Von Josef Maria Mayer
ERSTES KAPITEL
DER DICHTER
Der Dichter, dessen Vorname „Morgenstern“ war (seine Freunde nannten ihn „Glanz“), lag zweiundsechzigjährig auf einem gewärmten Kang, einem Kachelbett, einem chinesischen Diwan, das im Hause seines nahen Verwandten Yang-Bing stand. Er fühlte einen Tod nahen und dichtete seine letzte, testamentarische Strophe:
Im Himmel oben eine Stadt aus weißer Jade
Mir Eintritt durch das zwölfte, letzte Tor gewähre.
Unsterbliche berühren mir das Haupt mit Gnade,
Damit mein Leben in den Ewigkeiten währe.
Yang-Bing nun, mit aufgebundenem Haarschopf, trat vor den Dichter, der schon seit einigen Jahren in seinem mystischen Spiegel seiner Haare Schnee erblickte, und bat ihn, sich voller Ehrfurcht verneigend: „Dein gehorsamer Diener, dein Vetter dritten Grades, getreuer Freund und Gefährte deiner letzten Stunden bittet dich um eine großmütige Gunst: Ich möchte die Wahrheit deines Lebens, die du in deinen höchst poetischen Versen, klassisch-streng im Neuen Stil der Tang-Zeit verfasst, verborgen hast hinter vieldeutig-schönem mystisch-verklärtem Schein, diese prosaische Wahrheit möchte ich, vom Pfirsichblütenschleier deiner Dichtung bloß, der Nachwelt hinterlassen. Groß ist dein Ruhm bis in tausend Lenze hinaus, ewig dein Name Glanz und Morgenstern in allen fünf Weltengegenden bekannt, aber wer weiß von deinem Geburtsort? von deinen vier Frauen? wer von Dang-tu, dem Ort, wo du in spätestens drei Morgenröten den Gelben Kranich besteigen wirst, um in die himmlischen Gefilde der Unsterblichkeit aufzusteigen? Erzähle mir, sage mir an ein wenig Wissenswertes, was dir im Angesicht der Ewigkeit für Sterblinge erwähnenswert scheint, öffne deine geschmeidigen Lippen und lasse strömen die letzte nüchterne Rede vor der großen Weinseligkeit bei den seligen Festen!“
Glanz, wie ich den Dichter als sein posthumer Freund nennen will, sah erst in sich hinein, dann aus seinem fast schon verklärten inwendigen Menschen durch die magischen Spiegel seiner Augen auf den Präfekten, auf Yang-Bing, entschloß sich, dem Irdisch-Nichtigen seine letzte sterbliche Ehre zu geben und hob an zu erzählen.
Ich wurde geboren im Jahre 701 in Tokmak, südlich vom Balkasch-See gelegen, im turkestanischen Grenzland, nahe der Seidenstraße. In neunter Generation stamme ich vom König Li Gao ab, dem Potentaten des Liang-Staates. Mit fünf Jahren zog ich mit den Eltern, der Großmutter und dem Schwesterlein in die Provinz Szetschuan. Ich lernte das Lesen, und meine Großmutter sang mir die Strophen aus dem Buch der Lieder vor, unterrichtete mich aber auch bald, als ich zehn oder zwölf war, in den Lehren der beiden großen Weisen der Wahrheit, ich meine Lao Tse und Tschuang Tse, las mir also vor aus dem Buch von Wort und Tugend und aus dem Buch vom südlichen Blütenland. Zu der Zeit schrieb ich auch mein erstes Gedicht. Ich erinnere mich genau, es lautete:
Die Wolken und die Meere werden schwarz vom Staube,
Und Zedernbaum gepeinigt wird vom Todeswinde.
Aus Schädeln ward ein Berg - darnieder liegt der Glaube...
Gestirne werden bleich. Was ist des Volkes Sünde?
Meine Eltern verstanden die Verse nicht, aber ein alter Eremit in den schneeweißen Bergen, fastend und betend, der verstand den geheimen Sinn dieser Zeilen.
Ich suchte immer einen Gottmenschen und fand, daß die Einsiedler mit ihrer Innenschau am meisten an seinem Wesen teilhatten (abgesehen von den Poeten), darum war ich gern in ihren ärmlichen Hütten, selbst ein Mann des einfachen Leinenkleides, und teilte mit ihnen das karge Reisbrot und das Schälchen Reiswein, in frommer Andacht eingenommen.
Ich begriff, daß das Wesen des Gottmenschen Gerechtigkeit ist, die auf Erden nicht verwirklicht ist, der wir aber nachstreben sollten. Und so überließ ich mich im feurigen Tatendrang jugendlicher Männlichkeit und ging, das Schwert gegürtet, in die Wälder zu den Räubern und Rächern. Wir hatten unsre Holzhütten verborgen an einem unzugänglichen Moor und zogen täglich auf Beutezug: da überfielen wir korrupte Beamte und heuchlerische Bonzen in ihren Prunk- und Prachtsänften und nahmen ihnen Gold und Bruchsilber ab, um es an notleidende Witwen und Waisen, Krüppel und Hungerleider zu verteilen. Mein damaliger Freund We Hao bohrte so manchem Würdenträger die Linge in den fetten Wanst, ich war mehr der Mann zum Erdenken listiger Pläne; ja, ich schärfte meinen Verstand in jener Zeit und lernte meine Leidenschaften zu gebrauchen für ideale Werke.
Aber mir redete eines Tages ein frommer Klausner ins Gewissen, ich selber solle das Rauben und Morden (ich selber aber habe nie getötet) sein lassen und mich besser und lieber wieder meiner schöngeistigen Begabung widmen. Ich verließ Moor und Wald und machte eine lange Reise an den Blauen Strom.
O, was ich da für verschiedene Menschen und Landschaften Chinas kennenlernte, alles Bilder für die Poesie vom Weg des Menschen: der Schmetterling des Südlands ein Gleichnis für die schwebende Seele, das Münden des Blauen Stromes für den Eingang in die selige Leere, der Dung-ting-See für die innere Sammlung im himmlischen Frieden...
Und die Liebe? - Ja, auch die begegnete mir, da ich mich zweiundzwanzigjährig in die Augen der schönen Jungfrau Dija verguckte, eine reine Lotosblüte inmitten schlammiger Gewässer, mit goldbraunen Augen und lackschwarzen Haaren, die ihr, wenn ich den kunstvollen Knoten löste, bis an die Lenden fielen. Aber wichtiger noch war, daß sie besser als jedes Blumenmädchen die Laute spielte und mir die Volkslieder so süß und reizend vorsang, jene Reime, die mich meine Großmutter in meiner Kindheit gelehrt. Dija war meine erste Liebe und da denkt man noch: die Liebe währt ewig.
Ich lebte zu jener Zeit mit Dija bei ihrem Großvater, der Reichskanzler war und von meiner verwegenen Vergangenheit gar nichts wissen durfte, nördlich von Han-kou.
Im folgenden Lenz lief mir aber meine zweite Frau über den Weg, die noch längeres Schwarzhaar hatte und Zähne weiß wie Papier, auch sie sang sehr schön, aber darüberhinaus kannte sie die Sprüche des Konfuzius alle auswendig, was mir imponierte. Ich verließ Dija und zog mit An nach Jen-tscheng, wo ich ganz und gar der Poesie lebte, so ganz und gar, daß ich darüber ganz und gar die Liebe vergaß, und so verließ mich An.
Ich war inzwischen berühmt geworden, berühmt wie Du Fu und Wang Wie und Bo Djü-I, und ich war stolz darauf wie ein Hahn. Die Strahlende Majestät, Kaiser Hsüan-dsung (oder auch Ming-huang) rief mich an den Hof in den Kreis seiner wunderbaren Poeten, er sagte zu mir, selbst sehr hochwürdig: „Hochwürden sind nur ein Mann des Leinenkleides, dennoch ist Euer Ruhm bis zu Uns gedrungen. Wie wäre das möglich, wenn ihr nicht den Weg des Wahren geübt hättet!“ Und er ließ mich im Gelehrtenhof des Pinselwaldes aus und ein gehen. Ich besuchte in der kaiserlichen Hauptstadt Tschang-an aber lieber die Schenken als die einsamen Wälder, denn ich war ein großer Freund des Weines (und bin es bis auf die heutige Stunde): eine Kufe Wein gibt bei mir dreihundert Gedichte. Wenn mich der Himmelssohn in sein Boot rief, sprach ich: „Herr, dein Diener ist ein Genius, im Wein versunken!“ Dennoch erhob ich mich, nachdem ein Knecht des Kaisers mein Gesicht mit Wasser besprengt, und schuf, nach den Melodien der Musikamtsdichtung, für ein kaiserliches Hofkonzert viele Strophen mit wohltönenden Reimen, alle im schwärmerischen Geist der Suche nach Unsterblichkeit geschrieben.
Nun nahte mein Ende am kaiserlichen Hof (übrigens kam meine Dritte aus einem der vielen kaiserlichen Seitengemächer, der Himmelssohn schenkte sie mir) und das kam so: Ich war zum Kaiser bestellt und kam trunken vom Gelage mit Zechkumpanen, da trat ich in die Empfangshalle, wo mich der Eunuch Gao Li-sche empfing. Ich hieß ihn, in übermütiger Laune und selbstbewußt meiner königlichen Abstammung, mir die Schuhe auszuziehen. Wie ein echter Kriecher zog mir das Ölmaul die Schuhe aus, beschwerte sich aber anschließend hinterrücks bei des Kaisers Favoritin Ang Gue-fe, welche alsogleich zum Kaiser eilte, sich an ihn schmiegte verführerisch zärtlich und in seine hörig hörenden Ohren etwas lispelte von frechem Vergehen und tadelnswertem Übermut und tugendlosem Zechen des Hofpoeten Morgenstern. Daraufhin entließ mich der Kaiser, aber, aus Freundschaft und Verhehrung für mein poetisches Schaffen, in Ehren. Ich schrieb aus diesem Anlaß folgende Verse, welche wieder einen geheimen Sinn hatten:
Im Augenblick des Scheidens fühl ich schwere Trauer
Und meine Kappenbänder netzen Tränenschauer.
Ach Meister! Himmelssohn! o Herrscher ohne Grenzen!
Der du die Väter überragst in deinem Glänzen:
Du läßt den Pfuhl bereiten und das Zelt errichten
Zu meinem Trost. Von dir alleine will ich dichten.
Elf Jahre später - in der Zwischenzeit schuf ich weiter an meinem Werk, daneben widmete ich mich den Kräutern und Steinen und der Veredlung des inneren Selbst, alles was ich tat strebte nach der leiblichen Verewigung - elf Jahre später also brach der tungusisch-türkische Militärgouverneur An Lu-shan in Richtung der beiden Hauptstädte auf und nahm sie grausam-gewaltsam ein, der Straßenköter setzte sich auf den Drachenthron! Die Strahlende Majestät floh westwärts wie die Sonne, vom Gipfel seines Goldenen Äons sank das Reich der Mitte dicht an den Abgrund. Vor dem Inferno des Bürgerkriegs floh ich mit meiner vierten Frau, der buddhagläubigen Pfirsichblüte, in das Lu-shan-Gebirge nahe des Blauen Stromes: ein Unsterblicher in Verbannung.
Dreimal bestieg ich, allein mit meinem Schatten und dem Mond, den Turm des Gelben Kranichs. Und bei der Aussicht auf die Unzähligkeit der Schöpfungen des Himmels löste sich in meiner Seele der Gram der Verzweiflung in wohlgefälliges Nichts auf.
Vor drei Jahren erreichte mich die Nachricht von meiner Rehabilitation, sie erreichte einen von Wein und Wanderungen gezeichneten Mann - nein: keinen Mann, sondern einen Poeten, denn von Kindesbeinen an war ich Poet. Und mein Name wird dauern - Li Tai-Bo.
ZWEITES KAPITEL
DIE FRAUEN
DAS MÄDCHEN
Zehn Töchter, die schön wie Blumen sind, kann man nicht gleichachten einem Sohn mit Schuppen auf der Haut.
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Zehn Töchter, die wie Pfirsichblüten sind, kann man nicht vergleichen einem Sohn, der Warzen an den Füßen hat.
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Zehn kluge Mädchen kann man nicht vergleichen einem Mann, der ein Taugenichts ist.
*
Besser ein Sohn als zwei Töchter.
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Eine Tochter ist wie drei Diebe, zwei Söhne sind wie fünf Adler.
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Gibt es in einem Haus zwei Töchter, sind es mit der Mutter drei Diebe.
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Wie Familiengüter zu verkaufen ist es, Töchter zu verheiraten.
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Wer viele Töchter mit Brautgaben auszustatten hat, bei dem setzen die Taler keinen Rost an.
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Töchter sind Gäste ihres Elternhauses.
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Es ist von Nutzen, die Söhne zu verwöhnen und zu lieben, aber die Töchter erzieht man nur für Andere.
*
Eine verheiratete Tochter ist wie Wasser, das man weggeschüttet hat.
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Eine verheiratete Frau ist wie ein Acker, den man verkauft hat.
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Eine verheiratete Tochter ist wie Staub, den man aus der Wohnung gefegt hat.
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Eine verheiratete Tochter ist wie ein ausgetriebener Dämon.
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Töchter großzuziehen ist wie Räuber großzuziehen.
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Eine liebevolle Tochter, die Vater und Mutter ehrt, ist nicht so kostbar wie ein trocknes Gemüsebeet.
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Aber eine kranke Tochter ist besser als ein erhängter Sohn.
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Wenn es im Fluß keine Fische gibt, werden die Krabben teuer. Wenn es im Hause keine Söhne gibt, schätzt man die Töchter.
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Ein hübsches Mädchen und ein alter Rock bleiben überall hängen.
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Mädchen und Gläser sind in Gefahr.
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Mädchen hüten kann nur der Totengräber.
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Keusche Mädchen sind Scheinheilige, lachende Mädchen sind ehrlich.
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Wenn ein Mädchen schamhaft die Augen niederschlägt, sucht sie einen Freier.
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Wer ein Mädchen kennenlernen will, beobachte sie bei der Hausarbeit.
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Ein Mädchen, das Schmuck liebt, taugt selten etwas.
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Ein Mädchen, das schöne Kleider liebt, hat wenig Tugend.
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Mädchen wollen hübsch aussehen, auch wenn sie deshalb frieren müssen.
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Mädchen mit Warzen im Gesicht schminken sich gern. Mädchen mit Schuppen in den Haaren stecken Blumen in die Haare. Mädchen mit kleinen Brüstchen stopfen etwas in den Büstenhalter.
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Die Tochter will der Mutter beibringen, wie man Kinder zur Welt bringt.
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Eine Kindsbraut ist schlecht, sie nascht heimlich Schokolade.
DIE EHEFRAU
Die Jungfrau besteigt die Hochzeitskutsche und weint, doch eigentlich lacht sie. Der Student ist durch die Prüfung gefallen und lacht, doch eigentlich weint er.
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Die Braut hat wohl Zwiebeln im Auschnitt?
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Erst lachende Braut, dann weinende Frau.
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Vom Hochzeitsmahl genießt die Braut am wenigsten.
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In dein Brautbett gehört ein Bräutigam allein!
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Frisch vermählte Braut zu sein ist so schwierig, wie mit verkehrt angezogenen Holzschuhen einen steilen Berg zu besteigen.
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Dem Knaben ist die Mutter seine liebste Mama, der Mann kennt nur die Frau und nicht mehr die Mutter.
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Politiker müssten die Zunge der Schwiegermutter haben.
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Zum Frühlingsanfang kehrt die Vermählte in ihr Elternhaus zurück, um ihre Verbitterung auszuschütten.
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Im Mai hol dir die Braut! Kannst du sie nicht holen, rollen die Tränen!
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Herrscht der Himmel, herrscht im Haus der Mann.
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Heiratet die Frau einen Hahn, so folge sie dem Hahn. Heiratet die Frau einen Hund, so folge sie dem Hund.
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Gerät die Frau an einen Beamten, wird sie eine Dame, gerät sie an einen Fleischer, muß sie Tiere schlachten.
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Die Ehre der Ehefrau ist der Ehemann.
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Der Bauer ist auf den Acker angewiesen, das Weib ist auf den Mann angewiesen.
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Eine kluge Frau lässt dem Mann die Hosen.
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Der Mann ist das Haupt der Frau und die Frau ist die Krone der Familie.
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Die Frau empfängt ihr Licht vom Mann wie der Mond von der Sonne.
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Des Mannes Ruhm verschönert die Frau.
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Frauen haben die Religion ihres Gatten.
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Wo die Frau die Hosen anhat, ist der Teufel der Wirt.
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Verwilderte Haare! Doch solange der Mann die Frau schätzt, darf sie keiner verlästern.
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Gekauftes Pferd und geheiratete Frau können von mir beliebig geritten werden.
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Dem Mann ist es keine Ehre, seine Frau zu schlagen.
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Wenn ein Mann seine Frau schlägt, lacht der Teufel.
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Wer die Ehefrau ehrt, ist ein Edelmann. Wer die Ehefrau schlägt, ist ein Schwein.
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Wer die Ehefrau verwöhnt, ist ein großer Mann. Wer die Ehefrau schlägt, ist ein Hund.
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Ist der Ehemann gut gelaunt, ist seine Frau für ihn die Jungfrau Maria, ist er schlecht gelaunt, ist sie die Einfallspforte des Teufels!
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Wird der Mann zornig, sei die Frau sanftmütig.
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Redet der Mann, so schweige die Frau.
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Gibt es im Hause eine gute Frau, ist das wie wenn das Reich einen guten Kanzler hat.
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Eine keusche Ehefrau ist blind und taub bei andern Männern.
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Der Topf erträgt den Deckel.
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Eine Frau ist nicht Liebessklavin zweier Männer.
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Schlamm trübt Wasser, die eifersüchtige Frau trübt den Ehefrieden.
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Die Eifersucht der schlechten Frau führt zur Scheidung, die Eifersucht der guten Frau führt zu Tränen.
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Nimm eine kluge, keusche Frau, Kinder zu zeugen in ihrem Schoß!
DIE HAUSFRAU
Männer schaffen draußen, Frauen herrschen im Haus.
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Wenn man ein Haus betritt und das Haus von innen betrachtet, erkennt man Fleiß und Faulheit. Wird der Tee serviert, erkennt man die Ehefrau.
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Betritt man die Schwelle, prüfe man drei Dinge, den Herd, das Bett und die Kinder.
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Sitzt die gute Hausfrau auf dem Bett, so schafft sie mit der Schere, erhebt sie sich vom Bett, so nimmt sie die Pfanne.
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Die gute Frau sorgt sich um die fünf K: Küche, Keller, Kleider, Kinder, Kammer.
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Herrscht die Frau in Küche und Keller und schafft der Mann auf dem Arbeitsfeld, so steht es gut um die Wirtschaft.
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Wenn der Mann nicht arbeitet auf dem Acker, hungert die Familie, und wenn die Frau nicht webt, friert die Familie.
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Wünscht ihr euch Wohlstand, so ackere der Mann und webe die Frau.
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Die gute Frau steht nicht schwatzend im Tor, sondern denkt an den Webstuhl.
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Eine Frau, die gerne vorm Spiegel steht, webt wenig.
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Wenn die Zikaden im Frühling zirpen, hat die Frau, die zu faul zum Spinnen ist, keinen Bettvorhang.
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Eine Frau, die ungern spinnt, trägt grobe Kleider.
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Aber es sind nicht alles gute Frauen, die gut spinnen können.
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Der Mann beherrscht die Straße, die Frau beherrscht den Herd.
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Auch eine geschickte Frau kann Reisbrei nicht ohne Reis kochen.
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Auch eine neuvermählte Frau kann keine Dampfbrötchen backen ohne Mehl.
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Eine gute Frau scheut die Küche nicht.
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Wenn die Hausfrau stirbt, verderben Milch und Eier.
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Wäscht die Frau die Wäsche oder backt die Frau das Brot, so häng dich nicht an ihre Fersen.
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Die Mutter versorgt die kleinen Kinder, die erwachsenen Kinder sorgen für die Mutter.
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Wenn Männer sich treffen, reden sie über die streitenden Reiche oder das Buch von den Räubern im Moor, und wenn Frauen sich treffen, reden sie über ihre kleinen Kinder.
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An dem Verhalten der Kinder erkennt man die Tugend der Mutter.
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Das Kind zerreißt die Kleider und macht sie schmutzig, die Mutter wäscht und flickt die Kleider.
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Bei des Kindes Krankheit ist die Pflege der Mutter die beste Medizin.
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Jedes Kind begehrt das, wozu die Mutter das Kind erzogen.
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Männer haben Ehrgeiz in allen vier Himmelsrichtungen, Frauen haben ihren Ehrgeiz im Gemach.
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Ein guter Mann wirkt im ganzen Bezirk, die Frau dreht sich um den Kochtopf.
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Frauen kommen nicht aus dem Gemach und Gelehrte nicht aus der Studierstube.
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Zieht ein Mann durch die Straßen, bringt ihm das Ehre, doch zieht eine Frau durch die Straßen, macht ihr das Schande.
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Gute Frauen spinnen und weben, schlechte Frauen schwatzen.
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Frauen und Katzen gehören ins Haus.
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Die Frau und der Ofen bleiben daheim.
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Ohne Ehefrau keine Familiengründung.
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Ein Mann ohne Ehefrau ist wie ein Haus ohne Hausherrn, eine Frau ohne Ehemann ist wie ein Haus ohne Dach.
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Ein Haushalt ohne Hausfrau ist wie eine Laterne ohne Licht.
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Eine liebe Hausfrau ist der kostbarste Schatz auf Erden.
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Des Mannes Hand verdient draußen das Geld, die Hand der Frau sammelt drinnen das Geld in der Schatulle.
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Eine Frau kann in der Schürze mehr aus dem Haus tragen, als der Mann im Wagen hereinbringen kann.
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Eine gute Frau mehrt das Haus, die schlechte Frau trägt alles hinaus.
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Einer fleißigen Frau wächst Speck am Balken.
DIE MUTTER
Die schwangere Mutter erschrak vor einem Schwan!
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Wenn eine Frau gebiert, liegt zwischen ihr und dem Tod nur ein Blatt Papier.
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Die Geburt des Sohnes ist der Leidenstag der Mutter.
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Keine Geburt ohne Schmerzen der Wehen.
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Ist das Getreide gepflanzt, kommt der Regen. Ist das Kind geboren, kommt die Muttermilch.
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Jede, die ein Kind geboren hat, ist stolz.
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Kleine Melonen fallen nicht vom Stamm und kleine Kinder verlassen die Mutter nicht.
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Wenn man die ganze Welt bereist hat, ist die Mutter die beste. Wenn man alle Speise gekostet hat, ist Salz das leckerste.
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Der Erstgeborene verlässt den Tempel nicht, das jüngste Kind verlässt die Kammer der Mutter nicht.
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Der Mutter ist das kränklichste Kind das liebste.
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Das Herz der Mutter ist immer bei den Kindern.
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Die Liebe der Mutter ist stärker als der Kinder Kotze und Kot.
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Wie eine Mutter liebt keiner auf Erden.
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Die Schmerzen der Kinder gehen dem Vater um den kleinen Finger und der Mutter um den ganzen Leib.
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Ist die Mutter noch so arm, sie schenkt doch Wärme den Kindern.
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Besser es stirbt ein reicher Vater als eine arme Mutter.
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An den Kindern erkennt man die Mutter.
*
Willst du die Tochter haben, schau dir genau die Mutter an.
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Verhurte Mütter gebären geile Töchter.
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In der guten Mutter Fußspuren reift die liebe Tochter.
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Wie die Mutter das Lied anstimmt, so singt die Tochter.
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Mütter müssen den Söhnen Lehrerinnen sein, bis die Söhne zur Schule gehen, aber das ganze Leben lang sind die Mütter Lehrerinnen der Töchter.
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Für die unverheiratete Mutter ist ihr Sohn kein Bastard.
DIE HEILIGE
Die Nonnen fasten, bis ihnen die Bäuche schwellen.
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Es geht mancher Nonne wie der Heiligen Teresa von Avila: Sie sterben mehr vor Liebe als aus Krankheit!
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Nonnentränen brennen Löcher in den Schleier.
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Wer die Perlen in der Suppenschüssel nicht erkennt, redet die Kaiserin mit Schwester an.
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Der Bettler schmachtet nach der Kaiserin.
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Selbst die Kaiserin ist das Weib des Kaisers.
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Die Kaiserin trägt am nackten Körper das gleiche Geschmeide wie die nackte Magd.
*
Die Heiligen laden die Mutter der Barmherzigkeit zum Gastmahl, das sind viele Gastgeber und nur ein Gast.
*
Die Statue der Mutter der Barmherzigkeit tragen sie hinaus und tragen den Götzen hinein.
*
Die Jungfrau Maria ist jedes Jahr siebzehn Jahre jung!
*
In jedem Haus eine Jungfrau Maria!
*
Oh, jene dort ist die Jungfrau Maria von Oldenburg!
DRITTES KAPITEL
KONFUZIUS
Unter den Philosophenschulen ist die Schule der Konfuzianer die wichtigste. Konfuzius sprach: „Sei du ein Lehrer der Gebildeten, werde nicht ein Lehrer der Gemeinen.“ Die Schule der Konfuzianer nannte man Ju, das bedeutet die Sanften, Weichen, Geschmeidigen. Schon vor dem Auftreten des Konfuzius gab es solche Ju-Gelehrten. Sie belehrten den Adel und das Volk über die Riten bei den Opferfeiern, sie leiteten die rechte Trauerfeier an und die Gebete. In ihrer freien Zeit nahmen sie sich der Jugend der Städte und Dörfer an und gründeten Schulen. Sie waren angewiesen auf die Gunst der Regierung. Konfuzius ragte weit heraus aus der Schar der Ju-Gelehrten. Er gründete eine eigene Philosophenschule. Er stammte von der Yin-Dynastie ab. Die Nachwelt hat Konfuzius zu einem Heiligen gemacht. Er war gewiß eine wahrhaft menschliche Persönlichkeit, sehr wirklichkeitsnah und wissensdurstig. Er arbeitete eifrig an seiner Selbstvervollkommnung. Er glaubte sich berufen, sein Volk aus den Wirren und Nöten der Zeit zu führen. Um sein Ideal zu verwirklichen, bot er den Fürsten seine Dienste an. Zuletzt, um sein Ideal zu verwirklichen, sammelte er Schüler um sich und lehrte sie seine Ideen. Er lehrte ein einheitliches System, das nach seinem Tode jahrhundertelang die Gesellschaft Chinas getragen hat. Der Himmelskult spielte bei ihm eine große Rolle. Der Himmel folgt dem Tao, dem Weltgesetz oder der Ewigen Weisheit. Wie der Himmel sich an das Tao hält, so muss sich der Herrscher oder Himmelssohn an den väterlichen Himmel halten. Was Konfuzius genau unter dem Himmel verstand, hat er nie erklärt. Aber wie der väterliche Himmel den kaiserlichen Himmelssohn regierte, so sollte der Vater der Familie den Sohn und die ganze Familie regieren. Wie der kaiserliche Himmelssohn dem väterlichen Himmel in Liebe gehorchen sollte, so sollte der Sohn in Pietät dem Vater folgen. So ordnet sich nach dem Himmelskult die patriarchalische Familie nach dem Weltgesetz der Ewigen Weisheit, dem Tao. Nach dem Tode des Konfuzius spaltete sich seine Schule in verschiedene Gruppen, die unter sich uneins waren, aber sich abgrenzen mussten gegen andere Philosophenschulen, so verfasste man nach den mündlichen Überlieferungen das Buch der Gespräche des Konfuzius, das Lun-Yü, da man die Worte des Meisters überlieferte. So schuf man eine gemeinsame Grundlage für die konfuzianische Schule. Der Grundbegriff der konfuzianischen Schule ist Yen, das heißt Menschlichkeit, es bezeichnet die Tugend des Wohlwollens zwischen Mensch und Mensch und die Gefühle der natürlichen Zuneigung zwischen Eltern und Kindern und zwischen Brüdern. Auf die menschliche Gesellschaft übertragen, sollte die Zuneigung und Menschenliebe eine ideale harmonische Gesellschaft schaffen. Der Weg, um diese Menschlichkeit zu erlangen, ist eine umfassende Bildung unter der Kontrolle ethischer Prinzipien. Der Edle vervollkommnet sein Wissen und seinen Charakter, ist treu und ehrlich gegenüber dem Fürsten, hegt Sympathie und herzliches Interesse für seinen Nächsten. So sollte auch der Herrscher durch Menschlichkeit regieren und sich vor allem durch seinen hohen sittlichen Charakter auszeichnen. Konfuzius war kein Religionsstifter und auch nicht eigentlich ein Philosoph im Sinne eines Metaphysikers, sondern er war ein Sitttenlehrer, der eine ehrwürdige Ethik geschaffen hat. Er hat wohl an den Himmel geglaubt und an eine Bestimmung des Menschen durch ein himmlisches Gesetz, aber er hat sich über göttliche und metaphysische Dinge nicht näher ausgelassen. Ganz bestimmt schwieg er über mysteriöse Ereignisse, magische Kräfte und das Geisterunwesen des Aberglaubens. Wir wissen nur wenig über seine Anschauung von dem Fortleben der Seelen nach dem Tode. Konfuzius war ein Lehrer der Menschenliebe. Er sprach das Gesetz der Menschenliebe aus: „Sei treu dir selbst gegenüber und gütig zu deinem Nächsten.“ Diese Menschenliebe Yen ist eine Vorahnung der Nächstenliebe, die Jesus Christus gelehrt hat.
MENCIUS
Mencius oder Meng-Tse stammte aus einem Ort unweit von Lu, woher Konfuzius stammte. Er kannte wohl die Ideen des Konfuzius und war von ihnen beeinflusst. Aber seine Zeit war von der des Konfuzius verschieden. Konfuzius hatte keine gegnerischen Philosophenschulen zu bekämpfen, Mencius aber musste seine eigene Philosophie im Widerspruch zu anderen Schulen bestimmen. Der wesentliche Punkt seiner Philosophie lautet: Der Mensch ist von Natur aus gut. Jeder Mensch hat von Natur aus das Gewissen oder ein Herz, das von seinem Ursprung her gut ist und unfehlbar in seinem moralischen Urteil über das Gute und das Böse. Mencius hätte Kant zugestimmt, der meinte, jeder Mensch weiß, dass er gut sein soll. Von Natur und ohne Beihilfe der Erziehung, meinte Mencius, wisse der Mensch, was das Gute sei und dass er das Gute tun solle. Das Gewissen des Menschen trägt das menschliche Urteil über das Gute und das Böse. Vier Kardinaltugenden pries Mencius als Ausgestaltung dieses Guten im Menschen, das ist: ein liebevolles Wesen, Rechtschaffenheit, Sittsamkeit und Weisheit. Diese vier Prinzipien oder Kardinaltugenden sind den Kardinaltugenden der Bibel verwandt, dem Maßhalten, dem Starkmut, der Gerechtigkeit und der Klugheit. Dabei nähert sich die Tugend des Mencius, die er liebevolles Wesen nennt, der wichtigsten und ewigsten der theologischen Tugenden des Christentums, nämlich der Liebe. Ein Mensch, der diese vier Tugenden besitzt, wie sie Mencius beschreibt, der hat Anteilnahme für seinen Nächsten, hat das Empfinden von Scham und einen Widerwillen gegen alles Böse. Dieser Mensch, der dem feinen Empfinden seines Gewissens für das Gute folgt, weiß zu unterscheiden zwischen dem, was gutzuheißen ist, und dem, was zu missbilligen ist. Er achtet das, was wirklich zu verehren ist. Das es dennoch böse Menschen gibt, ist der Begierde nach Besitz und Macht und Lust zuzuschreiben. Der an sich gute Mensch kann verdorben werden durch den Umgang mit bösen Menschen und durch den negativen Einfluß einer vom Bösen durchdrungnen Gesellschaft. Darum muß der Mensch wachsam sein und sein Herz hüten, damit er die angeborene Gutheit seines Herzens nicht verliert. Mencius empfiehlt dazu eine Art Meditation, ein atmendes Gebet, um den himmlischen Geist, das Chi oder den Odem Gottes einzuatmen. Er geht aber nicht näher auf diese Art von Meditation ein. Er ist eben auch vor allem Sittenlehrer und nicht Religionsstifter oder auch nur religiöser Lehrer. Der Mensch soll darauf achten, die vier Kardinaltugenden zu pflegen und zu leben und sich nicht verderben zu lassen von dem schlechten Einfluß der Sünder. Mencius hat die konfuzianische patriarchalische Ethik der Familie oder der Beziehungen der Menschlichkeit weiter ausgeformt, indem er von den fünf Beziehungen sprach. Es geht ihm dabei um die Beziehung des Herrschers zu seinem Volk, des Vaters zu seinem Sohn, des Mannes zu seiner Frau, des Alten zu dem Jungen und der Freundschaft unter Gleichgesinnten. Mencius nannte Konfuzius seinen Lehrer und die heiligen Herrschers des Altertums seine Vorbilder, nämlich Yao, Shun und Yü, aber auch Tang, Wen und Wu, die idealen Kaiser. Wenn sich die Gutheit des menschlichen Herzens und das Leben gemäß den vier Tugenden allgemein durchsetzt, bekommt das Volk auch einen weisen und frommen Herrscher. Die Regierung des Herrschers sollte auf Wohlwollen und Güte beruhen und für das Wohl der Landeskinder ausreichend sorgen. Falls allerdings die Herrschaft in eine Tyrannei ausgeartet sei und somit das Mandat des Himmels verloren habe, so gesteht Mencius dem Volk das Recht zu, dem Herrscher die Macht zu entziehen und einen neuen Herrscher nach dem Herzen des Himmels zu inthronisieren. Mencius geht also davon aus, dass das Volk, wenn es gut lebt, einen guten Herrscher bekommt, das der Herrscher aber selbst dem Gutsein als dem Mandat des Himmels verpflichtet ist.
HSÜN-TSE
Hsün-Tse verehrte Konfuzius, aber er verstand sich als Gegner des Mencius. Er vertrat die entgegengesetzte Meinung, nämlich dass der Mensch von Natur aus böse sei. Die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse legten diese Auffassung nahe. Er konnte beobachten, wie alle Menschen von ihren Begierden getrieben wurden, den Begierden nach Lust und Macht und Geld. Aus der schrankenlosen Befolgung des Willens der Begierde folgen Ausschweifung und Streit. So tut die künstliche Erziehung not, die zivilisatorische Macht der vernünftigen Erziehung. Der Mensch muß die Geschicklichkeit erst erwerben, die Tugend erst erwerben. Durch das Lernen und das beständige Streben nach dem Guten kann der Mensch zu einem tugendhaften Wesen werden. Der spezielle Lehrgegenstand der Philosophenschule des Hsün-Tse waren darum die Li, die Sitten. Die Sitten bezeichnen zum Einen gesellschaftliche Formen, die ursprünglich aus den religiösen Zeremonien stammten, zum andern die ethischen Beziehungen der Menschen, die gesellschaftlichen Rangordnungen. Sitte bezeichnet alles, was die Heiligen des Altertums an gesellschaftlichen Regeln definiert haben, um die leidenschaftlich begierliche Natur des Menschen zu formen und zu erheben zu einem guten Wesen. Dazu dient auch die sakrale Musik der Zeremonien, die einen sittlich-erhebenden Charakter hat. Auch der Staat muß mit Hilfe der Sitte regiert werden. Der Herrscher soll sich allezeit von den weisen Männern beraten lassen. Die Schicksalsgläubigkeit verwirft der Philosoph. Hsün-Tse spricht zwar wie die Konfuzianer vom Himmel (Tian), denkt dabei aber nicht an einen persönlichen Gott wie die Schule des Mo Tse.
MO TSE
Mo Tse oder Mo Di gründete die nach ihm benannte Schule der Mohisten. Nach dem Sturz der feudalen Adelsherrschaft gingen die Künstler und Wissenschaftler, die bisher an den Adelshöfen gelebt hatten, unter das Volk. Die Einen wurden Zivilgelehrte und wurden Konfuzianer, die Anderen wurden zu Kriegern und bildeten die Gruppe der Mohisten. Die Mohisten waren eine Gegenbewegung gegen die Konfuzianer. Die Lehre der Konfuzianer lehnte sich stark an die Vorstellungen des Adels an, die Mohisten standen dem Volk näher. Dem gewöhnlichen Volk schien die Lehre der Konfuzianer nutzlos und auch zu kompliziert. Die Mohisten aber fanden ein großes Echo beim gemeinen Volk. Wie Konfuzius lehrte auch Mo Tse, dass die Wirren der Gesellschaft ihren Grund haben in der mangelnden Wertschätzung des Nächsten. Die Konfuzianer sprachen auch vom Himmel und vom Weg des Himmels, aber Mo Tse sah im Himmel einen persönlichen Gott (Shang Di, der Allerhöchste), der einen Willen besitzt und Lohn und Strafe austeilt. Die Mohisten glaubten an die Existenz von Geistern (Shen) und waren überhaupt religiöser als die Konfuzianer. Die Konfuzianer legten viel Wert auf den korrekten Einhalt der traditionellen Riten und auf die Wahrung der Standesunterschiede, die Mohisten verwarfen die traditionellen Standesunterschiede. Sie lehrten die Verehrung der Weisen und der Heiligen und nahmen sich die Heiligen der Vorzeit, Yao und Shun und Yü, zum Vorbild. Der zentrale Gedanke des Mo Tse war die allgemeine Liebe, die keine Abstufung nach Familienbanden oder Standesunterschieden kennt. Wenn die Menschen ihren Egoismus überwinden und dem Nächsten dienen, handeln sie nach dem Willen des himmlischen Gottes. Diese Lehre hat große Ähnlichkeit mit der Nächstenliebe, wie Jesus Christus sie gelehrt. Die allgemeine Menschenliebe ist ein umfassenderer Begriff als die Menschlichkeit (Jen), wie Konfuzius sie lehrte. Mo Tse war bedacht auf das Wohl des ganzen Volkes, forderte aber auch Fleiß und Sparsamkeit. Den Fatalismus lehnte Mo Tse ab, das Glück des Menschen hinge nicht von seinem guten oder bösen Stern ab. Wer sich auf sein Horoskop verlässt, wird leicht seine Pflicht des Dienstes am Nächsten vernachlässigen. Das Leben soll einfach und natürlich gelebt werden, die Begräbnisse nicht zu teuer begangen werden und die Trauerzeit nicht zu lang sein, da sie sonst den Menschen ruinieren. Mo Tse verwarf den Krieg, da er dem Prinzip der universalen Liebe widerspricht, aber er anerkannte das Recht der Selbstverteidigung eines Staates in Kriegszeiten. Da aber Krieg mit Mord gleichzusetzen ist, nennt der Philosoph die Kriegstreiber Verbrecher. Der Staat sollte vielmehr durch die Beratung von Weisen gelenkt werden und die Menschen der unteren Schichten sollten den Weisungen der regierenden Weisen folgen. Später entwickelten sich verschiedene Mohisten-Sekten auf dem Grund der Lehre des Mo Tse, wobei, wie Tschuang Tse sagte, jede der Gruppen sich selbst als orthodox und die andere als häretisch bezeichnete.
DIE DIALEKTIKER
Die Schule der Dialektiker diskutierte das Verhältnis des Wesens eines Dinges zum Namen eines Dinges. Sie bildeten in der Disputationskunst aus. Ihre Gedankengänge haben Ähnlichkeit mit der konfuzianischen Schule, aber wahrscheinlich stammen die Dialektiker aus der Schule der Mohisten. Ihre berühmtesten Vertreter waren Hui Shih und Kung-sun Lung. Hui Shih lehrte wie Mo Tse die Universale Liebe und den Pazifismus. Er war sehr gelehrt und besaß eine große Bibliothek. Seine Lehre finden wir in den Schriften des Tschuang Tse. Wenn man den räumlichen Unterschied nicht betrachtet, kann man sagen, dass die Hauptstadt von Chu so groß ist wie die ganze Welt. Wenn man den zeitlichen Unterschied nicht beachtet, kann man sagen, dass sich in einem Ei Federn befinden. Wenn man bedenkt, dass die Namen eigentlich willkürlich sind, kann man sagen dass ein Hund kein Hund ist und die Schildkröte länger ist als die Schlange. Das Feuer ist nicht heiß, weil die Hitze des Feuers nur vom Menschen empfunden wird. Die empirische Welt ist nicht wirklich. Ein weißer Hund ist womöglich ein schwarzer Hund, weil die menschliche Wahrnehmung des Weißen subjektiv ist. Einer der Zentralgedanken Hui Shih’s ist die Einheit des Universums. Alle räumlichen und zeitlichen Unterschiede und alle Verhältnisse von Gleichheit und Verschiedenheit sind nur relativ. Solche Unterschiede mache sich der Mensch selbst, um das Universums aus Bequemlichkeit dem menschlichen Fassungsvermögen anzupassen. Darum lehrte Hui Shih eine Universale Liebe, die noch über die allgemeine Menschenliebe des Mo Tse hinausgeht, nicht nur alle Menschen jeden Standes und Volkes umfasst, sondern alle Kreatur: „Liebe alle Dinge in gleicher Weise, denn Himmel und Erde bilden eine Einheit.“ Diese Universale Liebe zu aller Kreatur sei die Hauptpflicht des sittlichen Menschen. Kung-sun Lung war ebenfalls Pazifist wie Mo Tse. Dazu war er ein Sophist und sprach spitzfindige Theorien aus. Sein Problem war das Verhältnis der Idee zum konkreten Ding, das Verhältnis von Substanz und Akzidenz. Ein weißer, harter Stein besteht nicht aus drei Dingen, aus Härte und Weiße und Stein. Denn wenn man den Stein hart nennt, wendet man sich an den Tastsinn, wenn man den Stein weiß nennt, wendet man sich an den Sehsinn. Jedes Eigenschaftswort wendet sich an einen Sinn. Darum sei der Stein entweder ein harter Stein, nämlich für den Tastsinn, oder ein weißer Stein, nämlich für den Sehsinn. Wenn der Mensch aber von einem harten, weißen Stein spricht, verbindet der Mensch durch seine geistige Fähigkeit die Erfahrungen zweier Sinne. Somit existiert der harte, weiße Stein allein im Geist des Menschen, aber Härte und Weiße seien nicht wirklich Eigenschaften des Steines selbst. Denn wenn der Mensch nicht denkt, existieren die Weiße und die Härte nicht. Schon wenn kein Auge sieht und wenn kein Licht scheint, existiert die Weiße nicht, obwohl der Stein doch existiert. Diese Probleme beschäftigten in Europa später Immanuel Kant in seiner Erkenntnistheorie. Sie sind keineswegs nur sophistische Spitzfindigkeiten, Spiegelfechtereien. Ein weißes Pferd zum Beispiel ist kein Pferd. Denn Weiß ist eine Farbe, Pferd bezeichnet eine Gestalt. Farbe und Gestalt sind unabhängig von einander. Wenn man von einem weißen Pferd spricht, spricht man über die Farbe, aber nicht über die Gestalt des Pferdes. Was die Farbe bezeichnet, kann nicht zugleich die Gestalt bezeichnen. Darum ist ein weißes Pferd kein Pferd, sondern etwas Weißes.
TAOISTEN
Lao Tse und Tschuang Tse sind die Hauptphilosophen des Taoismus. Über die historische Persönlichkeit des Lao Tse ist nichts Gewisses bekannt und auch die Entstehungszeit des Tao Te King ist umstritten. Die erste Überlieferung über Lao Tse gibt der Großhistoriograph der Han-Dynastie Sima Qian. Er schildert die Legende von der Entstehung des Buches Tao Te King. Lao Tse habe Besuch empfangen von Konfuzius, der ihn über die Riten und Sitten befragt habe. Später habe sich Lao Tse aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen und den Pass von Han-ku überschritten. Auf Verlangen des dortigen Passkomandanten Yin Hsi schrieb Lao Tse seine Gedanken nieder und gab das Tao Te King dem Passkomandanten Yin Hsi. Die Lehre des Tao Te King ist philosophischer als die Morallehren der Konfuzianer. Bei den Konfuzianern war der Begriff Tao die Idee der Menschlichkeit und Sitte bei den heiligen Königen des Altertums, bei Lao Tse wird das Tao zu einer philosophischen Idee, die über Raum und Zeit hinausgeht und der Anfang ist, das Urprinzip. Es ist unerkennbar und nicht wahrnehmbar. Es wird auch als Nicht-Sein bezeichnet, aus dem das Sein hervorgeht, aus dem Sein geht dann alles Seiende hervor. Das Tao bringt die Einheit hervor, die Einheit bringt die Zweiheit hervor, das heißt die beiden kosmischen Kräfte Yin und Yang, die Zweiheit bringt die Dreiheit hervor, das Dritte ist die universale Harmonie zwischen den beiden Urkräften Yin und Yang. Die sittliche Heiligung des Menschen besteht darin, sich zurückzubinden an diese Ursubstanz des Universums, dieses unaussprechliche Urprinzip. Dazu verhelfen aber nicht Gelehrsamkeit und Vielwissen und auch nicht künstliche Rituale. Der Mensch muß vielmehr zur Einfalt des Kindes und zur Ursprünglichkeit der Natur zurückkehren. Der Mensch soll nicht begehren, er soll die Dinge geschehen lassen und inneren Frieden wahren. Wer in der Einfalt des Kindes, in der Begierdelosigkeit und der Ursprungsunschuld der Natur heimfindet zum Urprinzip der Schöpfung, zum Tao (dem Logos), der wird ein Heiliger Mensch oder ein Wahrer Mensch. Auf die Gesellschaft übertragen, lehnt diese Philosophie die Vergewaltigung der Natur durch den Menschen und die Willkürherrschaft des Herrschers ab. Lao Tse vertraut auf die Seele des Volkes, das sich selbst regieren würde, wenn es nicht gewaltsam unterdrückt würde. Gesetz, System, Riten, Erziehung lehnt Lao Tse ab. Er vertraut auf die Ewige Weisheit, die als Weisheit der Natur auch die Seele des Volkes ist und alles von selbst reguliert, der Mensch muß sich nur führen lassen von der Weisheit der Natur und nichts eigenwillig selbst bestimmen wollen. In der Zeit, in der der Taosimus entstand, waren die politischen und wirtschaftlichen Wirren groß. Lao Tse wollte ein Gegenprogramm gegen die Willkürherrschaft und den schrankenlosen Egoismus und die Selbstherrlichkeit des Menschen aufstellen. Der andere Taoist, Tschuang Tse, ist historisch greifbar. Er lebte etwas später als Mencius. Er schrieb das Wahre Buch vom Südlichen Blütenland. Er vertritt ebenfalls den philosophischen Monismus, da die Ur-Monade oder das Haupt des Universums das Nicht-Sein ist, das Urprinzip, das unaussprechliche Tao. Der Wille des Menschen kann nicht in absolutistischer Selbstherrlichkeit herrschen, sondern ist abhängig vom Tao. Wenn die Menschen über Wahrheit und Unwahrheit streiten, so kommt das daher, dass sie sich in Unwesentlichem verlieren und das Urprinzip übersehen. Metaphysische Spekulationen über Nicht-Sein und Sein, ob die Welt einen Anfang habe oder keinen Anfang habe, lehnte Tschuang Tse als müßig ab. Der Sinn des Lebens aber bestehe in der Pilgerschaft nach dem Ort der Unsterblichen (Miao-ku-yeh), welcher im äußersten Norden im Meere befindlich, in der tiefsten Mitternacht im grenzenlosen Ozean. Um zum Ort der Unsterblichkeit zu gelangen, muß der Mensch ein nicht-nützlicher Mensch sein, einer, der sich nicht benutzen und gebrauchen lässt, sondern der sich der Stille und der Innerlichkeit in Frieden und Seelenruhe ergibt. Ein solcher weiser Mensch erhebt sich über Leben und Sterben, er ist innerlich leer von allem Eigenbestreben, von aller Begierde, und lässt die Ewige Weisheit der Natur in sich walten und durch sich strömen. Er vergisst seine Gelehrsamkeit, er vergisst seine körperlichen Begierden und ergibt sich in Ich-Vergessenheit der Beschauung des Urprinzips. Dies ist eine meditativ-mystische Weisheit, eine kontemplative Philosophie. Die Zeitverhältnisse des Tschuang Tse war auch chaotisch und brutal genug, so dass der Wunsch des Weisen, der Welt zu entfliehen und sich in den Ideenhimmel zurückzuziehen, verständlich sind. Dieser Ideenhimmel oder dieses Idealland fand seinen poetischen Ausdruck in dem Traum von der Insel der Glückseligen, Peng-Lai, da die Unsterblichen, die Heiligen und Weisen in ewiger Jugend und ewiger Seligkeit leben. Der Erste Kaiser von China, Shi Huang-Di, war voller Sehnsucht nach diesem Idealland der ewigen Jugend in ewiger Glückseligkeit. Seine Magier aber kannten den Weg dorthin nicht, darum er sie alle töten ließ, er selbst ist auch gestorben und unter großem Prunk beerdigt worden. Aber die Weisheit des Tschuang Tse reicht von der Versenkung in das Urpinzip alles Seienden über den Weg der Kontemplation zu der Sehnsucht nach dem Ideenhimmel der Unsterblichkeit. Auch dieser Philosoph weist also auf Christus hin, den Logos, der im Anfang war, dem Meister der Kontemplation, dem Spender des ewigen Lebens.
VIERTES KAPITEL
DAS HIMMLISCHE MÄDCHEN
Gespräch des Gelben Kaisers Huang Di mit dem Himmlischen Mädchen im Regenbogengewand namens Su Nü. Über Menschlichkeit und Liebe.
HUANG DI
O Himmlisches Mädchen, in deinem Regenbogenkleid bist du so schön, so überschön, so göttlich schön, mein Herz möchte dich Göttin nennen!
SU NÜ
(lächelt den Gelben Kaiser zärtlich an)
HUANG DI
Du bist so schön und du lächelst so liebevoll! Du bist so strahlend schön, von solch einer übermenschlichen Majestät, und in dem funkelnden Licht, indem du erscheinst, bist du so übermenschlich schön! Warum bist du so schön?
SU NÜ
Ich bin schön, weil ich liebe! Es gibt keinen Menschen, der nicht schön sein möchte. Wenn du schön sein möchtest, dann liebe!
HUANG DI
Was ist Liebe?
SU NÜ
Ich will dich die Liebe in der Wahrheit lehren.
HUANG DI
Was ist Wahrheit?
SU NÜ
Das Tao ist die Wahrheit.
HUANG DI
Was ist der Mensch und wozu taugt der Mensch?
SU NÜ
Der Mensch soll menschlich leben. Der Mensch soll ein wahrer Mensch sein. Der Mensch soll sich heiligen und werden, was er ist, ein wahrer Mensch.
HUANG DI
Ist der Mensch böse? Ich kenne so viele böse Menschen. Und ich kenne sowenig gute Menschen, und meistens sind sie unglücklich.
SU NÜ
Der Mensch ist von Natur aus gut, aber er ist verdorben. Der Mensch muß gereinigt und geheiligt werden, damit er seine ursprüngliche Güte wieder herstellt.
HUANG DI
Welcher Weg führt den Menschen dahin, ein wahrer Mensch zu werden?
SU NÜ
Der Mensch mit seinem guten Willen sei menschlich, er übe die Menschlichkeit allen Menschen gegenüber aus. Der Mensch ehre den Vater und die Mutter. Der Mensch liebe alle seine Nächsten wie sich selbst. Der Mensch betrachte die Menschheit wie eine Familie. Der Mensch ehre die alten Männer wie Väter, die alten Frauen wie Mütter, die jungen Männer wie Brüder, die jungen Frauen wie Schwestern, in aller Sittsamkeit. Der Mensch bete für die Toten. Der Mensch sorge sich um die Armen. Der Mensch sei untertan der Obrigkeit und gehorsam dem Willen des Himmels. Wenn der Mensch die Familie in Ordnung bringt, bringt der Mensch die Gesellschaft in Ordnung. Wenn die Familie in Ordnung ist, lebt das Volk in guter Ordnung. Wenn das Volk gesittet lebt, verdient es einen weisen und milden Herrscher. Wenn das Volk von einem weiser Herrscher geführt wird, so lässt sich der weise Herrscher vom Himmel führen. Das ist der Weg der Menschlichkeit. Der Weg der Menschlichkeit ist der erste Schritt auf dem Weg der vollkommenen Liebe, wie ich sie dich lehren will.
HUANG DI
Ich höre manche sagen: O Himmelssohn, bringe die Familie in China wieder in Ordnung, dann kommt das ganze Reich in Ordnung.
SU NÜ
Es gibt eine Menschenliebe, die väterliche und mütterliche und kindliche Liebe ist. Es gibt eine Menschenliebe, die fromme Pietät gegenüber den heimgegangenen Ahnen ist. Es gibt eine Menschenliebe, da das Wort der Großmutter Gesetz des Himmels ist. Aber es gibt eine Menschenliebe, die noch größer ist.
HUANG DI
Das Blut der Familienbande ist doch dicker als das Wasser der allgemeinen menschlichen Verbundenheit aller Menschen.
SU NÜ
Die ganze Menschheit ist eine Familie. Der Vater im Himmel ist der Vater der ganzen Menschheitsfamilie und die Himmelskönigin ist die Mutter der ganzen Menschheitsfamilie. Und alle Menschenkinder sind Brüder und Schwestern. Sie stammen alle ab von Einem Ursprung, von Einem Urmenschen.
HUANG DI
So sollen sich alle Menschen lieben?
SU NÜ
Weite die Liebe über die Grenzen deiner Familie aus, weite die Liebe über die Grenzen deines Volkes aus, weite die Liebe über die Grenzen deiner Freunde aus und liebe noch die Feinde. Übe die allgemeine Menschenliebe!
HUANG DI
Soll der Kaiser nicht sein Reich und seines Reiches Kinder allein lieben?
SU NÜ
Halte mit allen Menschen und allen Völkern Frieden, soweit es an dir liegt. Wenn dich böse Menschen verfolgen, so bringe für sie ein Opfer dar. Wenn dich Menschen schlagen, so schlage nicht zurück. Beginne keinen Streit, fang keinen Krieg an! Trage den Frieden in die Welt! Der beste Himmelssohn ist der Friedefürst!
HUANG DI
Ach die Geißel des Krieges! Wie plagt sie doch mein Reich, die ganze Welt! Wie können wir nur frei werden in der Welt von der Plage des Krieges?
SU NÜ
Der Krieg beginnt in den Herzen der Menschen. Wenn die Menschen in den Herzen Frieden haben, tragen sie Frieden in die Welt. Wenn die Menschen im Herzen Unfrieden haben, brechen bald die Kriege aus. Das Ende des Krieges kommt nicht von den Politikern, Diplomaten und Rechtsgelehrten. Das Ende des Krieges kommt, wenn die Menschen Frieden machen mit dem Willen des Himmels. Ein Mensch, der in Übereinstimmung mit dem Willen des Himmels lebt, der hat Frieden in seinem Herzen. Er ist frei von egoistischen Begierden und lässt die Ewige Weisheit durch sich strömen und sich in die Welt verströmen. Das heißt, vom Tao den Frieden empfangen, der höher ist als alle Klugheit und alles Vielwissen.
HUANG DI
Wenn der Krieg aus der Geschichte des Reiches verschwunden ist, wird Friede sein zwischen den Völkern. Der Himmelssohn wird dann als Friedefürst herrschen. Aber wird auch Friede sein zwischen den Herrschern und den Beherrschten, wird auch Friede sein zwischen den Weisen und den Einfältigen?
SU NÜ
Der Hohe wird den Niederen mit barmherziger Liebe lieben und der Niedere wird den Hohen mit verehrender Liebe lieben. Aber in einem weiteren Sinne werden der Hohe und der Niedere sich als Brüder empfinden. Der Hohe wird erkennen, dass er ein Niederer vor dem Himmel ist, der Niedere wird erkennen, dass er ein wahrer und heiliger Mensch vor dem Himmel ist.
HUANG DI
Wenn dann die allgemeine Menschenliebe unter den Menschen und Völkern herrscht, ist dann das Reich der Mitte zum Reich der vollkommenen Liebe geworden?
SU NÜ
Ich will dich die dritte Stufe der Liebe lehren. Diese Liebe nennt man die Universale Liebe. Was ist die Universale Liebe im Vergleich zur Allgemeinen Menschenliebe? Die Allgemeine Menschenliebe liebt alle Menschenkinder, aber die Universale Liebe liebt alles Seiende, alles Geschaffene, alle lebendigen Wesen. Die Universale Liebe liebt den Himmel und die Erde auch! Die Universale Liebe liebt die unsichtbaren Geister und die heiligen Menschen auf Erden! Die Universale Liebe liebt die Meere als Abglanz der Ewigkeit Gottes und die Berge als Abglanz der Treue Gottes! Die Universale Liebe liebt die Sterne, aber sie betet sie nicht an und glaubt nicht, dass sie sein Schicksal bestimmen, sondern die Universale Liebe schaut in dem grenzenlosen Meer des Firmaments die Größe der himmlischen Herrlichkeit, die Pracht der Majestät des Himmels! Die Universale Liebe schaut am Ende der Milchstraße die Phönixstadt aus Jade! Die Universale Liebe liebt das Tier und die Pflanze und den Edelstein! Die Universale Liebe liebt das grenzenlose Universum genauso wie das kleinste Staubkorn! Mit einem Wort: Die Universale Liebe liebt das ganze Universum der Schöpfung, alles und jedes einzelne!
HUANG DI
Was ist der Grund für diese Liebe? Ist sie ein Traum von betrunkenen Dichtern? Oder ist sie weise?
SU NÜ
Wer ein Jünger der Universalen Liebe ist, geht vor dem Urprinzip aus: Im Anfang schuf das Tao den Himmel und die Erde! Alles ist gut, weil es aus dem Tao stammt! Alles geschaffene ist gut, weil vom Tao gewollt! Der Himmel und die unsichtbare Geisterwelt ist gut und schön und wahr, die Erde und alles Stoffliche ist genauso gut und wahr und schön, weil es aus dem Einen kommt, das allein gut ist! Wer das Tao liebt, und das ist Weisheit eines Weisen, die Ewige Weisheit Tao zu lieben, das heißt ein Philosoph sein, der liebt auch alles, was das Tao geschaffen hat! Wie ein Mann eine Frau liebt, wenn er sie wahrhaft liebt, wird er auch alle ihre Kinder lieben! Der Mann ist der Philosoph, die Frau ist die Mutter Tao, ihre Kinder sind alle Geschöpfe! Wer ein wahrer Philosoph ist, liebt alle Geschöpfe!
HUANG DI
Ich hörte einen betrunkenen Dichter singen: Bruder Sonne, preise die Mutter Tao, Schwester Mond, preise die Mutter Tao! Vater Himmel preise die Mutter Tao, Mutter Erde, preise die Mutter Tao! Bruder Affe, mein Körper, preise die Mutter Tao! Bruder Tod, preise die Mutter Tao! Schwester Unsterblichkeit, preise die Mutter Tao! Selig ist, wer reinen Herzens ist, denn er wird die Mutter Tao schauen!
SU NÜ
Ich kenne diesen Dichter, ich selbst gab ihm die Ode ein.
HUANG DI
Was ist aber die größte Liebe?
SU NÜ
Die größte Liebe ist die Liebe zur Mutter Tao. Die Mutter Tao ist die Schöpferin der zehntausend Dinge. Wer die Große Mutter mit kindlicher Pietät liebt und sein eigenes Kindsein anerkennt, der ist im Untergang des Leibes ohne Gefahr. Du versenke dich in die Mutter Tao und werde eins mit ihr. Dann wird sie dich in deinem Heimgang führen zur Insel der Glückseligen.