Von Josef Maria Mayer
Personen:
Jungfrau
Dichter
Trinker
Weib
Germane
Ort: Am Ende der Erde
Zeit: Herbst 1989
ERSTE SZENE
(Vor der Schenke Zur Eiche, am Abend des 15. August. Sichelmond. Der Dichter sieht zum ersten Mal die Jungfrau.)
DICHTER
Du, Jungfrau, schaust aus großen warmen Augen
In meine Seele. Meine Seele fühlt
Den Lichtstrahl deiner Augen sie durchdringen
Und sie erkennen bis zum Grund des Herzens.
JUNGFRAU
Ich seh das Lächeln deines Angesichts,
Was, lieber Freund, erheitert deine Seele?
DICHTER
Ich war in dem Gymnasium, doch nicht
In dem Gymnasium der Leibesübung,
Ich war im komischen Theater, sah
Lysistrata und ihre Freundinnen.
Die Männer Griechenlands, dem Vater Krieg
Als Vater aller Dinge dienten sie.
Die Frauen aber wünschten sich den Frieden.
Eirene, göttliche Eirene, komm,
Zu deinen frommen Frauen komm und lehre
Die Frauen, Frieden in der Welt zu stiften!
JUNGFRAU
Wenn Frauen Frieden selbst im Herzen haben,
Dann tragen sie den Frieden in die Welt.
Die Frauen Griechenlands, wie wirkten sie
Den Frieden in der Welt und stifteten
Die Zivilisation des schönen Friedens?
DICHTER
Enthaltsamkeit war ihre schärfste Waffe!
Der männlichen Begier nach Fleischeslust
Sie wehrten die Befriedigung der Ehe
Und lebten in der Ehe selbst jungfräulich.
JUNGFRAU
Die Jungfrau Iphigenia, die Hindin,
Gab sich als Opfer hin der Jungfraungöttin.
Antigone, die heldenhafte Jungfrau,
Sie widerstand dem ungerechten Staat
Und folgte dem Gebot der Bruderliebe,
Als Marterzeugin starb sie für die Liebe.
DICHTER
O Jungfrau, deine Augen liebe ich
Und liebe in den Augen deine Seele!
JUNGFRAU
Ich aber werde eine Jungfrau bleiben,
Verlobt allein dem guten Geist der Freiheit!
ZWEITE SZENE
(Kirche. Dichter kniet vor der Madonna.)
DICHTER
Hier sehe ich in dem Madonnenbild
Die heilige Ikone der Geliebten.
Hier schweben in der Nische der Madonna
Die Feenkönigin und ihre Elfen
Und alle Jungfraun aus den Ammenmärchen
Und alle schönen Frauen aus den Träumen.
Ich zünde eine Opferkerze an
Und lasse brennen dieses Licht im Tempel
Für die Geliebte, meine Königin.
Ich sehe sie in einem Schlosse wohnen,
In einem weißen Schloß aus Glas und Gold
Und reinem Marmor in der Herrlichkeit.
Die Pforte dieses Schlosses ist verschleiert,
Der Schleier ist aus purpurrotem Linnen,
Der rote Purpur ist so rot wie Feuer.
Die Kuppeln dieses Schlosses sind wie Brüste,
Wie weiße Marmorbrüste wohl gewölbt.
Und auf den schöngewölbten Kuppen thronen
Brustspitzen gleich die Kreuze der Erlösung.
Ich stehe vor der Pforte, klopfe an,
Im Turm von Elfenbein die Glocke läutet.
Mein Pochen ist ihr irgendwie vertraut.
Ich sehe sie am Himmelsfenster stehen,
Der Busen hebt und senkt sich voller Sehnsucht,
Sie hält in ihrer Hand den Rosenkranz
Und streut die rosa Perlen auf die Erde.
Sie ist die theosophische Aurora,
Die rosenarmig Rosenblüten streut.
Wach auf, Gitarre, weck die Morgenröte!
Ich steig die Stufen ihrer Himmelstreppe
Zu ihrem Thron der Königin hinan
Und dort erwarte ich das Weltgericht
In der Geschichte und auch mein Gericht.
Schutzengelin des Universums ist sie,
Gesandte von dem Stern der Phantasie,
Mein Täubchen, meine Eine, meine Reine.
Ich bin es, der sie liebt und der ihr dient,
Für alle Zeiten ihr geringster Sklave.
Wie? Lächelt die Madonna des Altares?
Sah ich die Schöne Dame wirklich lächeln?
DRITTE SZENE
(Im Zimmer der Jungfrau. Sie und der Dichter stellen Masken her.)
JUNGFRAU
Ich hörte, dass die weise Hildegard
Von Bingen, die Prophetin der Teutonen,
Gesehen, wie Natur, die gute Mutter,
Sich gegen den verdorbnen Menschen zornig
Erhebt und wie sie rebelliert, weil er
In seiner sündigen Gottlosigkeit
Missachtet ihre schöne Schöpfungsordnung!
Der Mensch, von Gott ein kleiner Gott auf Erden,
Der Mensch, wenn er nicht Gott dem Schöpfer dient,
Wenn er wie Satan selber Gott sein will,
Zerstört die Schöpfungsordnung! Die Natur
Bewaffnet sich mit überheißen Sonnen
Und Meeresbeben und mit Katastrophen.
DICHTER
Der Mensch will wirklich Gott auf Erden spielen
Und keinem Gott im Himmel dienen, sondern
Selbst Schöpfer sein, als Mensch den Menschen schaffen,
Ja, neue Menschen künstlich schaffen in
Dem chemischen Labor. Homunculus
Ist nicht die Frucht der ehelichen Liebe.
Homunculus ist ein Produkt aus der
Fabrik der Wissenschaft der Gottesleugner.
JUNGFRAU
Mutanten schafft der gottvergessne Mensch,
Monströse Wesen produziert der Mensch.
Doch über der verdorbnen Menschheit lastet
Der Zorn des großen Gottes, der uns richtet
Mit Katastrophen der gequälten Schöpfung!
DICHTER
Doch diese Masken der Mutanten und
Monströsen Wesen und Homunculi
Erschrecken werden alle reinen Seelen
Noch unverdorbner Menschenkinder, schreiend
Sie schrein zu Gott, wie kleine Kinder weinen
Und wenden sich um Trost an ihre Mutter.
JUNGFRAU
Die Sonne schaute ich als goldne Schale,
Doch in der goldnen Schale waren Löcher,
Durch diese Löcher strömte Gottes Zorn!
DICHTER
Ich schaute in der Sonne eine Frau,
Die Schöne Dame in dem Kleid der Sonne,
Sie musste kämpfen mit dem roten Drachen,
Der bösen Diktatur des Kommunismus!
JUNGFRAU
Im Westen aber ist der alte Drache
Wie eine schöne, schillernd bunte Schlange!
Das Evangelium des Mammon ist es,
Der Nihilismus und der Hedonismus!
VIERTE SZENE
(Im Café Zum Adler sitzt der Trinker bei einem großen Glas Bier. Bei ihm sitzt der Dichter vor einem Becher Kaffee.)
TRINKER
Ich habe alle Zeitungen durchgelesen. Ich will immer wissen, was in der Tagespolitik geschieht. Die Großen machen zwar doch, was sie wollen, und der kleine Mann muß es über sich ergehen lassen. Aber es ist doch wie ein Kriminalroman der Politik, was jetzt im Osten geschieht.
DICHTER
Ich lese keine Zeitung, denn sie dient
Der Zeit, ich aber dien der Ewigkeit!
TRINKER
Es ist aber doch wie ein neuer Prager Frühling im Herbst! Als einst im Prager Frühling die Demokratie erwachte, da wurde die Demokratie zerschlagen von den Panzern der kommunistischen Diktatur. Der Führer der Demokraten wurde einsamer Friedhofsgärtner. Aber jetzt ist der Friedhofsgärtner zurückgekehrt, ein gütiger alter Mann mit silbernen Haaren steht er auf dem Balkon. Die jungen schönen böhmischen Mädchen werfen ihm Kusshände und weiße Rosen zu!
DICHTER
O Praha, alte Stadt der deutschen Kaiser!
Im Traum war ich in deinem Goldnen Gässchen.
TRINKER
Und als in Polen der polnische Papst gerufen: Komm, Heiliger Geist, verwandle das Antlitz der Erde! – da brach die Arbeiterbewegung der Solidarität und der Freiheit auf. Die Arbeiterklasse erhob sich gegen die Partei der Arbeiterklasse!
DICHTER
Der Slawen Papst muß Russland noch befreien!
TRINKER
Nun ist die Grenze zwischen Ungarn und Österreich geöffnet! Die Menschen aus der kommunistischen Diktatur fliehen über Ungarn nach Österreich. Das ostdeutsche Volk strömt in die Freiheit! Wir erleben einen Augenblick, da die Tagespolitik zur großen Weltgeschichte wird.
DICHTER
O Österreich und Ungarn, Haus von Habsburg!
Solang das Haus von Habsburg Gott verehrt,
Wird es beschützt von Gottes großer Mutter!
FÜNFTE SZENE
(Dichter im Café, er trinkt Rotwein, vor ihm sein Notizbuch. Das Weib tritt herein, schön wie eine Nymphe von Otto Mueller.)
WEIB
Darf ich mich hier zu dir setzen?
DICHTER
Ich liebe sehr die Gegenwart von Frauen.
WEIB
Bist du Poet?
DICHTER
Siehst du an meiner Stirn das Zeichen strahlen?
WEIB
Ich sehe dich beim roten Wein versonnen sitzen. Dein Notizbuch liegt vor dir. So saßen doch die Poeten in Prag im Straßencafé und tranken ihren Weißwein der Sorte Poesie und schrieben Liebesgedichte an ihre jungen Mädchen. Du bist sicher verliebt?
DICHTER
Ja, in die Liebe selbst bin ich verliebt.
WEIB
Und liebst du auch die Natur? Ein Dichter muß doch lange Spaziergänge machen und die Bäche belauschen und die Nachtigallen.
DICHTER
Ich lausche gern dem mütterlichen Meer.
WEIB
So ging es auch einem andern großen Poeten. Er saß auf seiner Insel am Strand auf einem Stein und lauschte dem Meer. Dann dichtete er seine Oden. Sein Sekretär schrieb sie ab, der Dichter legte die letzte Hand an, gab der Ode den letzten Schliff.
DICHTER
Wo kommst du her, o Weib, wo gehst du hin?
WEIB
Ich komme aus dem Osten Deutschlands. Ich bin über Ungarn nach Österreich geflüchtet. Nun bin ich hier, in der Provinz, am Ende der Erde.
DICHTER
Bist du allein geflohen in die Freiheit?
WEIB
Mein Freund ist mit mir geflohen. Er kommt auch bald hierher. Du musst uns einmal besuchen. Dann bring mir doch einmal ein Gedicht von dir mit. Vielleicht schreibst du einmal über mich ein Gedicht?
DICHTER
Verklären würde ich dich dann als Nymphe.
WEIB
Ja, als nackte Nymphe oder die wilde Göttin Freyheit!
SECHSTE SZENE
(Café. Der Dichter und der Trinker. Vorm Trinker ein Glas Bier und ein Stapel Tageszeitungen.)
TRINKER
Im Osten demonstrieren die Menschen. Sie fordern Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Demokratie. Einige versammeln sich in der Kirche von Leipzig und ziehen dann friedlich durch die Stadt. Immer mehr Bürger gesellen sich dazu. Die kommunistische Staatspartei nennt die friedlichen Bürger Krawallmacher, asoziales Pack! Dabei wollen sie nur friedlich demonstrieren für den Schutz der Schöpfung und für demokratische Freiheiten. Sie rufen: Wir sind das Volk!
DICHTER
Die revolutionären Kommunisten,
Durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen,
Errichteten die strengste Diktatur,
Die Diktatur der herrschenden Partei.
Die jungen Revolutionäre nun,
Die protestieren gegen die Partei,
Die stehen unterm Schutz der Mutter Kirche,
Versammelt unterm Rock der Mutter Kirche
Die Revolutionäre predigen
Nicht revolutionären Klassenhass,
Nein, Frieden und Versöhnung, Nächstenliebe,
Bewahrung der Natur als Schöpfung Gottes.
TRINKER
Dieselben Bohemiens, die im Kapitalismus von den Spießbürgern gehasst werden, die werden im Kommunismus von den Staatstreuen als asozialer Abschaum gehasst. Langhaarige, vollbärtige Männer, politisch aktive Pastoren, die für den Frieden auf Erden arbeiten, Frauen, die die Natur lieben, diese Leute wühlen den Kommunismus auf.
DICHTER
Und Jesus Christus segnet sie vom Himmel
Und redet zu den Revolutionären
Von Bruderliebe und von Nächstenliebe,
Vor allem aber von der Feindesliebe!
TRINKER
Will die kommunistische Partei die Führung des Volkes sein, will das Volk aber eine andere Führung wählen, so soll doch die Partei sich ein andres Volk wählen.
DICHTER
Der Liebe junge Revolutionäre
Jetzt solidarisch betend überwinden
Des Hasses alte Revolutionäre,
Versammelt unterm Rock der Mutter Kirche,
Gesegnet vom Befreier Jesus Christus!
SIEBENTE SZENE
(Kammer des Dichters. Sofa und Tisch. Auf dem Boden Bücher und Manuskripte. Vom Musiktisch – Die Liebe ist ein Musiktisch – Schuhmanns Träumerei oder Beethovens Mondscheinsonate, das können wir nicht beurteilen. Vor dem Fenster ein Garten mit einem Apfelbaum in der Mitte. Nacht, Vollmond.)
DICHTER
An meine Jungfrau muß ich immer denken.
Sie ist so ähnlich dieser Diotima,
Von der ich eben in dem Buch gelesen.
Ja, Diotima ist die Priesterin
Der Liebe und der Schönheit und der Weisheit.
Sie soll auch mich den Weg der Liebe lehren.
Was jenes schöne Griechenland betrifft,
Sie träumten auch von einem Reich der Freiheit.
Und alle Dichter, alle Musensöhne,
Sie liebten alle überaus die Freiheit.
Was aber Freiheit ist, wer kündet das?
Der Dichter frage seinen Philosophen.
Ist Freiheit denn, dem Ich allein zu folgen?
Und ist das Neben-Du denn nichts als Nicht-Ich?
Muß nicht das Ich erst sterben? Auferstehen
Im Du und sich im Du zurückempfangen
Als ein geliebtes und verklärtes Ich?
O Diotima, lehre mich die Liebe!
Was aber, wenn der Liebende sein Ich
Ganz hingibt und in dem geliebten Du
Verstirbt und wenn es dann nicht aufersteht
Im Du, weil dieses Du das Ich nicht liebt,
Weil dieses Ich nicht Raum hat in dem Du,
Nicht Raum, nicht Thron und keine Herrlichkeit?
Das ist die Grausamkeit des Dämons Eros!
Dann ist das Ich gestorben, ist ermordet!
Das vielgeliebte Du ward dann zum Mörder!
Wenn dann der Mensch sich selbst das Leben nimmt,
So nur, weil er schon längst ermordet ward!
O Gott der Liebe in der Höhe, hilf!
Befreie mich, o Geist der Ewigkeit!
Die absolute Freiheit meines Ich
Zerschmettert an der Grenze ward des Nicht-Ich!
Des Ichs beschränkte Freiheit geb ich auf
Und bind mich an die absolute Freiheit,
Den unbedingten Geist, das Höchste Wesen!
Ich sterbe ab den Grenzen meines Ichs
Und auferstehe in der absoluten
Und unbedingten Freiheit meines Gottes!
(Die Uhr schlägt zwölf)
O Gott! Was seh ich auf dem weißen Vollmond?
Ist das die Königin Urania?
Heil Himmelskönigin Urania!
Es triumphiere bald dein Reich der Liebe!
ACHTE SZENE
(Im Café, der Trinker bei Bier und Zeitungen, bei ihm der Dichter.)
TRINKER
Weißt du, welche Lösung die kommunistische Partei für das Problem ihres demonstrierenden Volkes hat?
DICHTER
Sie richten Waffen gegen stille Beter.
TRINKER
Ja, man nennt das die chinesische Lösung. Am Platz des Himmlischen Friedens in Peking ist doch auch die friedliche Demonstration von chinesischen Studenten für Demokratie von der Staatspartei mit Panzer niedergerollt worden.
DICHTER
Die kommunistische Partei von China
Hat alle Weisheit von Konfuzius
In China ausgerottet, aber jetzt
Kommt Gottes Weisheit selbst nach China: Christus!
TRINKER
Die protestantischen Kirchen im Osten Deutschlands folgen der Lehre von Dietrich Bonhoeffer, das Christentum soll irdisch, diesseitig, weltlich sein. Der Christ soll nicht nur Litaneien singen, sondern politisch eingreifen und tatkräftig die Welt verändern.
DICHTER
Und doch wird es gelingen nur den Betern.
Die Katholiken in dem Osten Deutschlands
Versammelten zu Prozessionen sich
Und feierten Elisabeth, die fromme
Prinzessin, die dem Adelsstand entsagte
Und zu den Armen ging und brachte ihnen
Genügend Brot und Rosen auch dazu!
TRINKER
Die Kommunisten denken immer nur ans Brot. Sie singen: Es macht uns ein Geschwätz nicht satt, das schafft kein Fressen her!
DICHTER
Doch Jesus spricht: Der Mensch lebt nicht vom Brot
Allein, er lebt auch von dem Worte Gottes.
Elisabeth, die heilige Prinzessin,
Sie sagt: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein,
Der Mensch braucht auch der Liebe rote Rose!
NEUNTE SZENE
(Café. Der Trinker bei Bier und Zeitungen. Der Dichter.)
TRINKER
Kennst du die Autorin aus dem Osten Deutschlands, die am Anfang ihres Schaffens den geteilten Himmel über Deutschland beschrieben, die in der Führung der Partei gesessen, die sich zur heidnischen Muttergöttin gewandt und den HERRN geschmäht?
DICHTER
Die Atheisten wurden Neue Heiden,
Wo vorher kein Gott war, der Mensch ein Gott,
Wird jetzt Natur als Göttin angebetet,
Sie irren rechts und links vom wahren Weg.
TRINKER
Die Autorin erhebt nun ihre Stimme und wirbt für einen Dritten weg. Sie will nicht den Sozialismus als Diktatur der Partei, sie will nicht den Kapitalismus als Diktatur des Kapitals, die will einen neuen Prager Frühling und einen Sozialismus mit demokratischem Antlitz.
DICHTER
Die Utopisten träumen immer weiter,
Erfinden immer neue Messianismen.
TRINKER
Die Diktatur der Staatspartei über eine gleichgeschaltete Masse ist menschenunwürdig. Aber wir fühlen doch auch beide, dass der Terror des Konsumismus keine Befreiung bringt.
DICHTER
Die Kommunisten und das Kapital,
Sie glauben beide, dass der Mensch zum Glück
Nur Fressen, Saufen, Schlafen, Haus und Weib
Bedürfe, dass die Seele in dem Menschen
Zum Glück die Liebe Gottes nicht bedürfe.
Anbetung der Materia, der Mater,
Vergötzung sinnlicher Gelüst-Genüsse,
Der Materialismus, Hedonismus,
Das sind die Götzen dieser unsrer Zeit.
TRINKER
Der Papst verwirft ja den Kommunismus. Aber ich hörte, er verwirft auch die westliche Kultur des Todes. Will nicht der Papst auch einen dritten Weg?
DICHTER
Der Papst will einen neuen Weg mit Gott!
Denn alle dritten oder vierten Wege,
Die Menschen gehen wollen ohne Gott,
Sie führen in den Tod und in die Hölle!
ZEHNTE SZENE
(Café. Trinker, Dichter. Später kommen dazu das Weib und ihr Freund, der Germane)
DICHTER
Ich wollt, ich wäre in der leidenslosen
Vorhölle bei Homer und Sokrates!
TRINKER
Mein Pastor hat mir aber gesagt, es gibt keine Hölle. Im Augenblick des Todes läuft unser ganzes Leben noch einmal vor unserm geistigen Auge ab und dann sind wir alle, alle beim lieben Gott im Himmel.
DICHTER
Doch viele Menschen kommen in die Hölle,
Weil keiner für sie betet, büßt und opfert.
TRINKER
Die Nationalsozialisten und die Kommunisten haben in ihren Todeslagern die Hölle auf Erden errichtet! Und so etwas sollte der liebe Gott in Ewigkeit errichten?
DICHTER
Es ist der Mensch, der sich die Hölle baut.
Gott will, dass jeder Mensch gerettet wird.
(Das Weib mit dem Germanen tritt herein.)
WEIB
Da ist der deutsche Dichter und Denker ja. Wohin entführte dich deine Muse eben?
DICHTER
Vergil entführte mich in das Inferno.
GERMANE
Ich war im Inferno. Ich war im Gefängnis im Kommunismus, weil ich revolutionäre Lieder gesungen. Meine Gitarre war meine Waffe. Ich sang Lieder der französischen Revolution, der russischen Revolution und des spanischen Bürgerkriegs, dafür sperrten mich die Kommunisten ein. Sie haben die eigne Revolution verraten!
TRINKER
Du glaubst also an den wahren Kommunismus, an die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit?
GERMANE
Den Zahn hat mir die Zeit gezogen! Wenn im Kommunismus alle satt und zufrieden sind, entsteht kein Genie! Das Genie entsteht aus dem Kampf! Der Kommunismus ist ein Traum von Schlaraffenland, ein Gelobtes Land für Faultiere! Ich glaube an den brutalen Lebenskampf und den Sieg des Übermenschen!
DICHTER
Einst alle Menschen werden Brüder sein:
Ein Vater wohnt im Himmelszelte droben!
ELFTE SZENE
(Vor der Schenke Zur Eiche. Der Trinker betrunken. Der Dichter schaut in den Mond.)
TRINKER
(lallend)
Kurz und gut! Ich habe eine Bekanntschaft gemacht, die mein Herz näher angeht, ich habe... ich weiß nicht... Ein Engel! Pfui, das sagt jeder von der Seinigen, nicht wahr? Doch bin ich nicht imstande, dir zu sagen, wie vollkommen sie ist, warum sie vollkommen ist. Genug, sie hat all meinen Sinn gefangen genommen! Soviel Herzensgüte bei soviel Klugheit, soviel Güte bei soviel Charakterstärke, und diese Seelenruhe bei vollem lebendigem Leben und männlicher Tatkraft! Ach das ist alles nur garstige Abstraktion! Nichts als leeres Geschwätz! Ein andres Mal mehr davon.
DICHTER
Ich will jetzt mit dem Mond spazieren gehen,
Spazieren bei den Toten auf dem Friedhof.
(Der Dichter ab. Das Weib kommt.)
TRINKER
He, schönes Fräulein, darf ich’s wagen, Arm und Geleit ihr anzutragen?
WEIB
Bin weder Fräulein weder schön, kann ungeleitet nach Hause gehn.
TRINKER
Fräulein hin Fräulein her! Aber einen Kuß kannst du mir doch geben?
WEIB
Jedermann will von mir einen Kuß!
TRINKER
Küsst dich auch dein Freund, der Germane?
WEIB
Aber nicht oft genug!
TRINKER
Küsst dich etwa auch mein alter Freund, der Dichter?
WEIB
Ich gab ihm einen geistigen Musenkuß!
TRINKER
Aller guten Dinge sind drei! Nun küss auch mich!
WEIB
Wo wollen wir uns küssen?
TRINKER
Dort im dichten Busch.
WEIB
Nun gut. Komm ins Gebüsch. – So?
TRINKER
Ich werde dich mein Leben lang lieben!
ZWÖLFTE SZENE
(In der Wohnung des Weibes und des Germanen. Zu den beiden gesellen sich der Dichter und der Trinker.)
DICHTER
Heil Göttin Freyheit, die du kommst vom Himmel!
TRINKER
Was ist Freiheit?
WEIB
Freiheit ist meine Freiheit, zu lieben, wen ich will, wann ich will, wo ich will, wie oft ich will und wie lange ich will. Freiheit ist Liebe und Liebe ist Freiheit. Ohne Freiheit keine Liebe. Darum liebe ich die Freiheit, indem ich die Freie Liebe lebe!
GERMANE
Freiheit ist Befreidung von den Gesetzen der jahrtausendealten jüdisch-christlichen Moral. Gott schrieb wie ein Diktator seine zehn Gebote auf eine steinerne Tafel und alle unterwarfen sich wie Sklaven dem Herrscher im Himmel. Aber Freiheit des Menschen heißt, die steinernen Tafeln Gottes zu zerschlagen und ein neues Gesetz zu schaffen, das Gesetz des freien Menschen: Erlaubt ist, was gefällt! Gut ist, was stark und glücklich macht!
TRINKER
Freiheit ist, keine Vorherbestimmung des Menschen anzunehmen. Nicht der liebe Gott legt den Sinn des Lebens fest, sondern ich selbst definiere den Sinn meines Lebens.
WEIB
Und Frau ist nicht Frau nach der Definition Gottes, sondern die freie Frau definiert selbst ihr Geschlecht.
DICHTER
Was toben doch die Heiden so vergeblich?
Was murren doch die Völker so vergeblich?
Es lehnen sich die Herrn der Erde auf,
Die Herren halten miteinander Rat
Und rebellieren gegen Gott den Herrn
Und gegen Gottes Sohn, Messias Jesus!
So lasset uns zerreißen ihre Bande
Und von uns werfen ihre Fesselstricke!
Doch der im Himmel wohnt, der lacht, der lacht!
Der Heiland spottet über diese Narren!
DREIZEHNTE SZENE
(In der Wohnung des Dichters. Der Trinker tritt ein mit einer Flasche Champagner.)
TRINKER
Das Wunder, das Wunder von Leipzig! Ich habs nicht geglaubt, dass der liebe Gott im Himmel in die Geschichte eingreift! Aber da hat sich ein Häuflein Gerechter in der Kirche von Leipzig versammelt und gebetet. Der Prediger predigte Feindesliebe. Eine schwerbewaffnete Armee stand dem Häuflein Gerechter gegenüber. Voller Angst saßen sie hinter verschlossenen Türen im Abendmahlssaal. Dann traten sie todesmutig wie David dem Riesen Goliath der hochgerüsteten Armee gegenüber. Aber, o Wunder, tausende, zehntausende, hunderttausend Bürger auf den Straßen! Die Kommunisten konnten nicht alle ermorden.
DICHTER
Ein Knabe hatte einst zwei Fische nur,
Zwei Brote nur für dreißigtausend Menschen.
Doch Jesus nahm das Brot und nahm die Fische
Und hob sie zu dem Vater in den Himmeln
Und sprach das Dankgebet und sang den Lobpreis
Und dreißigtausend Menschen wurden satt.
TRINKER
Die Todesmauer, die sich mitten durch unser deutsches Vaterland zog, ist gefallen! Die gefangenen Deutschen strömen in die Freiheit! Alle Deutschen tanzen auf den Trümmern der Todesmauer! In Deutschland wird ein Fest der Freiheit gefeiert! Das deutsche Volk ist trunken vor Freude!
DICHTER
Sie sangen einst die Internationale:
Kein Gott wird uns erlösen und kein Kaiser,
Erlösen müssen wir uns selber schon,
Erwacht, erwacht, Verdammte dieser Erde!
Jetzt aber singt das deutsche Volk Tedeum:
Wir loben dich, o Herr Gott Zebaoth,
Dich preisen Seraphim und Cherubim,
Die Erde neigt sich voll Bewunderung
Vor dir, o Vater unser in dem Himmel!
TRINKER
Wahnsinn!
VIERZEHNTE SZENE
(In der Wohnung des Dichters. Der Dichter alleine. Später tritt die Jungfrau ein.)
DICHTER
Der Geist kommt von den Enden dieser Erde
Und atmet die Gebeine an der Toten.
Komm, Geist, und hauche an die Totenknochen!
Die Knochen überziehen sich mit Fleisch,
Die Toten auferstehen aus den Gräbern!
Zwei Hölzer nehme ich in meine Hand,
Das eine Holz, das ist der Osten Deutschlands,
Das andre Holz, das ist der Westen Deutschlands,
Zusammen füg ich sie zu Einem Kreuz.
Gott segne unser deutsches Vaterland!
(Die Jungfrau tritt ein.)
O Jungfrau! Oh wie strahlend deine Schönheit!
Komm, lege deine Hände auf mein Haupt
Und gib mir deinen wundervollen Segen!
JUNGFRAU
Du suche allezeit das Antlitz Gottes,
Der Weisheit Gottes sollst du dich verloben
Und leben in der Wunderkraft der Liebe!
DICHTER
Ich werde reisen in das alte Prag,
Dem Prager Jesulein für Deutschland danken!
Das Prager Jesulein ist Deutschlands Kaiser!
JUNGFRAU
Nun muss ich dich verlassen, lieber Freund,
Doch ganz gewiss, wir sehen einst uns wieder.
DICHTER
Wohin denn gehst du, vielgeliebte Jungfrau?
JUNGFRAU
Zuerst nach Rom und dann ins Paradies!