben kommt?
Ich sehe, siehe, was ich sehe, ist
In jener Phönixstadt am Sternenstrom
Aus weißer Jade einen Kaiserthron
Und auf dem Thron den Weißen Jadekaiser,
Zu seiner Rechten, Freude über Freude,
Das Mädchen in dem Regenbogenkleid!
(Li Tai-Bo trinkt seinen letzten Lebensbecher leer.)
Mondgöttin in dem See, umarme mich!
Mein Leben ist vollendet! Mama, Mama!
(Er stürzt in den See und ertrinkt. Ein gelber Kranich lässt sich am Ufer des Dung-Ting-Sees nieder und schwebt majestätisch wieder in den Himmel.)