Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

DER TRIUMPH DER WAHRHEIT


Von Josef Maria Mayer



ERSTER AKT

DER ESOTERIKER


ERSTE SZENE


(Deutsches Bauernhaus. Der Herr des Hauses ist nach Frankreich in den Urlaub gefahren. Sein Knecht Jeremias lädt für die Urlaubszeit den Esoteriker Astralis und seine Freundin Dörte ein, in diesem Haus ihr Zentrum für Lebensfreude zu begründen.)

JEREMIAS

Schaut, wie romantisch ist das Bauernhaus!

DÖRTE

Der Garten, o der Garten ist so schön,

Hier seh ich Bienen in die Blumen stechen,

Insekten kopulieren öffentlich,

Die Falterpaare tanzen Hochzeitstänze.

JEREMIAS

Komm nur ins Haus, hier ist es sehr gemütlich.

ASTRALIS

Schutzgeister dieses Hauses, hört mich an,

Ich rufe dich, du Gottkind Metatron,

Nachtgöttin dich, geheimnisvolle Lilith!

JEREMIAS

Das Haus empfängt dich wie ein Weib empfänglich.

ASTRALIS

Ich steck den Schlüssel in das Schlüsselloch,

Ich dreh den Schlüssel um im Schlüsselloch,

Jetzt schlüpf ich über die geweihte Schwelle,

Vom Mistelbusch gesegnet diese Schwelle,

Ich dringe durch den langen dunklen Flur

Und streiche sacht an seinen Wänden lang,

Dann komm ich in das Wohngemach und dringe

Noch tiefer ein ins Innere der Wohnung

Und stehe herrlich in dem Schlafgemach!

JEREMIAS

Hier lebt die Mäusemutter mit dem Mäuschen.

Auch kommt die Ratte ab und an vorbei.

DÖRTE

Ih! Eine Spinne! Eine Riesenspinne!

ASTRALIS

Die Spinne ist ein Ursymbol der Mutter

Des Schicksals, die als Schicksalsweberin

Den Lebensfaden spinnt. Die Moira spinnt

Das Schicksal aller Götter, aller Menschen.

DÖRTE

Ich ekle mich doch so vor Spinnen, Freund!

ASTRALIS

So bitte Lilith, dass sie dich befreie!

DÖRTE

O Lilith, durch dein Böses mich erlöse,

Als Schatten komm in mich und mach mich stark!

ASTRALIS

Geweiht ist diese Wohnung Metatron,

Dem Engel, der das Scheitel-Chakra schützt!



ZWEITE SZENE


TABAKVERKÄUFER

Astralis, Eingeweihter ersten Grades,

Ich möchte einen Tabakladen bauen,

Ich möchte geomantisch ihn errichten.

DÖRTE

Urmutter der Natur, in goldner Vorzeit

Die Menschen lebten schön als deine Kinder,

Sie lebten in dem Schoß der Großen Mutter

Und lebten in dem Netz der Energie,

Das wob sich wundervoll von Berg zu Berg,

So alles war beseelt und Geist war alles,

Die Nymphen lebten in den Wassern und

Die Gnome in der Erde, die Sylphiden

Im Luftreich lebten, Salamander lebten

Im Feuer, alle Elemente und

Die Quintessenz erfüllt von Energie.

ASTRALIS

Im Anbeginn der Schöpfung ist aus Gott

Herausgeflossen die Weltseele, die

Als Energie des Geistes durch den Kosmos

Geflossen ist und von den Sternen zu

Der Erde wob ihr Netz der Energie.

Der Urmensch stellte seine Säulen auf,

Die Energie des Alls zu konzentrieren.

TABAKVERKÄUFER

Wie muß mein Tabakladen nun gebaut sein?

ASTRALIS

Der Osten, der Bereich der Göttlichkeit,

Des Gottesfunkens und der Sonne, soll

Die Stätte sein für den Altar des Hauses.

Der Süden als der Ort des Feuers und

Der Liebe und der Phantasie sei offen,

Dort sei die Tür, empfange liebend jeden!

Der Westen als der Ort der Mutter Erde,

Der Mater, der Materia gewidmet,

Im Westen du bewahr den Tabak auf,

Im Westen stelle auch ein Bildnis auf

Der Pachamama, Muttergöttin Erde.

Der Norden ist Bereich der Geistigkeit,

Dort kannst du deine Rechnungen berechnen.

DÖRTE

Und schreibe an dein Haus als Formel magisch

Ein CMB, das gibt dir Gottes Schutz.

TBAKVERKÄUFER

Was denn bedeutet dieses CMB?

DÖRTE

C steht für Catharina und das M

Für Margarethe, B für Barbara,

Drei Göttinnen, die Eine Mutter sind.



DRITTE SZENE


EPIKUR MAMMON

Mein Seligmacher ist das liebe Geld,

Was kann mir da die Esoterik nützen?

ASTRALIS

Ich werde dir dein Horoskop erstellen,

Ein profitables Wirtschaftshoroskop.

Die Götter auf den Sternen wissen nämlich,

Wo Aktien profitabel an der Börse.

Das Lottospiel am Markt des Kapitals

Wird auch gelenkt vom geisterfüllten Kosmos.

Ich sage dir, wie deine Sterne stehen,

Dann spiele du mit höchstem Risiko

Den Poker mit den Aktien an der Börse.

Ich hab den Stein der Weisen, mache Gold!

EPIKUR MAMMON

Ich liebe nichts auf Erden wie das Geld!

Ich glaub an keinen unsichtbaren Gott,

Ich glaube an das anfassbare Geld.

Das Geld regiert die Welt, macht alles möglich,

Ich kann mir alles kaufen, was ich brauche,

Ich mache Reisen durch die ganze Welt,

In Kuba mach ich Urlaub und in Bali,

Ich speise nur die allerbesten Speisen

Und trinke nur die allerbesten Weine.

DÖRTE

Doch braucht der Mann die Liebe einer Frau!

EPIKUR MAMMON

Ich hörte einen Dichter einmal reden

Von dem Geschlechtsteil des geliebten Geldes.

DÖRTE

Ja, Reichtum und Erfolg macht Männer sexy!

Nichts ist doch so erotisch wie das Geld!

Ein reicher Mann gibt Sicherheit der Frau,

Das liebe Geld schafft die Geborgenheit.

EPIKUR MAMMON

Beweisen will ich meiner Frau die Liebe:
Teilhaben lass ich sie an meinem Geld!

DÖRTE

Was aber nützt es einem Menschen, wenn

Er sich die Schätze kauft der ganzen Welt,

Er aber Schaden nimmt an seiner Seele?

Drum tu du etwas auch für deine Seele,

Entspanne dich, ich lehre dich den Yoga,

Du chante Om, den Atem reguliere,

Mit körperlicher Übung stimm den Geist

Ein auf die Harmonie des Universums.

Wenn du in Harmonie von Geist und Körper

Befindlich bist, dann wünsch dir, was du willst,

Schick deine Wünsche ab ans Universum,

Dann lassen Götter goldnen Regen regnen!



VIERTE SZENE


EPIKUR MAMMON

Mein Mädchen Dörte, sei mein liebster Liebling,

Du bist ja schön wie Gold und rein wie Gold!

Ich kauf dich deinem armen Vater ab

Und lege dann als Fundament der Ehe

Ein Testament an, drin ich dir vererbe

Mein ganzes Geld und alles Eigentum.

Die Männer, die nichts wissen von der Liebe,

Die geben nichts von ihrem Gelde ab.

Ich aber schwöre dir, geliebter Liebling,

Erbitte du von mir, was du nur willst,

Und sei es auch die Hälfte meines Reichtums,

Die Hälfte meines Reichtums sei dein eigen.

DÖRTE

Ich möchte reisen durch die ganze Welt.

EPIKUR MAMMON

Ich kaufe dir das Paradies von Kuba

Und kauf dir das kanarische Atlantis

Und kauf dir die Alhambra von Hispanien,

Ich kauf dir die Sahara, kauf dir Lesbos,

Ich kaufe dir Florenz und die Toskana.

DÖRTE

Florenz mit seinen Kirchen und Museen?

EPIKUR MAMMON

Nein, Dörte, ich betrete keine Kirche,

Es sei denn, dass sie ganz von Golde ist.

In Spanien, hörte ich, gibt’s eine Kirche,

Die ganz aus Gold errichtet ist, beim Teufel,

Da schwör ich dir, dir treu zu sein wie Gold!

DÖRTE

Und nimmst du mich zu deiner andern Hälfte,

Willst du dann etwa Kinder auch von mir?

EPIKUR MAMMON

Nein, Kinder lieb ich nicht! Ich lieb nur dich,

Doch bring mir keine Plagen in mein Haus!

Was sind schon Kinder? Sie sind Plagegeister,

Verdammte Satansbraten, das sind Kinder!

DÖRTE

Mein Abgott, mein geliebter Alleskönner,

Allwissender, allmächtiger Geliebter,

Mein bessres Selbst, mein klügster Epikur,

Dann reiß ich mir den Eierstock heraus

Und reiß mir aus dem Schoß den Uterus!

EPIKUR MAMMON

Sei du mein Ideal und meine Traumfrau:
Am Tage Hausfrau, die die Reinheit liebt,

Nachts eine Hure, die die Sünde liebt!



FÜNFTE SZENE


DÖRTE

(Wahnsinnig murmelnd)

Sechsmal errichte eine Freistatt für

Totschläger diesseits von dem Jordanstrom,

Sechsmal errichte eine Freistatt für

Totschläger in dem Lande Kanaan.

Sechs ist die Zahl der Cypris Aphrodite

Und Aphrodite ist Astarte in

Phönizien und Ishtar ists in Babel

Und Ishtar ist in Susan Königin

Hadeessa Esther, das heißt Morgenstern,

Und Aster ist es, das heißt Jesus Christus,

So Jesus ist die große Liebesgöttin.

So steht es in dem Alphabeth Ben Siras,

Das er von Adam Kadmon selbst empfangen.

Und Adam Kadmon, er war Mann und Frau,

Hermaphrodit von Hermes und von Venus.

Und Adam Kadmon lebte mit Sophia,

Das ist die Isis Alexandriens.

Und Isis ist Maria, Horus Jesus.

Maria war mit Jesus einmal eins

Wie Adam Kadmon mit Sophia eins.

Und Jesus war das A, Maria B,

Und A und B ergibt den Namen Abba,

Das A heißt Vater und das B heißt Mutter,

So Abba: Vater-Mutter-Mutter-Vater.

Und Gottes wahrer Name, wie ist der?

Erhabne Taube IAHU ist Gott!

Und hundertvierundvierzigtausend Seelen

Gerettet leben in Jerusalem.

Doch zu der Jungfrau von Jerusalem

Wir brauchen auch die Hure Babylon.

Die Hure Babylon mit rotem Mund

Auf einem Löwen reitend ist Madonna

Leone, Göttin aller Indianer,

Ist Pachamama, unsre Göttin Mama.

In Babel war ihr Name Göttin Mami,

In Griechenland Demeter oder Mamme,

In Persien die Muttergöttin Mithra,

Und Mithra, dieser Name heißt: Die Mutter,

Demeter, Mater und Materia.

In Indien die Mutter nennt sich Uma

Und Uma, das heißt Oma, heißt Großmutter,

Und Oma, das heißt Om, der Götter Urlaut,

Und Om heißt Amen, Amen, das heißt Am

Und Am heißt Mutter. Wie der Weise sagt,

War Gott der Herr erst junger starker Papa,

Dann wurde er ein heiliger Großvater

Und schließlich eine liebende Großmutter.

Großmutter aller Himmlischen ist Gott!



SECHSTE SZENE


ASTRALIS

Seid ihr die Heiligen der letzten Tage?

PREDIGER

Ich bin von Mutterschoß an Lutheraner,

Und wahrlich, wahrlich, also sag ich dir:
Du bist ein Pferd, geritten von dem Satan!

Du bist verstockt wie Pharao Ägyptens!

Wer hat dich so verstockt? Das tat der Herr,

Der Herr hat dich bestimmt zu der Verdammnis!

Da kann der Mensch nichts für, denn Gott bestimmt,

Ob Satan reitet dir auf deinem Rücken,

Ob du gerettet wirst allein aus Gnade!

ASTRALIS

Das Gute und die Gnade kommt von Gott

Und Satan und das Böse kommt von Gott?

PREDIGER

Gott ist der Eine, Gott allein das Ganze,

Gott ist der Gute, doch er schafft das Böse,

Sein eignes Böses dann zu überwinden.

So Gott verstockte selbst den Pharao,

Um an dem Pharao die Macht zu zeigen,

Mit der der Herr sein Böses überwindet.

ASTRALIS

Lord Shiva also ist der wahre Gott,

Denn er zerstört als Gott die Schöpfung und

Erschafft aus der Zerstörung und dem Tod.

FUNDAMENTALIST

Geh weg mit deinem Götzen, diesem Satan!

Wenn du den Götzen dienen willst, dann geh

Zu den Papisten, zu der Kirche Roms!

Da findest du Dionysos, den Götzen,

Sie nennen ihn Sankt Dionysios!

Und suchst du deine Heidenmuttergöttin,

Dann geh zu den Papisten, denn sie beten

Maria an, die Große Muttergöttin,

Die Große Artemis von Ephesos!

ASTRALIS

Der Paganismus ist unsterblich eben.

FINDAMENTALIST

O Papst, du Rattenschwanz des Antichristen,

Geh weg mit deiner Hure Babylon,

Der Kirche Roms auf ihren sieben Hügeln!

ASTRALIS

Die Hure Babylon, wer ist denn die?

Es ist die Heiligkeit der Hurengöttin!

FUNDAMENTALIST

Ich höre immer Hure nur und Hure!

Es ist doch nichts so geil wie eine Hure!

Ich muß nun unbedingt ins Hurenhaus!




ZWEITER AKT

DIE SCHLAFENDE PHILOSOPHIE



ERSTE SZENE


(In einem Wohnzimmer sitzen abends am Tisch Männer beim Wein. Die Tür zum Schlafzimmer nebenan ist leicht geöffnet, im Bett liegt die schlafende Philosophie, ein sechzehnjähriges Mädchen, schön wie die Mediceeische Venus, von einer blauen Decke zugedeckt, die roten Locken verstreut auf dem Kissen, nur der weiße nackte Arm hängt aus dem Bett. Die Männer flüstern, um die Philosophie nicht zu wecken.)

KOMMUNIST

Urkommunismus ist der Menschheit Anfang,

Urkommunismus wie bei den Huronen

War Mutterrecht. Die schöne Philosophie

War Eigentum des ganzen Stammes, alle

Ergötzen sich an ihr in freier Liebe.

Sie wars, die Affen erst zu Menschen machte,

Sie gab den Affen in die Hand ein Werkzeug

Und so begann die Produktion, die Arbeit,

Die Arbeit macht den Affen erst zum Menschen.

Dann aber kam das Eigentum und mit

Dem Eigentum der Sklavenhalter und

Der Adlige und Pfaffe und der Bürger, bis

Die schöne Philosophie erneut erschien

Als Marianne von den Sansculotten,

Zuletzt erschien die schöne Philosophie

Als Rosa Luxemburg, die Muse Lenins,

Da lehrte uns die schöne Philosophie

Der Dialektik Materialismus,

Verändernd Russland und die ganze Welt!

FEMINIST

Da hast du Recht, mein lieber Kommunist,

Am Menschheitsanfang war das Mutterrecht.

Die junge Philosophie war eine Göttin

Und Jungfraun-Priesterinnen dienten ihr

Im Bundeskloster, frei vom Sorgenalltag.

Die Göttin Philosophie im Paradies

Ergoss von Milch und Honig Überfluß

Und alle lebten in der freien Liebe,

Bis dann die Arier gekommen sind.

KOMMUNIST

Die Arier sind meine Feinde auch,

Faschisten, Knechte sinds des Kapitals!

HINDUIST

Fleischfresser! Doch sie brachten uns die Veden.

FEMINIST

Doch vorher die drawidische Kultur

War Mutterrecht, da aß man noch kein Fleisch,

Man flehte nicht zu einem Donnergott,

Man flehte nur zur Göttin Morgenröte.

HINDUIST

Wir haben auch in unsrer Religion

Die Große Mutter, nämlich unsre Kali.

FEMINIST

Und auch in China ehrte man die Mutter,

Die Göttin Philosophie war Mutter Tao,

Bevor Konfuzius gekommen ist

Mit seinem Vaterrecht von Vater Himmel.

TAOIST

Ja, Tao ist die Mutter aller Wesen,

Die Tao ist die göttliche Natur.

Wir müssen nur zurück zu der Natur,

Dann leben wieder wir im Paradies.

THEOSOPH

Zurück zu der Natur, der Mutter,

Das heißt, zurück zur Energie des Kosmos.

Wir stammen alle aus dem Universum

Und wollen wieder heim ins Universum,

Dazu verhilft die Kraft der Erde uns,

Die Gnome, Nixen, Sylphen, Salamander,

Die Tänze in des Mondes Labyrinth,

Die Mantren unsrer großen Göttin Kali,

Die Philosophie des weisen Meisters Buddha,

Die Philosophie des alten Zarathustra

Und auch die Philosophie von Jesus Christus.

KOMMUNIST

Pfui! Jesus Christus? Das ist Reaktion !

Ich hör die klerikale Reaktion

Das Bündnis von Altar und Thron erneuern!

THEOSOPH

Doch nicht der Jesus Christus aus der Kirche!

Die Philosophie des Jesus Christus lehrt,

Daß Christus war ein reiner Sonnengeist.

Als einst die Mutter Erde abgelöst sich hatte

Von ihrer Mutterheimat, von der Sonne,

Da blieb der Christus in dem Sonnenlicht.

Und in dem Monde lebte der Jehowah

Mit sieben Elohim. Und Christus kam

Als Christus-Sonnengeist herab zur Erde

Und wählte einen Scheinleib als Gestalt.

Das war der Jesus, der war nämlich Buddha,

Der andre Jesussohn war Zarathustra.

Der Jesus kam zum Jordan zu der Taufe

Und sah den Ahriman der Stofflichkeit

Und sah den Luzifer des Geistesstolzes.

Da kam der Christus-Sonnengeist herab

Auf diesen Jesussohn. Jedoch im Garten

Gethsemane verließ der Christus wieder

Den Jesus. Christus wurde nicht gekreuzigt.

HINDUIST

Wenn Christus einen Scheinleib angenommen,

Dann ist er ja wie unser König Krishna.

THEOSOPH

Ja, Christus, das ist Krishna, Krishna Christus.

FEMINIST

Der wahre Jesus ist nicht Jesus Christus,

Denn Jesus Nazarenus pries den Vater,

Jehowah pries er als den Vatergott.

Der wahre Jesus aber war Adonis.

Wie Aphrodite den Adonis liebte,

So liebte Jungfrau Mirjam ihren Jesus.

So wie Adonis wurde umgebracht

Von Ares als dem Gott des Vaterrechts,

So wurde Mirjams Jesus umgebracht

Vom Vatergott Jehowah voller Zorn.

Wie Aphrodite weinte um Adonis,

So Jungfrau Mirjam weinte um den Jesus.

Und Jungfrau Mirjam stieg ins Totenreich

Und legte an den sieben Höllentoren

Die sieben Schleier ab, bis nackend sie

Den Sohn-Geliebten von dem Tod erlöste.

Adonis auferstand als Anemone

Und Jesus auferstand im Ostergarten.

ISLAMIST

Was wisst ihr von der Auferstehung, Frevler!

Gott Allah schenkt allein die Auferstehung,

Doch die Verdammnis auch für Juden, Christen!

Die Sklaven Allahs aber, die bereit

Zur Heiligkeit des Krieges für den Glauben

Und töten Götzendiener, Juden, Christen,

Die lässt der Gottherr Allah auferstehen!

Dann werden uns im Paradies beglücken

Mit schwarzen Augen allerschönste Huris,

Nach jedem Liebesakte wieder Jungfrau,

Und nie wird unsre Latte uns ermatten!

HINDUIST

Ja, eure Huris kennen auch wir Inder,

Apsaras und Gandharven warten nackend

Wollüstiger Gestalt im Paradies!

THEOSOPH

Ihr denkt ja alle viel zu sinnlich, Kinder,

Das Jenseits ist ja jene Anderswelt,

Des Geistes paralleles Universum,

Da gibt es keine Bäume, keine Blumen,

Da gibt es keine Sexualität,

Da werden wir zu reinen Lichtgestalten,

Astrale Körper mit verklärter Aura,

Und schweben dann befreit durchs Universum

Wie Außerirdische und junge Götter.

TAOIST

Drum nennen wir den Tod auch einen Heimgang.

ISLAMIST

Der Tod ist nur ein Heimgang in den Garten

Der Huris, wenn du starbest für den Glauben

Und rissest in den Tod die Feinde Allahs!

Die Feinde Allahs aber sind verdammt!

Wer Jesus betet an, schmort in der Hölle,

Da wird ihm Jesus der Prophet erscheinen

Und sagen: In das Feuer, du Verdammter!

TAOIST

Nein, lieber Freund, ich glaub nicht ans Gericht,

Wir alle sind die Kinder unsrer Mutter

Natur und kehren in dem Tod zurück

In die Natur, den großen Mutterschoß.

THEOSOPH

Da muß ich denken an die Indianer,

Die glauben, Gott ist eine liebe Frau,

Und wenn ein sexbesessner Indianer

Verstirbt, so kehrt er in den Mutterschoß.

KOMMUNIST

Die Ammenmärchen von dem schönen Himmel!

Da können wir ja gleich zur Kirche gehen,

Die predigen den Unterdrückten Hoffnung

Aufs Himmelreich, die Freuden nach dem Tode,

Wir aber wollen hier schon Schweinebraten,

Und wenn es geht, Kartoffeln auch dazu.

THEOSOPH

Wer Fleisch isst, der wird stofflich, der wird sinnlich.

Viel besser ist da Buddhas Fastenspeise.

HINDUIST

Am besten ists, man fastet sich zu Tode.

TAOIST

Wir Taoisten essen täglich nur

Ein Körnchen Reis und trinken auch nicht mehr

Als einen Fingerhut voll gelben Weines.

FEMINIST

Die Männer fressen Fleisch, die Frauen aber

Am liebsten nur Gemüse, Obst und Körner.

Die Frauen sind das friedliche Geschlecht.

Wenn erst die Frauenherrschaft wieder kommt,

Dann geht zuende aller Männermord.

Ein Feind verhindert nur die Frauenherrschaft,

Das ist die Religion des Vatergottes.

Die Juden, Christen und Muslime werden

Sich noch vereinen in dem Kult des Vaters

Und einig kämpfen gegen die Befreiung

Der Frau und gegen die uralte Mutter.

TAOIST

Ich sehe einen andern Feind der Freiheit.

Im Anbeginn die Menschen waren glücklich

Als Kinder der Natur, bis aufgekommen

Kultur und Kunst und Wissenschaft und Staat.

Zurück zur göttlichen Natur! Wir müssen

Befreien uns von Wissenschaft und Kunst,

Von Herrschaft und Kultur, und Affen werden.

HINDUIST

In unsrer Religion sind Affen Götter!

KOMMUNIST

Ach, alle Religion ist Opium

Fürs Volk, nur fort mit aller Religion

Und fort mit dem privaten Eigentum!

FEMINIST

Fort mit der bürgerlichen Ehe Joch,

Zurück ins Mutterrecht der freien Liebe!

ISLAMIST

Das Christentum im Westen ist der Feind,

Amerika und seine Demokraten,

Zumeist jedoch der Papst und seine Kirche!

FEMINIST

Sie beten ja den Papst als Vater an!

KOMMUNIST

Wie viele Divisionen hat der Papst?

Der Papst war immer mit dem Kaisertum!

TAOIST

Wir glauben an den Taoistenpapst

Im Gelben Turban, einen Alchemisten.

KOMMUNIST

Was unsern Feinden ist die Kirche Roms,

Ist uns die Kommunistische Partei.

Was unsern Feinden ist der Papst von Rom,

Das ist bei uns der Große Sekretär.

Was unsern Feinden ist das Fest der Firmung,

Das ist bei uns das Fest der Jugendweihe.

Was unsern Feinden ist die alte Bibel,

Ist uns des Kommunismus Manifest.

Was unsern Feinden ist das Himmelreich,

Das ist bei uns vollkommner Kommunismus.

Was unsern Feinden ist Messias Jesus,

Das ist bei uns der Weltbefreier Lenin.

Und Lenin ist unsterblich, Lenin ist

Im Herzen der Proleten eingeschreint.

Historische Notwendigkeit und die

Partei der Revolutionäre bringen

Den Kommunismus, Freiheit für die Menschheit!

ISLAMIST

Nur Allah kann der Menschheit Freiheit bringen,

Drum spreng ich mich und euch jetzt in die Luft!

TAOIST

Still, still! Ich hör die junge Philosophie,

Sie räkelt sich erwachend in dem Bett!



ZWEITE SZENE


THEOSOPH

Kommt, Freunde, lasst uns gehn zu Fräulein Evi,

Mein Medium gibt heute eine Party!

(Theosoph, Kommunist, Islamist und Feminist gehen ab.)

HINDUIST

Erwacht gerad die Göttin Morgenröte,

So will ich schaun die Göttin Morgenröte.

TAOIST

Daß Tao, Mutter der zehntausend Wesen,

Als junges Mädchen jetzt vor mir erscheint!

(Die junge Philosophie erhebt sich vom Bett, sie ist sehr hübsch gekleidet, Inbegriff von Liebreiz und Anmut.)

PHILOSOPHIE

Nun möcht ich eine Tasse grünen Tee.

HINDUIST

Darjeeling vom Himalaya-Gebirge.

TAOIST

Noch besser ist der grüne Tee aus Tibet.

(Herein tritt die Existentialistin, ganz schwarz gekleidet, kurze schwarze Haare, französischer Akzent.)

EXISTENTIALISTIN

O meine Vielgeliebte, meine Liebe!

PHILOSOPHIE

Die Gottheit hat die Philosophie gezeugt,

Die Philosophie ist die Idee der Schöpfung,

Das Ideal von Himmel und von Erde.

Die Allnatur und die zehntausend Dinge

Sind nach dem Bild der Philosophie geschaffen

Und alle Seelen geistiger Geschöpfe

Sind Bild der Seele dieser Philosophie.

Sie ist die Seele aller Seelen, ist

Die Seele dieses Universums, ist

Die Königin des Universums Gottes.

EXISTENTIALISTIN

Ach Philosophie, du junges hübsches Ding!

Du bist wie eine Bienenkönigin,

Von einer Blume zu der nächsten flatternd.

Wie viele Freier hast du schon gehabt!

O Himmelskönigin mit tausend Freiern!

Doch keinem Manne bist du treu geblieben,

Mit keinem lebtest du in treuer Ehe,

Nur Partnerschaften für gewisse Zeit

Bist eingegangen, hattest nur Affären

Und hast mit manchem Mann auch nur geflirtet.

Wie viele Philosophen rühmten sich,

Sie hätten dich für Eine Nacht besessen!

Jetzt aber bist du meine Vielgeliebte!

Was ist ein Mann und was ist eine Frau?

Die wahre Liebe gibt’s nur unter Frauen,

Wir lieben lesbisch uns wie Sappho Kypris

Geliebt. Du, Philosophie, bist meine Kypris,

Ich liebe lesbisch dich als deine Sappho.

TAOIST

Natur! Das lehrtest du in keiner Weise!

Abscheulich sind die Sitten dieser Griechen!

HINDUIST

Ich habe stets gehört, dass sich der Lingam

Vereinigt mit der Yoni seiner Göttin,

Daß Shiva und Parvati sind ein Paar,

Doch nie, dass Yoni sich vereint mit Yoni

Und Göttin Shakti liebte Göttin Devi,

Das ist vollkommen gegen Gottes Ordnung!

EXISTENTIALISTIN

Ihr alten Herren Patriarchen, still!

Es gibt ja nicht ein göttliches Gesetz,

Wo uns ein Vater vorschreibt im Gesetz,

Was sei von Mann und Frau das wahre Wesen,

Kein Vater definiert uns mehr den Sex!

Wir wollen keine Kirche Gottes mehr,

Des freien Menschen Kirche wollen wir!

Der Mensch im Humanismus wahrer Freiheit,

Der Mensch nur definiert als Mensch sich selbst.

Kein Gott bestimmt ihm seinen Sinn des Lebens,

Der Mensch entwirft sich seinen Sinn des Lebens.

Die Menschheit ist ja nicht schon von Natur

Ein starker Mann und eine sanfte Frau,

So sagen alte Herren Patriarchen.

Die freie Frau, die lesbische Geliebte

Der schönen Philosophie, erklärt euch aber:

Nur die Gesellschaft voller Unterdrückung

Der Frauen definiert der Frauen Wesen,

Die freien Frauen definieren neu

Das Wesen des Geschlechts, wir reden nicht

Von einer doppelten Natur des Sex,

Von Mann und Frau, naturgegebnen Wesen,

Wir reden von dem Einen Menschenwesen.

Der Mensch entwirft das eigene Geschlecht.

Wenn es mir nun gefällt, ein Mann zu sein,

So werde ich ein Mann und damit basta.

HINDUIST

Der Lingam in der Yoni zeugt allein

Den neuen Menschen, nämlich Gottes Kinder.

EXISTENTIALISTIN

Weil wir die Kirche Gottes nicht mehr brauchen

Und leben in des freien Menschen Kirche,

Drum brauchen wir auch keinen Gott als Schöpfer,

Der Mensch wird selber sich sein eigner Schöpfer.

TAOIST

Natur, o Mutter! Wie erhebt der Mensch sich!

EXISTENTIALISTIN

Habt ihr wohl vom Homunculus gehört?

Ich meine, Paracelsus war es, der

In alchemistischer geheimer Weisheit

Sich im Labor gezeugt das Menschenwesen.

Da braucht es in dem Reagenzglas nur

Den roten Löwen zu der weißen Lilie.

So zeugt die Philosophie des freien Menschen

Das Menschenwesen selbst im Reagenzglas.

TAOIST

Von Alchemie verstehn wir Taoisten

Sehr viel. Was du den roten Löwen nennst

Und seine Königin, die weiße Lilie,

Das ist bei uns der Drache, unser Kaiser,

Mit seiner Kaiserin, dem schönen Phönix.

Doch hörte ich von keinem Alchemisten,

Der Phönix paarte im Labor mit Phönix!

Es ist doch schöpferisch allein das Paar

Von Yin und Yang der Einen Mutter Tao!

HINDUIST

Es ist das Liebesspiel von Gott und Göttin,

Die Ehe in der Gottheit, die ist fruchtbar.

EXISTENTIALISTIN

Ihr alten Herren Patriarchen, still!

Fragt die Französin ihr nach Liebesspielen?

HINDUIST

Ich muß gestehen, davon hört man viel.

EXISTENTIALISTIN

Des freien Menschen freie Liebe lehr ich!

Die Revolutionäre wollten schaffen

Die neue Welt befreiten Menschentums,

Sie wollten diese neue Welt erzeugen

Durch revolutionäre Klassenkämpfe.

Die neuen Revolutionäre aber

Erkannten, dass die Menschheit sich befreien

Und lösen muß von christlicher Kultur,

Von Ehe und Familie doch vor allem

Und von der sauertöpfischen Moral.

Und darum schrieben wir auf unsre Fahne

Die freie Liebe! Jeder paart sich jedem!

Erlösung nicht durch Jesus Christus mehr,

Erlösung durch den hemmungslosen Sex!

Befreiung aller Triebe! Götterwollust!

Nicht Hagiographen lehren uns Befreiung,

Befreiung lehren uns die Pornographen!

Wir beten an die Göttin Venus Porné!

Die Mystik dieser freien Liebe ist

Tantrismus, die Erleuchtung durch den Sex!

Das Paradies, das wir verkünden, ist

Ein riesiger Kanister roter Wein

Und willig allezeit das Wonneweib!

HINDUIST

Tantrismus? O du reizende Französin,

Komm, sei du meine tantrische Genossin!

EXISTENTIALISTIN

Wer zweimal mit dem gleichen Manne schläft,

Ist schon versklavt der christlichen Kultur!

Nun gut, Gelegenheit macht freie Liebe!

(Hinduist und Existentialistin gehen Arm in Arm ab.)

PHILOSOPHIE

Ich habe Hunger, mein Chinese, komm,

Ich möchte essen eine Peking-Ente!

TAOIST

Dazu auch eine Schale heißen Reiswein!




DRITTER AKT

ESCHATA



ERSTE SZENE


(Eschata, ein rotblondgelocktes Mädchen von fünfzehn Jahren, im schwarzen Kleid, geht einen Waldweg spazieren.)

ESCHATA

In diesem Wald war ich als Kind schon gern

Und sah dem Eichhorn in der Fichte zu

Und hörte Tauben gurren in dem Wipfel

Und oft war mir in diesem grünen Wald,

Als wäre ich in einer grünen Kirche,

Die Wipfel das Gewölbe unterm Himmel,

Die Lichtung wie die buntbemalten Fenster,

Die Bäume wie die Säulen oder auch

Wie Pfeifen einer Orgel der Natur.

Auf dieser Orgel spielte leis der Wind

Und Amseln flöteten mit hellem Pfeifen.

Ich sah die alten Mütter hierher pilgern

Und hörte kleine Kinder fröhlich lachen

Im Kindergottesdienste der Natur

Mit ihres lieben Gottes Bilderbibel.

Gottvater in der bunten Bilderbibel

Vom Paradiese sprach und von der Schlange

Und von der Arche mit den vielen Tieren

Und von dem Regenbogen an dem Himmel

Und von dem guten Hirten und der Herde

Und von dem kleinen Hirtenknaben David

Und von der niedlichen Prinzessin Esther,

Vom Träumer Josef und von seinen Brüdern,

Vom Mosebaby und der Pharaonin,

Von Jesus, wie er auf dem Wasser wandelt

Und sagt: Die Kinder lasst nur zu mir kommen,

Den kleinen Kinderlein gehört der Himmel!

Doch was ist das? Was liegt da auf der Erde?

Ich finde hier tatsächlich doch im Wald

Der lieben Muttergottes Rosenkranz!

Ja, das ist ein stabiler Rosenkranz,

Die Schnur ist fest, die Perlen sind von Holz,

Von hartem Holz in dunkelbrauner Farbe.

Ich grüße dich, du Liebe Frau Maria,

Du bist ja übergossen von der Gnade,

Der liebe Gott ist mit dir, Auserwählte,

Du Einzigartige im Kreis der Frauen,

Ich segne deine Leibesfrucht, das Kindlein,

Das Jesuskind, das auferstanden ist!

Maria, junge schöne Muttergottes,

Du bitte doch für alle armen Seelen

Gerade jetzt, und wenn wir sterben. Amen.



ZWEITE SZENE


(Eschata tritt aus dem Haus und tritt in den Garten.)

ESCHATA

Was ist das für ein schlimmer Januar?

Der Frost zerknirscht mir alle meine Glieder!

Am prasselnden Kamine lässt sich träumen,

Da sehe ich die schlanken Flammen tanzen,

Wie Seraphim, wie junge Tänzerinnen,

Da sah ich eine junge Flamme tanzen

Wie eine himmlischglühende Prinzessin

Und schaute einen feuerroten Drachen,

Verschlingen wollt der Drache die Prinzessin,

Die himmlischglühende Prinzessin aber

Zertrat mit nacktem Fuß den roten Drachen.

Und so erwärmte ich mir die Gedanken,

Da weißer Schnee auf meiner Esche liegt.

Und ist es noch so kalt und klirrt der Frost,

So malerisch ist doch die Abendstunde,

Dies satte Dunkelblau der Dämmerung,

Und in dem tiefen Blauschwarz scheint der Schnee,

Noch rieseln leise weiße Winterflocken

Wie Lämmerwolle oder Elfenseide,

Und alles ist ein wundersames Licht,

Ja, seltsam ist das Licht dort auf der Esche,

Das Licht, wie das? – ist eine Lichtgestalt!

(Die Madonna erscheint über der Esche. Sie trägt einen feuerroten Mantel, lange rotblonde Locken, ihre rechte Schulter und rechte Brust ist entblößt, unter ihrer schneeweißen Brust ruht im Arm der Madonna das Jesuskind und schläft.)

MADONNA

O Tochter, grüße jetzt Maria lactans!

ESCHATA

Maria lactans! Einen kleinen Tropfen

Von süßer Milch aus deiner nackten Brust

Für meine Urgroßmutter und Großmutter

Im Fegefeuer, dass sie Gott bald schauen!

MADONNA

Geliebte Tochter, bete, bete, bete!

In diesem Augenblicke der Geschichte

Steht Unsre Liebe Frau vom Karmel hoch

Auf einem Berge mitten in der Menschheit

Und fordert eins nur: Betet, betet, betet!

(Die Madonna wird wieder unsichtbar.)

ESCHATA

Heil Königin, o Mutter des Erbarmens,

Mein Leben, meine Hoffnung, meine Wonne,

Du meine Süßigkeit und Wonne, Heil!

Verbannte Kinder Evas schrein zu dir!

Wir weinen traurig in dem Tal der Tränen!

Ei, du Herbeigerufne, schau uns an

Aus deinen warmen Augen voll Erbarmen!

Und nach dem Elend unsres Erdendaseins

Zeig uns das Kind auf deinem Schoße, Jesus!

O weiß, o sanft, o süß bist du, Maria!



DRITTE SZENE


(Eschata in der Küche mit ihrer Mutter.)

ESCHATA

Ich fühle eine Sehnsucht nach der Dame,

Die schöne Frau ruft mich heraus zu sich.

MUTTER

Wer denkst du, das du bist? Mein liebes Kind,

Du bildest dir da tüchtig etwas ein.

Wer so verrückte Phantasien träumt,

Der kann nicht völlig bei Verstande sein.

Sei doch vernünftig! Tu die Hausarbeit,

Und tu die Muschelschalen in den Eimer,

Dann setz dich, mache deine Hausaufgaben,

Schreib, wer der Führer ist der Demokraten

Und schreib von demokratischen Parteien

Und demokratischen Parteiprogrammen,

Von Liberalen, Bürgern, Sozialisten,

Und träum nicht von der Königin des Himmels!

ESCHATA

Ich muß hinaus! Und wenn es noch so stürmt

Und wenn es noch so schneit und noch so friert!

Mich ruft zu sich die Königin des Himmels!

MUTTER

Solang du hier von meinem Gelde lebst,

Gehorchst du mir und tust, was ich dir sage!

Du bleibst im Haus, das ist mein letztes Wort!

ESCHATA

Gott sagt, ich soll ja meine Mutter ehren,

Gehorchen aber mehr als meiner Mutter

Muß ich der lieben Mutter von dem Himmel!

(Eschata geht in den Garten. In der Ferne ist ein Wäldchen. Über dem Wäldchen erscheint die Madonna im roten Samtkleid, Schulter und Brust entblößt, die vollkommene weiße Brust unverschleiert von den langen rötlichblonden Lockenfluten. Die Madonna schwebt näher, in ihren Armen ruht das göttliche Jesuskind.)

MADONNA

Mein liebes Kind! Ich komme jetzt zu dir,

Ich bin gekommen, um das Leid zu lindern!

Das Leid zu lindern aller Menschenkinder,

Entblöß ich meine benedeite Brust!

Ich wollt, die ganze Menschheit wär mein Kind

Und tränke Trost aus meiner vollen Brust!

Das Leid zu lindern aller Menschenkinder,

Bin ich gekommen mit dem Gottessohn!

Wie böse immer auch die Menschheit ist,

Der Gottessohn ist immer noch der König!

Erwache, o mein süßes Jesulein!

Geh spielen mit den lieben Menschenkindern!

ESCHATA

Madonna, o wie schön ist deine Brust!

(Madonna wird unsichtbar, Eschata geht ins Haus.)



VIERTE SZENE


(Abend. Eschata steht vor der Esche der Erscheinung und betet Ave Maria.)

ESCHATA

Maria, Gratiaplena! Gott ist mit dir!

Was sehe ich? Ich sehe an dem Himmel

Ein Weib, ein junges wunderschönes Weib,

Das rötlichblonde Lockenhaar umflutet

Das weiße Antlitz, schneeweiß wie ein Vollmond,

Sie stöhnt wie eine Frau in ihren Wehen

Und Schmerzen hat sie, schwere Wehenkrämpfe,

Und stößt hervor die Atemstöße rhythmisch

Und schreit sehr schrecklich, presst aus ihrem Becken

Den Sohn, der wird sogleich entrückt zu Gott!

(Jetzt erscheint Maria wie in den vorigen Erscheinungen.)

MADONNA

Gepriesen sei der Vater, Sohn und Geist!

ESCHATA

Madonna, bitte sag mir deinen Namen!

MADONNA

Das Weltall ist vergleichbar einem Körper,

Ich aber bin die Seele dieses Weltalls,

Die Jungfraunkönigin des Universums.

ESCHATA

Ich sehe eine Schönheit, die mich blendet!

(Eschata fällt in Ohnmacht. Ihr Pflegevater schaut aus dem Fenster, sieht Eschata ohnmächtig unter der Esche liegen, und eilt zu der Ziehtochter. Vom Nachbarhause kommt ein bärtiger vierzigjähriger Mann herbei und eilt dem Pflegevater und der Ziehtochter zu Hilfe.)

PFLEGEVATER

Kind meines Herzens! Kind, was ist mit dir?

NACHBAR

Was ist mit dir, du engelgleiches Wesen?

PLEGEVATER

Herr Nachbar, helfen Sie mir, Eschata

Ins Haus zu tragen. Sie muß jetzt ins Bett.

(Der Pflegevater und der Nachbar tragen Eschata ins Haus, in ihr Mädchenzimmer, und legen sie in ihr Bett. Der Pflegevater zieht ihr den Wintermantel aus.)

PFLEGEVATER

Kind meines Herzens, sag ein Wort, mein Kind!

(Eschata schlägt die Augen auf.)

ESCHATA

Ihr Männer, ich hab Gottes Frau gesehen!

NACHBAR

Schlaf, liebes Mädchen, schlaf in Gottes Schoß.



FÜNFTE SZENE


(Eschata sitzt abends am Küchentisch. Sie trägt ein schwarzweißgestreiftes Kleid. Ihre rotblonden Locken hat sie hochgesteckt, dass ihr weißer schlanker Hals strahlt. Ihre Mutter sitzt ihr gegenüber, eine Frau von vierzig Jahren, hager, mit kurzen schwarzen Haaren.)

MUTTER

Wie war es heute in der Schule, Kind?

ESCHATA

Wir lernten etwas über Kaiser Otto,

Den deutschen Kaiser in dem Reiche Roms.

MUTTER

Und mit den Jungen? Ärgern sie dich etwa?

ESCHATA

Nicht nur die Jungen, auch die andern Mädchen,

Sie sind so unerträglich albern alle,

Nein, schlimmer noch als albern: sehr gemein!

MUTTER

Was tun dir denn die andern Mädchen an?

ESCHATA

Sie nennen spöttisch mich Marienkind

Und sagen grinsend: Geisterseherin,

Die Auserwählte ist in einer Sekte!

Ich hielte mich wohl für was Besseres

Und meinte wohl, Gott liebe mich vor allen?

MUTTER

Das alles opfre auf dem lieben Gott.

ESCHATA

Ein Junge hat mir ins Gesicht gespuckt

Und einer hat mit Steinen mich beworfen!

MUTTER

Ach Kind, wie sind die Menschen doch so böse!

ESCHATA

Ich hab die Schöne Jungfrau von der Esche

Schon einen Monat lang nicht mehr gesehen.

Ich möchte sie so gerne wiedersehen!

Ich gehe jeden Abend zu der Esche

Und singe die Loretto-Litanei

Und nenne sie den Turm von Elfenbein

Und nenne sie geheimnisvolle Rose

Und nenne sie den Kelch der Devotion

Und nenne sie das goldne Haus der Weisheit.

Doch kommt die Jungfrau von der Esche nicht,

Ich fürchte sehr, ich seh sie nicht mehr wieder!

Ach Gott, schick doch die Liebe Frau zu mir,

Ach Gott, wie soll ich hier auf Erden leben,

Wenn nicht die Jungfrau von der Esche lächelt?

Ihr Lächeln ist mir wie das Lächeln Gottes!



SECHSTE SZENE


(Frühlingsanfang. Vogelsang. Abends geht Eschata zur Esche.)

ESCHATA

Maria, Gratiaplena, Gratiaplena!

Ah, siehe, jetzt erscheint sie wieder, oh!

(Maria erscheint über der Esche. Sie trägt ein meerblaues Kleid, ihr Hals ist weiß und schlank, ihr Antlitz weiß, ihre rotblonden Locken fallen über die Brüste bis zu den Lenden. Sie hält die Hand zum Segensgruß erhoben. Hinter ihr erscheint ein purpurnes Himmelsbett.)

MADONNA

Gepriesen sei der Vater und der Sohn

Und beider Geist im gleichen Gottesthron.

(Maria beginnt zu weinen.)

ESCHATA

Maria; unser Priester der Gemeinde

Hat mir gesagt, ich soll von dir erbitten

Ein Zeichen, dass du’s wirklich bist, Maria.

MADONNA

Mein liebes Kind, du glaube nur an mich,

Ich bin die Mutter dann, die an dich glaubt.

ESCHATA

Ich hab gelesen eines Dichters Wort:
Mein Kind, du kannst an viele Götter glauben,

Doch glauben diese Götter auch an dich?

MADONNA

Ich lade dich jetzt ein, mein liebes Kind,

Daß du verliebt bist in die Ewigkeit,

Von Ewigkeit zu Ewigkeit verliebt

In Gott, der nichts als Schöne Liebe ist!

Vertraue mir und halte meine Hand,

Dann führ ich dich den Weg der Heiligkeit,

Der führt dich bald ins Himmelsparadies!

Adieu, mein liebes Mädchen Eschata!

ESCHATA

Maria, darf ich dich zum Abschied küssen?

MADONNA

Ja, küsse mich! Nun geh im Frieden Gottes.