Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

Orpheus


Von Josef Maria Mayer



MUSENANRUF


O heilige Moira, du Schicksal, dreifaltige, die du über den Göttern waltest in deiner ehrfurchtgebietenden Weisheit, komm und segne mir diesen Gesang von Orpheus, laß mich tönen in deinem Ratschluß den geheimen Jubel aus der offenbaren Klage! Und du, o geliebte Mnemosyne, du Mutter der Erinnerung, Zeusgeliebte Jungfrau, komm herbei in den weißen Schleiern deiner Erscheinung und verherrliche du mir das Bild der in den Tod Entschwundenen! Und du nun auch, o du Muse der Klage, Melpomene, leih mir deine Stimme, dein Gefühl, dein Saitenspiel und deine Maske, laß mich gehen in deinen Kothurnen den Gang zum Opfer, in welchem die Liebe der Prüfstein ist, die heilige, welche nimmer untergeht, und klagen wir dennoch über ihren Tod, o Muse der Klage!




ERSTES KAPITEL


Was ist alles, was in Jahrtausenden die Menschen taten und dachten, gegen Einen Augenblick der Liebe? Es ist aber auch das Gelungenste, das Göttlichschönste in der Natur!“

(Hölderlin)


EURYDICE


Orpheus wanderte durch die Lande, in einer resignativen Stimmung, bereit sich seinem Schicksal zu überlassen, dem dreifaltigen Schicksal sich auszuliefern, bereit, hinzugehen, wohin es ihn führte, und so irrte er, nichts suchend, über die Hügel, immer spontanen Eingebungen folgend, sich da und dorthin wendend, bis er zum Fuß des Rhodopegebirges kam. Er betrachtete die herrlichen Berge, die wie Treppen von Himmlischen in den Äther stiegen, in dem die heilige Sonne waltete mit goldenem Zepter, die heilige Allerfreuerin.

Hinan zog es ihn, hinan zu steigen die ewigen Treppen, höher hinauf, in den reinen Äther, dort an den Tischen der Himmlischen zu erfragen den Inhalt des Kosmos, den Inhalt der Geschichte, den Sinn seines Herzens. Er sehnte sich nach heiliger Liebe. Die berauschenden Leidenschaften hatte er schon in seiner törichten Jugend als schal und leer erkennen müssen; nicht danach stand ihm der Sinn.

Urania! rief er, du vom Himmel gezeugte, du Liebe mit dem Geist von Sternen, du himmlische Jungfrau, himmlisches Mädchen mit den blauen Augen, flehe zum Höchsten für mich und sende, wie dem Paris du Helena sandtest, mir die heilige Geliebte, mit der ich mich zusammenfinden kann zu einem ganzen Menschen! Denn, so lehren es die alten Dichter, im Anfang des Goldenen Zeitalters waren wir eins, Mann und Männin, und erst die Gewalt der Zeit trennte und teilte uns, wir aber sehnen uns nach unserm Widerpart, nach der Gefährtin der Seele, auf daß wir eins werden in der Seele, ein vollkommenes Ebenbild der himmlischen Liebe, die dich so reich gesegnet, himmlische Jungfrau Urania, Tochter des Himmels!

Unter diesen Gebeten war er die gewundenen Felsenpfade hinangestiegen. An den unteren Berghängen standen Rebstöcke, weiter in der Höhe auf den Felsenplateaus weideten stumme Hirten ihre Zicklein, höher hinauf wurden die Berge umwunden von den keuschen Schleiern der Wolken, in die hinein Orpheus trat. Der leise Wind zog durch die Saiten seiner Lyra. Sperlinge, gefiederte Boten der Urania, pfeilten zwitschernd durch die Lüfte und sangen ihre lustigen Lieder vom Glück. Oben auf dem erhabensten Berge befand sich ein uralter Kiefernwald, in dessen Dunkel Orpheus tauchte. Er schritt an seinem Wanderstabe durch den Kiefernwald, die letzten Strahlen Hyperions sanken goldenrot durch das dichte Dunkelgrün und vergoldeten in mystischer Alchemie den Waldboden. In diesem Zauberlicht und Zauberschatten wandelte Orpheus über den weichen braunen Boden, wie auf Teppichen, schwebend halb dahin. Um ihn ward es dunkel. Er sah durch die hohen Wipfel der Kiefern Luna heraufkommen, die unschuldsweiße Lieblingin des Himmels, die weiße Frau, gekleidet in einem silberweißen Schleier, blickte sie mit tiefblauen Augen auf die nächtliche Landschaft. Orpheus kam zu einer Lichtung.

Über der Lichtung schwamm die runde Luna wie ein silberner Granatapfel dahin, sie ließ ihren schimmernden Tau in reichen Segnungen fallen auf die dunkelgrünen Gräser der Lichtung. Inmitten der Wiese lag ein runder Teich, ein makelloser Spiegel der Herrlichkeit Phöbes. Die himmlische Jungfrau besah ihre schneeweißen Wangen in dem Spiegel, ließ ihre elfenbeinweißen Perlenzähne schimmern in dem Kristall des Wassers, und der Tau ihrer blauen Augen war kaum reiner als der Tau des Teiches.

Phöbus Apollon hatte seine weißen Schwäne aus seinem Triumphwagen ausgespannt, die ihn vom Lande der Hyperboräer, nördlich Germaniens, gezogen hatten nach Delphi, nun aber war er im Westen, westlich von Hesperien, in den atlantischen Hallen untergegangen und bettete seine goldenweißen Glieder, in den Purpurmantel gewoben, in ein Schlafgemach am Grunde des Meeres, daselbst ruhte er in den feuchten Umarmungen Amphitrites. Hier aber badeten seine weißen Schwäne ihre schaum- oder schneeweißen Glieder, ließen ihre engelgleichen Schwingen ruhen auf dem Kristall des Teiches, tunkten ihr prophetisches Sängerhaupt in den weißen Wein des Sees.

Die Schwäne rührten eben das Wasser ein wenig auf zu unruhigen Wellen, als am Ufer des Teiches sich aus dem dunklen Gras drei Nymphen erhoben, eine schöner als die andere, die Mittlere aber die Schönste. Sie trugen alle weiße lange Gewänder, feingewoben, mit goldenen Gürteln, und bestickt mit schönen Blumenmustern. In den Haaren trugen sie Myrtengirlanden, umwunden mit Rosenkränzen. Da erkannte Orpheus, daß diese drei Nymphen der Urania geweiht waren. Er brauchte keine Scheu vor ihnen zu haben, sie waren keine Keren, keine Todesgeister, sie waren liebliche Nymphen, wahrscheinlich melische, die am Anfang der Schöpfung vom Himmel im schäumenden Meere gezeugt worden waren. Orpheus trat leise zu ihnen. Seine Lyra begann zu klingen.

„Ich bin Charissa“, sagte die eine mit einer leisen dünnen Stimme. Sie hatte schwarze Locken, die sich ihr im Nacken hübsch kräuselten. Ihre Augen waren braun und lagen in tiefen traumhaften Grotten, wie versunken in die Träume Endymions, wenn der Schäfer und Schläfer im Traume Luna liebkoste. „Wenn du willst, lieber Orpheus, du heiliger Poet, will ich dich die Geheimnisse der Weisheit lehren. Ich kenne alte heilige Überlieferungen, deren geheimer Sinn mir ebenfalls nicht unbekannt ist.“ Charissa war schlank, wie eine Linie, ihr Antlitz war charaktervoll, es hatte nicht die gleichmäßige Hoheit und das jungfräuliche Ebenmaß der Nymphe an ihrer Seite, die zu Orpheus sprach mit einem Lachen: „Ich bin Doris, ich will dir ein Geschenk des Himmels sein, und mit mir als Geschenk wirst du zu einem Fürsten werden, zu einem Herrscher über dich selbst und zu einem König von Thrakien, der mit der Lyra im Arme die Barbaren wird bezwingen und kultivieren in einem utopischen Staat.“ Doris hatte rote Locken, die ihr lang hinunter in den Rücken fielen. Ihr Kleid war besonders bunt bestickt, fast wie der Schweif eines Pfauen. Ihre Augen blickten stolz und ein wenig kühl. Ihr Lachen war ebenso stolz wie ihre Augen.

Beide Nymphen wurden überblendet von dem himmlischen Schimmer der dritten Nymphe. Die hatte feines goldenblondes Haar, ein milchweißes schmales und weiches Gesicht und Augen wie blaue Morgenhimmel. Ihre Lippen waren wie junge Rosenblätter, auf denen der Tau der Morgenröte erwacht. Ein scheuer Hauch von Röte huschte zärtlich über ihre weißen Wangen. Aus ihren Augen flogen zärtliche Blicke, nicht wie die Blitze Joves, sondern wie die diamantenen Strahlen des Sternes der Venus. Ihr Gewand war rein und weiß, aber von ihren goldenen Haaren fiel ein rosenroter Schleier. Sie war, als wenn eine Rose eine Metamorphose erfahren hätte und wäre zu einer Nymphe geworden. Sie war, als hätte sich Urania selbst nicht entscheiden können, ob sie in Gestalt einer Nymphe oder in Gestalt einer Rose hatte dem Orpheus erscheinen wollen.

„Ich bin Eurydice, Orpheus, und ich habe dir nichts zu geben als meine Liebe“, sagte sie schlicht, mehr hauchend, mehr lispelnd, mehr seufzend, als sprechend wie ein realer Mensch. Sie war wie der Hauch Zephyrs und Auras, wenn er im Lenz durch Myrtenhaine flüstert. Von ihr ging ein süßer Duft aus, süß wie die Bienenfreundin, die goldengrüne Melisse. Orpheus trat auf sie zu.

„Eurydice“, sagte er leise und ein wenig bang, „dein Name wurde mir von den Parzen in meine Windel gestickt, du sollst mein Schicksal sein“. Da hielt er ihr seine Hand hin, und sie legte ihre weiße Hand in seine gebräunte, ihre Hand sank leicht wie eine Schneeflocke und leicht wie ein wollener Blumensamen in seine männliche Hand. Er hielt die Hand wie einen Traum von Glück, wie einen Traum von Liebe. Und sie blickte ihn an mit den klugen Augen einer reinen Taube. Zusammen wandelten sie fort von den beiden anderen Nymphen, dem Teich und den Schwänen, der Lichtung und dem Wald, dem Morgenlicht entgegen.

Sie kamen am Fuße des Rhodopegebirges in die herrlichsten Gefilde. Orpheus schien die Erde verwandelt in einen elysischen Garten, die Liebe hatte mit ihrem Zauberstab die alte Gäa verjüngt und verschönt, und wie Selige, Innigliebende wandelten Orpheus und Eurydice durch die weichen goldenblühenden Gräser. Die schöne Sonne lachte vom lichtblauen Himmel heiter in die schönsten Limonengärten hinein, an dessen Saum sich weite Beete von duftenden Violen erstreckten, dahinter aber auf der Wiese weidete eine Herde junger Schimmel, die alle den Frieden der Erde zu verkörpern schienen, in die himmlischen Lüfte schnupperten und zärtlich schnaubten. Sie neigten ihre Köpfe und lauschten der Stimme Eurydices, die wie der Gesang einer Seligen zart war.

„Mein lieber Orpheus, du Sänger des heiligen Himmels, du kennst die schöne Ode der seligen Sappho, die diese auf den schimmernden Thron der Liebe dichtete? Spielst du mir diese Melodie, diese süße innige Melodie von der Insel Lesbos auf deiner Lyra? Ich will dir ein Lied dazu singen, daß ich von einem alter Pilger gelernt habe, der in den Wäldern Indiens einst gehaust, aber in seine griechische Heimat zurückgekehrt war, als er das Ende seines Lebens nahen fühlte. Es ist ein wunderschönes Liebeslied.“ Und Eurydice sang, während Orpheus leise, leise, um ihre Stimme zu hören, die Lyra strich:


„Jene Gottheit, welche die Welt erhalten

Und gewogen sanft in den Vaterarmen,

Sanft in Mutterarmen, in Meereswogen,

Magisch verschleiert,


Jene Gottheit liebte die Menschen alle,

Die so töricht irrten, asketisch darbend,

In den dunklen Wäldern und Schlangenhöhlen,

Darum beschloß sie,


Zu den Menschen niederzukommen, leisen

Schrittes unter Menschen zu wandeln, darum

Ließ sie ihre Hallen, die dreiunddreißig

Himmlischen Hallen,


Trat mit leichtem Fuß auf den schneebedeckten

Gipfel des Himalaya, fror ein wenig

Auf der kalten Erde, und eilte nieder

In die besonnten


Haine, da die Hirtinnen bei den Brunnen

Traurig tränkten traurige Tiere, weinend,

Daß sie so gefangen im Zauberschleier

Ewigen Truges.


Als ein Hirte nahte die Gottheit aber,

Wählte aus den Hirtinnen Eine Hirtin

Sich zur süßen Lieblingin seiner Seele,

Küsste sie sanfte,


Sanft sie überschattend mit seinen Augen,

Nannte seine Nachtigall sie und seine

Mango, seinen Sandelbaum ohne Schlangen,

Seine Gazelle.


Sie ward sehr betört von den süßen schönen

Heiligen Empfindungen seiner Liebe,

Und zur Hirtenflöte, der schlichten, sang sie

Lobpreis der Liebe.


Da erkannte sie in dem schönen Hirten

Jene Gottheit, alles erhaltend, schaffend,

Aus der Liebe schaffend, vernichtend, aber

Neu wieder schaffend.


So pries sie im Jüngling, dem schönen Hirten,

Der die Schlange täuschender Lust bezwungen,

Liebe, unsichtbare, die unsichtbare

Sichtbar geworden!“


Wie schlich sich ihr Gesang in das Ohr des Poeten, wie tröpfelte der Gesang den süßen Nektar der Götter in die Seele, wie kam auf den Flügeln ihres Gesanges ihre Seele in die seine!

Ihre Seele war schön, ihre Seele durchwaltete ganz die Erscheinung, eine reine unschuldige Erscheinung. Dieser tiefe kluge, ja weise Blick aus ihren himmelblauen Augen leuchtete den Frieden ihrer Seele durch die Pforten seiner Seele tief in sein Herz hinein. Nicht Begierde erzeugte die Klarheit ihrer Augen, sondern den Frieden des Himmels, eine ruhige Begeisterung zum Licht des Äthers. Diese Augen waren sanft wie blaue Maienabende, tief wie Teiche, in denen sich die Sterne spiegeln, diese Augen waren lebendige Funken eines olympischen Feuers, in ihnen leuchtete das ewige Licht des Lebens. Ihre Leidenschaft war eine göttliche, heilige Leidenschaft für die höchste Liebe!

Ihre Lippen waren von der Seele gestaltet. Das sanfteste, mildeste Lächeln lag in ihren Mundwinkeln, wie Amor in einer Rosenblüte. Dieses Lächeln war niemals ein Lächeln des Spottes, niemals ein Lächeln von Ironie oder Sarkasmus, war auch kein betörendes verführerisches Lächeln einer Phryne, sondern es war das Lächeln der Güte einer himmlischen Jungfrau. In ihre lächelnden Lippen kleidete sich die Güte und Sanftheit ihrer Seele.

Wenn sie sich freute, wurde sie nicht fröhlich wie die Toren, sondern zeigte eine tiefe Freude in ihren Augen und auf ihrem ganzen Antlitz, welches glänzte von der inneren Freude der Seele. Wenn sie sich freute, dann war sie niemals fröhlich über Nichtigkeiten, vergängliche Dinge, sondern sie freute sich an der unsterblichen Seele, am Licht des Himmels, an der heiligen Liebe, die ihr ewiges Licht nie wird erlöschen lassen selbst in den Kammern des bräutlichen Todes. Selbst wenn sie vom Tode sprach, der doch allen Menschen ein Schrecken und ein Unheil ist, lag ein himmlischer Friede auf ihrem glänzenden Angesicht.

Sie glaubte an ein Gericht über die Lebenden und die Toten, und ihre Liebe, ihre heilige Liebe zu allem Himmlischen beruhigte sie über den Totenrichter, sie war voller Hoffnung, daß sie aus den Kammern des Hades würde aufsteigen dürfen zu den Inseln der Glückseligen. Woher sie diese Hoffnung hatte, konnte sie nicht in Sprache, nicht in menschlichen Worten ausdrücken. Aber ein tiefes Geheimnis, eine heilige Liebe des Himmels drückte ihre Seele aus, wenn sie sang, dann erreichten ihre Töne, die Töne ihres ganzen Wesens, Orpheus’ Mittelpunkt und machten ihn unerschütterlich gewiß, daß sie unsterblich war und ewige Freuden genießend.

Sie schien ihm überhaupt mehr eine Selige von den Inseln der Glückseligkeit zu sein, überschattet von dem bräutlichen Tode, als eine gewöhnliche sterbliche Frau. Nichts war gewöhnlich an ihr, alles war von den Geheimnissen des Jenseits verschleiert, ein unergründliches Geheimnis ruhte in ihrer Seele. Sie war aus einem Mysterium geboren, sie war wie eine vom Himmel Gezeugte.

Kaum war sie sich ihrer fleischlichen Schönheit bewußt, kaum erreichte sein Lob ihrer Wangen, ihrer Haare jemals ihr Ohr, ihre Seele. Wenn er allerdings von dem Widerhall sprach, den ihr ganzes Wesen in seinem Herzen auslöste, wenn er sie sein Echo nannte, die unsichtbare Nymphe, die den ganzen Sinn seiner Seele, wenn er ihn auszusprechen versuchte, ihm mit deutlicheren Worten wiedergab, dann lächelte sie mit einer stillen, tiefgeheimen Freude.

Sie war ein Engel aus den Regionen der Schönheit, eine Botin der himmlischen Jungfrau, ein reines unbescholtenes Ebenbild der heiligen Liebe. Und das reine Feuer ihres Wesens, diese stille Glut der Reinheit, erzeugte in der Seele des Poeten ein himmlisches Verlangen nach ewiger Liebe, die durch die Kammern des bräutlichen Todes hindurch ihre Unsterblichkeit feierte, wie Helena und Menelaos in Elysium.

Der reine Wohlklang ihres Wesens drückte sich am vollkommensten in der Musik, im Gesang ihrer Stimme aus. Orpheus, der Wortreiche, fand keine Worte für die vollendete Schönheit ihrer Stimme. Sie lehrte ihn das Wesen der Musik, die Geheimnisse der Lieder, das Lob der heiligen Liebe zuerst verstehen und singen. Ihre Liebe war seine Initiation. Sie war seine Mysterienmeisterin, durch die er zum wahren Poeten gekürt ward. Sie war sein Lorbeerbaum, sie war sein guter Genius, sie war seine Muse. Ein einziger Kuß von ihr, und er begann die folgende, erste wahre Ode seines Lebens zu singen:


„O wahre Güte! heilige Liebe! und

O Herrlichkeit der ewigen Schönheit! Du

Bist meines Lebens innres Leben,

Du der Unsterblichkeit süßes Siegel!


Ich will dich singen, heilige Liebe, dich,

Du pflanztest in mein Herz die Unsterblichkeit

Und Hoffnung auf die tiefen Freuden

Einst der elysischen Inselgärten!


Du stimmtest meine Lyra zum Lobgesang,

Ja, gabst mir meine Stimme zum Preisen erst,

Du bist die Weisheit meines Liedes,

Dein ist die Schönheit der Lobgesänge.


Dein Kuß ist mehr als lieblicher Lippen Kuß,

Dein Kuß ist die Berührung des Herzens mir

Mit wonnesamen Seligkeiten,

Ist das Verzücken zu Himmelswonnen!


Ich werde dich im bräutlichen Totenreich

Verherrlichen mit himmlischem Schmuck und dich

Einst in Elysium lobpreisen,

Wenn du mit Helena preist die Liebe,


Die Liebe, die dein Wesen, die heilige,

Die deines Herzens Herz und dein Innerstes,

Der alle Götter untertan sind,

Die soll als Gott meine Huld empfangen!“


Als er so gesungen, trat Eurydice zu einem Lorbeer und pflückte sich Zweige, aus denen sie eine schöne Krone für ihn flocht, drückte ihm den Lorbeerkranz in die Locken und sagte: „Liebe soll unser Leben atmen, Liebe sei unsre Seligkeit!“ und küsste ihn.



DIE NATUR


In Eurydice pries Orpheus die Summe der Natur, in Eurydice liebte Orpheus die Natur. Alle Natur war ihm eine herrliche Metapher auf die Herrlichkeit Eurydices, und Eurydice war ihm selbst ein unendliches, unerschöpfliches Gleichnis für die heilige Liebe! Mit dieser Liebe, die wie ein Hauch in ihn gekommen war, wie ein Hauch und wie eine Feuerflamme, liebte er durch die Mittlerschaft Eurydices die Natur, und so wie die heilige Liebe durch Eurydice Gewalt über Orpheus hatte, so hatte Orpheus Gewalt über die Natur. Denn die Natur war ihm eine herrliche Schöpfung, geschaffen auf die Krone der Schöpfung hin, das war der Mensch, und der herrlichste Mensch war ihm der geliebte und liebende Mensch: Eurydice, und die Krone des Menschen, die Würde der Menschin war ihm die heilige Liebe! Und unter dieser Krone, und durch diese Würde, die heilige Liebe, sollte der liebende Mensch die Erde sich untertan machen, aber nicht sich, sondern für das geliebte Wesen, für die heilige Liebe in Person, für Eurydice!

Darum ging Orpheus mit seiner Lyra, die ihm seine Muse so wundersam gestimmt hatte, in die thrakischen Wälder. Daselbst rief er aus den tiefen braungrünen Dickichten zuallererst die wildesten Tiere. Er rief die Wildsau und die Bärin, denn in beiden sollte verherrlicht werden das Mütterlichsein der heiligen Liebe und der männliche Kampfgeist der Mütter, welche sich aufzuopfern für ihre Jungen gern bereit sind. Kriegerisch sahen ihn denn auch die beiden wilden Mütter aus dem Dunkel des Dickicht an, die eine mit ihrem Gebrüll, die andre mit ihrem Gegrunz, beide ächzten sie nach Sicherheit vor der Gewalt, nach Schutz für ihre Anvertrauten, nach Leben ohne Krieg der Kreaturen. Orpheus stimmte seine Lyra auf wilde Seufzer, auf maßloses Stöhnen, mit dem er die Seelen der Bärin und der Wildsau berührte, denn sie spürten instinktiv, daß ihre Seele in diesem Gestöhne war, daß ihr Trieb und Instinkt eine Melodie gefunden hatte, daß hier ein Mächtigerer gekommen war, der ihre Sehnsucht zum Ausdruck brachte, ihrer blinden Sehnsucht die Augen öffnen wollte. Und sie unterwarfen sich dieser denkenden Kreatur, als sei sie eine Offenbarung, als sei Orpheus ihr Erlöser. Und so wie er einherging in der Kraft der heiligen Liebe, so wurden sie durch ihn mithineingezogen in das, was sie bisher nicht anders kannten als denn als blinden Trieb, blinden Begattungs- und Muttertrieb. Sie anerkannten den Poeten als Mutter, der wie eine Mutter brüllen und grunzen konnte und besser als diese selbst, denn in seiner von der heiligen Liebe erleuchteten Stimme lag die Sehnsucht aller Mutterschaft beschlossen: Sehnsucht, von einem Mächtigern geliebt und behütet zu sein, von einem starken Schützer, der den Rahmen schuf und die Kraft gab, das Schwache lieben zu können, Sehnsucht nach einem Liebenden, dessen Liebe zu einer Liebenden machte, zu einer den Starken und zutiefst auch alles Schwache Liebenden und auch im Starken noch das Schwache zu lieben... so sahen sie den Sänger und Lyrenzupfer fast mütterlich an und wollten ihn stärken mit ihrer wilden Mutterkraft. Und Orpheus, geleitet von dem inspirierenden Genius seiner Muse, der heiligen Liebe selbst, führte Wildsau und Bärin in den paradiesischen Limonenhain mit dem Violenbeet, daselbst denn sollten sie als zahme Tiere, als befreite Kreaturen ein Abglanz und ein Gleichnis sein für die unbesiegbare Mütterlichkeit Eurydices. O Eurydice, wie sah Orpheus in dir die Mutter seiner Kinder!

Und weiter wanderte Orpheus, auf die unendlichen Weiden in den Bergen, dort den wilden Mustangs zu singen, den Heroen des Landes! Durch die stürmischen Winde eilte Orpheus, die Winde schlugen mit sanftmütigwilden Händen die Saiten seiner Leier, daß sie wie ein Schlachtengesang über die Ebenen klang, aber wie ein anderer Schlachtengesang, wo die Liebe das Banner war, das Wort das Schwert, der Genius Schlachtenlenker, da man im Namen der himmlischen Muse zu Felde zog, das Land von den Hassern zu befreien, angetan mit den Flanken der Sanftmut, mit den blitzenden Blicken der Milde, um alle Kreaturen in das Dorf der Liebe zu ziehen, um Thrakien und seine Wiesen zu befreien, um das Licht einer heiligen Leidenschaft anzuzünden über dem Grab des Hasses!

Da kam der Sänger zu den Mustang, und sanfter ward sein Sinn, denn in ihren braunen Augen sah er groß und sanft die wirkliche Sanftmut wohnen. Das war keine weltflüchtige, verzagte Sanftmut, nicht die Sanftheit eines bangen Träumers und Phantasten, das war Sanftmut in Kraft, Weichheit in Stärke, Herz in Muskeln und Nerven, Liebe in der Tat! Und so sah der Sänger, was er den Mustang zu bringen hatte, das Wesen ihres Wesens, daß sie mit dem Goldenen Zeitalter hatten verloren. Seit der elysischen Zeit der ersten Tage der Erde hatten die Mustang ihre Vollkommenheit verloren. Oft waren sie geknechtet worden von den Menschen. Oft waren sie geschlagen worden, oft geschlachtet, oft im Kriege des Barbarismus aufgeopfert dem blutigen Mars. Aber in dieser Stunde der Sanftmut brachte der Dichter den Mustang die Botschaft ihrer erhabenen Freiheit wieder, er sang den schönen Rossen vom hesperischen Frieden!

O ihr Rosse, wie schnaubtet ihr harmonisch und mächtig zu dem Stöhnen und wilden Sturm der orphischen Leier, die euer innerstes Inneres aussagte und zutage brachte wie das Gold aus dem Erzschacht! Da bebten eure Flanken, als er von der kommenden Herrlichkeit eurer Leiber sprach, und da wurdet ihr gesund und hattet schon ein herrlicheres Glänzen in euren dunklen Fellen. Da wurde, als seine Leier sanfter wurde, immer sanfter, auch groß euer Auge, da schaute es so kindlich-naiv und voller Friede der Kindheit in die Welt hinaus, die sich dehnte bis zu den fruchtbaren Wiesen Hesperiens! Da zu spielen, in den Gefilden der Hoffnung, da zu weiden und zu grasen inmitten der goldenen Gräser des Landes der Hoffnung! Da zu stürmen in den Stürmen des Friedens! Da zu ruhen, Haupt an Flanke, und die heilige Liebe zwischen Rossen, und zwischen Rossen und Menschen, in den Mustangherzen stolz und mächtig zu empfinden!

Diese Rossempfindung wurde Gesang in Orpheus’ Leier, dieses Schnauben ward Wort und Geist im Lied der Leier, im Sang des Sängers. Sein Wort kam über die Mustangs wie eine Erlösung! Voller Vertrauen trabten sie ihrem Meister zu und schmiegten ihre Mustanghäupter an seine Wange, schnaubten zärtlich mit erster unbeholfener Sprache, in der Hoffnung, seine Saite, sein Genius würde ihr Schnauben schöner übersetzen in das sanftmütig-kräftige Seufzen der Liebe! Da schüttelten sie ihre Mähnen, alles Alte und Tote und Knechtische und Viehische abzuschütteln, stampften mit den Fesseln und Hufen auf, sich ihrer neuen Freiheit bewußt zu werden und ihren neuen Stolz zu leben und zu fühlen!

Und ihr Stolz war der Stolz einer sanften Demut, denn sie ordneten sich dem Dichter unter, der ihr Meister geworden war durch seinen Geist und sein Wort. Und sie folgten ihm zum paradiesischen Limonenhain mit dem Violenbeet, daselbst inmitten goldener Gräser zu weiden, und inmitten ihres Schnaubens lebte der Sang des Meisters fort. Und sie lebten daselbst zum Preise der Sanftmut und der Kraft und der erlösenden heiligen Liebe. Und sie weideten an Eurydices Seite, und hielten sie für ihre schönste Stute, und sie hielt sie wie sanfte kluge Kinder, welche sie auf ihren Rücken spielen ließen und trugen sie, wie die Winde die Genien tragen, durch die Auen des melodischen Landes.

Eurydice spielte mit der braunen Bärin, und eine braunaugichte Stute lächelte dazu. Da schaute die Muse den Dichter mit einem klaren, sanften, offenherzigen Auge an und sagte leise: „Wir lieben den Gesang, du Geist der Lyra, wir wollen in unsere Heimat auch die Sperlinge Aphrodites holen und ihre Turteltauben, daß sie uns mit einem himmlischen Konzert die heilige Liebe loben!“

Daraufhin machte sich Orpheus auf, die Leier umgehängt, und wanderte in die Buchenwälder am Fuße des Rhodopegebirges. Hain- und Rot- und Blutbuchen standen da in schönem Wechsel. Durch das Laub ließ schräg die goldne Sonne ihre weißen Strahlen sinken. Da Orpheus in den Wald eintrat, war ihm, als wär er in einen Tempel der Natur eingetreten, da geflügelte Genien zu dem Orgelton des Himmels, dem rauschenden Winde, ihren Lobpreis sängen dem Geist der Schöpfung.

Und da setzte sich Orpheus unter eine mächtige, hundertjährige Blutbuche und lauschte. Von Ast zu Ast im Sonnenscheine hüpfte über ihm ein kleiner Sperling. Piep, Piep, Piep, zwitscherte sanft das Vöglein. Es war so ein schluchzender, schmachtender Seufzer nach dem großen „Ich hab dich lieb“ des Genius der Schöpfung, daß es Orpheus das Herz erweichte wie Wachs. Und er gewann das Vöglein lieb. Solche Anmut, solche Zartheit und Zierlichkeit hatte er kaum wo gesehen, es gab so wunderbar das Bildnis wieder seiner Grazie, seiner uranischen Nymphe, die ebenfalls wie ein süßer Zephir war, sanft und lieblich wie die himmlische Aura, wenn sie in den maienen Hainen hinhaucht ihres Lebens Atem. Nun werde Gesang, du Vöglein, und begabt mit Sprache der Weisheit! Laß dich lehren Gesang, der ein Preislied ist des Genius der Schöpfung, laß dich lehren die große Dithyrambe der heiligen Liebe!

Und das Vöglein sang erneut sein zaghaftes, scheues, banges Piep, Piep, Piep; und Orpheus strich mit Händen sanft wie ein Lenzhauch die Saiten der Lyra und sang: Lieb, Lieb, Lieb! und das Vöglein antwortete hübsch und zierlich: Piliep, Piliep, Piliep! Und Orpheus flötete ein wenig artistisch wie zum müßigen Spiele, allein um der Schönheit willen, denn er war ein geweihter Minister aus der Theokratie des Schönen, dann kam er zu seiner liebenden Pädagogik zurück, und sang dem Sperling leise vor: Gib Lieb, gib Lieb, gib Lieb! Und das Vöglein gab als Chorus wieder die artifizielle Schnörkelmelodie, die Orpheus ihm vorgeflötet hatte. Und Orpheus sang: Lieb blieb, Lieb blieb, Lieb blieb! Und der Sperling gab einen allerhöchsten Triller aus seiner goldenen Kehle und flog verzückt und jauchzend in unaussagbaren Wohllauten in den offenen Äther. Oben, über der Blutbuche, flog er in Wellenkreisen, immer jauchzend und jubelnd: Piep Lieb, Piep Lieb, Piep Lieb! Lieblieb, gibgib, bliebblieb! und so ganz sinnlos schön in zärtlichsten Wendungen, ganz wie die Muse des Aristophanes. Oben in der Blutbuche ließ der Sperling sich nieder und schaute aus seinem goldigen Vogelaug Orpheus direkt in die Seele, als suche der Sperling Aphrodites in dem verehrten Meister seine eigene Seele zu finden, zu erkennen, daß sie Gestalt annehme, geheiligt vom Lied der heiligen Liebe. Und Orpheus flötete: Liebling, Liebling, Liebling!

Und Orpheus erhob sich, denn er sehnte sich von ganzem Herzen nach der Turteltaube Aphrodites. Diese fand er auch in einer jungen Hainbuche sitzend. Das weiße Gefieder lag wie eine verzärtelte Schneeflocke auf den weichen Ästen. Da schaute sie aus ihrem weichherzigen Auge zu dem Kommenden, der ihr mit leisem Gesang entgegenging, ganz im rollenden Tone Thrakiens gesungen. Sie fühlte sich keineswegs in ihrer holden Ruhe gestört, und mit brütendem Tone übte sie ihre Koselaute weiter, als übe sie für einen aphrodisischen Mai.

Girr, girr, girr, girrte die Turteltaube; aber Orpheus lehrte sie anders, und sang: Girr, ganz irr, girr, ganz irr, und gurre, gurre, urru, urru, und ruhu, ruhu, und so weiter, bis er angekommen war im aristophanischen Wortspiel bei einem Ur, Ur, Ruh, Ruh, Ur-Ruh, Ur-Ruh! Und so in den Frieden der Ur-Ruhe, in die Ruhe des Goldenen Zeitalters, in die ewig-hesperische Geborgenheit geleitet, wie in ein Nest im Baume des Atlas, hüpfte die Turteltaube der Cypris von Ast zu Zweig hernieder und setzte sich auf des Dichters rechte Schulter. Dieser ging heraus aus dem Walde. Da kam ihm der Sperling der Cypris nachgeflogen und setzte sich auf seine linke Schulter. Und so ging es - Lieb blieb - Ur-Ruh - in einem fort, bis sie ankamen in dem Limonenhaine mit dem Violenbeet, wo sich die beiden Vögel in dem kleinen Bächlein zu Füßen Eurydices badeten. Sie aber liebkoste sie zärtlich, als sei sie selbst ein Vöglein Uranias. Und alle Lieblichkeit, alle Zartheit und Zärtlichkeit, alles Hübschsein und Feinsein, alle Grazie und Anmut war in dem Spiel der Vögel mit der Nymphe versammelt. Da war verwirklicht die Theokratie der Schönheit, in welcher Eurydice die vom Genius der heiligen Liebe überschattete Nymphe war und Königin der Lieblichkeit.

Siehe, wie schön war der Limonenhain, aber die heilige Liebe wollte eine reichere Zedernwohnung bauen! „Orpheus“, sprach die Geliebte, „wie lieb ich die Bäume, wie will ich ihnen Seelen andichten! Möge dein Gesang den Bäumen Seelen geben, daß sie leben und lieben wie wir! Locke sie, Lockender, locke sie mit deiner Lyra Lied! Bau uns ein neues Goldenes Zeitalter, ein herrliches Arkadien hier am Fuße des Rhodopegebirges in Thrakien! Deine Liebe, unsere Liebe vermag es! Die Liebe ist allmächtig, weil sie wahr ist!“

Und Orpheus zog, mit seiner Lyra, hinaus in die Auen und Wälder. Er rief die Zypressen: „Zypressen! Hohe Bäume des Grabes und der Todesnacht! Ich sing euch Auferstehung ins unsterbliche Leben! Flammt wie schwarze Flammen, flammt wie blaue Flammen, flammt wie grüne, lebensgrüne, immergrüne Flammen in den Himmel Thrakiens! Wendet eure Traurigkeit in eine stille Wehmut und die sanfte Wehmut in die tiefempfundene Schönheit! Seid ein Zeichen, daß alles Sterbliche schön sein will, seid ein Zeichen und Symbol, ein heiliges Symbol, daß alle Schönheit Unsterblichkeit will! Seid den Toten ein Baum des Lebens, daß sie von eurer Schönheit ablesen den Gedanken der Unsterblichkeit der Seele und der Ewigkeit der heiligen Liebe!

Ihr auch, Zedern, ihr Mächtigen vom Rhodopegebirge, kommt herab und folget den Zypressen! Es ist eine Königin über alle mächtigen Königinnen, eine Krone über alle blauen Zedern, ein Himmel über alle immergrünen Bäume, und das ist die Liebe, die ich besitze und deren Gleichnis Eurydice ist! Beugt euch ihr, und eure machtvollen Häupter mit den immergrünen Kronen neigt vor ihr, und legt zu ihren Füßen eure blauen Nadeln! Sie wird euch anlächeln mit dem Lächeln der Anmut, da wird euch keine Nadel, kein Zweig verloren gehen, denn aus der Gnade der Liebe, welche die Schöpfung schuf, lebt auch ihr, und der heiligen Liebe und der Geliebten Lächeln ist Gnade und eure Unverweslichkeit!

Pinien alle, ihr Pinien von den rauschenden Wildbächen, kommt herbei auf den Sang der Leier Orpheus’! Kommt herbei wie ein einziger Thyrsos! Bringt eure Stäbe und goldenen Pinienzapfen der Liebe zum Opfer! Laßt durch eure Wipfel den griechischen Wind mit Wollust rauschen und wandert nach Arkadien, umgürtet vom Archipelagus, umrauscht vom Mittelmeere! Ihr des Mittelmeeres sinnlichste Bäume, und dennoch immergrün, ihr ewig unsterbliche Sinnlichkeit, schaut mit goldenen Sinnen wie mit verherrlichten Pinienzapfen in die rauschenden Augen der heiligen Liebe! Opfert euch! Bäumt euch auf! Seid ewig in ewigjugendlicher Wollust eines neuen Arkadiens unter der südlichsüßen Sonne des Himmels!

Efeu, laß dein Haupthängen, laß dein begieriges Ranken! Folge dem Sang der Leier Orpheus’! Komm und folge seinem stöhnenden Getöne, denn er wird dich leiten zur erhabenen schönen Ulme, an welcher du aufwachsen kannst, daß deine silbernen Blätter die Füße Lunas berühren! Wachse auf, o Efeu, berauscht von den Erweckungen der heiligen Liebe, und bilde eine Leiter zum Monde! Bilde die wundervolle Verkettung von Himmel und Erde, und laß in deinen silbergrünen Ranken das immerschöne Leben froh und sinnig spielen wie Kinder!

Ihr, zuletzt und vor allem, ihr Reben, kommt mit euren holdgeneigten Zweigen, die wie Frauenarme sind, und mit euren violetten Trauben, die wie Sterne der Mitternacht oder Augen von Nymphen sind, kommt mit eurem Laube, welches Kränze in den immerjungen Locken der Genien sind, kommt und nahet herbei mit eurem berauschenden Freudenblute in den grünen Venen! Spritzt die Freude in den Tag wie Schaumwein! Laßt jubeln das Blut in allen Adern des Lebens! Entzückt euch hinauf am heiligen Weinstock, dessen Gehemnis die schöpferische Liebe ist und deren Schaft!“

O ein Garten der Liebe umgab Eurydice, und auch die Schlange hatte Orpheus gezähmt, und sie nicht wie Apollon den Python, gemordet, sondern bezaubert mit seinen Saiten, daß sie in einer Metamorphose zu einer Brücke geworden ist über den Bach, und an ihrem Saume blühten schillernde Schmetterlinge.

O ein Garten der Liebe umgab Eurydice, und in die Mitte des Gartens hatte der Sänger mit der herrlichgestimmten Lyra einen prachtvollen Granatapfelbaum gelockt, denn die Granate war das Symbol für den unerschöpflichen Reichtum der Liebe! Tausend mal Zehntausend, ja Myriaden goldene Kinder hatte die heilige Liebe, wie Sterne, und die ganze Natur blühte ihr entgegen in der Farbe des Blutes, und alles war beschlossen in dem imperialen Granatapfel, den wie eine Glocke aus dem Tempel der Schöpfung das geliebte Wesen in der Rechten hielt: o Königin, o liebes Wesen! Alle Kreatur, alle Natur, alle Schöpfung ist aufgebrochen, dir zu huldigen, denn in Eurydice sehen sie das Ebenbild der unsterblichen Liebe, welche Orpheus verzaubert hat, daß er zu einem Zauberer ward, auserwählt von der Königin der Liebe!



ARISTÄUS


Am Hange eines grünen, fruchtbaren Hügels weidete eine Ziegenherde, stoßende Böcke darunter, gescheckte Zicken und hüpfende Zicklein. Ihr Hirte war Aristäus, ein hoher hagerer Mann mit langen schwarzen Haaren und schwarzem Bart, brennenden braunen Augen. In seiner knöchernen Hand hielt er einen knorrigen Stecken, mit welchem er die übermütigen Zicklein oft wieder auf den Weideplatz trieb. Er liebte seine Zicken. Er war ein wortkarger, aber gedankenreicher Mann. Nicht daß er hätte philosophiert, aber sein Leben lebte er in seiner Phantasie. Oft dachte er an den Tod, und ihn schauerte. Er fürchtete den Andrang der Schattennacht und die tödliche Leere des Hades. Aus solchen Gedanken riß er sich gewaltsam mit einer gewaltigen Lebensgier. O dies Leben müßte noch ausbeutbar sein, diesen armen, dahinschleichenden Tagen müßte noch ein Glück entrissen werden können. Aber welches Glück und woher?

Es war die tolle Zeit, da die Natur die Stunde der Fruchtbarkeit geläutet, und die Böcke hatten ihre Kämpfe ausgetragen. Da war ein besonders Starkstoßender siegreich hervorgegangen aus dem Kampf mit einem Schmalergebauten. Dieser gewaltige Bock, meckernd, sprang auf eine Zicke und begattete sie unter lauten Brunstschreien. Aristäus ward bis ins Mark seiner Knochen erschüttert. Welcher Triumph der Lebensgewalt! Wie schrie die Kraft des Lebens! Wie setzte sich das Gesetz der Fruchtbarkeit in dieser tollen Zeit mit Allgewalt durch! Da war Leben, da war Überwindung des Todes! Hier herrschte kein leerer, blutloser Schatten in ewig seufzenden Dämmernebeln, sondern hier blühte Kraft und Lust des Lebens!

Auf, Aristäus! sagte sich der Ziegenhirte, erbeute dir ein gleiches Glück! Laß alle deine Kräfte des Lebens sich sammeln und im höchsten Kraftakt der fruchtbarn Natur dich fortzeugen in das ewige Leben, das fortdauert im immer irdischen Dasein, von Jahr zu Jahr, von Leben zu Leben, siegreich fortgepflanzt, weil die Geschlechter, wie der Marathonläufer die olympische Fackel, die Wollust und die Zeugungslust und die Fruchtbarkeit der Natur überlieferten! Dazu Freudengeschrei, hymnisches Jauchzen von jungen schönen Menschen! Lauter Jubel nackter Menschen, gekränzt mit den Myrtenzweigen der Göttin der Wollust! Preis der Göttin Pandemos, der Göttin der Wollust! Preis dem Gotte Pan, dem Ziegenfüßigen, daß er den toten Mann in solche Schule der Lebensgier genommen!

O es müßt ein Weib her, es müßte das schöne Leben des schönen Geschlechts sich ihm ergeben, daß er leben kann und sich fortzeugen in das Leben der Zukunft. Aber woher käm ihm ein Weib, denn welche besuchte schon einen stinkenden Hirten von scharfriechenden Ziegenböcken? Da war nur die Töpferin, die im kleinen Dörflein unten am Fuße des Hügelhanges mit einem kleinen Bastard lebte. Die war schön, die war ein Weib von blühender Gesundheit, eine wahre Jüngerin der Pandemos! Sie schien ihm geeignet und ihre Schönheit geschaffen, einen Erfolg zu verheißen, seine Zukunft und sein Überleben zu sichern! Alles Irdischen Glück und eitle Wonne lag an ihrem Busen beschlossen, an ihren Lippen!

Gnida hieß die Töpferin, sie wischte sich gerade den roten Ton von den Händen. Einen bauchigen Krug getöpfert hatte sie, den Aristäus mit bittersüßer Wollust betrachtete: Rundungen! Und ließ seinen Blick schweifen auf die Gestalt der Gnida. Ihre Augen waren groß wie Monde, ihre Pupillen waren blaue Veilchen in einem See von mütterlicher Milch. Ihr Gesicht war schlank und schön, ihre Lippen aber lang und voll. Da begehrte Aristäus Küsse.

„Küsse mich! sagte er, direkt wie ein Bock.

„Nein, ich küsse niemals wieder einen Mann, nachdem der Vorige mich mit einem Bastard zurückgelassen und sich zu den Hadesschatten gestohlen durch eine Schlinge am Baum!“

„O rede nicht vom Tode, rede nicht vom Hades, du bist das blühende Leben! Deine Brüste ein Granatapfelpaar, reicher Fruchtbarkeit! Deine Augen Teiche, in denen nackte Nymphen baden! Deine Lippen Schwellen rosiger Muscheln aus dem Meere der Pandemos! Komm, küss mich, als seiest du die Göttin selbst, sei ihre Priesterin und laß mich das Leben genießen, wie eine Biene wohl trunken wird am olympischen Nektar einer rotglühenden Rose!“

Er umschlang ihre schlanke Hüfte mit seinem markigen Arm und zog sie an sich. Widerstrebend ließ sie sich an seine Brust gleiten. Er tastete ihre Gestalt ab und fand die Weiblichkeit vollkommen. Er hielt sie in dem Taumel seiner Triebe für die Göttin Pandemos selbst, und sich für den Ziegenfüßigen Pan, und eine olympische Buhlerei ging vonstatten. Sie ließ es über sich ergehen, wie ein Brett liegend unter dem arbeitenden Mann. Kalt wie eine Marmorstatue, kalt und leblos wie ein Götzenbild lag sie da, er aber merkte es nicht. Er hatte wie ein Bock seiner Herde dem Drang der Natur Genüge getan und sich ausgeschüttet.

Entleert stand er auf. O Nichtigkeit, wie durchquältest du mit Hadesleere seine Seele. Das war das Leben? Ach war denn allüberall der Tod mit seinem verzehrenden Schattenwesen gegenwärtig? Wie war solch ein blühendes Leben zu einem kalten Winterschatten geworden? Wie hatten solche blühenden Lippen derart bitter sich verziehen können? Wie hatte solch ein lockender Schoß so gleichgültig bleiben können? Wie konnte solch eine leibhaftige Göttin der Wollust mit ihm sein wie ein kaltes irdenes Götzenbild?

Aber da fing das Götzenbild zu reden an: „Du Hund von einem Mann! Hast du nun deinen Spaß gehabt, so sorge auch für meinen Unterhalt nun! Wie willst du, ein bockstinkender Ziegenhirte für meinen Unterhalt und den meines Bastards sorgen? Werde Kaufmann, besuche die Inseln alle, handle mit Perlen, bring Silber heim und indische Edelsteine! Nein, schweig, ich mag deine Stimme nicht mehr hören! Erst schmeichelt ihr Männer, als wäret ihr Apollon, wenn er um Daphne wirbt, aber dann, wenn ihr euer Mark habt ausgeschüttet, dann seid ihr die Sklaventreiber des Weibes und sein Untergang! Willst du dich auch aus deiner Pflicht fortstehlen in den Hades? Wie willst du überleben? Du hast ja kein Leben in dir! Eine einzige Langeweile bist du, ein nutzloser Träumer! Geh nur zurück zu deinen Zicken, mit denen magst du sodomitisch deine Wollust haben, das passt besser zu dir, du liebst deine scheckigen Zicken mit den prallen Eutern ja doch mehr als mich, eine arme, verlassene Witwe, eine Zurückgebliebene, eine durch den Staub schleichende, schlechtbezahlte, hungernde Töpferin brüchiger Töpfe! Fort mit dir, du Hungerlöhner, stinkender Bock, und such dir deine Lust woanders! Mich wirst du niemehr dürfen begatten, du Hurensohn!“

Aristäus wandte sich ab. Er verfluchte Gnida, er verfluchte die Göttin Pandemos, den Ziegengott Pan, sich selbst und die Jahreszeit. Er wandte sich zu einem alten Mann namens Phillip und trank mit ihm eine Menge Weinschläuche mit dem besten Weine von Chios leer. Trunken am Abend kehrte die Wollust zurück, und da er zuvor geflucht hatte, da segnete er nun den Leib des Weibes Gnida.

Er irrte noch eine Zeit lang durch die Nacht, deren Sterne begierig am Busen der Nacht die Milch der Mondin sogen, die Wollust ließ ihn alles triebhaft erblicken. Dieselbe Wollust, die sich in allem Leben und Weben der Natur ihm offenbarte, erniedrigte auch seinen verletzten Stolz, unterwarf mit diesem Stolz den letzten Rest der Selbstachtung und zündete in seinen Gliedern ein verzehrendes Feuer, und dessen Flammen schrieen alle nur Gnida! Gnida!

Es war weitvorgeschrittene Nacht, als er zur ihrer Hütte trat. Sie wußte, daß er kam, ihr Dämon hatte ihr gesagt, er werde wiederkommen. Sie wußte, er war gepackt von der Gier nach ihrem Fleisch, mit ihren Gliedern hatte sie seine Seele gekettet. Cupido hatte mit stachligen Rosenfesseln seine triebhafte Seele gefesselt und schleifte ihn zu den Füßen seiner Imperatorin, daß sie ihren stolzen Fuß auf seinen Nacken setze.

Er trat in die Hütte. Auf dem Holztisch standen zwei tönerne Weinkelche, beide halbgefüllt. Der kleine Bastard war noch auf und sah ihn aus hungrigen Augen schelmisch an. Gnida blickte ihn mit dämonischer Süße, verführerischem Liebreiz an und umgarnte ihn. Da sagte er, auf die beiden Becher blickend: „War jemand bei dir?“ Und der Schierlingstrank der Eifersucht stürzte brennend durch seine Glieder. „Nein, nein, zu mir darf keiner kommen als du allein, mein Süßer“, lispelte sie lieblich, zu süß. Da trat der magere Bastard zu Aristäus und flüsterte ihm ins Ohr: „Mama hat hinter der Hütte im Myrtenstrauch einen Mann versteckt.“ Die Glut der Hölle schoß durch seine Seele und seine Glieder, als träfe ihn ein Blitz aus der Faust des Donnerers. Im gleichen Augenblick bekam der Bastard von seiner zornblickenden Mutter eine Ohrfeige. Das bestätigte Aristäus den eifersüchtigen Verdacht. Er stürzte aus der Hütte, sprang zum Myrtenstrauch und bog seine Zweige auseinander. Tatsächlich, da hockte Phillip und grinste ihn spöttisch an. Aristäus war ein brausendes Meer in des Sturmes Gewalt. „Was soll das?“ schrie er Gnida an, „erklär mir das, warum tust du mir das an?“ Sie sah ihn mit den hübschesten Augen an, die Lippen lieblich lächeln, wie ein blühender Mai und lispelte süß wie Maienhonig: „Ach komm, mein lieber Aristäus, mein süßer Aristäus, ach komm doch.“ Er aber trat zornig gegen die Hütte und schrie, immer aufgebrachter: „Erklär mir das!“ Sie aber lächelte um so lieber, zog ein kindlich-trauriges Gesicht und sah ihn verführerisch an: „Komm zu mir, mein süßes Schätzchen.“

Da riß ihm der letzte Faden der Geduld, und zornig stürmte er fort. Für immer und ewig sei Gnida aus seinem Gedächtnis gerissen, ausgebrannt und ausgemerzt jede Erinnerung an sie. Diese Hure aus der Pandemos Hurenhaus! Diese Verräterin seiner Liebe! Dieses personifizierte Laster! Diese Geißel des Zeus! Fort mit ihr, sei ihr Name auf immer verbannt aus den Windungen seines Hirnes und ihr Bild gemordet hinter seiner Stirn! Fluch über sie, Fluch aller tausend Götter über sie! Fluch der Pandemos! Fluch dem Phillip! Fluch ihm selbst, daß er so närrisch gewesen war! Fluch dem Cupido und Fluch der Wollust! Und es war ihm, als schrieen die schreienden Raben durch die Nacht ein dämonisch-endgültiges Nimmermehr!

Aristäus schwor seiner Herde ab, schwor dem Lande Mazedonien ab und wanderte, immer irrer werdend, durch alle hellenischen Lande als ein Bettler. Von den Almosen der Barmherzigen lebend, von den Brosamen der Armen, denn die Reichen gaben nichts, und so kam er bis ans Mittelmeer.

Wie unter einem Fluche stehend (vielleicht weil er sich selbst verflucht hatte) kam er von den Gedanken an Gnida nicht los. Immer schöner, immer lieblicher wurde sie in seinen Träumen. Er wanderte in den Nächten, am Morgen sich sein Brot bettelnd und legte sich dann an das rauschende Mittelmeer schlafen. Sei es, daß der rauschende Schaum des Mittelmeeres ihm die flüsternde Muschel der Aphrodite in seine Träume tönen ließ, sei es, daß er unter dem eigenen Fluche stand, sei es, daß seine Seelentriebe an Gnida geleimt worden waren bei ihrem einmaligen Akt, sie stieg als eine rauschende Pandemos nackt aus dem Meere seiner Träume und lächelte ihn lieblich, süßverführerisch wie beim letzten Male an. Erwachte er von diesen Träumen, merkte er, daß im Schlaf ihm der Samen abgegangen war. Er haßte sich selbst dafür. Im Schlaftraum liebte er Gnida über alles, nein, er begehrte sie mehr als alles, aber in seinen Nachtwachen verachtete er sie. Ja, er ging soweit, alle schöne Körperlichkeit zu verachten. Er wollte nun nichts als eine Seele lieben, eine reine, von allem Fleisch entblößte Seele. Aber in seinem Schlaf rauschte wieder der schmutzige Schaum seiner verfluchten Wollust auf. Er floh das Meer, dem er einen unguten Einfluß auf sein Hirn zuschrieb.

So kam es, daß Aristäus nach Thrakien kam. Und es geschah, daß er eines Nachts in den Limonenhain trat, da die Hütte des Orpheus und der Eurydice stand. Diese hatte nicht schlafen können, hatte Orpheus weiter ruhen lassen und war in die Nacht hinausgegangen. Das Licht der Sterne und des Mondes fiel verherrlichend auf die schlanken Stämme und gab einen romantischen Zauber. Wie in einer andern Welt, wie in Hesperiens Gärten, lebte, atmete der Hain. Die Veilchen verströmten ihren bezaubernden betörenden Duft der Lieblichkeit. Sie trug ein feines weißes Gewand, durch das ihre Gestalt hindurchschimmerte, denn sie wähnte sich allein.

Aber im Gebüsch hatte sich der Ziegenhirte, der Bettler versteckt, die Schöne zu beobachten. Das silberne Mondlicht fiel auf ihre weißen Wangen, ihre Rosenblütenlippen dämmerten süßverlockend zu ihm herüber. Ihre Augen strahlten wie Sterne, wie Diamanten durch die Nacht. Er sah, wie sich bei jedem Atemzug der Busen unterm leichten Gewande hob. Dieser dünne weiße Schleier offenbarte mehr als er verbarg. Da warf sich der Schaum der Träume, der Rausch des Schlafes, der Trieb in den Gliedern des Aristäus mit neuer Lebenshoffnung auf das schöne Bild, und all sein Begehren flog wie ein Pfeil Cupidos auf die reizende Eurydice.

Da trat er aus seinem Versteck. Eurydice erschrak, da sie ihn sah. Zum einen in ihrer Einsamkeit und in der Nacht einen Mann zu sehen erschreckte sie, und dazu so einen verwilderten, mit langem ungepflegten Bart, abgemagerter Gestalt und hungrig flackernden Augen, da entsetzte sie sich. Er aber, inspiriert von seiner Wollust, hob an mit schmeichelhaftester Flatterei zu sprechen:

„Schönste, wie ist dein Name?“

„Eurydice heiß ich, aber wer bist du, und wo kommst du her?“

„Wo ich herkomme, ist ganz ohne Bedeutung, ich habe alle meine Vergangenheit glücklicherweise vergessen können in diesem Augenblick, da ich dich erblickte, Liebreizende!“

„Laß das meinen Orpheus nicht hören, er liebt mich und würde mich mit keinem teilen.“

„Orpheus? Verhasster Name, und so beneidenswerter Mann! Ist er der Deine? Ja? Aber glaubst du, daß die Alten gelehrt hätten, ein Weib dürfe einen Mann allein nur lieben? Ist Liebe nicht frei? Sollten die Götter geboten haben, du dürftest dem Zauber und Liebreiz solch einer Nacht und solch einer wundersamen Begegnung mit deinem Schicksal dich nicht ergeben und hingeben? Siehe, Liebreizende, meine Liebe ist reich, sie ist unergründlich wie das Meer und voller Perlen. Aus diesen Perlen würde ich dir eine Kette machen. Sie ist voller Gestein, weiß und rein und gewaschen von den Fluten, daraus würde ich dir die Statue deines herrlichen Leibes machen. Ich würde dich verherrlichen als die Allerschönste, als die menschgewordene Aphrogenea! Unter dem Segen der Aphrogenea stehen wir, und sie liebt die Nacktheit und die gesetzlose Liebe! Laß uns ihrem Gebot der freien Liebe folgen, und die Göttin wird dich, du bezaubernde Nymphe, an den Himmel versetzen! Denk doch, es gäbe ein Sternbild der Eurydice, zu dem ich beten könnte! Laß mich dich anbeten, denn durch meine Liebe wirst du zur Göttin! Fort mit Aphrogenea, die aus dem Meere stammt, denn nun kenn ich die Göttin Eurydice, die von ihrem Sternbild stammt!“

Sie blickte ihn gleichgültig an. Diese Flatterei berührte ihr Herz nicht, es schien ihr nichtig wie schmutziger Meeresschaum. Die Liebe des Orpheus war treu wie eine junge Ulme, an der die Weinrebe ihrer Liebe hinaufranken konnte. Sie wollte sich eben abwenden von Aristäus und zu ihrem Orpheus in die Hütte gehen, als Aristäus gierig zu ihr trat und begehrte, mit seiner Göttin Unzucht zu treiben. Es gelang ihm, einen Kuß auf ihren kalten gleichgültigen Mund zu pressen, einen Kuß, der seine Begierde nicht stillte, sie aber umsomehr anheizte. Da schlang er seine Arme um sie, zog sie gewaltsam an sich und drückte sich an sie, als wollte er in sie eindringen. Mit mehr als weiblicher Kraft machte sich Eurydice von ihm los und floh. Das Entsetzen hatte ihre Kehle verschlossen, es war als würge die Angst sie mit eiskalter Faust. Sie wollte zu Orpheus um Hilfe rufen, aber sie konnte es nicht. Da rief sie immer nur in ihrem Geiste: Orpheus! Orpheus! Aber es entrang sich ihr kein menschlicher Laut. Aristäus setzte ihr nach, er war von dem wüsten Dämon der zügellosen Begierde gehetzt wie ein Besessener. Dies Weib mußt er haben! Schneller floh sie. Innen in ihrem Geiste schrie sie verzweifelt: O Genius meiner Liebe! O guter Genius meines Orpheus! O heiliger Genius, allmächtiger Gott der Liebe, rette mein Leben! Wenn ich sterben muß - o ich fürchte, ich muß sterben von des Feindes Hand - dann stirb du meinen Tod mit mir und laß mich nicht allein in der Todesangst! Allmächtiger Genius der Liebe! Eile mit mir in meinen Tod, führe mich ins Reich der Schatten, laß mich die Seligkeit sehen und Elysium! Laß mich eintreten in den Idealen Staat, da Zeus das Zepter führt und sein vergöttlichter Sohn, den Zeus aus dem Tode auf den Olymp entrückt hat! O Retter meiner Seele, Namenloser, Unbekannter! in dieser Stunde des Todes sei du bei mir!“

Prophetisch hatte sie gebetet. Aber nicht von der Hand des Aristäus sollte sie sterben, ungeschändet sollte ihre jungfräuliche Seele bleiben. Die Angstgetriebene war schneller gewesen als der Wollustgeschwächte. Aber in dem Augenblick, da sie den letzten verzweifelten Ruf ihres Gebetes getan, da schoß aus der feuchten Wiese herauf eine Pythonschlange, schlug ihren giftigen Zahn in die schlanke Ferse Eurydice und spritzte ihr den Tod ins Blut. Sie fiel und blieb in Todeskrämpfen liegen. Aristäus sah es und floh entsetzt. In der letzten Todesangst ward Eurydices Kehle frei, wie befreit von der Hand eines Gottes, und sie schrie aus sterbender Leibeskraft: „Orpheus!“



EURYDICES STERBEN


Aristäus sah die schöne Nymphe sterben, entsetzte sich und floh davon. Die Furien hatten seinen Geist gepackt und sich seiner bemächtigt, daß er vollends in die finsteren Abgründe des Wahnsinns abirrte. Er eilte den Hang des Rhodopegbirges hinauf, in die höheren Wälder, durch deren Nachtschatten hindurch, verirrte sich im Dorngestrüpp des Gipfels und hing am obersten Gipfel, einem gespaltenen Felsen. Daselbst hing er in entsetzlicher Todesangst und wollustvoller Todesgier, in sich zerrissen zwischen Gäa und Hades, Pandemos und Persephone. Er hielt sich an einem letzten dürren Baumstrunk fest, der aus der Felsspalte hervorragte und schaute in den schauerlichen Abgrund. Hinab! hinab! schrieen all seine zerrissenen Seelenkräfte. „O Gnida! Gnida! du Furie im Gewand der schönen Liebesgöttin! Du Pythondrache aus dem Acheron, verkleidet als eine Götterbotin! Jetzt will ich hinab, dich im Orkus zu umarmen, dich als ein Schatten in der Wollustglut des Phlegeton zu umarmen und all meine Lust in dir zu stillen, du Todin!“ In dich stürz ich mich, in den Abgrund wie in deinen höllischen Schoß! schrie sein Geist in ihm, da ließ er den letzten Strunk fahren und warf sich in die schaudernde Tiefe, an deren felsigen Grund er zerschellte und in die Glut des Phlegeton fuhr, daselbst seine Qual zu vollenden!

In der Zwischenzeit hatte Orpheus die Hilfeschreie Eurydice gehört und war erschrocken aufgefahren aus seinem tiefen Schlaf. Er folgte den Schreien, die immer schwächer und röchelnder wurden und kam zu der jämmerlich im Grase liegenden Braut.

„Eurydice, Geliebte! Was ist mit dir?“

„Der Pythondrache verwundete mich zu Tode! Ich muß sterben!“

„Wie? Nein, Eurydice, du mußt nicht sterben! Bei allen Göttern, du darfst nicht sterben! Wie sollt ich leben? Wie ohne dich, Geliebte? O bei der heiligen Liebe, die unsern Bund gesegnet, das darf nicht wahr sein!“

„Es darf nicht... aber es wird geschehen...“

„O komm uns eine Hilfe von den Bergen! aus der Höhe! Uranos vom Himmel, komm und erlöse vom Tode Euyrdice!“

„Sei nur still, Orpheus, es ist Zeit, meine letzte Stunde naht. Ich bin bereit...“

„Wie, Eurydice! Wie, bereit! war denn unser Liebesleben schon vollendet? Haben wir nicht eben erst den März unsrer Liebe genossen, den ersten Lenzbeginn? Wo sind Sommer und der reife Herbst und der würdige weise Winter? Nein, Euyridice, rufe deine Kräfte herauf und komm zurück! Entschwinde mir nicht!“

„Ich sehe... Orpheus, ich sehe...“

„Was siehst du, Euyrdice? Nein, schau nicht hin! Verschließ deine schönen Frauenaugen den abgründig-schrecklichen Visionen des Todes! Komm, du mein Leben! komm ins Leben zurück! Warte, ich will Heilkräuter holen, ich werde dich retten! Bleib ruhig, gleich bin ich wieder da!“

Damit stürmte er fort, zitternd an allen Gliedern, rasend pochenden Herzens, den Puls im Halse würgend, die Schläfen heiß, Angst benahm ihm den Atem, sein Geist ward dumpf und schwarzumwölkt. Dennoch, wie von eines heiligen Gottes Hand gelenkt, fand er den Weg zu dem Beet mit den heilsamen Kräutern. Dort sammelte er, was er brauchte. Er stürzte in die Hütte, goß Wasser und Öl und Wein in einen irdenen Krug und legte die Kräuter hinein. Dann nahm er einen Linnenwickel und tränkte ihn in dem heilsamen Sud. Damit eilte er wieder zurück zu Eurydice.

„Komm, Geliebte, den Wickel will ich dir auf die Wunde legen!“

„Es hat doch keinen Sinn mehr. Ich stehe im Buch der Schatten. Das Schicksal, mächtiger als die Götter, das uralte Schicksal, nach dessen Gesetzen Leben und Tod vonstatten gehen, mein Schicksal, es wird mir begegnen. Ich werde sehen...

„Nichts wirst du sehen! Blindheit ist des Todes Gesetz! Nur auf Erden kannst du sehen, Eurydice! den blauen Himmel der Liebe! die schönen Veilchen der zartesten Lust! Die Meermuscheln auf dem Berggipfel, Euyrdice, die wir so bestaunten, und unsern Küssen verglichen, die sollst du sehen, und mich, mich laß nicht aus deinem Auge! Eurydice, halte wach dein Auge, halt offen deine Lider, komm, komm zurück ins Leben! Sterbliche!“

„Orpheus...“ hauchte sie, „Unsterblichkeit... Orpheus, Minos, der Richter über die Toten... Orpheus, was steht auf der ehernen Tafel des Schicksals: des Phlegeton Feuerfluten oder Elysiums Gärten und Athenes himmlische Burg?.. Orpheus, ich weiß es nicht... Lieber, wem, wem soll ich vertrauen von all den Göttern allen?“

„Traue der heiligen Liebe, die uns gesegnet und uns als einen einzigen Menschen erschaffen!“

„Orpheus, bei unsrer Liebe, Orpheus... Bei der heil...........“

Der Dichter war sprachlos vor Schmerz. Weinend warf er sich zu Füßen, zu den wunden Füßen der Geliebten und netzte ihre wunden Füße mit seinen Tränen. Mit stummen Küssen bedeckte er ihre Füße. Nein, nein, bei Zeus! sie durfte nicht tot sein. Er mußte sie ins Leben wieder rufen! Für Eurydice durft es keinen Tod und kein Totenreich geben, sie war für die Liebe und das ewige Leben geboren! War nicht seine Leier, durch die geliebte Muse, mächtig gewesen, wilde Tiere zu zähmen? Konnte er nicht den Tod bezwingen? Er sprang in die Hütte und holte seine Leier, und schlug die verstimmte mit schrecklichem Mißton, seine Seele zerquälend! Nein, bei der himmlischen Harmonie, die allein den Mißton des Todes überwinden kann, Orpheus, beherrsche dich! Er stimmte seine Leier, schluchzte hervor, bezwang sich und fing, von Schluchzern unterbrochen, leise, dann immer mächtiger, immer verzweifelt wilder zu singen an.


„Bei aller Götter Gott, beim wahrhaftigen,

Dem einzigen, der Sieger im Wettkampf ist

Und trägt den Lorbeer, vor dem Tode,

Trägt den unsterblichen Kranz des Sieges!


Bei dir, du Namenloser, du Schrecklicher,

Beschwöre ich den Himmel, Eurydice

Zu halten an der Brust der Erde,

Odem des Lebens in sie zu hauchen!


Sieh an das Veilchen und den Limonenbaum,

Sie leiden, weil die liebliche Herrin stirbt,

Der Mondentau, wie Blutestropfen,

Fällt in den nächtlichen Garten weinend.


Und alle Nymphen raufen die Haare sich,

Die Liebesgöttin schlägt an den Busen sich,

Die Musen streuen Asche auf die

Traurig-unsterblichen Lockenhäupter.


Und alles weint, und heilige Tränen sind

Des Meeres Fluten, heilige Tränen sind

Die Sterne all am schwarzen Himmel,

Und meine Augen sind schwarze Tränen!


O Vater Äther, nimm du mein Leben an,

Dionysos, reiß mir aus der Brust das Herz,

O Genius der reinen Liebe,

Laß für Eurydice Orpheus sterben!“


Von dem schauerlichgewaltigen Nachspiel seiner stürmenden, himmelstürmenden, todbeschwörenden Leier geweckt aus ihrem Hinüberdämmern, schlug Eurydice leicht die zitternden Lider auf und flüsterte: „Myrrha, bist du da?“

„Eurydice! Du lebst! Ich bins, dein Orpheus! Evoe, du lebst!“

„Myrrha, wo ist denn Orpheus?“

„Hier bin ich, Liebe, hier bin ich doch!“

„Ruft mir meinen Sohn, ihr Mädchen, ruft mir meinen lieben kleinen Sohn...“

Da merkte Orpheus, das die Kindlose irr sprach. Er hielt ihre Hand und strich sie leise mit der seinen. Er strich ihr die goldene Locke aus der Stirn, wischt ihr einen Schweißtropfen von der Stirn, küsste ihre Stirn.

„Ich sehe meinen Sohn... Ist er es nicht, der da kommt mit dem Kranz und spielt ein lustig Maienlied?“

„Ach Eurydice, ich bin ja bei dir, ruh dich nur aus, meine Liebe. Du bist ins Leben wiedergekommen. Dank sei Zeus! Nun bist du nur noch etwas schwach, aber das legt sich, ruh dich nur aus.“

Als ob sie es verstanden hätte, schloß sie die schwachen Lider wieder über ihre matter werdenden Augen. Ein letzter Seufzer floh von ihren erblassenden Lippen:

„Sohn - -“

Damit gab sie ihren Geist in die Hände ihres ewigen Schicksals. - Orpheus sah, daß sich ihre Brust nicht mehr hob, er legte sein Ohr an ihren Mund, da lispelte kein Lebensodem mehr. Es war zuende. Das Leben war aus. Die Sterblichkeit des Menschen hatte ihr Recht gefordert. Hier lag die schöne Hülle, die geliebte Hülle, aber die geliebtere Seele war an andern Orten. Da fiel der Schatten des Saturn, des Gottes der Schwermut, auf die Seele des Sängers.

Ihr nach! war sein ganzer Gedanke.

Aiaiaiai! Sie ist tot! Sie ist tot! Das schöne Leben ist hin! Ai!

Wehe, Wehe!

Schreckliches Schauergeheul entrang sich Orpheus’ Brust. Besinnungslos und irr vor Schmerz wankte er in das nahe Wäldchen, dort sich in noch tieferer Nacht zu bergen. Er ertrug kein Licht, nicht einmal die Tränenblumen der Sterne, den balsamischen Tauschein der Luna nicht. Finsternis und Grab sollte sein zuhause sein. Des Saturnus Sense hatte ihn gemäht, der Gott der Schwermut hatte seinen astralen Ring um sein Herz gelegt.

Orpheus klaubte sich aus dem Waldboden einen berauschenden Pilz und kaute den. Dann legte er sich weinend, unter Schluchzen stammelnd in den Humus: Euyrdice! Tot! Aiaiaiaiai! Wehe, wehe! Weh mir!

Als der Morgen zu grauen begann - keine schöne Morgenröte, sondern ein heraufkriechender feuchter Dunst - meinte Orpheus, die Seele der Geliebten zu spüren.

Sie ist hier! Ihre Seele umschwebt mich! Eurydice, die selige Eurydice, ihr unsterblicher Genius umschwebt mich! Heilige Eurydice, unter deiner Siegesfahne will ich leben, sei du das Banner der Liebe über mir! Dir nach, Selige, dir nach hinauf zu den Sternen und ihren Geistern, hinauf, dir nach, du Selige, durch die endlosen Meere des Äthers soll wallen meine Seele, eine Pilgerin auf dem Wege zu Athenes Burg inmitten des elysischen Gartens, wo ich dich treffe, und wo ich mit dir, wie Menelaos mit Helena, tafeln werde den uralten Wein von Chios, den schon der Mäonide getrunken, und werden ewig, ewig feiern die Unsterblichkeit der heiligen Liebe!

Da überwältigte eine unsagbare Mattigkeit Orpheus, sein Geist verlor sich irrend im Äther, sein Leib sank lebensmüde zur Erde, er vergrub sich im Staub, presste seinen Mund in den Staub und schwor: „Nur dir, Geliebte, und unsrer Gottheit soll fortan geweiht sein meine Leier! Du aber, Selige, umschwebe mich mit deinem Segen und führe mich durch diese Irrsal des Staubes!“



ZWEITES KAPITEL


Und Orpheus Liebe / wallet nieder zum Acheron.“

(Hölderlin)



DER ABSTIEG


Unendliche Einsamkeit hatte Orpheus in jenen Tagen befallen. Der lichte Sommer war ihm unter schwarzen Wolken hingegangen und den Tränen des Himmels, da nahte der Herbst. Er sah nicht den goldenen Glanz des Laubes, das rotwangige Lachen der Früchte, die süße Reife des Weines; er sah nur das Vergilben und braune Welken der Blätter, er sah die seufzenden Nebel, er sah die Wetterwolken wie ein Schicksal über Thrakien hängen. Seine Seele war welk wie das Laub, sein Gemüt seufzte wie der Nebel, auf seinem Geiste lastete die schwarze Unheilswolke des Schicksals. Er fühlte sich von allen guten Göttern verlassen und meinte, böse Dämonen lasteten seiner Seele zu schwere Lasten auf.

Seine einzige Hoffnung war die, Eurydice wiederzusehen. Da die Geliebte aber im Reiche der Schweigenden war, mußte er hinab. Er wußte, daß er sich entsündigen mußte, bevor er den Abstieg zum König der Schweigenden wagen durfte. Darum wanderte er ins attische Land, ins heilige Eleusis. Dort ließ er sich von den Priestern entsündigen.

Sein Herz aber stand in voller Sehnsucht nach dem dunklen Gott des Wahnes, denn Orpheus wußte, daß er vom Wahnsinn befallen war. Darum begab er sich wieder nach Thrakien zu einer kleinen Dionysosgemeinde, die in einer Felsenhöhle das Mysterium feierte. Vor allem reizende junge Weiber waren versammelt in jener Gemeinde. Ekstatischen Lobpreis sangen sie dem Herrlichen, schlugen die Zithern und Zimbeln und tanzten mit nackten Füßen, klatschten in die Hände und riefen: „Heil dir, du herrlicher Opferstier!“ Sie begrüßten mit leidenschaftlichen Umarmungen den irren Dichter, den sie aufforderten, mit seiner Leier einen Preisgesang für Dionysos zu schaffen. Da pries Orpheus den Gott:


„Heil dir! Heil dir! du Opferstier, blutiger,

Der du die Sühne bringest mit Rebenblut

Und mit der goldnen Frucht der Ceres,

Dir, dir erheb ich die Hände, Jacchus!


O Ba-Ba-Bacchos, heiliger Vater du

Vom Orient, du Schöpfer der Rebe und

Ihr Stab, an dem die Rebe aufwächst,

Herrlicher Herrscher du über Satyrn!


O Ja-Ja-Jacchos, triefender Thyrsos-Stab,

Du Herzverzücker, der du gestorben bist

Und wiederkamst mit deinem Schiffe

Herfliegend über dem Mittelmeere!


Dionysos, du Gott über Dia und

Du wunderstarker Bräutigam, der du riefst

Die einsam-schöne Ariadne,

Du warst ihr Trost und ihr Herzverzücker!


O Sohn der Jungfrau Semele! Sohn des Zeus!

Du Menschenjüngling, Evier! wahrer Gott!

O komm zu uns im Blut der Rebe,

Komm vom Olympos zu uns Mänaden!“


Nach diesem Lobpreis ward Orpheus in die Tiefe der dunklen Höhle geführt. Um einen Altar standen Jünglinge mit goldenen Locken, in weißen Kleidern und roten Unterkleidern, die brennende Pinienfackeln hielten. Ein reifer Priester teilte den geschlachteten Opferstier aus und trank den efeulaubgekränzten Becher mit dem Blut der Traube leer. Orpheus aß vom Götzenfleisch, denn er aß den Götzen, Orpheus trank vom Trankopfer des Götzen, denn er trank den Götzen. Mit bacchantischem Jubel priesen die Jünglinge, Mänaden und der trunkene Dichter den Einzug des Vaters Bacchus in sein Heiligtum! Unter Zimbelklang traten sie hinaus in die offene Nacht. Ein runder Vollmond hing am Firmament und erleuchtete die Nacht. Orpheus war erfüllt von Begeisterung und Todesmut. Er war bereit, hinabzusteigen in die Tiefe.

Er wanderte zur Pforte von Tainaron, dort war das Tor zum Dunkel der Tiefe. Es war Nacht. Er war in jenem schattigen Hain, umstanden von hohen Schwarzerlen, und sah die silbernen Dünste aufsteigen aus dem Schlund. Nachdem er ein weißes Lämmlein geopfert der dritten Person der Dreiheit, die in der Tiefe waltet, sah er drei Tauben herbeischweben und sich niederlassen in der Schwarzerle über ihm. Er vertraute sich seinem holden Genius an, daß dieser ihn nicht verlasse, wenn er in das unholde Reich der Dunkelheit hinabsteige.

Er trat an die Bucht des Cocytus, da die nächtlichen Fluten des Tartaros heranspülten. Nichtiger Nebel lag über der Flut. Scharfe Dünste des Avernus umdrangen Orpheus. Die Flut des Cocytus drang hinab in einen gähnenden Schlund. Orpheus ließ sich hinunter, den Aornos hinab, um in den stygischen Hain des Erebus zu gelangen. „O bei der heiligsten Gottheit und den schweigenden Schatten, die uns umgeben!“ betete Orpheus, „sei mein Genius bei mir mit seiner lichten Fackel, trete ich in die Räume nächtlichen Schweigens!“

Dunkel wanderte seine einsame Seele durch den nächtlichen Raum, bis er zum ersten Schlund des Orkus kam, da am Ufer der Acherusische See begann. Am Ufer lag die schwarze Gondel des Totenfährmanns Charon. Dieser war ein Alter, alt an Tagen, mit langen weißem Bart und feuersprühenden Augen. In seiner Hand hielt er eine lange Stange, mit der er die Gondel über den Acherusischen See lenkte. „Bei der Jungfrau der Schweigenden! (begann Charon) du bist eine lebende Seele, im Leibe wandelnd, was beginnst du hier im Reiche der leeren Schatten?“

„Im Namen der heiligen Liebe komm ich, aus dem Reich der Schatten, wenn es möglich ist, meine Geliebte, die selige Eurydice heraufzuholen an den hellen Tag der Oberwelt.“

„Wenn das dein Beginnen ist, so zweifle ich am Erfolg, denn Hades ist ein schrecklicher Fürst der Finsternis, der keinen gehen lassen mag und alle eines Tages holt, wissen sie die Stunde auch nicht, denn so ists den Menschen verhängt vom allwaltenden Schicksal“, knurrte Charon.

Orpheus bestieg die Gondel, die gefährlich tief einsank in den Acherusischen See, und Charon lenkte die Gondel mit seiner langen Stange an das andere Ufer. Dort trat Orpheus an den schwarzen Strand. Nah am schwarzen Strande begann eine Wiese, auf der Asphodelenblumen blühten. In den Blumen lag der jüngere Bruder des Todes, der Schlafgott Morpheus, und schlummerte. Seine Lider waren niedergesunken und zitterten, denn er träumte. Seine Glieder zuckten, er wälzte sich von einer Seite auf die andere und kippte dabei das Horn um, das neben ihm stand, und aus dem Horn floß die weiße Milch der wilden Mohns, mit welchem Morpheus Träume träufelte in die Hirne Schlafender.

An Morpheus vorbei ging Orpheus und drang vor in die Tiefe des stygischen Haines. In der Mitte des Haines stand ein herrlicher Pfirsichbaum, die Früchte verhießen schöne Unsterblichkeit und süße Wonne, und ein Mann lag unter dem Baume und versuchte, die Früchte zu pflücken. Aber weil er in seinem Leben auf der Erde die Götter nie gefürchtet, hatte das Los ihm beschieden, ewig hungernd unter unerreichbaren Pfirsichen der Unsterblichkeit zu darben: Tantalos war sein Name.

In der Ferne begann ein Berg. An dessen Fuße saß ein Mann seufzend neben einem Felsblock. „Aufs Neue muß ich beginnen, den Felsblock hinaufzuwälzen, aber mir ist das Los gefallen, daß der Felsblock vom Gipfel wieder zurückrollen wird an den Fuß des Berges, wo ich von Neuem werde beginnen müssen. Ach Vergeblichkeit aller Mühsal! Ach ewiges Streben nach Leerem! Ach ein vergebliches Schmachten des Geistes ist alles Mühen im Reich der Schatten!“ seufzte der Mann. Es war Sysiphos.

Orpheus wanderte weiter. Aus der Ferne drang schreckliches Hundegebell durch die Dicke der Nacht. Nicht wenig schauerte Orpheus vor dem Gebrüll. Da sah er auch schon des Untiers feuerflammensprühende Augen durch die Schwärze dringen. Sein Atem war Schwefelstank. In seinem Maul die Zähne waren lang und scharf wie Eberhauer. Sein Leib war der eines Drachen, sein Schwanz war der einer Schlange. Gräßlich brüllte das Höllenuntier und wollte sich auf Orpheus stürzen. Dieser aber strich einige betörende Töne auf seiner Lyra, mit deren weichen Melodie er das Untier einschläferte.

Vor ihm tat sich ein hohes Tor auf, über dessen Architrave ein Schild angebracht war, eine erzene Tafel, in welche mit diamantenem Griffel geschrieben war: „Wer hier hereintritt, der lasse alle Hoffnung fahren!“ Orpheus machte seine unglaubliche Liebe todesmutig. Er war bereit, alle Hoffnung fahren zu lassen, ja seine eigene Unsterblichkeit und Seligkeit Elysens fahren zu lassen, wenn er nur die Geliebte, die Braut aus dem Hades befreien konnte!

Orpheus trat durch die Pforte, die aus edelstem Achat gebildet war, da sah er vor sich: die erhabene, heilige Herrscherin der Schweigenden! O Persephone, wie schrecklich-schön war ihre jenseitige Erscheinung! Ganz Schatten, ganz Jenseits, ganz Vergeistigung! Ihre Augen blitzten wie dämmernde Sterne aus den tiefen dunklen Augenhöhlen! Sie war in ein langhinwallendes schwarzes Linnengewand gekleidet, auf welches blaue Cyanenblumen gestickt waren. Ihr Haar ward verhüllt von einem ebenfalls schwarzen Schleier, der aber ihr Gesicht frei ließ. Es war von einer milchigen Blässe, aus welcher die schwarzen Augenhöhlen tief und traurig hervorschauten. Ihre Augen schimmerten feucht von holder Traurigkeit. Ihre Lippen waren schmal, unsinnlich, ein wenig blass, von einer zarten violettrosanen Farbe.

„Was begehrst du, Sterbling, von der Königin der Schatten?“ fragte sie ihn mit einem traurigen Flüstern.

„Ist denn dir, erhabene Königin, die Liebe fremd? Denn dann kann ich mein Anliegen nimmer vor dich bringen, du würdest nimmer mich verstehen.“

„Ach, die Macht der Liebe hält kein Achat-Tor zurück, sie dringt bis in die Reiche der Schatten und des Schweigens. Nein, Sterbling, sei nicht bange: Die Liebe ist im Jenseits bekannt!“

„Liebst du selbst, erhabene Königin? Ist dir dies unselig-selige Gefühl der Sterblinge selbst vertraut?“

„Nicht wie die Sterblinge lieb ich, aber wie die Königin der Schweigenden lieben muß. Du sollst es erfahren, denn wenn du von hier scheidest, wirst du aus der Lethe Wassern trinken und vergessen, was ich dir insgeheim offenbaren werde. Den Allerschönsten unter den Halbgöttern, den schönen Syrischen Adon, den Sohn der Myrrha, den lieb ich mit heiliger Liebe! Ihm lag auch die schöne Anadyomene zu seinen Füßen, als er verblutete, da weinte sie die Tränen, aus denen die Rosen erblühten, die Tränen, aus denen die Bernsteinpforten ihres Palastes gebaut sind. Den Sohn der Myrrha, den Syrischen Adon, den lieb ich, nicht weniger als die freie Anadyomene mit den aufgelösten goldenen Lockenfluten und dem leichten weißen Kleide. Wen aber von uns beiden der schöne Adonis mehr liebt, die reizende Anadyomene in dem wallenden Hemde oder die traurige Königin der Schatten in dem schwarzen Schleier, das vermag nur der König der Götter zu sagen. Nun weißt du, Sterbling, wie es um meine Liebe bestellt ist.“

„O Persephone, heilige Herrscherin mit dem Antlitz voller Trauer, Königin der Schmerzen! Wie geschah es, daß solch eine Liebende in das Reich der Schatten kam? Ist sie nicht bestellt zum leichten Leben in Licht und Luft und Lust und Liebe?“

„Du stellst törichte Fragen für einen Dichter, ja ich weiß wohl, wer du bist, Orpheus! Nicht für Licht und Luft und Lust und Liebe geschaffen ist die Königin der Schweigenden, sondern besiegelt wars von der Vorsehung, aber meine eigene Torheit, daß ich von dem verderblichen Granatapfel aß, seine sieben Samen nicht verschmähte. Beim Uhu! Es blieb nicht verborgen, und darum bannte mich die allgewaltige Vorsehung aus dem Reiche der Lebenden in die Schattenunterwelt, wo ich weilen muß. Was soll ich sagen? Soll ich reden wie Achill und sagen: Ich wär lieber eine Magd im Leben als eine Königin in der Unterwelt? Sich fügen in sein Schicksal, das ist weise. In meiner Trauer, o Sterbling, ward ich doch eine Braut der geheimnisvollsten Person der göttlichen Dreiheit, welche da herrscht über Griechenland und die ganze Ökumene, welche da richtet über alle Toten, ob ihnen Phlegeton mit seinen Feuerfluten beschieden oder das selige Elysium und das unsterbliche Glück auf den Inseln der Glückseligen!“

„Nun denn, o Königin, erbitte den schrecklichen Herrscher, der furchtbar ist und Finsternis zu seinem Gezelte macht, daß er mir freigibt meine geliebte Braut!“

„Ich will ihn bitten, und für dich, o Dichter, bewirk ich, daß du vor den Schrecklichen selber treten darfst. Ihn magst du bitten. Und mag der Gott des Lebens, mag der Gott der Liebe mit dir sein!“

Damit offenbarte sich vor Orpheus ein Weg, der aus schwarzen Onyxsteinen gepflastert war und direkt zum Thron führte. Der Thron war hell wie ein Blitz, umwunden von siebenfarbigen Schlangen, überwölbt von einem smaragdnen Baldachin. Der König der Toten war aber nicht zu sehen. Dennoch tönte seine Stimme wie Donnergrollen.

„Du begehrst die geliebte Braut, die Nymphe Eurydice zurück aus dem Schweigenden Lande? Nun denn, so vernimm, o Sterbling in deiner Hoffahrt! Sie darf dich begleiten den Weg zurück auf die Erde. Mein Bote wird euch geleiten. Du wirst vorangehen, wie es sich ziemt für den Mann. Du wirst wandeln auf das Licht zu. Sie wird dir folgen, denn sie wird bereit sein, Elysen zu opfern um deiner Liebe willen - ein Opfer ist die heilige Liebe - aber du darfst nicht zurückschauen. Schaust du zurück, bevor ihr das reine Licht des Morgensternes schaut, das eurer Liebe Segen spenden soll, so wird die Braut dir entschwinden in das wesenlose Nichts, in dessen Stille sie vor den Richter der Toten wieder treten wird, um ihr ewiges Urteil zu empfangen, welches nicht den Sterblichen mehr angehören wird. Nun geh, der Bote wird dich geleiten, und vertrau, vertrau, daß sie dir folgt!“

Damit entließ die furchtbare Majestät den zitternden Sänger. Zu diesem trat der Bote, dessen Flügel rauschten, selbst dessen Sandalen geflügelt waren, in seiner Hand hielt er einen Stab und geleitete Orpheus die Wege von den Thronen zurück, in Richtung auf das Licht des Lebens zu.



DER AUFSTIEG


Orpheus vertraute sich seinem Führer an, in dessen Wesen er heilige Züge der Gottheit erkannte. Während sie den Weg durch die Schatten gingen, pries er ihn und sprach ihn an: „Der du der Erfinder der Lyra und der Flöte bist, darf ich es wagen, als sterblicher Dichter auch auf unsrer Wanderung durch die Schattenwelt dein Lob zu singen?“

Darauf entgegnete der Führer: „Kannst du andres singen als das Lob deiner Geliebten?“

„Ist es doch das schönste Liebeslied für die nun bald Gerettete, wenn ich die Gottheit preise, die uns aus dem Totenreich herauf ans Leben führt!“

„So preise!“ Darauf stimmte Orpheus seine Lyra und sang:


„O Hirte, aus dem Lande Arkadien,

Das jeglicher Vollkommenheit Heimat ist!

Du Sohn der Maja! in der Höhle

Göttlichgeborener den Pelasgern!


Du trägst den Caduceus, o du Hirtengott,

An welchem jene eherne Schlange hängt!

Im Zeichen jenes Caduceus führ

Du aus dem Totenreich deinen Preiser!


Du Gottesbote! Führer der Seelen du,

O Psychopompus, Gott der Poeten du,

Weil du der Meister bist des Wortes:

Nichts ist gewaltiger als das Wort ist!“


Der Seelenführer lächelte in seiner idealen Schönheit. Wie ein Kranich flog er stolzen Flug ins Licht, wie ein Hirte am Stabe wanderte er mit Orpheus, wie ein Hirtenhund die Schafe bewachte er die Seelen der ihm Anvertrauten.

Sie kamen an das Ufer der Lethe. Wie die Königin der Schweigenden geboten, mußte Orpheus hier von dem Wasser des Vergessens trinken. Aber Psychopompus unterwies ihn, nur seine Zunge mit wenigen Tropfen zu benetzen, daß er zwar die Worte der Persephone vergaß, nicht aber die Weisungen des Königs der Toten. Sonst wär es gewiß gewesen, daß Orpheus nach Eurydice geschaut und sie sogleich verloren hätte.

Orpheus war ein Dichter, und wie die Weisen lehren, tranken alle Künstler und Weisen nur wenige Tropfen aus dem Wasser der Lethe, wenn sie aus der göttlichen Heimat alles Vollkommenen in ihre sterblichen Leiber kämen in der Stunde der Zeugung und Geburt. Alle andern Menschen wären, trunken vom Lethenaß, ganz vergessen alles Vollkommenen aus der göttlichen Ideenwelt, nicht so die Weisen und Künstler, diese hätten noch Erinnerung an die Wahrheit, an das einzig Gute und die Schönheit der Herrlichkeit.

Orpheus quoll in der Seele eine hohe Hoffnung auf und er sprach begeistert vor dem Führer seines Herzens Hoffnung aus: „Welchem Sterblichen, außer dem König der Athener, ist es gelungen, aus dem Totenreiche wieder heraufzukommen? Nun soll es nach dem Willen der heiligen Liebe und der Gottheit, der ich mich weihte, gelingen! Leben, Leben ist es, was uns Thrakier, uns Hellenen, uns antikische Menschen zu schönen Menschen macht! Nieder mit dem Tod, er habe keine Macht mehr länger über uns! Schön soll die Liebe sein, schön in dem Land der Lebendigen, in von der Sonne Schein vergoldeten Leibern, in von den himmlischen Lüften geküssten Leibern sollen wohnen unsterbliche Seelen, welche den Tod sahen, aber seinen bitteren Granatensamen nicht schmeckten! Nicht mehr länger im Reiche der Schatten werden wir weilen, nicht mehr vegetieren im Wesenlosen, im Nichtigen, in den seufzenden Nebeln der Unterwelt; sondern hinauf und hinan! an die Sonne des Lebens, o du goldene, mit deinem Jünglingsangesicht der ewigen Jugend und himmlischen Wonne! Freude soll inmitten unsrer Hütten wohnen und den heiligen Palast unsrer Liebe, den Palast in unsern Herzen, bewohnen, die schöne Tochter Elysens, welche so oft so innige Freudentränen weint! O die holde, gütiggeschäftige Hoffnung hat mich nicht verlassen, wenn ich auch ihr Angesicht nicht sah in den Tagen meines Todesschmerzes und meiner Totenklage, aber sie umschwebte mich wie ein himmlischer Genius, sie verließ mich nicht am Tage, da ich klagte, und nicht in der Nacht, da ich ins Land der Toten stieg, denn siehe! begeistert von ihren Segnungen führ ich meine Braut aus dem Reich der Toten herauf, daß wir in der Hütte Zeus’ auf Erden unsre Hochzeit feiren werden! Seliges Leben, da allein das allwaltende Gesetz der Liebe mit ihren befreienden Pflichten und ihren beseligenden Rechten uns gilt! Wahrlich, die heilige Liebe läßt ihre Diener nicht im Tode, sondern die, in deren Herzen sie, die schöne, lebt, die werden von Thanatos nicht entführt in die schwefligen Schlünde des feuerspeienden Phlegeton! sondern, siehe, mein Seelenführer, unter deiner Leitung, inspiriert von der heiligen Liebe, und begleitet von den Genien der allerschönsten Hoffnungen, kehren die Geliebte und der Liebende, der ja ein Geliebter nicht minder ist, in das himmlische Zelt auf Erden, da unsre Liebe lebt und nimmer endet!“

Dunkle, seufzende Schatten drängten sich an Orpheus und suchten ihn hinabzuziehen, denn Neid quoll in ihren verlorenen Seelen. Nicht einen Lobgesang auf das Leben vermochten sie zu hören, ohne daß die Begierde in ihnen erwachte, den Preisenden mit hinabzuziehen in die Hoffnungslosigkeit und ewige Verlorenheit ihrer todgeweihten Schattenseelen. Sie hauchten Orpheus an mit kaltem, haßerfülltem Atem. Ihn schauerte. Ängste flogen an sein Herz, wie Geier an die Leber des gefesselten Prometheus.

„Weh mir, ich Unseliger, wenn alle meine Hoffnungen Lug und Trug sein sollten! Zeigen sich die Götter hold? Ist Dionysos mächtig genug, durch die Kraft seines Fleisches und des Rebenblutes mich heraufzuziehen und mit mir Eurydice? Kann ich dem Schicksal des Todes entrinnen? Vermag meine Liebe, in mich gepflanzt von der Mutterhand der heiligen Liebe, Eurydice ans Tageslicht zu heben? Welche Macht hat doch der Tod! Kann ich mich, der ich nichts bin als ein Dichter, nur Dichter, nur Narr! kann ich mich vergleichen mit dem heiligen König der Athener? Ihn schließlich befreite Zeus’ Sohn aus dem Totenreich! Mich aber, mich Unseligen! wer befreite mich aus den Fängen des Pluton, unternahm ich es nicht aus eigener Kraft? Was vermag eine geringe Kraft eines armen Sterblichen gegen das Wirken der Gottheiten, was vermögen selbst diese gegen das Wirken des Schicksals, und was vermag ein Sterblicher gegen sein Schicksal, daß er leben muß, einmal, und dann sterben und treten vor Minos’ Richterstuhl? Wo ist Hilfe? Wen aus der Himmlischen Kreis ruf ich an als meinen Retter? Wer ist der Retter aus dem Fangnetz des Todes?“

Er bedeckte sein Gesicht mit seinen Händen und weinte in seiner Hilf- und Hoffnungslosigkeit. Aber in der Tiefe seiner Traurigkeit sah er mit seinem inneren Auge das Antlitz Euyrdices, wie sie ihm zum ersten Mal begegnet war. Und um Eurydices willen überwand er alle Skepsis, alle Zweifel, alle Angst und wanderte weiter, auf das Licht zu, denn wenn auch keine Hoffnung war, so mußte er doch hoffen um Eurydice willen!

„Eurydice, hörst du mich? Ich hoffe gewiß, ich trau darauf, Eurydice, daß du mir folgst, daß du mit mir und unserm Seelenführer heraufsteigst aus dem Totenreiche. Siehe, Geliebte, wir wollen ein schönes Leben der Liebe führen! Wohin sollen wir gehen? Sollen wir ins schöne Paphos gehen, nach Cyprias Eiland, dort an Salamis Ufern oder in Marion leben, von Myrten gekränzt, von Tauben umrauscht, da uns die Nachtigall singt aus den schimmernden Oleandern ihr süßes Lied? Wir wollen baden im Pedhieos und unsre Lämmer weiden zwischen den Myrten am Hang des Olympos! Oder liebe Braut, willst du nach Chios, daß wir pilgern auf den Spuren des blinden Dichters? Willst du mit mir in Athen in den heiligen Hallen den Weisen lauschen? Sollen wir Weisheit trinken von der Gottheit Mutterbrust, wie lautere Milch? Ach meine Liebe, ich geh mit dir, wohin du willst! Welchen Gott du verehren willst, ich will auch ihn verehren! Unter welchem Volk du leben willst, ich will das selbe! Willst du ins indische Nyssa und ruhen in Mangohainen, kosen bei Sandelholzbäumen? Willst du nach Byblus unter den Himmel des Zamen? Willst du in die fruchtbaren Gauen von Mizraim? Wollen wir die heiligen Überreste von Atlantis suchen auf Seefahrt? Ich werde das Segel unsrer Liebe im Boote unsrer Ehe spannen, und der Mast, das sei die heilige Treue! Mit dir, o meine Eurydice, reit ich auch auf den Rücken schneeweißer Delphine nach Lesbos, dort in den Gymnasien Tänze zu tanzen, wie Sappho und Phaon! Willst du den Ölbaum Orthygias, einen Sohn mir gebärend, umschlingen auf Delos, dem meerumgürteten, dem Zufluchtsort der Schwanin? Wohin auch immer unsre Liebe uns führt: wir werden gemeinsam wandern! Hymenäus soll die Fackel tragen, Eros niesen bei jedem unsrer Küsse: glückverheißendes Niesen! Ach ich Narr, ich nur Narr, nur Dichter, aber weise werd ich, Eurydice, wenn du mich lehrst die heilige Liebe! Ohne dich bin ich im Tageslicht ein wesenloser Schatte! mit dir selbst im stygischen Hain ein Mann des Lebens, denn wo die Liebe ist, unsre Liebe, da ist das Leben, es sei im Diesseits in schönen Rosen gebettet, oder im Jenseits auf blauen Blumen und Asphodelenwiesen: Liebe ist unser Gott! Liebe ist unser Genius! Im Namen dieser herrlichen Macht beginnen wir ein geheiligtes Leben in den Armen der guten Mutter Erde! Eurydice, ich werde Epen dichten! Eurydice, wir werden unsre Zicken melken und Käse machen, unsre Bienen züchten und Honig ernten, unsre Felder bestellen und die Cerealien ernten, wir werden den Weinstock setzen und keltern die Trauben unter Sang und Tanz! Kinder sollen uns umschwärmen, Lucina sei unsre Hebamme selbst, denn Eurydice, Kinder sind ein Segen Zeus’ und Leibesfrucht ein Geschenk Joves! Eurydice, gleich sind wir da, siehe, ist da nicht ein Dämmer? oder täusch ich mich, nein, es war ein Flirren auf meiner Netzhaut. Aber gleich, Geliebte, nicht mehr lang, o Braut, und unsre Erlösung naht!“

„Geduld, mein Orpheus!“ sprach der Seelenführer, der schöne Bote. „Ich will dir die Zeit verkürzen, daß dir die Wandrung durch die Schattenlande nicht zu lang werd, und werd dir erzählen vom Mann Admetos.“

Und der Bote berichtete: „Admetos erfuhr durch eine Prophezeiung, daß er das Zelt seines irdischen Leibes nun bald würd verlassen müssen, er sei dem Hades mit seinen unterirdischen Rechten anheimgefallen; wenn nicht ein anderer Mensch, von heiliger Liebe beseelt, sich für Admetos, stellvertretend, in den Tod gebe. Admetos liebte das Leben. Er klagte, daß er sterben solle. Darum ging er umher bei seinen Eltern, die aber das sterbliche Dasein lieber hatten als die Seele ihres Sohnes, bei seinen Freunden, die das Leben an den Brüsten ihrer Weiber, den Kelch des Weines in der Hand, noch auskosten wollten und nicht sterben für einen andern. Aber größerer Liebe hat niemand, als daß er sein Leben lasse für einen Menschen, und solche Liebe hatte Alkestis, des Admetos Frau. Sie war bereit, für ihren geliebten Mann den Tod zu sterben. Kaum hatte sie sich derart bereit erklärt, den Geliebten zu erlösen, als auch schon aus den Pforten des Orkus der schwarze Schatten des Thanatos an sie herantrat, sie ergriff und in das Schattenreich herunterführte. Sie rief im Scheiden nach dem Zeussohn, dem Gott des Lebens: Verlaß mich nicht, verlaß mich nicht! Aber sie mußte hinab, um Admetos erlösen zu können. Admetos weinte bittere Tränen um den Tod seiner Geliebten. Drei Tage trauerte er, als am dritten Tage der starke Sohn des Zeus in sein Haus trat und den Grund der Betrübnis erfragte. Admetos schüttete vor dem Sohn des Zeus sein Herz mit Tränen und Schluchzen aus. Der mächtige Sohn des Zeus beschloß, zu retten! Retten wollt er, und die Gestorbene wieder in das Haus ihres liebenden Mannes führen. Darum ging er an das Grab, an die Felsenhöhle, und wartete, daß Thanatos herbeigeschlichen käme, die Opfergaben für die Seele der Toten sich zu erhaschen mit gierigem Geist. Der Sohn des Zeus rang mit Thanatos, schließlich überwand er den tödlichen Dämon. Am Mittag des Tages trat der Zeussohn mit der Auferweckten, die verschleiert war, in das Haus des Witwers. Dieser hatte seiner Braut versprochen, keine andre Frau auch nur noch anzusehen, sondern ewig im Gedenken an sie zu leben die Tage seines Daseins, und sei es auch in immerwährender Traurigkeit. Darum wollte Admetos die Hereingeführte nicht anblicken, selbst nicht die Verschleierte. Der Zeussohn lenkte aber seine Blicke auf ihre Erscheinung, da fand er im Wesen ihrer Erscheinung eine verblüffende Ähnlichkeit mit seiner geliebten Alkestis, ja, sie schien ein wenig graziöser noch zu sein. Er verbot sich diesen Gedanken, der Gedanke schien ihm an den Grundfesten seiner unsterblichen Treue zu rütteln. Aber der Retter öffnete ihm nicht nur die Augen seines Fleisches, sondern auch die Augen seines Herzens, daß Admetos erkannte: Es war Alkestis, eine verklärte, in den Zwischenwelten geläuterte Alkestis, die zurückgekehrt war ins Leben. Er hob ihren Schleier und sah ihr in die reinen strahlenden Augen, deren Schimmer das ganze weiße Gesicht vergoldete, er getraute sich aber nicht, sie zu umarmen, denn er hielt sie für eine selige Göttin oder unsterbliche Nymphe. Da trat Alkestis nah an ihn heran und umarmte ihn mit ihren weichen Frauenarmen im reinen weißen Gewand und zog ihn an sich; und er, er fühlte, daß ihr Herz schlug, da wachte er auf aus seinem Traum der Traurigkeit und küsste Alkestis: Wiedergefunden, schöner als ich je dich sah! stammelte er und weinte Freudentränen. Leise schied der Sohn des Zeus zurück zum Olymp. Lobpreis der Geretteten klang ihm nach.“

Während der Seelenführer dieses Gleichnis erzählte, schien es Orpheus doch, als wäre das Morgengrauen hereingebrochen; oder war es nur ein Bleichen der Nacht? Noch war die Sonne nicht aufgegangen, aber wie prophetisch schimmerte ihr Abglanz von ferne in matten Schatten über dem Horizont auf. Sie selbst befanden sich aber noch in tiefer Nacht. Keine Sterne, kein Mond war zu sehen, denn sie befanden sich immer noch in den acherusischen Welten. Die Gebüsche waren von schwarzseidiger Schwermut, die Schatten seufzten um sie, ängstliche Schatten, die flohen, wenn Orpheus, der Lebende, ihnen nahekam, sie flüchteten mit einem bangen Wispern, mit einem verzagten Flüstern.

Orpheus sehnte sich nach dem Licht, vielleicht mit einer solchen Sehnsucht, wie kein zweiter in Griechenland sie zu dieser Stunde hatte: „O Morgenstern! Komm herab aus dem Schoß deiner Mutter Nacht! Tritt mit deinen goldenen Füßen auf die griechische Erde, du heller Morgenstern, und zünde dein Feuer in meinem sehnsuchtsseufzenden Herzen! O Morgenstern aus deinem ewigen Reich der Himmel! komm, o komm, und erlöse Eurydice vom Tode, führe uns mit deiner ewigen Fackel ins Brautgemach, führ uns nach Korinth, daß wir dir dort das Lied der Liebe singen, führ uns nach Marion in Cypern, daß wir dir von der ewigen Liebe jauchzen! Komm herab, du heller Morgenstern, und gehe auf überm Helikon, dem Quell des Parnassus, die Musen werden dir folgen, und ich in ihrer Mitte, denn dein Musensohn, o göttlicher Morgenstern, will deinen Glanz preisen! Komm, o göttlicher Morgenstern, aus den ewigen Hallen der dunklen Gottheit, komm herbei mit deinem welterleuchtenden Licht und befreie mich von der Angst und Eurydice mit mir! Soter!“

Da schien dem von Sehnsucht nach dem Licht verzehrten Orpheus, daß das Morgengrauen schon der Glanz des Morgensternes war. Es drängte alles in seiner Seele, endlich Eurydice zu erblicken. Von dem Gleichnis des Seelenführers, dem Mythos von der verherrlichten Alkestis, an der Seele angerührt, erhoffte Orpheus, Euyrdice in göttlicher Vollkommenheit aus dem Totenreiche aufsteigen zu sehen! O sie war ihm eine Selige schon auf Erden gewesen, die heilige Nymphe, aber vom Tode geläutert, erhoffte er, eine Braut zu erblicken, die eine Göttin genannt zu werden verdiente, weil an sie ergangen war das Wort des Gottes, der Leben verhieß, des Gottes des Lebens! Wer aber war dieser?

War es nicht jener, unter dessen Segen sie standen, dem sich Orpheus vor dem Abstieg in das Totenreich geweiht hatte mit der Teilnahme am Mysterium, mit dem Verzehr seines Fleisches? Er war der Gott, dessen Zerrissenwerden, dessen Opferfleisch, vor allem dessen Wiederkehr den Sieg über die Schatten des Todes verhieß! In seinem Namen stimmte Orpheus die Leier und begrüßte den Moment, da er die verherrlichte Braut zu schauen wagen durfte, mit einem Lobpreis des Jacchos:


„Mein Eleleus! du Herrlicher! der du Tod

Im Schwermutgarten starbest! dein Blut wie Wein

Ausgossest in den Opferungen,

Die im Mysterium Weiber feiren!


Mein Eleleus! Du Kehrender! der du kommst

Umschwärmt von Lerchensang in der Frühlingszeit,

Du goldne Osterglocke Nyssas,

Feuriger Jubel des Maienmondes!


Mein Eleleus! vom Morgenstern goldgekränzt

Und in den Locken heiliges Rebenlaub

Kommst du herbei mit Meereswolken,

Himmlischgewaltiger! Blitzgezeugter!


Mein Eleleus! Dir widm ich Eurydice

Und heiliges poetisches Leben dir

Und alles Leben meiner Liebe

Dir, du geheiligter Liber! Zeus Sohn!“


Da ward die Sehnsucht des Orpheus zu groß: Was Zeit, die in den Händen der dunklen Gottheit steht? Jetzt ist die Zeit! Das ist Freiheit des Menschen, seine Zeit sich selbst zu wählen! Hinabgeschaut in den Schlund des Todes in diesem Augenblick, zu erschauen das geliebte Angesicht! Nach dem geliebten Angesicht, nach dem Antlitz der heiligen Liebe, ergriff Orpheus solche Sehnsucht, daß er das Gesetz vergaß, das Gebot der Stunde übertrat und sich wendete!




UNENDLICHE SCHWERMUT


„Eurydice!“ rief Orpheus, überwältigt von Liebe und Todesschrecken!

Sie aber sah ihn an mit einem entsagenden Lächeln im traurigen Antlitz. „Nicht ists bestimmt uns“, sprach sie mit einem dünnen feinen Stimme, süß wie summende Bienen, „in irdischer Liebe unser Glück zu genießen, denn eines andern Bräutigams Liebe zieht mich herab in die jenseitige Welt, dort am Altar des Schweigenden die blaue Girlande aufzusetzen, welche mich zum Kinde des Todes siegelt.“

„Eurydice? Was sprichst du? Sollst du wieder hinab zum Hades?“

„Orpheus, mein lieber Mann meiner irdischen Tage! Du hast es gewollt und versucht, doch nicht gewähren die Götter es dir, mir zu folgen in die Welt der unsterblichen Seelen, welche nicht mehr im Fleische wandeln. Drüben ist nun meine Heimat.“ Sie sank langsam und leise, wie ein seufzende Schatten, den dunklen Weg hinab, sich still und immer geheimnisvoller entfernend. „Nicht werden wir leben in Marion auf Cyprias Eiland, denn nicht gehör ich dir mehr, sondern einem Andern. Dieser hält den weißen Mantel und die Girlande der Asphodelenblumen bereit. Im Haine Aneslasleja, im Haine Aneslasleja werd ich wandeln wie ein Hauch, wie ein Atem, gewoben in den jenseitigen Atem des Weltgeists, wird er süß sein? Er wird atmen wie der unsterbliche Frühling auf den Inseln der Glückseligen! Denn im weiten Meere des Kosmos, jenseits der Säulen des Herkules, liegen jene Inseln, und himmelragende Palmen wachsen dort und weiße Mauern umgeben die Hallen, in denen auch Achilles und Helena, der Held und die Schönste, wandeln. In schneeweißen Blüten baden sich dort die Genien, schwingen ihre allsehenden Schwingen, blicken auf und stimmen ihre elfenbeinernen Lyren zum Gesange Zeus! Hinab, hinab, in die geheimnisvolle Welt der anderen Seinsart muß ich und dich lassen, Geliebter, auf der Erde! Trage dein Los! Trage dein Schicksal, dulde stumm und harre auf den Tag der Befreiung! Du wirst mich schauen, wenn die höhere Liebe hinzukommt, im seligen Hain Aneslasleja...“

Orpheus weinte. Unter Schluchzen brach seine Stimme hervor: „Geliebte, bleib, o bleib bei mir! Hat uns andres das Schicksal beschlossen? Wie, Geliebte, soll ich ewig weinen? Soll ich mich winden im Staub wie ein Wurm, weil die Liebe, die Liebe mich verlassen hat? Soll meine Seele bluten? Sollen Dornen sich durch meine Seite bohren und das Herz mir bluten? Soll ich blutige Tränen weinen um meine Geliebte, die in den Tod mir entschwindet? Ist denn kein Retter? Ist das Schicksal so grausam? O ist das Schicksal denn ein Dämon? Zeus vergebe mir die Lästerung! Ich muß mich fügen, ich muß alles, alles ertragen, aber zu grausam scheint mir mein Los! Nicht tragen kann ichs! Eurydice, hilf mir! Trag mit mir, umschwebe mich, komm und flehe für mich zu den gewaltigen Himmlischen, daß sie sich unser erbarmen! Komm und segne, segne mit deiner Erscheinung mein blutendes Herz! Wie, Eurydice! du entschwindest? Sprich zu mir, o Braut, sprich zu mir und tröste mich mit deinen Scheideworten!“

„Orpheus, laß mich dein Orakel sein! Siehe, der Retter, der Widder, ward geopfert im schrecklichen Hain! Sein Goldenes Vlies, es hanget im Baume! Siehe, Scheidende reden trunken! Orpheus, gib dich nicht der Raserei der Wollust hin! Gedenke an unsre selige Hoffnung, daß die heilige Liebe das Wesen des Gottes ist, der uns geschaffen! Sei heilig, denn auch ich bin geheiligt in dieser Scheidestunde! Siehe, Orpheus, du sollst heilig werden, aber nicht durch den trunkenen Jubel, Orpheus, sondern durch dein Leiden!“

„Mein Leiden! Eurydice! Die heilige Liebe, das ist mein Leiden!“

„Gewiß, mein Orpheus, die Liebe muß bluten und sich opfern! Aber nicht für ewig ist deine Hoffnung verloren, denn Lieber, es gibt den seligen Hain Aneslasleja... Dort in den heiligen weißen Mauern, inmitten der schneeweißen Genien, Zeus lobend, will ich dich erwarten, dort will ich mit dir, und mit Achill und Helena, an ewigalten Tischen den besten Wein von Chios trinken, und Homer soll die Charis loben, die Gnade! Erbarme sich Zeus Sohn dein! Orpheus, ich weiß es nicht, ich gehe, ich scheide, aber ich werde drüben die Augen auftun im seligen Hain Aneslasleja und werde schauen die Wahrheit und das höchste Gute - Theos allein ist gut! - und die herrliche Schönheit der seligen Geister und Genien!“

Eurydices Stimme verhallte in der Ferne. Schon sah Orpheus sie nicht mehr. Und wie aus eines Orakels heiligem Schrein erklang ihre Stimme zum letzten Male: „Dulde! Leide! Sterbe und sieh!“

Orpheus lag auf der Erde. Schwarzerlen umstanden ihn, entkleidet allen Schmuckes der Blätter. Frostiger Wind zog, wie klirrende Fahnen, durch ihr Geäst. Es schüttelte ihn. Schwarz war es hinter seinen Augen, schwarz war es vor seinen Augen. Tiefste Nacht umgab ihn. Alle verklingenden Worte von Hoffnung hatten sich in seiner Seele verloren und nur die kalte Sense des Saturn hatte die Ähren seines Herzens gemäht, nun las er die Stoppel, nun lebte er wie ein Bettler von dem, was die Zeit ihm übriggelassen, weniges, nur zum Darben reichendes.

Lange lag er so im Schwarzerlenhain, dachte keinen Gedanken, schaute kein Bild in seiner Seele, sprach kein Wort. Nur Tränen rannen über sein kaltes Gesicht, kalte Tränen rannen über seine erbleichte Wange. Älter war er geworden in einem Augenblick. Kein Ideal, keine Gottheit schien ihm, kein Trost kam von den Himmlischen, kein Flügel eines Genius berührte lindernd Orpheus, der sich verlassen fühlte wie ein Waise im unendlichen Kosmos, dem unbeseelt scheinenden, dem Schmuck, der niemanden mehr zu schmücken wußte.

Schließlich erhob er sich, nicht in Hoffnung, sondern in dem verzweifelten Entschluß, seine Leiden zu beginnen, den Schmerz zu tragen, ja, sich aufzumachen, größerem Schmerz entgegen. Er stürzte sich, wie ein Selbstmörder, in seinen Schmerz. O Schmerz um die Gestorbene, o Schmerz um die Grausamkeit des Schicksals, o Schmerz um das Schweigen aller Götter! Wie sahen sie doch zynisch von ihren olympischen Freuden, mit olympischen Hohngelächter, auf den Leidenden und sprachen: „Ha! Da sehen wir den armen Mann, und unsre Freundlichkeit ist es, daß er noch nicht ganz am Ende ist! Ha, ihr Gewaltigen, sehet, ob er nicht ein noch schwereres Los zu tragen vermag! Laßt uns ihm einen Dämon senden, der ihm auflade auf sein Kreuz einen schweren Packen, einen Stein, daß er ihn den Berg hinantrage! Ha,“ lachten die olympischen Götter höhnisch, „der vermag noch mehr zu tragen, der muß noch ertragen unser Schweigen! und vermag er es, uns zu hören, so soll er hören unser Spottgelächter! Venus, zeige dich ihm reizend und verlache ihn! Mars, zeige ihm Kriege in der Welt und laß ihn verzweifeln! Apollon, zeige ihm mit deinen Strahlen die Leerheit der Welt und das Fehlen seiner Geliebten! Ihr Himmel, regnet, ihr Wolken, tauet, und bringet Leid hervor dem Leidenden, und du, o Mutter Erde, sprosse ein schreckliches Schicksal dem Dulder, daß er dulde Qualen in seiner Seele! Ha, ihr Gewaltigen, ihr Dämonen des Olymp, unsre Güte ist, daß er nicht vollends zuende ist!“ So vernahm Orpheus das olympische Lachen der Götzen, und es peinigte ihn bis auf den Grund seiner Seele.

Er irrte durch die dornigen Dickichte, seine Kleider wurden zerrissen von den spitzen Ästen. Er irrte über Felsgeröll, und seine Sandalen zerschlissen von den spitzen Steinen. Er irrte über schneebedeckte Felshügel, und seine Zehen wurden blau vom Frost der Erde. Er verirrte sich in dunklen Wäldern und fand den Weg zur Heimat nicht mehr. Aber was auch hätte ihm eine Heimat sein können, da Eurydice nicht mehr war? Er war ein Heimatloser, die Erde ihm eine Fremde geworden, und nur drüben, drüben war seine liebe Heimat. Aber sie, sie hatte ihm gerufen mit testamentarischem Orakel: Dulde! Leide!

O er ging täglich die Pfade seiner Schmerzen und Tränen, aber er fand sie nicht mehr, nicht in den grünen Wäldern zwischen moosigen Bäumen und efeubehangenen Ästen, nicht auf den Felsenhöhen, wo die Rosen blühten, wie zum Hohn, und alles, was ihm geblieben war, sein treuester Gefährte, war sein Schmerz, der tiefe Furchen in sein Antlitz trieb. Ja, das Schicksal hatte einen Ochsen genommen, einen Stier an Kraft, und ein Joch, und geackert auf dem Rücken des Orpheus und sein Kreuz zerschunden mit Wunden des Leides um die Geliebte!

Nicht mehr sprach sie zu ihm und nicht mehr sang sie ihm ihre Zaubergesänge, mit denen sie ihm oft in seiner schwarze Mannesseele gesungen himmlische Tröstungen. Dort war sie und dies für immer! Niemehr heraufzuholen aus dem Schatten des Todes! Denn am Ende alles menschlichen Lebens stand der Tod und aller menschlichen Hoffnungen, und selbst die Liebe zu der Geliebten, die Liebe von Liebenden selbst, sie konnte den Tod nicht überwinden! Weh über Pandora, daß die Frau das Unheil in die Welt gebracht und Weh über Prometheus und seinen Frevel des Hochmuts gegen Zeus! Weh und Elend herrschten über die Erde, seit die Eris den goldenen Apfel gebracht! Orpheus klagte Klage über den Untergang des Goldenen Zeitalters! Denn seit jener Zeit herrschte der Tod, beherrschte die ganze Oikumene und herrschte bis an die Enden der Erde! Letztes Wort und Würger alles Schönen schien ihm der Tod! Der gewaltigste Dämon, mächtiger selbst als alle olympischen Götter, entsetzte ihn der Tod!

Komm, und sei mein Freund! dachte Orpheus, denn wenn der Tod so gewaltig ist, so ists gut, ihn zum Freunde haben. Umarme mich brüderlich, schrecklicher Dämon! Sieh, ich sterbe alle Tage meines irdischen Lebens, und der Weg, der vor mir liegt, ist ein Weg in deinem Schatten! Da komm mit deiner Sense und sense mich, ernte mich und bring mich in deine ewige Scheune! Ich mag nicht mehr! Ich kann nicht mehr! Von allen guten Göttern verlassen, will ich mich in deine Mörderarme werfen, o schrecklicher Tod!

Aber da klang in seiner Seele wieder Eurydices Testament: Dulde! Leide! - Nun denn! Sterben ist zu kleines Leid! Der Tod ein zu geringes Übel! Ist doch der Tod ein sanfter Erlöser, und naht er oft auch schrecklich, so ist er doch der Hochzeitliche, der liebreich waltet über den Hain Aneslasleja und die Inseln der Glückseligen! Leben, das ist das größere Leid, täglich zu sterben und dennoch nicht sterben zu dürfen, das ist eines Duldens wert, wie Eurydice ihm verheißen! Darum wählte er dich, o Leben, als die schrecklichere Alternative, als die größere Peinigung, als den gewaltigeren Dämon, denn über dem Tode herrschte als Allergewaltigster der schreckliche, furchtbare, entsetzliche Gott des Lebens, und diesen fürchtete Orpheus mehr als den Tod! O wehe, wehe!

Und als der Morgen des Frühlings hereinbrach, kam Orpheus in einen vergoldeten Lorbeerwald. Das reine Licht der Allerfreuerin, der Sonne, besänftigte auch seine Seele ein wenig. Durch den Lorbeerwald lief ein Fluß, in dem er sich wusch und sich dann an der Sonne trocknete.

Da vernahm er aus der Ferne, leise nahend, das schöne Spiel einer Zither. Eine dunkle schwermütige Melodie berührte seine Seele, die zarten sanften Töne waren ihm wie ein heiliger Trost, ihm von den Musen gesandt. Welcher Gott war der Gott seines Trostes? Da tauchte aus den Lorbeern ein Mädchen auf, das die Zither spielte. Sie hatte goldblondes Haar, das ihr in glatten Fluten auf die schmalen Schultern fiel. Ihre Augen waren himmelblau wie die Augen der blauäugigen Tochter Zeus, der Jungfrau Minerva. Sie sang nicht zur Zither, aber ihr Saitenspiel war wie das Gespräch eines traurenden Genius mit Orpheus Seele oder wie die trostreiche, stille himmlische Klage einer Muse vom Berg der Pieriden.

„Bruder Poet!“ begrüßte das himmlische Mädchen ihn, „was schauest du so schrecklich elend und schmerzensreich? Siehe, wie diese Blume blüht“, damit zeigte sie zu dem Traum von einer Blüte, die in gelb und gold und grün und zartem Lila lieblich blühte und den ganzen Lenz in ihrer unaussagbaren Schönheit gesammelt trug. „Siehe“, sagte sie, „die Schönheit hat die Erde nicht ganz verlassen, und diese Blume blüht zu deinem Trost.“

„Oh, Mädchen, ich war in tiefer Trauer, aber dein Saitenspiel hat meine Seele getröstet. Wer bist du, woher kommst du?“

„Ich nenne Zeus meinen Vater und eine selige Nymphe meine Mutter. Mein Name ist Maa, wie der Name der Mutter des Jacchus im Mysterium. Ich bin eine Hirtin und mit dem Herzen einer Hirtin will ich dich trösten, ja ich will dich trösten, wie eine Mutter ihren Sohn wohl tröstet, obwohl du mein Vater sein könntest, und darum spiel ich auf dem Saitenspiel für dich.“

„Du spielst sehr schön, so traurigschön, und deiner Saiten Töne sprechen ganz mir meines Herzens Sprache.“

„Ich weiß, du trauerst um Eurydice. Ich weiß, du wolltest dich stürzen ins Schwert wie ein besiegter Perser an Salamis Ufer, aber lebe! Orpheus, und suche den Theos! Siehe, Zeus, der Anfanglose, der König der Götter, ward einst von der seligen Mutter Rhea geboren in einer Höhle auf dem Ida. Sie wird verehrt wie die Magna Mater auf den Bergen von Ephesos, und Jünglinge geloben ihr Unbeweibtheit. Sie ist wie Maa, des Jacchos Mutter. Sie ist wie die Tochter Zeus, die Jungfrau mit den himmlischen Augen. Laß dir dein wirres Haar aus der Stirn streichen von ihren trostreichen Mutterhänden. Wenn ich mich traurig lege auf mein Lager inmitten meiner Lämmer, erscheint sie in goldenen Sandalen, wie die Himmelskönigin, und bettet mein weinendes Haupt auf ihren Schoß. Vergangne Nacht erschien sie mir, balsamisch wie die Mondin, und sang mir eine Ode für dich vor, daß ich sie dir bringe.“

„O wunderbares Mädchen, du liebe Hirtin Maa, so sing mir diese Ode, denn mir ist mein Saitenspiel zerrissen und klanglos ists in mir.“

Und Maa sang:


„Höre, leidender Sohn, höre du in dein Herz,

Lausch mit deinem Gemüt, innig geliebter Sohn,

Nichts soll je dich erschrecken,

Nichts soll dir eine Trübsal sein,


Nichts soll dir dein Gesicht schrecklich verfinstern, nicht

Soll dein kindliches Herz dir sich verfinstern, auch

Sollst du Kummer und Schmerzen

Nicht mehr fürchten, noch irgendein


Schweres lastendes Leid, Leid deiner Seele, noch

Schmerzen deines Gemüts. Siehe, bin ich denn nicht

Deine liebende Mutter?

Bist du in meinem Schatten nicht?


Unterm schirmenden Schutz du denn der Jungfrau nicht?

Nicht im Mantel gehüllt himmlischer Königin?

In der Beuge der Arme

Meiner heiligen Liebe ruh!“


Orpheus ward das Herz wie einst, als er auf dem Schoß seiner Mutter Calliope saß und ihren Liedern lauschte. Sein Herz war so berührt. War denn die Hirtin Maa eine Musentochter? ja gar seine Schwester? Er liebte sie von dieser Ode an wie seine Schwester und war ihr von Herzen dankbar für den himmlischen Trost. Er wollte ihr die Hand reichen, ihre Hände halten, zum Dank und sie segnen, er suchte in ihr den Menschen zu finden, der die Welt ihm erhellte, die seit dem Tode Eurydices wie umnachtet ihm war. Aber da ging die liebe Hirtin weiter, mit leisen Saitenklängen: „Ich muß zu meinem Lamme, das wund liegt!“ rief sie ihm leise zu, und auch sie, auch sie verschwand.

Ja, war sie denn ein die Erde besuchender Genius des Gottes seines Trostes gewesen und keine Sterbliche? Kehrte sie wieder in den himmlischen Tempel ihres Gottes, dort mit ihm das himmlische Brot zu teilen? Da sie in der Ferne entschwand, entschwand mit ihr ein süßer goldener Glanz. Aber ihre Spuren troffen von Segen in der Seele Orpheus. Und wenn er auch verloren war, wenn er auch einsam war und eine einzige Klage, wie mit einem vorüberfliegenden Genius hatte ein Gott sein Herz berührt, ihn getröstet, ihn gestärkt, für neue Leiden!



DRITTES KAPITEL


Und am Festtag, nachts, durchglüht vom bacchantischen Taumel,

Warfen zerfetzt den Jüngling die Weiber hin durchs Gefilde.“

(Vergil)



DICHTERWETTSTREIT


Mnemosyne, die Königin, stand erhaben auf dem Parnassus. Sie war in ein langhinwallendes weißes Gewand, gewoben aus dem reinen Licht des Äthers, gehüllt, als hüllte sie sich in die Aura des Mondes. Ihre langen Locken waren braun wie die mohnfarbene Nacht, sie flossen in melodischem Fallen auf die schmalen femininen Schultern. Ihr Antlitz war gebräunt wie das einer Hirtin aus dem Süden, und zugleich von dem reinen Schnee und milchigen Schmelz des Mondes. Es war schlank, es war weich und nicht wollüstig, es war wie eine vollkommene Lyra. Ihre Augen waren wie der Archipelagus blau und grün im Licht der weißen Milch des Mondes, aber ohne aphrodisischen Schaum, sondern von einer mütterlich-jungfräulichen Reinheit. Sie blickte so tief, so tief wie Melancholia, hinab in die Brunnen der Erinnerung und die Gründe der Seele. Ihr Wesen war aus Liebe gegossen, in ihrem Herzen brannte das milde Feuer reiner, himmlischer Liebe. Sie war Jungfrau und Mutter der Musen.

Der Abend war mit seinen purpurglühenden Wolken herabgegangen und die gütige Mutter Nacht hatte ihren sternenbestickten, samtblauen Mantel ausgebreitet über den Parnassus. Da kam von Norden geflogen das geflügelte Roß der Inspiration. Und Pegasos schaute und sah, und die er sah, war Mnemosyne. Und da setzte Pegasos seinen Huf auf den Gipfel des Parnassos, wo Mnemoyne immer saß und träumte, und ein Quell sprang auf, das war der Quell der lebendigen Gottheit, die mich sieht. Und Mnemosyne, die Erinnerung alles Göttlichen, alles Schönen und alles Bitteren, stand am Quell der Inspiration. Und da das silbern-kristallene Wasser leise rann und da die Jungfrau Mnemosyne schaute, da war alles umher in den Hainen des Parnassus Schweigen, und in dem Schweigen war der tiefste Lobgesang des Himmlischen.

Und Mnemosyne in ihrem mondenweißen Schleier setzte sich in einen silbernen Wagen, welchen schwarze Schwäne mit rubinfarbenem Munde und Äugelein zogen, und fuhr hinauf in die himmlischen Regionen.

Und da die schöne Aurora mit ihren Lilienarmen und Rosenfingern die Morgenröte ausstreute über dem Parnassus mit seinen Hainen und seinem kastalischen Quell, da schwebten die neun Töchter der Mnemosyne auf dem Gipfel. Und sie waren die Musen, und ganz Griechenland war von ihrem Ruhm erfüllt.

Und Clio saß auf einem Steine und las in einer geöffneten Buchrolle die Werke und Tage der Geschichte von dem ersten Bebrüten des Chaos an bis auf das Kommen des Göttersprosses, und alles stand im Zeichen des Leides und der Sehnsucht, der Sehnsucht zurück nach Arkadien und der Sehnsucht voraus nach den himmlischen Burgen von Elysium. Und Melpomene hielt vor ihrem schönen Gesicht die Maske einer leidenden Frau, deren Gottheit ihre Tränen war, und sie sah im Untergang beschlossen ihren Triumph, und sie trug den Dolch im Herzen. Und ihre jüngere Schwester war Thalia, und sie lachte und ihre Hände spielten mit einer Maske, welche der heitere Himmel Joniens war, und um sie lachten und schwatzten die kindlichen Vögel, so süß wie Thalia, so voll süßen Genusses der lieblichen Liebe und reinen Herzenslust. Und um die Schwestern im Kreise tanzte Terpsichore, die Anmutige mit den melodischen Bewegungen, und begleitete sich selbst in ihrem Tanz mit der siebensaitigen Lyra. Erhaben und heroisch blickte, fast wie ein Mann, die hohe Calliope, bereit von dem Feuer Ilions und der Wiederkehr des Dulders zu singen in epischem Ausmaß. Sie rollte ein Pergament zusammen, denn es stand alles schon in ihrem Geiste. Jünger und verspielter war Euterpe mit der Flöte, welche die Freuden und die Schmerzen der Tage zu singen und zu dichten wußte. Keine Seele, die sagen wollte, was an diesem Tage, den Gott hat werden lassen, ihre Tiefen aufwühlt, konnte Euterpe missen. Aber die Hübscheste von allen mit ihren zauberhaften Blicken war Erato, die Muse der Liebeslyrik. Keiner vermag zu sagen, welche Farbe ihre Augen oder ihre Haare hatten, denn jedem erschien sie in andrer Gestalt. Hochgesinnt stand neben ihr, auf erhabene und ernste Dinge bedacht, Polyhymnia, die den Gesang der götterpreisenden Hymnen liebte. Wen sie inspirierte, der sang Preis und Lob den hohen Himmlischen und ihrem Vater, und kein Staub und keine niedere Lust vermochte ihn von diesem Ruhmeswege abzubringen. Aber am wundersamsten von allen schien in diesem Augenblick doch Urania zu sein, denn die Morgensonne bildete ihr Gewand, der untergehende Mond lag zu ihren Füßen, und auf dem Haupte, in ihrem Haar blinkte das Diadem des Morgensternes. Sie war die, die vom Himmlischen die tiefsten Geheimnisse zu künden wußte und kannte am gründlichsten das unergründliche Herz des Vaters der Gestirne. Sie war Urania, denn sie war die Braut des Uranus, des Himmels, denn von ihm war sie gesegnet worden mit der Liebe des Himmels.

O wie herrlich und lieblich und schön war der Chor der neun Musen, welche alle Kunst umfassten und das Leben und der Schirm der Musensöhne waren. Kein Gesang, der nicht nach ihrem Singen abgebildet war. Kein Tanz von schön geschlungenen Worten, kein melodisches Schluchzen, kein heroischer Sieg oder tragischer Untergang, da sie nicht mit Lobpreis der Himmlischen dienend zur Seite gestanden den Zeusliebenden Musensöhnen. Denn sie hatten Zugang zum Nektar und Ambrosia, und wen sie liebten, den nährten sie mit Nektar und Ambrosia, und wen sie erwählt hatten, den ließen sie trinken vom Quell Castalia, der heiligen Quelle der Inspiration.

Aber da die Musen so rein von der ewigen Liebe sangen (sie hatten das Lied von Mnemosyne gelernt), da kamen die Töchter der Pierus, die sterblichen Mädchen, und begehrten, so schön zu singen wie die Musen und schöner noch. „Ha, uns gebührt es, zu singen wie die Musen, denn wir hielten manchen Liebhaber heiß in unsern Frauenarmen! Wer weiß von Liebe zu singen, wenn nicht wir, welche von den Fischern und Hirten und die Schnittern die schönsten Mädchen im Königreiche des Pierus genannt wurden? Sie priesen die Glut auf unsern Wangen und die feurigen Blitze in unsern schrägen Blicken. Unsre Lippen waren ihnen Feigen, und unsre Brüste ihnen Granatäpfel. Wir aber begehrten die schwarzlockigen Jünglinge mit dem blauen Schatten auf den Wangen, welche die männlichen Arme um uns schlangen. Und da ward unsre Leidenschaft zum Lied, zum Lied von der Liebe, denn die Liebe ist ein Genuß und eine Lust. Was aber wissen diese schwebenden Unsterblichen von der Liebe? Sind sie je auf der Erde angekommen? Schweben nicht ihre Füße in den goldnen Sandalen immer ein wenig über der Erde? Sind sie je von ihrem stolzen Gipfel des Parnass herunter gekommen in die schlichte Wirklichkeit der Schnitter und Fischer? Was sollen die Musen denn von Liebe wissen, die immer nur in heilige Pergamente oder gar nur in die Sonne des Himmels schauen, als wären sie Adlerweibchen? Wir aber sind die lieblichsingenden Spätzlein und sind Schätzlein von Liebhabern, die sind süß wie unter der Sonne Griechenlands gereifter Wein. Nein, ihr Musen, euch soll nicht gebühren der Ruhm in Griechenland, sondern uns, den Töchtern des Pierus. Zwar sind wir Menschen, sterbliche Menschen, aber darum wissen wir doch die Liebe besser zu singen als ihr luftschwebende Engelsgestalten!“

So forderten die Pierus-Töchter die heiligen Musen heraus. Diese verschmähten es nicht, ihre Sangeskünste mit den sterblichen Mädchen zu messen. Sie verständigten sich mit einem kurzen liebevollen Blickwechsel und wählten Urania, die Lieblingstochter der Mnemosyne, den Gesang im Wettstreit mit den Pierus-Töchtern zu singen, und Urania sang:

„Meine unsterbliche Liebe lobt den Himmel, und mein Herz ist voller Jubel über die Liebe, die die Sonne täglich wie ein Bräutigam an uns erweist. Der Himmel hat seine Tochter angeschaut mit den lieblichsten Blicken, voller sanften Gemütes und herzlicher Zärtlichkeit der Seele, und da schmieg ich mich wie ein zartes Lämmlein, das da weidet auf dem Gipfel des Helikon, in meines Gottes Hand. Siehe, der Sohn Gottes ist mitten unter uns, der schöne Musagetes, und von ihm hab ich die Liebe gelernt. Er ist licht wie die Sonne, rein wie der Himmel, rein und keusch und treu wie eine weiße Schwanenkönigin, die es nicht verschmäht, ihm zu Willen und Diensten zu sein und seinen Triumphwagen zu ziehen. Er verschmähte nicht die Erde, sondern betrat sie mit seinen reinen Füßen und wohnte unter uns heiligen Musen, die wir heilige Dichterinnen und Poetissen der Himmlischen heißen, weil Musagetes uns auserwählt. Er ist der wahre Bräutigam der Seele Uranias, und bald, ja bald, da werd ich singen in seinem untermeerischen Palast den Lobpreis des Lichtes, welches nie verlischt, denn Musagetes ist heraufgekommen aus den nächtlichen Pforten der Hyperboräer im Norden und hat seinen Thron eingenommen zu Zeus Seiten auf dem Gipfel des Olymp. Von dort haucht er seinen Geist in mich, und das ist die wahre Inspiration, die eingeht in das Erbe meiner Mutter, die tiefe, tiefe Erinnerung an den Tag, da ich der Liebe begegnete.“

Die Nymphen, die aus dem kastalischen Quell getreten waren in schimmernden Kleidern, sprachen den Musen den Siegespreis zu. Seit jenen Tagen sind die Musen gekränzt mit den immergrünen Lorbeerkränzen, und sie verteilen diese Kränze an ihre Auserwählten und Lieblinge. Die Pierus-Töchter aber wurden in Elstern verwandelt und verdammt dazu, ewig eine Last den menschlichen Ohren mit ihrem schrillen Gekrächze zu sein. Zur Erinnerung an ihren Sieg wurden die Musen im kastalischen Quell auf den Namen Pieriden getauft.

Und den Berg Parnassus hinan stieg ein griechischer Mann, er kam vom Tal herauf. Er war ein kleiner schmaler Mann mit wenig dünnem Haar und einem bauernschlauen spitzen Gesicht. Er schaute kurz vor sich her aus seinen grauen Augen. Nichts war an ihm, was Erato, der Muse der Liebeslyrik, gefallen hätte. Es war Marsyas, der Phrygier. Da sah Erato zu ihrem Entsetzen auch noch, daß er hinkte, denn ein Bocksfuß war an seinem kürzeren rechten Bein. Er war ein Satyr.

Als er auf dem Gipfel des Parnass angekommen war, stellte er sich den Musen vor: „Ich bin Marsyas! Was gibts? Ah, ein Dichterwettstreit? Bin bereit! Kurz und knapp, Worte machen ist nicht meine Sache! Schöne Erato? Nun, mögen sich Verliebte um dich bemühen, keusche Muse, meines ist, die abstrakte Philosophie der Musik auszuüben, denn ich spiele die Flöte. Aber mit wem soll ich mich messen? Ich bin in jedem Fall der Begnadete!“

Die Musen aber schauten sich um, wer sich mit Marsyas messen wolle. Da rauschte ein Gespann schwarzer Schwäne herbei, die einen Wagen aus lauterem Golde zogen. Sie kamen von Thule geflogen, und in dem Wagen stand der Fernhinsinnende, der Dunkelsprechende, der Führer der Musen und Gott der Poeten höchstselbst, der göttliche Seher! Wir wollen ihn Musagetes nennen. Musagetes aber hielt in seinem Arm eine siebensaitige Leier, welche die Sphärenharmonie des Kosmos widerhallte. Marsyas erschrak, aber begann dann trotzig-stolz zu reden:

„Die heilige Jungfrau Minerva mit dem Ölblattkranz der Weisheit wandelte einst vorüber meines kleinen Tales. Ich stand an einem Teich, an dem sich zahme Gänse lagerten, als sie am Wasserrand schwebend stand und eine Flöte an ihre holdseligen Lippen setzte. Da sah sie in den Spiegel des Wassers und fand, daß die Flöte ihre lieblichen Lippen entstellte. Darum warf sie die Flöte fort. Ich aber hob sie auf und übte und übte mich an ihr. Zwar war ich nicht begnadet worden mit dem Feuer der Inspiration, aber mit viel Fleiß und Talent bracht ich es denn doch zu einer beträchtlichen Meisterschaft. So nun, wohl an und auf denn, ihr Musen und lauschet meinem Flötenspiel.“

Und Marsyas spielte eine Melodie, die er einem einsamen Hirten abgelauscht, eine milde und liebliche Melodie, von einem anmutigen Zauber. Die Musen waren begeistert von der Melodie. Als er sein Spiel geendet, griff Musagetes in die Saiten seiner Leier. Und siehe da, zu aller Erstaunen, spielte der göttliche Musagetes ein schröcklich Lied, daß den Musen die Haare zu Berge standen, daß allein die Muse der Tragik, Melpomene, ihre wahre Freude daran hatte, und allein die Muse der himmlischen Poesie, Urania, weise und wissend lächelte mit traurigem Blick. Musagetes schlug die Leier, und vor den Musen tauchte das Bild einer einsam fliegenden und schrecklich krächzenden Wildgans auf, welche in den Abend und die Nacht hineinflog.

Die Mehrheit der Musen war verzaubert von dem Flötenspiele Marsyas’, aber sie entsetzten sich zu sehr vor dem Schreckensliede Musagetes’, darum hob die liebliche Erato ihre süße Stimme und sagte: „Wir danken dir, Marsyas, für dein Lied einer stillen schlichten Hirtenliebe. Alle Anmut einer liebesseligen Liebe zwischen Hirt und Hirtin ist im süßen Schmelz deines Liedes ausgedrückt. Aber dir, bei aller Ehre, Musagetes, muß ich sagen: Ich verstehe dein Lied nicht, wenn es mich auch in den Abgründen meiner Seele berührt. Was mich, die Lieblichste der Musen, betrifft, will ich dem süßen Stück Musik von holdem Hirtenfrieden und damit Marsyas den Preis zugestehen, den Lorbeerkranz.“

Aber in dem Augenblick hob Musagetes seine Stimme und sang mit einer weithin hallenden, echohaft-hohlen und geisterhaft leise und dünn verschwebenden Stimme des Schweigens zu lydischen Melodien:

„Wehe, wehe! Ich liebe! Wehe mir und doch Heil mir! Wehe mir und doch Elysiums Seligkeiten meiner Seele, daß ich liebe! Von den olympischen Tafelfreuden des Nektar und Ambrosia wandt ich mich dem dunklen Tale zu, da die goldenhaarige Daphne irrte! O wie keusch sie war, wie holdselig, wie rein! Der sanfte Westwind scheute sich, in ihren goldenen Haaren zu spielen, denn sie war ihm zu rein! Das helle grüne Moos beeilte sich, ihren weißen Füßen den Weg schön sanft zu machen. Die Gräser neigten sich demütig vor der demütigen Hirtin. Die Adonisröschen erröteten vor der Holdseligkeit der Magd. Und ich, der Dichter unter den Göttern, liebte sie um ihres reinen himmlischen Blickes wegen, der von solcher sanfter Wehmut umflort war. Ich liebte sie auf einen unsterblichen Blick und wollte nichts, als um ihre Freundschaft zu werben, allein um ihre Freundschaft, denn ihrer Liebe achtete ich mich wert nicht genug. Dennoch war Eros, der Gewaltigste der Götter, meinem Herzen unhold-hold und zündete ein unsterbliches Feuer an, so ward mir die Freundin zur Geliebten! Daphne, Daphne, Daphne, seufzt ich den ganzen Tag, da meine goldene Rüstung den Tag erhellte, und auch des Nachts auf meinem Lager im hyperboräischen Thule. Daphne, Daphne, war all mein Lied, und Daphne, Daphne, war all meine Weisheit, und Daphne, Daphne war all mein schmerzliches Glück, und Daphne, Daphne, war all meine Hoffnung meines Erde-durchwandelnden unsterblichen Lebens! Da nahte ich ihr. Sie floh scheu vor mir zurück. Da begehrt ich, sie in meinen Armen zu halten, wie Zeus, mein Vater, einst als Schwan der Jungfrau Leda genaht war. Aber Daphne war zu rein für irdische Liebe, selbst wenn es irdische Liebe eines unsterblichen Dichtergottes war! Sie floh mit fliegenden Schritten, wie ein reine Taube vor einem Falken flieht. Und als ich sie mit meinen fliegenden Schritten ereilt hatte, da rief sie auf: O Gott der Poeten, erbarme dich meiner! Entweihe mich nicht, denn ich bin eine allzu zarte Seele! Aber erweise mir die eine Gnade, du Dichtergott, und wandle mich in einen Lorbeerstrauch, auf daß ich ewig die Locken der Musensöhne kränze, und du, o Musagetes, ewig in deinen Knechten meiner gedenkst und wie du mich liebtest! In dem Augenblick blühte in meinen Armen ein duftender, unverwelklicher immergrüner Lorbeerstrauch. Auf seine Blätter ließ ich meine Tränen fallen. Ich gäbe meine Unsterblichkeit für Eine Umarmung ihrer Jungfraunarme, und da ich entbehren muß, tönt meine siebensaitige Leier, die sonst die Weltenharmonien tönt, nichts und wieder nichts als schrecklichen Mißlaut, der alleine Melpomene zu gefallen vermag. Weh mir und dennoch auch Heil mir, daß ich Daphne sah!“

Die heiligen Musen waren tief bewegt. Sie sprachen Musagetes, dem Gott der Dichter, den Kranz zu. Dieser aber lächelte weise und sprach: „Hebt diesen Kranz auf für meinen Knecht, der kommen wird und singen wird, nicht besser als ich, aber wenn er gut und schön zu singen weiß, dann singt er, wie ich. Ihm drückt den Lorbeerkranz in die Haare seines Hauptes!“ Damit schwang sich Musagetes in den goldenen Wagen, rief einen seligen Ton, da erhoben sich seine beiden schwarzen Schwäne (Schwan und Schwanin) und flogen mit dem goldenen Wagen und Musagetes, dem Engel der Poesie, in das Land des Ostens.

Die Musen sahen zu Marsyas, der sich am Boden wand in Schmerzen. Darum, weil er herausgefordert den heiligen Sohn des Zeus, den Gott der Poeten, und sich ihm wollte überlegen wissen, hatte dieser ihm die Haut vom Leibe gezogen. Ohne seine Haut kroch blutend Marsyas von der Höhe herab, stolperte und rollte den Hang herab in den Abgrund.

Von seitwärts aber kamen zwei Dichter gewandelt, einer herrlicher als der andere. Der eine hoch und schlank, mit langem braunen Haar und vollem Bart in der Mode eines Ziegenhirten, der andere kleiner und breiter, aber mit tiefblickenden Augen im bartlosen Antlitz, aus denen die Weisheit der Schwermut sprach. Es waren Linus und Amphion.

Und Linus war der Sohn des Dichtergottes und der Prinzessin Psamathe. Als Kind war er ausgesetzt worden, aber von einem Hirten gefunden und aufgezogen. Er ward des zwölfjährigen Herkules Lehrer im Saitenspiel. Und nun stand er auf dem Berg der Musen und begann, seine Lyra zu streichen und die Stimme zum Gesang zu heben:

„Singen will ich von Myrrha, der lieblichen Myrrha von Smyrna, und von ihrem traurigen Los! Segne mich du, o Muse der Liebe, und du, o Muse der Klage, denn euer Werk beginn ich und unternehm ich mit meinem Gesang! Auf denn, laßt uns Myrrhas Schönheit preisen! Blau waren ihre Augen wie der Himmel, wenn der Sonnengott ihn heiter durchlächelt, und blau waren ihre Augen wie die Augen Athenes, der blauäugigen Tochter Zeus! Ihre Haare waren golden wie das Haar der Venus oder wie die wogenden Weizenfelder der Ceres! Ihre Haut war weiß wie die Milch der Luna oder das Schwanengefieder der Mutter Latona, die den Dichtergott gebar! Sie war so schön, daß die Schönheit selbst, die Göttin der Schönheit Aphrodite, eifersüchtig ward auf die herrliche Myrrha. Da sprang vom olympischen Thronsitz Aphrodite auf, die Wangen in Zorn gerötet, die Locken fliegend, die Blicke blitzend und rief in Wut und Rage: Ha! Verderben will ich Myrrha von Smyrna! Keine soll sich rühmen, an Schönheit die Liebesgöttin und Herrin aller Lüste zu übertreffen! Myrrha von Smyrna stürz ich ins Elend, daß ihre himmelblauen Augen weinen, daß sie ihre goldenen Haare rauft und daß ihre milchweiße Haut zu Totenblässe wird! Und mit diesen Worten eilte die gräßliche Aphrodite zu dem Vater der Beneideten, dem König von Assyrien, König Thias. In dessen Herz und Fleisch warf die lüsterne Göttin ein frevlerisches Feuer und eine dämonische Begier nach dem herrlichen Leib seiner zarten Tochter. Thias ward überwältigt von dem Dämon der Eifersucht Aphroditens und nahte in einer Nacht seiner reinen unschuldigen Tochter, nahte zu nah ihr und überwältigte sie mit Gewalt! Myrrha war starr vor Entsetzen! Sie erbleichte, sie raufte sich die Haare, ihre Augen füllten sich mit Tränen, ihre Stimme versagte, aber ihr an allen guten Göttern verzweifelnder Geist rief: Himmel! rette deine elendste aller Kreaturen! Da erbarmte sich der König und Vater der himmlischen Lichter und verwandelte Myrrha in einen Baum: Ihr Leib verwandelte sich in einen Stamm, ihre Beine wurden von Rinde überzogen, ihre Arme breitete sie aus zu Ästen, ihre Haare wurden zu süßduftenden Blättern, aber ihre Augen quollen beständig über von Tränen, und ihre Tränen entquollen dem Baum als das heilige Myrrhenharz, mit welchem Adonis im Tode ward gesalbt. Dieser nämlich trat aus dem Myrrhenstrauch hervor in göttlicher Schönheit, und sein Ende, das Ende eines Gottes und eines Heroen, beweint von Myrrha mit dem heiligen Harz und von der reuigen Aphrodite, ist ein andres Lied, das andre Dichter zu singen unternehmen mögen!“ Damit endete Linus, der ein Sänger in den heiligen Frühlingsfesten des auferstehenden Adonis war.

Nun trat Amphion vor. Er war einer der Söhne Zeus, geboren von der Antiope. Mit seinem Zwillingsbruder Zethus war er ausgesetzt worden gleich nach seiner Geburt, aber von einem Hirten gefunden und aufgezogen, wie Linus. Seine Lyra hatte er aus den Händen Musagetes höchstselbst empfangen. Er blieb zeit seines Lebens ein Hirte, und entzückte doch alle als Dichter. Sein Lied war so entzückend, daß sich auf die Bewegungen seiner Melodien hin die Steine bewegten und sich bauten zu Mauerwall und Toren und Türmen von Theben. Dieser nun hob seine Stimme, schlug die Saiten und begann derart:

„Singe mir, Mnemosyne, den uralten Mythos von der herrlichen Aura und ihrem jammervollen Ende! Siehe, Aura war eine treue Gefährtin im Kreise der reinen Jungfraun, welche die himmlische Jungfrau Parthenion begleiteten bei ihren Streifzügen durch die Ökumene. Sie war eine Prinzessin Arkadiens, Tochter der Nymphe Periböa, aber sie hatte Vater und Mutter verlassen, um im keuschen Reigen der Jungfrauen Dianas zu wandeln. Nun hatte aber der Gott des Wahnsinns, Bromios, sich in die Sterbliche sterblich verliebt und begehrte sie zu einer Braut. Darum nahte Bromios der keuschen Aura, die sich schüchtern zierte und sagte: Nein, sondern mit den heiligen Jungfraun der Göttin Parthenion will ich wandeln alle Tage und keinen Mann und keinen Halbgott erkennen, als nur den Höchsten! Bromios war gekränkt in seiner Ehre und wandte sich an Aphrodite, daß diese ihm helfe. Aphrodite stieg hinab in die Unterwelt und rief die Götter des Schlafes und der Träume und der Phantasie, Morpheus und Hypnos und Phantasus, daß sie mit einem betörenden Gaukelspiel die schlafende Aura umgaukelten auf dem Nachtlager. Dies geschah, und so geschah es, daß Aura träumte einen Traum, daß die Göttin Parthenion selbst ihre kleine Jüngerin legte in die Arme des rasenden Gottes des Wahnsinns. Als sie erwachte, war sie voll der brennenden Leidenschaft, die eine Tochter Aphrodites war und Mutter aller Torheiten. Darum seufzte Aura nur nach Bromios, und dieser nahte ihr, er wohnte ihr bei und zeugte in ihrem unbefleckten Schoß ein Zwillingspaar. Dies brachte sie unter Schmerzen zur Welt. Aber die Liebe des Wahngottes hatte tiefe Spuren in ihrem Geist und in ihrer Seele hinterlassen: Sie war krank geworden und verrückt, und immer schlimmer wurde ihr Wahnsinn, bis sie schließlich ihre beiden Neugeborenen mit Haut und Haaren auffraß und sich gesättigt an ihrer eignen Leibesfrucht wildschreiend ins Meer hinabstürzte und ertrank. Bromios aber, der Untreue, hatte sich bereits der Ariadne zugewandt, die er auf den Olymp entrückte, dort mit ihr der Wollust zu genießen. Das allerdings ist ein Thema für das Lied eines andern Poeten.“ Damit endete Amphion seinen Gesang.

Die Musen beratschlagten sich, welchem von den beiden Dichtern der Preis zuerkannt werden müsse. Aber während sie sich noch beratschlagten, nahten zwei weitere Dichter, sie kamen von Osten den gewundenen Pfad zum kastalischen Quell gewandelt. Es waren Eunomus, der Lyriker mit seiner neunseitigen Zither, und der große prophetische Poet Orpheus. Die Musen entschieden, auch diese beiden Dichter noch zu hören, bevor entschieden würde über den Preis.

Also stimmte Eunomus seine neunsaitige Zither und strich die Saiten, erst zart, dann stürmischer werdend in einem dorischen Vorspiel. Aber beim Stürmischerwerden seines Vorspiels riß ihm eine der Saiten. Hilflos blickte er drein, aber aus den heiligen Hainen des Parnassos kam eine grüne Grille geflogen, spannte ihre Flügel über die Zither und opferte ihren schöngeschaffenen Leib auf als eine Saite für den staunenden Lyriker. So begann dieser nun zum Zitherspiel dieses zu singen:

„Liebe will ich singen, und alle Musen mögen im Reigen mit Amor mir beistehn! Siehe, Liebe ist ein Weg der Schmerzen und der Qual zum Tode und zu gleicher Zeit eine selige Kraft und ein Flug ins Land Elysium. Liebe ist die köstliche Erfahrung des Einsseins alles Lebendigen und das schmerzensreiche Ertragen aller Entfremdung. Liebe streckt den einen Flügel in das Reich der Träume und den andern Flügel in die Plackerei der Bauern. Liebe ist eine gemeinsame Meerfahrt durch die endlosen Meereswüsten und ab und an eine Insel der Calypso mit herrlichen Feenpalästen und fruchtbaren Gärten. Liebe ist das Mysterium und ein herrlicher Abglanz der Gottheit des Anfangs. Liebe ist eine herrliche Philosophie, welche ihre Dummheit gelassen erträgt. Liebe ist die Einsamkeit des Zeussohns im Olivengarten und ist der selige Frühlingsjubel bei der Wiederkunft des Zeussohns über die Meere. Liebe ist ein unendliches Lied der heiligen Musen und die Kraft der Mutter Erde. In Liebe ist die Zweiheit einig und die Einheit entfaltet. Liebe ist das dauernde Kämpfen von Sympathie und Krieg, denn der Widerspruch ist Vater aller Dinge, aber die Liebe ist die Versöhnung des Widerspruchs. Liebe ist der mühselig-fleißige Ackerbau Hesiods und zugleich ein Geschenk der Charis und ihrer Grazien. Liebe ist eine Flut von Tränen und zugleich der höchste Genuß, den Epikur zu erstreben riet. Liebe ist eine gemeinschaftliche Suche nach der Wahrheit und dem Guten und der herrlichen Schönheit des Ewigen. Liebe ist eine Beflügelung der Sehnsucht und eine unerschütterliche Hoffnung auf den Garten der Hesperiden mit den goldenen Äpfeln des Lebens. Und Liebe ist meine Sehnsucht nach Melione, die im Süden weilt fern von mir, die Geliebte!“ Damit endete Eunomos seinen Gesang.

Nun trat Orpheus vor. Seine siebensaitige Leier ward von dem Musensohn gespielt, als ob ein Gott sie streiche, dazu sang er mit einer Stimme, die er von seiner Mutter Calliope, einer der Musen, geerbt hatte, dieses Lied:

„Einst war ich wortreich, als ich noch unter den Lebenden weilte, nun aber laßt euch, ihr Menschen und Heiligen, nur genügen an einem kurzen Liede: Das Leben ist mir nichts als der Mangel an Leben. Die Liebe ist mir nichts als das Fehlen der Liebe. O ihr todlosen Götter, ist nicht Einer unter euch bereit, den Tod zu schmecken, der so bitter ist? Mir ist er allgegenwärtig, denn meine Liebe ist der Tod! O Tod, du Allversöhner, der du meine streitende Seele mit sich selbst versöhnst und mich heimführst in den seligen Schoß der Liebe! Dir sei Lob, denn du, o Tod, bist das wahre Leben, und das Leben ist nichts als ein tägliches Sterben! Darum preis ich den unter den todlosen Göttern, der in deine Tiefe herabdringt, um bei mir zu sein, der ich ein Abgeschiedner bin und als Schatte nur im Seufzen auf der Erde wandle, den Menschen die Botschaft zu bringen vom seligen Tod, der Leben ist.“ Damit endete Orpheus das Lied. Die Musen gaben, geheimnisvoll genug, ihm den Lorbeerkranz.



DAS GRÄUELBILD DER ZERSTÖRUNG


Orpheus schritt im braunen Gewand eines jungen Mannes durch die Frühlingswiesen Thrakiens, seiner Heimat. Er war zu den Seinen gekommen, aber diese wollten ihn nicht hören, sondern waren alle in Ekstase und bacchantischem Taumel. Er trug aber mit Würde in den Haaren den Lorbeerkranz der heiligen Musen und in seiner Rechten die siebensaitige Lyra.

Am Abend begab er sich in einen Myrtenwald auf einem Hügel, um tief nachzusinnen über das dialektische Geheimnis von Liebe und Tod. Er war allein und eine heilige Wehmut erfüllte seine Seele. Seine Liebe war im Jenseits, und nichts mehr erwartete er von der Erde und ihren epikuräischen Freuden. Er sah am Hang des Hügels drei junge Hirten im Gras schlafen und fühlte sich um ein vielfaches einsamer, da er Menschen in der Nähe wußte. Er warf sich mit dem Angesicht auf die Erde, ob sie ihm Kraft zu geben vermöge, aber ihm wurde noch wehmütiger. Da erinnerte er sich eines Wortes der Toten: „Theos...“ Ja, die Gottheit, die zu suchen war er berufen. „Theos“, flüsterte er, „von Wehmut durchdrungen ist meine Seele. Sende mir den Becher des Trostes, laß an mir vorübergehn den Schierlingsbecher des Eros und der irdischen Liebe, denn nicht mehr bin ich von dieser Welt. Komm, o Theos, und offenbare dich mir! Siehe, dich suche ich von meinem ersten Gedanken an, und früher schon, im schwebenden Schweigen des Windes ahnt ich dich. Wer aber bist du? Wie soll ich dich rufen, welchen Wesenzug dir beilegen? Alle wollen dich finden im ekstatischen Jubel, ich aber kann nicht anders, als dich in der Wehmut der Einsamkeit zu suchen und zu ersehnen.“ Da umschwebten ihn die Geister der Natur, wie leichte Lüftchen, wie Blütendüfte, und trösteten ihn.

In dem Augenblick hörte er von ferne näher kommen ein hohes Gekreische und Gejauchze von Weiberstimmen und ab und an den tierischen Brunstschrei eines Kerls dazwischengellen. Es war der bacchantische Zug, der da nahte, der hügeldurchschweifende, fackeltragende, lustbesessene Zug der Weiber des Dionysos.

Nein, diesen Dionysos hatte Orpheus nicht gesucht. Im Mysterium des Jacchos hatte er eine andere, dunkle, mystische Weisheit geahnt. Aber in diesem Triumphgeschrei der Erdgeborenen, in diesem Lustgetöse der Weltkinder suchte er den Gott nicht zu finden, welcher die Wahrheit war.

Näher kamen die Mänaden und ihr Anhang. Junge, hinreißend schöne Weiber führten den Zug an. Ihre Lippen waren geschminkt mit ägyptischer Lippenschminke, ihre Haare gefärbt mit dem Rot der zyprischen Hennablume. Ihre Kleider hingen dünn und lose um ihre wallenden wogenden Leiber. Sie blickten begierig in die Nacht hinaus, wo zu begehen wäre eine Orgie, ein rasendes Fest des Fleischgenusses. In ihrem Gefolge war Silenus, der alte Weintrinker, welcher als der Lehrer des Dionysos galt, und die Satyrn, die Waldgeister, und die Bocksfüßigen, die Panisken, und dreist und obszöner Gesten der Gartengott Priapus mit seinem Phallus-Zepter. Orpheus entsetzte sich.

Die Führerin der Mänaden, Ctesylla, trat zu Orpheus, dem Schweigenden. „Komm, laß dich küssen und küsse mich, denn wir wollen heute keinen Jüngling und keinen Mann in Thrakien sehen, der nicht mitfeierte bacchantische Taumelfeste des Dionysos! Was schaust du so elend? Fließ über vor Selbstmitleid und geh daran zugrunde, oder komm zu unserm Fest und Jubeltanz, denn mit Jubel und Heiterkeit und rasendem Tanz, so wollen wir den Gott des Lebens und der Lebensfreude feiern! Also, willst du nun wie ein Toter, wie ein Abgeschiedner und gespensternder Schatten durch die nächtlichen Haine schleichen? oder willst du inmitten rasender Weiber den Reigen tanzen und fühlen, daß du in Saft und Kraft, in Fleisch und Blut ein Mensch bist?“ Damit umschlang sie seinen Hals und küsste ihn.

Die Mänaden jauchzten auf, schwangen die Fackeln aus Pinienholz und schüttelten ihre losen Haare mit den Efeukränzen. Ihre Pantherfelle oder Ziegenfelle hingen ihnen halbzerrissen um die bloßen Leiber. Nicht wie Amazonen waren sie Einbrüstige. Alles dampfte die verschwitzte Schwüle der Wollust. Orpheus aber sah sie nicht, er war blind für ihr Fleisch und taub für ihre wilden Triumphgesänge. Vor seinem Auge war es Nacht. In der Nacht war ein Hain. In dem Haine wandelte eine weiße Gestalt, ein seufzender Schatten, mit blutiger Ferse - Eurydice - oder - die Königin der Liebe?

Ohne Widerstand zu leisten, ließ sich Orpheus fortziehen von dem Mänadenschwarm. Sie nahmen ihn in ihre Mitte, umdrängten ihn mit ihren feirenden Leibern, die Satyrn wollten sich verbrüdern mit ihm und lachten ihn an: „Siehst du überall denn nichts als die Dämonen des Hades? Oder bist du einer von den Philosophen? Oder glaubst du naiv ans Gute und Wahre und Schöne? Oder willst du ein heiliger Mann werden in Athenes Burg? Laß das alles fahren! Die Wahrheit liegt im Wein, und darum schuf Dionysos auch die Weinstöcke, daß wir in Raserei der Trunkenheit und Wollust der Lebensfreude seinen Triumph feiern, denn er ist aufgefahren zum Olymp! Evier! Feiert Dionysos, feiert Dionysos, denn er ist aufgefahren zum Olymp, er ist wirklich aufgefahren zum Olymp, so feiert Dionysos, feiert Dioynsos!“ und so fort, und wollt kein Ende nehmen.

Ein altes Weib mit wüsten grauen Haaren, spitzer Nase und faltigem Kinn trat inmitten die Schar und hob die Hände und schüttelte sich und rief in einem fort: „Evier, Evier! Laßt euch erzählen von Pentheus und der gewaltigen Schrecklichkeit des großen Zerreißers Dionysos!“

Und damit begann das gräuliche Weib, die eine Mutter des Dionysos war, zu schildern: „Er, der in Indien war erzogen worden von seinen Müttern, deren ich eine bin, er durchzog den Erdkreis, überall seine Gesetze des Weines und des göttlichen Wahnsinns aufzurichten. Gütig war er gegen seine rasenden Jüngerinnen, aber schrecklich und unbarmherzig gegen alle Feinde seines sinneverwirrenden Gottesdienstes. So kam er auf den Wanderungen von Indien durch das Land der Phönizier, wo man ihn Baal rief, und kam in seine Vaterstadt, das siebentorige Theben.

Dort war Pentheus, der Sohn des Echion und der Agave, König. Agave aber war eine Schwester der Mutter des Dionysos, der blitzverbrannten Semele. Pentheus aber fand den Gottesdienst des Dionysos einen Gräuel. Alle Weiber Thebens rissen sich von ihren Gatten los und strömten den Scharen der rasenden Mänaden im Gefolge des Dionysos zu, es war eine große Erweckung unter den Weibern, und sie schrieen alle in unverständlichen Sprachen des Wahnsinns die schrecklichholden Hymnen des Gottes: Evier! Evier!

Pentheus aber rief den Rasenden zu: Welch ein Wahnsinn hat euch befallen? Theben wurde in zweitausend Jahren niemals eingenommen von seinen Feinden, weder mit Feuer noch mit Schwert, und nun soll ein trunkener Jüngling mit Efeu im Haar und zerrissenen Pantherfellen um seine milchgewaschenen nackten Glieder das heilige Theben einnehmen? Nun soll euer Jauchzen die heiligen Mauern stürzen? Nun sollen unsre ehrwürdigen Gottesdienste, in der Stimme stillverschwebenden Schweigens den hohen Himmlischen dargebracht, zu einem Triumphgejauchze des siegreichen Götterjünglings werden? Sinnverrückte, berauschte Narren in eurem Gefolge und grellgeschminkte Weiber! Alle Ehrfurcht vor den hohen Heiligen ist dahin und zerstört durch eure Verzückungen und Lustgesänge! Wehe euch! Denn so gefallt ihr den edlen Olympiern nicht! All diese rauschende Gottesverehrung ist nichts als eine einzige Täuschung, als eine einzige lustvolle Lüge! So lästerte Pentheus den Dionysos, der freudlose Pentheus!

Er sandte seine Knechte aus, den Dionysos gefangen zu nehmen. Diese aber kamen mit blutigen Köpfen wieder. Wo ist Dionysos? fragte Pentheus. Einen aus seinem Gefolge konnten wir fangen, den Schrecklichen selbst aber nicht, gaben sie zur Antwort. Pentheus befragte den Gefangenen, der aber war stolz auf die Majestät und Herrlichkeit seines Gottes und sang Lobpreis: Evier, Evier! Dionysos ist aufgefahren, feiert Dionysos, feiert Dionysos, denn er ist aufgefahren! Pentheus aber ließ den Lobpreisenden martern.

Dann begann er mit einer Verfolgung des Dionysosdienstes. Seine Mutter Agave aber und alle seine Schwestern waren mit im Mänadenzug und tanzten zuckende Tänze dem Gotte und lachten ihr irrsinniges Lachen zu seiner Ehre.

Pentheus aber sandte erneut Knechte aus, Dionysos zu fangen. Dieser aber kam freiwillig mit, unberührt, milde lächelnd in seiner törichten Weisheit. O, er war so schön! so jung! so herrlich! Evier, Evier! O Dionysos, du bist herrlich, du bist herrlich, o Dionysos! Aber mitten durch die Schar der Knechte des Pentheus ging Dionysos und trat in den Kreis der verzückten Weiber. Sieg und Triumph dem Gott des Wahnsinns! Triumph dem Schönen und Herrlichen!

Aber Dionysos trat erneut vor den König Pentheus und sprach zu ihm: Verblendeter, der du zuwider bist meinen tanzenden Weibern! Lege ab deinen Königsmantel und hülle dich in weiche Frauenkleider, dann tritt in die Schar der tanzenden Gottesversammlung, sie werden dich in Frauenkleidern nicht erkennen, anders auch würden sie dich grimmig zerreißen, denn du lästerst ihre Freude und höhnst ihr Lachen!

Pentheus folgte Dionysos in Frauenkleidern. Der Gott des Wahnsinns hatte dem trotzigen König schon den Wahnsinn in den Geist gesandt. Pentheus hielt die Sonne für ein Doppelgestirn, Dionysos für einen goldenen Stier, und in bacchantischer Raserei und in lachendem Zucken eilte er durch das fichtenbestandene Tal, wo die jauchzenden Weiber ihre Efeulocken schüttelten und ihrem Wahngott Lobpreis sangen: Evier! Er kommt wieder! Evier! Da bricht sich Freude Bahn und Lachen und Tanz und zu seiner Ehre wollen wir feiern ein Fest, denn er ist der Herrliche, Evier!

Dionysos bog einen Tannenwipfel herab und setzte Pentheus in den Wipfel und ließ die Tanne sich wieder aufrichten. Da hing der König im Baum. Der Wahngott rief seine Weiber, diese bewarfen den König mit Steinen, höhnten und lästerten ihn und begannen, die Tanne umzuhauen. Mit der Tanne stürzte Pentheus herab. Agave aber, seine Mutter, war die Erste, die ihn zerriß! Sie hielt ihn für einen Löwen, so hatte die schreckliche Herrlichkeit unsres Gottes Agave verblendet. Pentheus’ Schwestern rissen ihm die andern Glieder ab. Agave setzte sein blutendes Haupt auf ihren efeuumschlungenen Thyrsosstab und trug es durch die Wälder des Kithairon.

So ergeht es allen Gotteslästerern! Freude ist mit uns, denn unser Gott ist ein herrlicher Triumphator, der als erstes den Weinstock des Jubels pflanzte! Evier! Er ist aufgefahren! Evier! Er ist herrlich!“ So schloß die Mutter ihren Lobpreis, fiel auf den Boden, wandt sich in Zuckungen, lallte in einer unverständlichen Sprache, krähte wie ein Huhn und lachte wie irre.

Mit einem irdenen Kruge voll des schwersten Weines, gekränzt mit silbergrünem Efeulaub in den schwarzen Haaren, die Augen rollend und grau wie ein Meer, sich die unrasierte Wange kratzend, trat Silenus vor, der Erzieher des Dionysos, ein stets trunkener Mann. Er hob seine Stimme zu diesem folgenden Hymnus:

„Ihr wisst, ihr unholden Scharen, daß unser schrecklichheiliger Dionysos erzogen worden in Indien. Lasst mich also sagen, wie er sich gebärdete im fruchtbarschrecklichen Indien: Man rief ihn Schiwa in Indien. Im Beginn des Frühlings feierte man zu Schiwas Ehren die Schiwararti-Feste. Man sang die freisten Lieder, zügellos und vulgär, denn Schiwa war ein Gott des primitivsten Lebensgenusses. Während einige sangen: Wir begehren dich, Weib Leben, sangen andre, wir sind verliebt in dich, Weib Leben, und es war dasselbe gemeint. Denn Schiwa kam zu dem Weib Leben und zeugte in ihrem Schoß das Lebendige mit seiner Lust. Und das Weib Leben war Parvati, war die Göttin, die man auch die große Ganga nannte, denn sie war fließend, dunkel, geheimnisvoll, empfangend das zeugende, schöpferische Feuer in ihren Grotten. Schiwa war der zerspaltende Blitz, in sich zerrissen zwischen Feuer und Geist, aber aus seinem Lingam strömte der spaltende Blitz, das zeugende Feuer, denn er tat sich auf, wenn er sich als Säule offenbarte, spaltete sich, spaltete die Säule und trat hervor in Feuerglanz, dann schüttete er das Feuer aus, in der Raserei der Wollust, und verglühte die dunkle Nacht der Ganga. Die warf ihre flutenschlammbraunen Locken, beglänzt vom bengalischer Feuerröte, wild um ihren entfesselten Leib und strömte entgegen dem sich im Lingam offenbarenden Feuergott der zeugenden Leidenschaft. Da war wollustvolle Vereinigung zweier Prinzipien, Nacht und Blitz in einem, Lingamflamme und Gangaschoß in einem, und so trieb es in einem urheidnischen Mysterienspiel des Zeugens und Empfangens wildrollend und wildwälzend in einem fort und fort, Leben schaffend, erhaltend und zerstörend in einem Augenblick. Und Schiwa war so gewalttätig zeugend, so zügellos in Besitz nehmend, so schrankenlos überwältigend die Wasserseele der Ganga, daß er auch der Zerstörer genannt ward, denn er war die Wollust des Todes, er war der Blitz aus dem Herzen der Nacht, er war das Feuer des Zornes, in welchem der Schleier der Maya verbrennt und übrig bleibt die nackte Existenz des Lebens, das unvernichtbar ist. Schrecklich ist Schiwa, und in wem er wütet, der ist blitzgespalten, schrecklich ist Schiwa, und in wem er rast, der ist feuerverbrannt und verglüht in den Flammen der fleischlichen Inspiration. Er ist Fleisch und zerreißt sich selbst, er ist Fleisch und wühlt sich in die Wasserseele der Ganga, die ihm nicht wehren kann. Er ist das Zentrum alles Schrecklichen, aller Gewalt, alles Überwältigens, aller Zerrissenheit der Menschen, denn er ist das Fleisch in seiner triumphalen Hoffahrt, streitend gegen den göttlichen Atem. Darum fürchten alle hohen Asketen die schauerliche Gewalt der zornigen Schiwa, denn er zerreißt ihr Fleisch und verbrennt ihren Geist zu einem beschämenden Haufen nichtiger Asche. Wehe dem, der in Schiwas Händen fällt!“

Aber einer der Panisken trat vor und bellte wie ein Hund: „Großer Silenus, du selbst blitzgespaltener Meister der dionysischen Geheimnisses, lehre uns, wer des Schiwa-Dionysos Braut ist, denn wer ist jene, die ertragen kann die Geheimnisgewalt des Blitzgezeugten Wahngottes in dem Wüten seiner Raserei?“

Da schüttelte Silenus sich, schüttelte alle seine Glieder in Zuckungen, und rief mit schäumendem Munde: „Ganga nannt ich sie, weil sie dunkles Wasser ist, aber nennen will ich sie Parwati, als die, die auf dem Gipfel des Berges dem Schrecklichen beiwohnte: Siehe, wenn Dionysos liebt, dann liebt er nicht Parwati, aber wenn er begehrt und wütet, dann begehrt er Parwati und wütet um sie. Denn sie ist die lockende Flut der Tiefe und der provozierende Gipfel des Berges, des Doppelgebirges, der den Himmel küsst. Sie ist die, die dem Reden seiner Wollust schweigend ergeben ist, denn sie ist ein Berg, er aber ein Reden der Wollust, sie aber das Schweigen der Materie, denn nicht im Geiste antwortet sie ihm, sondern mit dem Entgegendrängen der Erde. Ihre Locken sind geringelt wie feuerglühende Schlangen, ihre Lippen sind scharlachrot wie das Feuer der neun untern Regionen, ihre Brüste sind die Gebirge des Himalaya, den triefenden Blicken der regenschwangeren Wolken offenbar mit ihren Gipfelspitzen. Sie ist die dunkelergebene Wollust der Erde, und Gespräch mit Schiwa ist sie, in dem sie ihn zum Reden auffordert: Erzähle mir, mit welcher Wollust du den Grotten der Erde ergeben bist, du niederregnender Stier!“

O wie schrecklich fand Orpheus diese besinnungslosen, sinnlos-dampfenden Reden des Silenus. Der sprach in einer Raserei der Trunkenheit, mehr malend mit Worten, als Gedanken äußernd. Er selbst, Silenus, konnte die dämonische Macht dieses dunklen Urtriebes nicht fassen in seinem Geist, denn die Wollust von unten konnte von keines Menschen Geist erfasst werden. Geist erfasste Geist, das Fleisch allein lebte das Drängen des Fleisches. Und während in den Reden des Silenus das Fleisch sich zu einem Mysterium erheben wollte, schwand die Seele des Orpheus in geistiger Luft und suchte den Frieden in einem Gespräch mit der heiligen Liebe.

Aber da ihn umgab das schwüle Dampfen des religiösen Fleisches, kam er nicht zu einer lichtblauen Friedlichkeit des Geistes, sondern in ihm wühlte herauf das Untere, das Zügellos-Wilde, Animalische, das ihn drängte zu den Mysterien der Sünde. So riß es ihn auseinander, und während seine Seele schwebte wie ein hellblauer Adler in den Lüften, der lichten blonden Sonne offen ins goldige Antlitz schauend, stritten unten in den Talgründen seiner Seele sich die schwarzen Panther mit den Schwarzbären, die sich zottelig anbrummten und sich gegenseitig zerfleischten und kannibalisch auffraßen.

So war dem Herzen des Orpheus, das geisterfüllt war, der Dionysoskult ein Gräuel, und er sehnte sich nach dem apollinischen Licht des Himmels, da die heiligen Himmlischen schicksallos wandelten in den genialen Höhen des ewigen Geistes, aber - weh ihm! - sein Herz war noch gebunden durch die Geburt des Menschen aus der Wollust der Natur an die zerfleischenden Panther, so tobte in den dunklen Grotten und geheimnisvollen Dorndickichten seiner Seele der streitbare Schwarm der Dionysosweiber, alle Lockung zum Tode, alle mit Blitzblicken ihn zerspaltend, alle nach ihm greifend mit Schlangenarmen, den Adler in den brodelnden Schlamm zu ziehen, ihn dort zu ersticken in dem Blutdampf des Fleisches.

Und Orpheus sah lichtblaue Wiesen, auf denen weiße Lilien blühten, da Genien mit fernschauenden Schwingen trieben in heiterem Gleichmut, da Psyche wandelte wie ein Sommerschmetterling, da die goldenlockige Himmelskönigin in goldnen Sandalen wandelte mit dem Sohn des Lichts, da aus einer himmelblauen Blume ihn das heilige Antlitz der goldenhaarigen Eurydice anblickte.

Und Orpheus sah an die westlichen Ufer des Meeres von Atlantis, da Schlingpflanzen geilsummende Fliegen fraßen, da die Rankgewächse die hohen Stämme würgten, da Holz stürzte und verfaulte und gefressen ward von Scharen wimmelnder Ameisen, da Schlangen lässig und faul von den uralten Bäumen hingen und träumten in dem dampfenden Dunkel des Dickichtlichtes, und alles brütete in der Hitze, und die Natur war wie ein Schoß einer Schwangern, Fruchtbarkeit zeugend, und gesättigt mit Schwüle und bewußtlosem Drang der Zeugung. Und Orpheus schnappte nach Luft und fürchtete, zu ersticken an diesem Schlangenrankgewirr des orchideenreichen Blätterdickichts, und schrie nach der Sonne!

Da riß es ihn heraus, mit der heiligen Macht der Gottheit seiner Liebe! Und er sah die Mänaden herumtoben in sinnlosen Zuckungen, und er sah, wie ein tiefschwarzer Schatten über ihnen lag, und er wußte, daß dies brodelnde Lebenzeugen gefangengenommen war von der mystischen Macht des Todes! Denn Parwati war Schiwa ergeben, und dieser trug an seinem Hals eine Kette, an welcher hundert Menschenschädel hingen, denn das Fleisch war bestimmt der Verwesung, die Gier und Geilheit war dem Verfall ausgeliefert, und tanzend tanzten sie in das Feuer des Orkus, dort in Zuckungen um ihren Geist weheklagend. Denn Orpheus sah, daß die Gottheit Geist war, und das Mysterium des Fleisches kämpfte, wie Gigantenstürme, gegen den olympischen Geist des Äthers, und Vater Äther war unberührt von dem besinnungslosen Treiben der Kinder der Erde, denn der Geist war stärker als das Fleisch, und Vater Äther triumphierte in der Rüstung der siegreichen Sonne über die rebellische Erdmutter.

Wie eine goldene Lilie lächelte die Himmelskönigin, Jungfrau Minerva lächelte in ihrer Weisheit. Und Vater Äther war das Licht eines heiligen Blitzes, der die erdentstammten Rebellen zerspaltete und verbrannte. Und in goldener Rüstung ging der Zeussohn als ein Bräutigam im Osten herauf aus seinem Zelte tretend und schritt in majestätischem Frieden über das Firmament, den Pythondrachen tötend, welcher den Quell des Inspiration vergiftete. Denn hier war Orpheus eingewoben in das Heilige, in das Reine, in das Reich der ewigen Ruhe, fern des inneren Streites, in elysische Lilienwiesen ätherischer Blumen, in denen Genien und selige Jungfraun wohnen, und darunter die Königin seiner Seele, die abgeschiedne Eurydice mit den goldenen Haaren, selbst ganz Licht und Hingabe an den Vater Äther.

Und Orpheus flog in seinem Geiste unberührt wie ein Adler hinan und hinan, wie ein Phönix geboren aus dem Feuer seines Streites, aus der Asche seines Fleisches steigend, und flog wie ein heiliger Vogel des Zeussohnes unter den Lichtern des Himmels selig ätherisch dahin, schauend herab aus seiner freien Seele auf die Asche des Fleisches, in letztem rotem Feuer die Asche fressend auf dem Erdboden, und entsetzte sich über die Macht der Mänaden, die den Erdkreis verwirrten, und sah Dionysos an wie den Erzdämon, grinsend wie der dreiste Tod, aus dessen Totenschädel schlangenhafte Würmer geil und gierig fressend hervorkrochen. Und alles ward verschlungen von dem Feuerstrom des Acheron, aber aus den Ätherfluten des Lichtes ward geboren rein und jungfräulich die neue Mutter Gäa, die heilige Erde, mit dem Kranz von zwölf Tierkreisbildern, und ewig jungfräulich-mütterlich, denn in ihren Armen trägt sie den Göttersprößling, der mit seinen unsterblichen Füßen die Erde heiligen wird zur Zeit der 194. Olympiade, denn er wird kommen und berühren die Wiesen Syriens und die Lilien kleiden mit Königsmänteln und die Sperlinge in den Büschen füttern und mit seinen Tränen den verwüsteten Staub der Erde heiligen und neugebären. Orpheus verstand nicht, was er schaute.

Er erwachte aus seinen Traumverzückungen, als Silenus, von den halbnackten Mänaden umdrängt, an ihn herantrat und fragte: „Du bist Poet? Dann sing ein Lied zur Feier der Verzückung des Fleisches, wenn der Phallusgott mit seinen Priesterinnen das unheilig-heilige Beilager hält!“

Orpheus blickte zum Himmel auf, sah eine blendende Sonne und schrie: „Nein! Euch bin und bleib ich fern, denn ihr seid des Todes Diener, ich aber der Unsterblichkeit geweiht!“



TOD DES ORPHEUS


Orpheus stand inmitten der Mänaden, die in Raserei tanzten, sprühender Augen, funkelnder Zornblicke, wogender Brüste, wehender Panther- und Luchsfelle, tobender Haarfluten. Eine, Corydoneia, griff nach einer um ihre Hüfte geschlungenen Schlangenhaut, nahm sie zur Geißel und schlug auf Orpheus ein. Die andern Mänaden schrieen wie rasend vor Wahnsinn auf und jauchzten, sich an der Wollust der Zerstörung berauschend. Hier war ein Fest des Zerreißens! Waren nicht auch die Panther und die Luchse zerrissen worden von den Bacchantinnen, waren nicht die Zicken bei lebendigem Leibe aufgefressen worden? Hier war ein edleres Fleisch, ein geistbegabtes Tier, dies edle Tier zu zerreißen war ein würdiger Dienst für Dionysos! Ah, seine Hirnschale auszusaufen und sich sein Genie einzuschlürfen, das war eine Gräuellust und Schreckenswonne!

Alle stürzten auf ihn ein. Er brach zusammen. Hilflos, wehrlos lag er unter den um ihn stampfenden Bacchantinnen, welche gellende Jubelschreie ausstießen wie tollwütige Affenmütter in Indiens Urwäldern. Einige machten es der Corydoneia nach und rissen sich die Schlangengürtel von den Hüften - lose fielen ihre Gewänder um die Lenden - und peitschten auf Orpheus ein.

„Ah, Triumph dem heiligen Propheten!“ schrie ein Bocksfüßiger aus dem Gefolge des Wahngottes, „hier ist das Löwenfell des Zeussohns Herakles, seines höchstselbigen Ehrenmantels Goldfell um die Schultern dem würdigen Musensohn!“ Die Mänaden kreischten auf vor ekstatischem Lachen. Der Bocksfüßige warf dem verstummten Orpheus einen zerrissenen Löwenfellmantel um die blutigen Schultern.

Corydoneia lachte hell auf, als sie einen Ölbaum stehen sah, riß einige Zweige vom Baum und flocht einen Kranz aus Olivenzweigen: „Sei der Weisheit geweiht, du Narr! Hier komme über dich das heilige Öl der Jungfrau Minerva, denn die Weisheit wird in diesem Augenblick über dich kommen, da du des Todes bist, denn du bist das Opfer - würdig und recht - das Opfer, das wir dem Gott des Lebens bringen!“ Damit drückte sie ihm den Ölzweig in die Haare. Orpheus ließ es alles geschehen.

Die Mänaden banden ihn mit Lederstricken, und während sie sprangen und hüpften, schliffen sie ihn hinter sich her, durch den Staub Thrakiens, einen Hügel hinan, auf dem sonst Schafe geweidet hatten, aber die Lämmergeier hatten die Herde niedergeschlagen, und nur abgenagte Widderschädel mit gewundenen Hörnern lagen noch in den rotblühenden Triften.

Da schichteten die Bacchantinnen einen Opferaltar aus Steinen auf. Der alte Silenus rief weintrunken: „Ein Opfer dem Gott des Schreckens! Aber wo ist der Bock, den wir opfern wollen?“ - „Hier! Den Orpheus nimm zum Bocke!“ schrieen die Mänaden. Die Mütter des Dionysos wollten Zweige sammeln, um das Feuer aufzuschichten, aber Silenus schrie: „Ihr Alten, wisst ihr nicht mehr, ihr thessalischen Hexen, wie die Alten und Uralten den Göttern opferten?“ Die Alten, allesamt inzwischen zahnlose Mütter des Bacchus, kicherten: „Menschenopfer, ja, den Schrecklichen brachten sie Opfer von Knaben da!“ Silenus aber rief: „Und soll dem Schrecklichen dieser Brauch erneuert werden? Soll er sich zufrieden geben mit Panthern, wenn er einen Poeten haben kann? Soll er sich zufrieden geben mit einem Bock, wenn hier der Prophet bereit liegt?“ - „Nein, nimmerdar!“ schrieen die Mänaden, „das Höchste dem Furchtbaren, das Reinste und Heiligste dem Gott aller Schrecknisse! Gebt ihm Menschenfleisch zu riechen!“ Aber Silenus rief in das Getöse: „Nicht verbranntes Fleisch gefällt der schnaubenden Stiernase des Bacchus, sondern statt des Brandopfers gefällt ihm das Speisopfer!“ - „Ha! Wie!“ - „Zerrisset ihr Panther mit den weißen Weiberzähnen und wisst nicht, einen Poeten zu zerfleischen!“ - „Köstlicher Jüngling, duftendes Fleisch, gesund in jeder Fiber!“ Die Wildeste von allen, Corydoneia, schlug ihre Zähne in seine linke Seite und riß ihm ein rohes Stück Fleisch heraus, zermalmte es mit bluttriefenden Zähnen und schluckte es gierig hinunter, rollender Augen, schloß mit einem Jauchzen ab: „Evier, Evier! Dionysos’ Opfer speis ich ihm!“

Orpheus Seele aber war weit fort.

Er sah die Moira, sein Schicksal, in heiligweiblicher Gestalt, in einem blutroten Mantel, über seiner Todesstätte schweben, umglänzt von einem goldenen Schimmer, flüchtig wie eine Erscheinung aus Licht. Dann sah er in der erhabenen Nacht des Äthers einen Thron, daneben stand ein himmlischer Mensch, eben aufgestanden, der sprach zu ihm, Worte, die Orpheus nicht verstand, die seinem Herzen aber übermenschliche Stärke gaben.

„Genius, der du bist!“ sprach Orpheus Seele, „wer bist du, und mit welchem Namen red ich dich an?“

„Ich bin, den du suchtest.“

„Dich sucht ich? Bist du die Krone des Menschen, bist du die Wahrheit, bist du die heilige Liebe?“

„Diesselbe.“

„Und Eurydice?“

„Ist mein, wie du auch mein.“

„Wie aber ist dein Name?“

„Ich bin der Todlose, der deinen Tod stirbt.“

„Den Tod, den ich sterbe?“

„Den ewigen.“

„So sterb ich nicht?“

„Du stirbst für mich, weil ich für dich sterbe.“

„Und dein Name?“

„Mein Name ist Leid.“

„Du Seliger?“

„Ich bin der Selige, der um deinetwillen Leid heißt.“

„Und kennst mein Leid?“

„Und machte selig dein Leid, wie ich meine Seligkeit um deinetwillen machte zu bitterem Leid.“

„So muß ich leiden, dich zu kennen?“

„So mußt du sterben, im Tode das Leben zu finden. So mußt du leiden, im Schmerz die Seligkeit zu finden. So mußt du zerfleischt werden von den Kindern der Erde, um die Kinder des Himmels zu erkennen.“

„Und du bist ein Halbgott?“

„Mehr als das!“

„Ein König der Götter?“

„Der Gott der Götter! Aber ein Mensch!“

„Wunderbarer, so unergründbar!“

„Rufe mich den Unergründlichen, den du erkennen wirst, wie ich dich erkenne!“

„Sage mir, bei allem Heiligen, deinen Namen!“

„Kyrios heiß mich!“

„Kyrios! In den Staub der Erde neigt sich meine Seele, dich als meinen Himmel zu verehren!“

„Ich bin der Himmel der Himmel, ich bin ein Sohn des Menschen.“

„Und du weißt, ob Sinn ist in meinem Leid, in meinem schicksalhaften Tod?“

„Dein Schicksal ist mein dunkler Wille. Und ich bin der Sinn deines Schicksals, denn ich bin: der Sinn!“

„O, der Logos, den die Weisen ahnten?“

„Die Weisheit, die die Weisen liebten.“

„Nur bin ich kein Weiser, sondern ein armer Tor!“

„Wohl dir, daß du deine Torheit erkennst, das ist der Beginn der Ehrfurcht vor der Weisheit. Du bist ein Dichter, den ich zum Gottsucher schuf.“

„Und wer bist du dem Dichter?“

„Das Wort, der ausgesprochene Sinn des Gottes der Götter!“

„Und bei dir ist die Idee der Schönheit?“

„Sie selbst, denn sie ist die Herrlichkeit der Weisheit, der Morgenglanz der Ewigkeit, die Heilige findest du in meinem Haus, in meinem Garten, an den Enden der drei Himmelsufer, der drei...“

Verhallend schwand die göttliche Erscheinung. - - Und Orpheus starb, denn sein Herz ward zerrissen von zwei Weibern. - - Die weiße Erscheinung der Eurydice begegnete seiner unsterblichen Seele...

Es war Nacht. Wie schwarze Säulen standen die Zypressen und tropften Tränen. Der Mond verschleierte sich traurig hinter einer schwarzen Wolke, die wie flüchtiger Rauch war und doch so undurchdringlich. In der Ferne fingen einige kleine Lämmer herzerbarmend zu blöken an, ganz leis und still. Durch die lieblichen, holdtraurigen Myrtenbüsche strich der kalte Nordwind, der Wind eines unergründlichen Schicksals - woher? wohin? Und die reifen Wolken ließen den kalten Regen fallen, der die Erde zu dem machte, was sie war, ein Tal der Tränen. Die mütterlichen Tauben verhielten ihr Gurren, die jungen Turteltauben ließen kein Girren vernehmen, denn elegische Ehrfurcht, tragische Schauer berührten ihre wogenden Busen. Die Sperlinge der Liebe blieben stumm, wie eitel mußte ihnen ihr einstiges Gezwitscher erscheinen. Und dennoch, so war es ihnen eine wehmütige Freude in all ihrem Traurigsein, doch hatten sie einst für die himmlische Liebe Eurydices zu Orpheus gesungen. Die Wolken schwammen blauschwarz und trunken vor Melancholie durch das dunkle stille Meer des Äthers. Sie warfen ihre Schatten über die hohen Eichen, die wie mit gebrochenen Herzen standen und dennoch ihre Laubkronen heldenmütig dem nackten Himmel darboten. Die Schlangen wurden berührt vom allgemeinen Seufzen der Kreaturen und wurden vor Schwermut so zahm, daß kleine Kinder mit ihnen spielen konnten. Die Löwen besaßen so viel innere Majestät, daß sie schwiegen vor dem Leid der Krone der Schöpfung, dem Leid des Menschen. Der König der Tiere war still, denn sein Herr war gestorben. Die Ziegen versöhnten sich mit den Schafen, denn sie wollten nimmer streiten und kämpfen an dem Todestage des Dichters der Natur. Alles feierten Totenklage, die Schöpfung trug in ganz Thrakien ein schwarzes Trauerband am Arm. Klageweiber hätte man hören müssen. Aber die zur Klage um Orpheus berufen war, die weiße Eurydice, war fort, war nicht mehr irdisch. Die aber irdisch waren, feierten den Triumph ihres betört-törichten Jubels.

Die Mänaden zündeten hohe Freudenfeuer an, denn zerrissen hatten sie das Opfer dem großen Zerreißer. Ihre Leidenschaften zum Tode mündeten in einen ekstatischen Jubelsang, in schrilles Gekreische übergehend. Tänzerinnen warfen sich durch die Gegend, ihre nackten Brüste in den Wind werfend. Buhlerinnen von Bacchantinnen gingen zu den Priapusjüngern und hurten auf der Höhe des Hügels, schändend entweihend das elegische Heiligtum des Todesaltars eines Musensohnes.

Einige nahmen die herumliegenden Gliedmaßen, schwärmten aus, liefen durch Thrakien die folgenden Nächte, an alle Enden das Opferfleisch des Dionysos zu tragen. Corydoneia aber trug das Haupt des Orpheus. Sein Antlitz war von tiefen Furchen des Schmerzes gezeichnet, von würdig-tragischem Ernst umwölkt und erleuchtet. Die Haare des Hauptes und des Bartes waren wild, zerzaust. Die Augen blickten glanzlos blicklos. Der Mund ward schmaler und bleicher, nahezu bläulichviolett. Seine Wangen und seine Stirn waren blutbespritzt, Corydoneia küsste die Blutstropfen von der Haut und trank sie erschauernd. Sie kam an den Strom Hebrus, der sein gewöhnliches Bett verlassen hatte und zur Seite gesprungen war vor Entsetzen. Dennoch mußte der Strom das Schreckenshaupt des holden Orpheus aufnehmen. Als sich der Fluß erst einmal abgefunden hatte mit seinem Schicksal, willigte weise er drein und trug das ehrwürdige Haupt der Poesie auf seinen leise schwebenden Wassern bis in den Schoß des Archipelagus. Der gewaltige Archipelagus trug das Haupt an seinen Bestimmungsort, das weißgoldne Ufer der seligen Insel Lesbos, da allein die heiligen Jungfraun, allesamt Dichterinnen, weihevoll wandelten.

In der Nacht ging einsam durch den Oleanderhain die dichterische Jungfrau Metamelia. Sie duftete lieblich nach bestem Salböl. Zurück blieben ihre Freundinnen Melissa und Melione. Metamelia wandelte einsam weiter. Über ihr eröffnete sich, was in ihr war, ein unermeßlich tiefer dunkler Kosmos. In den weiten Weltenraum, den unergründlichen Innenraum waren Sterne gesät aus weißem Licht, auf denen die schönsten Sternsirenen schwebten, allesamt in Gewändern aus weißen Fluten. Wie blickten sie alle mit geistigen Augen, aus jedem Auge blickte ein Genius. Wie schwebten sie allesamt wie Heilige des Himmels. Dennoch war keine zu fassen, keine durfte je mit ihren heilignackten Füßen in goldnen Sandalen der Himmelskönigin den Rasen an den Ziegenhängen von Lesbos betreten oder gar wandeln durch die Straßen von Methymna. Alles Irdische war von ihnen abgehoben, und allein als Sternsirenen lebten sie in dem liebenden Herzen Metamelias. Diese schaute nicht mehr die Leiber, nicht mehr die Leiber der Mädchen in den Gassen von Methymna, nicht mehr die Leiber der wilden Knaben auf den Hirtenhängen von Lesbos, sondern sie sah in das Reich der Ideen, da die Schatten der Leiber lebten und webten, oder besser: da die Wesen der Schatten lebten und webten, denn Schatte war die leibhafte Daseinsweise, Wesen war der Geist. In Metamelia lebte der Geist, tausendfältig wiedergegeben durch ideale Geister, alle in vollendeter Schönheit, unfaßbar rein. Und dennoch war es alles so flüchtig, alles so zum Zentrum des Abgrunds entfliehend, der im dunklen Geheimnis lag. Da war kein Grund und Boden, da folgte nur auf eine Tiefe eine tiefere Tiefe, und diese war der höchsten Höhe gleich, denn alles kreiste in der ewigen Ruhe des Innenkosmos, Metamelia aber sah nur das Fortbewegen, nicht die Ruhe. Dennoch schien ihr, als lebte in ihr die Vergangenheit und sei Gegenwart, und alles trage den schicksalsgezeugten Keim der Zukunft in sich. Immer so fort würde alles treiben, kreisen wie reine himmlische Genien um den Mittelpunkt des Herzenskosmos. Im Zentrum des Innenraumes aber war das Allerheiligste des Schicksals, da das Herz der heilige Moira offen lag in der Hand des Ewigen, diese Hand aber war verborgen den Blicken, und dennoch in der Liebe, in der Liebe vermochte Metamelia in dieser Hand des Ewigen geborgen zu ruhen. Unergründliches unaussprechlich zu ahnen war das Los der schönen Jungfrau von Methymna, die am Ufer der dichterischen Jungfrauninsel wandelte, Salböl, Salböl ihr Gewand, als sie sah, wie der Archipelagos das Haupt des Musensohnes an das selige Ufer trug. Stillwehmütige Freude und holder Dank dem Unaussprechlichen gegenüber!

Und sie trug wie eine Reliquie aus der Mysterien-Religion des Musensohnes das heilige Haupt vom Strande fort in die Gegend, da die Hirtinnen Phyllis und Amaryllis mit ihren Lämmlein weideten. Diese blickten mit offenherzig-treuherzigen Augen die Jungfrau an und sprachen mit fühlend liebevoller Frauenstimme zu der Dichterin, sie wollen würdig begehen das Mysterium der ewigen Erinnerung an den Tod des Musensohnes. Darum bildeten sie aus jungen schlanken Zweigen von Trauerweiden einen Schrein, und in das ewiggrüne Moos vom Felsenhang betteten sie den Schädel, in dem das Geheimnis der Poesie fortraunte.

Und Metamelia schaute hinauf in den unermeßlichen Kosmos. Und da schaute sie, und schau! was sie schaute, war das Sternbild des Singschwanes, denn der heilige Singschwan war dem Gott der Propheten und Poeten geheiligt, denn er selbst galt als Prophet des ewigen Lebens im Angesicht des Todes. Und dieser Seelenvogel in herrlichem weißen Gefieder war das Gleichnis für die unsterbliche Seele des Orpheus. Diesen hatte der allmächtige Vater gerufen zum ewigen Zeichen an das Kreuz des Nordens, mit ausgebreiteten Schwingen den Ruf der Unsterblichkeit fortzusingen durch alle Äone. Treuer Gott! hatte er doch auch die siebenstimmige Lyra des Orpheus an das Firmament gehoben, daß der Seelenvogel das Saitenspiel mit sieben Saiten streiche im Kosmos zum Ruhm der Unsterblichkeit und töne von jeder Saite den harmonischen Einklang des Kosmos, in welchem ein Sinn, eine Weltvernunft persönlich waltete, und tönte ewig fort die Weltenharmonie der unsterblichen Genien auf den Inseln der Glückseligkeit, schwimmend in den kristallenen Fluten des lichten Äthers, preisend mit Jubel in himmlischer Stille den Tod des Orpheus, denn im Tode ging ihm auf das Leben, welches zu feiern der Chor der Jungfraun kam: Wehe! sangen sie, Wehe sangen wir dem Seelenvogel am Kreuz des Nordens, aber Jubel, Jubel auf der goldnen Wolke den Geschlechtern des Himmels, daß aufgegangen ist aus Tränen der Nacht der Friede des Goldenen Zeitalters aufs Neue und in Ewigkeit!